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«Mehr Schlager»<br />
Die Bernerin Francine Jordi, 41, singt gleich lange, wie sie laufen kann. 1998 gelang ihr mit «Das Feuer der<br />
Sehnsucht» der internationale Durchbruch in der Schlagerszene. Seither ist die ausgebildete Opernsängerin<br />
das Aushängeschild der Schweizer Volksmusik und der Liebling der Nation. Von Michael Bahnerth<br />
Frau Jordi, Sie sollen einst Jungschützenmeisterin<br />
gewesen sein.<br />
Das stimmt. Ich war mittelländische<br />
Jungschützenmeisterin.<br />
Wenn Sie jemanden erschiessen dürften –<br />
käme Ihnen irgendwer in den Sinn?<br />
Wie bitte?<br />
Im übertragenen Sinne natürlich.<br />
Also, über das Schiessen macht man keine<br />
Witze. Schiessen ist für mich ein unglaublich<br />
spannender Sport, man braucht unter<br />
anderem Körperbeherrschung und Konzentration.<br />
Ich schaue mir gelegentlich<br />
Biathlon an . . . faszinierend.<br />
Was halten Sie von der Verschärfung des<br />
Waffenrechts?<br />
Ich hab’s verfolgt.<br />
Und?<br />
Ich sage öffentlich nichts Politisches. Das<br />
habe ich nie gemacht.<br />
Warum?<br />
Weil es nichts mit meiner Arbeit zu tun<br />
hat. Schlager ist nicht politisch.<br />
Was ist der Lustgewinn beim Schlagersingen?<br />
Das Positive, das dem Schlager innewohnt.<br />
Es ist positive Musik mit positiven Sätzen,<br />
die den Menschen eine positive Grundstimmung<br />
gibt. Ich hab noch nie jemanden<br />
mit schlechter Laune aus einem Schlagerkonzert<br />
gehen sehen. Und ich habe gerne<br />
Dur-Tonarten, Moll zwar auch, aber Dur<br />
macht mir mehr Spass.<br />
Da gibt’s die Klischees bezüglich des<br />
Schlagers: heile Welt, kleiner Leute Sehnsüchte<br />
nach ein bisschen Bilderbuchglück,<br />
Weltfremdheit.<br />
Weltfremd finde ich diese Sehnsüchte<br />
nicht. Wenn jemand träumt, ist das nie<br />
weltfremd. Wenn ich die Zeitungen lese<br />
oder Fernsehen schaue, all diese negativen<br />
Schlagzeilen, all diese Kommentare, in<br />
denen Leute ihren persönlichen Frust abladen.<br />
Da würde es so was wie eine CO2-Abgabe<br />
brauchen: Jene, die zu viel Negatives<br />
abladen, müssten dafür bezahlen, und<br />
umgekehrt. Ich finde, die Welt braucht viel<br />
mehr Schlager.<br />
Kann man sagen, dass, je schlechter die<br />
Zeiten sind, desto besser sind sie für den<br />
Schlager?<br />
Es gibt Hinweise, dass das in der Vergangenheit<br />
oft so gewesen ist.<br />
Wenn also alle glücklich wären auf dieser<br />
Welt, gäbe es dann den Schlager noch?<br />
«Dur macht mehr Spass»: Musikerin Jordi.<br />
84 Weltwoche Nr. 51/52.18<br />
Bild: Roger Reist (zVg)
»<br />
Die Menschen haben ja immer Hochs und<br />
Tiefs, also wird es immer Schlager geben.<br />
Da haben Sie recht. Schlager ist ja auch<br />
Herzschmerz.<br />
Wir verpacken das dann aber doch in Dur<br />
und nicht in Moll.<br />
Ihr Leben als Schlagerstar begann am<br />
5. September 1998 beim Grand Prix der<br />
Volksmusik in Wien, als Sie mit dem Lied<br />
«Das Feuer der Sehnsucht» gewonnen<br />
haben. Vor kurzem sagten Sie, dass das ein<br />
Moment ist in Ihrem Leben, den Sie gerne<br />
noch einmal erleben würden.<br />
Da ist so viel über mich hereingebrochen,<br />
dass ich ganz viel vergessen habe. Deshalb.<br />
Der Rummel war unglaublich,<br />
endlos. In einem Jahr habe ich 56 Fernsehsendungen<br />
gemacht. So viele gibt es heute<br />
gar nicht mehr.<br />
Und wie war das, als Sie sich danach als<br />
Schlagersängerin selbst verwirklichen<br />
konnten?<br />
Selbstverwirklichung ist nicht das, was<br />
mich anspornt. Singen spornt mich an und<br />
den Leuten damit eine Freude zu bereiten.<br />
Das ist etwas sehr, sehr Schönes.<br />
Diese Lust daran, den Leuten eine Freude<br />
zu machen, ist das ein Teil Ihres Wesens?<br />
Ja. Es freut mich, wenn ich Freude machen<br />
kann. Und das funktioniert ja nur, wenn<br />
man etwas von ganzem Herzen tut; wenn<br />
das nur eine Show wäre, käme das nicht so<br />
rüber, und die Leute würden merken, dass<br />
da etwas nicht stimmt.<br />
Sie sind ausgebildete Opernsängerin. War<br />
das nie eine Alternative: Mailänder Scala<br />
anstelle der Silvestershow aus Linz?<br />
Man muss die Geschenke im Leben so nehmen,<br />
wie sie kommen. Ich habe mit dem<br />
Gesangsstudium begonnen, ein Jahr später<br />
kam der Grand-Prix-Sieg. Dann zu sagen:<br />
Ich will das nicht – nein. Ich bin mit Jodeln<br />
und Schlager aufgewachsen, das ist auch<br />
meine Heimat. Das ist doch grossartig.<br />
Welches ist Ihre Lieblingsoper?<br />
Die «Zauberflöte» finde ich immer wieder<br />
schön. Die Musik, so leicht und schön und<br />
trotzdem so schwierig?<br />
Leicht und schön und schwierig. Wie Ihr<br />
Leben?<br />
Mein Leben ist eines der positiven Einstellung,<br />
auch bei negativen Dingen. Ich betrachte<br />
eine Situation und suche dann das<br />
Positive ihn ihr. Jenen Punkt, von dem ich<br />
sagen kann, der hat etwas Gutes.<br />
Was war das Positive an Ihrer Erkrankung,<br />
dem Brustkrebs?<br />
Unter anderem auch meine praktische<br />
Kurzhaarfrisur. Aber das ist nur ein positiver<br />
Aspekt. Ich bin gelassener.<br />
Krankheit kann ja beides sein: Chance<br />
und Strafe.<br />
Ich habe nie gehadert. Ich habe einfach<br />
diese Aufgabe angenommen.<br />
Weltwoche Nr. 51/52.18<br />
Als Pech?<br />
Auch nicht. Das hatte sicher seinen Grund.<br />
Welchen?<br />
Ich glaube, das ist Schicksal. Eine Aufgabe,<br />
die mir vom Leben gestellt worden ist. Und<br />
die ich angenommen habe. Das Leben ist ja<br />
mehr, als lachend und fröhlich durch es<br />
hindurchgetragen zu werden. Leben ist,<br />
Herausforderungen anzunehmen und daran<br />
zu wachsen. Das sehe ich als Chance.<br />
Hat das Klopfen des Todes an Ihrer Tür Ihre<br />
Musik verändert? Der Tod hat ja auch ein<br />
starkes kreatives Potenzial.<br />
Schon, aber beim Schlager ist das ein bisschen<br />
anders. Mein neuer Song «Da geht<br />
noch mehr» geht in diese Richtung. Da hab<br />
ich mir überlegt, weshalb man eigentlich<br />
einen Montag nicht wie einen Sonntag oder<br />
Freitag feiern kann. Warum muss man am<br />
Montag immer «Scheisstag» sagen, wieso<br />
soll man ihn nicht spannend zelebrieren?<br />
Sie sind während der Therapie aufgetreten,<br />
ohne dass jemand von Ihrer Erkrankung<br />
wusste. Um den Krebs kurz zu vergessen?<br />
«Selbstverwirklichung<br />
ist nicht das, was mich anspornt.<br />
Singen spornt mich an.»<br />
Nicht vergessen. Das war für mich der rote<br />
Faden. Es half mir, mich nicht fallenzulassen.<br />
Von Montag bis Donnerstag hab ich mich auf<br />
meinen Körper konzentriert, am Weekend<br />
war ich auf der Bühne, auch wenn ich morgens<br />
nicht wusste, ob ich das durchstehen<br />
würde. Aber aufzutreten, gab mir Kraft. Und<br />
meine Stimme funktionierte grossartig.<br />
Hatten Sie Angst vor dem Sterben?<br />
Nein. Mein Glück war die frühe Diagnose.<br />
Sie singen zwangsläufig viel über die Liebe . . .<br />
. . . Wer nicht? Céline Dion tut das auch und . . .<br />
Liebe war ja nicht das einfachste Feld, das<br />
Sie beackerten.<br />
Ich finde, das ist noch gäbig gegangen. Single<br />
sein ist ein gutes Gefühl. Ich habe während<br />
der Zeit der Krankheit gelernt, das Alleinsein<br />
zu geniessen. Wissen Sie, mein Leben ist<br />
schon grossartig, und wenn eine Beziehung<br />
hinzukäme, wäre das das i-Tüpfelchen.<br />
Meinen Sie, Sie würden anders über die<br />
Liebe singen, wenn Sie verheiratet wären<br />
und einen Hund mehr hätten?<br />
Grundsätzlich geht es ja darum, dass man<br />
ein Lied interpretiert. All die Opernsänger<br />
müssen sich auch nicht umbringen, damit<br />
sie das auf der Bühne spielen können. Wenn<br />
man einmal Liebe erfahren hat und auch den<br />
Schmerz des Auseinandergehens, kann man<br />
das abrufen. Man muss dazu nicht immer<br />
frisch verliebt oder frisch verlassen sein.<br />
Ich habe mich schon immer gefragt, wie das<br />
geht, 6000-mal «Das Feuer der Sehnsucht»<br />
zu singen, als ob es zum ersten Mal wäre.<br />
Das ist mein Beruf. Und das Lied zu singen,<br />
ist übrigens immer wieder schön.<br />
Haben Sie einen Lieblingssong?<br />
«Üses Läbe»»»»» auf meiner neuen CD gefällt<br />
mir gut. Es ist meinen Eltern gewidmet. Dieser<br />
Moment in ihrem Leben, abends, wenn<br />
sie bei einem Glas Wein sitzen und alles besprechen.<br />
Dieses Interesse aneinander nach<br />
48 Jahren Ehe, dieser Respekt. Das ist wirklich<br />
schön. Und selten geworden.<br />
Klingt ideal.<br />
Was heisst «ideal»?<br />
Zusammenzubleiben. Das wird ja heute in<br />
der Regel etwas legerer gehandhabt ...<br />
Ich glaube, es ist immer noch möglich.<br />
Die grosse Liebe?<br />
Jede Liebe, die man hat, ist gross.<br />
Ich meine die ganz grosse, die endgültige,<br />
jene, die man mit ins Grab nimmt. Darum<br />
geht’s doch im Schlager.<br />
Wenn ich mich verliebt habe, war es für mich<br />
immer diese Liebe. Die grosse. Ich finde übrigens<br />
nicht, dass, wenn eine Beziehung zu<br />
Ende geht, sie zwangsläufig gescheitert ist.<br />
Was ist gescheitert? Haben Sie das Gefühl,<br />
Ihre Beziehungen sind gescheitert?<br />
Sie sind zu Ende gegangen.<br />
Aber man kann nicht sagen, dass eine Beziehung<br />
gescheitert ist. Eine Beziehung ist immer<br />
etwas, das einen weiterbringt im Leben,<br />
das einen bereichert. Man erkennt sich<br />
selbst, all die schönen Stunden und Erlebnisse<br />
– und wenn sie dann zu Ende ist, steht<br />
man an einem andern Punkt. Da kann man<br />
doch nicht sagen, dass man gescheitert sei.<br />
Okay, scheitern ist das falsche Wort.<br />
Es ist ein Modewort. Wir haben das Gefühl,<br />
eine Beziehung muss harmonisch sein und<br />
glücklich bis an ihr Ende. Aber das ist nicht<br />
so. Es ist Harmonie und Disharmonie. Und<br />
es ist immer noch besser, eine Beziehung zu<br />
beenden, als zwanzig Jahre nebeneinanderher<br />
zuleben. Das ist doch auch dem andern<br />
gegenüber nicht fair.<br />
Sie sehen viel jünger aus, als Sie sind. Wie<br />
lange werden Sie noch Schlager singen?<br />
Wie alt war Johannes Heesters? 108? Ziemlich<br />
lang, hoffe ich. So lange, wie die Leute<br />
mich hören wollen und ich Spass habe.<br />
Wollten Sie je etwas anderes tun?<br />
Ich wollte mal Kampfjetpilotin bei der<br />
Schweizer Luftwaffe werden. Ich war unter<br />
den letzten fünfzig von 2000 und hätte einrücken<br />
sollen für zwei Jahre, aber ich war da<br />
schon am Konservatorium. Aber das hätte<br />
mich schon gereizt. Diese Konzentration,<br />
dieser Umgang mit Druck.<br />
Haben Sie Vorsätze für das neue Jahr?<br />
Nein. Ich setze sofort um. Warum soll ich<br />
damit warten?<br />
Vielleicht gibt es auch nichts umzusetzen,<br />
weil Sie keine Laster haben?<br />
Natürlich habe ich Laster. Paprika-Chips<br />
von Zweifel etwa. <br />
g<br />
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