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ozzy osbourne

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des Satanismus und des Okkultismus zum<br />

Duft von Heavy-Metal-Bands, dieses ganze<br />

Aleister-Crowley-Zeug aus Magie, Tarot, Blut,<br />

hedonistischer Existenzphilosophie und Analsex<br />

als entscheidendem Faktor bei der höchsten<br />

Stufe der Erleuchtung; war alles nur, weil<br />

der gute Gott nicht da zu sein schien und deshalb<br />

auch böse sein könnte. «Where are you<br />

father, why don’t you save us», sang Ozzy.<br />

Ozzy, der «Madman», spielte ein wenig damit,<br />

mehr nicht, machte eine Show daraus,<br />

aber er tat das nie mit derselben Leidenschaft,<br />

wie er sich erfolglos selbst zerstörte. Aber es<br />

reichte, dass er eine Lichtquelle wurde für all<br />

jene, die ihre rettende Sonne im dunklen<br />

Kosmos ihrer Existenz suchten und ein bisschen<br />

Orientierung brauchten. Menschen, die<br />

sich in seinen Songtexten widergespiegelt<br />

sahen, in Texten wie aus seinem berühmten<br />

Song «Diary of a Madman»:<br />

Screaming at the window<br />

Watch me die another day<br />

Hopeless situation<br />

Endless price I have to pay<br />

Das alles schoss mit gefühlten Tausend-Volt-<br />

Gitarrenklängen ins Hirn, die härter waren als<br />

das Leben selbst. Es waren Elektroschocks des<br />

Seins, die einen Strom von ekstatisch erschöpften<br />

Sinuskurven hervorbrachten und das<br />

Gefühl, für die Dauer eines Gitarrenklanges<br />

aus der Zwangsjacke seiner selbst zu schlüpfen<br />

und im Nirwana zu transzendieren:<br />

Rock ’n’ Roll.<br />

Wie alle Menschen, die ihr Heil jahrelang in<br />

den künstlichen Paradiesen gesucht haben<br />

und die jetzt in der Wirklichkeit leben, hält<br />

sich auch Ozzy fast verzweifelt an dieser Wirklichkeit<br />

fest. Ist stolz, alles im Griff zu haben<br />

und sich bei allen entschuldigt zu haben, die er<br />

einst mit seinen ausufernden Eskapaden<br />

malträtiert hatte. Bei seiner Frau, die er einmal<br />

fast erwürgt hätte, bei seinen Kindern, die zu<br />

Hause waren, als er sich in Bars abschoss, bei<br />

all den Tieren, die er massakriert hatte. Und<br />

jetzt sitzt er da in seiner Zwölf-Millionen-<br />

Dollar-Villa, seine Frau gibt den Hunden Pouletbrust,<br />

seine Kinder haben ihm verziehen,<br />

und er nuschelt etwas davon, dass er schon vor<br />

vierzig Jahren fucking tot hätte sein müssen,<br />

aber dass es cooler sei auf dieser Seite des<br />

Lebens.<br />

Weltwoche Nr. 51/52.18<br />

Die letzten drei Minuten<br />

Das sei ja nichts gewesen im Grunde, na ja,<br />

eben nicht so toll, diese Sauferei und all die<br />

Drogen, jede Woche ein fucking Kilo, und es sei<br />

schon cool so nüchtern, weil man dann mit der<br />

Fernbedienung klarkommt und bei «Game of<br />

Thrones» nach zehn Minuten immerhin noch<br />

ungefähr weiss, was die letzten drei Minuten<br />

gerade passiert ist. Hätte er früher aufgehört<br />

mit all dem fucking Zeug, könnte er sich bestimmt<br />

sogar an die letzten fünf Minuten erinnern.<br />

Das Saufen und die Drogen hörten ja nicht<br />

plötzlich auf. Jedenfalls bei ihm nicht. Lange<br />

fand er das ja noch wirklich cool, den Sinn<br />

seines Lebens, wenn er zu Hause war, sich einen<br />

angesoffen und ein bisschen Drogen reingeworfen<br />

hatte, noch in eine Bar zu gehen, vor der<br />

Haustüre zu merken, dass er nur ein T-Shirt<br />

und Unterhosen trug, dann das nächstbeste<br />

Kleidungsstück zu nehmen, oft irgendwas von<br />

seiner Frau. Worauf er in die Bar wankte, immer<br />

wieder mal kurz vor die Tür ging, um in<br />

Ruhe irgendwas reinzuziehen, dann, wieder<br />

zurück, erstaunt war, weil es plötzlich ganz anders<br />

ausgesehen hat. Sich einen Drink bestellte,<br />

nachzudenken versuchte, wieso sich die<br />

Welt so schnell verändert, bis irgendeiner seiner<br />

Freunde kam und sagte: «Hey, Ozzy, fuck,<br />

wir haben dich überall gesucht. Du bist in der<br />

falschen Bar.»<br />

Das wirklich Furchtbare am Trinken ist der<br />

Kater. Dieses metaphysische Ausgetrocknetsein,<br />

das sich anfühlt wie ein kleiner lebendiger<br />

Tod, der Sekunden zu endlosen Minuten werden<br />

lässt, weil die Welt in Zeitlupe läuft. Es gibt<br />

im Grunde nur zwei Dinge, um in solchen<br />

Situationen zu überleben: einen Drink oder im<br />

Bett bleiben. Ein Drink hilft, wenn man ihn bei<br />

sich behalten kann, sofort. Bleibt man im Bett,<br />

ist man gegen 18 Uhr einigermassen so weit<br />

wiederhergestellt, dass man anfangen kann, ein<br />

bisschen was zu trinken und sich dann zu<br />

steigern.<br />

So was geht ein paar Jahre gut, dann wird’s<br />

härter. Bei Ozzy war es so, dass er immer öfter<br />

irgendwo im eigenen Urin aufwachte. Seine<br />

Nerven machten auch nicht mehr mit. Das war<br />

Er war ein kleiner Junge in einem<br />

kleinen Reiheneinfamilienhaus, ein<br />

Arbeiterkind mit fünf Geschwistern.<br />

ein Grund. Der andere war sein Sohn Jack. Ihn<br />

fragte er einst, was er sich zu Weihnachten<br />

wünsche, weil sein Vater ihn das auch immer<br />

gefragt hatte. «Ein Mikrofon», hatte Ozzy geantwortet.<br />

«Einen Vater», sagte Jack.<br />

Er brauchte noch ein paar Jahre, um sich<br />

runterzudimmen. Er gab sich Mühe, er hatte<br />

Mühe, auch weil er als Alkoholiker gut ankam<br />

und seine Sauferei prominent wurde. Da war<br />

die Doku-Soap «The Osbournes» auf MTV, da<br />

waren die Bilder einer Familie, die sich auf<br />

eine zerfleischende, Freakshow-mässige Art<br />

chaotisch liebte. Die Tochter lost in allem, der<br />

Sohn auch, Ozzys Frau hatte Krebs, das Ganze<br />

war ein Renner, bekam einen Emmy-Award,<br />

und Ozzy gewann sein Leben zurück. Er war<br />

wieder mehr als der vollgepisste Ex-Heavy-<br />

Metaller, er komponierte wieder, und die<br />

Phasen der Völlerei wurden kürzer, jene der<br />

Abstinenz länger. Ozzy wurde sechzig, und es<br />

half, dass ihm seine Saufkumpane ausgingen;<br />

da tot oder so gut wie tot.<br />

Worte statt Whisky<br />

Sein Hirn erwachte langsam aus der Dauerbetäubung<br />

und liess ihn sich erinnern, dass er<br />

mal ein Junge gewesen war, dem es auch schon<br />

beschissen gegangen war, und dass sich an diesem<br />

Gefühl wenig verändert hatte im Grunde,<br />

ausser dass er reich geworden war, kaputt aber<br />

auch. Ozzy schrieb seine Biografie, Worte anstatt<br />

Whisky, jedes Kapitel die Station einer Katharsis.<br />

Ozzy erzählte sich sein Leben zurück.<br />

Er war ein kleiner Junge in einem kleinen<br />

Reiheneinfamilienhaus nahe Birmingham,<br />

Grossbritannien, ein Arbeiterkind mit fünf Geschwistern.<br />

Er hatte Mühe mit Lesen und<br />

Schreiben, mit fünfzehn verliess er die Schule.<br />

Er war Schlachter, Maler, Hilfsarbeiter in einem<br />

Beerdigungsinstitut, alles schlecht bezahlte<br />

Jobs. Er wechselte die Seite und versuchte sich<br />

als Gauner, wurde gefasst, kam kurz ins Gefängnis,<br />

wo er sich seinen Namen auf die Finger<br />

tätowierte. Wieder draussen, fing er an zu<br />

singen, er war achtzehn, Black Sabbath betraten<br />

Schritt für Schritt die Welt. Er erhielt einen<br />

Vertrag von Sony. Er bekam 105 Pfund, ob<br />

wöchentlich oder monatlich, weiss er nicht<br />

mehr: «Ich hab zuvor noch nie so viel fucking<br />

Geld gesehen. Ab dann konnte ich mich schon<br />

am Morgen betrinken, am Mittag und in der<br />

Nacht, und niemand kümmerte sich darum. Es<br />

gibt keinen anderen Job in der Welt als den des<br />

Rockmusikers, bei dem du voll wie eine Haubitze<br />

zur Arbeit gehst.»<br />

1979 schmissen Black Sabbath ihn aus der<br />

Band, weil er immer mehr zum Monster wurde.<br />

Er ballerte sich täglich an die Grenzen des Jenseits,<br />

gründete eine Band, Blizzard of Ozz, und<br />

es lief ganz gut, und dann kam 1982, und das<br />

war ein Wendepunkt, auch wenn es damals<br />

noch nicht danach aussah. Ozzy biss der Fledermaus<br />

den Kopf ab, vermutlich weil er dachte,<br />

das Ding sei aus Gummi. Ein paar Monate litt er<br />

darunter, kollabierte ein paarmal, aber die Fledermaus<br />

machte ihn weltweit bekannt. Tierschützer<br />

und gläubige Christen verbrannten<br />

seine Schallplatten und hielten ihn für den Teufel.<br />

Später starb zudem sein Gitarrist bei einem<br />

Flugzeugabsturz, und nicht einmal Ozzy konnte<br />

so viel Drogen nehmen, um davor zu flüchten.<br />

Natürlich versuchte er es, aber es ging nicht.<br />

Er landete nicht mehr in den künstlichen Paradiesen,<br />

sondern in der Betty-Ford-Klinik. Für<br />

die nächsten achtzehn Jahre war das sein Leben:<br />

Drogen, Musik, Entzug und der Versuch, ein<br />

Familienvater zu sein.<br />

Es ist jetzt Nachmittag, die Sonne sticht, der<br />

Früchtetee ist alle. Ozzy geht in sein Atelier malen.<br />

«Nicht, dass ich ein Künstler bin, aber das<br />

macht Spass mit den Farben. Vielleicht schlafe<br />

ich auch ein wenig. Mal schauen. Und, yeah,<br />

jetzt fällt es mir wieder ein. Ich werde dieses<br />

Jahr fucking siebzig.»<br />

g<br />

97

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