Sicherheitsingenieur Special Ergonomie 2019
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- <strong>2019</strong> -<br />
Eine Sonderbeilage von:<br />
www.sifa-sibe.de<br />
<strong>Special</strong><br />
<strong>Ergonomie</strong><br />
Zukunft der<br />
<strong>Ergonomie</strong><br />
Praxisszenarien im<br />
Future Work Lab<br />
<strong>Ergonomie</strong> -<br />
Baustein im BGM<br />
Gesund arbeiten in<br />
Coworking Spaces & Co.
NIE MEHR<br />
RÜCKEN!<br />
STEITZ SECURA SICHERHEITSSCHUHE – SCHALTEN DEN SCHMERZ AB, BEVOR ER ENTSTEHT.<br />
Weitere Infos unter: agr-ev.de<br />
Eine medizinische Studie<br />
des Universitätsklinikums Jena belegt:<br />
SECURA VARIO ® -Fersendämpfung<br />
hält die Muskulatur länger leistungsfähig.<br />
SPUREN.HINTERLASSEN.COM
Editorial/Inhalt<br />
Titelfotos: Ludmilla Parsyak © Fraunhofer IAO, © mooshny – stock.adobe.com, © MAN Truck & Bus SE, © vectorfusionart – stock.adobe.com<br />
Es geht (gesund) voran!<br />
Smartphone, Tablet, Laptop etc. machen vor allem typische Bürotätig -<br />
keiten ortsunabhängig. Dass diese Flexibilität nicht unbedingt einhergeht<br />
mit gesunden Arbeitsbedingungen, hat sich mittlerweile herausgestellt.<br />
Neben der Psyche gilt das auch für den Körper. Wie <strong>Ergonomie</strong> gestaltet<br />
werden muss, damit sie auch in Zukunft für gesunde Bedingungen sorgt,<br />
war ein Thema des Tags der <strong>Ergonomie</strong> am 4. April in Mannheim.<br />
Lebhafte Eindrücke hat meine Kollegin Petra Jauch vor Ort eingefangen.<br />
Lesen Sie auf den Seiten vier bis sieben ihren Rückblick samt Besucher -<br />
stimmen und Impressionen der Begleitausstellung.<br />
Im Folgenden breiten Referenten der Veranstaltung die Inhalte Ihrer<br />
Vorträge aus – von Coworking Spaces über <strong>Ergonomie</strong> im betrieblichen<br />
Gesundheitsmanagement bis hin zur Fortbildung <strong>Ergonomie</strong>Coach. Hier<br />
können Sie nochmal in die vielfältigen und spannenden Themen des Tags<br />
eintauchen.<br />
Fachbeiträge<br />
8 Assistenz in der<br />
Industrie 4.0<br />
Praxisszenarien aus dem<br />
Future Work Lab<br />
Stefanie Findeisen, M.Sc.<br />
10 Coworking Space,<br />
Open Space<br />
Das Büro der Zukunft?<br />
Andreas Stephan<br />
12 Helfer für mehr Gesundheit<br />
Wie arbeitet ein<br />
<strong>Ergonomie</strong>-Coach?<br />
Christian Brunner<br />
14 <strong>Ergonomie</strong><br />
Im Zeichen des digitalen<br />
und demographischen<br />
Wandels<br />
Prof. Dr.-Ing. habil. Sascha<br />
Stowasser<br />
Lust auf mehr? Der 4. Tag der <strong>Ergonomie</strong> ist für<br />
Herbst 2020 angepeilt. Deutlich früher und nicht<br />
minder spannend erwarten Sie:<br />
• Der 2. Praxiskongress Recht am 10. Dezember<br />
<strong>2019</strong>, mehr dazu unter<br />
www.praxiskongress recht.de<br />
• Der 3. Tag der PSA am 18. März<br />
2020, mehr dazu auf Seite 18.<br />
Michael Köhmstedt<br />
16 Betriebliches<br />
Gesundheitsmanagement<br />
<strong>Ergonomie</strong> als wichtiger<br />
Baustein der Betrieblichen<br />
Gesundheitsförderung<br />
Sarah Müller,<br />
Robert F. J. Rupertseder<br />
Wissenswertes<br />
4 Tag der <strong>Ergonomie</strong> <strong>2019</strong><br />
Wichtigster Begleiter im<br />
digitalen Wandel<br />
Petra Jauch<br />
18 Si-Akademie<br />
3 Impressum<br />
Impressum<br />
Tag der<br />
<strong>Ergonomie</strong><br />
Sonderausgabe zum „Tag der <strong>Ergonomie</strong>“ <strong>2019</strong><br />
Verlag:<br />
Dr. Curt Haefner-Verlag GmbH<br />
Ernst-Mey-Straße 8<br />
70771 Leinfelden-Echterdingen<br />
Postanschrift:<br />
Dr. Curt Haefner-Verlag GmbH<br />
Vangerowstraße 14/1, 69115 Heidelberg, Germany<br />
Phone +49 711 7594–0<br />
Herausgeberin:<br />
Katja Kohlhammer<br />
Geschäftsführer: Peter Dilger<br />
Verlagsleiter: Peter Dilger<br />
Redaktion:<br />
Weigand Naumann (V.i.S.d.P.),<br />
E-Mail: weigand.naumann@konradin.de<br />
Nina Gruber, E-Mail: nina.gruber@konradin.de<br />
Petra Jauch, E-Mail: petra.jauch@konradin.de<br />
Michael Köhmstedt,<br />
E-Mail: michael.koehmstedt@konradin.de<br />
Verena Manek, E-Mail: verena.manek@konradin.de<br />
Layout:<br />
Bernd Michael Wilfing, Phone +49 711 7594–4602<br />
Anzeigenverkauf:<br />
Gerhard Binz, Phone +49 711 7594–4608<br />
E-Mail: gerhard.binz@konradin.de<br />
Auftragsmanagement:<br />
Martina Schäffler, Phone +49 711 7594–445<br />
E-Mail: martina.schaeffler@konradin.de<br />
Zurzeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 35 vom 1.10.2017<br />
Leserservice:<br />
Marita Mlynek, Phone +49 711 7594–302,<br />
Fax +49 711 7594–1302<br />
E-Mail: marita.mlynek@konradin.de<br />
Namentlich gekennzeichnete Artikel stellen die<br />
Meinung des Autors, nicht unbedingt die der Redaktion<br />
dar. Alle im Sicherheitsbeauftragter erscheinenden<br />
Beiträge sind urheberrechtlich geschützt.<br />
Alle Rechte, auch Übersetzungen, vorbehalten.<br />
Reproduktionen, gleich welcher Art, nur mit schriftlicher<br />
Genehmigung des Verlages.<br />
Erfüllungsort und Gerichtstand ist Stuttgart.<br />
Druck:<br />
Konradin Druck GmbH, Leinfelden-Echterdingen<br />
Printed in Germany<br />
© <strong>2019</strong> by Dr. Curt Haefner-Verlag GmbH,<br />
Leinfelden-Echterdingen<br />
Dr. Curt Haefner-Verlag GmbH ist ein Unternehmen<br />
der Konradin Mediengruppe<br />
ISSN 0300–3329<br />
Eine Sonderausgabe von:<br />
<strong>2019</strong> <strong>Special</strong> <strong>Ergonomie</strong> 3
Wissenswertes<br />
Tag der <strong>Ergonomie</strong> <strong>2019</strong><br />
Wichtigster Begleiter im digitalen Wandel<br />
Wo bleibt der Mensch in der fortschreitenden Digitalisierung? „Im Mittelpunkt“, so die Vorgabe<br />
beim „Tag der <strong>Ergonomie</strong> <strong>2019</strong>“ in Mannheim. Acht <strong>Ergonomie</strong>spezialisten zeigten, welche<br />
Herausforderungen mit diesem Anspruch verbunden sind.<br />
ls Ergonomen müssen wir den<br />
„AWandel positiv unterstützen. Niemand<br />
anders kann das“, erklärte Prof. Dr.<br />
Sascha Stowasser vom Institut für angewandte<br />
Arbeitswissenschaft (ifaa) im Eröffnungsvortrag.<br />
Das große Interesse an<br />
der Veranstaltung zeigte, dass viele Betriebe<br />
hier Bedarf sehen: Mit 121 Teilnehmern<br />
war das Tagesseminar in Mannheim<br />
restlos ausgebucht.<br />
Technologien auf der Überholspur<br />
„75 Prozent der Arbeitssysteme verändern<br />
sich“, ließ Stowasser keinen Zweifel<br />
an der Größenordnung der Aufgabe. Ein<br />
Trend sei, Informationen näher an den<br />
Menschen zu bringen – so etwa durch<br />
Handschuhe mit Sensoren zur Datenerfassung<br />
oder durch Datenbrillen, die neue<br />
Dimensionen für das Lernen und Arbeiten<br />
eröffnen. Wie benutzerfreundlich diese<br />
Technologien seien, müsse sich erst zeigen<br />
– denn die Normung hinke der Entwicklung<br />
hinterher. Noch ungelöst erscheine<br />
zum Beispiel die Hygienefrage:<br />
„Werden diese Geräte nach Arbeitsende<br />
gereinigt?“ Zudem gelte es, unnatürliche<br />
Handhaltungen bei der Nutzung von Tablets<br />
und Smartwatches in der Produktion<br />
zu vermeiden.<br />
Die Referenten Prof. Dr.-Ing. Martin Schmauder (links) und Prof. Dr. Sascha Stowasser<br />
Eine Frage der Ethik<br />
Auch die Mensch-Roboter Kollaboration<br />
und der Einsatz von Exoskeletten werfe<br />
noch viele Fragen auf: „Was, wenn der<br />
Träger hinfällt? Wohin verlagert sich die<br />
Belastung, etwa bei Überkopfarbeiten?“<br />
und wiederum „Wie steht es um die Hygiene?“,<br />
nannte Stowasser einige Beispiele.<br />
Besonders klärungsbedürftig sei der<br />
Einsatz aktiver Exoskelette, der ethische<br />
Grundhaltungen in der Gesellschaft berühre.<br />
„Wollen wir aktive Exoskelette, also<br />
einen höheren Leistungsanspruch?“<br />
gab Stowasser zu bedenken. Zunehmend<br />
ins Spiel kämen mobile Sensoren zur Bewegungsanalyse<br />
und künstliche Intelligenz,<br />
die womöglich die menschliche<br />
Souveränität untergrabe. „Die Zukunft<br />
gehört nicht nur dem Hochglanz-Wissensarbeiter,<br />
sondern es zeich net sich schon<br />
jetzt auch eine Zunahme von Einfacharbeit<br />
ab.“<br />
Smarte Kleidung und „Motion Capturing“<br />
seien völlig neue Aspekte für die <strong>Ergonomie</strong>.<br />
„Hier müssen wir ganz anders<br />
einwirken, und zwar möglichst frühzeitig<br />
im Produktionsprozess“, befand Stowasser.<br />
Bei den vielen Anbietern und Angeboten,<br />
die sich bereits auf dem Markt tummelten,<br />
könnten nur die Arbeitsplatzgestalter<br />
eine richtige Auswahl treffen.<br />
Gleichzeitig werde die <strong>Ergonomie</strong> immer<br />
individueller und berücksichtige die Anforderungen<br />
jedes einzelnen Arbeitsplatzes<br />
und Mitarbeiters – im Sinne der Men-<br />
„Ich bin Fachkraft für Arbeitssicherheit im Klinikum und<br />
habe daher auch mit dem Thema <strong>Ergonomie</strong> zu tun: Bei<br />
unseren Begehungen sehen wir, dass manche Arbeitsplätze<br />
noch nicht optimal eingerichtet sind. Das liegt<br />
auch daran, dass wir ein neues Gebäude bezogen<br />
haben: Die Ausstattung ist vorhanden, die Gestaltung<br />
liegt nun bei uns. Ich besuche den „Tag der <strong>Ergonomie</strong>“,<br />
um auf diesem Gebiet richtig mitreden zu können. Das<br />
Programm gefällt mir gut, es ist sehr vielfältig. Ich<br />
empfehle die Veranstaltung gerne weiter.“<br />
Holger Ketterer, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Schwarzwald-Baar-Klinikum<br />
Foto: Jauch<br />
Foto: Jauch<br />
4 <strong>Special</strong> <strong>Ergonomie</strong> <strong>2019</strong>
Wissenswertes<br />
Fotos: Jauch<br />
schen und der Unter nehmen: „Wir müssen<br />
schauen, dass Arbeitsplätze gesund<br />
und attraktiv sind, um gute Leute zu halten.“<br />
Weiche Faktoren berücksichtigen<br />
Einen Eindruck davon, wie schwierig<br />
sich ein Normierungsprozess gestalten<br />
kann, vermittelte Dr. Michael Bretschneider-Hagemes<br />
von der Kommission Arbeitsschutz<br />
und Normung (KAN). Als Arbeitnehmervertreter<br />
begleitet er die Revision<br />
der DIN EN 10075–2 „Ergonomische<br />
Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung“.<br />
Anlass dazu gab die Forderung,<br />
psychische Belastung mit anderen<br />
Belastungen gleichzustellen. Eine<br />
grundsätzliche Ablehnung gegenüber<br />
Normungen im nicht technischen betrieblichen<br />
Bereich gebe es zwar nicht mehr,<br />
die Haltungen dazu seien aber noch „diffus“,<br />
bemängelte der Referent. Immerhin<br />
gelte die Verabredung, dass soziale Faktoren<br />
nicht mehr ausgeklammert werden<br />
sollen.<br />
Tablet aufnimmt? Bei der Kassiererin an<br />
der Registrierkasse? Am Hotelempfang?<br />
„Wir müssen uns von der klassischen Vorstellung<br />
mit dem Bildschirm auf dem<br />
Schreibtisch und dem Rechner darunter<br />
lösen“, so Schmauder. Dies führe jedoch<br />
zu einer schwierigen Abgrenzung in der<br />
Frage: Was ist Bildschirmarbeit? Wo ist<br />
die Grenze?<br />
Ein maßgebliches Kriterium für Bildschirmarbeit<br />
sei ein dauerhaft eingerichteter<br />
Arbeitsplatz, ein weiteres, dass eine<br />
Interaktion zwischen Nutzer und Rechner<br />
zur Datenverarbeitung stattfinde. Kein<br />
Telearbeitsplatz liege vor, wenn Bildschirme<br />
nur zur Informationsanzeige oder nur<br />
zur Maschinensteuerung dienten. Maßnahmen<br />
zur Gestaltung von Bildschirmarbeit<br />
enthalte Anhang 6 der Arbeitsstättenverordnung.<br />
Konkretisiert würden diese<br />
durch die neue ASR A6 „Bildschirmarbeit“,<br />
die derzeit in Arbeit sei. „Bildschirmarbeit<br />
hat den Ruf, krank zu machen<br />
und die Augen zu schädigen“, erklärte<br />
Schmauder. Das stimme zwar nicht –<br />
sie sei eher Indikator statt Ursache für eine<br />
schwache Sehleistung – doch die Dosis<br />
mache das Gift. Die neue ASR A6 solle<br />
den Betrieben als Leitplanke für gute Arbeit<br />
dienen. „Wir wollen keine Überregulation,<br />
sondern definieren einen gewissen<br />
Stand der Technik zur Orientierung.“<br />
Bewegungsfreiheit vonnöten<br />
Die Technik presche voran und ermögliche<br />
vieles, was nicht unbedingt praktikabel<br />
sei, befand Andreas Stephan, Leiter des<br />
Sachgebiets Büro im DGUV-Fachbereich<br />
Verwaltung bei der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft<br />
(VBG). „In Malibu am<br />
Strand arbeiten – klingt toll, geht aber<br />
nicht, denn dort erkennen Sie nichts auf<br />
dem Bildschirm.“ Die Preisfrage laute:<br />
Wie sieht das Büro der Zukunft aus? An<br />
Regelungen zur Gestaltung von Arbeitsplätzen<br />
mangele es nicht, sie müssten nur<br />
angewendet werden. So etwa in Bezug<br />
auf den Platz bedarf von Büroarbeitern,<br />
der in der ASR A1.2 definiert sei. „Achtung,<br />
auch Verkehrswege und Bediengänge<br />
müssen in gewisser Größe eingeplant<br />
werden!“, betonte der Fachmann.<br />
Allein für Tisch, Container, Stuhl und<br />
Verkehrsweg seien 5,175 Quadratmeter<br />
zu veranschlagen. Die Raumfrage sei<br />
auch deshalb so wichtig, da Bewegungsmangel<br />
zu den größten Gesundheits -<br />
risiken bei der Bildschirmarbeit zähle. Neben<br />
einem ausreichenden Bewegungsfreiraum<br />
solle die Arbeitsum gebung<br />
möglichst viele Haltungswechsel ermöglichen.<br />
Hier seien auch die Arbeitnehmer<br />
selbst gefragt: Durch Information sollten<br />
sie darin bestärkt werden, Selbstverantwortung<br />
für ihre Gesundheit zu übernehmen.<br />
Kopf und/oder Herz erreichen<br />
„Es braucht mehr Kompetenz beim einzelnen<br />
Mitarbeiter“, stieß Christian Brun-<br />
Bildschirme auf dem Vormarsch<br />
Die Zeiten, in denen Bildschirme nur in<br />
Büros Verwendung fanden, sind vorbei: In<br />
der Produktion, im Labor, in Krankenhäusern,<br />
am Empfang, in Geschäften, Gaststätten<br />
oder auch daheim greifen Monitore<br />
um sich. „Ich habe einen neuen Backofen<br />
mit Display“, gab Prof. Martin<br />
Schmauder von der TU Dresden ein<br />
Beispiel aus dem Alltag. Der Vorstoß<br />
von Bildschirmen in alle Arbeits- und Lebensbereiche<br />
werfe allerdings die Frage<br />
auf, wann Bildschirmarbeit vorliege.<br />
Beim Kellner, der Bestellungen mit dem<br />
„Ich bin Sicherheitsbeauftragter und vor einiger Zeit vom<br />
Labor in eine Bürotätigkeit an der Schnittstelle Labor – IT<br />
gewechselt. Als Sicherheitsbeauftragter in einem Büro -<br />
um feld liegt der Fokus eher bei der <strong>Ergonomie</strong> des Arbeitsplatzes.<br />
Deshalb habe ich diesen „Tag der <strong>Ergonomie</strong>“<br />
besucht, um mich zu informieren. Das Programm ist sehr<br />
abwechslungsreich. Mir gefällt die Aufteilung in Blöcke<br />
mit je zwei Vorträgen und Fragerunde. Ich nehme viele<br />
Anregungen und Infomaterial mit. Es ist gut, wenn man ein<br />
Auge für die ergonomischen Zusammenhänge bekommt.“<br />
Reinhard Hahn, Senior <strong>Special</strong>ist, Roche Diagnostics GmbH<br />
Foto: Jauch<br />
<strong>2019</strong> <strong>Special</strong> <strong>Ergonomie</strong> 5
Foto: Jauch<br />
„Wir entwickeln in unserem Team ‚Großprojekte‘ Bürokonzepte<br />
und Arbeitswelten bei der Deutschen Bahn und<br />
steuern diese in der Umsetzung. Derzeit richten wir<br />
einen Neubau in Hannover ein – eine komplexe Aufgabe,<br />
in der verschiedene Raummodule mit Rückzugs- und<br />
Kommunikationsmöglichkeiten realisiert werden. In<br />
dem modernen Flex-Haus wurde erstmalig ein gebäudeübergreifendes<br />
Desk-Sharing-Konzept umgesetzt. Das<br />
heißt, für insgesamt 950 Mitarbeiter stehen 750 Arbeitsplätze<br />
zur Verfügung. Alle sind mit höhenverstellbaren<br />
Schreibtischen ausgestattet. Zudem haben wir erstmals<br />
unter anderem Gesundheitsmatten eingesetzt. Beim „Tag der <strong>Ergonomie</strong>“<br />
schaue ich nach weiteren Möglichkeiten, das Arbeiten komfortabler und<br />
‚gesünder‘ zu machen und möchte mein berufliches Netzwerk erweitern.<br />
Die Vorträge sind sehr abwechslungsreich, da viele aktuelle und wichtige<br />
Themen angesprochen werden. Ein sehr kurzweiliger Tag!“<br />
Susanne Jackl, Dipl. Ing. Innenarchitektur (FH), Deutsche Bahn AG –<br />
DB Immobilien<br />
ner vom Institut für Gesundheit und <strong>Ergonomie</strong><br />
e. V. (IGR) ins gleiche Horn. Ergonomen<br />
müssten mit ihren Botschaften „in<br />
die Birne oder ins Herz des Mitarbeiters<br />
kommen“, so der Fachmann. Um den Mitarbeitern<br />
gesunde Verhaltensweisen<br />
schmackhaft zu machen, verwende er vier<br />
„Gewürze“: wissenschaftliche Erkenntnisse,<br />
selbstgemachte Erfahrungen („Lassen<br />
Sie einen Mitarbeiter einfach mal zu hoch<br />
oder zu tief sitzen!“), Visualisierung, zum<br />
Beispiel mithilfe der Wirbelix-Modellfigur,<br />
und unterhaltsame Elemente – Ergotainment<br />
„Ich halte Mitarbeitern zum Beispiel<br />
einen Spiegel vor. Dann sieht er sich zum<br />
ersten Mal selbst am Arbeitsplatz und korrigiert<br />
automatisch seine Haltung.“<br />
Wichtig: <strong>Ergonomie</strong>-Marketing<br />
Unterhaltsame Einlagen mit Lerneffekt<br />
ließ Brunner auch in seinen Vortrag einfließen.<br />
So animierte er die 121 Teilnehmer<br />
dazu, sich wechselseitig den Rücken<br />
abzuklopfen und zu kneten, um die positiven<br />
Auswirkungen unmittelbar spürbar zu<br />
machen. Grundsätzlich empfahl er, gesunde<br />
Handlungen zu ritualisieren. „Ihre Zähne<br />
putzen Sie selbst im Vollrausch – weil<br />
es ritualisiert ist.“ Um nachhaltige Verhaltensänderungen<br />
zu erwirken, müssten<br />
Ergonomen nicht zuletzt Marketing betreiben:<br />
„Schieben Sie nicht einfach neue<br />
Stühle in den Raum. Zelebrieren Sie die<br />
neuen Möbel“, riet er den Zuhörern.<br />
Wie sie ihren Mitarbeitern Gesundheits-<br />
und insbesondere <strong>Ergonomie</strong> -<br />
themen näherbringen, erläuterten anschließend<br />
Sarah Müller und Robert<br />
Rupertseder von der MAN Truck & Bus<br />
AG. „Um alle zu erreichen, gehen wir mit<br />
unseren Angeboten direkt in die Werkhalle“,<br />
erklärte Sarah Müller – auch eine<br />
Form von Marketing im Sinne ihres Vorredners.<br />
Unter den insgesamt 11.000 Beschäftigten<br />
gebe es noch Personen, die<br />
den hauseigenen Gesundheitsdienst nicht<br />
kennen. „Wir haben den Handlungsbedarf<br />
in Sachen <strong>Ergonomie</strong> erkannt und derzeit<br />
40 <strong>Ergonomie</strong>-Coaches im Einsatz – und<br />
es werden noch mehr“, ergänzte Robert<br />
Rupertseder. Zudem habe er eine vierstündige<br />
Standardveranstaltung zum<br />
Thema „Gesund und sicher im Büro“ entwickelt,<br />
die inzwischen 1.000 Mitarbeiter<br />
besucht hätten.<br />
Wo bleibt der Mensch?<br />
Mit Praxisszenarien aus dem Future<br />
Work Lab schlug Stefanie Findeisen vom<br />
Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft<br />
und Organisation (IAO) noch einmal<br />
einen Bogen zum Einführungsvortrag: Assistenzsysteme<br />
seien eine Antwort auf die<br />
steigenden Anforderungen im Produktionsumfeld,<br />
hätten sich aber noch nicht<br />
richtig in der betrieblichen Praxis durchgesetzt.<br />
Sie sollen die Mitarbeitenden bei<br />
ihren Aufgaben unterstützen, nicht ersetzen,<br />
betonte die Referentin. Die Unterstützung<br />
könne auf unterschiedliche Art<br />
erfolgen: kognitiv, zum Beispiel durch<br />
einen verbesserten Informationsfluss;<br />
physisch, etwa mithilfe von Exoskeletten,<br />
oder sensorisch – in Arbeitssituationen,<br />
bei denen die menschlichen Sinnesorgane<br />
an ihre Grenzen stoßen. Die<br />
meisten Assistenzsysteme hätten eine digitale<br />
Komponente, ergänzte sie.<br />
Ein Problem, das bereits Prof. Dr.<br />
Sascha Stowasser in seiner Einführung<br />
ansprach, sieht Findeisen im möglichen<br />
Autonomieverlust: „Ich habe eine neue<br />
elektrische Zahnbürste. Nach einigen Minuten<br />
Vibration schaltet diese selbsttätig<br />
ab“, nutzte sie ein Beispiel aus dem Hausgebrauch.<br />
„Es ärgert mich, dass die Maschine<br />
entscheidet, wann der Putzvorgang<br />
beendet ist.“ Damit der Mensch im<br />
Mittelpunkt bleibt, müsse die Entwicklung<br />
„weg vom technologiezentrierten<br />
Ansatz hin zum Problemlösungsfall“, forderte<br />
sie. „Unser Appell lautet: den Fokus<br />
auf den Nutzer setzen, ihn in den Gestaltungsprozess<br />
einbeziehen.“<br />
Foto: Jauch<br />
„Die Muskulatur mag klopfen“ - das konnten die Teilnehmer unter Anleitung von<br />
Christian Brunner kurzerhand am eigenen Leib erfahren.<br />
Marktplatz für <strong>Ergonomie</strong><br />
In der Begleitausstellung – Impressionen<br />
davon bietet die folgende Seite – präsentierten<br />
13 Aussteller aktuelle Produkte<br />
für eine ergonomische Arbeitsumgebung<br />
und -ausrüstung. Viele Besucher nutzen<br />
die Gelegenheit zum Gespräch an den<br />
Ständen und zum Austausch mit anderen<br />
Teilnehmern. Aufgrund der großen Resonanz<br />
auf die Veranstaltung wird es im<br />
kommenden Jahr wieder einen „Tag der<br />
<strong>Ergonomie</strong>“ geben.<br />
www.tag-der-ergonomie.de<br />
Petra Jauch<br />
6 <strong>Special</strong> <strong>Ergonomie</strong> <strong>2019</strong>
Wissenswertes<br />
Begleitausstellung<br />
beim Tag der<br />
<strong>Ergonomie</strong> <strong>2019</strong><br />
<strong>2019</strong> <strong>Special</strong> <strong>Ergonomie</strong> 7
Fachbeitrag<br />
Foto: Ludmilla Parsyak © Fraunhofer IAO<br />
Exo-Jacket für leichteres Arbeiten und Augmented Reality im<br />
Future Work Lab in Stuttgart<br />
Assistenz in der Industrie 4.0<br />
Praxisszenarien aus dem<br />
Future Work Lab<br />
Im Kontext von Industrie 4.0-Implementierungen wird oft von Anwendungsfällen oder Use<br />
Cases gesprochen. Diese Anwendungsfälle folgen keinem einheitlichen Design, sondern<br />
unterscheiden sich in Inhalt, Absicht und Branchenzugehörigkeit. Eine Studie von Bitkom zum<br />
Thema Status und Perspektiven der Industrie 4.0 aus dem Jahr 2016 hat herausgefunden,<br />
dass 40 Prozent der Industrie 4.0-Anwendungsfälle unter die Kategorie „Assistenzsysteme“<br />
fallen. 1 Das Forschungsprojekt Future Work Lab untersucht mögliche Anwendungsformen.<br />
Foto: Fraunhofer IAO<br />
Autorin: Stefanie Findeisen, M.Sc.<br />
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team<br />
„Vernetzte Produktionssysteme“,<br />
Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft<br />
und Organisation IAO<br />
Die Relevanz des Themas ergibt sich<br />
aus den steigenden Anforderungen<br />
im Produktionsumfeld. Komplexe Produkte<br />
und Prozesse führen zu einer steigenden<br />
Anlernzeit und einem steigenden<br />
Fehlerpotenzial. Um Mitarbeitende vor<br />
einer möglichen Überlastung zu schützen,<br />
ohne deren Arbeitsplatz obsolet zu<br />
machen, gilt es, die Assistenzsysteme für<br />
den jeweiligen Einsatzzweck passend zu<br />
gestalten. Ebenso können die Auswirkungen<br />
des Fachkräftemangels dadurch zumindest<br />
teilweise abgefangen werden.<br />
Assistenz in der Industrie 4.0<br />
Im Industrie 4.0-verwandten Sprachgebrauch<br />
gelten alle technologischen<br />
Anwendungen als Assistenzsysteme, die<br />
den Beschäftigten bei der Ausführung seiner<br />
Arbeit unterstützen. Die Unterstützung<br />
kann bei kognitiven Aufgaben in<br />
Form von Entscheidungsvorbereitung,<br />
-findung und/oder -durchführung erfolgen.<br />
2<br />
Physische Assistenzsysteme unterstützen<br />
den Beschäftigten bei schweren<br />
oder körperlich ermüdenden Tätigkeiten,<br />
wie dem Heben von Bauteilen oder anstrengender<br />
Überkopfarbeit. Eine weitere<br />
Form bilden sensorische Assistenzsysteme.<br />
Beschäftigte werden bei Tätigkeiten<br />
unterstützt, bei denen ihre Sinnesorgane<br />
an ihre Grenze gelangen oder krankheits-/<br />
altersbedingte Funktionsabnahmen ausgeglichen<br />
werden können. Die zunehmende<br />
Flut von Informationen, Arbeitsverdichtung<br />
und die steigende Komplexität von<br />
Prozessen 3<br />
setzen die Bedeutung der ko-<br />
1<br />
BITKOM 2016, S. 12<br />
2<br />
vgl. agiplan et al. 2015, S. 90; Blutner et al., S. 6–7<br />
3<br />
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)<br />
2017, S. 4<br />
8 <strong>Special</strong> <strong>Ergonomie</strong> <strong>2019</strong>
Fachbeitrag<br />
Foto: Ludmilla Parsyak © Fraunhofer IAO<br />
Qualifizierung 4.0: „Wissensnuggets“ für komplexe Arbeitsabläufe<br />
gnitiven Assistenz besonders in den Vordergrund.<br />
Physische Krankheiten durch<br />
Stress und Überlastung sowie Informationsfluten<br />
belasten (besonders alternde)<br />
Produktionsmitarbeitende zunehmend.<br />
Was ist das Future Work Lab?<br />
Das Future Work Lab ist ein national<br />
gefördertes Forschungsprojekt zum Thema<br />
Industrie 4.0. Das Projekt befasst sich<br />
unter anderem mit konkreten Anwendungsfällen,<br />
die mögliche zukünftige<br />
Arbeitsplatzszenarien darstellen. 4<br />
In einer<br />
Laborumgebung sind aktuell 35 solcher<br />
Szenarien ausgestellt, die sich unter<br />
anderem um die Themengebiete <strong>Ergonomie</strong><br />
und Sicherheit, Qualifizierung<br />
und Lernen am Arbeitsplatz und Digitale<br />
Assistenz drehen.<br />
Assistenzsysteme in der ...<br />
Montage<br />
In der Montage bieten Assistenzsysteme<br />
ein breites Einsatzspektrum. Neben<br />
der optimierten Informationsbereitstellung<br />
(Push-Bereitstellung statt Pullbeschaffung<br />
durch den Mitarbeiter) kann<br />
der Beschäftigte durch eine Step-by-Step-<br />
Anleitung und durch eine Arbeitsfortschrittskontrolle<br />
im Prozess unterstützt<br />
werden (Beispiel Future Work Lab: Assistierte<br />
Montage, Molekulare Montage).<br />
Beispiele für physische Assistenzsysteme<br />
aus dem Future Work Lab sind unter anderem<br />
der Einsatz eines fahrerlosen<br />
Transportsystems (Mobile Montage) oder<br />
4<br />
vgl. Bauer et al. 2018, S. 191<br />
die kollaborative Zusammenarbeit mit<br />
einem Roboter (Kollaboration mit dem<br />
Großroboter).<br />
Fertigung<br />
Im Bereich der Fertigung ist ein optimiertes<br />
Maschinen- und Anlagenmanagement<br />
eine weit verbreitete Einsatzmöglichkeit<br />
von Assistenzsystemen. Die Analyse<br />
von Vergangenheitsdaten hilft bei der optimierten<br />
Wartung von Anlagen oder kann<br />
in einzelnen Fällen eine vorausschauende<br />
Detektion von Fehlern ermöglichen. Ebenso<br />
können Technologien zur einfacheren<br />
und effizienteren Kommunikation eingesetzt<br />
werden. Über einfache Program -<br />
mierungen oder Workflowsysteme lösen<br />
Signale von Anlagen Nachrichten oder<br />
Sicherheitshinweise aus. Dabei werden<br />
nur betroffene Nutzer kontaktiert, eine<br />
Überinformation wird dadurch verhindert<br />
(Beispiel Future Work Lab: Mobile Mehrmaschinenbedienung).<br />
Qualifizierung<br />
Ein weiteres Einsatzgebiet ist die Qualifizierung<br />
mittels neuer Lernmedien.<br />
Augmented Reality (AR) und Virtual<br />
Reality (VR) Anwendungen ermöglichen<br />
es, neue Produktionsumgebungen und<br />
-abläufe im virtuellen Raum vorab kennen<br />
zu lernen (Beispiel Future Work Lab:<br />
Industrial Holodeck). Über digitale Bildund<br />
Videoanleitungen kann der Qualifizierungsprozess<br />
der Beschäftigten selbstgesteuerter<br />
und personalisierter gestaltet<br />
werden. Kriterien wie der individuelle<br />
Lernfortschritt, die bevorzugte Sprache<br />
und die notwendige Detaillierungstiefe<br />
lassen eine Personalisierung des Lernprozesses<br />
zu (Beispiel Future Work Lab: Qualifizierung<br />
mit Lernvideos).<br />
Fazit<br />
Der Fokus bei der Entwicklung von<br />
Assistenzsystemen sollte bei Unternehmen<br />
nicht nur auf monetärem Mehrwert<br />
liegen, denn dieser ist nur teilweise direkt<br />
quantitativ (zum Beispiel höher Ausbringungsmenge,<br />
bessere Qualität, Reduzierung<br />
von Suchzeiten) nachweisbar. Vor<br />
dem Hintergrund von New Work und<br />
Arbeitgeberattraktivität stellt sowohl die<br />
Erleichterung von Tätigkeiten als auch<br />
mehr Flexibilität einen qualitativen Mehrwert<br />
dar, der unabdingbar für die Produktionsarbeit<br />
der Zukunft ist.<br />
Literaturverzeichnis<br />
■ agiplan; Fraunhofer-IML; Zenit (2015):<br />
Erschließung der Potenziale der Anwendung<br />
von „Industrie 4.0“ im Mittelstand. Studie.<br />
Mülheim an der Ruhr.<br />
■ Bauer, Wilhelm; Hämmerle, Moritz; Bauernhansl,<br />
Thomas; Zimmermann, Thilo (2018):<br />
Future Work Lab – Arbeitswelt der Zukunft.<br />
In: Reimund Neugebauer (Hg.): Digitalisierung.<br />
Schlüsseltechnologien für Wirtschaft<br />
und Gesellschaft. 1. Auflage. Berlin, Heidelberg:<br />
Springer Vieweg (Fraunhofer-<br />
Forschungsfokus), S. 190–192.<br />
■ BITKOM (2016): Industrie 4.0 – Status und Perspektive<br />
2016. Studie. Hg. v. BITKOM. Berlin.<br />
■ Blutner, Doris; Cramer Stephan; Krause, Sven;<br />
Mönks, Tycho; Nagel, Lars; Reinholz, Andreas;<br />
Witthaut, Markus: Assistenzsysteme für die<br />
Entscheidungsunterstützung. Ergebnisbericht<br />
der Arbeitsgruppe 5, Technical Report 06009.<br />
■ Bundesministerium für Arbeit und Soziales<br />
(BMAS) (Hg.) (2017): Psychische Arbeitsbelastung<br />
und Gesundheit. Arbeitsschutz in<br />
der Praxis.<br />
<strong>2019</strong> <strong>Special</strong> <strong>Ergonomie</strong> 9
Fachbeitrag<br />
Foto: © mooshny – stock.adobe.com<br />
Coworking Space, Open Space<br />
Das Büro der Zukunft?<br />
Inspirierend: In Coworking Spaces kommen Fachleute<br />
aus verschiedensten Bereichen zusammen.<br />
Coworking Space, Open Space, Agile Working, Digitalisierung oder Büro 4.0 sind nur einige<br />
Schlagworte, die das Arbeiten im oder aber das Büro der Zukunft beschreiben sollen. Doch was<br />
verbirgt sich dahinter und wie muss das Büro der Zukunft ausgestattet sein, um den Anforderungen<br />
an eine sich ändernde Arbeitswelt gerecht zu werden?<br />
Foto: VBG/Berthold Steinhilber<br />
Autor: Andreas Stephan<br />
Leiter des Sachgebiets Büro im<br />
DGUV-Fachbereich Verwaltung bei der<br />
Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG)<br />
Die Digitalisierung im Büro hat spätestens<br />
mit der Einführung der Lochkarten<br />
begonnen. Und seit den 90er Jahren<br />
des vergangenen Jahrhunderts wird in<br />
den Unternehmen das papierlose Büro<br />
angestrebt. Insofern haben vielleicht die<br />
Beschäftigten in Bürobetrieben weniger<br />
Berührungsängste beim Thema Digitalisierung<br />
als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />
in der Industrie oder in anderen<br />
Branchen. Trotzdem werden sich auch im<br />
Büro die Arbeitsbedingungen ändern. Einige<br />
Tätigkeiten werden sich teilweise<br />
oder ganz ändern, andere Aufgaben verschwinden,<br />
aber auch neue entstehen.<br />
Damit die Beschäftigten die Anforderungen<br />
ihrer Tätigkeiten optimal bewältigen<br />
können, benötigen sie eine geeignete Arbeitsumgebung.<br />
Spezialisierte Arbeitsbereiche<br />
Open Office oder Open Space wird<br />
deshalb häufig als eine ideale Arbeitsumgebung<br />
genannt, in der die Beschäftigten<br />
optimal die sich rasch ändernden<br />
Anforderungen ihrer Arbeitsaufgaben<br />
bewältigten können. Dabei stehen den<br />
Beschäftigten verschiedene Arbeitsbereich<br />
innerhalb der offenen Bürolandschaft<br />
für die unterschiedlichen Arbeitsaufgaben<br />
zur Verfügung.<br />
Neben dem eigentlichen Arbeitsplatz<br />
kommen weitere Bereiche dazu. Zum<br />
Beispiel Think Tanks für Teamarbeit<br />
oder konzentrierte Einzelarbeit, offene<br />
Besprechungsbereiche oder Lounges, die<br />
sowohl Pausenzonen als auch Kommunikationszonen<br />
sein können. Kommunikation,<br />
Kreativität sowie der interdisziplinäre<br />
Austausch zwischen Fachleuten im<br />
Unternehmen sollen dadurch gefördert<br />
werden.<br />
10 <strong>Special</strong> <strong>Ergonomie</strong> <strong>2019</strong>
Fachbeitrag<br />
Vielfältiges Wissen für mehr<br />
Inspiration<br />
Einen Schritt weiter gehen Coworking<br />
Spaces. Über Unternehmensgrenzen hinweg<br />
kommen hier Menschen mit unterschiedlichen<br />
beruflichen Werdegängen,<br />
Aufgaben und Zielen zusammen. Da kann<br />
die freiberufliche Softwareingenieurin<br />
neben dem kreativen Mediengestalter<br />
und einer Gruppe von Beschäftigen eines<br />
großen Beratungsunternehmens sitzen.<br />
Ebenso wie in einem Open Office arbeiten<br />
diese Menschen zumeist in größeren,<br />
offenen Räumen zusammen. Die Idee ist,<br />
dass jeder vom Wissen anderer profitieren<br />
und so zu kreativen und vielfältigen Ideen<br />
kommen kann. Die Betreiber von Coworking<br />
Spaces bieten neben Arbeitsplätzen<br />
auch die dazugehörige Infrastruktur an,<br />
wie zum Beispiel schnelles Internet, Drucker<br />
oder Besprechungsräume.<br />
Sowohl Open Offices als auch Coworking<br />
Spaces können die Büroarbeit bereichern<br />
und den Austausch untereinander<br />
auf unkomplizierte Art fördern. Dabei ist<br />
jedoch zu beachten, dass solche Konzepte<br />
von den Menschen, die darin arbeiten<br />
sollen, mitgetragen werden müssen. Mit<br />
steigender Akzeptanz steigen auch die<br />
Erfolgsaussichten von neuen Konzepten.<br />
<strong>Ergonomie</strong> für gesundes Arbeiten<br />
Des Weiteren tragen ergonomisch<br />
gestaltete und eingerichtet Arbeitsplätze<br />
dazu bei, dass Beschäftigte effizient und<br />
Gestaltungshinweise, rechtliche Grundlagen<br />
Diese Themen sowie Hilfen zur praktischen Umsetzung von Arbeitsplätzen in<br />
Open Spaces und Coworking Spaces sind in der DGUV Regel 115–401 „Branche<br />
Bürobetriebe“ zu finden. Eine gute Hilfe für die tägliche Arbeit stellt das<br />
VBG Faltblatt: „Gesund arbeiten am PC“ dar. Diese und weitere Schriften und<br />
Praxishilfen sind auf der Internetseite der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft<br />
zu finden unter<br />
www.vbg.de > Praevention und Arbeitshilfen > Bildschirm- und Büroarbeit<br />
ohne Beeinträchtigung ihrer Sicherheit,<br />
ihrer Gesundheit oder ihres Wohlbefindens<br />
arbeiten können.<br />
Bewegungsmangel ist eines der größten<br />
Gesundheitsrisiken unserer modernen<br />
Zeit. Deshalb benötigen gerade<br />
Menschen bei der Bildschirmarbeit einen<br />
ausreichenden Bewegungsfreiraum. Die<br />
Arbeitsumgebung sollte möglichst viele<br />
Haltungswechsel ermöglichen (Sitzen,<br />
Stehen und Gehen).<br />
Weitere Kriterien für eine ergonomische<br />
Umgebungsgestaltung sind:<br />
■ ausreichend bemessene Verkehrswege,<br />
die nicht verstellt werden dürfen<br />
■ optimale Beleuchtung; störende Blendungen<br />
durch die Beleuchtungsanlage<br />
oder Sonneneinstrahlung sind zu vermeiden<br />
■ gesundes Raumklima<br />
■ gut geplante Raumakustik<br />
Neben der ergonomisch gestalteten<br />
Arbeitsumgebung ist auch Wert auf ergonomische<br />
Arbeitsmittel zu legen, die eine<br />
reibungslose, fehlerfreie und sichere Umsetzung<br />
der Arbeitsaufgaben ermöglichen.<br />
Dazu zählen:<br />
■ ein Arbeitstisch (möglichst höhen -<br />
verstellbar, Tischplatte mindestens<br />
1,60m x 0,80m)<br />
■ ein ergonomischer Bürodrehstuhl<br />
■ eine ergonomische Software und<br />
Hardware<br />
Über die Planung und richtige Einrichten<br />
von Bildschirm- und Büroarbeitsplätzen<br />
hinaus ist es wichtig, die Arbeitsmittel<br />
optimal einzustellen. Dies betrifft unter<br />
anderem die richtige Höhe von Bürostuhl<br />
und Arbeitstisch sowie die richtige Platzierung<br />
von Bildschirm und Tastatur auf<br />
dem Arbeitstisch.<br />
Industrie<br />
Das<br />
Kompetenz-<br />
Netzwerk<br />
der Industrie<br />
18 Medienmarken für alle wichtigen Branchen der Industrie<br />
Information, Inspiration und Vernetzung für Fach- und<br />
Führungs kräfte in der Industrie<br />
Praxiswissen über alle Kanäle: Fachzeitschriften, Websites,<br />
Events, Newsletter, Whitepaper, Webinare<br />
Die passenden Medien für Sie<br />
und Ihre Branche:<br />
konradin.de/industrie<br />
media.industrie.de
Fachbeitrag<br />
Grafik: IGR e.V.<br />
Mehr Bewegung im Berufsalltag - <strong>Ergonomie</strong>-Coaches wissen, wie´s geht!<br />
Helferinnen und Helfer für mehr Gesundheit<br />
Wie arbeitet ein <strong>Ergonomie</strong>-<br />
Coach?<br />
<strong>Ergonomie</strong>-Coaches sind gut für die Gesundheit, Helfer im Alltag, gut gegen Schmerzen und<br />
Gesundheitsschäden. Sie können die Arbeit leichter machen, vermeiden Fehltage und helfen<br />
die Arbeitsfähigkeit zu erhalten, was in einer immer älter werdenden Gesellschaft besonders<br />
wichtig ist. Kurz gesagt: <strong>Ergonomie</strong> ist ihr Thema.<br />
Foto: IGR e.V.<br />
Autor: Christian Brunner<br />
Institut für Gesundheit und <strong>Ergonomie</strong> e.V.<br />
(IGR)<br />
Was einen ergonomischen Arbeitsplatz<br />
ausmacht, können sich viele<br />
ganz gut vorstellen. Doch wie arbeiten<br />
nun solche <strong>Ergonomie</strong>-Coaches? (Und bevor<br />
jemand irritiert ist: <strong>Ergonomie</strong>-Coach<br />
sein, ist keineswegs nur Männersache,<br />
ergibt allerdings sprachlich entspanntere<br />
Formulierungen.) Am Anfang des „Wie“<br />
steht sinnvollerweise zunächst das „Wo“.<br />
Natürlich können <strong>Ergonomie</strong>-Coaches nahezu<br />
alles untersuchen, was allgemein zu<br />
den „Verhältnissen“ und dem „Verhalten“<br />
bei verschiedenen Aktivitäten gehört.<br />
Auch Küchenhändler lassen Beschäftigte<br />
bei der Si-Akademie und dem IGR – Institut<br />
für Gesundheit und <strong>Ergonomie</strong> e.V.<br />
zum Beispiel zum <strong>Ergonomie</strong>-Berater ausbilden.<br />
Für den Händler ist es dann eine<br />
gute Möglichkeit, als Berater und nicht als<br />
der Verkäufer mit seinen Kunden ins<br />
Gespräch zu kommen.<br />
Fertigung und Verwaltung haben<br />
ihre eigene <strong>Ergonomie</strong><br />
Doch <strong>Ergonomie</strong>-Coaches sind natürlich<br />
besonders gefragt, wenn es um den<br />
beruflichen Arbeitsplatz geht, denn es<br />
gibt viele Gründe, die Gesundheit der Beschäftigten<br />
zu erhalten und zu fördern –<br />
nicht zuletzt auch die Fürsorgepflicht des<br />
Arbeitgebers. Dabei ist es sinnvoll, zwischen<br />
Fertigung und Verwaltung zu unterscheiden,<br />
weil bei beiden oft sehr unterschiedliche<br />
Anforderungen gestellt<br />
werden. Deshalb bieten die Si-Akademie<br />
und das IGR Ausbildungen zum <strong>Ergonomie</strong>-Coach<br />
mit diesen unterschiedlichen<br />
Schwerpunkten an.<br />
<strong>Ergonomie</strong>-Coach kann nach einer entsprechenden<br />
Ausbildung die Kollegin<br />
oder der Kollege aus den eigenen Reihen<br />
sein, jedoch auch eine externe Person wie<br />
zum Beispiel ein Mitarbeiter des betreu-<br />
12 <strong>Special</strong> <strong>Ergonomie</strong> <strong>2019</strong>
Fachbeitrag<br />
enden Büromöbelhändlers oder eine Physiotherapeutin<br />
mit dem entsprechendem<br />
Angebot. Das Auftreten ist je nach Hintergrund<br />
unterschiedlich und man sollte sich<br />
der eigenen Rolle bewusst sein, sie deutlich<br />
machen und ausfüllen.<br />
Wissen auf den neuesten Stand<br />
Wann immer es um <strong>Ergonomie</strong> sowie<br />
Regeln und Vorschriften zum Arbeitsplatz<br />
geht, sind <strong>Ergonomie</strong>-Coaches sachkundige<br />
und versierte Ansprechpersonen. Bei<br />
der Einrichtung und Ausstattung des Arbeitsplatzes<br />
wissen sie, was „State of the<br />
Art“ ist. Sie halten ihr Wissen immer auf<br />
dem aktuellen Stand und Neuerungen<br />
und Neuheiten im Blick: Von welchen<br />
Leistungsträgern gibt es finanzielle Beihilfen,<br />
was muss die Hebehilfe leisten<br />
oder welche Möglichkeiten hat man, Geräusche<br />
zu dämpfen? Wichtig ist außerdem<br />
der Blick für Potenziale und Probleme,<br />
also schnell zu sehen, wo „es<br />
klemmt“. Dabei ist nicht nur ein geschultes,<br />
sondern auch ein wachsames Auge<br />
gefragt.<br />
Damit wäre der <strong>Ergonomie</strong>-Teil geklärt,<br />
fehlt also der Coach oder eben die<br />
„Coachin“, deren Tätigkeit im Kern eine<br />
gelungene und möglichst nachhaltige<br />
Kommunikation ist. Dies setzt selbstverständlich<br />
voraus, dass die Adressaten des<br />
Coachings auf die bestmögliche Art angesprochen<br />
und erreicht werden.<br />
Coaching mit Schmunzeleffekt<br />
Ganz verkehrt ist immer der erhobene<br />
Zeigefinger. Es geht nicht darum zu<br />
belehren und zu ermahnen, sondern zu<br />
erklären und zu ermuntern. Jede gute<br />
Lehrperson weiß das. Das IGR sieht einen<br />
gewissen Unterhaltungswert als ganz<br />
wichtigen Punkt und hat sich deshalb<br />
schon vor etlichen Jahren den Begriff<br />
„Ergotainment“ schützen lassen. Keiner<br />
solle sagen, dass es beim Thema <strong>Ergonomie</strong><br />
nichts zu lachen gibt. Eine geschickte<br />
Auswahl und Gestaltung von Skizzen,<br />
Abbildungen oder Cartoons sorgt schnell<br />
für das ein oder andere Schmunzeln.<br />
Wichtig ist es, dass möglichst alles<br />
erlebbar und nachvollziehbar ist. Soll<br />
zum Beispiel eine Arbeitsposition korrigiert<br />
werden, ist es am besten, der Person<br />
einen „Spiegel vorzuhalten“. Früher hätte<br />
ein Coach sicher damit punkten können,<br />
wenn er mit einem größeren Spiegel<br />
angekommen wäre. Heutzutage ist ein<br />
Smartphone die einfachste Lösung. Eine<br />
Aufnahme ist schnell gemacht und die<br />
oder der Betroffene kann sofort aus dem<br />
geeignetsten Blickwinkel sehen, was<br />
Sache ist. Am entspanntesten ist die<br />
Situation, wenn der Coach sich dafür<br />
direkt das Smartphone der betroffenen<br />
Person ausleiht.<br />
Wenn es um eine Didaktik der <strong>Ergonomie</strong><br />
geht, hat die Visualisierung eine ganz<br />
herausragende Bedeutung. So werden die<br />
Inhalte einprägsam vor Augen geführt<br />
und man sieht sofort, worauf es ankommt.<br />
Gut ist es daher auch, wenn Coaches<br />
Erklärtes direkt vormachen können. Lässt<br />
man das Publikum agieren, ist es noch<br />
besser.<br />
Werbung ist wichtig<br />
Last but not least gibt es noch ein weiteres<br />
wichtiges Aufgabenfeld: Coaches<br />
müssen dafür sorgen, dass sie mit ihrer<br />
Arbeit wahrgenommen werden. PR in<br />
eigener Sache ist enorm wichtig. Im Intranet<br />
oder in der Hauszeitschrift können<br />
Coaches regelmäßig Artikel veröffent -<br />
lichen oder hilfreiche Tipps zum ergonomischen<br />
Arbeiten geben. Schon ein gut<br />
gemachter Aushang am Schwarzen Brett<br />
trägt zur Aufmerksamkeit bei. Wer selbst<br />
auf einer Schulung war, kann wahrscheinlich<br />
Interessantes berichten. Auch<br />
bei der Organisation von Gesundheitstagen<br />
sind Coaches selbstverständlich dabei<br />
und nutzen diese Plattform. So wird wieder<br />
einmal mehr deutlich, dass <strong>Ergonomie</strong><br />
immer ein Thema ist.<br />
<strong>2019</strong> <strong>Special</strong> <strong>Ergonomie</strong> 13
Fachbeitrag<br />
Foto: © ok-foto – stock.adobe.com<br />
<strong>Ergonomie</strong><br />
Im Zeichen des digitalen und<br />
demographischen Wandels<br />
Die rapiden Veränderungen hin zu einer Arbeitswelt 4.0 prägen die Praxis der <strong>Ergonomie</strong> und<br />
Arbeitsgestaltung. Durch die vernetzte und intelligente Digitalisierung (geäußert zum Beispiel<br />
in der „Industrie 4.0“) entstehen zahlreiche Wege zur Neugestaltung von Arbeit und damit auch<br />
Potenziale für die <strong>Ergonomie</strong>.<br />
Foto: ifaa<br />
Autor: Prof. Dr.-Ing. habil. Sascha Stowasser<br />
Institut für angewandte Arbeitswissenschaft<br />
(ifaa)<br />
Die Arbeitswelt der Zukunft ist gekennzeichnet<br />
durch Flexibilisierung, Vernetzung<br />
und Individualisierung der Arbeit.<br />
Resultierend daraus entwickeln sich vielfältige<br />
Gestaltungsoptionen von mobilen, vernetzten<br />
und alternsgerechten Arbeitssystemen.<br />
Darauf muss die Disziplin der <strong>Ergonomie</strong><br />
eine Antwort finden.<br />
Zukunftstrends der Arbeitswelt<br />
Als vornehmliche Gestaltungsparadigmen<br />
der Arbeitswelt der Zukunft stellen<br />
sich die Folgenden heraus (Stowasser<br />
2018, S. 121):<br />
■<br />
■<br />
Die zukünftige Arbeitswelt basiert auf<br />
der immer kraftvoller werdenden<br />
Flexibilisierung, Vernetzung und Individualisierung<br />
der Arbeit. Dimensionen<br />
der Flexibilisierung sind Arbeitsort,<br />
Arbeitszeit und Arbeitsstrukturen.<br />
Resultierend daraus entwickeln sich<br />
vielfältige Szenarien von mobilen und<br />
vernetzten Arbeitssystemen.<br />
Durch die vernetzte Digitalisierung entstehen<br />
zahlreiche Wege zur Neugestaltung<br />
von Arbeit und damit auch<br />
Potenziale für die <strong>Ergonomie</strong>. Informationsorientierte<br />
Assistenzsysteme, techni-<br />
14 <strong>Special</strong> <strong>Ergonomie</strong> <strong>2019</strong>
Fachbeitrag<br />
sche Unterstützungsmöglichkeiten und<br />
weitere Automatisierungsmechanismen<br />
werden die Arbeit der Zukunft prägen.<br />
Dies betrifft alle sowohl Produktions- als<br />
auch Wissensarbeit.<br />
■ Die Bedürfnisse, auf den demogra -<br />
fischen Wandel zu reagieren (das heißt<br />
Nachwuchskräfte zu gewinnen sowie<br />
Leistungsfähigkeit einer alternden Belegschaft<br />
zu gewährleisten) drängen<br />
die Mitarbeiterorientierung immer<br />
weiter in den Vordergrund. Verändern<br />
werden sich auch die qualitativen und<br />
quantitativen Anforderungen an Personalentwicklung<br />
und Qualifikation der<br />
Beschäftigten.<br />
75 Prozent aller Arbeitssysteme<br />
verändern sich<br />
Mit Sicherheit wird die vernetzte und<br />
intelligente Digitalisierung relevante<br />
Auswirkungen auf die Arbeitsinhalte, die<br />
Arbeitsaufgaben, die Arbeitsprozesse<br />
und Umgebungsbedingungen haben. Die<br />
Gestaltung innovativer Arbeitssysteme<br />
nimmt erheblich an Dynamik und Bedeutung<br />
zu. In verschiedenen Unternehmensprojekten<br />
und Studien des Instituts<br />
für angewandte Arbeitswissenschaft<br />
(ifaa) zeichnet sich ab, dass sich mindestens<br />
75 Prozent der bestehenden Arbeitssysteme<br />
verändern.<br />
Verschiedene Technologien können<br />
vielseitig eingesetzt werden. Damit geht<br />
nicht nur die Möglichkeit zur Verbesserung<br />
von Prozessen hinsichtlich Qualität,<br />
Durchlaufzeit und Produktionskosten einher,<br />
sondern insbesondere auch zur physischen<br />
und kognitiven Entlastung der Beschäftigten.<br />
Ein Beispiel für physische<br />
Entlastung kann der Einsatz kollaborierender<br />
Roboter sein, um Bauteile zusammen<br />
mit dem Menschen in Vorrichtungen<br />
einzupassen, oder es können Exoskelette<br />
beim Heben von Behältern im Lager<br />
verwendet werden. Um den Menschen<br />
kognitiv bei informatorischer Arbeit zu<br />
unterstützen, können bedarfsgerechte<br />
Informationen mittels Tablets oder Datenbrillen<br />
an Arbeitsplätzen bereitgestellt<br />
werden, die auf konkrete Arbeitsaufgaben<br />
und die Qualifikation des jeweiligen Mitarbeiters<br />
abgestimmt sind.<br />
Herausforderungen bei der Umsetzung<br />
von <strong>Ergonomie</strong>-Lösungen<br />
In Unternehmen, in denen Veränderungen<br />
und der Einsatz innovativer Technologien<br />
derart schnell und beispiellos<br />
vorgenommen werden, sind <strong>Ergonomie</strong>-<br />
Abb. 1: Erfahrungen mit <strong>Ergonomie</strong> in der Praxis; Quelle: ifaa 2018<br />
Lösungen notwendig, die den Stand der<br />
Arbeitswissenschaft abbilden. Und nun<br />
wird offensichtlich:<br />
■ Noch gibt es Unternehmen ohne systematische<br />
und ganzheitliche Berücksichtigung<br />
ergonomischer Prinzipien.<br />
■ Die Beseitigung von gesundheitsschädigenden<br />
Abläufen und Belastungen<br />
ist eine essentielle unternehmerische<br />
Aufgabe, gerade unter dem Aspekt<br />
älter werdender Belegschaften. Ein unüberlegter<br />
Aktionismus ist jedoch nicht<br />
sinnvoll. Unternehmen müssen sehr<br />
genau analysieren, welche ergonomischen<br />
Maßnahme sie brauchen. Eine<br />
<strong>Ergonomie</strong>-Analyse gibt Aufschluss<br />
darüber, wo sich das Unternehmen<br />
konkret ergonomisch verbessern kann.<br />
Die Analyse der ergonomischen Situation<br />
ist somit Ausgangspunkt der Verbesserung<br />
aller Arbeitsplätze. Empfehlenswert<br />
sind standardisierte Prozesse<br />
wie sie zum Beispiel in der aktuellen<br />
Fassung der <strong>Ergonomie</strong>-Norm DIN EN<br />
ISO 6385 beschrieben sind.<br />
■ Der arbeitswissenschaftliche Erkenntnisstand<br />
ist unbedingt auszubauen.<br />
Tatsächlich fehlen umfassende konkrete<br />
Aussagen zum Einsatz neuer Technologien<br />
(zum Beispiel empfohlene<br />
Tragedauer von Daten- und VR-Brillen,<br />
Kraftgrenze aktiver Exoskelette, ergo-<br />
Grafik: ifaa<br />
nomische Informationsbereitstellung<br />
mit Smartwatches). Als Herausforderung<br />
für die Arbeitsforschung stellt<br />
sich schon heute heraus, dass die<br />
Rasanz der Technikentwicklung die<br />
Geschwindigkeit der Forschung und<br />
Normung überholt.<br />
In der Praxis zeigt sich, dass dort, wo<br />
<strong>Ergonomie</strong> eine wichtige Rolle spielt, der<br />
Weg in die Arbeitswelt der Zukunft glücken<br />
kann (vgl. Praxisberichte in Abb. 1).<br />
Quellen<br />
■ DIN EN ISO 6385–2016: Grundsätze der <strong>Ergonomie</strong><br />
für die Gestaltung von Arbeitssystemen<br />
(ISO 6385:2016); Deutsche Fassung EN ISO<br />
6385:2016.<br />
■ ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft<br />
(Hrsg.): Digitalisierung & Industrie<br />
4.0 – Good-Practice-Ansätze zur erfolgreichen<br />
Umsetzung. Düsseldorf, 2018.<br />
■ Stowasser, Sascha (2018): Arbeitswelt der Zukunft.<br />
In: Personal und Recht, 6/2018, S. 121.<br />
<strong>2019</strong> <strong>Special</strong> <strong>Ergonomie</strong> 15
Fachbeitrag<br />
Foto: MAN Truck & Bus SE<br />
Betriebliches Gesundheitsmanagement<br />
<strong>Ergonomie</strong> als wichtiger Baustein der<br />
Betrieblichen Gesundheitsförderung<br />
Abteilungsübergreifende Vernetzung im Arbeits- und<br />
Steuerkreis Gesundheit<br />
Die Gesundheit der Beschäftigten stellt die Grundlage für Leistungsfähigkeit und Erfolg sowie<br />
der langfristigen Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens dar. Aus diesem Grund<br />
stellt sich die MAN Truck & Bus den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen:<br />
Neben dem demografischen Wandel, steigender Verantwortung, zunehmender Komplexität,<br />
steht auch die physische und psychische Gesundheit der Beschäftigten im Fokus.<br />
Foto: MAN Truck & Bus SE<br />
Sarah Müller<br />
Projektkoordination<br />
Arbeitskreis Gesundheit,<br />
MAN Truck & Bus SE<br />
Foto: MAN Truck & Bus SE<br />
Autoren:<br />
Robert F. J.<br />
Rupertseder<br />
Fachkraft für<br />
Arbeitssicherheit,<br />
MAN Truck & Bus SE<br />
Um die Herausforderungen zu überwinden<br />
und die Gesundheit der Mitarbeiter<br />
zu stärken, zu fördern und weiter<br />
voranzubringen, arbeiten bei der MAN<br />
Truck & Bus verschiedenen interne und<br />
externe Stakeholder zusammen. Zusätzlich<br />
zum Fehlzeitenmanagement sind die<br />
Gesundheitsförderung und Prävention<br />
unverzichtbare Bausteine im Rahmen der<br />
abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit.<br />
Hierbei spielt die Verhaltens- und<br />
Verhältnisprävention eine zentrale Rolle.<br />
Daher sollte das Thema Gesundheit im<br />
gesamtbetrieblichen Kontext betrachtet<br />
werden.<br />
Integriertes BGM<br />
Bei MAN Truck & Bus hat sich für<br />
die interdisziplinäre Zusammenarbeit im<br />
Gesundheitsbereich die Formulierung<br />
integriertes betriebliches Gesundheitsmanagement<br />
(iBGM) etabliert. Das iBGM<br />
vernetzt alle relevanten Akteure im Unternehmen,<br />
um systematisch die Gesundheit<br />
und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter zu<br />
fördern, zu erhalten und wiederherzustel-<br />
len. Dieses interne Netzwerk besteht aus<br />
Gesundheitsdienst, Betriebsrat, Arbeits -<br />
sicherheit, Personal, Ausbildung, Führungskräfte<br />
und den Mitarbeitern selbst.<br />
Die unterschiedlichen Projekte und<br />
Fokusthemen werden im Arbeitskreis<br />
Gesundheit erarbeitet und durch die Teilnehmer<br />
im Steuerkreis entschieden.<br />
<strong>Ergonomie</strong> stellt eine wichtige Komponente<br />
in der Betrieblichen Gesundheitsförderung<br />
dar. Ergonomische Verhältnisse<br />
und ergonomisches Verhalten steigern<br />
nicht nur die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft<br />
der Beschäftigten in der<br />
Produktion, sondern auch an Bildschirmarbeitsplätzen.<br />
Doch wie kann die Optimierung<br />
der <strong>Ergonomie</strong> auch in der<br />
Verwaltung nachhaltig umgesetzt werden?<br />
Die MAN Truck & Bus am Standort<br />
München hat dazu ein Projekt „Gesund &<br />
Sicher im Büro“ ins Leben gerufen.<br />
16 <strong>Special</strong> <strong>Ergonomie</strong> <strong>2019</strong>
Fachbeitrag<br />
Grafik: MAN Truck & Bus SE/Arbeitssicherheit, IGR e.V.<br />
Ein Beispiel für Verhaltensprävention: Ein zusammen -<br />
faltbarer Würfel gibt MAN-Mitarbeitern Tipps zu<br />
gesundem Verhalten am Arbeitsplatz.<br />
<strong>Ergonomie</strong>-Coaches bringen<br />
Bewegung ins Büro<br />
Unter der Leitung der Abteilung<br />
Arbeits sicherheit wurde eine Veranstaltungsreihe<br />
konzipiert, die innerhalb von<br />
zweieinhalb Jahren schon 1000 Mitarbeiter<br />
mit über 120 Veranstaltungen erreicht<br />
hat. In die Konzipierung der Veranstaltungen<br />
wurden der Gesundheitsdienst<br />
und Physiotherapeuten einbezogen. Federführend<br />
agierte der Projektleiter, ein<br />
beim Institut für Gesundheit und <strong>Ergonomie</strong><br />
e.V. (IGR) zertifizierter <strong>Ergonomie</strong>-<br />
Coach. Ziel dieses Projekts ist es, bis zu 60<br />
<strong>Ergonomie</strong>-Coaches auszubilden, welche<br />
als Ansprechpersonen für circa 6000 Mitarbeiter<br />
an Bildschirmarbeitsplätzen zur<br />
Verfügung stehen sollen. Die Coaches sollen<br />
die Mitarbeiter unterstützen ihren Arbeitsplatz<br />
ergonomisch einzustellen. Die<br />
individuelle Beratung und Hilfestellung<br />
durch die Coaches ist ebenso wichtig wie<br />
die Umgestaltung von Büroräumen, die<br />
zum Beispiel zur Beseitigung von Lärmquellen<br />
führt. Der wichtigste Punkt ist jedoch,<br />
mehr Bewegung im Arbeitsalltag zu<br />
integrieren. Dies reduziert die physischen<br />
und damit auch psychischen<br />
Stressfaktoren.<br />
Sensibilisierung per<br />
„Gesundheitsinsel“<br />
Als weiteres Best Practice-Beispiel im<br />
Bereich des iBGM ist die Kommunikations-<br />
Gesund & Sicher im Büro, Workshop direkt vor Ort<br />
und Austauschplattform „Gesundheitsinsel“<br />
zu nennen. Die Gesundheitsinsel ist<br />
ein Vier-Zonen-Modell, bei dem Gesundheitsdienst,<br />
Personalreferent und Arbeitssicherheit<br />
interaktive Kurzvorträge halten.<br />
Danach haben die Beschäftigten ausreichend<br />
Zeit, um sich mit dem Fachpersonal<br />
über individuelle Fragen auszutauschen.<br />
Die Themen der Vorträge reichen von Leistungen<br />
des Gesundheitsdienstes, Stressmanagement,<br />
<strong>Ergonomie</strong>, Gehörschutz<br />
oder orthopädisch angepassten Sicherheitsschuhen<br />
bis hin zu betrieb licher<br />
Altersvorsorge oder Wiedereingliederung.<br />
Ausgangslage für das Projekt war der unzureichende<br />
Zugang der Produktionsmitarbeiter<br />
zum Intranet und somit die<br />
eingeschränkte Informationsgewinnung<br />
über Gesundheitsangebote. Ziel ist es, das<br />
Thema Gesundheit direkt zu den Mitarbeitern<br />
vor Ort in die Produktionshallen<br />
zu bringen, sie dafür zu sensibilisieren<br />
und ihre persönliche Gesundheitskompetenz<br />
zu stärken.<br />
Foto: MAN Truck & Bus SE/Arbeitssicherheit<br />
<strong>2019</strong> <strong>Special</strong> <strong>Ergonomie</strong> 17
Si-Akademie<br />
Foto: © Gorodenkoff – Fotolia<br />
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3. Tag der PSA<br />
Foto: Konradin<br />
Mediengruppe<br />
Zum dritten Mal findet am 18. März 2020 der „Tag der PSA“ statt: Die Veranstaltung, die alle<br />
zwei Jahre von den beiden Fachzeitschriften „<strong>Sicherheitsingenieur</strong>“ und „Sicherheitsbeauftragter“<br />
in Zusammenarbeit mit der Si-Akademie ausgerichtet wird, bietet wieder ein abwechslungsreiches<br />
Programm rund um Persönliche Schutzausrüstungen (PSA).<br />
Sieben Referenten gehen im Dorint<br />
Kongresshotel Mannheim an den<br />
Start. Zu den ausgewählten Themenfeldern<br />
gehören unter anderem Neuigkeiten<br />
und Innovationen aus dem Fußschutz sowie<br />
dem Haut- und Handschutz. Auch<br />
Persönliche Schutzausrüstung gegen die<br />
thermischen Auswirkungen eines Störlichtbogens<br />
(PSAgS) steht auf der Agenda.<br />
Darüber hinaus gibt es Praxisvorträge,<br />
in denen es um die Auswahl und den Einsatz<br />
von PSA in Unternehmen geht:<br />
Ziel ist es, den Teilnehmern neue Impulse<br />
zu geben, wie Beschäftigte für das<br />
Tragen von PSA und sicheres Verhalten<br />
am Arbeitsplatz motiviert werden können.<br />
Durch einen Vortrag der Bayer AG<br />
wird auch die internationale Perspektive<br />
eines global tätigen Großkonzerns behandelt.<br />
Ein weiterer Praxisbeitrag gibt konkrete<br />
Tipps für den betrieblichen Alltag<br />
„von Sifas für Sifas“.<br />
Rechtliche Aspekte zum Themenfeld<br />
PSA werden bei der Veranstaltung ebenfalls<br />
betrachtet. Die Referenten werfen<br />
zudem einen Blick auf den Bereich der<br />
„smarten PSA“. Die Kongressveranstaltung<br />
richtet sich an <strong>Sicherheitsingenieur</strong>e,<br />
Fachkräfte für Arbeitssicherheit und<br />
Sicherheitsbeauftragte sowie Unternehmer<br />
und Führungskräfte.<br />
Die reguläre Teilnehmergebühr für den<br />
„3. Tag der PSA“ beträgt 395,00 Euro zzgl.<br />
Mwst. (inkl. Verpflegung).<br />
Bis zum 30.08.<strong>2019</strong> besteht die<br />
Möglichkeit, sich zum Frühbucherrabatt<br />
von 345,00 Euro zzgl. MwSt. anzumelden.<br />
Eine Online-Anmeldung ist bereits unter<br />
www.tag-der-psa.de<br />
möglich. Hier sind auch in Kürze weitere<br />
Informationen zu den Vorträgen abrufbar.<br />
Unsere Referenten beim „3. Tag der PSA“<br />
■ Professor Frank Werner, Leiter des Fachbereichs Persönliche Schutz -<br />
ausrüstungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und<br />
stellv. Leiter des Fachbereichs Bauwesen der BG BAU<br />
■ Andreas Vogt, Leiter des Sachgebiets Fußschutz im Fachbereich PSA der<br />
DGUV<br />
■ Dr. Thomas Jordan, Leiter Forschung & Entwicklung, BSD Bildungs- und<br />
Servicezentrum GmbH<br />
■ Dr. Andreas Wittmann, Leitende Sicherheitsfachkraft, Gedore GmbH<br />
■ Thorsten Uhle, Arbeits- & Organisationspsychologe, Bayer AG<br />
■ Professor Dr. Arno Weber, Professor für Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />
an der Hochschule Furtwangen und freiberufliche Fachkraft für Arbeits -<br />
sicherheit<br />
■ Dr. Michael Neupert, Rechtsanwalt, Kümmerlein Rechtsanwälte & Notare<br />
18 <strong>Special</strong> <strong>Ergonomie</strong> <strong>2019</strong>
Veranstalter:<br />
Praxiskongress<br />
Recht<br />
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Foto: © zolnierek, fotolia.com<br />
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2. Praxiskongress<br />
Recht<br />
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