190914_BT_Einfach da sein_Freiwilligendienst_Begleitung_Kranker

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Kontext
Samstag, 14.09.2019 Bieler Tagblatt
Titelgeschichte
Fortsetzung von Seite 25
beispielsweise auf die Radiologie
oder die Kardiologie.
Auch wenn es immer weniger stationäre
Patienten gibt – früher seien
sie jeweils einen ganzen Morgen damit
beschäftigt gewesen, diese zu begleiten
– ist sie überzeugt, dass die
Dienste des FBK im Spital nach wie
vor geschätzt werden. «Sogar junge
Leute, die alleine herkommen, sagen
mir immer wieder: ‹Gott sei Dank,
ohne Sie hätte ich den Weg wohl nie
gefunden›», erzählt Arrocho.
Ältere oder alleinstehende Menschen
seien wiederum froh, wenn sie
in ihnen jemanden zum Reden finden.
Zum Beispiel, wenn sie gerade
eine schlechte Diagnose erhalten haben.
«Dann gilt es zuzuhören und
auch auf die Menschen einzugehen.»
Das kostbarste Gut: Zeit
Von ähnlichen Erlebnissen erzählt
auch Evelyn Fallot, ebenfalls eine
«Dame in Rosa», die einige Stöcke
weiter oben die «rollende Bibliothek»
führt. Jeden Mittwochmorgen
verleiht sie zusammen mit ihren Kolleginnen
– und es sind ausschliesslich
Frauen – auf den Stationen Bücher
an die Patienten. «Weil die Menschen
heute weniger lange im Spital
bleiben, verleihen wir weniger Bücher
als früher», sagt sie. Waren es
2013 noch über 1000, seien es im
letzten Jahr noch etwas mehr als
700 gewesen.
«Sogar junge
Leute, die alleine
ins Spital kommen,
sagen mir: ‹Gott sei
Dank, ohne Sie
hätte ich den Weg
unmöglich
gefunden›.»
Verena Arrocho, Mitglied des FBK
und Teil des Empfangsdienstes im
Spitalzentrum Biel
Nachgefragt
«Man merkt schnell, was
man aushalten kann»
Margrit Nydegger
Kursleiterin FBK
Um sich auf die Begegnungen mit
Kranken oder Sterbenden vorzubereiten,
besuchen die Mitglieder des
FBK den Grundkurs «Begleitung
schwerkranker Menschen». Dabei
geht es darum, sich aktiv mit dem
Sterben oder mit Schmerzen auseinanderzusetzen,
wie Kursleiterin
Margrit Nydegger erzählt.
Margrit Nydegger, wie bereitet man
jemanden darauf vor, einen Menschen
in den Tod zu begleiten?
Margrit Nydegger: Indem wir über
das Sterben sprechen und aufzeigen,
dass der Tod zum Leben dazu
gehört. Früher war dieser noch etwas
Allgegenwärtiges. Man begegnete
ihm schon als Kind. Heute werden
wir oft erst viel später damit
konfrontiert. Indem wir darüber
sprechen, lernen die Kursteilnehmenden,
mit welchen Facetten des
Lebens sie Mühe oder vor denen sie
Angst haben. Es ist ein Auseinandersetzen,
das Mut und Sicherheit geben
soll, um unterschiedlichen Verlustsituationen
zu begegnen.
In den Begleitungen geht es ja vor
allem darum, den Menschen in
ihren Leiden beizustehen. Was bedeutet
das genau?
Beistehen heisst, einfach da zu sein.
Manchmal ganz nahe, am Bett eines
Patienten. Manchmal aber auch nur
im selben Raum. Wenn man jemanden
begleitet, dann spürt man
schnell, was die oder der Betroffene
braucht. Manchen tut es gut, wenn
sie unsere Hand halten können. Andere
wollen das nicht, sind aber froh,
zu wissen, dass jemand da ist.
Trotzdem seien ihre Besuche
nicht umsonst. «Die Patienten sind
extrem froh, wenn jemand in ihr
Zimmer tritt, mit dem sie ein wenig
plaudern können», sagt Fallot. Ein
Eindruck, den auch Marie-Pierre
Fauchère, Leiterin Kommunikation
und Marketing des Spitalzentrums,
bestätigen kann: «Den wertvollsten
Beitrag leisten unsere ‹Damen in
Rosa›, indem sie den Patientinnen
und Patienten eines der kostbarsten
Güter schenken, die wir haben: Zeit.
Zeit, sich hinzusetzen, eine Hand zu
halten oder einfach nur zuzuhören.»
«Die Elefanten werden kleiner»
Solche Rückmeldungen, sei es aus
den Spitälern, den Altersheimen,
von Angehörigen, oder auch von den
Patienten selbst, sind denn auch der
Lohn, den die Mitglieder des FBK für
ihre Freiwilligeneinsätze beziehen.
«Es gibt einem viel, zu wissen, dass
man jemandem etwas Gutes getan
hat», sagt Pia Rohner. Und sei es
auch nur für einen kurzen Moment.
Andererseits lerne man sich bei den
Einsätzen auch selbst besser kennen.
«Ich durfte mehr als einmal erleben,
dass ich in diesen Situationen über
mich hinauswachsen konnte, und
dass meine Grenzen gar nicht so eng
sind, wie ich das immer geglaubt
habe.» Mit der Zeit lerne man auch,
die eigenen Probleme aus einem ganz
anderen Blickwinkel zu betrachten.
Dieses Fazit zieht auch FBK-Begründerin
Elisabeth Gmür. Sie vergleicht
den Lohn aus der Freiwilligenarbeit
denn auch mit einem alten
Sprichwort: Aus einer Mücke einen
Elefanten machen. «Beim FBK werden
diese Elefanten deutlich kleiner»,
sagt sie. Bis sie vielleicht irgendwann
ganz verschwinden.
Josy Hubler
(stehend) singt
einmal im Monat
im Alters- und
Pflegeheim
Schüsspark mit
alten und teils
demenzkranken
Menschen.
«Plötzlich waren wir überall gefragt»
Der Verein Freiwilligendienst Begleitung
Kranker (FBK) wurde 1985
offiziell in Biel gegründet. Seine
Arbeit nahm er jedoch schon früher
auf, damals noch als «Spitalgruppe».
Sie wird erstmals 1972 in einem Protokoll
des Spitalzentrums Biel erwähnt.
Elisabeth Gmür ist eine von vier
Frauen, die die Gruppe ins Leben
gerufen haben. Es sei eine Zeit gewesen,
in der man alte, kranke und
auch sterbende Menschen in den
Spitälern oft mit ihren Leiden alleine
gelassen habe. «Wegen der
strengen Besuchszeiten war es gar
nicht möglich, dass Angehörige den
Patienten über längere Zeit zur Seite
standen», erinnert sie sich. Und das
Personal habe schlicht keine Zeit
gehabt, sich eingehender um sie zu
kümmern.
Das habe dann auch dazu geführt,
dass Menschen, die unruhig waren
und andere Patienten nervös machten,
einfach weggesperrt wurden.
«Ich habe das selbst erlebt», sagt
Gmür. Als Kind musste sie mehrere
Wochen wegen eines durchbrochenen
Blinddarms im Kinderspital Zürich
verbringen. «Ich habe viel geweint,
weil mich meine Eltern nur
einmal in der Woche besuchen durften.»
Also habe man sie kurzerhand
ins Badezimmer gesperrt.
Als Gmür Ende der 60er-Jahre im
Spitalzentrum Biel als Rot-Kreuz-
Helferin genau diese Situation erneut
antraf, habe sie ihren Augen
nicht getraut: «Ich dachte: Das darf
ja jetzt nicht sein, dass die unruhige
Menschen immer noch wegsperren»,
sagt sie. Kurz darauf sei sie
dann mit einer Krankenschwester
und zwei weiteren Helferinnen zur
Spitalleitung gegangen und habe darum
gebeten, diese Menschen begleiten
zu dürfen. «Wenn schon die
Angehörigen nicht bei ihnen sein
durften, dann wollten das wenigstens
wir als Helferinnen tun», sagt
sie.
Die Spitaloberin Klara Duss gewährte
ihnen schliesslich, auf der
medizinischen Abteilung solche Begleitungen
durchzuführen. «Die
Ärzte und anderen Schwestern waren
zuerst skeptisch», sagt Gmür.
«Aber als sie dann gemerkt haben,
dass die Patienten viel ruhiger wurden,
wenn wir bei ihnen waren, waren
wir plötzlich überall gefragt.»
Nach und nach hätten sie sich im
Spital «wie ein Virus» ausgebreitet.
Grundkurs ab 15. Oktober
Heute verfügt der FBK um die 100
Mitglieder in Biel und Umgebung,
zwei davon sind Männer. Die meisten
von ihnen gehören der Gruppe
«Begleitung Schwerkranker» an,
und tun das, was im Titel steht:
schwerkranke Menschen begleiten,
sei dies in einem Spital, in einem Altersheim
oder bei den Betroffenen
zuhause.
Einige besuchen regelmässig
einen Patienten, andere werden
über einen Telefondienst aufgeboten,
jemanden für einige Stunden
oder eine Nacht zu begleiten. Das
kann unter Umständen auch bedeuten,
jemandem bis zum Tod beizustehen,
insbesondere wenn die Person
keine Angehörigen hat oder
wenn Angehörige entlastet werden
sollen.
Um sich optimal auf diese Situationen
vorzubereiten, absolvieren
alle Mitglieder den Grundkurs «Begleitung
schwerkranker Menschen»
(siehe Interview rechts). Dieser beginnt
dieses Jahr am 15. Oktober
und dauert bis am 10. März 2020.
Die Kurskosten belaufen sich auf
500 Franken und müssen von den
Teilnehmenden selbst getragen
werden. Ein Infoanlass zum Kurs
findet nächste Woche, am 17. September,
statt.
Weiter führt der FBK mehrere
Gruppen in Spitälern und in Altersheimen.
Im Spitalzentrum Biel organisiert
er von Montag bis Donnerstag
jeweils morgens einen Empfangsdienst,
der Patienten, die für
eine Operation oder Untersuchung
antreten, auf ihre Zimmer begleitet.
Die «rollende Bibliothek» bietet Patienten
zudem jeden Mittwochmorgen
kostenlos Bücher und Zeitschriften
zur Ausleihe an. Im Angebot
stehen sowohl deutsch- wie
französischsprachige, italienische,
englische und spanische Literatur.
In den Bieler Altersheimen
Schüsspark, Schlössli und Residenz
au Lac betreuen einzelne Mitglieder
Alleinstehende. Im Altersheim
Schüsspark kommt einmal im
Monat eine Gesangsgruppe zusammen.
Das Angebot des FBK ist in der
Schweiz nicht einzigartig. In vielen
anderen Städten stehen Freiwillige
kranken und hilfsbedürftigen Menschen
bei. jat
Können das alle, jemandem beistehen?
Oder gibt es auch Menschen,
die das nicht können?
Ich denke schon, dass das im Grunde
jeder kann. Aber es wollen nicht alle,
oft steht die Angst im Weg. Deshalb
sind es meist auch Menschen, die es
sich zutrauen oder die sich mit diesen
Themen auseinandersetzen wollen,
die sich für unseren Kurs anmelden.
Es gibt aber auch solche, die vielleicht
noch nicht wissen, ob sie sich
das zutrauen. Was raten Sie denen?
Unser Informationsabend ist ein guter
Gradmesser. Bereits dort konfrontieren
wir die Interessierten mit
Fragen zum Abschied, Sterben und
Tod und informieren über unsere
Lernmethoden. Man merkt dann
schnell, was das mit einem macht
und ob man das aushalten kann. Und
sonst: Mut zum Kurs.
Was muss man sich bewusst sein,
wenn man beim FBK dabei sein
will?
Dass wir der Phase Lebensende würdevoll
begegnen. Dazu gehört auch
die Schweigepflicht, die wir bereits
im Kurs vermitteln: Alles, was wir
besprechen und was wir bei den Begegnungen
erleben, bleibt bei uns.
Ausserdem sollte einem bewusst
sein, dass man bei uns auch Nein sagen
kann. Wer sich gerade nicht in
der Lage fühlt, jemanden zu begleiten,
der muss auch nicht. Es ist alles
freiwillig. Unsere Mitglieder sind
uns dafür auch extrem dankbar.
Interview: jat
Info: Der Informationsanlass zum
Grundkurs «Begleitung schwerkranker
Menschen» findet am 17. September
um 18.30 Uhr im Schlössli Biel-
Bienne statt. Mehr Informationen
zum Verein finden Sie unter
www.fbk-svam.ch