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Neue Szene Augsburg 2019-06

Stadtmagazin für Augsburg

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ZOOM<br />

<strong>Augsburg</strong>er Kultkneipen<br />

Das Prager Stüberl –<br />

”<br />

Wenn i mit dir tanz!”<br />

Sie ist eine der beliebtesten Kneipen der Stadt und nicht wenige sagen, dass es das gemütlichste, fröhlichste und kultigste<br />

Lokal der ganzen Stadt ist: Das Prager Stüberl. Unser Autor Marcus Ertle war einen Abend lang zu Gast.<br />

EEigentlich sind Kneipen ja nicht nur Kneipen, sondern kleine Universen mit<br />

in sich völlig stimmigen Naturgesetzen. Gut, es gibt natürlich auch Universen,<br />

denen man ein schwarzes Loch wünscht oder dem mal ein Urknall, vielleicht<br />

sogar eine hübsche Super-Nova gut tun würde - das Prager Stüberl gehört<br />

angenehmerweise nicht dazu.<br />

Manche würden die Kneipe gegenüber der Stadtmetzg, die sich neben die<br />

Unterführung in Richtung Schmiedberg kuschelt als Kult-Kneipe bezeichnen.<br />

Ich sträube mich eigentlich gegen solche Bezeichnungen. Kult, das kommt<br />

einem so safarimässig vor, als würden die Gäste nicht wegen der Kneipe an<br />

sich kommen, sondern weil man es beim Sauf-Sightseeing halt unbedingt<br />

abhaken will. Aber irgendwie hat es das Stüberl geschafft, nicht zu einer künstlichen<br />

Attraktion zu werden. Wahrscheinlich, weil das Stüberl, seine Macher<br />

und natürlich auch seine Gäste nicht in Kategorien wie Style und „Wow-damusst-du-uuunbedingt-hin”<br />

denken.<br />

Samstag Nacht. Vor dem Stüberl stehen trinkende, lachende Menschen,<br />

Das Alter liegt bei dreißig aufwärts, ganz normal, wenn man das so sagen<br />

darf. Ein paar ziemlich lässig angezogene Hipster gehen vorbei, schauen hin,<br />

lächeln dieses Lächeln, das sich zwischen Spott, Scham und Neugier bewegt<br />

und gehen weiter. Noch mal Glück gehabt. Sagt der Expeditor in mir. Denn<br />

wäre die Kneipe voller Hipster, wäre es aus mit der Seele. Nicht, dass ich etwas<br />

gegen Hipster hätte, es ist eher wie beim Tourismus. Ich will das pittoreske<br />

Original einfach nicht teilen, will es im Naturzustand genießen oder zumindest<br />

betrachten. Und eine Kneipe ist nur dann gut, wenn man merkt, dass das<br />

Publikum zusammen passt, was es hier, wie sich zeigt, durchaus tut.<br />

Schön hier drin. Dunkles Holz. Kitsch in Maßen, solide, so muss ein<br />

Bierstüberl sein. Der DJ legt Modern Talking auf. Cherry-Cherry-Lady. Ein<br />

Lied, dem man zu Unrecht den Vorwurf macht, es sei völlig hirn- und sinnlos.<br />

So können nur elitäre Feuilletonisten denken. In einem Interview hat mir<br />

Thomas Anders mal erklärt, dass Cherry-Cherry-Lady das Ergebnis langen<br />

Experimentierens war, dessen Ziel ganz einfach lautete: Da muss ein Refrain<br />

her, den so ziemlich jeder Mensch auf der Welt mitsingen kann. Und am Ende<br />

stand dann eben Cherry-Cherry-Lady. Und er hatte ja Recht. Dieses Lied ist<br />

für Kneipen gemacht. Das weiß der DJ natürlich und die Menschen im Prager<br />

Stüberl, das jetzt sehr voll ist, singen es begeistert mit. An der Stelle muss ich<br />

zugeben, dass in meinem Kopf eine kleine, eingebildete Stimme sitzt, die sagt:<br />

„Ahhh…schau sie dir nur an! Die Ballermann-Fraktion grölt irgendwelchen<br />

Chartmüll, statt…”<br />

Ja, statt was eigentlich? Ich setze mich an die Theke und bestelle bei einer<br />

freundlichen Kellnerin, Inge steht auf ihrem T-Shirt, ein Bier. Darüber muss<br />

man jetzt in Ruhe nachdenken. Was sollen die Leute eigentlich sonst machen?<br />

Gut, sie könnten das natürlich alles ganz ironisch betreiben. Sie könnten<br />

augenzwinkernd Cherry-Cherry-Lady oder Skandal im Sperrbezirk singen,<br />

aber Ironie und ausgelassene Freude funktionieren nicht miteinander, das<br />

Naturgesetz schließt diese Kombination aus. Es gibt also nur die Möglichkeit,<br />

sich ironisch zurückzuziehen oder sich hinzugeben. Ich entscheide mich fürs<br />

Hingeben, so weit es möglich ist, aber wofür gibt es Alkohol? Das ist übrigens<br />

auch so eine Sache. Ich weiß ja, dass Alkohol zurzeit allenfalls in Form einer<br />

der 674 gängigen Gin-Varianten oder als Craft-Beer in ist, was aber völlig<br />

unterschätzt wird, zumindest in der verfeinerten Öffentlichkeit, ist die sozial<br />

unglaublich positive Wirkung von Alkohol. Prost!<br />

Also, äh, ich meine damit jetzt nicht, dass Alkohol alle sozialen Probleme<br />

löst, ich weiß ja, dass es viele verursacht – das ist doch bekannt. Aber ich<br />

sage auch: Viele Partnerschaften und Kinder existieren nur, weil im Vorfeld

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