Weiterbildung im digitalen Wandel
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78 Wirtschaftsinformatik Schweiz<br />
Weltspitze bleiben<br />
<strong>Weiterbildung</strong> <strong>im</strong><br />
<strong>digitalen</strong> <strong>Wandel</strong><br />
Das Aus- und <strong>Weiterbildung</strong>ssystem der Schweiz gilt als weltweit führend.<br />
Der digitale <strong>Wandel</strong> erfasst aber auch die Lehrmethoden und den Unterricht.<br />
Die Schweizer Institutionen müssen sich ebenfalls wandeln.<br />
Von Thomas Fahrni<br />
der autor<br />
Thomas Fahrni<br />
ist Entwickler von Bildungsangeboten<br />
mit über<br />
30-jähriger Lehrtätigkeit<br />
in der Erwachsenenbildung<br />
mit dem Schwerpunkt Informationstechnologie<br />
und Wirtschaft. Er ist zudem<br />
in der Business-Analyse,<br />
der Organisationsentwicklung<br />
sowie der Entwicklung<br />
und Implementierung<br />
von Blended-Learning-Konzepten<br />
tätig.<br />
www.ffhs.ch<br />
Dass der digitale <strong>Wandel</strong> alle Branchen betrifft, gilt<br />
als Binsenwahrheit. Die Bildung ab Tertiärstufe –<br />
Universität, Fachhochschule, höhere Fachschule,<br />
Berufsprüfung oder höhere Fachprüfung – ist dabei besonders<br />
gefordert. Denn sie muss nebst den Lehrinhalten auch<br />
die wandelnden Bedürfnisse des Arbeitsmarkts berücksichtigen.<br />
Welche Herausforderungen haben dabei die Bildungsins<br />
titute zu meistern?<br />
Einzigartiges Erfolgsmodell<br />
Im Vergleich zum europäischen Ausland sind die Schulen<br />
in der Schweiz IT-technisch meist gut gerüstet. In vielen<br />
Schulleitungen ist zudem die Botschaft angekommen, dass<br />
die «Digitalisierung» mehr ist als der Einsatz digitaler Mittel.<br />
Welche Herausforderungen anstehen, in welchem Zeitraum<br />
diese zu bewältigen sind und welche Konsequenzen<br />
sich daraus ergeben, ist allerdings Gegenstand kontro verser<br />
Diskussionen. Dies ist nicht verwunderlich bei einem System,<br />
das sich durch hohe Regulationsdichte auszeichnet,<br />
mehrere unterschiedliche Bildungsstufen umfasst und<br />
unzählige Stakeholder hat.<br />
Zwar besitzt die Schweiz in der Aus- und <strong>Weiterbildung</strong><br />
ein Erfolgsmodell – das zwar weltweit einzigartig ist, aber<br />
auch so komplex, dass der Bildungswillige schnell den<br />
Durchblick verliert. Wenn man noch die unterschiedlichen<br />
Förderbeiträge und die unterschiedlichen Arbeitsweisen öffentlicher<br />
und privater Anbieter in Betracht zieht, wird klar,<br />
10. Mai 2019: VIW-Generalversammlung<br />
Der VIW Wirtschaftsinformatik Schweiz ist in diesem Jahr Gast in den Räumen des<br />
Instituts für Jungunternehmen IFJ in Schlieren bei Zürich. Im Vorfeld der Generalversammlung<br />
erläutert IFJ-Geschäftsführer S<strong>im</strong>on May in seinem Referat, warum<br />
das nächste Google aus der Schweiz kommt. Unter anderem gibt der Experte dafür<br />
einen Einblick in die Schweizer Start-up-Szene. Eine Registrierung für den kostenfreien<br />
Anlass ist noch bis zum Dienstag, 29. April 2019 möglich.<br />
Anmeldung unter: www.viw.ch<br />
dass es nicht nur einen richtigen Weg geben kann. Nachfolgend<br />
wird der Schwerpunkt hauptsächlich auf die berufliche<br />
<strong>Weiterbildung</strong>, vornehmlich auf die höheren Fachschulen<br />
gelegt – und in geringerem Umfang auf die Berufsprüfung<br />
sowie die höhere Fachprüfung.<br />
Digital ist nicht <strong>im</strong>mer Gold<br />
Die Bildungsinstitutionen sehen sich in Zeiten digitaler<br />
Fortbildungen multiplen Herausforderungen gegenüber.<br />
Diese sind unter anderem:<br />
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Methoden wie Blended Learning, Flipped Classroom oder<br />
kollaboratives Lernen (um nur drei zu nennen) mithilfe<br />
digitaler Mittel sind zwar nicht neu, allerdings werden<br />
diese in vielen Bildungsinstituten noch sehr zurückhaltend<br />
eingesetzt.<br />
Herkömmlicher Frontalunterricht mit einem hohen Anteil<br />
an Wissensvermittlung ist nur noch bedingt gefragt.<br />
Vielmehr stehen die Anwendung des zu Hause Gelernten<br />
und das Coaching sowie das Lernfördern <strong>im</strong> Vordergrund.<br />
Aus ihnen ergeben sich vollkommen neue Herausforderungen<br />
für die Lehrkräfte.<br />
Eigenverantwortliches Lernen bedingt, dass der/die Lernende<br />
sich selbst in die Pflicht n<strong>im</strong>mt für die Lerninhalte.<br />
Was wie eine Selbstverständlichkeit klingt, kann nicht als<br />
gegeben vorausgesetzt werden. Digitale Lernangebote<br />
und kollaboratives Arbeiten via Internet setzen ein gutes<br />
Verständnis der zugrundeliegenden Tools voraus.<br />
Während es bei einer Basisausbildung noch akzeptabel<br />
sein kann, dass alle Studierenden sämtliche Fächer absolvieren,<br />
müssen in der <strong>Weiterbildung</strong> zunehmend die<br />
individuellen Vorkenntnisse berücksichtigt werden.<br />
Die Belastung am Arbeitsplatz und die abnehmende Bereitschaft<br />
der Arbeitgeber, für einen längeren Zeitraum<br />
auf die Arbeitskraft des/der Angestellten zu verzichten,<br />
führt dazu, dass kurze, spezifische <strong>Weiterbildung</strong>en stärker<br />
nachgefragt werden.<br />
Nebst den bekannten Zertifikatsausbildungen gibt es<br />
heute eine breite Palette von Micro Learning bis zu umfassenden<br />
universitären Ausbildungen als «Massive Open<br />
Online Course» (MOOC). Zwar ist auch hier nicht alles Gold,<br />
Bild: Shutterstock/Monkey Business Images
Wirtschaftsinformatik Schweiz<br />
79<br />
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was glänzt, aber es gibt durchaus qualitativ hochstehende<br />
und didaktisch durchdachte Angebote.<br />
Einerseits werden <strong>im</strong>mer mehr Kanäle für das Lernen eingesetzt<br />
(Social Media sowie beispielsweise YouTube) und<br />
Tools verwendet (wie LMS, Slack, Trello), sodass orts- und<br />
zeitunabhängiges Lernen möglich ist. Andererseits fällt<br />
es Lernenden zunehmend schwerer, sich in einer Welt voller<br />
Ablenkungen auf den Lernstoff zu konzentrieren.<br />
Die Aufzählung ist nicht abschliessend, zeigt aber auf, welche<br />
Herausforderungen zu bewältigen sind. Da es sich um<br />
vielschichtige Aufgaben handelt (didaktische, soziale und<br />
technische) und die Struktur der Bildungsangebote und<br />
-anbieter zu berücksichtigen sind, gibt es keine Lösung, die<br />
als der «goldene Weg» bezeichnet werden kann. Weiter<br />
muss die Risikobereitschaft der jeweiligen Schule in Betracht<br />
gezogen werden. Radikale Änderungen verlangen<br />
neue Geschäftsmodelle, die grosse Chancen bieten, aber<br />
auch erhebliche Risiken beinhalten.<br />
In vielen Einrichtungen für die Aus- und <strong>Weiterbildung</strong> wird nach wie vor<br />
mit herkömmlichen Mitteln gelehrt – und gelernt<br />
Ansätze für die digitale Fortbildung<br />
Oft gehen Bildungsinstitute davon aus, dass sie die Bedürfnisse<br />
ihrer Kunden kennen. Wer schon mal mit «Design<br />
Thinking» oder «User Experience Design» gearbeitet hat,<br />
erfährt, wie stark die eigenen Vorstellungen von denen der<br />
Nutzer abweichen können. In der höheren Berufsbildung<br />
sind zudem nicht nur die Studierenden, sondern auch die<br />
Arbeitgeber massgebliche Kunden. Die Unternehmen stärker<br />
in die Entwicklung von Bildungsangeboten einzubeziehen,<br />
kann hier eine Lösung sein.<br />
Gleichzeitig muss die hohe berufliche Kompetenz der<br />
(Teilzeit-)Lehrkräfte stärker bei der Entwicklung der Angebote<br />
berücksichtigt werden. Der Lehrplan muss entschlackt<br />
und ein (grosser) Teil des Wissenserwerbs in aus serschulische<br />
Leistungen ausgelagert werden. Die Lehrkräfte<br />
müssen bei der Entwicklung von Lehrinhalten von Anfang<br />
an eingebunden und so auf ihre veränderte Rolle <strong>im</strong> Unterricht<br />
vorbereitet werden. Dabei kann es auch helfen, fremde<br />
Quellen und Internetangebote zu nutzen, aber auch eigene<br />
Inhalte unter Creative Commons der Allgemeinheit zur Verfügung<br />
zu stellen sowie mit anderen Bildungsinstituten<br />
und mit Anbietern von Bildungsinhalten wie edX, LinkedIn<br />
Learning oder Udemy zusammenzuarbeiten.<br />
Zudem sollten kürzere Ausbildungen angestrebt werden,<br />
die sich überdies dynamisch an die tatsächliche Nachfrage<br />
nach Kompetenzen <strong>im</strong> Arbeitsmarkt anpassen lassen.<br />
Nach dem Motto: Besser nur 80 Prozent der Qualität<br />
und aktuelle Inhalte, als zu 100 Prozent perfekt und komplett<br />
an der Nachfrage vorbei entwickelt.<br />
Eine besondere Herausforderung ist das Berücksich tigen<br />
der Vorkenntnisse der Kunden respektive Lernenden. Der<br />
individuelle Stundenplan ist eine hochgelegte Latte, kann<br />
aber als grobe Richtung für die Anpassung der Bildungsberatung<br />
und der Verwaltungsprozesse dienen.<br />
Das Bildungswesen digital zu wandeln, ist eine Herkulesaufgabe.<br />
Wenn man aber bedenkt, dass der Unterricht<br />
<strong>im</strong> Jahr 2019 <strong>im</strong>mer noch sehr stark demjenigen von 1990<br />
gleicht, ist es jetzt an der Zeit, grössere Veränderungen umzusetzen.<br />
Eine Aus- und <strong>Weiterbildung</strong>, die den Lehrenden<br />
und Lernenden mehr Spass macht, effektiveres Lernen ermöglicht<br />
und auf die individuellen Bedürfnisse der Teilnehmer<br />
eingeht, ist es auf jeden Fall wert.<br />
Impressum<br />
Das offizielle<br />
Publikationsorgan<br />
des VIW<br />
Herausgeber:<br />
VIW Wirtschaftsinformatik<br />
Schweiz<br />
VIW-Geschäftsstelle:<br />
5037 Muhen<br />
Tel. 031 311 99 88<br />
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Erscheinungsweise:<br />
Monatlich<br />
www.viw.ch<br />
«Der Unterricht 2019<br />
gleicht noch sehr stark<br />
demjenigen von 1990»<br />
Thomas Fahrni