GURU Magazin April 2019
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NOTIZEN AUS DER PROVINZ<br />
Kolumne<br />
Ihr Helmut Wichlatz<br />
How to be German, Lesson 1<br />
Vom Brexit, Rasenmähzeiten und<br />
den Hits von Modern Talking<br />
Der Brexit beschäftigt derzeit allenthalben<br />
die Gemüter wie sonst nur die Aufstellung<br />
der Nationalmannschaft. Man mag ja<br />
dazu stehen, wie man will. Ich persönlich<br />
sage mir, dass es schon nicht so schlimm<br />
wird, sind ja Engländer, weißt schon. Das<br />
Geschacher, Gejohle und die Ignoranz der<br />
Parlamentarier an der Themse und das<br />
immer wieder anders lustige „Ordääääää!“-<br />
Gebrüll vom Ringrichter John Bercow<br />
mögen wegen mir noch lange weitergehen.<br />
Noch sind sie nicht draußen, die Briten.<br />
Und noch will sie von uns ja auch noch keiner<br />
so richtig rausschmeißen. Also Abwarten<br />
und Tee trinken. Mein von der nebligen und<br />
regnerischen Insel stammender Freund …<br />
nennen wir ihn der Einfachheit halber Tommy,<br />
weil früher alle Engländer Tommy hießen<br />
… hatte das hin und her leidlich satt und beschloss<br />
daher, dem Common Wealth den Rücken<br />
zu kehren und ein Bundesbürger mit<br />
Brief, Siegel und allen Privilegien zu werden.<br />
Das wäre sicher ein Leichtes, dachte ich mir.<br />
Denn er ist ja an sich so deutsch wie Sie und<br />
ich. Er hat vier Kinder, eine nette und dazu<br />
noch deutsche Frau, ein Haus und geht seit<br />
Jahrzehnten einer geregelten Arbeit nach.<br />
Das kann nicht jeder Deutsche von sich sagen.<br />
Deshalb glaubte ich, dass es sicher nur<br />
ein sogenannter Verwaltungsakt sei und Tommy<br />
wäre schwuppdiwupp ein „Kraut“.<br />
Er seinerseits zeigte sich mehr als willig, so<br />
dermaßen derbe deutsch zu werden, dass es<br />
eine wahre Lust wäre für dackelkrawattentragende<br />
Senioren und dergleichen Zeitgenossen.<br />
Er gelobte sogar, sich ab dem Tag<br />
seiner Einbürgerung an die geltenden Vorschriften<br />
über den Betrieb von Motorrasenmähern<br />
in Verbindung mit den dafür vorgesehenen<br />
Zeitkorridoren zu halten und dies<br />
ebenso bei den nicht minder deutschen<br />
Nachbarn einzufordern. Auch wollte er<br />
künftig Kindern und Jugendlichen, die sein<br />
Grundstück passierten, allerhand Drohungen<br />
und Verwünschungen nachrufen. Das<br />
empfanden seine Gattin und auch ich gleichermaßen<br />
als nicht notwendig, doch er bestand<br />
darauf, weil er es bei einem Nachbarn<br />
beobachtet hatte.<br />
Es ist schon erschreckend, was Deutsche ihren<br />
unbedarften Nachbarn mit Migrationshintergund<br />
vorleben. Zum Glück gibt es<br />
wohl aus diesem Grund den Einbürgerungstest,<br />
und zu diesem wurde Tommy auch eingeladen.<br />
Am angegebenen Termin erschien<br />
er also in der Kreisverwaltung und wurde<br />
dort von 24 weiteren zukünftigen Deutschen<br />
erwartet. Zum Glück fühlte er sich gleich<br />
wie zu Hause, denn bis auf fünf verirrte Restausländer<br />
waren die Briten an diesem Vormittag<br />
weitestgehend unter sich und ließen<br />
es sich im Wartebereich gutgehen.<br />
Der Test selbst war nicht so schlimm, meinte<br />
er. Welche Farben sind in der NRW-Fahne?<br />
Wie viele Bundesländer kamen 1990 dazu?<br />
Wer schrieb wo den Text der Nationalhymne?<br />
Wie viele verschiedene<br />
Melodien hatten die Hits von Modern<br />
Talking? Kann man schaffen. Auch<br />
wenn Tommy sich über Fragen nach Trainerwechseln<br />
in der Bundesliga, der Transferliste<br />
oder der derzeit gültigen Abseitsregelung<br />
mehr gefreut hätte. Aber man kann nicht alles<br />
haben und Deutscher zu werden ist kein<br />
Wunschkonzert.<br />
Immerhin hat er ja schon einige deutsche Eigenarten<br />
angenommen, auf die er recht stolz<br />
ist. So stellt er sich zum Beispiel nicht mehr<br />
typisch britisch an und wartet, bis er an der<br />
Reihe ist. Nein, jetzt drängelt er sich deutscher<br />
als deutsch überall nach vorne und<br />
fühlt sich endlich ein bisschen mehr wie wir<br />
alle. Ich wünsche ihm von ganzem Herzen,<br />
dass er alle Fragen richtig geraten hat und<br />
endlich ein echter Deutscher werden darf.<br />
Und dass er das mit den Rasenmähzeiten<br />
ebenso schnell wieder vergisst wie die dämliche<br />
Drängelei, die mir bei Geburtsdeutschen<br />
der x-ten Generation schon gehörig<br />
auf den Sack geht. Vielleicht wird dies für<br />
ihn ja eine unglaubliche und fantastische<br />
Reise in eine neue Welt, in ein Paradies mit<br />
Kehrkalender und Schneeschiebepflicht, einer<br />
deutschen Leiterverordnung aus dem<br />
Jahr 1937, dem unbedingten Rechtsfahrgebot<br />
bei Mehrspurigkeit und Nachtruhe ab<br />
zehn. Kurz: in eine Welt der Bekloppten und<br />
Bescheuerten. Hach, ich freu mich so für<br />
ihn! Und ich werde Sie regelmäßig auf dem<br />
Laufenden halten.<br />
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