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Das Leben der Else Ury

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<strong>Das</strong> <strong>Leben</strong> <strong>der</strong> <strong>Else</strong> <strong>Ury</strong><br />

Die Autorin beschreibt, wie die so<br />

erfolgreiche Schriftstellerin <strong>Else</strong> <strong>Ury</strong>, die mit<br />

ihren Büchern, beson<strong>der</strong>s mit <strong>der</strong><br />

Nesthäkchen-Serie, eine riesige Leserschaft<br />

hatte, von den Nazis umgebracht wurde.<br />

Von Sybil Gräfin Schönfeldt<br />

Dies ist die ganz normale Geschichte einer ganz normalen Frau,<br />

1877 in Berlin¬-Mitte in eine liebevolle, wohlsituierte Familie<br />

hineingeboren, gute Schuljahre, die üblichen Freundschaften,<br />

gutbürgerliche Vergnügungen, Reisen und an<strong>der</strong>e Bildungsgenüsse,<br />

Vaterlandsliebe und die fast allgemeine Begeisterung für Kaiser und<br />

Heer, frühe literarische Versuche und dann Erfolge. Sie machten<br />

unsere Heldin als Autorin vor allem von Mädchen-Romanen berühmt<br />

und so reich, dass sie für sich und ihre große Familie ein Sommerhaus<br />

im Riesengebirge erstehen konnte, das nach ihrer vielbändigen<br />

Romanserie "Haus Nesthäkchen" genannt wurde. (Sie ist heute noch<br />

als Kindle-Edition erhältlich). Dieser <strong>Leben</strong>slauf wäre in seiner<br />

typischen Durchschnittlichkeit fast unerheblich, wenn die Autorin<br />

nicht Jüdin gewesen wäre.<br />

Sie hieß <strong>Else</strong> <strong>Ury</strong>, später nach dem Gesetz <strong>der</strong><br />

Nationalsozialisten <strong>Else</strong> Sara <strong>Ury</strong>, aber sie war auch in dieser<br />

Situation noch privilegiert. Sie besaß Geld und konnte ihren Neffen<br />

und Nichten helfen, rechtzeitig Deutschland zu verlassen. Sie dachte<br />

jedoch im Vertrauen auf die allgemeine Rechtschaffenheit und<br />

Humanität, die ihr bisheriges <strong>Leben</strong> bestimmt und beschützt hatten,<br />

wie viele an<strong>der</strong>e: Was werden die Nazis sich schon um eine alte Frau<br />

kümmern? "Mir wird nichts geschehen ... " <strong>Das</strong> war ein Irrtum.<br />

<strong>Else</strong> <strong>Ury</strong> wurde wie alle an<strong>der</strong>en, die die Nazis als Juden<br />

bezeichneten, enteignet, entrechtet, gedemütigt, beraubt, ins<br />

berüchtigte Sammellager in <strong>der</strong> Großen Elbstraße geschafft und nach<br />

1


einer Woche im Viehwagen nach Auschwitz transportiert, dort sofort<br />

ermordet. Von diesem Ende aus betrachtet, ist <strong>Else</strong> <strong>Ury</strong>s <strong>Leben</strong> alles<br />

an<strong>der</strong>e als unerheblich. Es ist in all seinen Stationen entsetzlich<br />

exemplarisch für seit zwei bis drei Generationen assimilierte Juden<br />

im deutschen Kaiserreich, die sich für Bürger wie alle an<strong>der</strong>en hielten<br />

und sich nicht vorstellen konnten, dass ihr heiß geliebtes Vaterland<br />

sie ausstoßen und verraten könnte.<br />

<strong>Else</strong> <strong>Ury</strong> hat ihre Serie vom kessen, selbstbewussten,<br />

liebenswerten Nesthäkchen, von seinen Spielen und Streichen, seinen<br />

Schulabenteuern, Weihnachten und Geburtstagsfesten, seinen<br />

Puppen und Tanten, von erster Liebe, Hochzeit und Kindstaufe,<br />

Kummer, Krankheit und Alter in den ersten Jahren des 20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts so zu schreiben begonnen, dass sich Tausende<br />

Leserinnen damit identifizieren konnten. Glaubten doch dieses Kind<br />

Nesthäkchen und seine Familie anfangs unerschütterlich an eine<br />

stolze Zukunft <strong>der</strong> Nation.<br />

Sie schrieb auf glühenden Wunsch ihrer Leserinnen von<br />

Nesthäkchen als Mutter und Großmutter, als wackere deutsche Frau,<br />

und man kann nachlesen, wie Ahnungslosigkeit in Angst überging.<br />

Man kann in den letzten Bänden <strong>der</strong> Serie verfolgen, wie <strong>Else</strong> <strong>Ury</strong> in<br />

ihren Romanen die Parolen <strong>der</strong> Nationalsozialisten anfangs<br />

übernahm, verlockt von <strong>der</strong> Begeisterung für eine tüchtige sportliche,<br />

starke Jugend, ohne zu merken, dass sich in kürzester Zeit jedes Wort,<br />

je<strong>der</strong> Satz mit tödlicher Perfidie gegen sie selbst richten wird.<br />

Marianne Brentzel berichtet ruhig und sachlich, historisch sehr<br />

faktenreich über dieses Schriftstellerleben, in dem sich alles spiegelt,<br />

was diese Jahre zwischen Kaiserzeit, Weimarer Republik und<br />

beginnendem Nationalsozialismus so außergewöhnlich machte.<br />

Anfangs die Zuversicht, dass alles immer nur besser werden könnte<br />

und die Kin<strong>der</strong> in eine leichtere Zukunft hineinwachsen könnten; die<br />

Freiheit, die sich Frauen erobern konnten; schließlich <strong>der</strong> Schrecken,<br />

vor dem wie<strong>der</strong> alle gleich wurden und den sich niemand aus dieser<br />

Generation vorgestellt hatte.<br />

Wo immer sich Kin<strong>der</strong>- und Jugendbücher auch nur zu einer<br />

kleinen Bibliothek zusammengefunden haben, dürfte diese Biografie<br />

nicht fehlen.<br />

2


Marianne Brentzel: Mir kann doch nichts geschehen. <strong>Das</strong><br />

<strong>Leben</strong> <strong>der</strong> Nesthäkchen-Autorin <strong>Else</strong> <strong>Ury</strong>. Ebersbach & Simon, Berlin<br />

2015. 160 Seiten, 16,80 Euro – ISBN 978-3-86915-102-1<br />

Der erste Band <strong>der</strong> Nesthäkchen-Reihe,<br />

erschienen bei Meidinger’s Jugendschriften<br />

Verlag GmbH, Berlin, 1913, mit den Bil<strong>der</strong>n<br />

von Franz Ku<strong>der</strong>na<br />

<strong>Else</strong> <strong>Ury</strong><br />

geboren am 1. November 1877 –<br />

ermordet am 13. Januar 1943 im<br />

Konzentrationslagen Auschwitz<br />

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