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Hausgeschichten aus dem Zelgli - Stadtmuseum Schlössli Aarau

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<strong>H<strong>aus</strong>geschichten</strong><br />

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<strong>aus</strong> <strong>dem</strong><br />

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<strong>Zelgli</strong><br />

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Ihre Geschichten sind uns nicht egal – wir sammeln sie.<br />

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<strong>Stadtmuseum</strong> <strong>Schlössli</strong> <strong>Aarau</strong><br />

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5<br />

10<br />

Die Nummern verweisen<br />

auf die Reihenfolge der<br />

Geschichten. Sie führen in<br />

einem Rundgang durchs<br />

<strong>Zelgli</strong>-Quartier.<br />

2 <strong>Stadtmuseum</strong> <strong>Schlössli</strong> <strong>Aarau</strong><br />

4<br />

6<br />

7<br />

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3<br />

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8<br />

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14<br />

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16<br />

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15<br />

20<br />

19<br />

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Häuser sind spannende Schauplätze. Die mächtige Tanne im Garten,<br />

die geblümten Kacheln oder der nie realisierte Wintergarten bergen<br />

Geschichten. Das <strong>Stadtmuseum</strong> <strong>Schlössli</strong> <strong>Aarau</strong> hat die Quartier-<br />

bewohnerinnen und -bewohner im <strong>Zelgli</strong> aufgerufen, die Geschichte<br />

ihres H<strong>aus</strong>es und der Menschen zu erzählen, die darin wohnen und<br />

gewohnt haben. Das vorliegende Heft versammelt gut 20 <strong>H<strong>aus</strong>geschichten</strong>,<br />

die Sie auf einem abwechslungsreichen Entdeckungsrundgang<br />

durchs Quartier führen.<br />

Als Museum sind uns Ihre Geschichten wichtig, sie sind ein Stück Stadt-<br />

geschichte und Heimat. Die gesammelten <strong>H<strong>aus</strong>geschichten</strong> <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> <strong>Zelgli</strong><br />

werden auch im Rahmen der Ausstellung «Ihre Geschichten sind uns<br />

nicht egal» im <strong>Stadtmuseum</strong> zu lesen sein.<br />

1 – Schanzmättelistrasse 37 – Ueli Halder, Inge und Markus Meier<br />

2 – Schanzmättelistrasse 32 – Beat Hodler<br />

3 – Schanzmättelistrasse 15 – Karin Ammann<br />

4 – Oberholzstrasse 21 – Jakob Urech und Anita Zihlmann<br />

5 – Oberholzstrasse 30 – Herman Schmidt<br />

6 – Rütliweg 12 – Anna Gasser-Teppati<br />

7 – Rütliweg 2 – Susanne Grendelmeier-Hoffmann<br />

8 – <strong>Zelgli</strong>strasse 39 – Gisela Keller-Becke<br />

9 – Fröhlichstrasse 4 – Thomas und Sylvia Pfisterer<br />

10 – <strong>Zelgli</strong>hof, <strong>Zelgli</strong>strasse 76 – Elsbeth Gruber-Lüscher<br />

11 – Landh<strong>aus</strong>weg 57 – Anita Davis-Kaufmann<br />

12 – Signalstrasse 26 – Bettina Becker<br />

13 – Bergstrasse/Wasserfluhweg/Zurlindenstrasse – Hans Trüb<br />

14 – Tannerstrasse 47 – Sibylle Reimann-Hämmerli<br />

15 – Liebeggerweg 12 – Verena Knell<br />

16 – Tannerstrasse 21 – Charlotte Perry<br />

17 – Tannerstrasse 19 – Alfons Ruckstuhl<br />

18 – Hohlgasse 70 – Adolf Fäs<br />

19 – Fliederweg 8 – Margrit Michel<br />

20 – Hohlgasse 38 – Hans Schenker<br />

21 – Renggerstrasse 60 – Julie Landis<br />

Her<strong>aus</strong>geber: <strong>Stadtmuseum</strong> <strong>Schlössli</strong>, <strong>Aarau</strong> 2009<br />

Idee, Konzept: <strong>Stadtmuseum</strong> Schlössi in Zusammenarbeit<br />

mit fischteich, <strong>Aarau</strong><br />

Gestaltung: Marc Siegenthaler, Bern<br />

<strong>H<strong>aus</strong>geschichten</strong> <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> <strong>Zelgli</strong> 3


4 <strong>Stadtmuseum</strong> <strong>Schlössli</strong> <strong>Aarau</strong><br />

1. Schanzmättelistrasse 37<br />

Zwei Geschichten zum gleichen H<strong>aus</strong> spannen den Faden von den 1940er-Jahren bis heute.<br />

Dabei tauchen unter mysteriösen Umständen im Kamin verschwundene Bügeleisen wieder auf,<br />

während das H<strong>aus</strong> andere Geheimnisse bis heute nicht preisgibt.<br />

Ueli Halder — Das ist mein Elternh<strong>aus</strong>, in <strong>dem</strong> ich 18<br />

meiner schönsten (Jugend-)Jahre verbracht habe. Erbaut<br />

wurde das gutbürgerliche, fast schon herrschaftliche<br />

H<strong>aus</strong> 1910 von Kantonsgeometer Meister. Dieser baute<br />

sich 40 Jahre später ein kleineres Heim auf <strong>dem</strong> Nachbargrundstück,<br />

wo er noch viele Jahre mit Frau, Tochter<br />

Heidi, Bienenvölkern und Hühnern h<strong>aus</strong>te. Deren Mist<br />

verhalf uns übrigens zu besonders üppigen Rhabarberstauden.<br />

Das H<strong>aus</strong> Nr. 37 kostete 1948 110’000 Franken –<br />

damals viel Geld für unsere Eltern (Nold und Anni Halder,<br />

Staatsarchivar und Kantonsbibliothekar), aber dafür<br />

gab’s auch viel H<strong>aus</strong>: 10 Zimmer, einschliesslich Speisekammer,<br />

‚Kastenzimmer’ und Nähzimmer mit extra<br />

grossen Fenstern; eine grosse Stube mit Schiefertisch,<br />

eingebautem Buffet und grünem Kachelofen, an <strong>dem</strong><br />

meine Mutter strickte und dabei ihren Thomas Mann<br />

las; einen Salon (im Halder’schen Jargon: «s’änder<br />

Stübli») mit Polstergruppe, Klavier und einem unpraktischen<br />

Cheminée <strong>aus</strong> Marmor; ein imposantes Treppenh<strong>aus</strong>,<br />

in <strong>dem</strong> damals das einzige Telefon des H<strong>aus</strong>es<br />

hing; und lange Korridore, ideal für die Büchergestelle<br />

des H<strong>aus</strong>herrn.<br />

Andere Einrichtungen waren weniger grosszügig:<br />

zwei ungeheizte Klos mit Holzdeckeln und hoch gehängten<br />

Spülkästen; ein einziges enges Badezimmer,<br />

das zu<strong>dem</strong> nur durchs Elternschlafzimmer zugänglich<br />

war; eine kleine, aber gemütliche Kammer für die H<strong>aus</strong>lehrtochter;<br />

ein gemeinsames Zimmer für die Zwillingsbrüder.<br />

Jeder der beiden richtete sich dafür seine private<br />

Ecke in einem der niedrigen Verschläge im verwinkelten<br />

Dachstock ein. Hier studierten sie dann die verbotenen<br />

‚Heftchen’ <strong>aus</strong> der letzten Papiersammlung und<br />

rauchten die ersten Zigaretten <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Bahnhof-Automaten<br />

(3 Stück für 10 Rappen). Als jüngerer Bruder beneidete<br />

ich sie um ihre Geheimstübchen, obwohl ich ja<br />

das Privileg eines eigenen Zimmers genoss. Es lag neben<br />

der Studierstube des Vaters; das vertraute Knarren<br />

seines Bürostuhls begleitete mich jeden Abend in den<br />

Schlaf, nach<strong>dem</strong> er mir die Stechmücken von der Decke<br />

getupft und mit seiner glühenden Zigarre noch einige<br />

wunderschöne Feuerkringel ins Dunkel des Zimmers<br />

gezaubert hatte. Mein Fenster ging auf den Friedhof hin<strong>aus</strong>,<br />

von wo her mich manchmal die unheimlichen<br />

Rufe der Käuzchen unter die Decke kriechen liessen.<br />

Dafür bescherte mir dasselbe Fenster später die ersten<br />

schüchternen Flirtversuche mit den Seminaristinnen, die<br />

gegenüber bei Nachbarin ‚Hämpe’ Hemmeler – der gestrengen<br />

Tanzlehrerin der <strong>Aarau</strong>er Jeunesse dorée – im<br />

oberen Stock logierten.<br />

Wie damals üblich, war der aufwändige H<strong>aus</strong>halt<br />

die Domäne unserer Mutter, den sie zusammen mit jährlich<br />

wechselnden H<strong>aus</strong>lehrtöchern bewältigte. Viel Arbeit,<br />

aber auch viel Freude bot natürlich der riesige Garten<br />

mit seiner Gemüseecke (die Bohnen wurden später<br />

zum Dörren ins Gotthelf-Schulh<strong>aus</strong> gebracht), den Beerenstauden<br />

und üppigen Blumenrabatten (Mutter war<br />

<strong>aus</strong>gebildete Gärtnerin), den Obstspalieren an der H<strong>aus</strong>mauer,<br />

<strong>dem</strong> alten Apfel- und <strong>dem</strong> noch älteren Birnbaum<br />

mit seinen ‚Schwärzibirli’, die vor allem von den<br />

Wespen geschätzt wurden. Die riesige Rasenfläche war<br />

ein Albtraum zum Mähen, aber ein Segen für das sonntägliche<br />

Krocket-Spiel.<br />

Ausserhalb von H<strong>aus</strong> und Garten lockte das <strong>Zelgli</strong><br />

natürlich mit seinen <strong>aus</strong>gedehnten ‚Bündten’ (Schrebergärten;<br />

heute Areal der Neuen Kantonsschule), den nahen<br />

Sportanlagen beim <strong>Zelgli</strong>schulh<strong>aus</strong>, den paar Quartierläden<br />

(<strong>aus</strong> der Bäckerei Emmenegger an der Renggerstrasse<br />

zischte das Brezeleisen und roch es immer so<br />

gut), den ruhigen Quartierstrassen und schliesslich <strong>dem</strong><br />

nahen Oberholz mit <strong>dem</strong> Pfadiheim. Da hinauf gingen<br />

wir lieber als in den heissen Schachen hinunter zu den<br />

blöden Kadettenübungen…<br />

Meine verwitwete Mutter lebte noch lange allein<br />

im grossen H<strong>aus</strong>; danach wurde es für einige Jahre vermietet.<br />

1993 fanden wir in der Familie Inge und Markus<br />

Meier neue Eigentümer, die den Charme unseres Elternh<strong>aus</strong>es<br />

schätzen und sorgfältig pflegen.<br />

Inge und Markus Meier —Wir, die dritten Besitzer der<br />

Liegenschaft an der Schanzmättelistrasse Nr. 37, kauften<br />

das H<strong>aus</strong> Ende 1993. Mir hatte das wohlproportionierte<br />

Gebäude mit seinem etwas mediterran anmutenden<br />

Verputz, den sonnengebrannten Spalierhölzern und<br />

<strong>dem</strong> geheimnisvollen Garten, auf den man von <strong>aus</strong>sen<br />

höchstens einen kleinen Blick werfen konnte, schon als<br />

Kind immer gefallen (ich bin im <strong>Zelgli</strong> aufgewachsen).<br />

Nun wurde mein Traumh<strong>aus</strong> unser Zuh<strong>aus</strong>e. Wir lernten<br />

den vorher erwähnten grünen Kachelofen möglichst optimal<br />

einheizen und benützen ihn regelmässig in der<br />

Übergangszeit. Das eingebaute Buffet erwies sich als<br />

äusserst geräumig und führte dazu, dass wir von unserer<br />

früheren Wohnung einen Schrank übrig hatten.<br />

Aber, wo lässt sich ein klassischer Nussbaum-Schrank<br />

vor eine durchgehende Holztäfelung <strong>aus</strong> Tanne stellen,<br />

so, dass es trotz<strong>dem</strong> noch gut <strong>aus</strong>sieht? Doch, wie<br />

schon erwähnt, ist das H<strong>aus</strong> sehr geräumig: Der besagte<br />

Schrank steht nun in meinem Büro, <strong>dem</strong> einstigen<br />

Nähzimmer, dessen grosse englische Fenster mir einen<br />

sensationellen Ausblick ins Grüne gewähren. Der ursprünglich<br />

als Bibliothek bezeichnete Raum, das Haldersche<br />

«änder Stübli», ist nun unser Esszimmer geworden.<br />

Vor <strong>dem</strong> «unbrauchbaren» Cheminée <strong>aus</strong> Marmor<br />

beobachteten unsere Kinder die lodernden<br />

Flammen und schliefen mit <strong>dem</strong> Geräusch des knisternden<br />

Holzes ein. Und der jetzige H<strong>aus</strong>herr hat wiederum<br />

der ganzen Korridorwand entlang im ersten Stock Büchergestelle<br />

aufgestellt…<br />

Am Garten haben wir fast gar nichts verändert.<br />

Frau Halders Tulpen, Pfingstrosen, Schachbrettblumen,<br />

Rosen, Anemonen etc. blühen dankbar jedes Jahr. Allerdings<br />

zog der Frühling 2–3 Mal ins Land, bis ich<br />

merkte, dass die Sträucher entlang der Schanzmättelistrasse<br />

sehr bewusst <strong>aus</strong>gesucht und gepflanzt worden<br />

waren: Auf einen rosa blühenden Strauch folgt ein<br />

weiss blühender, dann wieder einer mit rosa Blüten,<br />

dann wieder einer mit weissen etc. Vor ein paar Jahren<br />

machte der alte Birnbaum <strong>aus</strong> Altersgründen einer Linde<br />

Platz. Das führte zu einer Veränderung unserer gefiederten<br />

Besucher: Waren es früher verschiedene Meisenarten,<br />

Kleiber und Buntspecht, sind es nun Rotschwänzchen,<br />

Meisen und in der Erde badende Spatzen.<br />

Der alte Apfelbaum, der uns im Juni/Juli mit Sommeräpfeln<br />

und dann im Herbst mit Gravensteinern und Glockenäpfeln<br />

beliefert, breitet behäbig seine dicken Äste<br />

<strong>aus</strong> und ernährt Jahr für Jahr Generationen von verschiedenen<br />

Meisen. Krocket spielen wir übrigens nicht<br />

mehr, da inzwischen die Ebenheit des Rasens nicht<br />

mehr ganz den Ansprüchen an ein gepflegtes Spielfeld<br />

entspricht.<br />

Der Fortschritt steht, der Name sagt es, nicht still.<br />

Und so hielt vor vielen Jahrzehnten der Fernseher Einzug.<br />

Damals fischte man die Programme noch mit einer<br />

Antenne im Estrich <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Äther und führte sie der<br />

Flimmerkiste über ein Kabel zu. Jemand kam auf die<br />

Idee, das Kabel in einen unbenutzten Kaminzug, von<br />

denen es im H<strong>aus</strong>e etwa sechs gibt, zu legen. Wahrscheinlich<br />

hat sich das Kabel, frisch von der Rolle, wie<br />

ein Schweineschwänzchen geringelt, und sich geweigert,<br />

in den Kamin zu gleiten. Ein altes Bügeleisen sollte<br />

helfen, das Kabel durchzuziehen. Das Bügeleisen verkeilte<br />

sich aber auf halbem Wege, und liess sich nicht<br />

mehr entfernen. Lange Zeit, nach<strong>dem</strong> wir das H<strong>aus</strong> gekauft<br />

hatten, erkundigte sich Ueli Halder, ob denn mit<br />

den Kaminen alles in Ordnung sei, und erzählte uns<br />

nach und nach von der Bügeleisengeschichte. Später<br />

präsentierte uns stirnrunzelnd der Kaminfeger bei einem<br />

seiner Besuche ein unkenntliches, verrusstes Ding, das<br />

er <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Kamin entfernt hatte: das Bügeleisen. Der<br />

Kaminfeger teilte übrigens unsere Heiterkeit nicht.<br />

Nach <strong>dem</strong> Kauf des H<strong>aus</strong>es wurde uns eine Schuhschachtel<br />

mit allerlei Schlüsseln übergeben. Darunter<br />

fand sich auch ein Schlüssel für ein Gartentor, das es<br />

seit langer Zeit nicht mehr gibt. Früher gehörte ein schmaler<br />

Weg zu unserem Grundstück, auf <strong>dem</strong> man direkt in<br />

die Renggerstrasse gelangen konnte (als die ersten Häuser<br />

an der jetzigen Schanzmättelistrasse gebaut wurden,<br />

existierte diese noch nicht; dies erklärt die vielen Verbindungssträsschen<br />

zwischen der Rengger- und der<br />

Schanzmättelistrasse). Das Weglein wurde von einem<br />

Nachbarn gekauft, der damit seinen Garten etwas vergrössern<br />

konnte.<br />

Im schon erwähnten Buffet befindet sich, hinter einem<br />

Türchen, eine eingebaute Pendeluhr <strong>aus</strong> der Bauzeit<br />

des H<strong>aus</strong>es mit dezentem Federgong-Schlag. Diese<br />

Uhr wurde von Meister Tremp gründlich gereinigt und<br />

wieder in Gang gesetzt. Hinter dieser Uhr befindet sich<br />

aber ein weiteres kleines Türchen, zu <strong>dem</strong> wir keinen<br />

Schlüssel haben. Was ist hier wohl versteckt? Wir wissen<br />

es immer noch nicht!<br />

<strong>H<strong>aus</strong>geschichten</strong> <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> <strong>Zelgli</strong> 5


6 <strong>Stadtmuseum</strong> <strong>Schlössli</strong> <strong>Aarau</strong><br />

2. Schanzmättelistrasse 32<br />

Vom Architekturwettbewerb für ein Lehrerinnenseminar bis zur Eröffnung vergingen<br />

über dreizehn konfliktreiche Jahre. Das als «Hochh<strong>aus</strong>seminar» kritisierte Gebäude wurde 1953<br />

endlich eröffnet, und erwies sich schon bald als zu klein.<br />

Beat Hodler — Dieses Schulgebäude wirkt freundlich,<br />

einladend und bescheiden, ja unauffällig. Und doch<br />

weist es eine lange und ziemlich konfliktreiche Vorgeschichte<br />

auf. Diese begann in den 1930er-Jahren, als die<br />

Raumnot der in der Bezirksschule untergebrachten kantonalen<br />

Frauenschulen immer akuter wurde. 1940/41<br />

fand ein grosser Architekturwettbewerb für ein «Lehrerinnenseminar<br />

mit Töchterschule» statt, bei <strong>dem</strong> sich die<br />

renommierten Zürcher Architekten Oeschger&Oeschger<br />

mit einem Projekt durchsetzten, das mit seinen «feinfühlig<br />

durchgebildeten Fassaden», einer gelungenen Gestaltung<br />

von Aula und Lesezimmer, generell durch eine<br />

angemessene Gruppierung der einzelnen Baukörper<br />

überzeugte («Schweizerische Bauzeitung» Nr. 118,<br />

1941).<br />

Mit der Umsetzung harzte es. Während des Kriegs<br />

fehlte das Baumaterial, in den Jahren nach 1945 geriet<br />

das Bauprojekt in den Strudel eines erbitterten Streits<br />

über die Volksrechte und speziell das Finanzreferendum.<br />

Im Vorfeld des schliesslich beschlossenen kantonalen<br />

Urnengangs wurde das Vorhaben massiv reduziert, worauf<br />

es dann tatsächlich die Gnade der Stimmbürger<br />

fand (34’000 gegen 31’500, Stimmbeteiligung 79%).<br />

Dieser knappe Erfolg war nicht selbstverständlich –<br />

kurz zuvor war der Neubau von Kantonsbibliothek und<br />

Kunstmuseum abgelehnt worden. Die Skepsis im<br />

Stimmvolk war sicher durch einen bundesrätlichen Aufruf<br />

verstärkt worden, der seine «getreuen lieben Eidgenossen»<br />

eindringlich aufrief, angesichts der überhitzten<br />

Nachkriegskonjunktur die öffentlichen Bauvorhaben zurückzustellen.<br />

Der eigentliche Baubeginn löste im <strong>Zelgli</strong>-Quartier<br />

dann nochmals Widerstand <strong>aus</strong>: 1953 hagelte<br />

es Proteste gegen das «Hochh<strong>aus</strong>seminar» (15 Meter!),<br />

das mehreren Anwohnern die Sonne verdecken<br />

und somit zu einer Wertverminderung führen werde.<br />

Überhaupt sei zu befürchten, der «grosse Klotz mit seiner<br />

breiten, hohen Nordfront» werde «drückend auf die<br />

ganze Umgebung wirken». Die damalige Verstimmung<br />

scheint sich aber im Verlauf der Zeit gelöst zu haben.<br />

Herr N. Bonert, der anfangs 1970er-Jahre an der damaligen<br />

Übungsschule als Methodiklehrer tätig war, erinnert<br />

daran, dass im Verlauf der Jahre viele <strong>aus</strong>wärtige<br />

Seminaristinnen bei Familien im <strong>Zelgli</strong>-Quartier untergebracht<br />

waren. Auch die ursprüngliche Aufteilung des<br />

Schulh<strong>aus</strong>es (südlicher Trakt mit der Übungsschule,<br />

nördlicher Trakt für die wissenschaftlichen Fächer) sowie<br />

der Einbezug der Umgebung ins Unterrichtsgeschehen<br />

(Schulgarten) habe sich gut bewährt. Allerdings erwies<br />

sich der Bau bald als zu klein, so dass eine Ergänzung<br />

(Neubau) unumgänglich wurde. Dazu kamen<br />

Schulreformen, die in mehreren Schritten den Übergang<br />

von Töchterschule und Lehrerinnenseminar (samt<br />

Übungsschule) bis zu FMS und Maturitätsschule und<br />

entsprechend eine völlige veränderte Raumnutzung<br />

brachten.<br />

Aber kehren wir zur Geburtsstunde dieses Gebäudes<br />

zurück: Als 1955 im September die offizielle Einweihung<br />

stattfinden konnte, befand sich der Rektor<br />

Speidel, der das Projekt viele Jahre lang begleitet hatte,<br />

schon im Ruhestand; von den Brüdern Oeschger war<br />

der eine bereits 1953 verstorben und der andere nach all<br />

den Diskussionen mit der Baukommission ziemlich ernüchtert.<br />

Die Energie reichte noch für ein kleines Einweihungsfest,<br />

dann ging man zur Tagesordnung über.<br />

Der Sohn eines der Architekten erinnert sich bis<br />

heute gut an die Baugrube, die er als Junge auf Sonntags<strong>aus</strong>flügen<br />

besuchen musste. Heute, über 50 Jahre<br />

später, zieht er folgende Bilanz: Wenn in einem autoritären<br />

System die Machthaber den Bau eines Prestigeobjekts<br />

zügig durchsetzen können, wird sich niemand<br />

wirklich wundern. Wenn dagegen in einer Demokratie<br />

ein öffentliches Projekt von so vielen Instanzen begutachtet,<br />

kritisiert, abgeändert und am Ende auch tatsächlich<br />

realisiert wird, dann ist das eine beachtliche Kulturleistung.<br />

Karin Ammann — Okzident<br />

3. Schanzmättelistrasse 15<br />

Wo jetzt ein Mehrfamilienh<strong>aus</strong> steht,<br />

gelbes Sichtmauerwerk,<br />

versteckte sich früher<br />

(mit der Zeit immer weniger sichtbar,<br />

umwunden von Sträuchern und wuchern<strong>dem</strong> Grün)<br />

ein kleines H<strong>aus</strong>.<br />

Die Bewohner zog es nach Paris<br />

und in den Libanon,<br />

die ursprüngliche Heimat des Besitzers.<br />

Jakob Urech und Anita Zihlmann — Die schönen Pläne<br />

für das neue H<strong>aus</strong> von Dr. Albert Tschopp-Brewer stammen<br />

vom bekannten Architekten Karl Kress. Der Bauherr,<br />

Englisch- und Deutschlehrer an der Alten Kantonsschule<br />

<strong>Aarau</strong>, wollte seiner <strong>aus</strong> London stammenden<br />

Frau ein Cottage bauen – das im Verlauf der Planungsphase<br />

immer grösser wurde. Schliesslich entstand ein<br />

zusätzliches Stockwerk, das vermietet werden sollte.<br />

Der ältere der zwei Söhne, Charles Tschopp, späterer<br />

Seminarlehrer und Autor der bekannten Werke «Der<br />

Kanton Aargau» und «Vier Aargauer Novellen», verbrachte<br />

in diesem H<strong>aus</strong> von 1907 bis 1917 seine Jugendjahre.<br />

Die Familie musste dann das H<strong>aus</strong> <strong>aus</strong> ökonomischen<br />

Gründen verlassen und baute sich am Bühlrain<br />

ein neues, kleineres H<strong>aus</strong>. Für ein paar Jahre lebte<br />

Rudolf Hegnauer, ein Fabrikant, mit seiner Frau und sieben<br />

Kindern in <strong>dem</strong> geräumigen H<strong>aus</strong>.<br />

1924 zog die Familie Karl Brüderlin mit den Söhnen<br />

Hans und Karl in die Villa an der Oberholzstasse<br />

ein. 1941 teilten die Söhne den grossen Garten auf. Hans<br />

Brüderlin, Architekt, baute auf seinem Anteil drei<br />

Reihen häuser, von denen er mit seiner Gattin bis heute<br />

eines bewohnt. Karl Brüderlin, ehemaliger Direktor der<br />

Schuhfabrik Bally in Schönenwerd, blieb im Elternh<strong>aus</strong><br />

wohnen.<br />

Zuletzt war das Kleinod drei Jahr unbewohnt,<br />

bevor 1995 in Genf eine Unterschrift<br />

dessen Schicksal besiegelte.<br />

4. Oberholzstrasse 21<br />

Jeder Abbruch tut weh.<br />

Dafür kamen neue Gesichter, ab und zu ein Hauch von<br />

Ferne.<br />

Wenn man genau hinsieht,<br />

hat sich wenigstens ein Teil des Wildromantischen<br />

in den Garten hinübergerettet –<br />

augenzwinkernd Richtung Süden.<br />

Einst polterten die sieben Kinder eines Fabrikanten durch die Gänge, heute sorgen<br />

Fussballfeste für Hochbetrieb im geräumigen H<strong>aus</strong> <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Jahre 1907.<br />

1983 zogen Karl Brüderlin und seine Frau ins<br />

Frey-Herosé-Altersheim und verkauften das H<strong>aus</strong>. Erworben<br />

wurde es von Hanspeter Thür, Elisatbeth Bertschi<br />

Thür mit Tochter Simone und Jolanda und Jakob<br />

Urech mit den Söhnen Mario und Luca, Beat Hächler<br />

und Regine Fischer als Wohngenossenschaft <strong>Zelgli</strong>.<br />

Seit 1997 ist das H<strong>aus</strong> im Besitz von Hanspeter<br />

Thür und Elisabeth Bertschi einerseits und Jakob und<br />

Jolanda Urech andererseits. In diese Zeit fällt auch der<br />

Anbau der Laube mit Wendeltreppe in den Garten.<br />

Vor sechs Jahren zügelte Anita Zihlmann in die<br />

Dachwohnung. Ihr Mann Patrick Hirzel zog 2006 ebenfalls<br />

ein und nach <strong>dem</strong> Wegzug von Hanspeter Thür in<br />

sein neues H<strong>aus</strong> an der Weinbergstrasse, wechselten sie<br />

2007 in die grössere Wohnung im 1. Stock. Am Maienzug<br />

2004 lernte das Ehepaar Urech Hans Tschopp, den<br />

Sohn von Charles Tschopp, kennen. Mit seiner Frau<br />

Ruth besichtige er später das H<strong>aus</strong> seines Grossvaters<br />

und interessierte sich für die Ideen und Baupläne. Im<br />

Gegenzug beschenkte er H<strong>aus</strong> und Bewohner mit wunderbaren<br />

Fotografien vom H<strong>aus</strong>, vom Bauherrn mit Familie<br />

und <strong>dem</strong> literarischen Nachlass seines Vaters.<br />

Heute leben Jolanda und Jakob Urech im Parterre,<br />

Anita Zihlmann, Patrick Hirzel und die zweijährige Zoé<br />

im 1. Stock und Raffael Goldenberger und Manuela<br />

<strong>H<strong>aus</strong>geschichten</strong> <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> <strong>Zelgli</strong> 7


Kerker in der Dachwohnung. Nicht zu vergessen sind<br />

die zwei 16-jährigen Katzen Schmeichel und Schnurrli,<br />

welche für Verbundenheit im Quartier sorgen.<br />

Bis 2009 lebten über 20 weitere Personen mehr<br />

oder weniger lang in der schönen Dachwohnung oder in<br />

Untermiete und alle äussern sich begeistert von der Ausstrahlung,<br />

der Ruhe und der Lage dieses alten H<strong>aus</strong>es<br />

mit <strong>dem</strong> schönen Garten. Doch schliesslich sind es die<br />

Menschen, die durchs Leben und Bewohnen Atmosphäre<br />

schaffen und Gedanken und Geschichten lebendig<br />

Herman Schmidt — Das H<strong>aus</strong> wurde von einem Priva tier<br />

Ad. Gamper-Wernle (<strong>aus</strong> der Bally-Verwandtschaft) erbaut.<br />

Der Stadtrat hatte ihm am 26. Juli 1907 den Bau<br />

einer etwa gleich grossen Villa nach Plänen eines Architekten<br />

A. Zuber in einem ganz anderen, historisierenden<br />

Stil bewilligt, die auf der Bauverwaltung der Stadt erhalten<br />

sind. Sie wurden nicht <strong>aus</strong>geführt. Nach den übereinstimmenden<br />

dekorativen Elementen (roh behauene<br />

Eck-Steine, Blechzapfen der Ziegeldachabschlüsse),<br />

nach der Grundeinteilung, Art der tragenden Elemente,<br />

8 <strong>Stadtmuseum</strong> <strong>Schlössli</strong> <strong>Aarau</strong><br />

Oberholzstrasse 30 ganz links, Oberholzstrasse 21 ganz rechts im Bild<br />

5. Oberholzstrasse 30<br />

halten. So wurde an den Tischen nächtelang diskutiert,<br />

politisiert, medizinische Rezepte abgehandelt, Matratzenlager<br />

für gestrandete Sch<strong>aus</strong>pieler errichtet, Schulreformen<br />

entworfen, Projekte gesponnen, Geschichten geschrieben,<br />

Theaterszenen dramatisiert, gelacht, geschuftet<br />

und gefeiert! Speziell zu erwähnen: Alle zwei Jahre<br />

belebt die EM oder WM das H<strong>aus</strong>. In den Fussballstudios<br />

in den Kellerräumen finden die legendären Fussballfeste<br />

der Toto Nero SA statt – dank grossem Verständnis<br />

in der Nachbarschaft.<br />

Die exponierte Lage über <strong>dem</strong> Aaretal bescherte den Bewohnern einen<br />

herrlichen Ausblick, in Zeiten von Kohleheizung und einfach verglasten Fenstern<br />

aber auch unwohnliche Kälte in den Räumen.<br />

der Hourdi-Kellerdecken und Balken-Geschossdecken,<br />

dürfte unser H<strong>aus</strong> vom gleichen Baumeister wie das<br />

Nachbarh<strong>aus</strong> Oberholzstrasse 28 (heute Locher) erbaut<br />

worden sein. Herr Locher zeigte mir letztes Jahr, als er<br />

hier eine Wohnung renovieren liess, einen vollständigen<br />

Satz der Baupläne seines H<strong>aus</strong>es, das ein <strong>Aarau</strong>er Baugeschäft<br />

1908 baute.<br />

Als wir unser H<strong>aus</strong> von der Bally AG kauften, erhielten<br />

wir von ihrem Baubüro eine Menge Pläne für<br />

spätere Umbauten. Dar<strong>aus</strong> sieht man, dass die Villa Ad.<br />

Gamper 1925 schon nicht mehr ihm, sondern der Baugesellschaft<br />

Schönenwerd AG (einer Immobilien-Tochtergesellschaft<br />

der Bally AG, 1981 mit der Bally Schuhfabriken<br />

AG fusioniert) gehörte. Sie wurde damals vom<br />

Baubüro für einen Direktor C. A. Hoffmann-Stählin renoviert.<br />

Nach seinem Autounfalltod wurde die Villa<br />

1933 wieder renoviert und umgebaut für die Vermietung<br />

an Dr. Arnold Roth, Direktor der Sprecher & Schuh AG,<br />

der sie bis 1943 bewohnte. 1933 wurde ein Ausgang<br />

vom Treppenflur nach Südwesten in den Garten und<br />

eine grosse Terrasse mit Stützmauer auf der Nordwestseite<br />

gebaut, die in die Katasterpläne der Stadt bis heute<br />

nie aufgenommen wurde. (…)<br />

Nach 1943 stand die nicht mehr zeitgemässe Villa<br />

leer, offensichtlich u. a. weil sie mit einfach verglasten<br />

Fenstern an der windexponierten Lage über <strong>dem</strong> Aaretal<br />

mit der rationierten Kohle damals gar nicht richtig beheizt<br />

werden konnte. Nach Kriegsende wurde sie in ein<br />

Zweifamilienh<strong>aus</strong> umgebaut, wofür das Baubüro Bally<br />

verschiedene Varianten zeichnete. Schliesslich wurde<br />

der Umbau 1948 vom dipl. Architekt Hans Brüderlin<br />

(Pestalozzistrasse 40) <strong>aus</strong>geführt, der an den Plänen des<br />

Baubüros nur noch wenig ändern konnte, wie er mir am<br />

3. Mai 2001 erklärte. Das H<strong>aus</strong> erhielt eine stark veränderte<br />

innere Einteilung, aber auch ein verändertes Aussehen:<br />

Der «Herrschafts»-Eingang ins Parterre mit der<br />

dazugehörenden Treppe verschwand (ersetzt durch ein<br />

winziges neues Badezimmer), der frühere Dienstboteneingang<br />

daneben wurde zum einzigen Eingang in ein<br />

neues Treppenh<strong>aus</strong>.<br />

Das Zweifamilienh<strong>aus</strong> war anfänglich für Geschäftsleitungsmitglieder<br />

der Firma Bally bestimmt.<br />

Erster Mieter im Parterre war Dr. Wilhelm (Willi) Mark,<br />

Personalchef. Als er und seine Frau Alice zwei Kinder<br />

adoptierten und mehr Raum benötigten, wurden nach<br />

Plänen des Baubüros 1955 auf der Nordost-Seite eine<br />

Garage im Kellergeschoss mit einem Wohnraum im Parterre<br />

(heute das Webatelier von Sonya Schmidt) und darüber<br />

eine Terrasse der Wohnung im 1. Stock angebaut.<br />

Bei dieser Gelegenheit wurde ein kleiner Erker mit einem<br />

Treppenaufgang <strong>aus</strong> der Waschküche in den Garten<br />

abgebrochen. An der Rampe zur Garage auf Kellerniveau<br />

wurde das frühere Kohlenkellerfenster zu einer<br />

Tür in den Velokeller. Es wurden nochmals innere Wände<br />

versetzt und die Kohlenzentralheizung von 1908<br />

durch eine Ölfeuerung mit einem erdverlegten Tank unter<br />

<strong>dem</strong> kleinen Rest Wiese ersetzt. Meine Tochter und<br />

ich haben das alles anhand der vielen Pläne und mit Er-<br />

kundigungen bei früheren Bewohnern, Nachbarn (namentlich<br />

Dr. W. Mark, von 1970 an bis zu seinem Tod wohnhaft<br />

an der Oberholzstrasse 32a und Karl Heinz Eckert,<br />

Oberholzstrasse 34) und bei Herrn Architekt Brüderlin<br />

zusammengetragen, um den heutigen Bauzustand verstehen<br />

und beurteilen zu können.<br />

Uns gefällt die freie Lage des H<strong>aus</strong>es über <strong>dem</strong><br />

Aare tal. Wir mussten aber viel verbessern und es besser<br />

abdichten gegen den starken Wind und den Lärm von<br />

Bahn und Strasse. Das gelang uns ganz gut. Weil 1948<br />

zwar die damals üblichen doppeltverglasten Fenster eingebaut,<br />

jedoch sonst nichts isoliert wurde, und in jede<br />

Fensternische der grösstmögliche Radiator eingebaut<br />

worden war, konnten wir sogar 2006 die Ölheizung durch<br />

eine Wärmepumpenheizung mit der tiefsten Sondenbohrung<br />

in <strong>Aarau</strong> (330m bis auf ca. 50m/ü.M) ersetzen.<br />

Unser H<strong>aus</strong> steht am Rand der Kalkfelsen, die in<br />

verschiedenen Steinbrüchen im Quartier abgebaut und<br />

für die Bauten in der Stadt gebraucht wurden. Auf der<br />

Talseite bricht bei uns der Fels steil ab. Schon die Stützmauer<br />

unserer Terrasse konnte 1933 nicht mehr auf soli<strong>dem</strong><br />

Fels fundiert werden. Ursprünglich ging – wie<br />

auch bei den Nachbarliegenschaften – der Garten bis zur<br />

Schönenwerderstrasse hinunter. Das änderte vor 1970,<br />

als der unterste Teil in eine verunglückte Überbauung<br />

einbezogen wurde, von der die Nachbarhäuser Oberholzstrasse<br />

32 (heute Frau Erika Gruner) und 32 a (zuerst<br />

Dr. W. Mark, heute Landolt und Gullig) fertig gestellt,<br />

dann der weitere Bau 1970 von den Behörden gestoppt<br />

wurde. Der steil abfallende Nordhang ist keine<br />

ertragsreiche Lage für einen Garten, verlangt dafür umso<br />

mehr Arbeit, die von Hand geleistet werden muss. Es hat<br />

dort alte Brombeeren, die den ganzen Bau seit 1970<br />

überlebten. Es hatte einmal einen Baumgarten mit einem<br />

kleinen Weiher, auch eine Wasserleitung, die wir wieder<br />

herstellen konnten. Dazu noch eine kleine Geschichte:<br />

Wir fanden dort in der Hecke eine merkwürdige,<br />

seit vielen Jahren nicht mehr gebrauchte Holzkonstruktion.<br />

An einen Kompostbehälter oder etwas ähnliches<br />

dachten wir. Wir hielten sie als Spielhütte der kleinen<br />

Enkel und setzten einen bei der Dachrenovation <strong>dem</strong>ontierten<br />

Blechspitz mit Kugel auf das Dächlein. Vom<br />

Nachbarn Karl Heinz Eckert erfuhren wir, dass ein früherer<br />

Mieter von Däniken, Direktor einer Schuhleistenfabrik<br />

in Niedergösgen, sich dort einen Aussichtssitz gebaut<br />

hatte, von <strong>dem</strong> <strong>aus</strong> er beobachten konnte, wer unten<br />

auf der Strasse von Schönenwerd nach <strong>Aarau</strong> oder<br />

umgekehrt ging und fuhr.<br />

<strong>H<strong>aus</strong>geschichten</strong> <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> <strong>Zelgli</strong> 9


Anna Gasser-Teppati — 5. Dezember 1921: Das Kaufobjekt<br />

Interimregister No. 1487, Kat.Plan Blatt 27, Parzelle<br />

No. 2121, 4.65 Aren, H<strong>aus</strong>platz+Garten, Unteres <strong>Zelgli</strong><br />

wurde von der Allg. Wohnungsbaugenossenschaft in<br />

<strong>Aarau</strong> verkauft. Der Käufer hiess Ernst Ziegler, SBB-<br />

Beamter. Der Kaufpreis lag bei 2’790.–, 6.– pro m 2 .<br />

Was so amtlich trocken tönt, war der Anfang einer bewegten<br />

kleinen Familiensaga mit vielen, ganz verschiedenen<br />

Darstellern und einem Drehort, <strong>dem</strong> H<strong>aus</strong> am<br />

Rütliweg 12.<br />

Die Schreibende ist eine der Urenkel von Ernst<br />

Ziegler, Gufi genannt, und was folgt ist eine Liebeserklärung<br />

an die Leute, die das H<strong>aus</strong> bewohnten und, so<br />

sonderbar es klingt, an einen Ort, an <strong>dem</strong> jeder von unserer<br />

Familie auf eigene Art und Weise Zuflucht fand,<br />

Geborgenheit genoss, Stärke aufbauen konnte, um Zufriedenheit<br />

im Leben zu finden.<br />

Ernst und Emilie Ziegler zogen mit ihren zwei<br />

Töchtern Clara und Emilie am Rütliweg ein. Das H<strong>aus</strong><br />

wurde liebevoll eingerichtet, ein Gemüsegarten für den<br />

Eigenbedarf wurde angelegt und auf <strong>dem</strong> Sitzplatz<br />

pflanzten sie ein Bäumlein, damals noch kleiner als der<br />

Besitzer (der kein Riese war…): eine Linde! Unter ihren<br />

Ästen, von Anfang an regelmässig und professionell geschnitten,<br />

haben vier Generationen an warmen Sommerabenden<br />

den Schatten genossen, Blätter gesammelt, als<br />

der Herbst wieder kam, im Winter die Linien des nackten<br />

Holzes mit den Augen verfolgt und im Frühling das langsame<br />

Spriessen bewundert. Am H<strong>aus</strong> wurden in all diesen<br />

Jahren keine grosse Änderungen vorgenommen, im<br />

Garten liess das Gemüse irgendwann den farbigen Blumenbeeten<br />

Platz. Äpfel, Zwetschgen, Brombeeren und<br />

Himbeeren kommen nach wie vor von eigenen Bäumen<br />

und Stauden. Das Spezielle am Rütliweg 12 waren die<br />

Bewohner. Die ältere Tochter Clara verliebte sich in Italien,<br />

während einem Aufenthalt als Au Pair. Die abenteurlichen<br />

Flitterwochen führten von Camogli (Genua)<br />

nach <strong>Aarau</strong>, über den Gotthardpass, mit Töff und Sidecar!<br />

Bald gab es bei Clara und Giuseppe Gaggini zwei<br />

Töchter und die kleine Familie reiste fleissig und gerne<br />

von der ligurischen Küste nach <strong>Aarau</strong>. Der 2. Weltkrieg<br />

trennte die Familie, man schrieb sich, man berichtete<br />

über Not und Angst, von Verwüstung und Tod, aber auch<br />

über Freude und Hoffnungen. Besonders gefühlvoll war<br />

das Wiedersehen, vieles wurde erzählt, man weinte und<br />

lachte in den Räumen am Rütliweg 12, Pläne für die Zu-<br />

10 <strong>Stadtmuseum</strong> <strong>Schlössli</strong> <strong>Aarau</strong><br />

6. Rütliweg 12<br />

Pendelnd zwischen der ligurischen Küste und der Schweiz fand eine Familie<br />

über fünf Generationen ihren Ruhepunkt im H<strong>aus</strong> am Rütliweg.<br />

kunft wurden geschmiedet. Für die ältere Tochter von<br />

Clara und Giuseppe (Maria Laura, genannt Marola) war<br />

die perfekte Zweisprachigkeit und die Bindung zu <strong>Aarau</strong><br />

entscheidend: Sie zog in der Nachkriegszeit zu den Grosseltern<br />

Ziegler, begann bei Bally zu arbeiten, später wechselte<br />

sie zu Sprecher und Schuh. Dank ihrer Offenheit<br />

schloss sie rasch Freundschaften, ihre Begeisterung für<br />

die Natur und den Sport führte sie mit <strong>dem</strong> SAC in die<br />

Berge. Die Schweiz wurde ihre zweite Heimat, der Rütliweg<br />

ihr Zuh<strong>aus</strong>e. Ihre Initiativen brachten Modernisierungen<br />

in den Rütliweg-Alltag und lebhafte und respektvolle<br />

Auseinandersetzungen zwischen Grosseltern, Tante<br />

und Marola. Der Kontakt zwischen <strong>Aarau</strong> und Camogli<br />

blieb nach wie vor sehr aktiv: Clara genoss meistens den<br />

angenehmen Sommer «Daheim» in der Schweiz bei den<br />

Eltern, der Schwester Milly und der Tochter Marola und<br />

den milden Winter «Daheim» in Italien bei der zweiten<br />

Tochter Pepi. Auch sie (Maria Giuseppina, genannt Pepi)<br />

war oft zu Besuch. Sie schätzte das ruhige und unabhängige<br />

Leben am Rütliweg, das Ausspannen und die Kühle<br />

im Sommer. Das war so in ihren jungen Jahren und blieb<br />

so bis zuletzt: das H<strong>aus</strong> und der Garten in <strong>Aarau</strong> waren<br />

für sie ein Ort, um Kraft zu tanken. Diese Kraft, die<br />

brauchte sie im Alltag: <strong>aus</strong> der Heirat mit Augusto Teppati<br />

ergab sich eine Grossfamilie. Ich bin das dritte der<br />

vier Kinder (Cesare, Lucia, Anna und Alice) dieser<br />

Grossfamilie, die dritte Generation, die den Rütliweg 12<br />

erlebt. Und weiter haben die beiden Buben meines Bruders,<br />

die Tochter meiner jüngeren Schwester und meine<br />

beiden Mädchen einige Jahre Schnecken im Garten gesucht,<br />

Himbeeren von den Sträuchern gepflückt, sind die<br />

Holztreppe auf <strong>dem</strong> Po hinuntergerutscht, haben alte<br />

Kinderbücher gelesen und gespannt auf das Läuten des<br />

Christkindli-Glöggli gewartet. Meine Geschwister und<br />

ich verbrachten die langen italienischen schulfreien Zeiten<br />

mehrheitlich am Rütliweg 12. An herrliche Momente<br />

erinnern wir uns stets, an die geduldigen Augen der<br />

Grosstante Milly, H<strong>aus</strong>wirtschaftslehrerin, die immer mit<br />

ein wenig Spannung unserer Italo-Invasion in ihrem<br />

H<strong>aus</strong> entgegensah, an die «L<strong>aus</strong>mädchen»-Augen der<br />

Tante Marola, die immer abenteuerliche Erlebnisse mit<br />

uns teilte, an die liebevollen Augen der Nonna Clara, die<br />

streng sein konnte, ohne dass wir es je bemerkten und an<br />

die Augen unserer Mamma, die am Rütliweg immer wieder<br />

die Stärke fand, um in glücklichen sowie in schweren<br />

Zeiten zurechtzukommen.<br />

Das H<strong>aus</strong> ist seit einige Monaten an ein junges<br />

Paar vermietet: für uns ist es schön zu denken, dass weiterhin<br />

Leben in diesen Wänden und unter der Linde<br />

herrscht. Unsere Mieter besuchten das erste Mal den<br />

Rütliweg 12 an einem grauen und regnerischen August-<br />

Susanne Grendelmeier-Hoffmann — Als ich mit 19 Jahren<br />

<strong>aus</strong> meinem Elternh<strong>aus</strong> am Rütliweg 2 <strong>aus</strong>zog, hatte<br />

ich keine Ahnung, dass ich dereinst zusammen mit meinem<br />

Mann, den dritten Lebensabschnitt wieder hier verbringen<br />

würde.<br />

Meine Eltern Felix und Gretel Hoffmann-Kienscherf<br />

kauften das 1921 erbaute H<strong>aus</strong> im Jahre 1944. Im<br />

Januar 1945 zog unsere Familie – bestehend <strong>aus</strong> Vater,<br />

Mutter, meinen zwei älteren Schwestern Sabine und<br />

Christine und mir selber, von der Erlinsbacherstrasse an<br />

den Rütliweg. Hier kam im Oktober gleichen Jahres unser<br />

Bruder Dieter zur Welt. Zusammen mit Vater und<br />

Hebamme gebar unsere Mutter ihr viertes Kind – gleich<br />

wie die drei Älteren – zu H<strong>aus</strong>e. (…) Wir vier Kinder<br />

schliefen meist zu zweit oder zu dritt in einem Zimmer.<br />

Als wir grösser wurden und im H<strong>aus</strong>halt mithelfen<br />

konnten, konnte die H<strong>aus</strong>halthilfe eingespart werden.<br />

So gab es mehr Platz. Jedes von uns bekam sein Kämmerchen<br />

und konnte so seine private Sphäre aufbauen.<br />

Sitzend in der Mitte und rechts Urgrosseltern Emilie und «Gufi»,<br />

hinter ihnen Grosstante Milly vor der frisch gepflanzten Linde (ca. 1924)<br />

7. Rütliweg 2<br />

tag: es gefiel ihnen auf den ersten Blick. Sie spürten die<br />

Liebe, Kraft und Dankbarkeit, die dieser Ort <strong>aus</strong>strahlt.<br />

Wir wünschen ihnen, dass sie am Rütliweg 12 jetzt und<br />

in Zukunft glücklich sein werden.<br />

Inmitten der Erinnerungsstücke an ihre Eltern Felix und Gretel Hoffmann lebt die Tochter<br />

heute wieder im H<strong>aus</strong> ihrer Kindheit. Die Mutter zog vor dreissig Jahren <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> H<strong>aus</strong> <strong>aus</strong><br />

– und seither dreimal wieder ein.<br />

Geheizt wurde unser H<strong>aus</strong>, wie damals üblich, mit<br />

einer Kohle-Zentral-Heizung. In den Übergangszeiten<br />

wurde der Kachelofen geheizt. Dieses Prachtstück steht<br />

heute noch und wird von uns immer wieder gern benützt.<br />

Das Holz bekam Vater als Bürger von <strong>Aarau</strong> von<br />

der Gemeinde als so genannten Bürgernutzen. Abwechslungsweise<br />

gab es in einem Jahr «Wedelen», im nächsten<br />

dann drei Ster Tannen- und Buchenholz. Dieses wurde<br />

jeweils mit einer mörderischen Säge- und Hackmaschine<br />

in ofengerechte Stücke zerkleinert. Diese Arbeit<br />

hörte man im ganzen Quartier.<br />

Die heute üblichen Isolierverglasungen der Fenster<br />

kannte man in den 1950er-Jahren noch nicht. Jeden<br />

Herbst holte Vater die Vorfenster samt Rahmen vom<br />

Estrich herunter. Nach einer Putzaktion wurden sie eingehängt.<br />

Im Frühjahr folgte dann die Prozedur in umgekehrter<br />

Richtung. Die Methode mit Fenstern und Vorfenstern<br />

hatte auch ihre schönen Seiten. Man konnte den<br />

Winter hindurch dazwischen Blumentöpfe, zum Bei-<br />

<strong>H<strong>aus</strong>geschichten</strong> <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> <strong>Zelgli</strong> 11


spiel mit Zyklamen, hinstellen. Ab und zu konnte man<br />

auch Eisblumen bewundern. Mit dieser heimeligen<br />

Herrlichkeit hatte es ein Ende, als die Eltern doppeltverglaste<br />

Fenster montieren liessen.<br />

Nach <strong>dem</strong> unerwarteten und frühen Tod meines<br />

Vaters im Jahre 1975 wollte meine Mutter nicht mehr in<br />

ihrem H<strong>aus</strong> wohnen bleiben. Sie zog <strong>aus</strong>, das H<strong>aus</strong> wurde<br />

vermietet. Eine junge Musikerfamilie genoss H<strong>aus</strong><br />

und Garten. Bei dieser Gelegenheit wurden einige kleinere<br />

Renovationen vorgenommen. Nach <strong>dem</strong> Auszug<br />

dieser dreiköpfigen Familie beschloss meine Mutter zurückzukommen.<br />

Jetzt wurde gründlich renoviert. Die<br />

Heizung wurde auf Gas umgestellt und die Aussenwände<br />

bekamen einen neuen Anstrich: Die Fassade rosa, die<br />

Fensterläden sollten nach den Wünschen unserer geschmackssicheren<br />

Mutter auf jeder der drei Seiten eine<br />

andere Farbe erhalten. Der Maler konnte dann allerdings<br />

Mutter davon überzeugen, dass zwei Farben genug seien.<br />

So bekamen zwei Seiten, die südliche und die östliche<br />

blaue – und die dritte nördliche Fassade violette<br />

Fensterläden. Die H<strong>aus</strong>türe wurde lila gestrichen.<br />

Mutter, die <strong>aus</strong> einer Familie von Theaterspielern<br />

stammt, hatte offenbar das Wandern im Blut. Jedenfalls<br />

entschloss sie sich bald, nochmals <strong>aus</strong>zuziehen. Diesmal<br />

wurde das H<strong>aus</strong> an das theologische Seminar vermietet.<br />

Dieses baute sein Wohnh<strong>aus</strong> im Binzenhof um und suchte<br />

Unterkunft für sechs junge Frauen. Für die nächste<br />

Zeit beherbergte also das H<strong>aus</strong> so etwas wie eine WG.<br />

Jede der Frauen hatte ihr Zimmer. Zusammen benützten<br />

sie die Stube mit <strong>dem</strong> erwähnten Kachelofen. Nach <strong>dem</strong><br />

Auszug der sechs Frauen wurde eine Familie mit zwei<br />

Kindern einquartiert. Sie hatten einige Wünsche. So wurden<br />

alle Zimmer frisch gestrichen. Vor allem wurde auf<br />

<strong>dem</strong> Parterre die Mauer zwischen <strong>dem</strong> Ess- und Wohnzimmer<br />

her<strong>aus</strong>gebrochen. Dadurch entstand ein recht<br />

grosser Raum – worüber auch wir heute noch froh sind.<br />

Doch auch diese Aera kam zu einem Ende. Und<br />

jetzt darf man raten, was geschah. Mutter kam ein drit-<br />

12 <strong>Stadtmuseum</strong> <strong>Schlössli</strong> <strong>Aarau</strong><br />

Rütliweg 2<br />

tes Mal zurück an den Rütliweg! Im Jahre 2000 übernahmen<br />

mein Mann und ich das H<strong>aus</strong>. Was war diesmal<br />

passiert? Mutter hatte sich von einem Tag auf den andern<br />

entschlossen, ins Altersheim zu ziehen. Meine andern<br />

drei Geschwister lebten in der Nähe von <strong>Aarau</strong> in<br />

eigenen Häusern und waren an der Übernahme des Elternh<strong>aus</strong>es<br />

nicht interessiert. Wir selber hatten insgesamt<br />

gegen vierzig Jahre an zahlreichen Orten im In-<br />

und Ausland gelebt, zuletzt in einem Paradiesli im solothurnischen<br />

Bucheggberg, und planten, unseren grossen<br />

H<strong>aus</strong>halt zu verkleinern und zu vereinfachen. So kamen<br />

wir auf die Idee, nach <strong>Aarau</strong> zu ziehen, wo ich seit Geburt<br />

und auch mein Mann (als Kantonsschüler) schöne<br />

Jugendjahre erlebt hatten.<br />

Im «Stift» residiert meine Mutter heute noch, mittlerweile<br />

96-jährig, zufrieden, und ohne erkennbaren<br />

Drang, ein viertes Mal an den Rütliweg zurückzukommen.<br />

(…) Die schönsten Erinnerungsstücke – neben<br />

meiner unbeschwerten Kindheit natürlich – in und um<br />

das H<strong>aus</strong> sind erstens die beiden von meinem Vater bemalten<br />

Wände im H<strong>aus</strong>, Vaters zahlreiche Bilder, die<br />

unser H<strong>aus</strong> schmücken, der mehrfach erwähnte grüne<br />

Kachelofen, und ein schöner, mittlerweile grosser Apfelbaum,<br />

den meine Mutter 1986 vom WWF für ihren<br />

Einsatz für die Natur geschenkt bekam. (…) Wir sind<br />

glücklich und zufrieden im H<strong>aus</strong> am Rütliweg. Wir<br />

schätzen die Ruhe, den Klang des Glöckleins vom <strong>Zelgli</strong>schulh<strong>aus</strong>,<br />

das gute Verhältnis zu den Nachbarn (von<br />

den Nachbarn <strong>aus</strong> meiner Jugendzeit lebt allerdings<br />

kaum jemand hier), unseren kleinen Garten, der uns beinahe<br />

zu Selbstversorgern macht, den nahen Quartierladen,<br />

wo man nicht nur einkaufen, sondern auch einmal<br />

einen Schwatz machen kann, den Busanschluss, die<br />

Nähe zum Bahnhof und zur Altstadt, und natürlich die<br />

kurze Distanz zum Wald, zu «Amerika» und zum Roggenh<strong>aus</strong>er<br />

Täli als Naherholungsgebiet. Kurz: Es stimmt<br />

für uns einfach alles.<br />

Gisela Keller-Becke — Für Herrn C. Pletscher, Bankdirektor<br />

zu Turin, wurden am 4. Oktober 1924 die präzisen,<br />

noch erhaltenen Baupläne für ein Einfamilienh<strong>aus</strong><br />

von Herrn Architekt E. Wessner beim Gemeinderat<br />

<strong>Aarau</strong> eingereicht und bereits am 24. Oktober 1924 genehmigt.<br />

Der Architekt baute damals im <strong>Zelgli</strong> mehrere<br />

Häuser im ähnlichen, klassizistisch angelehnten Stil.<br />

Unterschrieben sind diese Pläne von Lisa Pletscher,<br />

der ledigen Schwester des Auftraggebers, welche<br />

das neu erstellte H<strong>aus</strong> im Jahr darauf bezog. Die Grösse<br />

des Objektes führte dazu, dass sie verschiedene Räume<br />

an <strong>aus</strong>wärtige Töchter vermietete, welche das nahe gelegene<br />

Lehrerinnenseminar an der Schanzmättelistrasse<br />

absolvierten. H<strong>aus</strong> und Garten mit Gemüse, Obst und<br />

Blumen wurden durch sie aufs Beste gepflegt. Fräulein<br />

Pletscher lebte im H<strong>aus</strong>, bis sie 1961 ins Altersheim Golatti<br />

zog, also mehr als 35 Jahre.<br />

Im Jahr 1961 kauften Max und Liseli Erb-Locher<br />

die Liegenschaft und zogen mit ihren Töchtern Silvia<br />

und Doris hier ein. Herr Erb betrieb – schon wie die<br />

Vorfahren – eine Hufschmiede in <strong>Aarau</strong> neben <strong>dem</strong> Regierungsgebäude<br />

(wo heute das Restaurant Rendez-vous<br />

und die Drogerie Bützberger sind). Später dann verlegte<br />

er die Werkstatt an die Bachstrasse.<br />

Aus Gesundheitsgründen musste Max Erb schon<br />

früh die schwere Arbeit als Schmied aufgeben. Als grosser<br />

Pferdefreund richtete er einen Stall ein (jetzt Wohnh<strong>aus</strong><br />

Heroséstift) und erteilte Reitunterricht. Das Wohnen<br />

im <strong>Zelgli</strong> war für die Familie ideal und sie verlebte<br />

hier glückliche Jahre. Als die Töchter erwachsen wurden<br />

und <strong>aus</strong>zogen, wollten sich auch die Eltern verän-<br />

8. <strong>Zelgli</strong>strasse 39<br />

Über den blühenden Garten, den einst die erste H<strong>aus</strong>herrin<br />

Fräulein Pletscher anlegte, legen sich lange Schatten.<br />

<strong>Zelgli</strong>strasse 39<br />

dern und zogen in eine der pflegeleichteren, bequemen<br />

und schönen Etagenwohnungen, welche damals neu im<br />

Quartier angeboten wurden.<br />

Im Jahre 1972 stand die Liegenschaft wiederum<br />

zum Verkauf. Sie wurde durch Robert und Gisela Keller-<br />

Becke erworben, welche nach erfolgter Auffrischung<br />

hier mit ihren Kindern Urs und Doris einzogen. Die<br />

Nähe zum Betrieb einerseits (Druckerei Keller am Rain)<br />

und die Nähe zu den Schulen war für den Familienalltag<br />

ideal. Das <strong>Zelgli</strong>quartier war damals überaltert. Nach<br />

und nach kamen junge Familien, renovierten die Häuser<br />

und es entwickelten sich langsam Begegnungen zur<br />

Nachbarschaft. Eine schöne Zeit für die heranwachsenden<br />

Kinder, welche die Gärten und auch Strassen benutzten<br />

und bevölkerten im wahrsten Sinne des Wortes.<br />

Viele glückliche und intensiv gelebte Jahre folgten.<br />

H<strong>aus</strong> und Garten sahen viele Verwandte, Freunde<br />

und Kollegen ein- und <strong>aus</strong>gehen. Es wurden grosse Feste<br />

gefeiert und liebe Menschen beherbergt. Raum war ja<br />

genügend vorhanden. Der Garten speziell war für die<br />

H<strong>aus</strong>frau und gelernte Gärtnerin immer eine Quelle der<br />

Freude. So wurden Gemüse und Rosen gepflanzt. Mit<br />

den Jahren wurde dies eingestellt, denn die Bäume in<br />

den Nachbargärten wurden hoch, höher und noch höher.<br />

Heute sind sie ca. 25 Meter hoch, eine im Westen Licht<br />

und Sonne schluckende Wand entstand. Leider. So ist<br />

denn der einstmals blühende Garten zum Schattendasein<br />

verdammt. Auf der Südseite der Liegenschaft soll in<br />

nächster Zukunft eine grosse Überbauung realisiert werden,<br />

12 Meter hoch reicht wohl das Attikageschoss. Das<br />

H<strong>aus</strong> <strong>Zelgli</strong>strasse 39 als Lebensmittelpunkt für eine<br />

<strong>H<strong>aus</strong>geschichten</strong> <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> <strong>Zelgli</strong> 13


folgende junge Familie wird nicht mehr sein, was es<br />

einmal war. Das Bestehen ist nur noch eine Frage der<br />

Zeit. Man darf gespannt sein auf den Entscheid der Be-<br />

Thomas und Sylvia Pfisterer — Das Grundstück war in<br />

den 1920er-Jahren vom Nachbarn (<strong>Zelgli</strong>strasse 45) gekauft<br />

worden, der darauf einen Tennisplatz erstellen<br />

wollte. Er kam allerdings in Geldschwierigkeiten und<br />

verkaufte das Land der Stadt zurück. Zweiter Käufer<br />

war Prof. Hans Kaeslin, Kanti-Lehrer mit Vulgo<br />

Elsbeth Gruber-Lüscher — Es war einmal ein grosser<br />

Bauernhof, mit einem mächtigen Nussbaum zuoberst im<br />

<strong>Zelgli</strong>, unterhalb der Echolinde. Der Baum trägt wunderbare<br />

Nüsse, wovon viele Spaziergänger berichten<br />

können! 1928 kaufte Grossvater Lüscher den Hof mitten<br />

in der Nacht! Er selber war Landwirt mit Hof, erst im<br />

<strong>Aarau</strong>er Schachen, dann in Schönenwerd. Er klopfte<br />

gerne mal in einer Wirtschaft einen Jass, wie eben an<br />

<strong>dem</strong> bewussten Abend. So traf er am Jasstisch den <strong>Zelgli</strong>hofbauern.<br />

Dem ging es wirtschaftlich nicht gut. Er<br />

bot den Hof meinem Grossvater an. Als die beiden Bauern<br />

einig waren, holten sie einen Notar <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Bett, es<br />

war mittlerweile Mitternacht, um den Kaufvertrag <strong>aus</strong>zufertigen!<br />

Grossvater hatte einen Sohn, Hans, Jg. 1903, der<br />

die Landwirtschaftliche Schule in L<strong>aus</strong>anne absolvierte<br />

und danach in Südfrankreich und Algerien arbeitete. So<br />

wurde nun Hans nach H<strong>aus</strong>e beordert, um den Hof zu<br />

übernehmen. Er war gar nicht begeistert! Sein Vater füllte<br />

den Stall mit Kühen und Rindern. Ein Pferd, ein Eidgenoss,<br />

hatte Hans bereits, <strong>aus</strong> der Kavalleriezeit. Jetzt<br />

brauchte Hans noch eine Bäuerin. Die fand er in Dättwil;<br />

als Hans, hoch zu Pferd einen ehemaligen Melker besuchte,<br />

hatte die Bauernfamilie dort eine 19-jährige Toch-<br />

14 <strong>Stadtmuseum</strong> <strong>Schlössli</strong> <strong>Aarau</strong><br />

9. Fröhlichstrasse 4<br />

hörde, ob und wie «<strong>Aarau</strong> als Gartenstadt» noch weiter<br />

existieren soll, oder ob der Charakter der Gartenstadt<br />

langsam verschwinden muss.<br />

‹Cheese›, der 1928/29 auf <strong>dem</strong> Grundstück ein H<strong>aus</strong> erbauen<br />

liess. Als Architekt verpflichtete er seinen ehemaligen<br />

Schüler Hächler <strong>aus</strong> Lenzburg. Es ist somit eines<br />

der ersten Hächler-Häuser, die gebaut wurden. Wir wohnen<br />

seit 1975 an der Fröhlichstrasse 4, nach<strong>dem</strong> wir das<br />

H<strong>aus</strong> von der Erbengemeinschaft Kaeslin gekauft hatten.<br />

10. <strong>Zelgli</strong>hof, <strong>Zelgli</strong>strasse 76<br />

Der grosse Nussbaum ist das einzige, was vom Bauernhof, der einst an<br />

dieser Stelle stand, übrig blieb. Der Hof, einst mitten in der Nacht gekauft,<br />

prägte das Leben von drei Generationen.<br />

ter. Beim Anblick des jungen Reiters war es um sie geschehen.<br />

So heiratete der Hans die Else im Februar 1930.<br />

Ein Jahr darauf kam ich, Elsbeth, die erste Tochter, zur<br />

Welt. 1932 konnte mein Vater den Hof von Grossvater<br />

käuflich erwerben. Der <strong>Zelgli</strong>hof, Baujahr 1901, war mit<br />

Wohnh<strong>aus</strong> und Stallungen nach 30 Jahren erneuerungsbedürftig.<br />

Befand sich die Toilette, ein Plumpsklo, schon<br />

im Wohnh<strong>aus</strong>, wurde es nun ins Stallgebäude gezügelt.<br />

Das H<strong>aus</strong> bekam eine neue Toilette mit Spülung und der<br />

offene Eingang auf der Veranda wurde geschlossen. Etwas<br />

später wurde auch ein neuer Schopf mit Lagerkeller<br />

und Knechtenzimmer gebaut. Geheizt wurde im Wohnh<strong>aus</strong><br />

mit Holz. In der «guten Stube» stand ein lindgrüner<br />

Kachelofen. Später gab es im 1. Stock, wo sich die<br />

Schlafzimmer befanden, ein «Kanonenöfeli», welches<br />

nur abends eingeheizt wurde. 1939 kam zur Freude meiner<br />

Mutter ein Badezimmer dazu! 1937 erblickte die<br />

zweite Tochter, Susanne, das Licht der Welt, 1940 und<br />

41 je ein Sohn, Hans jun. und Rudolf. In den 30er-Jahren<br />

lag das Geld nicht gerade auf der Strasse. So entschied<br />

sich Mutter bald, neben den vielen Arbeiten auf <strong>dem</strong><br />

Hof, verschiedene Gemüse anzupflanzen und auf <strong>dem</strong><br />

Wochenmarkt zu verkaufen. Die Kontaktpflege mit den<br />

Kunden bereitete ihr Freude. Der Krieg brachte viele<br />

Sorgen. Hauptsächlich quälten die Fragen, wer besorgt<br />

den Stall und wer bebaut das Land, wenn Vater im Militär<br />

ist? Irgendwie ist es gegangen, aber die Kräfte unserer<br />

Mutter liessen nach. Zusätzlich wurde sie mit Arthrose<br />

und Hüftgelenkschmerzen geplagt, weshalb sie<br />

nach 25 Jahren das Marktfahren aufgab. 1954 verkaufte<br />

unser Vater einen Teil des Landes an die Stadt und pachtete<br />

es als Weideland für die Rinder. Auch wurde noch<br />

bis Anfang 70-er Jahre Heu eingefahren. Dem <strong>Zelgli</strong>hofbauern<br />

gab man den Beinamen «Gentleman Farmer».<br />

Das Geld vom Verkauf des Landes sollte später zum<br />

Kauf für je einen Hof für die beiden Söhne eingesetzt<br />

werden. Die Söhne wanderten 1960 nach Kanada <strong>aus</strong>.<br />

Die Eltern bauten 1975 auf <strong>dem</strong> eigenen Land ein ebenerdiges<br />

Einfamilienh<strong>aus</strong>, das rollstuhlgängig war. Das<br />

alte H<strong>aus</strong> wurde renoviert. Beim Entfernen des Verput-<br />

Anita Davis-Kaufmann — Ich hätte eine kleine Geschichte<br />

von <strong>dem</strong> H<strong>aus</strong> am Rande des Landh<strong>aus</strong>wegs, das<br />

H<strong>aus</strong> mit der grossen Birke. Als Kinder konnten wir immer<br />

unser H<strong>aus</strong> erkennen an den damals drei grossen<br />

Birken, von der Friedenslinde sowie von der Wasserfluh.<br />

Es war mein Elternh<strong>aus</strong>, wo ich und meine vier<br />

Geschwister aufgewachsen sind. Meine Eltern: Karl<br />

Kaufmann, ehem. Kantonsbaumeister, 1903–1971, sowie<br />

meine Mutter, Meta Kaufmann-Renold, 1904–2004,<br />

Bürgerin von <strong>Aarau</strong>, haben das H<strong>aus</strong> 1948 erbauen lassen,<br />

nach den Plänen meines Vaters. Traditionsgemäss<br />

kam unser Grossvater Emil Daniel Renold, 1870–1956,<br />

<strong>Zelgli</strong>hof, 1955<br />

11. Landh<strong>aus</strong>weg 57<br />

zes kamen Bruchsteinmauern von fast 50 Zentimetern<br />

Dicke hervor. Mit meiner Familie bezog ich nun das alte<br />

Bauernh<strong>aus</strong>, damit ich in der Nähe der Mutter war. In<br />

der Küche konnte noch immer mit Holz geheizt werden.<br />

Die Zentralheizung, welche 1954 im H<strong>aus</strong> eingebaut<br />

wurde, konnte nun auch zusätzlich mit Öl gefeuert werden.<br />

1992/93 verstarben unsere Eltern. Da alle meine<br />

Geschwister im Ausland leben, befand Vater testamentarisch,<br />

dass Gebäude und Land verkauft werden sollen.<br />

Schweren Herzens nahmen wir Abschied von unserer<br />

Heimat, <strong>dem</strong> schönen <strong>Zelgli</strong>hof. 1995 wurden Hofh<strong>aus</strong><br />

und Scheunen <strong>dem</strong> Erdboden gleichgemacht. Geblieben<br />

ist der Nussbaum, prächtig und mit <strong>aus</strong>ladender Krone.<br />

Ein Dankeschön an Herr Dr. Bühlmann, der den Nussbaum<br />

nach <strong>dem</strong> Landerwerb stehen liess! So erfreut er<br />

nach über 100 Jahren noch immer viele Menschen.<br />

inzwischen in Zürich wohnhaft, zum Maienzug. Er<br />

staunte, als er uns das erste Mal besuchte. Er erzählte<br />

uns, dass der Weg zum nahen Binsenhof-Hotel ein regelmässiger<br />

Sonntagnachmittags-Spaziergang war. Ich<br />

denke, dass das ca. 1890 war. Wir Kinder fanden das<br />

lustig, da wir ja die Strecke <strong>Zelgli</strong>-Pestalozzischulh<strong>aus</strong><br />

vier Mal im Tag zurücklegten.<br />

Zu meiner Biografie: Bin seit 1965 in der USA,<br />

besuche oft die Schweiz und fühle mich sehr verbunden,<br />

speziell mit <strong>Aarau</strong>. Nach 10 Jahren «wohnmobilen»<br />

nach unserer Pensionierung bin ich letzte Woche in Texas<br />

wieder in ein «festes» H<strong>aus</strong> gezogen.<br />

<strong>H<strong>aus</strong>geschichten</strong> <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> <strong>Zelgli</strong> 15


Bettina Becker — Wenn man an der Friedenslinde steht<br />

und auf die Häuser hinabschaut, in deren Gärten man –<br />

bei offener Gartenpforte – im Winter bequem auf <strong>dem</strong><br />

Schlitten hinunterrutschen könnte, sieht man vor allem:<br />

Bäume. Grosse, alte Nussbäume. Einen Zuckerahorn,<br />

der alles überragt, was in der Nachbarschaft wächst. Seit<br />

gut 50 Jahren bemühen sich hier die Bäume, die Häuser<br />

zu verbergen, die dahinter in weitläufigen Gärten stehen<br />

und mittlerweile gelingt ihnen das zumindest im Sommer<br />

fast vollkommen.<br />

Seit 15 Jahren bewohnen wir eines dieser Häuser<br />

mit den alten Bäumen: die Signalstrasse 24. Im H<strong>aus</strong> neben<br />

<strong>dem</strong> unseren wohnten bis vor acht Jahren Max und<br />

Anna Werder, die das H<strong>aus</strong> im Jahre 1950 für sich und<br />

ihre beiden Buben erbaut hatten. Zeitgleich bauten und<br />

bezogen links und rechts auf den benachbarten Grundstücken<br />

befreundete Ehepaare mit ihren Kindern ihre neuen<br />

Häuser. Ich habe Anna Werder kennen gelernt, als ich vor<br />

15 Jahren mit meiner Familie nach <strong>Aarau</strong> zog und sie hat<br />

viel dazu beigetragen, dass ich mich hier zu H<strong>aus</strong>e zu<br />

fühlen konnte – zumindest, solange sie neben uns wohnte,<br />

denn vor acht Jahren zwangen sie Alter und nachlassende<br />

Gesundheit, ins Altersheim Golatti zu zügeln. Weil<br />

sie aber mit ihrem ganzem Herzen am H<strong>aus</strong> und vor allem<br />

am Garten hing, den sie mit besonders viel Liebe<br />

pflegte und hegte, mochte sie sich nicht wirklich trennen<br />

und so stand das H<strong>aus</strong> von da an leer und im Garten begann<br />

die Natur nun, ganz sich selbst überlassen, nach eigenen<br />

Plänen zu wachsen und zu gedeihen. Viele der<br />

Zierblumen verschwanden einfach. Andere breiteten sich<br />

<strong>aus</strong> und ich beobachtete, fotografierte und trug dann ins<br />

Altersheim, was sich im Garten in der Signalstrasse 26<br />

tat. Besonders interessierte Anna Werder, wie es ihrer<br />

Palme ging – eine Pflanze, die fremd und geduckt neben<br />

<strong>dem</strong> immer höher wachsenden Haselstrauch ganz nah an<br />

der überdachten Terrasse zaghaft ihre gefiederten Blätter<br />

<strong>aus</strong>breitete. Aus <strong>dem</strong> Tessin hatte Anna Werder einst ein<br />

winzig kleines Palmenbäumchen mitgebracht, hatte es<br />

«grossgezogen» und eigentlich befürchtet, dass es den<br />

ersten Winter nicht überstehen würde. Aber es überstand<br />

ihn und alle anderen, folgenden Winter. Im Winter wickelte<br />

sie die Blätter und den Stamm ein und bedeckte<br />

die Pflanze mit Sackleinen – später war die Pflanze dann<br />

so stark, dass sie die Winter unbedeckt überstand.<br />

Rundum wurde es mit den Jahren immer dunkler<br />

in Anna Werders Garten. Fast hatte man das Gefühl,<br />

16 <strong>Stadtmuseum</strong> <strong>Schlössli</strong> <strong>Aarau</strong><br />

12. Signalstrasse 26<br />

Ein zauberhafter Garten wurde zum regelrechten «Zaubergarten»,<br />

als über Jahre niemand mit Heckenschere und Spaten ordnend eingriff.<br />

man befände sich am Grunde eines Brunnens, wenn<br />

man am Grün ringsum hinauf zum Blau des Himmels<br />

schaute. Die Orchideen auf der Wiese, die sich, als einzelne<br />

Pflanzen zunächst, von selbst in den Garten versamt<br />

hatten, hatte Max Werder immer mit Stöckchen markiert<br />

und so vor <strong>dem</strong> Rasenmäher geschützt. Nun, wo kein<br />

Rasenmäher mehr das Gras kürzte, breiteten sie sich im<br />

Nu <strong>aus</strong> und die ganze Wiese war gesprenkelt mit den<br />

blasslila Orchideenblüten – die allerdings im hohen<br />

Gras unterzutauchen schienen. Efeu rankte sich an den<br />

H<strong>aus</strong>wänden empor wie an einem Dornröschenschloss<br />

– und das H<strong>aus</strong> mit den geschlossenen Läden schien<br />

ganz wie im Märchen in einen langen Schlaf gesunken.<br />

An die warme Gartenseite des H<strong>aus</strong>es schmiegte sich<br />

ein riesiger Feigenbaum, an <strong>dem</strong> im Hochsommer die<br />

schönsten Feigen in der Sonne reiften. Niemand hatte<br />

ihn je dort gepflanzt, er war ganz einfach plötzlich da<br />

gewesen.<br />

Anna Werder hatte ihren Garten immer mit grossem<br />

und nie enden wollen<strong>dem</strong> Staunen beobachtet und<br />

war der Meinung gewesen, es sei am besten, man liesse<br />

wachsen, was wachsen wolle – und daran hielt sich der<br />

Garten auch, als sie nicht mehr dort lebte: es wollte viel<br />

dort wachsen und es wucherte und grünte und die Brombeerranken<br />

krochen gleich dürren Schlangen durch die<br />

Wiese und umranken den ganzen Garten, als wollten sie<br />

ihn mit ihren Dornen vor Eindringlingen schützen. Im<br />

Herbst regnete es Nüsse von allen Nussbäumen – Walnüsse<br />

in ganz unterschiedlichen Grössen und Haselnüsse.<br />

Die Eichhörnchen hüpften geschäftig durchs feuchte<br />

Gras und sammelten ihre Wintervorräte. Wunderschöne<br />

Fliegenpilze, die <strong>aus</strong>sahen wie <strong>aus</strong> einem Bilderbuch,<br />

tauchten auf der Wiese auf.<br />

Im vergangenen Winter ist Anna Werder für immer<br />

eingeschlafen und das H<strong>aus</strong> ist nun verkauft worden.<br />

Nach wie vor aber streckt ihre Palme die Blätter der<br />

Sonne entgegen und da ein paar der grossen Bäume fallen<br />

mussten, die im Winter unter der Schneelast zerbrochen<br />

waren, kann man sie jetzt sogar von der Strasse<br />

<strong>aus</strong> sehen. Jedesmal ist mir, als sehe ich auch Anna Werder<br />

davor stehen, sehe sie der Palme zulächeln und weiter<br />

wandern durch ihren «Zaubergarten»: zu den Küchenschellen,<br />

die vor der Terrassentür üppig wachsen,<br />

zu den Obstbäumen, die ihr Vater als kleine Bäumchen<br />

<strong>aus</strong> Rupperswil hergebracht und gepflanzt hat. Ich meine<br />

zu hören, wie sie mir die drei verschiedenen Schnee-<br />

glöckchenarten anhand der Blütenblätter erklärt, die sie<br />

am Ende jeden Winters mit der immer gleichen, grossen<br />

Freude begrüsste und ich begleite sie in Gedanken zur<br />

Terrasse, blicke mit ihr durch die Blätter der Rhododen-<br />

13. Bergstrasse/Wasserfluhweg/<br />

Zurlindenstrasse<br />

Hans Trüb — Vor 50 Jahren ist im <strong>Zelgli</strong> «Betonville»<br />

entstanden. Ein Landstück zwischen der Bergstrasse,<br />

<strong>dem</strong> Wasserfluhweg und der Zurlindenstrasse. Die acht<br />

Bauplätze gehörten den Architekten Geiser & Schmidlin<br />

und <strong>dem</strong> Malermeister Zingg. Das Land wurde zum<br />

Verkauf angeboten mit der Auflage, dass die oben erwähnten<br />

Besitzer beim H<strong>aus</strong>bau berücksichtigt werden<br />

mussten. Als das erste H<strong>aus</strong> <strong>aus</strong>gesteckt wurde, fragte<br />

man sich, was da mitten in konventionellen Giebelhäusern<br />

entstehen soll.<br />

Sibylle Reimann-Hämmerli — Ostern nahte, die Spannung<br />

stieg. Leider geschah nichts. Kein Wassertropfen<br />

wollte in das leere Schwimmbassin fallen. Dabei begannen<br />

in vier Tagen die Ferien. Würde es dieses Jahr nicht<br />

Palme in Anna Werders Garten<br />

14. Tannerstrasse 47<br />

Ein «Zürisee» mitten im <strong>Zelgli</strong>quartier markierte für<br />

die Kinder jedes Jahr den Beginn des Frühlings.<br />

dren hinauf zum Waldrand und sehe die Zweige in den<br />

Strahlen der Abendsonne im leichten Windhauch zittern:<br />

«Dieser Ort ist schon etwas ganz Besonderes!» pflegte<br />

Anna Werder dann immer leise zu sagen.<br />

Ein erstes H<strong>aus</strong> mit Pultdach wurde gebaut und<br />

schon bald waren zwei weitere <strong>aus</strong>gesteckt – nicht im<br />

Chaletstil, versteht sich. Junge Familien zogen ein mit<br />

über einem Dutzend Kindern. Es gab keine Zäune, Hunde,<br />

aber keine Katzen. Innert wenigen Jahren entstand<br />

ein neues Quartier, das eine architektonische Einheit bildete.<br />

Böse Zungen nannten es «Betonville». Die acht<br />

Häuser, in denen sich alle Leute wohl fühlen, sind noch<br />

heute im Besitz der Erbauer oder ihrer Nachkommen.<br />

klappen? Endlich, am Nachmittag war der Brunnenmeister<br />

über den Gartenzaun geklettert, hatte die Wasserleitung<br />

zum Bassin geöffnet und auf 1 l/min eingestellt.<br />

Drei Tage dauerte es jetzt noch, bis das Bassin mit<br />

<strong>H<strong>aus</strong>geschichten</strong> <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> <strong>Zelgli</strong> 17


Wasser gefüllt war. Das bedeutete für die Kinder, dass<br />

der Wasserstand täglich kontrolliert werden musste. Und<br />

wir alle standen um das Bassin herum, freuten uns über<br />

das klare Wasser und fanden unsern Garten sehr zu seinem<br />

Vorteil verändert. Und endlich kräuselte sich das<br />

Wasser am Bassinrand. Auch die Nachbarskinder hatten<br />

das Wasser beobachtet. Nun spielten alle Kinder rund<br />

um das Bassin herum. Sie turnten, spielten mit <strong>dem</strong> Ball<br />

und bald landete das erste Kind mit den Kleidern im eiskalten<br />

Wasser. Auf dieses Startzeichen hin hüpften auch<br />

die andern sofort hinein. Ein riesiges Geplansche und<br />

Gequietsche erfüllte die Luft und ich eilte mit vielen<br />

Badetüchern herbei, um all die nassen und durchfrorenen<br />

Kinder einzuwickeln. So begann bei uns während<br />

vieler Jahre der Frühling. Unser Schwimmbad gehörte<br />

zu den ältesten im Quartier und funktionierte wie die<br />

Brunnen der Stadt. Wie diese wurde es vom Brunnenmeister<br />

in Betrieb gesetzt und im Herbst entsprechend<br />

wieder abgestellt. Wie das Brunnenwasser blieb unser<br />

Wasser immer kalt und an heissen Sommertagen genossen<br />

wir diese erfrischende Kühle sehr. Die Bauherrin<br />

bezeichnete das Schwimmbad als ihr kleiner «Zürisee».<br />

Vor einigen Jahren haben wir das Bad – den «Zürisee»<br />

– renaturiert, in<strong>dem</strong> wir es zu einem Biotop umbauen<br />

liessen. Alle Materialien des alten Bassins sind dazu<br />

verwendet worden. Bei genauem Hinsehen ist auch die<br />

ursprüngliche Form des Bassins noch erkennbar. Nicht<br />

nur der «Zürisee» war in den schönen Garten eingeplant<br />

worden. Es war erstaunlich, was hier alles zu finden war.<br />

Neben der Badewiese wuchsen reihenweise Himbeeren,<br />

was ganz den Wünschen der Kinder entsprach. Brombeeren<br />

und Johannisbeeren fehlten nicht. Sechs verschiedene<br />

Apfelsorten fanden hier Platz, Birnen, Weich-<br />

Verena Knell — Das H<strong>aus</strong> ist ungefähr 30 Jahre alt, hat<br />

aber sein modernes, kantiges Outfit behalten. Ursprünglich<br />

<strong>aus</strong> Backstein erbaut, musste es sich später zur besseren<br />

Isolation mit hässlichem, braunem Eternit verkleiden<br />

lassen! Sechs Wohnungen befinden sich im<br />

schmucklosen H<strong>aus</strong>: drei 4-Zimmer- und drei 5-Zimmer-Wohnungen,<br />

alle im Eigentum.<br />

Ich kam vor 10 Jahren <strong>aus</strong> Lostorf in dieses sehr<br />

geometrisch eingeteilte H<strong>aus</strong> mit Lift, blitzsauberem<br />

Treppenh<strong>aus</strong> und gepflegtem Garten. Die Miteigentümer<br />

sind bunt gemischt, was Lebensstil und Einrichtung<br />

betrifft. Älter bis alt sind wir alle! Wir sind eine ange-<br />

18 <strong>Stadtmuseum</strong> <strong>Schlössli</strong> <strong>Aarau</strong><br />

15. Liebeggerweg 12<br />

seln und Aprikosen vervollständigten das Angebot. Verschiedenste<br />

Rosen schmückten den Garten und einige<br />

davon blühen auch jetzt noch jedes Jahr wunderschön.<br />

Ebenso sorgfältig war 1933 das ganze H<strong>aus</strong> gebaut<br />

worden. Die Böden sind <strong>aus</strong> Holz konstruiert, die Zwischenräume<br />

mit Schlacke gefüllt. An diesen Böden lässt<br />

sich ein Stück Kulturgeschichte ablesen. Das Parterre<br />

wird von einer geräumigen Stube und <strong>dem</strong> anschliessenden<br />

Esszimmer geprägt. Beide haben einen wunderschönen<br />

Eichenboden mit Fischgratmuster. Das Esszimmer<br />

ist zusätzlich mit Holz getäfert. Doch diese Pracht wurde<br />

ganz offensichtlich nur für besondere Anlässe genutzt.<br />

Neben der bescheidenen Küche existierte eine<br />

Essecke mit Eckbank – ein eher düsterer Platz, aber offensichtlich<br />

für den Alltag gedacht. Die Böden im ersten<br />

Stock sind auch mit Fischgratmuster gestaltet, aber nur<br />

noch in Buchenholz gefertigt. Und im obersten Stock<br />

gibt es nur noch Riemenböden. Auch in der Küche fanden<br />

sich kulturgeschichtlich interessante Möbel. Da<br />

stand ein riesiger eingebauter Schrank mit Schiebetüren,<br />

eingebauten Schubladen <strong>aus</strong> Glas für Zucker, Mehl und<br />

Gewürze sowie ein eingebauter Kühlschrank. Das war<br />

ein niedriger, gefliester Schrank mit zwei dicken Rohren,<br />

die durch die nördliche H<strong>aus</strong>wand nach dr<strong>aus</strong>sen<br />

führten.<br />

Wenn alle Kinder nach ihrem Frühlingsritual im<br />

Garten wieder trocken und warm verpackt waren, konnten<br />

sie ein feines Zvieri in diesem schönen H<strong>aus</strong> geniessen<br />

und anschliessend im oberen Stockwerk zusammen<br />

spielen. Derweil machte ich es mir in der Stube gemütlich,<br />

und dank der klangverstärkenden Holzkonstruktion<br />

der Böden konnte ich ganz bequem hören, womit sich<br />

die Kinder beschäftigten.<br />

nehme, verschworene Seilschaft, die jederzeit bereit ist<br />

zu helfen, wenn Hilfe gebraucht wird. In zwei Wohnungen<br />

leben verspielte Büsi – ich habe eine wunderbare<br />

Windhund-Lady, die heult, wenn ich einen Arzt- oder<br />

Zahnarzttermin habe. Durch eine bittere Vergangenheit<br />

ist sie abnormal anhänglich und hat Verlustängste, wenn<br />

ich ohne sie weggehe! Ich bin sehr dankbar, dass meine<br />

Mitbewohner nachsichtig und freundlich sind. Ich lebe<br />

gerne in Nr. 12, ich liebe meine grossen, lichtdurchfluteten<br />

Räume und den Blick ins Grüne. Ich schätze die<br />

Nähe der Menschen hier, die mich niemals einengen!<br />

Charlotte Parry — Mein Urgrossvater Fritz Siebenmann<br />

erwarb das H<strong>aus</strong> an der Tannerstrasse 21 in <strong>Aarau</strong> am<br />

12. Juli 1918, nach<strong>dem</strong> er mit seiner Familie die «Walthersburg»<br />

verlassen hatte. Er zog mit seiner Frau Marie<br />

und seinen drei Töchtern Mathilde (meiner Grossmutter),<br />

Emmy und Miggi ein. Ein grosses Stück Land vis-<br />

à-vis gehörte auch dazu. Die Tochter von Miggi erinnert<br />

sich noch lebhaft an einen wunderschönen Zitronenapfelbaum<br />

mit feinen Früchten. An Weihnachten, so erzählt<br />

sie, habe sie mit ihren Schwestern auf <strong>dem</strong> Regenfass<br />

Eis gepickelt, bis das Christkind die Kerzen auf<br />

<strong>dem</strong> Weihnachtsbaum angezündet habe. Sie kann immer<br />

noch den wunderbaren Tannenduft riechen, der die Stube<br />

erfüllte. Im Sommer habe das ganze <strong>Zelgli</strong> schon von<br />

weitem nach reifen Erdbeeren, die im Garten wuchsen,<br />

geduftet. Meine Grossmutter Mathilde Brühlmann-Siebenmann<br />

war eine passionierte Geschäftsfrau am Rain<br />

und hatte nicht viel Zeit für ihre zwei Söhne. Ernst<br />

(mein Vater) und Fritz verbrachten einen Grossteil ihrer<br />

Freizeit an der Tannerstrasse 21. Sie fühlten sich hier<br />

bei ihrer Grossmutter wie zu H<strong>aus</strong>e.<br />

Das H<strong>aus</strong> blieb in der Familie. Im Jahre 2007 erwarb<br />

ich es zusammen mit meiner Schwester Stephanie<br />

von meinem Onkel, meinem Bruder und der Familie<br />

Schmid-Bloesch (ehemals Siebenmann). In den siebziger<br />

Jahren wohnte ich mit meinem Mann im Parterre.<br />

Vier Jahre später, zurück <strong>aus</strong> England, bewohnten wir<br />

den zweiten Stock unter <strong>dem</strong> Dach. 1983 kam Sohn Steven<br />

zur Welt. Seit seinem fünften Lebensjahr ist Musik<br />

seine Passion, er spielt leidenschaftlich gerne Klavier.<br />

Also ist es auch ein musikalisches, swingendes H<strong>aus</strong>! Er<br />

wird Ende Juni <strong>aus</strong>ziehen und so sein Elternh<strong>aus</strong>, ver-<br />

Alfons Ruckstuhl — Im damals noch ziemlich leeren <strong>Zelgli</strong><br />

ist das H<strong>aus</strong> an der Tannerstrasse 19 in den 20er-Jahren<br />

Jahren des letzten Jahrhunderts erbaut worden. Mei-<br />

16. Tannerstrasse 21<br />

Während 95 Jahren wachte eine Weisstanne über das H<strong>aus</strong>,<br />

die nach einem Blitzschlag dieses Jahr gefällt werden musste.<br />

17. Tannerstrasse 19<br />

bunden mit vielen schönen Kindheitserinnerungen, verlassen.<br />

So ist meine Verbundenheit mit diesem H<strong>aus</strong> einerseits<br />

durch meine Familie, andererseits auch durch<br />

meinen langen Aufenthalt hier gegeben. Unter den verschiedenen<br />

Mietern in den vielen Jahren ist auch Familie<br />

Brechbühl, die schon seit 38 Jahren hier wohnt und<br />

zwei Töchter grossgezogen hat.<br />

Während all dieser Zeit wachte über den Bewohnern<br />

eine riesige Weisstanne. Vor zwei Jahren, als ich<br />

nach H<strong>aus</strong>e kam und vor unserer H<strong>aus</strong>türe stand, schlug<br />

ein Blitz in die Tanne. Anscheinend handelte es sich um<br />

einen Kugelblitz, denn der Nachbar sah wie eine Feuerkugel<br />

die Strasse hinunterrollte. Ich dachte, mein letztes<br />

Stündlein hätte geschlagen. Ein gewaltiger Knall und<br />

das Geräusch von zersplittern<strong>dem</strong> Glas liessen mich erstarren.<br />

Von der Verletzung erholte sich der Baum nicht<br />

mehr und musste <strong>aus</strong> Sicherheitsgründen am 10. März<br />

dieses Jahres gefällt werden. Wir waren traurig, hatte<br />

doch die 95-jährige, 28 Meter hohe Tanne das Leben<br />

meiner Familie und vieler anderer Menschen begleitet.<br />

All die Krähen, Elstern, Meisen, Gimpel und viele andere<br />

Vögel mussten sich ein neues Zuh<strong>aus</strong>e suchen.<br />

Eine meiner grossen Freuden ist der Garten. Hohe alte<br />

Birken, Forsythien, Feuerbüsche, Wiese, Blumen und<br />

«Unkraut» bilden ein kleines Paradies und bieten Lebensraum<br />

für Singvögel, Schmetterlinge, Käfer und<br />

sonstiges Getier. Freuden und Sorgen, Lebensfreude und<br />

Tragik, Geburt und Tod haben das H<strong>aus</strong> geprägt. Diesen<br />

Herbst wird das H<strong>aus</strong> bezüglich Isolation und Wärmeenergie<br />

aufgerüstet. Wir hoffen, noch manches schöne<br />

Jahr hier verbringen zu können.<br />

Das H<strong>aus</strong> war einst nicht nur Bäckerei, Lebensmittelladen und Postannahmestelle,<br />

sondern auch Treffpunkt für so manchen Schwatz der Quartierbewohnerinnen.<br />

ne Eltern, Alphons (Jg. 1916) und Margaritha Ruckstuhl-Sommerhalder<br />

(Jg. 1910), haben es 1952 vom<br />

damaligen Besitzer, Ernst Grogg, gekauft. Dieser wie-<br />

<strong>H<strong>aus</strong>geschichten</strong> <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> <strong>Zelgli</strong> 19


derum eröffnete in der Folge das Restaurant «<strong>Aarau</strong>erstube»<br />

an der Bahnhofstrasse. Meine Eltern betrieben<br />

also fortan die Quartierbäckerei mit Lebensmittelgeschäft<br />

als reinen Familienbetrieb. Mein Vater produzierte<br />

all die feinen Backwaren unten in der Backstube.<br />

Meine Mutter und nach und nach auch meine zwei<br />

Schwestern (Margrit, Jg. 1942) und (Manuela, Jg. 1946)<br />

unterstützten sie, so gut es eben neben der Schule ging.<br />

Mein Bruder (Hansrudolf, Jg. 1939), das älteste unter<br />

uns vier Kindern, verliess das Elternh<strong>aus</strong> bereits 1956,<br />

um in Fribourg eine Lehre als Konditor-Confiseur zu<br />

beginnen, welche er dann drei Jahre später auch erfolgreich<br />

abschloss. Unterdessen entschlossen sich meine<br />

Eltern, das in die Jahre gekommene Ladenlokal gründlich<br />

umzubauen. Während der Umbauzeit im Juli/August<br />

1960 verkaufte meine Mutter die duftenden Frischwaren<br />

in der hübsch hergerichteten Autogarage neben<br />

<strong>dem</strong> Geschäftsh<strong>aus</strong>. Heute kaum mehr vorstellbar, waren<br />

die geschätzten Kundinnen sehr dankbar, dass sie<br />

auch in diesen zwei Monaten ihre Frischwaren direkt<br />

beim Bäcker im Quartier kaufen konnten. Nach der<br />

Neueröffnung im August 1960 präsentierte sich das Geschäft<br />

mit nur noch einer zentralen Ladentüre (vorher<br />

waren es zwei getrennte für Bäckerei und Lebensmittel)<br />

und mit zwei grossflächigen Schaufenstern, welche auch<br />

heute noch zu sehen sind. Auch ich selber (Alfons Jun.,<br />

Jg. 1950), habe mittlerweile an allen Enden im Familienbetrieb<br />

mitgeholfen, als Hilfsbäcker bei meinem Vater,<br />

als Ausläufer nach der Schule oder als Küchenhilfe,<br />

wenn die Mutter andauernd im Laden besetzt war. Zusätzlich<br />

war unser Geschäft auch Postannahmestelle für<br />

Pakete, Briefe, Verkaufslokal für diverse postalische<br />

20 <strong>Stadtmuseum</strong> <strong>Schlössli</strong> <strong>Aarau</strong><br />

Ehemaliges Ladenlokal an der Tannerstrasse 19<br />

Produkte, vor allem Briefmarken, Aufklebeadressen,<br />

Luftpostpapier, Air-Mail-Kleber und vieles mehr. Was<br />

heute wieder vermehrt in kleinen Dörfern eingerichtet<br />

wird (Poststellen), war bereits damals in unserem Quartier<br />

eine feste Grösse. Alle diese Dienstleistungen ersparten<br />

vielen Kundinnen den Weg in die Stadt. Es gab<br />

noch keinen Bus ins <strong>Zelgli</strong> und ein Zweitauto hatte damals<br />

praktisch niemand! Die Stadtmühle <strong>Aarau</strong> brachte<br />

ihr Mehl für unsere Bäckerei noch in 50-kg-Stoffsäcken.<br />

Der Chauffeur, oder besser gesagt Kutscher oder Fuhrmann,<br />

denn er kam mit einem zweispännigen Pferdefuhrwerk,<br />

trug die schwere Last auf <strong>dem</strong> Rücken in die<br />

Backstube hinunter. Auf die gleiche Art lieferte die<br />

Brauerei Feldschlösschen ihr Bier in unseren Keller. Die<br />

Kundinnen machten dann jeweils einen grossen Bogen<br />

um die imposanten Pferde herum. So entwickelte sich<br />

unser Geschäft immer mehr zu einem echten Quartier-<br />

Treff; gar manche Kundinnen, eher selten auch Kunden,<br />

führten einen kurzen oder längeren Schwatz miteinander<br />

oder auch mit meiner Mutter. Wenn mehr Platz vorhanden<br />

gewesen wäre, hätte auch eine kleine Kaffee-<br />

Ecke eingerichtet werden können; dazu kam es allerdings<br />

nie! Die harte Arbeit und die überlangen<br />

Arbeitstage (13 bis 16 Stunden waren der Normalfall)<br />

nagten an der Gesundheit, vor allem an der meines Vaters.<br />

Zusätzlich haben sich meine beiden Schwestern in<br />

der Zwischenzeit verheiratet und konnten nur noch Teileinsätze<br />

im Laden leisten. Hansrudolf, der Erstgeborene,<br />

wohnte schon lange in der Romandie; und auch<br />

ich selber habe mich nicht für den Bäckerberuf entschieden<br />

und bin stattdessen Lehrer geworden. So entschlossen<br />

sich meine Eltern schweren Herzens, das Geschäft<br />

im Jahre 1971 aufzugeben. Da sich kein Nachfolger finden<br />

liess, blieb das Geschäft für immer geschlossen und<br />

meine Eltern gestalteten den ehemaligen Ladenraum geringfügig<br />

um und bewohnten diesen fortan als grosse<br />

Stube, später sogar als Schlafzimmer. In den folgenden<br />

Jahren (ab 1972) vermieteten meine Eltern einige der<br />

9 Zimmer im 1. und 2. Stock an B<strong>aus</strong>chüler der B<strong>aus</strong>chule<br />

Unterentfelden. Dies hat sich auch nach <strong>dem</strong> Tod<br />

meines Vaters (1999) nicht geändert und noch heute<br />

wohnen 1–2 B<strong>aus</strong>chüler im obersten Stock des H<strong>aus</strong>es.<br />

Meine Mutter, mittlerweile 99-jährig, ist bei guter Gesundheit<br />

und bewohnt nach wie vor das H<strong>aus</strong> an der<br />

Tannerstrasse 19, tatkräftig unterstützt von ihren Nach-<br />

Adolf Fäs — Wir haben das H<strong>aus</strong> 1976 vom ehemaligen<br />

Chefredaktor des Aargauer Tagblattes, Dr. W. Gisiger,<br />

gekauft, weil es uns auf Anhieb gefiel, einen grossen<br />

Garten hat und gut gelegen ist. Es ist Ende der zwanziger<br />

Jahre des letzten Jahrhunderts von einem jungen Architekten<br />

namens Studer gebaut worden. Er benutzte es als<br />

Wohn- und Geschäftsh<strong>aus</strong> mit seinem Architekturbüro<br />

im Parterre. Der gleiche Architekt hat auch die alte <strong>Aarau</strong>er<br />

Badi und ein paar andere Privathäuser in <strong>Aarau</strong> erstellt.<br />

Einige Jahre später kam er bei einem Autounfall<br />

ums Leben. Nach Studers Tod bewohnte ein Spitalarzt<br />

namens Säuberli das H<strong>aus</strong>. Wir liessen es nach <strong>dem</strong> Kauf<br />

durch den Architekten Felber sanft und stilgerecht renovieren.<br />

Dabei kam im Wohnzimmer unter einem abgewetzten<br />

grünen Spannteppich ein schöner Parkettboden<br />

zum Vorschein. Zusammen mit unsern 1975 und 1977<br />

Margrit Michel — Wohnt man mal im <strong>Zelgli</strong>, bleibt man!<br />

Vor gut 28 Jahren hatte ich das Glück, mit meinem<br />

4-jährigen Sohn eine Parterrewohnung in einem zusammengebauten<br />

3-Familienh<strong>aus</strong> zu bekommen, das wir<br />

dann später, als der Eigentümer starb, kaufen konnten.<br />

Ist man mal im <strong>Zelgli</strong>, wechselt man nicht so<br />

schnell. Meine Nachbarin zog vor 69 Jahren mit Mutter<br />

und Schwester ein, inzwischen ist auch sie gestorben.<br />

18. Hohlgasse 70<br />

19. Fliederweg 8<br />

kommen und der Spitex. Leider sind die meisten Kundinnen<br />

verstorben, die Neuzuzüger kennt sie natürlich<br />

nur in der allernächsten Umgebung. Aber als Frohnatur<br />

findet sie auch heute noch Kontakte, vor allem im Sommer,<br />

wenn sie dr<strong>aus</strong>sen sitzt. Die alten Kundinnen und<br />

ihren Ehemann besucht sie dann halt auf <strong>dem</strong> Friedhof<br />

Rosengarten, der ja ganz in unserer Nähe liegt. Ich selber<br />

habe 1980 meine Nachbarin, Ruth Kaufmann (Jg. 1953),<br />

geheiratet. Zusammen, mittlerweile mit unserer Tochter<br />

Salome (Jg. 1992), bewohnen wir das H<strong>aus</strong> an der<br />

Tannerstrasse 17. Wir sind also die direkten Nachbarn<br />

meiner Mutter, was für uns alle sehr schön ist; wir profitieren<br />

gegenseitig voneinander.<br />

geborenen Söhnen erlebten wir seither viele schöne<br />

Stunden im wohnlichen H<strong>aus</strong>.<br />

Besonderen Wert legen wir auf eine naturnahe Gestaltung<br />

des Gartens. So haben wir im Verlaufe der Jahre<br />

viele exotische Sträucher durch einheimische ersetzt und<br />

nebst einer Blumenwiese auch zwei Teiche, ein Trockenbiotop<br />

mit Mergel und eine Ruderalfläche mit Kies erstellt.<br />

Erstaunlich viele Vogelarten haben wir seither schon<br />

vor unserem Fenster beobachten können. Einige davon<br />

haben sogar in unserem Garten gebrütet, nicht zuletzt wegen<br />

der zahlreichen von uns angebrachten Nisthilfen (u.<br />

a. H<strong>aus</strong>- und Gartenrotschwanz, Kleiber, Buntspecht, verschiedene<br />

Meisenarten). Besonders erwähnen möchten<br />

wir noch die Nachtigall, den Teichrohrsänger, ein Pärchen<br />

Neuntöter, die Rotdrossel und den Kleinspecht, die alle<br />

unseren Garten schon einmal kurz besucht haben.<br />

Auf der anderen Seite wohnte ein Ehepaar in einem der<br />

ältesten Häuser am Weg zeit seines Lebens: 96 Jahre.<br />

Jetzt ist es verkauft. Häuser und Umschwung haben sich<br />

nicht viel verändert. Es hatte aber nicht nur ältere Leute,<br />

Kinder hatte es immer. Die Umgebung ist sehr kinderfreundlich.<br />

Zurzeit hat es etwa ein Dutzend Kinder, die<br />

den Weg zum Spielen benutzen.<br />

<strong>H<strong>aus</strong>geschichten</strong> <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> <strong>Zelgli</strong> 21


Hans Schenker — Als wir 1964 ins <strong>Zelgli</strong> einzogen, hatten<br />

wir soeben das Experiment «Wohnen in einem Loft»<br />

beendet. Es hatte Folgendes gebracht: fantastischer<br />

grosser Raum, Gefühl der Freiheit, aber Temperaturen<br />

zwischen minus 2 und plus 45 Grad. Vom Altstofflager<br />

unterhalb der Wohnung stieg Ungeziefer herauf.<br />

Wir waren froh, in ein normales H<strong>aus</strong> ziehen zu<br />

können. Vorerst begegneten uns die Leute in der Nachbarschaft<br />

eher zurückhaltend. Dafür verantwortlich war<br />

wohl unsere Erscheinung. Unsere Kinder, zwei Knaben<br />

und ein Mädchen, pflegten meist barfuss zu gehen. Was<br />

schockierte, war indessen der rassenreine ungarische<br />

Hirtenhund. Sein Haar war total verfilzt. Wir wussten,<br />

dass man ihn auf gar keinen Fall kämmen durfte. Man<br />

Julie Landis — Am Freitag, 28. August 1981, erschien im<br />

Aargauer Tagblatt folgendes Inserat: «<strong>Aarau</strong>, Einfamilienh<strong>aus</strong><br />

an der Renggerstrasse 60 mit Garage und gedecktem<br />

Sitzplatz. Ruhige und zentrale Lage. 942 m 2<br />

Land. 8 Zimmer, Estrich und Keller. Bezug ab 1. Dezember<br />

1981. Verhandlungspreis: Franken 600’000.00.<br />

Auskunft erteilt: Schweizerische Bankgesellschaft, Herr<br />

M. Weibel, <strong>Aarau</strong>.»<br />

Noch am selben Tag gingen Kaspar und ich das<br />

H<strong>aus</strong> suchen und fanden es im <strong>Zelgli</strong> beim Friedhof. Ich<br />

22 <strong>Stadtmuseum</strong> <strong>Schlössli</strong> <strong>Aarau</strong><br />

20. Hohlgasse 38<br />

Hohlgasse 38, H. Schenker<br />

21. Renggerstrasse 60<br />

hätte ihn sonst des Schutzes gegen Wölfe beraubt. Seine<br />

Heimat war die Puszta, wo er eine Schafherde beschützen<br />

musste. Im <strong>Zelgli</strong> hat es schliesslich bis zum heutigen<br />

Tag noch keine Wölfe. Dass wir uns in der Nachbarschaft<br />

mit einem Blüm chen vorgestellt hatten, war<br />

sehr unterschiedlich aufgenommen worden. Eine Wende<br />

brachte das neue Telefonbuch, das mich als Architekten<br />

<strong>aus</strong>wies. Dieser Beruf nützte mir bei der Lösung des<br />

Garagenproblems, ja sogar ein verglaster Windfang auf<br />

Strassenniveau liess sich realisieren.<br />

Aufwarten kann ich noch mit einem spektakulären<br />

Fenstersturz. Unser zweijähriger Werner fand den Mittagsschlaf<br />

nicht. Er stürzte 5 Meter auf den Kiesweg im<br />

Garten ab, ohne sich im Geringsten zu verletzen.<br />

Der Wunschtraum vom Traumh<strong>aus</strong> wurde Wirklichkeit und das H<strong>aus</strong><br />

ist bis heute die «grosse Liebe» seiner Besitzerin Julie Landis.<br />

war begeistert, war es doch ein H<strong>aus</strong>, wie es meinen<br />

Wunschträumen entsprach… Kaspar dagegen war sehr<br />

skeptisch und bat mich, diese Villa sofort zu vergessen,<br />

da reichere Leute bestimmt 100’000 Franken mehr dafür<br />

bezahlen würden. – Ich blieb hartnäckig und am<br />

1. Dezember 1981 gehörte das H<strong>aus</strong> für 580’000 Franken<br />

uns (und der SBG)!<br />

Der Wunschtraum wurde zum Traumh<strong>aus</strong> – und<br />

blieb meine grosse Liebe, ihm und seinem Garten gehört<br />

meine Zuwendung in verschiedensten Arten! Kas-<br />

par starb leider 1998 an einer Leukämiekrankheit und<br />

konnte nicht mehr erleben, wie ich einen Ausgang zum<br />

Garten, einen offenen Kamin im Sitzplatz, eine Dusche<br />

im Keller… und zuletzt ein Tomatenh<strong>aus</strong> realisierte.<br />

1911 wurde die Villa für Herrn Heinrich Hasler,<br />

geb. 1872, Vorsteher des Versicherungsamtes, gebaut.<br />

Der Architekt war A. Müller-Jutzeler. 1913 vermietete<br />

E. Eckert und Sohn, Baugeschäft in <strong>Aarau</strong>, die Liegenschaft<br />

an Max Senn, Stadtförster in <strong>Aarau</strong> für 1’800<br />

Franken pro Jahr.<br />

Am 1. November 1919 verkauft Hasler das H<strong>aus</strong><br />

an Hermann Henz, Kaufmann, für 72’000 Franken. Bereits<br />

wenige Monate später verkaufte Henz das H<strong>aus</strong><br />

wieder für nur 70’000 Franken. Mir wurde von Berchtold<br />

Senn erzählt, dass eine unglückliche Liebes-/Verlobungsgeschichte<br />

der Grund war.<br />

1920 bis 1981, also während 61 Jahren, wurde das<br />

H<strong>aus</strong> von der Familie Senn-Siegfried bewohnt. Max<br />

Senn (1880–1959), Edith Senn-Siegfried (1887–1983),<br />

Sohn Berchtold (1911–2008), Tochter Hedi Bloch-Senn<br />

(geb. 1913), und Oberkorpskommandant Hans Adam<br />

(1918–2007). Wie ich im Laufe der Jahre erfuhr, war<br />

Hans Senn bei allen Schweizer Soldaten hoch geachtet.<br />

Der Tod von Marie Meili im Jahr 1981, welche<br />

über Jahrzehnte den H<strong>aus</strong>halt, den Garten und vor allem<br />

die Dame des H<strong>aus</strong>es betreute, war der Grund, dass die<br />

Erben Senn das H<strong>aus</strong> verkauften. Frau Edith lebte noch<br />

zwei Jahre im Altersheim Herosé. Wir durften sie noch<br />

zweimal ins «Senn-Hüttli» zum Tee einladen und sie<br />

streichelte ihre Möbel (wir haben sehr viel Mobiliar<br />

übernommen), in<strong>dem</strong> sie meinte, dass sie glücklich sei zu<br />

wissen, dass so liebe Leute jetzt im «Senn-Hüttli» wohnen!<br />

Familie Landis nach <strong>dem</strong> Einzug, 1981<br />

1981–2009 ist also der Traum vom H<strong>aus</strong> zum<br />

wirklichen Traumh<strong>aus</strong> geworden. Alt-Stadtförster Senn<br />

ist vor allem im Garten und Umschwung gegenwärtig –<br />

manchmal bitte ich ihn um Rat. Die Familie Senn hat<br />

uns unzählige interessante Unterlagen überlassen sowie<br />

praktische Dinge wie Ersatzplättli für Küche und Bad<br />

sowie Tapetenrollen von 1911 zum Ausbessern! In zwei<br />

Räumen befinden sich die alten Tapeten und auch die<br />

Linoleumböden, die antiken Leuchter und Telefonapparate<br />

funktionieren noch. Die unterschiedlich verzierten<br />

Radiatoren sind wunderschön und erhaltenswürdig, wie<br />

alles im und ums H<strong>aus</strong>.<br />

Viele Belege zeigen, dass sich Herr Senn sehr für<br />

unser <strong>Zelgli</strong>quartier engagierte. So zum Beispiel im Jahre<br />

1926, als er sich mit Mitunterzeichnern gegen «das<br />

Schlachten von Tieren» im neu geplanten Doppelgeschäftsh<strong>aus</strong><br />

<strong>Zelgli</strong>strasse/Tannerstrasse vom Konsumverein<br />

wehrte. Ebenfalls 1926 stimmte er <strong>dem</strong> Voll<strong>aus</strong>bau<br />

der <strong>Zelgli</strong>strasse zu und trat zum Preise von 7 Franken<br />

per m 2 , 63 m 2 von seinem Gartenland ab. Übrigens<br />

kaufte Max Senn am 5. Juni 1920 bei der Forstverwaltung<br />

<strong>Aarau</strong> 50 Bohnenstecken à 20 Rappen; und wie mir<br />

Sohn Berchtold erzählte, wurden die Stangenbohnen<br />

quasi auf der heutigen Renggerstrasse angebaut, da damals<br />

nur das Spitalgässli zur Stadt hinunterführte. Als<br />

Stadtförster visierte er seine Rechnungen persönlich.<br />

Der Stadtkassier hiess Wehrli.<br />

Resumé: Ich habe in diesem H<strong>aus</strong> an die zwanzig<br />

Kinder-, Garten- und Kochbücher realisiert und das letzte,<br />

im April 2008 erschienene, ist mein «Geschenk» an<br />

dieses H<strong>aus</strong>!<br />

<strong>H<strong>aus</strong>geschichten</strong> <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> <strong>Zelgli</strong> 23


<strong>Stadtmuseum</strong> <strong>Schlössli</strong> <strong>Aarau</strong><br />

Schlossplatz 23<br />

5000 <strong>Aarau</strong><br />

www.museumaarau.ch<br />

museum@aarau.ch<br />

Öffnungszeiten:<br />

Mi - So 14 - 17 Uhr

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