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APPARAT VS. T.RAUMSCHMIERE - De:Bug

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- DE:BUG.75 - 10.2003<br />

INTERNET / COPYRIGHT / 9-11<br />

DAS FREENET VERLÄSST DIE STAATEN / Ian Clarke<br />

TEXT MIKAEL PAWLO | MPAWLO@ALGONET.SE<br />

Mit Ian Clarke verlässt diesen Monat einer der wichtigsten FreeSpeech-Aktivisten<br />

und Gründer von Freenet die Vereinigten Staaten. Nach den Attentaten<br />

des 11. September war ihm das politische Klima schon seit einiger Zeit zu hart<br />

geworden. Ausschlaggebend wurde letztendlich dann die hierzulande kaum beachtete<br />

Verhaftung des arabischen Amerikaners und Programmierers Mike Hawash<br />

wegen angeblicher terroristischer Aktivitäten. Was hinter Freenet und<br />

dem Fall Mike Hawash steckt, erklärt er im Interview.<br />

In einem Kommentar auf Slashdot erwähnte Ian Clarke<br />

vor kurzem seine Entscheidung, die USA zu verlassen -<br />

und sorgte damit in der Programmierer-Community für<br />

Aufregung. <strong>De</strong>nn Ian Clarke ist nicht irgendjemand, sondern<br />

gehört mit Freenet zu einem der bekanntesten radikalen<br />

FreeSpeech-Aktivisten. Freenet wendet sich gegen<br />

jede Art von Zensur, indem es eine technische Infrastruktur<br />

zur Verfügung stellt, die unkontrollierbar ist,<br />

denn anders als das Internet distribuiert Freenet dezentralisiert<br />

Information. Mikael Pawlo, selbst in Schweden<br />

im Bereich der FreeSpeech aktiv, interviewte Ian Clarke<br />

per Email zu den aktuellen Topics.<br />

DEBUG: Zunächst nochmal zur Person: Wer ist Ian Clark?<br />

IAN CLARKE: Ich bin Gründer und Koordinator des Freenet-Projekts,<br />

Chef der Cematics LLC, Gründer von Locutus<br />

und Erfinder der WhittleBit Such-Engine. Ich war technischer<br />

Leiter von Uprizer Inc. und habe in England in der<br />

Raumfahrtindustrie als Berater für Logica PLC gearbeitet.<br />

Studiert habe ich aber an der Universität von Edinburgh.<br />

Dort habe ich meinen Abschluß in Computer Science und<br />

Artifical Intelligence gemacht.<br />

DEBUG: Was ist Freenet?<br />

IAN CLARKE: Freenet ist eine freie Software, mit der Information<br />

ohne Angst vor Zensur veröffentlicht und gelesen,<br />

also konsumiert werden kann. Freenet ermöglicht eine komplett<br />

dezentrale und robuste Art und Weise, mit der Menschen<br />

anonym Nachrichten lesen und publizieren können.<br />

Es entwickelte sich aus einem Konzept, das ich noch als Student<br />

an der Universität Edinburgh geschrieben hatte. Ich<br />

habe mich damals sehr für etwas interessiert, das man<br />

"emergente Systeme" nennt. Das sind etwa Ameisenpopulationen,<br />

Bienenvölker oder Vogelschwärme. Emergente Systeme<br />

bestehen aus einer großen Anzahl gleicher oder ähnlicher<br />

Bestandteile, jedes für sich eher einfach in ihrem Verhalten.<br />

Kommen jedoch viele von ihnen zusammen und handeln<br />

interaktiv, können sie so etwas wie intelligentes Verhalten<br />

an den Tag legen. Ich wollte einen Weg finden, mit der<br />

Anwendung emergenter Architektur ein realistisches Problem<br />

zu lösen - und die Freiheit der Kommunikation zu sichern,<br />

passte sehr gut dazu. Ich habe etwa ein Jahr damit<br />

verbracht, die Theorie hinter der Funktionsweise von Freenet<br />

zu entwickeln, bevor ich es in Simulationen getestet habe.<br />

Die Ergebnisse dieser Simulationen waren viel versprechend<br />

und schließlich führte das zu dem gemeinsamen Ent-<br />

wicklungsvorhaben, aus dem dann schließlich Freenet wurde.<br />

DEBUG: Hat Freenet eigentlich irgendjemanden geholfen?<br />

IAN CLARKE: Hat es in der Tat, in Ländern wie China wird<br />

Freenet aktiv genutzt, um trotz Zensur seitens der Regierung<br />

die freie Verteilung von Informationen zu ermöglichen.<br />

Ein paar Leute haben nur für diesen Zweck Freenet ins<br />

Chinesische übertragen. Auch in anderen Ländern, etwa<br />

auch der USA, wird es dazu benutzt, zensierte Informationen<br />

zu verbreiten, wie etwa die Scientology "Operating Thetan"-Dokumente.<br />

Insgesamt wurde es über 2 Millionen mal<br />

heruntergeladen.<br />

DEBUG: Als ich mit Phil Zimmermann sprach, erzählte<br />

er, dass der Anschlag vom 11. September ihn nachdenklich<br />

gemacht hatte. Er dachte über die Entscheidung, das<br />

Verschlüsselungsprogramm PGP als Freeware zu veröffentlichen,<br />

nochmal neu nach. Schließlich kam er zu dem<br />

Schluss, dass es trotz allem richtig war, PGP zu veröffentlichen,<br />

denn die Gesellschaft sei besser dran mit einer<br />

sicheren Verschlüsselungstechnik. Hattest du ähnliche<br />

Gedanken bezüglich Freenet?<br />

IAN CLARKE: Nein, nicht für eine Sekunde. Ich bin tief davon<br />

überzeugt, dass die Freiheit der Kommunikation absolut<br />

essentiell für den menschlichen Fortschritt ist. Ich bin in Irland<br />

aufgewachsen, und während dieser Zeit lernte ich, dass<br />

Terrorismus nicht das Produkt von Freiheit, sondern von ihrer<br />

Abwesenheit, der Abwesenheit von Freiheit und Verständnis<br />

ist. Zensur ist immer ein Gegner von Freiheit und<br />

Verständnis - und also der Freund des Terrorismus.<br />

DEBUG: Soweit ich es verstanden habe, ist Freenet eine<br />

Anwendung zum Austausch von Information wie das Internet,<br />

nur mit zusätzlicher Anonymität. Wann wird Freenet<br />

das Web als erste Wahl ersetzen?<br />

IAN CLARKE: Das Freenet ist zur Zeit viel langsamer als das<br />

Internet und wird nie fähig sein, viele Dinge zu tun, wie sie<br />

das Internet kann, z.B. Interaktivität mit den Nutzern. Wie<br />

gesagt, Freenet ist eine sehr effektive und skalierbare Art<br />

und Weise große Dateien zu verteilen. Es ist immun gegen<br />

"denial-of-service"-Angriffe. Es ist also hauptsächlich nützlich<br />

für das übergeordnete Ziel: anonyme Informationsverteilung.<br />

DEBUG: Einige Leute, die versuchen die Verteilung von<br />

anstößigem Material oder kriminellen Aktivitäten im Internet<br />

zu stoppen, sehen unangenehme Implikationen in<br />

einem Projekt wie Freenet. Kannst du erklären, warum<br />

trotzdem die Vorteile überwiegen?<br />

IAN CLARKE: Meinungsfreiheit existiert nicht, wenn den<br />

Leuten nur erlaubt ist zu sagen, was du als anständig oder<br />

wahr erachtest. Wenige würden die obligatorische Installation<br />

von Überwachungskameras in Privat-Wohnungen tolerieren,<br />

auch wenn das alle Formen des Kindesmissbrauchs<br />

und häuslicher Gewalt verhindert könnte. Sind die, die sich<br />

gegen so etwas wehren würden, deswegen gleich Verfechter<br />

des Missbrauchs an Kindern? Wer sich für diese <strong>De</strong>batte interessiert:<br />

detailliertere Diskussionen über die Gründe hinter<br />

Freenet findet man übrigens auf unserer Philosophie-<br />

Seite.<br />

DEBUG: Kommen wir zu einer Entscheidung, die du erst<br />

kürzlich getroffen hast: Wieso willst du die USA verlassen?<br />

IAN CLARKE: Es gibt dafür eigentlich mehrere Gründe. Erstens,<br />

da mein momentaner Job nicht meine Anwesenheit<br />

an einem bestimmten Ort erfordert, ich könnte wahrscheinlich<br />

vom Nordpol aus arbeiten, wenn ich dort eine<br />

schnelle Internetleitung hätte. Zweitens, will ich nicht in einem<br />

Land leben, in dem ich als Ausländer als jemand gelte,<br />

der weniger Gerechtigkeit verdient als ein US-Bürger. Drittens,<br />

weil ich das Gefühl habe, dass die Richtung, in die sich<br />

die Sache mit dem geistigen Eigentum etwa mit der DMCA<br />

oder den Software Patenten in diesem Land entwickelt, Innovationen<br />

viel schwieriger und riskanter macht, besonders<br />

im P2P Bereich. Es gibt viele Sachen, die ich an den USA<br />

mag, aber dort zu sein, macht für mich einfach keinen Sinn<br />

mehr.<br />

DEBUG: Was ist falsch am Fall von Mike Hawash, einem<br />

arabischen Amerikaner und Intel-Programmierer, dem<br />

auf Grund einer Reise nach China unterstellt wurde, von<br />

dort nach Afghanistan reisen zu wollen und gegen Soldaten<br />

der USA zu kämpfen? Man klagt ihn als Terroristen<br />

an.<br />

IAN CLARKE: Ich bin kein Experte für diese spezielle Situation,<br />

trotzdem. Es berührt einen schon, wenn manche Leute<br />

nicht wahrnehmen, dass ein Geständnis unter Zwang genauso<br />

wenig gültig ist, wie die erzwungenen Schuldgeständnisse<br />

von amerikanischen Kriegsgefangenen im Vietnam-Krieg.<br />

DEBUG: Hast du die USA schon verlassen oder änderst<br />

du nochmal deine Meinung?<br />

INFO<br />

The Free Net Project: freenetproject.org<br />

Mike Hawash: www.freemikehawash.org<br />

Mikael Pawlo: www.pawlo.com<br />

.<br />

IAN CLARKE: Ich werde jetzt, also Anfang Oktober abreisen,<br />

und habe nicht vor, meine Meinung nochmal zu ändern.<br />

DEBUG: Spielt es eigentlich überhaupt eine Rolle, wo<br />

man in dieser globalisierten Welt wohnt, so lange man<br />

sich in einer westlichen <strong>De</strong>mokratie aufhält?<br />

IAN CLARKE: Wenn sich die USA wie eine westliche <strong>De</strong>mokratie<br />

benehmen würden, dann vielleicht, aber unglücklicherweise<br />

tun sie das nicht.<br />

DEBUG: Cory Doctorow kommentierte deine Entscheidung,<br />

die USA zu verlassen, mit "Amerika verliert einen<br />

wichtigen <strong>De</strong>nker und Tüftler mit Ian - und es sind zweifelsohne<br />

schon andere Ians abgeschreckt worden, deren<br />

Weggang weniger laut gewesen sind. Es ist eine Schande,<br />

dass er Godwins Gesetz verletzte, als er seinen Abschiedsbrief<br />

schrieb. Tatsächlich hat Godwin recht, wenn<br />

er meint, dass jede Diskussion bei dem Erwähnen eines<br />

Vergleichs mit Hitler oder den Naziverbrechen beendet<br />

ist. Es gab denjenigen, die uns gerne vom eigentlichen<br />

Thema ablenken wollen, einen praktischen Grund, sich in<br />

den Streit mit sinnlosen Argumente über die Angebrachtheit<br />

eines Vergleiches mit dem Nazi-<strong>De</strong>utschland<br />

einzumischen". Was meinst du dazu?<br />

IAN CLARKE: Cory und ich hatten eine interessante Diskussion<br />

deswegen. Cory stimmte schließlich mit mir überein,<br />

dass mein Vergleich treffend war, aber bestand weiter<br />

darauf, dass Nazi-Vergleiche niemals benutzt werden sollten,<br />

da sie vom eigentlichen Thema ablenken. Ich glaube, es<br />

Ich bin tief davon überzeugt, dass die Freiheit der<br />

Kommunikation absolut essentiell für den menschlichen<br />

Fortschritt ist.<br />

ist wichtig, dass wir niemals vergessen, was im Nazi-<br />

<strong>De</strong>utschland passiert ist. Schon allein, damit es sich niemals<br />

wiederholt. Als Konsequenz ziehe ich es daher vor, wenn solche<br />

Vergleiche eher zu oft, als zu selten gezogen werden.<br />

DEBUG: Welche Veränderungen der US Politik müssten<br />

passieren, damit du bleibst, bzw. zurückkommen würdest?<br />

IAN CLARKE: In ein anderes Land zu gehen, ist eine teure<br />

und irgendwie auch traumatische Erfahrung. Also würde<br />

ich den Aufwand, in die USA zurückzugehen, nur für einen<br />

wirklich guten Grund auf mich nehmen. Ich werde in die<br />

schöne Stadt Edinburgh in Schottland ziehen und ich schätze<br />

mal, es wird schwierig sein, mich zu überreden, da wieder<br />

wegzugehen, wenn ich mich da einmal niedergelassen habe<br />

;-)<br />

DEBUG: Also war Freenet ein Schulprojekt und du hast<br />

'ne zwei dafür bekommen, wer kriegte die eins dieses<br />

Jahr?<br />

IAN CLARKE: Keine Ahnung ;-)

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