Die alte Linde

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Nähe suchten. Ab und zu mal kam ein Hund. Hund wissen auch um diese Fähigkeit der alten Linde, wie eine Bibliothek alte Geschichten zu bewahren. Sie schnüffelten ausgiebig die neueste Literatur durch, und fügten dann ihre eigene Berichterstattung hinzu. Meist war es einfacher Tratsch. Über Futter, empfehlenswerte Gassirouten, und manchmal auch die ein oder andere Neuigkeit über ihre Herrchen und Frauchen- aber die war nicht für öffentliche Ohren bestimmt und es war gut, daß die Hunde eine Sprache hatten, die ausser ihnen nur die alte Linde verstand. Auf die Menschen achtete sie inzwischen nicht mehr so sehr, und diese achteten auch nicht merh auf die alte Linde. Sie begnügte sich mit dem Hundeklatsch und dem Singen der Vögel in ihren Zweigen. Einmal hatte sie auch eine Zeitlang den Kontakt zu einem Ameisenvolk intensiver betrieben. Aber diese waren meist zu sehr mit sich selbst und ihrer Ameisenwelt beschäftigt, um eine wirkliche tiefere Kommunikation aufkommen zu lassen. Irgendwie war das so ähnlich wie mit den heutigen Menschen. Neulich hielt ein etwas älterer VW Golf in ihrer Nähe. Ein alter Mann saß darin, und schaute gedankenversunken durch die Windschutzscheibe auf die Linde. Sie hörte, wie in seinem Autoradio gerade ein altes Lied spielte: "Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum" Gerührt raschelte sie ein wenig extra mit ihren Zweigen. Offenbar hatte dieser Herr ebenso wie sie ein Gefühl für diese besondere Art von Kontakt von Mensch zu Baum. Der Mann hörte sich das Lied an, startete danach den Motor wieder und fuhr weg. Eines ihrer Herzen, links unter dem dicken Ast, brannte. Ja, solche Momente waren selten geworden. Sie hörte auch von anderen Linden, daß es überall ähnlich sei. Die Menschen hatten heute offenbar eine andere Methode, ihre Geheimnisse auszutauschen- man brauchte dazu keine Bäume mehr. Irgendeine Linde hatte einmal verbreitet, daß diese neue Mode aus dem fernen Osten käme, wo es keine Linden gab, und man hatte da eine Erfindung gemacht, mit Kristallen zu kommunizieren. Sie wußte nicht recht, ob das nur ein Gerücht war, denn sie konnte keine Kristalle sehen bei den Menschen. Aber vielleicht war irgendwas dran, denn sie schienen tatsächlich zu kommunizieren... man sah es an ihren Gesichtsausdrücken. Nun- egal, die Zeiten waren jedenfalls vorbei, wo man dazu Linden aufsuchte.
Neulich erzählte eine Kusine von ihr eine neue Geschichte, die sich wie ein Lauffeuer im Lindenkreis verbreitete. Es war einer der Geschichten, wie sie die Linden liebten, und alle freuten sich sehr darüber, und sie erzählten sie sich immer und immer wieder noch einmal, und raschelten dabei vor Freude mit den Zweigen. Sie handelte davon, wie ein junges Paar sie aufgesucht hatte. Sie hatten ein neugeborenes Baby dabei, die junge Frau wiegte es in ihrem Armen. Der Mann suchte die Rinde ab, eine ganze Weile, bis er es fand. Ein altes Herz, dunkel vernarbt und wirklich nur noch zu sehen für jemanden, der wußte, was er suchte. "hier ist es", rief er, und dann stand das junge Paar davor und hielt das Baby in die Höhe" "Schaumal, liebe Omi und Opi, hier ist euer Ururenkelchen!" sagte die junge Frau, und hatte Tränen in den Augen. Sie hatte als kleines Kind immer sehr die Geschichte geliebt, die ihr der Urgroßvater von der alten Linde erzählt hatte, und mit großen Augen zugesehen, wie er danach immer die Urgroßmama in die Arme nahm und liebevoll drückte. Die Linde war zutiefst gerührt von diesem jungen Paar und dem kleinen Erdenbürger, und liess eines ihrer Blätter fallen, und es landete auf dem Herz des kleinen Kindes. © Claudia Komm 22.08.2016
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