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Sport<br />

The Big Swing<br />

Drei Tage lang spielten vierzig Golferinnen und Golfer aus Europa und den USA im Engadin<br />

gegeneinander. Es war bisweilen, als ob die Bälle und die Existenzen in den Himmel flögen.<br />

Von Michael Bahnerth<br />

Die Neurologie kann noch nicht genau<br />

erklären, wie im Hirn Glück entsteht.<br />

Sieben Areale, mindestens, sollen an der<br />

Glücksproduktion beteiligt sein. Dreh- und<br />

Angelpunkt des Glücks ist offenbar das ventrale<br />

tegmentale Areal im Mittelhirn, das eine<br />

rege Beziehung zum Belohnungssystem, dem<br />

mesolimbischen, unterhält, dessen Treibstoff<br />

Dopamin ist, das gemeinhin als Glückshormon<br />

gilt und angrenzende Hirnregionen euphorisiert.<br />

Was man mit Sicherheit sagen<br />

kann, ist, dass Glück sehr einfach und sehr<br />

kompliziert zugleich ist.<br />

Alles, was ich über Glück weiss, ist, dass es<br />

zerbrechlich und etwas ist, was kommt, wenn<br />

man Glück hat. Und dass die Frage, wie Glück<br />

entsteht, ganz im Gegensatz zu jener, wie<br />

Glück zergeht, im Grunde unbeantwortbar<br />

ist. Drei Tage schwebte das Glück wie fraglos<br />

im Engadin zwischen Zuoz und Samedan, zog<br />

mal hoch zum Muottas Muragl und wieder<br />

runter nach St. Moritz ins «Palace»-Hotel. Die<br />

Geschichte dieses unbeschwerten Seins ist die<br />

Geschichte von vielleicht fünfzig Menschen<br />

insgesamt, die an einem vom Engadine Golf<br />

Club mit viel Herzblut, Leidenschaft, Knowhow<br />

und, ja, Liebe organisierten Turnier teilgenommen<br />

haben oder sonst wie dabei waren.<br />

Ryder Cup Trust heisst das Turnier, es gibt es<br />

seit ein paar Jahren, ins Leben gerufen hat es die<br />

amerikanische Unternehmerin, Society- Lady<br />

und heimliche amerikanische Königin von<br />

Monte Carlo, Susan Feaster, und es fand bis jetzt<br />

immer in Monaco statt. Ein Team aus den USA<br />

spielt gegen eines aus Europa, ganz wie im Original,<br />

dem Ryder Cup, bei dem seit 1927 alle<br />

zwei Jahre die besten Golfprofis diesseits und<br />

jenseits des grossen Teichs um die Königskrone<br />

des Golfs spielen. Im Engadin waren eine Handvoll<br />

Profis, zwei Handvoll Prominente, und der<br />

Rest waren begabte und sehr begabte Amateure.<br />

Die meisten hatten ein Single-Handicap,<br />

und das ist etwas, was alle Golfer, die Handicaps<br />

im zweistelligen Bereich haben, sehr, sehr<br />

glücklich machen würde, weil viele Amateurgolfer<br />

einer tragischen Dynamik unter liegen;<br />

an einem Tag glauben sie, einen wesent lichen<br />

Schritt vorangekommen zu sein, am nächsten<br />

schlagen sie sich zwei zurück, am wiederum<br />

nächsten Tag machen sie wieder einen Schritt<br />

nach vorne, jahrelang geht das so.<br />

Die Teams spielten an drei Tagen je eine<br />

Runde auf einem 18-Loch-Platz, zwei auf dem<br />

Course von Zuoz-Madulain, eine auf jenem<br />

von Samedan. Sie schlugen und streichelten<br />

die Bälle, als ob sie eine Seele hätten, für einen<br />

guten Zweck, den Ryder Trust, der es sich zur<br />

Aufgabe gemacht hat, als Botschafter des Golfes<br />

jungen Menschen Zutritt zu den Fairways<br />

des Spiels und seinen charakterbildenden<br />

Werten wie Geduld, Fairness und Umgang mit<br />

Niederlagen und Siegen gegen sich selbst zu<br />

ermöglichen.<br />

Nach dem Hemd fielen die<br />

Masken, und sie wurden nicht<br />

wieder aufgesetzt.<br />

Aufkommende Berauschtheit<br />

Team USA sieht auf den ersten Blick ein wenig<br />

aus, als ob die Mission «Make America Great<br />

Again» wäre. Die Spieler kommen wie aus<br />

einem Guss daher, sind gross und geben sich<br />

grossartig, und auf ihren Schuhen steht «USA».<br />

Team Europa ist eine Ansammlung von jungen<br />

Profis und meist älteren Golf-Aficionados und<br />

Howard Carpendale, der der einzige Promi ist,<br />

sieht man einmal von den vielen Unternehmern,<br />

Immobilienbesitzern, Jachtbauern, Engadiner<br />

Tycoons und ehemaligen schottischen<br />

Rugby-Spielern ab. Die amerikanischen Promis<br />

sind solche, die wir nicht kennen in Europa,<br />

ehemalige Quarterbacks mit Superbowl-<br />

Erfahrung, Baseballspieler und Basketballer.<br />

Ob einer noch aktiv ist oder schon länger zurückgetreten,<br />

erkennt man an zwei Merkmalen.<br />

Diejenigen, die ihre Sportkarriere schon<br />

hinter sich haben, spielen besser Golf und trinken<br />

abends mehr. Die noch aktiven Spitzensportler<br />

wie NBA-Star Mike Conley essen Hähnchen<br />

anstatt Bündnerfleisch und trinken<br />

Wasser anstatt Wein aus Malans.<br />

An einem Dienstag um neun Uhr morgens<br />

begann das Turnier unter einem blauen Himmel,<br />

zwischen hohen, noch mit Schneetupfern<br />

gesprenkelten Bergen und auf einem perfekt<br />

hergerichteten Platz. Da ist die übliche Stimmung<br />

aus Konzentration und dem Versuch,<br />

locker zu bleiben. Die Grenze zwischen der Erde<br />

des Alltags und den elysischen Landschaften<br />

des Seins war noch nicht überschritten.<br />

Das kam erst abends nach der ersten Runde,<br />

die Europa knapp gewonnen hatte, weil Zuoz<br />

ein gebirgiger, wenn man so will, Golfplatz ist<br />

und kein Highway-Course, wie die Amerikaner<br />

es gewohnt sind. Der Abend war ein kleines<br />

Barbecue mit DJane Tanja La Croix und<br />

Gin-Degustation auf der Terrasse des Restaurants<br />

des Zuozer Golfklubs. Es ist schwer zu<br />

sagen, was genau geschah, sieht man einmal<br />

von der aufkommenden Berauschtheit ab an<br />

diesem vielleicht wärmsten Abend des diesjährigen<br />

Engadiner Sommers.<br />

Vielleicht kann man es so formulieren; stellt<br />

man sich die Etikette des Golfes, dieses eher<br />

zurückhaltende Gentleman-Ding zwischen<br />

Stock-im-Arsch und James Bond, als Hemd<br />

vor, öffnete sich zuerst der Kragen, dann ein<br />

Brustknopf, und am Ende war das Hemd da<br />

und dort ganz weg. Nach dem Hemd fielen die<br />

Masken, und sie wurden während der nächsten<br />

zwei Tage nicht wieder aufgesetzt. Max<br />

Frisch, hätte er Golf gespielt, das im Grunde<br />

genauso demokratisch ist wie sein gepredigter<br />

Sozialismus, würde wahrscheinlich schreiben:<br />

Auf den Greens des Lächelns: Team USA (l.), Tourniergründerin Susan Feaster (M.), Team Europa.<br />

<strong>56</strong> Weltwoche Nr. 32.19<br />

Bilder: Emanuel Stotzer


Der feinfühlige Longhitter: Profi Djurdjevic.<br />

Da trafen sich Golfspieler und fanden sich<br />

Menschen.<br />

Howard Carpendale, der fast so gut Golf<br />

spielt, wie er singt, beschrieb das Glück dieser<br />

drei Tage am letzten Abend, dem Galadiner<br />

im «Palace», so: «Drei Tage lang trafst du<br />

Menschen, und keiner war unangenehm.»<br />

Wenn einer haderte, dann nur mit sich selbst,<br />

weil seine Runde nicht ganz rund war, aber<br />

die Enttäuschung über sich selber hielt nie<br />

lange an, weil da genug andere waren, die<br />

waren wie der Wind, der durch das Engadin<br />

zog und die Staubkörner im Getriebe eines<br />

Daseins wegblies. Und so waren die Tage wie<br />

eine Idee einer Welt, die nicht an vielen Orten<br />

von Idioten besiedelt ist, die dem Glück im<br />

Wege stehen.<br />

Gänsehaut und Depression<br />

Alle, die dabei waren, brachten jenen Rucksack<br />

mit, in dem ihre Geschichte liegt. Manche Rucksäcke<br />

waren schwerer, andere leichter. Schwer<br />

zu sagen, wie schwer jener von Howard Carpendale<br />

war. Hatte gerade eine Tournee hinter sich,<br />

eine vor sich, fuhr hauptsächlich mit dem Golfcar<br />

und rauchte Kette, Marlboro Rot. Zündete<br />

Weltwoche Nr. 32.19<br />

sich im Golfcar eine an, lief hoch zum Abschlag,<br />

warf die Zigarette ins Grab, schlug ab, der Ball<br />

flog stets schön, weil Howard, wie er sagt, acht<br />

Tage die Woche Golf spielt, nahm die Zigarette<br />

wieder auf, lief zurück zum Wagen und fuhr<br />

los. Wie das so gehe, mit Kettenrauchen und<br />

Marlboro Rot, war eine Frage: «Ich rauche nur<br />

auf dem Golfplatz», antwortete Howard, «und<br />

frag mich nicht, warum, buddy, ich weiss es auch<br />

nicht.» Die Sache mit dem Rucksack mit der<br />

eigenen Schwere drin und Golf ist die; man legt<br />

seinen Rucksack ab und streift den Golfbag<br />

über. Das ist nicht immer eine Erlösung, fühlt<br />

sich aber zumindest am Anfang stets als Erleichterung<br />

an.<br />

Der Rucksack von Ilija Djurdjevic ist noch<br />

leicht, er ist jung, kaum dreissig Jahre alt, er<br />

war wahrscheinlich der beste Golfer an diesen<br />

drei Tagen, einer der bestgelaunten sowieso.<br />

Am Samstag, als die meisten vom Ryder Cup<br />

Trust wieder abgereist waren, spielte er noch<br />

den Golfcup der Hotels «Badrutt’s Palace»,<br />

«Baur au Lac» und «Beau-Rivage» und gewann<br />

mit acht Schlägen unter Paar. Djurdjevic<br />

ist Golfprofi, im Ranking ungefähr die Nummer<br />

2000, das klingt nach weit hinten, ist aber<br />

doch schon einigermassen vorne. Djurdjevic<br />

ist, auch, ein Longhitter, da ist er unter den<br />

fünf Besten der Welt. Longhitting ist einfach,<br />

wer den Ball mit dem Driver am weitesten<br />

schlagen kann, es ist ein Spektakel und wahrscheinlich<br />

eine wesentliche Facette der Zukunft<br />

dieses Sportes. Djurdjevics offizieller<br />

Rekord ist 368 Meter, 430 Meter inoffiziell.<br />

Wenn man neben ihm steht und er abschlägt,<br />

bekommt man mindestens Gänsehaut und<br />

gleich danach eine kleine Depression, weil<br />

man selbst zu jenen Golfern gehört, die die<br />

Welt umarmen würden, träfe man endlich einmal<br />

das 250 Meter entfernte Netz am Ende der<br />

Driving- Range.<br />

Er habe, so sagte er nach seiner 64er-Runde,<br />

bisher das beste Golf seines Lebens gespielt. Im<br />

Ryder Cup Trust ist das den Europäern ein<br />

ganz klein wenig besser gelungen als den<br />

Amerikanern, aber es schien, als die drei Tage<br />

an der Bar des «Palace» sich langsam verflüssigten,<br />

beinahe nebensächlich. Weil alle drei<br />

Tage in einer sich wie wirklich anfühlenden<br />

Illusion gelebt haben, dass ein Hirn gar nicht<br />

anders könnte, als einen Menschen glücklich<br />

zu machen.<br />

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