ML_06_19_Die Pifferari
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
4 6 <strong>19</strong><br />
Mit Dudelsack und Schalmeien<br />
<strong>Die</strong> <strong>Pifferari</strong><br />
Da stehen sie, die drei Musikanten<br />
mit Dudelsack und Schalmeien.<br />
Am Vorabend von Advent und Weihnachten<br />
wissen sie uns sicher etwas<br />
Wichtiges zu blasen …<br />
Von Christian Albrecht<br />
Vielleicht hat das auch Pieter de Witte<br />
gedacht, als er eines der Blätter seines<br />
Skizzenbuches diesen drei Bläsern widmete.<br />
In Italien, wohin der um 1548 in<br />
Brügge geborene Künstler mit 20 Jahren<br />
auswanderte, dürfte er den Instrumenten<br />
bewusst begegnet sein. Wir finden ihn da<br />
als künstlerischen Mitarbeiter bei der Ausführung<br />
der Sala Regia im Vatikan ebenso<br />
wie bei der Ausgestaltung der Kuppel des<br />
Doms zu Florenz.<br />
In ähnlicher Besetzung wie die hier abgebildeten<br />
italienischen <strong>Pifferari</strong> gab es<br />
solche Ensembles mit Rohrblattinstrumenten<br />
bis ins 17. Jahrhundert in ganz<br />
Europa. «Gehobener» waren jene mit<br />
Posaune oder Zugtrompete als Bassinstrument,<br />
ländlicher solche – wie hier<br />
gezeichnet – mit Dudelsack. Wobei die<br />
Bassröhren verdeckt sind.<br />
<strong>Die</strong> Anfänge …<br />
… solcher Rohrblattensembles mit ihrem<br />
scharfen Klang gehen auf die zweite<br />
Hälfte des 14. Jahrhunderts zurück: Alta<br />
capella bezeichnet man sie – das heisst<br />
«für die Freiluftmusik.» In Italien ist es<br />
zum Teil heute noch Brauch, dass solche<br />
Ensembles zwischen dem Ersten Advent<br />
und Weihnachten in Rom und in anderen<br />
Städten aufspielen. Zur Erinnerung an die<br />
biblischen Hirten.<br />
Ob Peter Candid, wie sich unser Künstler<br />
mit der Aufnahme seiner Tätigkeiten<br />
am Münchner Hof ab 1586 fortan nennt,<br />
eine solche Gruppe darstellen wollte, ist<br />
ungewiss. <strong>Die</strong> gezeichneten Schalmeien<br />
entsprechen der in Praetorius’ Syntagma<br />
musicum II 16<strong>19</strong> genannten Klein-<br />
Schalmei und der um eine Quinte höher<br />
klingenden Diskantschalmei.<br />
Welche Musik ist da (nicht)<br />
zu hören?<br />
Man mag bedauern, dass Peter Candid<br />
alias Pieter de Witte nicht gleich auch<br />
noch die Musik mitgeliefert hat, die da<br />
offenbar gerade gespielt wird. Ist es Hirtenmusik?<br />
Ein Siciliano? Eine Pastorale?<br />
Ein Krippenlied? Leider ist die Tradition
6 <strong>19</strong><br />
5<br />
der <strong>Pifferari</strong> oder Zampognari in ihren<br />
Ursprüngen durch die überwiegende<br />
Schriftlosigkeit ihrer Musik und auch von<br />
allfälligen Texten kaum mehr zu greifen.<br />
Den eigentümlichen Tonfall<br />
beschreiben<br />
Umso ergiebiger aber sind die Berichte<br />
von Bildungsreisenden, von Schriftstellern<br />
und Musikern. So notiert Goethe<br />
1787: «Dass ich auch einmal wieder von<br />
kirchlichen Dingen rede, so will ich erzählen,<br />
dass wir die Christnacht herumschwärmten<br />
und die Kirchen besuchten,<br />
wo Funktionen gehalten werden. Eine besonders<br />
ist sehr besucht, deren Orgel und<br />
Musik überhaupt so eingerichtet ist, dass<br />
zu einer Pastoralmusik nichts an Klängen<br />
abgeht, weder die Schalmeien der Hirten,<br />
noch das Zwitschern der Vögel, noch das<br />
Blöken der Schafe.» 1<br />
Der nebenstehenden Zeichnung von<br />
Peter Candid nicht eben adäquat ist der<br />
Inhalt eines Briefes von Friedrich Theodor<br />
Vischer aus dem Jahr 1839: «Ein<br />
kreischender, melancholischer Ton von<br />
Schalmeyen erhebt sich, es ziehen einige<br />
<strong>Pifferari</strong> II<br />
Madonnenbilder stehn an Strassenecken,<br />
Wo sie die Andacht schmückt mit mancher Schleife,<br />
Mit goldnem Flitter, buntem Pfauenschweife;<br />
Nachts pflegt davor man Lampen anzustecken.<br />
Doch Morgens kommen aus den fernen Flecken<br />
Zur Stadt herein Landleute, weiss vom Reife,<br />
Mit ländlicher Musik, Schalmei und Pfeife,<br />
Das Kindlein auf der Mutter Schoss zu wecken.<br />
Uns städtische Schläfer weckt das frühe Klingen,<br />
Das jeden Morgen nun sich hebt von neuem,<br />
Vier Wochen vom Advente bis Weihnachten.<br />
Dass ihren Gruss noch jetzt die Hirten bringen,<br />
Es muss gewiss die Mutter so noch freuen,<br />
Wie sie in Bethlehem zuerst ihn brachten.<br />
Rückert, Friedrich (1788–1866): <strong>Die</strong> <strong>Pifferari</strong><br />
<strong>Pifferari</strong> I<br />
Wenn herüber zu meinem Garten<br />
<strong>Die</strong> alten Lieder tönen,<br />
<strong>Die</strong> Pfeifer, die, aus dem Gebirge kommend,<br />
Jeglich Marienbild mit Weisen grüssen,<br />
So dünk ich mich in seltsame, ferne<br />
Wunderzeiten entrückt,<br />
Und alte Legenden, und himmlische Sehnsucht,<br />
Zarte Lieb und grosse Erinnerung<br />
Quellen aus den rauhen, einfachen Tönen.<br />
Tiefer, und inniger,<br />
Spricht der Frömmigkeit Wort<br />
<strong>Die</strong> wunderliche Melodie<br />
Als in den Kirchen<br />
Der neuen Künstler Wirrwarr,<br />
<strong>Die</strong> alle Töne keck aufbieten,<br />
Um zu heucheln und zu grimassieren,<br />
Und mit weltlichem Prunk<br />
Das Heilige höhnen.<br />
Tieck, Ludwig (1773–1853): Weihnachten – Rom 1805<br />
pifferari daher, Bauern aus den Gebirgen<br />
mit Wämsen aus Schaafspelz und roth<br />
verbrämt, braune Mäntel darüber, spitze<br />
Hüte, Sandalen an den Füssen…» 2<br />
1868 und damit wenige Jahre später gewinnt<br />
auch das musikalische Auftreten<br />
der <strong>Pifferari</strong> an Interesse: «Sind die Melodien<br />
selbst mit ihrem ganz eigentümlichen<br />
Tonfall, namentlich mit ihrer wunderbaren,<br />
meistens aus Quinten und Sexten<br />
bestehenden Harmonie, ihren seltsamen<br />
Schlussstrophen und Ausklängen schon<br />
an sich äusserst schwer im Gedächtnis<br />
zu behalten und wiederzugeben, so ist<br />
die hinreissend kindliche Einfalt, mit der<br />
sie diesselben spielen und singen, erst<br />
vollkommen unnachahmlich, und darin<br />
liegt eben auch ihr grösster Zauber.» 3<br />
<strong>Die</strong> wohl in unbestimmbare Vorzeit zurückgehende<br />
Tradition solcher weihnachtlicher<br />
Hirtenmusik vergisst kaum einer der<br />
Italienreisenden des <strong>19</strong>. Jahrhunderts zu<br />
betonen: In dieser Ausgabe von «Musik<br />
und Liturgie» stossen Sie als Leserin und<br />
Leser auf Gedichte, die das Eigen-Artige<br />
dieses musikalischen Tuns beschreiben,<br />
es manchmal philosophisch erweitern<br />
und gar den Bogen zu Ostern schlagen<br />
(Seite 48).
6 6 <strong>19</strong><br />
Arkadien<br />
Da stehen sie immer noch. <strong>Die</strong> drei Musikanten<br />
des Pieter de Witte/Peter Candid<br />
(um 1548–1628): Stumm und doch<br />
musizierend, stellvertretend für einen<br />
Topos, dessen Wurzeln in die Antike zurück<br />
reichen. Hector Berlioz verwendet<br />
in seiner Beschreibung der <strong>Pifferari</strong> das<br />
Zauberwort Arkadien, die Urheimat von<br />
Hirtentum und Musik: «So konnte ich<br />
glauben, ich sei ein Zeitgenosse der alten<br />
Völker, in deren Mitte früher Euander der<br />
Arkadier, der grossmütige Wirt des Äneas,<br />
sich niederliess.» 4<br />
Im dritten Satz seiner Sinfonie «Harold<br />
in Italien» op. 16 (H 68) mit dem Titel<br />
«Sérénade d’un montagnard des Abruzzes<br />
à sa maîtresse» führt Berlioz ein Ritornell<br />
ein, das das Musizieren der <strong>Pifferari</strong><br />
imitiert.<br />
Eine weitere Imitation findet sich schliesslich<br />
ebenso im ersten der «3 Morceaux<br />
pour l’orgue mélodium d’Alexandre»<br />
(H 98–100); es trägt den Titel «Sérénade<br />
agreste à la Madone sur le thème des<br />
pifferari romains.»<br />
Hinweis<br />
Ein weiteres Gedicht zum Thema <strong>Pifferari</strong><br />
finden Sie auf Seite 48 dieser Ausgabe von<br />
«Musik und Liturgie.»<br />
Fussnoten<br />
1 Goethe, Johann Wolfgang von: Italienische<br />
Reise. 6. Januar 1787. Zitiert nach: Goethes<br />
Werke. Hamburger Ausgabe, Band 11, Seite<br />
156.<br />
2 Vischer, Friedrich Theodor: Briefe aus Italien,<br />
Seite 57. Brief datiert: Rom, 5. Decbr. 1839.<br />
3 Allmers, Hermann: Römische Schlendertage,<br />
Oldenburg, 1868.<br />
4 Berlioz, Hector: Memoiren. Band I, Seite 201.<br />
<strong>Die</strong> Reihe der Zeugnisse lässt sich fortsetzen. So<br />
schrieben beispielsweise auch Louis Spohr und<br />
Franz Liszt über die <strong>Pifferari</strong> und ihre Musik.<br />
Der Pifferaro III<br />
Durch einen Wald von Pinien und Platanen,<br />
Auf stillen, halb noch winterlichen Bahnen<br />
Ging ich dahin im Land der Romagnolen,<br />
Spät abend war es; lauter sang der Quell,<br />
Der Pfad war dunkel bald, bald wieder hell,<br />
Denn durch das Laubdach sah der Mond verstohlen.<br />
Da kam ein weicher Ton mir durch die Zweige:<br />
Kein Waldhorn war’s und keine edle Geige;<br />
<strong>Die</strong> Sackpfeif’ war’s: Ihr kennt sie – im Advent<br />
Auf ihr für zwei Baiocch und kleinre Preise<br />
Spielt auf der Pifferar die Hirtenweise,<br />
Wo vor der Jungfrau nur ein Lämpchen brennt.<br />
Ich war verirrt, die Pfeife war mein Leiter:<br />
Ich drang ihr nach ins Dickicht immer weiter;<br />
Viel holder klang sie durch die Waldesgänge<br />
Als durch die Gassen Roms. Mit einemmal<br />
Sah einen Mann ich in des Mondes Strahl,<br />
Der durch den Wald geschickt die weichen Klänge.<br />
Vor einem Bild der Jungfrau mit dem Kinde,<br />
Das eingefügt war in des Baumes Rinde,<br />
Stand er entblössten Haupts und blies, der Greis;<br />
Das klang so fromm. <strong>Die</strong> Hirten an der Krippe,<br />
Sie sangen kaum mit so melodischer Lippe<br />
Der Jungfrau und des Neugebornen Preis.<br />
Ich grüss dich, rief ich ihm, als er vollendet,<br />
Hast du so früh dich aus der Stadt gewendet,<br />
O Pifferar, hast du genug gewonnen?<br />
Doch er erwidert: «O Signor, Ihr irrt,<br />
Kein Pifferar aus Rom, ich bin ein Hirt<br />
Und spiel umsonst vergessenen Madonnnen.»<br />
Er ging, ich folgte. Und es war ein Wandern<br />
Von einem Bild der Jungfrau zu dem andern.<br />
Bald macht er dort an einem Kreuzweg halt,<br />
Bald tönt ein Fels hier von der Pfeife Klange.<br />
Erst spät nach Mitternacht vom frommen Gange<br />
Kehrt er zur Hütte wieder aus dem Wald.<br />
Bei ihm zu ruhn hat er mich eingeladen,<br />
Und ferne folgt ich fürder seinen Pfaden,<br />
Ich dachte, dass bei ihm sich’s trefflich raste;<br />
Denn, wie er hinging in des Mondes Licht,<br />
Trug heitern Seelenfrieden sein Gesicht –<br />
Bei solchem Wirt ist’s wohl zumut dem Gaste.<br />
Ich aber wollt, es wär auch mir gegeben<br />
Solch ein verborgnes, stilles Priesterleben,<br />
Zu feiern fromm, was mir ein Heiligtum.<br />
Der ist beglückt, der auf verlassnen Wegen<br />
Hingeht, jedwedes Heilige zu pflegen,<br />
Das andere verschmähn um Gold und Ruhm.<br />
Hartmann, Moritz (1821–1872): Der Pifferaro