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Takte_2_18

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[t]akte<br />

2I20<strong>18</strong><br />

„It’s my job to give<br />

them Beethoven“<br />

Die Beethoven-Editionen Jonathan Del Mars bei<br />

Bärenreiter<br />

Symphonien, Konzerte, Streichquartette, Klaviersonaten:<br />

Die Beethoven-Ausgaben aus der Hand<br />

von Jonathan Del Mar überzeugen von der ersten<br />

bis zur letzten Note.<br />

Zigtausende verkaufte Partituren, die Orchestermaterialien<br />

weltweit im Einsatz: Auch ohne dass es in<br />

den letzten Jahren sensationeller neuer Quellenfunde<br />

bedurft hätte, übertrifft Bärenreiters Beethoven-<br />

Urtext-Ausgabe von Jonathan Del Mar bei Weitem<br />

alles, was man hätte erwarten können. Auch hat<br />

wohl zuletzt keine musikalische Neuedition solches<br />

Aufsehen nicht nur in der Fachwelt, sondern ganz<br />

allgemein in der Presse erregt, was auf das Zusammentreffen<br />

folgender Faktoren zurückzuführen ist:<br />

dass Beethoven das bleibende Maß aller Dinge in den<br />

Gattungen Symphonie, Streichquartett und Klaviersonate<br />

ist, dass seine Manuskripte für ihre schwere<br />

Lesbarkeit berüchtigt sind, dass mit Jonathan Del Mar<br />

ein Herausgeber angetreten ist, der wissenschaftliche<br />

Akribie mit empirischem musikalischen Sachverstand<br />

und jahrelanger aufführungspraktischer Erprobung<br />

verbindet wie nur ganz wenige Musikwissenschaftler,<br />

und dass er hierfür einen Verlag gefunden hat, der seinen<br />

Enthüllungen und Entdeckungen zielstrebig und<br />

nachhaltig zur Durchsetzung auf den Konzertpodien<br />

und im allgemeinen Bewusstsein verhilft.<br />

Ziel: Spielbarkeit<br />

So hebt Jonathan Del Mar denn auch sofort im Gespräch<br />

hervor, dass seine Urtext-Ausgaben stets in der Absicht<br />

entstehen, dass auch aus ihnen gespielt wird – dass<br />

sie also die Aufführenden nicht vor unnötige Unklarheiten<br />

und Widersprüche bei der Interpretation des<br />

Textes stellen. Für ihn ist es die ganz klare Aufgabe des<br />

Herausgebers, die Musiker nicht mit weiteren Fragezeichen<br />

zu überhäufen, sondern plausible Antworten zu<br />

liefern, soweit dies auf der Grundlage umfassendsten<br />

Quellenstudiums möglich ist.<br />

Diese Grundhaltung, so sagt er, verdankt er seinem<br />

Vater, dem legendären Dirigenten Norman Del Mar<br />

(1919–1994), dem die Dirigenten nicht nur das Standardlehrbuch<br />

Anatomy of the Orchestra verdanken, sondern<br />

eben auch jene singuläre Kompilation von Druckfehlerberichtigungen<br />

in den Partituren der großen Meister,<br />

die 1981 unter dem Titel Orchestral Variations. Confusion<br />

and Error in the Orchestral Repertoire erschien und seither<br />

zur Standardhandbibliothek aller gut informierten<br />

Orchesterleiter gehört. Was die meisten nicht wissen:<br />

Jonathan Del Mar war der wichtigste Helfer seines<br />

Vaters bei der Veröffentlichung dieses Vermächtnisses,<br />

das in seiner unvermeidlichen Unvollkommenheit den<br />

Auftakt zu seiner eigenen, detektivischen Forscherlaufbahn<br />

bilden sollte: „Was ich außerdem von meinem<br />

Vater lernte, ist die Bedeutung der allgemeinen Repertoirekenntnis.<br />

Es ist nicht hilfreich, als Herausgeber<br />

eine Beethoven-Symphonie isoliert zu betrachten und<br />

zu untersuchen; es braucht eine ausgeprägte Kenntnis<br />

(Foto: fotolia)<br />

der musikalischen Umgebung, sowohl insbesondere<br />

der anderen Orchesterwerke Beethovens als auch von<br />

Symphonien anderer Komponisten vor und nach ihm.“<br />

Entscheidend ist vor allem eine weitere Forderung<br />

an sich selbst, die Jonathan Del Mar von seinem Vater<br />

übernahm: nicht wenige, sondern keine Fehler zu machen<br />

als Herausgeber. Und er betont, dass der Anspruch<br />

des Bärenreiter Urtexts dieser Selbstverpflichtung<br />

entspricht, in welchem es u. a. heißt, dieser sei „ein<br />

Qualitätssiegel … garantiert Notentexte auf dem aktuellen<br />

Stand der Forschung … der Begriff für authentische<br />

Textgestalt der Werke“. Und daraus folgert Jonathan<br />

Del Mar: „Wenn wir von Musikern, die bereits Aufführungsmaterialien<br />

der Werke besitzen, erwarten, noch<br />

einmal in eine bessere Edition zu investieren, müssen<br />

wir den entsprechenden Aufwand an Zeit und Intelligenz<br />

betreiben, um jene Qualität bereitzustellen, die<br />

die Musiker mit Recht erwarten. Und es ist die Aufgabe<br />

des Verlags, Material herzustellen, das von praktischem<br />

Nutzen, also absolut akkurat ist.“<br />

Erprobung in der Praxis<br />

Was Del Mars Beethoven-Edition, allem voran der<br />

Symphonien, so einzigartig macht, ist jedoch darüber<br />

hinaus die jahrelange Zusammenarbeit mit ausführenden<br />

Musikern, wodurch das gesamte Material vielfach<br />

in der Praxis getestet wurde, bevor es zur Veröffentlichung<br />

kam: „Caroline Brown und Stephen Neiman<br />

von der Hanover Band beauftragten mich zwischen<br />

1985 und 1992, von allen Werken, die sie aufnahmen,<br />

neue kritische Editionen zu erstellen. Auf diese Weise<br />

war ich immer verantwortlich, sicherzustellen, dass<br />

meine Entscheidungen in der Praxis annehmbar, also<br />

sinnvoll ausführbar zu sein hatten.“<br />

Weg von subjektiven Auslegungen<br />

Was nun ist Del Mars besondere Errungenschaft als<br />

Herausgeber? „Wegzukommen von subjektiven Auslegungen:<br />

Keiner ist an Del Mar interessiert, jeder will<br />

Beethoven. Keine andere Edition der Beethoven-Symphonien<br />

klärt die Musiker so deutlich und eindeutig<br />

über ungesicherte und zweifelhafte Details auf wie<br />

unsere: Wo besteht ein Zweifel, was ist die daraus<br />

resultierende Empfehlung, und wann kann keine<br />

zweifelsfreie Entscheidung getroffen werden – das alles<br />

ist übersichtlich aufgelistet. Und daher ist auch der<br />

Kritische Bericht jeweils ein untrennbarer Bestandteil<br />

der Partitur. Und hier haben wir, soweit ich es sehen<br />

kann, makellose Arbeit geleistet.“<br />

Man muss nicht mit jeder Entscheidung, die letztlich<br />

in die Partitur gelangt ist, einverstanden sein.<br />

Unbestritten ist, dass Del Mar in der Fünften Symphonie<br />

plausibel belegen konnte, dass die lange Zeit propagierte<br />

komplette Wiederholung im Scherzo wegfällt und<br />

dem Satz jene Kompaktheit wiedergegeben wird, die<br />

das gesamte Werk kennzeichnet. Im Scherzo der Neunten<br />

Symphonie hatte Del Mar zu einer salomonischen<br />

Lösung gegriffen: Da bei der schnellen Temponahme<br />

auf Basis der Metronomisierung das Presto-Trio nicht<br />

im Verhältnis „ganze <strong>Takte</strong> = ganze <strong>Takte</strong>“ (verbunden<br />

durch ein Accelerando, das genau die Beschleunigung<br />

des Tempos um ein Drittel realisiert) genommen werden<br />

kann, die Übertragung der Metronomisierung auf<br />

Alla-breve-Einheiten jedoch lächerlich breit ist, folgte<br />

er zunächst der gängigen Praxis und verbannte die<br />

Metronomisierung des Trios aus der Partitur in den<br />

Kritischen Bericht. In der Neuauflage 2017 freilich hat<br />

er dann die Metronomisierung auf ganze <strong>Takte</strong> in die<br />

Partitur übernommen. Dazu ist es erforderlich, das<br />

Grundtempo des Scherzos – wie wohl als Einziger Celibdache<br />

– so maßvoll zu nehmen, dass sich das Trio in der<br />

übergeordneten Temporelation „ganze <strong>Takte</strong> = ganze<br />

<strong>Takte</strong>“ ausführen lässt: eine in der Proportion der Tempi<br />

absolut stimmige Lösung, die schlicht voraussetzt, die<br />

Metronomisierung außer Acht zu lassen. Ob das getan<br />

wird oder nicht, das ist – in exemplarischer Weise – eine<br />

jener „subjektiven Entscheidungen“, die Del Mar dem<br />

freien Willen der Ausführenden überlassen möchte. Er<br />

selbst hält wenig von blinder Metronomgläubigkeit.<br />

Verwunderung über Dirigenten<br />

Es sei nicht unterschlagen, dass ein so skrupulöser<br />

Herausgeber wie Jonathan Del Mar sich immer wieder<br />

wundern muss, wie sein Urtext in der Praxis tatsächlich<br />

verwendet wird: „Einige Dirigenten bzw. Orchester<br />

machen die Korrekturen wieder rückgängig, weil es<br />

natürlich unbequem sein kann, das Altbekannte neu<br />

einzustudieren. Sie behaupten dann zwar zu Recht,<br />

dass sie aus dem Bärenreiter Urtext spielen, doch sie<br />

spielen ihn nicht. Und ein sehr renommierter Dirigent<br />

hat vor einigen Jahren tatsächlich so einschneidende<br />

Änderungen am Notentext vorgenommen, dass es ihm<br />

gelungen ist, auf der Grundlage dieses neuen Urtexts<br />

die urtextfernste Gesamteinspielung der Schallplattengeschichte<br />

vorzunehmen, wofür er mit mehreren<br />

Kritikerpreisen ausgezeichnet wurde!“ Der Herausgeber<br />

trägt die Verantwortung für den Notentext, alles<br />

weitere liegt in den Händen der Musiker.<br />

Christoph Schlüren<br />

Beethoven bei Bärenreiter<br />

Editionen von Jonathan Del Mar<br />

Symphonien Nr. 1–9. BA 9001–9009<br />

Konzert für Violine und Orchester op. 61. BA 9019<br />

Klavierkonzerte Nr. 1–5. BA 9021–9025<br />

Konzert für Klavier und Orchester nach<br />

dem Violinkonzert. BA 9013<br />

Konzert für Klavier, Violine, Violoncello<br />

und Orchester C-Dur op. 56 „Tripelkonzert”.<br />

BA 9027<br />

Romanzen in F-Dur und G-Dur für Violine<br />

und Orchester op. 50, 40. BA 9026<br />

Sämtliche Klaviersonaten (komplett bis<br />

2019)<br />

Streichquartette op. <strong>18</strong>. 59, 74, 95, 127. BA<br />

9016–90<strong>18</strong>, 9029<br />

Sonaten für Klavier und Violoncello. BA 9012<br />

Variationen für Klavier und Violoncello op. 66, WoO 45, 46.<br />

BA 9028<br />

Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 op. 58 bearbeitet für<br />

Klavier und Streichquintett. BA 9034<br />

Von anderen Herausgebern<br />

Missa solemnis op. 86. BA 9038 (April 2019)<br />

Messe C-Dur op. 86 (Barry Cooper). BA 9039<br />

Fidelio op. 72 (Helga Lühning/Robert Didion). BA 9011<br />

Ouvertüren zu „Leonore“ I, II und III (Helga Lühning).<br />

BA 8831–8833 (April 2019)<br />

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