ozzy osbourne
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Leben und sterben<br />
Ozzy Osbourne war Sänger der Hardrock-Band Black Sabbath und der bunteste<br />
schwarze Hund der Heavy-Metal-Szene. Nun ist er siebzig geworden. Dass er noch<br />
lebt, ist ein Wunder. Das findet er auch. Von Michael Bahnerth<br />
Da sitzt der Mann in seinem Haus, das eine<br />
Mischung ist aus Hollywoodkitsch und<br />
ein wenig Buckingham Palace, sitzt schwarzgekleidet<br />
in kurzen Hosen auf einem hell blauen<br />
Louis-XVI-Sessel-Remake, auf der Knie scheibe<br />
ein Smiley eintätowiert, trinkt Früchtetee und<br />
hat gerade ein kleines Problem. Der Rockmusiker<br />
und einstige Sänger und Mundharmonikaspieler<br />
von Black Sabbath, Ozzy Osbourne, ist<br />
an diesem Nachmittag in den Hügeln von Los<br />
Angeles noch 69 Jahre alt, und das Problem ist,<br />
dass er sagt, dass er sich nicht mehr daran erinnere,<br />
wie es so war mit siebzig, aber er vermute,<br />
nicht so fucking geil wie mit 61.<br />
Sonst geht es dem Mann, der auch längst<br />
schon tot sein könnte, für seine Verhältnisse<br />
erstaunlich blendend. Seit sechs Jahren lässt er<br />
die Finger von Drogen und Alkohol, und das<br />
Gefühl, nüchtern zu sein, ist eines, das er bis<br />
anhin noch nicht kannte. Es scheint ihn immer<br />
noch ein wenig high zu machen. Bis auf die<br />
Verwirrung mit dem Alter laufen die Dinge<br />
nicht schlecht. Die letzte noch übriggebliebene<br />
seiner Süchte, die Sexsucht, hat er seit ein<br />
paar Monaten im Griff, er geht in Therapie,<br />
und das sei fuckin’ besser für alle. Ozzy spricht<br />
keinen Satz ohne «fucking». Nicht erst, seit er<br />
von der Sexsucht weg ist, schon immer. Seine<br />
Frau Sharon, mit der er 35 Jahre verheiratet ist,<br />
lässt sich doch nicht von ihm scheiden und<br />
spricht wieder mit ihm, und seine Tochter<br />
Kelly ist ebenfalls, jedenfalls meistens, weg<br />
von den Drogen und dem Alkohol, und Sohn<br />
Jack, na ja, nicht so einfach gerade, er steckt in<br />
der Scheidung.<br />
Duft von Heavy-Metal-Bands<br />
Es fällt ihm jetzt wieder ein, dass er siebzig<br />
wird, aber er meint nur: «don’t fucking care».<br />
Das mit dem Alter sei bei ihm sowieso so ’ne<br />
Sache, weil ihm dreissig Jahre, so die Zeit von<br />
1968 bis 1998, fehlen würden. Weil er da pausenlos<br />
komplett zugeballert gewesen sei. Alles<br />
eben, gerne aufs Mal, polytoxikoman eben. Er<br />
war der Fürst der Finsternis damals, der auf<br />
der Bühne einer Fledermaus mal den Kopf<br />
abgebissen hatte, zwei Raben hat er das Genick<br />
gebrochen oder auch den Kopf abgebissen, das<br />
weiss er nicht mehr so genau, und man erzählt<br />
sich, dass er insgesamt siebzehn Katzen erschossen<br />
haben soll.<br />
Das war, als Ozzy den Satanismus ein wenig<br />
für sich entdeckte und er Freund des Teufels in<br />
ihm wurde. Keine grosse Sache im Grunde.<br />
Anfang der 1980er Jahre gehörten das Parfüm<br />
Tausend-Volt- Gitarrenklänge im Hirn: Hardrocker Ozzy Osbourne.<br />
96 Weltwoche Nr. 51/52.18<br />
Bild: Mark Summers
des Satanismus und des Okkultismus zum<br />
Duft von Heavy-Metal-Bands, dieses ganze<br />
Aleister-Crowley-Zeug aus Magie, Tarot, Blut,<br />
hedonistischer Existenzphilosophie und Analsex<br />
als entscheidendem Faktor bei der höchsten<br />
Stufe der Erleuchtung; war alles nur, weil<br />
der gute Gott nicht da zu sein schien und deshalb<br />
auch böse sein könnte. «Where are you<br />
father, why don’t you save us», sang Ozzy.<br />
Ozzy, der «Madman», spielte ein wenig damit,<br />
mehr nicht, machte eine Show daraus,<br />
aber er tat das nie mit derselben Leidenschaft,<br />
wie er sich erfolglos selbst zerstörte. Aber es<br />
reichte, dass er eine Lichtquelle wurde für all<br />
jene, die ihre rettende Sonne im dunklen<br />
Kosmos ihrer Existenz suchten und ein bisschen<br />
Orientierung brauchten. Menschen, die<br />
sich in seinen Songtexten widergespiegelt<br />
sahen, in Texten wie aus seinem berühmten<br />
Song «Diary of a Madman»:<br />
Screaming at the window<br />
Watch me die another day<br />
Hopeless situation<br />
Endless price I have to pay<br />
Das alles schoss mit gefühlten Tausend-Volt-<br />
Gitarrenklängen ins Hirn, die härter waren als<br />
das Leben selbst. Es waren Elektroschocks des<br />
Seins, die einen Strom von ekstatisch erschöpften<br />
Sinuskurven hervorbrachten und das<br />
Gefühl, für die Dauer eines Gitarrenklanges<br />
aus der Zwangsjacke seiner selbst zu schlüpfen<br />
und im Nirwana zu transzendieren:<br />
Rock ’n’ Roll.<br />
Wie alle Menschen, die ihr Heil jahrelang in<br />
den künstlichen Paradiesen gesucht haben<br />
und die jetzt in der Wirklichkeit leben, hält<br />
sich auch Ozzy fast verzweifelt an dieser Wirklichkeit<br />
fest. Ist stolz, alles im Griff zu haben<br />
und sich bei allen entschuldigt zu haben, die er<br />
einst mit seinen ausufernden Eskapaden<br />
malträtiert hatte. Bei seiner Frau, die er einmal<br />
fast erwürgt hätte, bei seinen Kindern, die zu<br />
Hause waren, als er sich in Bars abschoss, bei<br />
all den Tieren, die er massakriert hatte. Und<br />
jetzt sitzt er da in seiner Zwölf-Millionen-<br />
Dollar-Villa, seine Frau gibt den Hunden Pouletbrust,<br />
seine Kinder haben ihm verziehen,<br />
und er nuschelt etwas davon, dass er schon vor<br />
vierzig Jahren fucking tot hätte sein müssen,<br />
aber dass es cooler sei auf dieser Seite des<br />
Lebens.<br />
Weltwoche Nr. 51/52.18<br />
Die letzten drei Minuten<br />
Das sei ja nichts gewesen im Grunde, na ja,<br />
eben nicht so toll, diese Sauferei und all die<br />
Drogen, jede Woche ein fucking Kilo, und es sei<br />
schon cool so nüchtern, weil man dann mit der<br />
Fernbedienung klarkommt und bei «Game of<br />
Thrones» nach zehn Minuten immerhin noch<br />
ungefähr weiss, was die letzten drei Minuten<br />
gerade passiert ist. Hätte er früher aufgehört<br />
mit all dem fucking Zeug, könnte er sich bestimmt<br />
sogar an die letzten fünf Minuten erinnern.<br />
Das Saufen und die Drogen hörten ja nicht<br />
plötzlich auf. Jedenfalls bei ihm nicht. Lange<br />
fand er das ja noch wirklich cool, den Sinn<br />
seines Lebens, wenn er zu Hause war, sich einen<br />
angesoffen und ein bisschen Drogen reingeworfen<br />
hatte, noch in eine Bar zu gehen, vor der<br />
Haustüre zu merken, dass er nur ein T-Shirt<br />
und Unterhosen trug, dann das nächstbeste<br />
Kleidungsstück zu nehmen, oft irgendwas von<br />
seiner Frau. Worauf er in die Bar wankte, immer<br />
wieder mal kurz vor die Tür ging, um in<br />
Ruhe irgendwas reinzuziehen, dann, wieder<br />
zurück, erstaunt war, weil es plötzlich ganz anders<br />
ausgesehen hat. Sich einen Drink bestellte,<br />
nachzudenken versuchte, wieso sich die<br />
Welt so schnell verändert, bis irgendeiner seiner<br />
Freunde kam und sagte: «Hey, Ozzy, fuck,<br />
wir haben dich überall gesucht. Du bist in der<br />
falschen Bar.»<br />
Das wirklich Furchtbare am Trinken ist der<br />
Kater. Dieses metaphysische Ausgetrocknetsein,<br />
das sich anfühlt wie ein kleiner lebendiger<br />
Tod, der Sekunden zu endlosen Minuten werden<br />
lässt, weil die Welt in Zeitlupe läuft. Es gibt<br />
im Grunde nur zwei Dinge, um in solchen<br />
Situationen zu überleben: einen Drink oder im<br />
Bett bleiben. Ein Drink hilft, wenn man ihn bei<br />
sich behalten kann, sofort. Bleibt man im Bett,<br />
ist man gegen 18 Uhr einigermassen so weit<br />
wiederhergestellt, dass man anfangen kann, ein<br />
bisschen was zu trinken und sich dann zu<br />
steigern.<br />
So was geht ein paar Jahre gut, dann wird’s<br />
härter. Bei Ozzy war es so, dass er immer öfter<br />
irgendwo im eigenen Urin aufwachte. Seine<br />
Nerven machten auch nicht mehr mit. Das war<br />
Er war ein kleiner Junge in einem<br />
kleinen Reiheneinfamilienhaus, ein<br />
Arbeiterkind mit fünf Geschwistern.<br />
ein Grund. Der andere war sein Sohn Jack. Ihn<br />
fragte er einst, was er sich zu Weihnachten<br />
wünsche, weil sein Vater ihn das auch immer<br />
gefragt hatte. «Ein Mikrofon», hatte Ozzy geantwortet.<br />
«Einen Vater», sagte Jack.<br />
Er brauchte noch ein paar Jahre, um sich<br />
runterzudimmen. Er gab sich Mühe, er hatte<br />
Mühe, auch weil er als Alkoholiker gut ankam<br />
und seine Sauferei prominent wurde. Da war<br />
die Doku-Soap «The Osbournes» auf MTV, da<br />
waren die Bilder einer Familie, die sich auf<br />
eine zerfleischende, Freakshow-mässige Art<br />
chaotisch liebte. Die Tochter lost in allem, der<br />
Sohn auch, Ozzys Frau hatte Krebs, das Ganze<br />
war ein Renner, bekam einen Emmy-Award,<br />
und Ozzy gewann sein Leben zurück. Er war<br />
wieder mehr als der vollgepisste Ex-Heavy-<br />
Metaller, er komponierte wieder, und die<br />
Phasen der Völlerei wurden kürzer, jene der<br />
Abstinenz länger. Ozzy wurde sechzig, und es<br />
half, dass ihm seine Saufkumpane ausgingen;<br />
da tot oder so gut wie tot.<br />
Worte statt Whisky<br />
Sein Hirn erwachte langsam aus der Dauerbetäubung<br />
und liess ihn sich erinnern, dass er<br />
mal ein Junge gewesen war, dem es auch schon<br />
beschissen gegangen war, und dass sich an diesem<br />
Gefühl wenig verändert hatte im Grunde,<br />
ausser dass er reich geworden war, kaputt aber<br />
auch. Ozzy schrieb seine Biografie, Worte anstatt<br />
Whisky, jedes Kapitel die Station einer Katharsis.<br />
Ozzy erzählte sich sein Leben zurück.<br />
Er war ein kleiner Junge in einem kleinen<br />
Reiheneinfamilienhaus nahe Birmingham,<br />
Grossbritannien, ein Arbeiterkind mit fünf Geschwistern.<br />
Er hatte Mühe mit Lesen und<br />
Schreiben, mit fünfzehn verliess er die Schule.<br />
Er war Schlachter, Maler, Hilfsarbeiter in einem<br />
Beerdigungsinstitut, alles schlecht bezahlte<br />
Jobs. Er wechselte die Seite und versuchte sich<br />
als Gauner, wurde gefasst, kam kurz ins Gefängnis,<br />
wo er sich seinen Namen auf die Finger<br />
tätowierte. Wieder draussen, fing er an zu<br />
singen, er war achtzehn, Black Sabbath betraten<br />
Schritt für Schritt die Welt. Er erhielt einen<br />
Vertrag von Sony. Er bekam 105 Pfund, ob<br />
wöchentlich oder monatlich, weiss er nicht<br />
mehr: «Ich hab zuvor noch nie so viel fucking<br />
Geld gesehen. Ab dann konnte ich mich schon<br />
am Morgen betrinken, am Mittag und in der<br />
Nacht, und niemand kümmerte sich darum. Es<br />
gibt keinen anderen Job in der Welt als den des<br />
Rockmusikers, bei dem du voll wie eine Haubitze<br />
zur Arbeit gehst.»<br />
1979 schmissen Black Sabbath ihn aus der<br />
Band, weil er immer mehr zum Monster wurde.<br />
Er ballerte sich täglich an die Grenzen des Jenseits,<br />
gründete eine Band, Blizzard of Ozz, und<br />
es lief ganz gut, und dann kam 1982, und das<br />
war ein Wendepunkt, auch wenn es damals<br />
noch nicht danach aussah. Ozzy biss der Fledermaus<br />
den Kopf ab, vermutlich weil er dachte,<br />
das Ding sei aus Gummi. Ein paar Monate litt er<br />
darunter, kollabierte ein paarmal, aber die Fledermaus<br />
machte ihn weltweit bekannt. Tierschützer<br />
und gläubige Christen verbrannten<br />
seine Schallplatten und hielten ihn für den Teufel.<br />
Später starb zudem sein Gitarrist bei einem<br />
Flugzeugabsturz, und nicht einmal Ozzy konnte<br />
so viel Drogen nehmen, um davor zu flüchten.<br />
Natürlich versuchte er es, aber es ging nicht.<br />
Er landete nicht mehr in den künstlichen Paradiesen,<br />
sondern in der Betty-Ford-Klinik. Für<br />
die nächsten achtzehn Jahre war das sein Leben:<br />
Drogen, Musik, Entzug und der Versuch, ein<br />
Familienvater zu sein.<br />
Es ist jetzt Nachmittag, die Sonne sticht, der<br />
Früchtetee ist alle. Ozzy geht in sein Atelier malen.<br />
«Nicht, dass ich ein Künstler bin, aber das<br />
macht Spass mit den Farben. Vielleicht schlafe<br />
ich auch ein wenig. Mal schauen. Und, yeah,<br />
jetzt fällt es mir wieder ein. Ich werde dieses<br />
Jahr fucking siebzig.»<br />
g<br />
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