Mimi will's wissen
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Neue Osnabrücker Zeitung Ausgabe West<br />
Ausgabe vom 11. Juni 2011<br />
Seite 9<br />
Ressort Osnabrücker Land<br />
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29.06.2011
<strong>Mimi</strong> will’s <strong>wissen</strong><br />
Wenn ein behindertes Mädchen mit seinen Freundinnen zur Grundschule<br />
gehen möchte<br />
Lebenslustig: Michelle (<strong>Mimi</strong>) Schön. Foto: Elke Weeke<br />
Bippen. <strong>Mimi</strong> ist ein selbstbewusstes Mädchen. Wer die Sechsjährige fragt, welche Schule<br />
sie im August besuchen möchte, den strahlt sie an: „Meine Schule in Bippen natürlich.“ Aber<br />
ganz so einfach ist das nicht. Nicht für <strong>Mimi</strong>. Sie ist behindert. Deshalb haben sich viele<br />
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Menschen für sie engagiert, damit eine Integrationsklasse für das kesse Mädchen eingerichtet<br />
wird. Wie es aussieht, klappt das. „Alles wird gut“, sagt die Spreche rin der<br />
Landesschulbehörde, Susanne Strätz, auf Nachfrage unserer Zeitung.<br />
Michelle Schön – so heißt <strong>Mimi</strong> richtig – hat schon einiges im Leben durchgemacht: Wegen<br />
eines Gen-Defektes konnte sie sich motorisch nicht so schnell entwickeln wie ihre<br />
Altersgenossen. Auch mit ihrem Immunsystem hatte sie Probleme. <strong>Mimi</strong> musste viele<br />
Infekte aushalten und überstehen.<br />
Seit Dezember 2005 lebt <strong>Mimi</strong> bei ihrer Pflegefamilie in Bippen. Wie positiv sie sich<br />
entwickelt habe und wie schnell sie im Vergleich zu ihren Altersgenossen aufhole, sei<br />
verblüffend, sagen die Pflegeeltern Elke und Eckard Weeke. Sie sind – ebenso wie die<br />
leiblichen Eltern Tanja und Bernhard Schön – begeistert von ihrer <strong>Mimi</strong>. Alle zusammen<br />
wünschen sich nichts sehnlicher, als dass die Sechsjährige die Chance bekommt, mit den<br />
anderen Vorschulkindern „ganz normal“ zur Grundschule zu gehen. Wohnortnah. Integriert.<br />
Gut aufgehoben.<br />
Samtgemeinde hilft<br />
Auch der evangelisch-lutherische Kindergarten in Bippen ist stolz auf <strong>Mimi</strong>. Die<br />
Erzieherinnen haben das Mädchen in ihr Herz geschlossen. „<strong>Mimi</strong> ist bei uns voll<br />
integriert“, sagt Leiterin Jutta Stricker. Das bedeute auch, dass sie regelmäßig mit den<br />
anderen Vorschulkindern die Grundschule besuche, um sich auf den Lernalltag<br />
vorzubereiten. Auch deshalb sei es gut, wenn sie dort eingeschult werde.<br />
Das sehen auch der Schulvorstand und der Schulelternrat so. Die beiden Gremien haben sich<br />
deshalb für die Einrichtung einer Integrationsklasse ausgesprochen. Rückendeckung und<br />
aktive Hilfe hat <strong>Mimi</strong> auch von der Samtgemeinde Fürstenau bekommen. „Die<br />
Rahmenbedingungen sind ideal“, betont Samtgemeindebürgermeister Peter Selter.<br />
Dass <strong>Mimi</strong> nun nach den Ferien die Maiburg-Grundschule in einer Integrationsklasse<br />
besuchen kann, geschieht derzeit auf der Grundlage eines Erlasses zur sonderpädagogischen<br />
Förderung. Sie sei in den vergangenen Jahren „planvoll ausgeweitet“ worden, wie Roman<br />
Haase, Sprecher beim Kultusministerium, betont. Mehr als jede dritte Grundschule in<br />
Niedersachsen sei inzwischen mit einer sonderpädagogischen Grundversorgung ausgestattet.<br />
In zehn Jahren sei die Zahl der beteiligten Klassen damit mehr als verzehnfacht worden.<br />
Über diesen Aktivitäten schwebt aber das Thema „Inklusion“ oder „Einbettung“. Dieser<br />
Fachbegriff steht für eine grundlegende Neuausrichtung der Arbeit an Schulen. Danach<br />
sollen Kinder nicht mehr „ausgesondert“ werden, sondern unabhängig von ihren Fähigkeiten<br />
oder Beeinträchtigungen gemeinsam zur Schule gehen. Hintergrund ist wiederum eine UN-<br />
Konvention vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.<br />
Sie ist in Niedersachsen allerdings noch nicht umgesetzt. Dazu erklärt das<br />
Kultusministerium: „Beim wichtigen Thema Inklusion an unseren Schulen gilt für uns der<br />
Grundsatz ‚Sorgfalt vor Eile‘.“ Die Umsetzung der UN-Konvention sei eine<br />
gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Eine Schulgesetzänderung sei geplant. Das Land<br />
nutze das Jahr 2011 zur Vorbereitung. Unter anderem würden in Niedersachsen 2011 in<br />
einem ersten Schritt mehr als 1500 Lehrkräfte fortgebildet – ebenso viele sollten es 2012<br />
und 2013 sein. Überdies werde mit der Ausweitung der sonderpädagogischen Förderung<br />
bereits im Sinne der UN-Konvention gehandelt, so das Kultusministerium.<br />
„Alles wird gut“<br />
<strong>Mimi</strong> ist das egal. Haupt sache, sie kann mit ihren Freundinnen Rechnen und Schreiben<br />
lernen. Und genau das will die Landesschulbehörde ihr nun nach vielen Gesprächen<br />
zwischen Pflege eltern, Schulträger und Ämtern ermöglichen. „Alles wird gut.“ Hinter<br />
diesem Satz von Susanne Strätz, der für <strong>Mimi</strong> Gold wert sein könnte, steckt aber eine<br />
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Menge vorbereitender Arbeit. Mit der „Verfügung“ selbst, die nur noch „ein formaler Akt“<br />
sei, wie Susanne Strätz sagt, ist es nicht getan. In den nächsten Monaten wird es darum<br />
gehen, die Integrationsklasse einzurichten. Dafür müssen die Verantwortlichen die<br />
personellen, sächlichen und räumlichen Bedingungen schaffen. Die Ermittlung des<br />
„sonderpädagogischen Förderbedarfes“ – das ist ein weiteres Verfahren neben der<br />
Einrichtung der Integrationsklasse – ist schon abgeschlossen. Das Fazit dieser<br />
Untersuchung: Aufgrund ihres Gendefektes wäre es für <strong>Mimi</strong> gut, wenn sie sich in ihrer<br />
gewohnten Umgebung weiterentwickeln könnte – also in Bippen zur Grundschule gehe.<br />
Elke Weeke ist erleichtert: „Ich möchte einfach nur, dass <strong>Mimi</strong> so normal wie möglich<br />
aufwächst und später weitgehend selbstbestimmt leben kann.“ Und dann gibt sie allen<br />
Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung noch Grundsätzliches mit auf den Weg:<br />
„Man muss niemanden integrieren, wenn man ihn gar nicht erst ausstößt.“ Ein<br />
nachdenkenswerter Satz. Inklusion pur.<br />
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