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BÜHNE<br />
SACHSEN<br />
Roman Knižka<br />
Ein Spaziergang durch seine<br />
Dresdner Heimat<br />
Christian Thielemann<br />
Ein Gespräch über leichte Musen<br />
und schwere Musik<br />
Evelyn Herlitzius<br />
Eine Begegnung jenseits der<br />
großen Bühne
DER RING DES NIBELUNGEN<br />
Bühnenfestspiel von Richard Wagner<br />
Die Werke Richard Wagners waren<br />
stets ein wichtiger Schwerpunkt in<br />
der Chemnitzer Operntradition und<br />
brachten der Stadt den ehrenvollen<br />
Beinamen Sächsisches Bayreuth<br />
ein. Erneut will die Oper Chemnitz<br />
die Wagnerianer mit einem<br />
Leuchtturm-Projekt begeistern:<br />
2018, im Jahr des 875. Stadtjubiläums,<br />
vereint sich die internationale<br />
Wagner-Elite, um alle<br />
vier Teile des Bühnenfestspiels<br />
Der Ring des Nibelungen als Neuproduktion<br />
auf die Bühne zu<br />
bringen. Im Zentrum der Auseinandersetzung<br />
steht der für den<br />
Zyklus entscheidende Impuls: die<br />
Frau. Frauen nehmen in Wagners<br />
Ring zentrale Rollen ein, sind die tonangebenden<br />
Figuren – mit höchst unterschiedlichen<br />
Zielen. Folgerichtig werden vier<br />
Regisseurinnen die Tetralogie auf die Bühne<br />
bringen: Verena Stoiber, Monique Wagemakers,<br />
Sabine Hartmannshenn und Elisabeth Stöppler.<br />
DAS RHEINGOLD – DIE WALKÜRE – SIEGFRIED – GÖTTERDÄMMERUNG<br />
DAS RHEINGOLD<br />
Premiere: 03.02.2018<br />
Musikalische Leitung: Guillermo García Calvo<br />
Inszenierung: Verena Stoiber<br />
Bühne und Kostüme: Sophia Schneider<br />
DIE WALKÜRE<br />
Premiere 24.03.2018<br />
Musikalische Leitung: Felix Bender<br />
Inszenierung: Monique Wagemakers<br />
Bühne: Claudia Weinhart<br />
Kostüme: Erika Landertinger<br />
SIEGFRIED<br />
Premiere 29.09.2018<br />
Musikalische Leitung: Felix Bender<br />
Inszenierung: Sabine Hartmannshenn<br />
Bühne: Lukas Kretschmer<br />
Kostüme: Susana Mendoza<br />
GÖTTERDÄMMERUNG<br />
Premiere 01.12.2018<br />
Musikalische Leitung: Guillermo García Calvo<br />
Inszenierung: Elisabeth Stöppler<br />
Bühne: Annika Haller<br />
Kostüme: Gesine Völlm<br />
DAS RHEINGOLD<br />
03.02. | 03.03. | 31.03. | 14.04. | 28.04.2018<br />
02.03.2019<br />
RING-ZYKLEN<br />
18.04. | 19.04. | 20.04. | 22.04.2019<br />
30.05. | 01.06. | 08.06. | 10.06.2019<br />
DIE WALKÜRE<br />
24.03. | 02.04. | 22.04. | 01.05. | 27.05.2018<br />
SIEGFRIED<br />
29.09. | 21.10. | 11.11.2018<br />
GÖTTERDÄMMERUNG<br />
01.12. | 16.12.2018<br />
TANNHÄUSER<br />
04.03. | 01.04.2018<br />
PARSIFAL<br />
30.03. | 29.04.2018<br />
TICKETS +49 371 4000-430 | THEATER-CHEMNITZ.DE
3<br />
EDITORIAL<br />
Titel: Nikolaus Brade. Illustration: Anja Stiehler-Patschan/Jutta Fricke Illustrators<br />
Kunst ist Energie<br />
Man muss gönnen können. Das dachte<br />
sich Theodor Fontane, Preuße aus Prinzip<br />
und Leidenschaft, als er in seiner<br />
Lebenserinnerung zu einer „<strong>Sachsen</strong>hymne“<br />
anhob, die ihn fast erschreckte:<br />
Die <strong>Sachsen</strong>, schrieb Fontane am Ende<br />
des 19. Jahrhunderts, seien entgegen der<br />
allgemeinen Wahrnehmung nicht gemütlich,<br />
sondern energisch. Ihre Energie<br />
charakterisiere sie. Darum seien sie<br />
„noch lange nicht in der Art überholt,<br />
wie man sich’s hierzulande so vielfach<br />
einbildet“. Gepaart mit einem hohen<br />
Sinn für Bildung und Kultur, seien<br />
deshalb „Anachronismen innerhalb der<br />
gesamten Anschauungswelt, Rückschraubungen,<br />
in <strong>Sachsen</strong> unmöglich“.<br />
Das war Lob aus überraschendem<br />
Mund, ist doch die Rivalität zwischen<br />
<strong>Sachsen</strong> und Preußen legendär. Ganz<br />
im Sinn Fontanes haben wir uns für Sie,<br />
liebe Leserin, lieber Leser, aufgemacht<br />
in den Freistaat und die Probe aufs<br />
Exempel gewagt: Wo gibt es energische<br />
Bühnenkünstler, die sich aller „Rückschraubung“<br />
enthalten und kraftvoll<br />
nach vorn schauen? Wir wurden fündig,<br />
und wir hätten mit den Funden ein<br />
zweites „Bühne <strong>Sachsen</strong>“-Magazin<br />
füllen können. <strong>Sachsen</strong> hat viele Tanzund<br />
Puppen- und Kinder- und Musikund<br />
Sprechtheater, über die es sich<br />
nicht nur „hierzulande“ zu reden lohnt.<br />
Christian Thielemann, Chefdirigent<br />
der Sächsischen Staatskapelle, greift den<br />
preußisch-sächsischen Gegensatz auf<br />
und versteht im exklusiven Interview<br />
das Sächsische als die Kunst, „die Sachen<br />
auch mal laufen zu lassen“. Womit er<br />
eine Bestimmung der Kunst an sich liefert:<br />
Kunst ist Bewegung, Kunst setzt<br />
in Bewegung. Wir trafen Künstlerinnen,<br />
Alexander Kissler,<br />
Ressortleiter Kultur beim<br />
Monatsmagazin Cicero<br />
denen die Bewegung die authentische<br />
Ausdrucksform des Menschlichen ist.<br />
Die Choreografin Heike Hennig verwandelt<br />
die Gegenwart in mitreißende<br />
Tanzstücke. Die gebürtige Leipzigerin<br />
setzte sich auch persönlich in Bewegung,<br />
wurde im Sommer 1989 „Republikflüchtling“<br />
gen Ungarn, kam später<br />
mit ihrer Arbeit bis in die Vereinigten<br />
Staaten, nach Brasilien, Portugal. Die<br />
Sächsin lässt das Reisen nicht?<br />
Auch der in Bautzen geborene<br />
Schauspieler Roman Knižka floh im<br />
denk würdigen Jahr nach Ungarn. Ob er<br />
auf Heike Hennig traf? Das wissen wir<br />
nicht. Wohl aber erzählt einer der<br />
meistbeschäftigten Charakterköpfe des<br />
deutschen Fernsehens von<br />
seinen Anfängen als Theatertischler<br />
an der Dresdner<br />
Oper. Und von einem<br />
regimekritischen Flashmob<br />
zu DDR-Zeiten, Codename:<br />
gelber Koffer. Pst.<br />
Manchmal setzt die<br />
Kunst ganze Städte in<br />
Bewegung. Görlitz wird<br />
Bühne, wenn das drittgrößte<br />
Straßentheaterfestival<br />
Deutschlands die Perle an der Neiße ins<br />
Licht der Gaukler taucht. Freiberg<br />
wiederum beherbergt das älteste Stadttheater<br />
der Welt und ist mit dem bis<br />
heute quicklebendigen Musentempel<br />
und dessen internationalem Ensemble<br />
fest verschmolzen. Kluge Stadtväter<br />
wussten 1790, was Fontane später zum<br />
Lob des „hohen Bildungsmaßes“ veranlasste:<br />
„Durch die Schauspiele“ gewinne<br />
„der Nahrungsstand der Bürgerschaft“.<br />
Mit der Freiberger Theatergründung<br />
wurde der Traum der großen Theaterreformerin<br />
Friederike Caroline Neuber<br />
wahr. Die 1760 gestorbene „Neuberin“<br />
kämpfte für ein bürgerliches Theater.<br />
Sie fände heute Gefallen am Formenreichtum<br />
von „Floor on Fire“ im Festspielhaus<br />
Hellerau, wo die Tanzstile<br />
sich treffen.<br />
„Bühne <strong>Sachsen</strong>“ will eine Einladung<br />
sein: Lassen Sie sich gedanklich in Bewegung<br />
bringen, blättern Sie, schauen,<br />
lesen, lachen, lernen Sie von Seite zu<br />
Seite – und dann an den Orten des Geschehens<br />
in Dresden, Leipzig, Radebeul,<br />
Gohrisch, dem übrigen <strong>Sachsen</strong>. Vielleicht<br />
stimmen Sie dann Fontane zu:<br />
Überholt ist hier noch lange nichts. •<br />
Covermotiv:<br />
Unser Titelfoto zeigt den<br />
Schauspieler Roman<br />
Knižka in den Werkstätten<br />
der Semperoper. In<br />
Händen hält er die<br />
Abschlussarbeit zu seiner<br />
Gesellenprüfung als<br />
Theatertischler aus dem<br />
Jahr 1989<br />
BÜHNE SACHSEN
4<br />
INHALT<br />
Wieder daheim<br />
Mit Schauspieler Roman Knižka<br />
auf Stadtspaziergang in Dresden<br />
Seite 20<br />
Sprechprobe<br />
Das Deutsch-Sorbische Volkstheater in<br />
Bautzen lädt zum Vokabeltest<br />
Seite 45<br />
Taktgeber<br />
Christian Thielemann erklärt die<br />
Vorzüge der leichten Muse<br />
Seite 24<br />
Let’s Twist Again<br />
Bei „Floor on Fire“ ringt der klassische<br />
Tanz mit Hip-Hop und Breakdance<br />
Seite 46<br />
Datensammlung<br />
<strong>Sachsen</strong>s Musik- und Theaterlandschaft<br />
als komplexes Zahlenspiel<br />
Seite 28<br />
Logbuch 2017/18<br />
Die Höhepunkte aus der aktuellen<br />
Theatersaison in <strong>Sachsen</strong><br />
Seite 48<br />
Evelyn Herlitzius in „Lady Macbeth von Mzensk“<br />
Figurenfundus<br />
Eine Auswahl der schönsten Theaterpuppen<br />
des tjg in Dresden<br />
Seite 6<br />
Schöner schauspielen<br />
Leipzigs Intendant Enrico Lübbe erklärt,<br />
wie man Spitzenleistungen erzielt<br />
Seite 12<br />
Als wir Cowboys waren<br />
Ein Besuch bei Old Shatterhand auf<br />
der Felsenbühne in Rathen<br />
Seite 14<br />
Dresden, meine Perle<br />
Sängerin Evelyn Herlitzius erklärt die<br />
Schönheit von Elbmetropolen<br />
Seite 18<br />
Bürgerbühne<br />
Ein Rundgang durch das älteste<br />
Stadttheater der Welt in Freiberg<br />
Seite 30<br />
Mehr als eine Komödiantin<br />
Ein Porträt der großen Theater-<br />
Reformerin Friederike Caroline Neuber<br />
Seite 33<br />
Kleines Welttheater<br />
Unterwegs auf dem Straßentheaterfestival<br />
„Via Thea“ in Görlitz<br />
Seite 34<br />
Bewegungszeiten<br />
Porträt der Leipziger Choreografin<br />
Heike Hennig<br />
Seite 38<br />
Klassische Landpartie<br />
In Gohrisch spielt man Schostakowitsch<br />
in einer Scheune<br />
Seite 40<br />
<strong>Sachsen</strong>, meine Bühne<br />
Sophie Dannenberg ist vom<br />
sächsischen Lachen verzaubert<br />
Seite 50<br />
Karl May auf der Felsenbühne in Rathen<br />
IMPRESSUM<br />
Herausgeber Freistaat <strong>Sachsen</strong><br />
Archivstr. 1, 01097 Dresden<br />
Verlag Res Publica Verlags GmbH,<br />
Schöneberger Str. 15, 10963 Berlin<br />
Geschäftsführung Christoph Schwennicke,<br />
Alexander Marguier<br />
Verlagsleitung Jörn Christiansen<br />
Redaktion Dr. Alexander Kissler (V.i.S.d.P.),<br />
Ralf Hanselle (fr.)<br />
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Bildredaktion Tanja Raeck<br />
Korrektorat Ulrike Mattern (fr.)<br />
Redaktionsmarketing Janne Schumacher<br />
Herstellung/Vertrieb Erwin Böck<br />
Druck/Litho Neef+Stumme premium printing<br />
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29378 Wittingen<br />
Leserservice Cicero Leserservice,<br />
20080 Hamburg, Tel.: +49 (0)30 346 465 656<br />
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Verlag Tel.: +49 (0)30 981 941–100, Fax –199<br />
Diese Drucksache wird auf der Grundlage des<br />
von den Abgeordneten des Sächsischen<br />
Landtags beschlossenen Haushaltes zur<br />
Verfügung gestellt.<br />
Fotos: POP-EYE/Sinissey, Jana Kühle<br />
BÜHNE SACHSEN
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Sindbad<br />
Diese Tischpuppe der<br />
Puppenbauerin Ulrike Langen<br />
hat viele Abenteuer bestanden.<br />
Als Sindbad der<br />
Seefahrer hat sie eine Insel<br />
entdeckt, die eigentlich<br />
ein riesiger Fisch war, sie ist<br />
in ein Tal voller Schlangen<br />
und in unvorstellbare<br />
Stürme hineingeraten. In der<br />
Inszenierung von Ania<br />
Michaelis hat der Puppenspieler<br />
Uwe Steinbach<br />
den beliebten Seefahrer<br />
aus „Tausendundeiner<br />
Nacht“ zum Leben erweckt<br />
und ihn von seinen Reisen<br />
erzählen lassen.
BILDERBOGEN<br />
7<br />
Die Zuckerpuppe aus<br />
der Schauspieltruppe<br />
Das Dresdner tjg verfügt über eine der<br />
größten Puppenbühnen Europas. Von der<br />
Handpuppe bis zur Stabfigur werden hier<br />
ständig neue Figuren erdacht und gebaut<br />
FOTO S Stills & Strokes<br />
Frau Grubach<br />
In einer Puppenversion<br />
von Franz Kafkas Klassiker<br />
„Der Process“, inszeniert<br />
von Ania Michaelis, wurden<br />
viele der Protagonisten mit<br />
Masken dargestellt. So etwa<br />
auch Frau Grubach, die<br />
neugierige Vermieterin des<br />
Antihelden Josef K. Der ist<br />
ein eigentlich unbescholtener<br />
Bürger, der sich aufgrund<br />
merkwürdiger Ereignisse in<br />
Unannehmlichkeiten bringt.<br />
Entwickelt wurde die Maske<br />
2015 von Studierenden<br />
der Dresdner Hochschule<br />
für Bildende Künste.<br />
BÜHNE SACHSEN
Tina<br />
Tina ist ein bezauberndes<br />
Wesen von einem anderen<br />
Stern. So zumindest wird sie<br />
im Textbuch zu dem<br />
Puppentheaterstück „The<br />
Season“ von Joe Cobden<br />
und Josh Dolgin beschrieben.<br />
Und wie von einem anderen<br />
Stern ist auch das Kostüm,<br />
das Klemens Kühn 2016 für<br />
die Puppenspielerin Anna<br />
Tkatsch entworfen hat. Mit<br />
viel Tüll und Tutu übernimmt<br />
Tkatsch in dieser musikalischen<br />
Fabel die Rolle einer<br />
Außerirdischen, die unverhofft<br />
in eine Idylle einbricht.<br />
Name der Puppe<br />
Beispiel<br />
Alitiis aut esse simoluptios<br />
mint pe ad quodigent aceata<br />
voluption pa cus. Odipsap<br />
ellenderum quatati ncipsum<br />
Alitiis aut esse simoluptios<br />
mint pe ad ellenderum quatati<br />
ncipsum Alitiis aut esse<br />
simoluptios mint pe ad<br />
quodigent aceata voluption<br />
pa oluptios mint pe ad<br />
quodigent aceata voluption<br />
pa cus. Odipsap eceata<br />
voluption pn pa cus. Odipsap<br />
ellenderum quatati cus.<br />
Odipsap ellenderum.a cus.<br />
Odipsap ellenderum.
Name Bunsen der van Puppe<br />
der Beispiel Dunkel<br />
Alitiis Es braucht aut esse schon simoluptios viel<br />
Fantasie, mint pe ad um quodigent sich vorzustellen, aceata<br />
voluption dass der Mondmann pa cus. Odipsap eines<br />
Tages ellenderum zur Erde quatati herabsteigt ncipsum<br />
Alitiis und sich aut dort esse im simoluptios<br />
Haus eines<br />
mint durch pe geknallten ad ellenderum Professors quatati<br />
ncipsum namens Bunsen Alitiis aut van esse der<br />
Dunkel simoluptios versteckt. mint pe Tomi ad<br />
Ungerer quodigent hat aceata diese voluption<br />
Fantasie.<br />
Und pa oluptios Nils Zapfe mint hat pe aus ad ihr<br />
ein quodigent Puppenstück aceata gezaubert.<br />
voluption<br />
Für pa cus. „Der Odipsap Mondmann“ eceata nach<br />
Tomi voluption Ungerer pn pa haben cus. Odipsap Ramona<br />
ellenderum Rauchbach quatati und Uwe cus.<br />
Odipsap Steinbach ellenderum.a diesen Bunsen cus.<br />
Odipsap van der Dunkel ellenderum entworfen.
Der Mondmann<br />
Der Mondmann hatte einen<br />
großen Traum: Er wollte<br />
einmal im Leben seine<br />
Bahnen verlassen und hinab<br />
zu den Menschen steigen.<br />
Tomi Ungerer hat ihm diesen<br />
Wunsch erfüllt. In seinem<br />
Kinderbuchklassiker „Der<br />
Mondmann“ hat er die blasse<br />
Gestalt vom Himmel geholt.<br />
Ramona Rauchbach und<br />
Roland Teichmann haben<br />
es ihm 2014 für das tjg<br />
gleichgetan. Ihre Mondmann-<br />
Tischpuppe ist eine blasse<br />
Mixtur aus Eierkopf und<br />
Michelin-Männchen geworden.
Hohnsteiner<br />
Kasper<br />
Er ist der Klassiker des<br />
sächsischen Puppentheaters:<br />
der Hohnsteiner Kasper.<br />
In den 20er-Jahren von dem<br />
Hohnsteiner Puppenspieler<br />
Max Jacob entworfen, hat<br />
die abenteuerlustige Figur<br />
in den zurückliegenden<br />
Jahrzehnten zahlreiche<br />
Kostüm- und Formveränderungen<br />
erlebt. Die Handpuppe<br />
rechts stammt von<br />
Rainer Schicktanz und<br />
Roland Teichmann und<br />
wurde für die Inszenierung<br />
„Genoveva“ entworfen.
12 INTERVIEW<br />
„Man fängt immer<br />
wieder bei null an!“<br />
In der Champions League: Der inszenierende<br />
Intendant Enrico Lübbe hat das Schauspiel Leipzig<br />
erstklassig gemacht. Begegnung mit<br />
einem glücklichen Theatermann<br />
INTERVIEW Irene Bazinger<br />
FOTO Christoph Busse<br />
BÜHNE SACHSEN: Herr Lübbe, im Juni<br />
2016 hat die Stadt Leipzig Ihren 2013<br />
abgeschlossenen Intendantenvertrag<br />
vorfristig verlängert – gerade läuft alles<br />
ziemlich gut, oder?<br />
ENRICO LÜBBE: Man kann ja nichts anderes<br />
als seine Arbeit machen und hoffen,<br />
dass sie sich dem Publikum und der<br />
Stadt überzeugend vermittelt. Das ist,<br />
um Marivaux zu zitieren, immer auch<br />
ein „Spiel von Liebe und Zufall“. Die<br />
letzte Saison ist besonders glücklich verlaufen,<br />
mit „Kruso“ in der Regie von<br />
Armin Petras und „89/90“, inszeniert<br />
von Claudia Bauer und eingeladen zum<br />
Berliner Theatertreffen. Selbst ein Familienstück<br />
wie „Der schlaue Urfin und<br />
seine Holzsoldaten“ wurde in der Regie<br />
von Stephan Beer eine Punktlandung,<br />
weil man da durchaus Parallelen zum<br />
jetzigen US-amerikanischen Präsidenten<br />
und zum Thema Populismus erkennen<br />
konnte. Die Premiere und der überraschende<br />
US-Wahlausgang fielen fast zusammen.<br />
So etwas lässt sich natürlich<br />
nicht planen! Mal sehen, wie es weitergeht.<br />
Denn bei jedem Probenbeginn<br />
fangen ja alle wieder bei null an.<br />
Welche Eigenschaft ist für den Beruf<br />
eines Intendanten besonders wichtig?<br />
Meines Erachtens ist es die größte<br />
Herausforderung, viele Dinge in diesem<br />
Beruf einfach aushalten zu können<br />
– und dabei nicht abzustumpfen oder<br />
eine Wagenburg-Mentalität zu entwickeln.<br />
Es scheint mir ganz wichtig<br />
zu sein, auch bei Gegenwind seitens<br />
des Publikums, der Medien oder der<br />
Politik immer die Ruhe zu bewahren,<br />
alle Schäfchen im Haus bei Laune zu<br />
halten, für vernünftige Arbeitsbedingungen<br />
zu sorgen und weiterzumachen.<br />
An das zu glauben, was man zusammen<br />
mit allen anderen tut, das ist für<br />
mich eine entscheidende Tugend.<br />
„Der künstlerische<br />
wie wirtschaftliche<br />
Erfolg schweißt<br />
ein Schauspielhaus<br />
zusammen“<br />
Hat es Ihnen in Ihrer jetzigen Chefposition<br />
geholfen, dass Sie zwei Jahre<br />
Assistent beim Leipziger Intendanten<br />
Wolfgang Engel waren und von 2000<br />
bis 2004 sein Hausregisseur?<br />
Das spielte, als ich zehn Jahre später<br />
sein Nachfolger wurde, keine Rolle<br />
mehr. Von 2008 bis 2013 war ich ja<br />
Schauspieldirektor in Chemnitz, zuvor<br />
Gastregisseur in Stuttgart, München,<br />
Wien und Berlin. Letztlich ist es der<br />
Erfolg in künstlerischer wie in wirtschaftlicher<br />
Hinsicht, der ein Haus zusammenschweißt<br />
und trägt.<br />
Wenn Sie mit Ihren Mitarbeitern den<br />
neuen Spielplan für eine Saison erarbeiten,<br />
wie verteilen sich da die Überlegungen<br />
hinsichtlich der künstlerischen<br />
und der ökonomischen Aspekte?<br />
In Leipzig sind entsprechende Abwägungen<br />
weder in die eine noch in die<br />
andere Richtung wirklich möglich.<br />
Denn das Publikum in dieser Stadt ist<br />
vielfältig und lässt sich nicht ausrechnen!<br />
Es gibt uns mit seiner Offenheit<br />
und Neugier die Möglichkeit, einen<br />
Spielplan aufzustellen, der weit über die<br />
üblichen Stadttheaterprogramme<br />
hinausgeht.<br />
Das kulturelle Angebot in Leipzig ist<br />
groß. Wie holen Sie das Publikum in<br />
Ihr Haus?<br />
In der Fläche ist die Stadt kulturell<br />
sehr breit aufgestellt – mit dem Gewandhaus,<br />
der Oper, dem Theater der<br />
jungen Welt, einem ganz tollen Zoo,<br />
zahlreichen Museen, gefühlt jeden Monat<br />
einem Festival wie der euro-scene,<br />
dem Dokfilm-Festival oder dem Bach-<br />
Fest. Außerdem gibt es mittlerweile<br />
einen Fußballclub auf Champions-<br />
League-Niveau. Ich gehe auch gern mal<br />
zu einem Spiel von RB Leipzig, und<br />
da sitzen dann bis zu 50 000 Leute, obwohl<br />
die Karten nicht billig sind. Was<br />
kann sich ein durchschnittlicher Haushalt<br />
an Freizeitausgaben sonst noch<br />
BÜHNE SACHSEN
leisten? Auf all das muss man reagieren,<br />
damit das Schauspiel in der öffentlichen<br />
Wahrnehmung präsent bleibt. 2016<br />
haben wir eine Besucherumfrage gemacht.<br />
Dabei kam heraus, dass unser<br />
Publikum sehr jung ist, und zwar<br />
im Durchschnitt 38,5 Jahre. Und dass<br />
es von uns Dinge erwartet, die es nirgendwo<br />
sonst – weder im Internet noch<br />
im Kino oder bei Konzerten – findet;<br />
also nicht all tägliche Stoffe, besondere<br />
Zugriffe und spezielle Ästhetiken.<br />
Von Heiner Müller gibt es den bösen<br />
Satz: „Theater ist ja für die meisten<br />
Zuschauer eine Unterbrechung des<br />
Fernsehprogramms.“<br />
Es gibt hier eine große Studentenszene,<br />
und die Generation, die zu uns<br />
kommt, verfolgt Fernsehen höchstens<br />
noch im Internet; die hat ein ganz<br />
anderes Freizeitverhalten. Diese Menschen<br />
wissen ganz genau, was sie sich<br />
angucken wollen. Sie verlangen ästhetisch<br />
besondere Angebote, über die<br />
sie nachdenken können und müssen,<br />
und sie möchten sich von dem beeindrucken<br />
lassen, was live alles möglich<br />
ist. Wenn das Theater wirklich herausragende<br />
Erlebnisse auf Basis seiner<br />
ureigenen Kunst bieten kann, saugt es<br />
die Zuschauer an. Letztlich geht es<br />
um Emotionen und darum, das Publikum<br />
zu berühren – in welcher Form<br />
auch immer. Beim Fernsehen schalte<br />
ich weg, wenn mich etwas überfordert<br />
oder ärgert, im Theater setze ich mich<br />
aus. Das ist unsere große Chance.<br />
Wie machen Sie Ihr Publikum, das<br />
vielleicht eine Laufkundschaft ist, zu<br />
Stammgästen?<br />
Das gelingt nur durch den kon tinuier<br />
lichen Aufbau von Vertrauen in<br />
unsere inhaltliche und ästhetische<br />
Arbeit. Ich habe von meinem Vorgänger<br />
nahezu keine Abonnenten übernommen<br />
und kann kaum neue gewinnen.<br />
Wer in einer Altersgruppe von unter<br />
40 Jahren hat heute noch ein Abo?<br />
Diese urbanen, aufgeschlossenen Menschen<br />
sind sehr flexibel und kommen,<br />
wenn sie eine Aufführung interessiert,<br />
kurzfristig an die Abendkasse – und<br />
zwar gezielt! Wenn wir zum Beispiel<br />
wegen Krankheit eine Vorstellung<br />
absagen müssen, fragen sie nicht: „Was<br />
spielen Sie stattdessen?“ Sie gehen<br />
weg und sagen: „Kein Bedarf, denn<br />
ich wollte genau dieses Stück sehen.“<br />
Sie sind Intendant, haben eine Frau<br />
und zwei Kinder, kommen Sie noch<br />
selbst zum Inszenieren?<br />
Man muss das gut organisieren, aber<br />
es geht. Ich bin ja gern Regisseur und<br />
mache weiterhin zwei Inszenierungen<br />
pro Spielzeit. Auswärts arbeite ich allerdings<br />
weniger, das ist wirklich zu aufwendig.<br />
Als mir die Oper Erfurt jedoch<br />
letztens Alban Bergs „Wozzeck“ angeboten<br />
hat, konnte ich diese Herausforderung<br />
nicht ablehnen.<br />
Sind die Headhunter schon hinter<br />
Ihnen her und wollen Sie an ein<br />
anderes Theater locken, das Sie auf<br />
Vordermann bringen sollen?<br />
Nicht dass ich wüsste, was vielleicht<br />
auch daran liegt, dass ich hier glücklich<br />
bin. Die Arbeitsbedingungen in Leipzig<br />
sind fantastisch. Von politischer Seite<br />
erfahren wir große Unterstützung, wir<br />
haben eine sichere Finanzierung bis<br />
2020 mit den Tariferhöhungen. Warum<br />
sollte ich da weggehen wollen? •<br />
Enrico Lübbe wurde 1975 in<br />
Schwerin geboren. Seit 1999<br />
Regiearbeiten an zahlreichen<br />
deutschen Bühnen. Danach<br />
Schauspieldirektor in<br />
Chemnitz. Seit 2013 Intendant<br />
am Schauspiel Leipzig<br />
BÜHNE SACHSEN
Wild ist der<br />
Westen, schwer<br />
ist der Beruf<br />
Ein Cowboy, der<br />
einst Indianer war:<br />
Jürgen Haase<br />
als Old Shatterhand
Auf dem langen Weg zur<br />
Blutsbrüderschaft:<br />
Winnetou in der Gewalt<br />
weißer Männer<br />
Fotos: Jana Kühle<br />
In Rathen gibt es eine<br />
Naturbühne, auf der<br />
seit über 80 Jahren<br />
Karl May gespielt wird.<br />
Eine Ortserkundung<br />
TEXT Ralf Hanselle<br />
An manchem Sommertag wartet<br />
der Kriegspfad. Der Mann, den<br />
alle Kinder nur Shatterhand<br />
nennen, besteigt den 38er-Bus von<br />
Cossebaude nach Dresden und dort die<br />
S-Bahn zu den ersten Anhöhen in der<br />
Sächsischen Schweiz. Er fährt vorbei an<br />
dem alten Schienenstrang, der von<br />
Prag nach Berlin führt, und entlang der<br />
feuchten Mischwälder am Rande der<br />
alten Tafelberge. Am Oberlauf der Elbe<br />
schließlich, dort wo sich seit Jahrtausenden<br />
das geheimnisumwitterte graue<br />
Steinriff der Bastei-Felsen aus der Landschaft<br />
erhebt, macht der Mann halt.<br />
Er geht einen schmalen Weg hinauf<br />
bis zu einer Gabelung und sucht dort<br />
den Himmel nach Regenwolken ab.<br />
Dann, wenn er sich seinen schokofarbenen<br />
Fransenrock angezogen und den<br />
berüchtigten Bärentöter unter den Arm<br />
geklemmt haben wird, wird er sich<br />
hinter einen provisorischen Bretterverschlag<br />
verschanzen und auf ein zuvor<br />
verabredetes Zeichen warten: „Herr<br />
Haase, bitte zur Bühne!“<br />
Es ist ein immer wiederkehrendes<br />
Ritual. An zahlreichen Sommertagen<br />
wiederholt es sich. Hier, im großen Kessel<br />
am Amselgrund, werden sie aufeinandertreffen:<br />
der edelmütige Cowboy,<br />
den alle nur Shatterhand nennen, und<br />
der messianische Wilde mit dem merkwürdigen<br />
Namen „Brennendes Wasser“<br />
– was auf Indianisch Winnetou heißt.<br />
Während sich weit über ihnen ein paar<br />
wage mutige Kletterer mit Seilen an<br />
den Bastei-Felsen herablassen, werden<br />
sie unten einen alten Western-Stoff<br />
des Radebeuler Schriftstellers Karl May<br />
auf die Bühne bringen: „Winnetou I“<br />
– einen sächsischen Abenteuerklassiker<br />
um einen freiheitsliebenden Apachen-<br />
Häuptling und dessen Freundschaft zu<br />
dem Gentleman-Gaucho Old Shatterhand.<br />
Über zwei Stunden hinweg<br />
wird es dabei um große Gefühle gehen:<br />
um Hass, Ehre, Freundschaft und<br />
Liebe. Gespielt wird auf einer riesigen<br />
Freilichtbühne oberhalb des sächsischen<br />
Kurorts Rathen. Es ist ein 1936 eingeweihtes<br />
Felsentheater, das zunächst als<br />
Laienspielstätte für Thingspiele diente<br />
Im Kurort Rathen<br />
fügen sich Natur<br />
und Theater mühelos<br />
ineinander<br />
und seit den 50er-Jahren von den Landesbühnen<br />
<strong>Sachsen</strong> als Sommerbühne<br />
genutzt wird. Zwischen Anfang Mai<br />
und Ende August verbringen hier die<br />
ansonsten in Radebeul beheimateten<br />
Schauspieler ihre Sommer. In oft<br />
glühender Hitze bringen sie „Momo“,<br />
„Wilhelm Tell“ oder den „Freischütz“<br />
auf die Bühne. Und ab und an im<br />
Dämmerlicht singt ein wetterfester<br />
Papageno ein Tirili gegen die harte<br />
Felswand an. Um die Mittagszeit aber,<br />
wenn die Sonne über der großen<br />
Naturbühne im Zenit steht, spielt man<br />
seit Jahrzehnten ein Stück aus dem<br />
Reise- und Wild-West-Repertoire von<br />
Karl May.<br />
Für Jürgen Haase, den Mann, den<br />
sie dann Old Shatterhand nennen, geht<br />
das nun schon 30 Jahre so. An zahlreichen<br />
Sommertagen fährt der Schauspieler<br />
auf den immer gleichen Kriegspfad<br />
hinaus: zunächst in den 38er-Bus, dann<br />
in die S-Bahn. Am Anfang war es noch<br />
wie Urlaub. Es ging ums Reiten auf<br />
echten Pferden und ums Schießen mit<br />
realistischen Colts. Jeden Sommer, sagt<br />
er, konnte er auf der mit Tannen und<br />
Gräsern bewachsenen Bühne einen<br />
Kindertraum leben: „Wir spielten Cowboy<br />
und Indianer.“ Doch über all die<br />
Träume hat er graue Haare bekommen,<br />
BÜHNE SACHSEN
16 HINTERBÜHNE<br />
1938<br />
Historisches Plakat der allerersten<br />
Karl-May-Spiele auf der zwei<br />
Jahre zuvor eröffneten Felsenbühne<br />
in Rathen<br />
1939<br />
Eröffnung der Karl-May-Festspiele<br />
auf der Felsenbühne im Elbsandsteingebirge,<br />
Spielszene: Kriegsrat<br />
der Indianer<br />
1984<br />
Wiedergeburt in der DDR: Jürgen<br />
Haase als Winnetou in „Der Schatz<br />
im Silbersee“. Old Shatterhand<br />
wurde in dieser Inszenierung von<br />
Herbert Graedtke gespielt<br />
raue Haut und tiefe Falten. Lange,<br />
sagt er, könne er den Job wohl nicht<br />
mehr machen. In der kommenden<br />
Saison sei für ihn Schluss. „Bei Karl<br />
May ist Old Shatterhand Anfang 20.<br />
Ich aber werde im nächstes Jahr 60.<br />
Dann werde ich den Bärentöter an den<br />
Nagel hängen.“<br />
Haase tupft sich kleine Schweißperlen<br />
von der Stirn. Zwölf Uhr mittags.<br />
Der Auftritt in der prallen Sonne geht<br />
auch dem gut trainierten Greenhorn<br />
allmählich an die Substanz. Mit verschmitzten<br />
Augen blinzelt er gegen das<br />
gleißende Sonnenlicht an. Er nimmt<br />
einen kräftigen Schluck Wasser aus<br />
einer Flasche und sitzt für Momente<br />
einfach nur da. Vielleicht haben es<br />
Cowboys mit jedem Jahr ein bisschen<br />
schwerer. Die Zeiten, meint jedenfalls<br />
Haase, änderten sich. Heute reden<br />
alle über postheroische Männerbilder<br />
und manch einer gar über das Ende<br />
jenes Westens, der nicht nur bei Karl<br />
May einst der „Wilde“ war. Da ist<br />
wenig Platz für Typen vom Schlage<br />
eines Cowboys wie Shatterhand.<br />
Wie anders aber war das 1984, als<br />
Haase das erste Mal auf der Rathener<br />
Bühne auftrat. Damals war der Cowboy<br />
noch Indianer. Er spielte Winnetou<br />
auf der berüchtigten Suche nach dem<br />
Schatz im Silbersee. Ein Leuchten<br />
springt in Haases Augen: „Damals bin<br />
ich auf dem Pferd in die Felsenschlucht<br />
geritten, und es gab einen schier unendlichen<br />
Applaus.“ 2 200 Leute sollen<br />
sich an jenem Sommertag im Schatten<br />
der geheimnisvollen Felsformation über<br />
dem nördlichen Elbufer versammelt<br />
haben – die meisten gequetscht auf langen<br />
Bänken oder vereinzelt auf<br />
Steinen und Felsvorsprüngen sitzend.<br />
Heute sind es im Durchschnitt noch<br />
800. Kleine Jungs, die bei Bockwurst<br />
und unter Sonnen-Caps von Feuerwasser<br />
und Freundschaft träumen. Auch<br />
Jürgen Haase war einst so ein Junge.<br />
Einer, der mit anderen Jungen durchs<br />
Unterholz gepirscht ist und sich mit<br />
den Indianern nach der niemals erlöschenden<br />
Friedenspfeife gesehnt hat.<br />
„In meiner Kindheit habe ich Karl Mays<br />
Romane mit kleinen Gummifiguren<br />
nachgespielt.“ Und manchmal, an den<br />
ganz besonderen Kindertagen, habe<br />
er im West-Fernsehen Pierre Brice und<br />
Lex Barker gucken dürfen.<br />
Die historische<br />
Felsenbühne am<br />
Elbufer ist wie<br />
ein Grüner Hügel<br />
für kleine Jungs<br />
Es war eine Blutsbruderliebe, die unterm<br />
Küchentisch blühte. Offiziell war<br />
Winnetou im Osten verboten. Die roten<br />
Apparatschiks und der Apache – bei<br />
aller Indianerliebe, sie passten nicht. Als<br />
Lieblingsautor von Adolf Hitler war<br />
Karl May verpönt. Bis in die 80er-Jahre<br />
standen seine grün eingefassten Romane<br />
in der DDR auf dem Index. Erst<br />
1983 wurden sie zum Druck freigegeben.<br />
„Da zog man Altbestände aus<br />
der hintersten Regalecke einfach wieder<br />
nach vorn“, erinnert sich Haase, der<br />
kurz darauf den ersten Winnetou auf<br />
einer DDR-Bühne spielen durfte.<br />
Heute vergleicht er die Skepsis gegenüber<br />
dem umstrittenen Schriftsteller<br />
aus Radebeul gern mit den vielen Vorbehalten<br />
gegenüber dem legendären<br />
Opernkomponisten aus Leipzig: May<br />
und Richard Wagner – zwei <strong>Sachsen</strong>,<br />
deren Werke es im geteilten Nachkriegsdeutschland<br />
nicht gerade einfach<br />
hatten. Den einen waren sie Symbol<br />
von widerborstigem Freiheitsdrang,<br />
den anderen waren sie nach 1933 unters<br />
Rad der Geschichte gekommen.<br />
Auch die Felsenbühne in Rathen<br />
zeugt mit ihrer langen Tradition von<br />
den Abgründen in der May-Rezeption.<br />
Fotos: Dietmar Katz/bpk, INTERFOTO/Austrian National Library/Weltbild, Wolfgang Müller<br />
BÜHNE SACHSEN
HINTERBÜHNE<br />
17<br />
Fotos: Archiv Felsenbühne Rathen/Landesbühne Rathen (2), Jana Kühle (2)<br />
Es war im Jahr 1938, als der damalige<br />
sächsische Gemeindekulturverband<br />
den Abenteuerstoff erstmals im Schatten<br />
der mysteriösen Sandsteinfelsen inszenierte.<br />
Weit vor Bad Segeberg oder dem<br />
sauerländischen Elspe veranstaltete<br />
man hier an der Elbe Karl-May-Spiele.<br />
Doch das, was es damals zu sehen<br />
gab, das war ein Nazi-Winnetou mit<br />
braungefärbten Apachen und einem<br />
Shatterhand als Edelmenschen.<br />
Mit im Publikum saß damals bei der<br />
Premiere auch Klara May. Die Witwe<br />
des 1912 verstorbenen Abenteuerschriftstellers<br />
war zu jenem Zeitpunkt<br />
bereits eine glühende Verehrerin Adolf<br />
Hitlers gewesen. Immer wieder hatte<br />
sie in ihren Briefen, die sie aus ihrer<br />
Radebeuler „Villa Shatterhand“ heraus<br />
schrieb, von der „innigen Liebe und<br />
Verehrung“ für „ihren Führer“ fabuliert.<br />
Gelegentlich auch hatte das bekennende<br />
NSDAP-Mitglied die Geschichten des<br />
Abenteuerschriftstellers umzuschreiben<br />
und zu arisieren versucht.<br />
Es ist dies die dunkle Seite der lichten<br />
Bühne. Jürgen Haase kennt auch<br />
diese genau – die Freundschaft zwischen<br />
Klara May und Hitlers Halbschwester<br />
Angela Raubal; die Verehrung Hitlers<br />
für die May’schen Helden. Angeblich,<br />
so hat es sein Biograf Joachim Fest<br />
später behauptet, hätten sie Hitler<br />
„die Augen für die Welt geöffnet“. Ein<br />
Hauch von Manitudämmerung legt<br />
sich da auf die grünen Jagdgründe am<br />
Elbufer nieder. Als wäre die Geschichte<br />
der „Villa Shatterhand“ an manchen<br />
Stellen ähnlich verworren wie die der<br />
„Villa Wahnfried“ in Bayreuth. Für<br />
einen Moment jedenfalls erscheint die<br />
große Naturbühne im Schatten der<br />
geheimnisumwitterten Sandsteine wie<br />
ein Grüner Hügel für kleine Jungs.<br />
Denen aber sind die ewigen Verstrickungen<br />
von The Good, the Bad<br />
and the Ugly ziemlich egal. Im großen<br />
Am 6. Mai 2018 startet die Felsenbühne in die neue Saison<br />
Rund vor der Bühne wollen sie den<br />
Sieg ungebrochener Helden über wild<br />
um sich schießende Halunken sehen.<br />
Jürgen Haase ist in diesem Spiel nicht<br />
irgendein Mann in braunen Hosen.<br />
Für die kreischenden Kinder, die sich<br />
an den spannendsten Stellen mit<br />
dem Mut der Verzweiflung an Lehrer<br />
und Trinkflaschen klammern, ist Haase<br />
wirklich Old Shatterhand. Dass er<br />
in der DDR auch schon mal Winnetou<br />
war und dass er ansonsten auch mal<br />
den Valentin in Goethes „Faust“ oder<br />
den Doktor in Büchners „Woyzeck“<br />
gegeben hat? Geschenkt. Mal ist man<br />
Cowboy und mal Indianer. Letztlich<br />
ist das wie im richtigen Leben. Was<br />
un-veränderlich bleibt, ist ein Gefühl.<br />
Jürgen Haase formuliert es so: „Wenn<br />
man abends nach Hause fährt, ist man<br />
ziemlich geschafft.“ •<br />
Ein Heldenjob in<br />
glühender Hitze: Beim<br />
Cowboy- und Indianer-<br />
Spiel fließt viel Schweiß<br />
1991<br />
Wiedervereinigt: das Titelbild des<br />
Programmhefts von 1991. Damals<br />
gab es „Old Surehand“ mit Otto<br />
Strecker und Matthias Henkel in<br />
den Hauptrollen<br />
2015<br />
„Winnetou I“: Premiere am 4. Juli<br />
2015 mit Michael Berndt-Cananá,<br />
Julia Vincze und Jürgen Haase<br />
BÜHNE SACHSEN
TEXT Irene Bazinger<br />
FOTO Jasmin Zwick<br />
Jenseits des<br />
Rampenlichts
PORTRÄT<br />
19<br />
Kammersängerin Evelyn Herlitzius zog<br />
der Semperoper wegen von Hamburg nach<br />
Dresden – und ist geblieben<br />
Ihr Schicksal ist auf direktem Wege<br />
mit der Elbe verbunden, dabei ist<br />
Evelyn Herlitzius weder Binnenschifferin<br />
noch in der Bootsbranche tätig.<br />
Es sind jedoch zwei Städte an diesem<br />
Fluss, die für sie entscheidend waren.<br />
In Hamburg nämlich studierte sie an<br />
der Hochschule für Musik und Theater<br />
Gesang, ehe sie knapp 500 Kilometer<br />
flussaufwärts als Gast an die Semperoper<br />
Dresden engagiert wurde.<br />
Das gleiche Gewässer, ein anderes<br />
Theater, dachte sie sich damals, war vor<br />
Ort aber dann nicht so begeistert. 1995<br />
lag hier einiges im Argen, die Innenstadt<br />
erschien ihr marode, die Atmosphäre<br />
düster, die Mentalität unvertraut.<br />
Nach den Auftritten kehrte die aufstrebende<br />
Sängerin nach Hamburg zurück,<br />
wo sie sich als alleinerziehende Mutter<br />
um ihre beiden Söhne kümmerte. In<br />
Dresden kam Evelyn Herlitzius freilich<br />
beim Publikum, beim Ensemble und<br />
der Intendanz richtig gut an. Man<br />
wollte sie deswegen längerfristig ans<br />
Haus binden. Evelyn Herlitzius freute<br />
sich zwar über das Folgeengagement,<br />
war indes nicht begeistert von der Aussicht<br />
auf einen Umzug.<br />
Ein Kollege, der ihren Zwiespalt<br />
bemerkte, sorgte spontan für die maßgeblichen<br />
Impulse zum Umdenken. Er<br />
zeigte ihr die schönen Ecken von Stadt<br />
und Umland, die man nicht schnell auf<br />
der Durchreise entdeckt, und brachte<br />
sie auf den Geschmack. Und nun ist sie<br />
seit rund 20 Jahren leidenschaftliche<br />
Dresdnerin und immer glücklich, wenn<br />
sie hierherkommt: „Endlich daheim!“<br />
Allzu oft ist das zu ihrem Bedauern<br />
nicht der Fall. Die gefragte Hochdramatische<br />
ist häufig unterwegs, gibt mal in<br />
Rom Giacomo Puccinis Turandot, mal<br />
in Wien Richard Strauss’ Elektra. Schon<br />
an diesem Spektrum wird deutlich, wie<br />
schwer der Beruf ist und wie hoch man<br />
zu investieren bereit sein muss.<br />
Das Privatleben wird der Arbeit<br />
unter geordnet und das meiste von<br />
dem, was Evelyn Herlitzius sonst noch<br />
lockt – Freunde, Filme, Ausstellungen<br />
–, wird hintangestellt. „Man kann nicht<br />
alles haben. Das Singen braucht wahnsinnig<br />
viel Zeit und Energie. Es geht<br />
nur ganz oder gar nicht.“ Sie ist überdies<br />
die klassische Singschauspielerin,<br />
die nicht bloß den Noten folgt, sondern<br />
auch darstellerisch die starken und<br />
un gezügelten Emotionen ihrer Figuren<br />
ausdrücken will. Derlei intensive<br />
Ein lassungen auf den obsessiven Gefühlshaushalt<br />
antiker Heroinen oder<br />
germanischer Windsbräute verlangen<br />
ihr allerdings alles ab.<br />
Es dauert rund zwei Tage, bis sich<br />
der in einer Aufführung angestaute<br />
Adrenalinspiegel wieder auf Normalmaß<br />
herabgesenkt hat. Zum Ausgleich hat<br />
sie die Herausforderungen ihres Berufs<br />
stets mit einem möglichst normalen<br />
Alltagsleben zu kompensieren versucht.<br />
Sie wühlt gern in ihrem Garten und<br />
passt auf, dass es den geliebten Hortensien<br />
an nichts mangelt. Sie läuft durch<br />
den Wald und sammelt Pilze. Gesungen<br />
wird weder dabei noch unter der Dusche,<br />
das tut sie lediglich im professionellen<br />
Rahmen: „Wenn ich Rad fahre,<br />
fahre ich Rad. Punkt!“ Einzig mit ihren<br />
Söhnen hat sie privat gesungen, bis zum<br />
Schlafengehen, „ich die Kinderlieder,<br />
sie die Opernpartien“.<br />
Dass Evelyn Herlitzius ursprünglich<br />
Tänzerin werden wollte, hilft ihr bis<br />
heute auf der Bühne. Singen ist für sie<br />
einerseits eine beseligende Auseinandersetzung<br />
mit der Musik, andererseits –<br />
„ich bin ein physischer Typ“ – ein „sehr<br />
angenehmer körperlicher Vorgang. Es<br />
fühlt sich einfach gut an.“<br />
Deshalb entwickelt sie für jede Rolle<br />
ein anderes Bewegungsprofil und eine<br />
gestische Sprache. Ästhetisch so unterschiedliche<br />
Regisseure wie Hans Neuenfels,<br />
Christof Loy, Claus Guth oder<br />
Christoph Schlingensief wussten das zu<br />
schätzen. Doch all der Ruhm und<br />
die Bravos haben die Kammersängerin<br />
nie abheben lassen. Kritisch befragt sie<br />
sich regelmäßig, welchen Einsatz ihr<br />
der Erfolg wert ist. Natürlich kämpft sie<br />
um ihn und ist froh, wenn sie ihn hat.<br />
Es gibt klare Regeln:<br />
Beim Radfahren<br />
sowie unter der<br />
Dusche wird nicht<br />
gesungen!<br />
Trotzdem hat sie nicht vergessen,<br />
dass es andere Freuden gibt, wahre, tiefe,<br />
gleichwohl jenseits von Rampenlicht<br />
und Applaus. Angesichts ihrer heutigen<br />
Gagen erinnert sie sich an ihre Studienzeit<br />
und dass man im Grunde wesentlich<br />
weniger benötigt, als man gemeinhin<br />
denkt: „Als Studentin war ich super<br />
darin, von Kartoffeln, Spiegeleiern,<br />
Brot und Äpfeln zu leben. Und wissen<br />
Sie was? Es war wunderbar.“ Das klingt<br />
bei ihr nicht wie das Loblied auf den<br />
Konsumverzicht, sondern wie die<br />
Erkenntnis eines Menschen, der einiges<br />
hinter sich und viel erfahren hat. Bei<br />
Evelyn Herlitzius kann man das nicht<br />
nur sehen, man kann es auch hören<br />
– zum Beispiel in der Semperoper. •<br />
BÜHNE SACHSEN
20 STADTRUNDGANG<br />
Heimliche<br />
Heimkehr<br />
Mit Roman Knižka in Dresden –<br />
der Stadt, in der der Schauspieler einst<br />
seine Liebe zum Theater entdeckt hat<br />
Roman Knižka kommt durch den<br />
Hintereingang. Er drückt sich<br />
an der unbesetzten Pforte vorbei,<br />
schleicht das schmale Treppenhaus hinauf,<br />
bis er schließlich im dritten Stock<br />
des Dresdner Schauspielhauses vor einer<br />
schweren Eisentür steht. „Bühne. Kein<br />
Durchgang“ ist dort in schwarzen Lettern<br />
auf einem Schild zu lesen. Knižka<br />
überlegt. Dann aber lässt er sich von der<br />
schroffen Order nicht weiter abhalten.<br />
Er drückt die Klinke herunter, zieht die<br />
TEXT Ralf Hanselle<br />
FOTO S Nikolaus Brade<br />
Roman Knižka erzählt<br />
im Schauspielhaus von<br />
seiner Zeit als<br />
Theatertischler<br />
Tür zu sich hin und steht unverhofft<br />
in einem riesigen Raum. „Wow!“, entfährt<br />
es ihm, während er mit einem<br />
entschlossenen Schritt über die Türschwelle<br />
tritt. „Das ist ja irre!“ Über<br />
Roman Knižka baumeln Schnürböden<br />
und Bühnenwände, vor ihm im<br />
Dunkeln öffnet sich eine große Leere.<br />
Roman Knižka, einer der gefragtesten<br />
deutschen TV-Darsteller, der in den<br />
letzten Jahren in unzähligen Rollen<br />
überzeugen konnte – vom Krimi-Bösewicht<br />
im Frankfurter „Tatort“ bis zu<br />
einem geistig Behinderten in „Mein Bruder,<br />
der Vampir“ – ist zurück in seiner<br />
alten Heimat. Er steht auf der großen<br />
Bühne des vor 100 Jahren eingeweihten<br />
Dresdner Schauspielhauses und schaut<br />
gebannt auf die goldgelben Sitzreihen<br />
ihm gegenüber. Direkt vor ihm ragen<br />
Seilzuganlagen und Scheinwerfertürme<br />
BÜHNE SACHSEN
Zurück beim alten<br />
Arbeitgeber: Roman<br />
Knižka in den<br />
Theaterwerkstätten<br />
in die Höhe, um ihn herum stehen die<br />
letzten Requisiten aus Ibsens „Volksfeind“:<br />
eine kleines Glashaus, ein langer<br />
Tisch. Knižka atmet ein, dann wieder<br />
aus. Theaterluft. Dieses Fluidum, das<br />
„Die Arbeit in den<br />
Werkstätten der<br />
Semperoper hat mich<br />
irgendwie mit Stolz<br />
erfüllt“<br />
nicht nur ihn wie magisch anzieht.<br />
„Ich wollte immer schon auf die große<br />
Bühne“, erzählt er und knöpft sich<br />
langsam die Ärmel seines Hemdes auf.<br />
Dann springt er auf ein großes rechteckiges<br />
Podium und schaut lange über<br />
die Rampe hinweg auf die leeren Sitze.<br />
Er steht hier nicht zum ersten<br />
Mal. Doch diesmal steht er frei und<br />
selbst bewusst: Bluejeans. Sonnenbrille.<br />
Ein Siegerlächeln. Er muss nichts<br />
mehr beweisen. Demnächst spielt<br />
Knižka Martin Luther in dem ZDF-<br />
Dokudrama „Das Luther-Tribunal“, ab<br />
November steht er auf der Bühne der<br />
Komödie am Kurfürstendamm. Damals<br />
aber, vor fast 30 Jahren, war das anders.<br />
Es war 1987, als Roman Knižka in<br />
den Werkstätten von Semperoper und<br />
Schauspielhaus eine Ausbildung zum<br />
Theatertischler begonnen hatte. Im nur<br />
wenige hundert Meter entfernten<br />
Malersaal lernte er Bretter sägen und<br />
Tapeten kleben. „Das, was wir in den<br />
Werkstätten zusammengebaut haben,<br />
stand später auf der Bühne und wurde<br />
vom Publikum bewundert. Das war<br />
ein erhebendes Gefühl. Irgendwie hat es<br />
einen mit Stolz erfüllt.“ Bald fertigte<br />
Knižka Ausstattungen für „Elektra“ und<br />
Bühnenbilder für den „Rosenkavalier“<br />
an. Doch heimlich träumte der 17-Jährige<br />
einen größeren Traum. Er wollte<br />
selbst auf der Bühne stehen: „Ich wollte<br />
immer ans Theater. Doch ich war zu<br />
jung und hab mich damals noch nicht<br />
nach vorn gewagt. Also habe ich erst<br />
einmal geschaut, wie man hinter dem<br />
Vorhang arbeitet.“<br />
Die Welt davor, die kannte er<br />
schon. Knižkas Vater, ein Choreograf<br />
beim Sorbischen National-Ensemble<br />
in Bautzen, wo der Sohn 1970 zur Welt<br />
gekommen war, hatte ihn als Kind<br />
oft an seinen Arbeitsplatz mitgenommen.<br />
Auch die Mutter, eine Sängerin,<br />
gab dem Jungen früh Bühnenluft<br />
BÜHNE SACHSEN
In der Tischlerei<br />
macht sich Knižka<br />
auf die Suche nach<br />
der Vergangenheit<br />
zu schnuppern. Ein solches Umfeld,<br />
sagt Knižka, wirke prägend. Durch all<br />
die Künstler um ihn herum habe er<br />
gelernt, dass es selbst in einem Land wie<br />
der DDR Räume zum Andersdenken<br />
gab. Für einen Nonkonformisten eine<br />
Befreiung. Andererseits sei er durch<br />
seine Erziehung häufig auch angeeckt.<br />
Oft sei er das schwarze Schaf gewesen.<br />
„Ich bin meistens irritierend anderer<br />
Meinung gewesen. Das hätte durchaus<br />
gefährlich werden können. Wenn ich<br />
nicht vorsichtig gewesen wäre, wäre ich<br />
vielleicht im Knast gelandet.“<br />
Dass Knižka jetzt hier steht – hier,<br />
wo er schon als Jugendlicher immer<br />
hingewollt hat, das verdankt er seinem<br />
Mut. Im Sommer 1989 nämlich, einige<br />
Monate vor dem Fall der Mauer, ist<br />
der junge Theatertischler abgehauen.<br />
Über Ungarn ging es zusammen mit<br />
zwei Freunden nach Österreich und von<br />
der Alpenrepublik weiter ins benachbarte<br />
Westdeutschland. „Unsere Flucht<br />
hat vier Tage und Nächte gedauert.<br />
Besonders in der fremden Dunkelheit<br />
haben wir vor Angst gezittert. Einer hat<br />
in Panik nach seiner Mutter geschrien.“<br />
Wenn der Schauspieler von diesem<br />
Sommer des Jahres 1989 erzählt, dann<br />
wird die bedrückende Atmosphäre<br />
noch einmal lebendig: die Enge und<br />
die Todesängste. Vieles habe er längst<br />
vergessen. Hier aber, am Genius Loci,<br />
wartet nicht immer nur die freie Jugend;<br />
auch die Spukgespenster sind wieder<br />
da. Heute kann Roman Knižka über<br />
den letzten Sommer der DDR weitestgehend<br />
lachen. Damals aber habe er<br />
die Wut im Bauch gehabt: auf Lehrer<br />
und Ausbilder, auf die Erziehung zum<br />
Wegducken und Verschweigen. Nur<br />
die Schauspieler, die seien anders<br />
gewesen. Die hätten Privilegien gehabt<br />
– auf, aber auch hinter der Bühne.<br />
Wo der Westen am<br />
tiefsten war, unternahm<br />
Roman Knižka<br />
erste Schritte auf<br />
der Bühne<br />
Er aber war Theatertischler. Erst<br />
nach seiner Flucht habe auch ihn<br />
der endgültige Mut zur Schauspielerei<br />
gepackt. Im fernen Bochum, da, wo<br />
der Westen damals angeblich am tiefsten<br />
war, unternahm er erste Schritte<br />
auf der Bühne. So ist er heimlich raus<br />
aus Dresden, und heimlich ist er<br />
nun zurück. „Wir dürfen hier ja eigentlich<br />
gar nicht sein“, bemerkt Knižka,<br />
der sich durch den Seiteneingang eingeschlichen<br />
hat. Noch einmal schaut er<br />
auf jene Bühne zurück, die er damals<br />
nur als Theatertischler hatte betreten<br />
dürfen. Dann löscht er das Licht.<br />
„Kommen Sie“, sagt er. „Jetzt gehen wir<br />
in die Werkstätten hinter der Oper.“<br />
Am Zwinger vorbei geht es zum Theaterplatz.<br />
Während Roman Knižka neugierig<br />
auf das Reiterstandbild von König<br />
Johann blickt, sprudelt es mehr und<br />
mehr aus ihm heraus. Die Orte von damals<br />
beflügeln seine Erinnerung. „Gestern<br />
noch hätte ich gar nicht gewusst,<br />
was ich über meine Dresdner Jahre so<br />
erzählen könnte. Jetzt schießen mir<br />
hier lauter Gedanken und Erinnerungen<br />
durch den Kopf.“ Also lässt er ihnen<br />
freien Lauf. Er redet und redet: von seinen<br />
Opern-Freikarten, die er in Hotellobbys<br />
an West-Touristen verkauft habe;<br />
von dem Vorgesetzten, demgegenüber<br />
er sich nach geglückter Flucht aus einer<br />
Wiener Telefonzelle heraus endlich Luft<br />
gemacht habe. Ab und an bleibt er<br />
stehen. Er blickt über die in der Mittagssonne<br />
liegende Augustusbrücke oder<br />
schaut Passanten hinterher: „Ist das<br />
nicht …?“ Knižka stockt. Dann winkt er<br />
ab und geht weiter. Er müsse immer<br />
mal schauen, ob er nicht irgendjemanden<br />
von früher erkenne.<br />
Doch früher, das ist zu lange her.<br />
Das war die Zeit, in der er einmal<br />
im Monat mit einem leeren Koffer an<br />
BÜHNE SACHSEN
STADTRUNDGANG<br />
23<br />
einen Platz hinter der Frauenkirche<br />
gegangen sei, um im Chor der Ausreisewilligen<br />
ein kleines, geheimes Zeichen<br />
zu setzen. Es sei eine konspirative Demonstration<br />
gewesen. Niemand habe<br />
etwas gesagt. Alle hätten nur dagestanden<br />
und für einen Moment in der<br />
Stille verharrt. „Du bist nicht allein“,<br />
sollte das heißen. Und: „Der Andersdenkenden<br />
sind mehr, als du denkst.“<br />
Auch der Bühnentischler Knižka war so<br />
ein Andersdenkender. „Ich hatte einen<br />
gelben Samsonite-Koffer aus den 70er-<br />
Jahren. ‚Ich denke wie du!‘, habe ich<br />
mit diesem kleinen Gepäckstück gesagt.“<br />
Den gelben Koffer habe er heute noch.<br />
Das Schweigen aber habe er gegen<br />
Worte getauscht. „Das Schöne an der<br />
Demokratie ist doch auch, dass man<br />
frei heraus sagen kann, was man denkt.“<br />
Frei heraus reden – man kann sich<br />
den Schauspieler ohne diese offenen<br />
Worte gar nicht mehr vorstellen. Zuweilen<br />
erklingen sie während des Stadtspaziergangs<br />
sogar auf Sächsisch. Und<br />
vor den Theaterwerkstätten auf dem<br />
ehemaligen Marstallgelände tönen sie<br />
manchmal gar ehrfurchtsvoll. Hier,<br />
erklärt er, habe manch große Karriere<br />
begonnen: die von Jan Josef Liefers<br />
oder die des großen Charakterdarstellers<br />
Gert Fröbe. Lange bevor der als „Goldfinger“<br />
den britischen Geheimdienst<br />
in Atem ge halten habe, sei Fröbe Theatermaler<br />
in Dresden gewesen.<br />
Wenn man Knižka derart über seine<br />
einstige Ausbildungsstätte reden hört,<br />
bekommt man den Eindruck, die Kaderschmiede<br />
des deutschen Spielfilms<br />
läge nicht in Babelsberg oder München,<br />
vielmehr sei sie in einem sanierten Pferdestall<br />
hinter der Semperoper zu Hause.<br />
70 Beschäftigte arbeiten hier: Maler,<br />
Tapezierer, Tischler. Ab und an hört man<br />
eine Kreissäge aufheulen. „Das, was<br />
hier entsteht“, schwärmt der heimliche<br />
Heimkehrer, „ist etwas Besonderes.<br />
Es wird später auf der Bühne installiert<br />
und Teil einer Illusion.“ Manchmal<br />
gingen die Werkstücke auch auf Reisen.<br />
So wie 1989: Teile von Knižkas Requisiten<br />
wurden zu einem Gastspiel nach<br />
Hamburg gefahren. Als der Lkw die<br />
Zonengrenze passiert hatte und wenige<br />
Tage später verplombt zurückkam, hätten<br />
sich die Kollegen darum gestritten,<br />
wer die Ladetür öffnen dürfe. Warum?<br />
Knižka lacht: „Westluft!“, sagt er. Der<br />
Duft der Freiheit. Heute kann er diesen<br />
an jeder Straßenecke atmen, vor allem<br />
aber vor der Kamera und im Theater.<br />
Allein dafür habe sich der Weg gelohnt.<br />
Der Weg von Bautzen über Dresden bis<br />
ins gesamtdeutsche Fernsehprogramm. •<br />
Blick auf den Zwinger<br />
(oben) und auf den<br />
Theaterplatz vor der<br />
Semperoper (unten)<br />
BÜHNE SACHSEN
INTERVIEW<br />
25<br />
„Operette ist<br />
wie Cola“<br />
Christian Thielemann, Chefdirigent<br />
der Sächsischen Staatskapelle, spricht im Interview<br />
über Heimat, Hotels und die Lust<br />
an der leichten Muse<br />
INTERVIEW Michael Stallknecht<br />
FOTO S Matthias Creutziger<br />
BÜHNE SACHSEN: Herr Thielemann,<br />
Sie sind nun seit fünf Jahren Chef der<br />
Sächsischen Staatskapelle. Um gleich<br />
mal indiskret zu werden: Wohnen Sie<br />
eigentlich auch in Dresden?<br />
CHRISTIAN THIELEMANN: Nein, ich<br />
wohne dort im Hotel. Was bisher so<br />
an Wohnungsangeboten kam, war<br />
nicht zufriedenstellend. Und ehrlich<br />
gesagt habe ich auch keine Zeit, mich<br />
abends noch um eine Wohnung zu<br />
kümmern, wenn ich von den Proben<br />
heimkomme. Ich fühle mich trotzdem<br />
in Dresden zu Hause und bin Teil<br />
der Stadt geworden. Deshalb muss ich<br />
nicht drei Toaster besitzen und meine<br />
Bücher quer über verschiedene Wohnungen<br />
verstreuen. Das kenne ich schon,<br />
das brauche ich nicht.<br />
Sie gelten als bekennender Preuße.<br />
Fühlen Sie sich da überhaupt wohl in<br />
<strong>Sachsen</strong>? Das Verhältnis zwischen<br />
den beiden Ländern war ja historisch<br />
nicht immer gerade friedlich.<br />
Ich bin selbst halber Sachse und<br />
ein halber Pommer, aber geboren<br />
in Berlin. Die ganze Familie meines<br />
Vaters kommt aus <strong>Sachsen</strong> und hat vor<br />
200 Jahren noch in Dresden und Riesa<br />
gewohnt. Eigentlich bin ich also nur<br />
ein „Beutepreuße“. Ich habe Familienforschung<br />
betrieben.<br />
„Den einen deutschen<br />
Klang gibt es nicht.<br />
Es gibt verschiedene<br />
Stile innerhalb dieses<br />
Klangs“<br />
Bevor oder nachdem Sie zur Staatskapelle<br />
kamen?<br />
Ich wollte das schon immer machen,<br />
hatte auch schon in die Familienbücher<br />
geschaut. Als ich nach Dresden kam,<br />
habe ich dann eine Anfrage ans Sächsische<br />
Hauptstaatsarchiv gestellt. Ich<br />
hatte schon immer einen Hang zum<br />
Osten, genau kann ich das nicht begründen.<br />
Vielleicht ist es die Weite der<br />
östlichen Landschaften. Aber ich probiere,<br />
das Preußische und das Sächsische<br />
zusammenzubringen. In Dresden<br />
ist das nicht immer ganz leicht. Dort<br />
spricht man von Friedrich dem Großen<br />
ja immer noch mit leicht zusammengebissenen<br />
Zähnen. Bei mir gibt es sicher<br />
einerseits einen Hang zu einer gewissen<br />
Pedanterie, die Sie preußisch nennen<br />
können, wenn Sie wollen, andererseits<br />
versuche ich, die Sachen auch mal laufen<br />
zu lassen. Wenn ich dem Orchester<br />
alles vorschreibe und alles Mögliche in<br />
die Noten eintrage, bin das auch nicht<br />
mehr ich. Ich bin ein Improvisator.<br />
Und das ist für Sie sächsisch?<br />
Ja. Andererseits: Bitte nicht die alten<br />
Vorurteile über Preußen. Es ist dort<br />
auch eine der schönsten Formen des<br />
Rokoko entstanden. Und der Klassizismus<br />
hat Formen von einer Eleganz<br />
hervorgebracht, das können Sie gar<br />
nicht fassen – die Schönheit dieser<br />
Möbel oder die Berliner Vedutenmalerei<br />
zwischen 1820 bis 1860. Noch Mies<br />
van der Rohe hat sich ja von Schinkels<br />
Architektur anregen lassen.<br />
Man sagt Ihnen nach, dass Sie nicht<br />
gern reisen.<br />
Ich mache auch mit den Wiener<br />
Philharmonikern viel, da kann man<br />
von Berlin aus hervorragend hinfliegen.<br />
Aber Dresden ist mein Hauptstandort<br />
geworden. Dann schaue ich noch jedes<br />
Jahr auf ein oder zwei Konzerte bei den<br />
BÜHNE SACHSEN
26 INTERVIEW<br />
Berliner Philharmonikern vorbei,<br />
mache im Sommer Bayreuth und das<br />
war’s. Ich gehe nicht mehr nach New<br />
York oder London zu Gastdirigaten.<br />
Das habe ich alles gemacht, aber irgendwann<br />
herausgefunden, dass ich meine<br />
Kraft fokussieren muss. Wenn ich in<br />
Dresden dirigiere, zahle ich sozusagen<br />
auf mein eigenes Konto ein, weil das<br />
Orchester und ich sich dann gemeinsam<br />
weiterentwickeln.<br />
Christian Thielemann<br />
dirigiert die Staatskapelle<br />
„Wenn ich in Dresden<br />
Richard Strauss<br />
dirigiere, habe ich<br />
das Gefühl, er kommt<br />
gleich zur Tür herein“<br />
dirigiere, habe ich immer das Gefühl,<br />
er kommt gleich zur Tür herein.<br />
Wir passen irgendwie zusammen. Ich<br />
mag diesen Klang, der rund und nie<br />
zu dick ist, dunkel, aber eigentlich gar<br />
nicht mal extrem, sondern auch mit<br />
Helligkeit gemischt. Vor allem aber<br />
nie kantig. Das kommt mir persönlich<br />
sehr entgegen.<br />
Was Sie da beschreiben, nennt man<br />
manchmal auch den „deutschen<br />
Klang“. Ist das ein Begriff, der für Sie<br />
eine Rolle spielt?<br />
Den einen deutschen Klang gibt es<br />
nicht. Schon die Wiener Klassik fächert<br />
sich auf, ein früher Beethoven sollte<br />
anders klingen als ein später. Schumann<br />
und Mendelssohn klingen wieder anders<br />
als Brahms. Wagner? Nun, er schillert.<br />
Bei ihm gibt es die Leichtigkeit,<br />
die nach Mendelssohn klingt, aber dann<br />
auch das Schwere. Und wenn man<br />
Strauss zu schwer nimmt, klingt er platt<br />
und dumpf. Es gibt verschiedene Stile<br />
innerhalb des sogenannten deutschen<br />
Klangs. Der Klang der Sächsischen<br />
Staatskapelle wird oft als Synonym für<br />
diesen Klang betrachtet, weil sich das<br />
Orchester immer besonders zwischen<br />
diesen Stilen bewegt hat. Auf dieser<br />
Basis spielen sie dann aber auch französische<br />
Musik oder Schostakowitsch.<br />
Die Staatskapelle ist ein sehr traditionsreiches<br />
Orchester, mit 450 Jahren<br />
Geschichte im Rücken. Wer, würden<br />
Sie sagen, hat in den letzten Jahren<br />
wen mehr beeinflusst, Sie die Staatskapelle<br />
oder die Staatskapelle Sie?<br />
Das ist eine Symbiose. Die Kapelle<br />
hat mich durch ihre Kompetenz auf<br />
den Gebieten beeinflusst, auf denen<br />
auch ich selbst viel Erfahrung mitbringe.<br />
Wenn ich in Dresden Richard Strauss
INTERVIEW<br />
27<br />
Ihr eigenes Repertoire scheint sich<br />
aber oft auf einen Kanon in der deutschen<br />
Romantik zu begrenzen.<br />
Das stimmt so nicht. Natürlich habe<br />
ich mit vielen Stücken unglaublich viel<br />
Erfahrung, weil ich sie so oft gemacht<br />
habe. Aber ich beschränke mich nicht,<br />
ich bin neugierig. Mir bleibt immer<br />
relativ wenig Zeit für Neues, weil die<br />
Staatskapelle eben bei ihren Tourneen<br />
im Ausland genau für dieses Repertoire<br />
gebucht wird, von dem Sie sprechen.<br />
Aber in Dresden nehme ich in die Programme<br />
auch relativ ungewöhnliche<br />
Stücke auf. Insofern versuche ich, beides<br />
zu machen. Man denkt immer, ich<br />
dirigiere jedes Jahr den ganzen Wagner,<br />
aber das ist Unsinn.<br />
Es gibt die Kritik, dass Sie in der<br />
Semperoper bei zu wenigen Opernvorstellungen<br />
selbst am Pult stünden.<br />
Können Sie die nachvollziehen?<br />
Ich mache, was vertraglich vereinbart<br />
ist – und ich probe viel. Das ist schließlich<br />
auch Dirigieren. Jetzt nehmen wir<br />
Wagners „Ring des Nibelungen“ wieder<br />
auf, da fallen allein schon über ein Dutzend<br />
Proben an. Ich könnte stattdessen<br />
auch 20-mal den „Rigoletto“ öffentlich<br />
dirigieren, aber dann entwickelt sich<br />
das Orchester nicht weiter. Ich brauche<br />
auch Zeit, um die Stücke zu studieren,<br />
die ich noch nicht dirigiert habe. Dazwischen<br />
einfach mal schnell noch eine<br />
Vorstellung runterreißen, war nie meine<br />
Sache. Das wird dann auch nicht so<br />
gut, wie die Kritiker das von mir erwarten.<br />
Was wir machen, muss sitzen.<br />
Ungewöhnlich sind auf jeden Fall Ihre<br />
Silvesterprogramme, die das ZDF<br />
überträgt: Christian Thielemann als<br />
Operettendirigent …<br />
Für dieses Jahr haben wir sogar<br />
UFA-Filmmusik aufs Programm gesetzt<br />
und dazu Stücke des Salonorchesters<br />
von Marek Weber, der 1933 emigriert<br />
ist. Ich bin ein großer Operettenfreund.<br />
Insgesamt würde ich gern noch mehr<br />
machen, aber ich brauche auch freie<br />
Zeit zum Atemholen. Auf ein total ein-<br />
geschränktes Privatleben habe ich<br />
keine Lust und neben der Musik noch<br />
einige sehr starke Interessen, denen<br />
ich auch nachgehen will. Ich will auch<br />
nicht mein ganzes Leben im Hotel<br />
verbringen. Jeden Abend ein Orchester<br />
zu dirigieren, auch wenn es zu den<br />
besten der Welt gehört, ist, wie wenn<br />
man jeden Abend eine Flasche Dom<br />
Pérignon aufmacht: Irgendwann kriegen<br />
Sie Lust auf Cola.<br />
„Bei Klassik fange<br />
ich an, schlecht Auto<br />
zu fahren, weil ich<br />
bei Klassik immer zu<br />
genau hinhöre“<br />
Und die Operette ist Cola?<br />
In gewisser Weise schon, aber eine<br />
ziemlich edle Cola. Ich mag an der<br />
Operette diese Variabilität in den Tempi.<br />
Bei Wagner, Strauss und Beethoven<br />
kommt mir das dann zugute. Als<br />
Opernorchester muss die Staatskapelle<br />
ja sowieso die ganze Bandbreite abdecken.<br />
Den Musikern macht das auch<br />
Spaß. Kurz vor Weihnachten sehe ich<br />
bei den Proben immer, wie die Leute<br />
amüsiert rausgehen. Operette wird erst<br />
richtig gut, wenn sie auf einem hohen<br />
Niveau musiziert wird. Sie ist ja für<br />
die großen Sängerstars ihrer Zeit komponiert<br />
worden. Das merkt man erst<br />
richtig, wenn man die „Csárdásfürstin“<br />
mit einer Netrebko macht.<br />
Ist die Operette erotischer als Wagner?<br />
Wagner wird durch die Operette<br />
erotisch.<br />
Wo steckt denn die Operette bei<br />
Wagner?<br />
Na, überall, in jeder Tempoverzögerung,<br />
in allem, was man nicht einfach<br />
geradeaus dirigieren kann. In der Operette<br />
kann man die Kunst der leichten,<br />
geschmackvollen Temporückungen lernen.<br />
Bei Wagner müssen Sie manchmal<br />
auch den Holzhammer nehmen. Aber<br />
danach geht es auch wieder um subtilste<br />
Abschattierungen, und die kann man<br />
beim Dirigieren von Operetten lernen.<br />
Wenn man da übertreibt, wird es sofort<br />
geschmacklos und flach. Operette<br />
schult die Geschmackssicherheit.<br />
Sie haben mal gesagt, Sie könnten sich<br />
vorstellen, zum Silvesterkonzert auch<br />
Helene Fischer einzuladen.<br />
Warum denn nicht? Ich habe keine<br />
Berührungsängste. Wenn die Staatskapelle<br />
einen Schlager spielt, ist das<br />
schon an sich ein Ereignis. Karajan hat<br />
ja gesagt, die Staatskapelle klinge „wie<br />
altes Gold“. Das dann in einem alten<br />
Schlager – was will man mehr?<br />
Hören Sie privat auch nichtklassische<br />
Musik?<br />
Im Auto höre ich immer alles Mögliche,<br />
weil ich dort nicht gern Klassik<br />
höre. Bei Klassik fange ich an, schlecht<br />
Auto zu fahren, weil ich zu genau hinhöre.<br />
Aber auf einer Autofahrt von<br />
Berlin nach Bayreuth kann man sich<br />
auf verschiedenen Kanälen gut informieren,<br />
was gerade so los ist. Die<br />
Berufe von Musikern sind nicht so<br />
unterschiedlich. Ein Schlagersänger<br />
muss auf Knopfdruck diese gute Laune<br />
herstellen können, auch wenn er vorher<br />
im Hotel zimmer sitzt und gerade<br />
eigentlich überhaupt keine Lust hat.<br />
Ich gebe zu: Ein Dirigent kann auch<br />
mal „Die lustigen Weiber von Windsor“<br />
leiten, wenn er gerade nicht so gut<br />
gelaunt ist. Aber auf Knopfdruck funktionieren<br />
muss er auch. •<br />
Christian Thielemann wurde<br />
1959 in Berlin geboren. Seine<br />
Karriere begann er 1978 als<br />
Assistent von Herbert von<br />
Karajan. Seit 2012 ist er<br />
Chefdirigent der Sächsischen<br />
Staatskapelle Dresden<br />
BÜHNE SACHSEN
28 STATISTIK<br />
SACHSENS BÜHNEN<br />
IN ZAHLEN<br />
Theater muss man sinnlich erleben.<br />
Man kann es aber auch mathematisch<br />
errechnen. Eine Datenerhebung<br />
BÜHNE SACHSEN
29<br />
BÜHNE SACHSEN<br />
ILLUSTRATION Monja Gentschow
30<br />
Eine Bühne<br />
für die Bürger<br />
Im mittelsächsischen Freiberg steht<br />
das älteste Stadttheater der Welt –<br />
ein Haus mit langer Tradition und<br />
ganz besonderem Charme<br />
TEXT Barbara Wenz<br />
Wenn Freiberg nicht gerade<br />
sein Bergstadtfest, das größte<br />
Volksfest Mittelsachsens,<br />
ausrichtet, geht es beschaulich zu in<br />
dem Städtchen mit dem sorgfältig<br />
sanierten historischen Zentrum mitten<br />
in der sächsischen Provinz. Dabei<br />
besitzt Freiberg zwei Institutionen der<br />
Superlative: zum einen die Technische<br />
Universität, an der seit 1765 die<br />
Gewinnung und Wiederverarbeitung<br />
von Rohstoffen gelehrt wird.<br />
Zum anderen das traditionsreiche<br />
Stadttheater mit seinem Ensemble,<br />
welches Künstler aus mindestens zehn<br />
Nationen umfasst und nicht nur als das<br />
älteste Stadttheater Deutschlands, sondern<br />
der ganzen Welt gilt. Zunächst in<br />
privatem Besitz von Johann Gotthelf<br />
Engler, der ein Wohnhaus am Buttermarkt<br />
zum Theater umbaute, eröffnete<br />
die Freiberger Bühne zu Ostern 1790<br />
die erste Saison mit einem Auftritt der<br />
renommierten Secondaschen Schauspieltruppe.<br />
Bereits 1791 wollte Engler<br />
sein Theater wieder loswerden und bot<br />
es deshalb der Kommune zum Kauf<br />
an. Zu diesem Zeitpunkt war Freiberg<br />
eine wohlhabende Stadt, deren Reichtum<br />
schon seit dem Mittelalter auf dem<br />
Silberbergbau beruhte. Dieser Umstand<br />
beeinflusste die Entscheidung zum Erwerb<br />
der Engler’schen Bühne, wie man<br />
den historischen Unterlagen des Stadtrates<br />
entnehmen kann: „… da eines<br />
Teiles Geld müßig in Kassen liegt …,<br />
anderen Teiles aber … für besser erachtet<br />
wird, wenn dieses Haus in den<br />
Händen der Obrigkeit sich befindet …<br />
und durch die Erfahrung sich bestätigt,<br />
dass überhaupt durch die Schauspiele<br />
der Nahrungsstand der Bürgerschaft<br />
gewinne“.<br />
Aus dem einfachen Haus ist im<br />
Laufe von über 200 Jahren ein verschachtelter<br />
Gebäudekomplex tief im<br />
Herzen der historischen Altstadt<br />
geworden. 175 Personen umfasst derzeit<br />
das Ensemble, zusammen führen<br />
sie pro Jahr rund 600 Darbietungen<br />
nicht nur in der Stadt, sondern im<br />
Fotos: Jörg Metzner
ORTSTERMIN<br />
31<br />
Oben und Mitte: Theater<br />
Freiberg außen und innen<br />
Links: „Anatevka“ in der<br />
Inszenierung von Arila Siegert<br />
Eine Spielstätte<br />
wie das Stadttheater<br />
Freiberg braucht<br />
Menschen voller<br />
Leidenschaft<br />
zwischen 10 und 19 Jahren zu tun.<br />
Einmal in der Woche trifft man sich<br />
hier zum Proben. „Die meisten Mitspieler<br />
kommen aus Freiberg und Umgebung,<br />
wir haben aber auch immer<br />
noch Austauschschüler dabei, die gern<br />
mit wirken“, sagte Anselm Hühnel,<br />
der Leiter des Jugendensembles.<br />
Hühnel ist 22 Jahre jung, aber<br />
bereits ein alter Theater-Hase. „Ich habe<br />
schon im Alter von sieben Jahren auf<br />
der Freiberger Bühne gestanden“, verrät<br />
er. Als Zweitklässler sang er sein erstes<br />
Intendant<br />
Ralf-Peter Schulze<br />
ganzen Landkreis auf – vom Trauerspiel<br />
bis zur Komödie, vom Kammerkonzert<br />
bis zum Musical, vom Puppentheater<br />
zur Lesung.<br />
Große Karrieren wie die von Inge<br />
Keller, der späteren Schauspielgröße<br />
am Deutschen Theater Ost-Berlin, oder<br />
die von Hans-Joachim Ketelsen, Bariton<br />
auf den Bühnen von Bayreuth oder<br />
Mailand, nahmen am Stadttheater<br />
Freiberg ihren Anfang.<br />
Heute arbeiten dort nicht nur<br />
Künstler aus Deutschland, sondern auch<br />
aus Kroatien, Tschechien, Brasilien,<br />
Argentinien, Korea, Bulgarien, Österreich,<br />
Polen, Rumänien, Ungarn und<br />
den USA.<br />
Dass das alte Freiberger Stadttheater<br />
bis heute so erfolgreich arbeiten kann,<br />
hat viele Gründe. Einer hat mit dem<br />
hervorragenden Jugendtheater mit seinen<br />
fast 80 Mitgliedern im Alter<br />
Solo als Knabensopran. Doch die Liebe<br />
zu den darstellenden Künsten hat ihn<br />
bereits in früher Kindheit erfasst –<br />
zu seinen Hobbys gehörte damals das<br />
Schreiben und Inszenieren kleiner<br />
Stücke im Kreise der Familie. Dieses<br />
Hobby hat er nun zur Profession gemacht.<br />
Hühnel gibt Jugendlichen die<br />
Möglichkeit, sich selbst auf der Bühne<br />
auszuprobieren. „Wir haben jetzt<br />
mit einer Kafka-Umsetzung ein eindringliches<br />
Stück im Programm,<br />
mit Goldonis ‚Lügner‘ aber auch eine<br />
Komödie gespielt“, erläutert Hühnel.<br />
In der Tat ist die Umsetzung des<br />
Stückes auf der Studiobühne des Freiberger<br />
Theaters packend und suggestiv.<br />
Die 15 Darsteller liefern teils prägnante,<br />
parolenhafte Monologe. Ihr dynamisches<br />
Agieren ist ausdrucksstark und<br />
BÜHNE SACHSEN
32 ORTSTERMIN<br />
Oben: Dorothy Maddison, Leiterin<br />
der „German Opera Experience“<br />
Unten: Szenenfoto aus<br />
„Brundibár“<br />
Im Freiberger<br />
Stadttheater werden<br />
Erlebnisse geschaffen,<br />
verarbeitet und<br />
miteinander geteilt<br />
perfekt synchronisiert. Kafkas Groteske<br />
wird durch die aktuellen Bezüge,<br />
welche die Jugendlichen herausgearbeitet<br />
haben, zu einer großen Frage:<br />
Wer bin ich? Einer – oder viele?<br />
Eine Spielstätte wie das Stadttheater<br />
Freiberg braucht also vor allem Menschen<br />
voller Leidenschaft. Zu ihnen<br />
zählt Dorothy Maddison, Professor of<br />
Voice aus den USA. In den 90er-Jahren<br />
war sie als Sängerin in Döbeln engagiert.<br />
Maddison spricht ein wunderbares<br />
Deutsch mit typischem amerikanischen<br />
Akzent. Sie brennt für eine Aufgabe,<br />
der sie nach eigenen Worten ihr Leben<br />
gewidmet hat: Im Rahmen einer<br />
„German Opera Experience“ organisiert<br />
Dorothy Maddison Aufenthalte von<br />
US-amerikanischen Musik- und Schauspielstudenten<br />
in Freiberg. Die jungen<br />
Leute erhalten im Laufe von sechs<br />
Wochen nicht nur Deutschunterricht<br />
und lernen nebenbei das Land kennen,<br />
sie erhalten insbesondere die Gelegenheit,<br />
an Aufführungen des Freiberger<br />
Stadttheaters mitzuwirken, um so<br />
wesentliche Er fahrungen für ihre berufliche<br />
Laufbahn zu sammeln.<br />
Wir treffen Maddison nach der Vorpremiere<br />
der Kinderoper „Brundibár“,<br />
deren Inszenierung durch den ge bürtigen<br />
Kroaten Sergio Raonic Lukovic<br />
sie für eine besonders gute Idee hält<br />
– nicht nur, weil „Brundibár“ als<br />
schönste Kinderoper des 20. Jahrhunderts<br />
gilt, sondern vor allem wegen<br />
des erschütternden Hintergrunds der<br />
Oper: „Brundibár“, komponiert vom<br />
jüdischstämmigen Tschechen Hans<br />
Krása, wurde im Durchgangslager<br />
Theresienstadt (Terezín) mehr als 50<br />
Mal auf geführt. Fast alle Darsteller<br />
wurden später nach Auschwitz deportiert<br />
und ermordet. Für Regisseur<br />
Lukovic, der in Freiberg normalerweise<br />
als Solosänger auf der Bühne steht,<br />
diesmal jedoch hinter den Kulissen<br />
agierte, war die Oper eine Entdeckung:<br />
„Für mich war das eine totale Neuigkeit.<br />
Ich hatte davon vorher noch nie<br />
etwas gehört.“ Es habe ihn verstört,<br />
dass Menschen, die unmittelbar mit<br />
der Nähe des Todes konfrontiert waren,<br />
ausgerechnet Oper und Musik machen<br />
wollten. Doch in „Brundibár“ stecke<br />
noch viel mehr. Es habe auch eine<br />
aktuelle Botschaft. Tatsächlich gehe es<br />
in dem Stück um den Sieg des Guten<br />
über das Böse und um gemeinsame<br />
Solidarität. In seiner kurzen Ansprache<br />
vor Beginn der Schülervorstellung<br />
stellt Lukovic seinem Publikum die<br />
Frage, was der Einzelne tun kann,<br />
um diese Gesellschaft zu einer besseren<br />
zu machen. Er ruft es auf, sich eine<br />
Meinung zu bilden und klar hinter<br />
dieser Meinung zu stehen. „Auf euch<br />
werden wir Erwachsene uns verlassen<br />
müssen!“, ruft er den Kindern zu,<br />
bevor er ihnen gute Unterhaltung mit<br />
„Brundibár“ wünscht.<br />
Zu Hause sein in Freiberg, in Mittelsachsen,<br />
inmitten einer sich verändernden<br />
digitalisierten und globalisierten<br />
Welt, das ist für Intendant Ralf-Peter<br />
Schulze das Spannungsfeld, in dem ein<br />
lebendiges Theater existieren und sich<br />
entwickeln kann. Denn Theater sei<br />
noch immer ein Ort der gemeinsamen<br />
Erlebnisse. Und hier in Freiberg werden<br />
solche Erlebnisse nicht nur geschaffen;<br />
sie werden auch verarbeitet und miteinander<br />
geteilt. Schulzes Anspruch sei<br />
es letztlich, für die Stadt, den Landkreis,<br />
die ganze Region und deren Gäste<br />
einzig artiges, wahrhaftiges, besonderes<br />
und beachtenswertes Theater wie<br />
Musiktheater zu machen.<br />
Dass dies in der besonderen, ebenso<br />
traditionsreichen wie vitalen Atmosphäre<br />
in und rund um das Freiberger<br />
Stadtheater gelingt, davon können<br />
sich Ansässige wie Touristen auch in<br />
der kommenden Saison wieder selbst<br />
überzeugen. •<br />
Fotos: privat, Alexander Schwarz<br />
BÜHNE SACHSEN
33<br />
Foto: Ullstein Bild<br />
VIEL MEHR<br />
ALS EINE<br />
KOMÖDIANTIN<br />
Friederike<br />
Caroline<br />
Neuber<br />
reformierte<br />
das Theater,<br />
stritt für<br />
Zärtlichkeit, Natur<br />
und Kunst und half<br />
Lessing auf die Bühne.<br />
Was für ein Leben!<br />
TEXT Alexander Kissler<br />
Wie viel Anspruch verträgt das<br />
deutsche Publikum, wie viel<br />
Geist, Raffinesse, Bildung?<br />
Vor dieser Frage stehen sämtliche<br />
Theater, Museen, Verlage, Rundfunkund<br />
Fernsehanstalten, und es war die<br />
Lebensfrage einer der bemerkenswertesten,<br />
tapfersten Frauen der Schauspielgeschichte,<br />
der Friederike Caroline<br />
Neuber aus dem sächsischen Reichenbach.<br />
Am Ende empfand sie sich als gescheitert,<br />
abgeprallt an der Gier des Auditoriums<br />
nach Spaß und Tölpelei ohne<br />
tiefere Bedeutung, doch ihr Verdienst<br />
ist bleibend. Ohne „die Neuberin“ gäbe<br />
es vielleicht keine Programmhefte – sie<br />
machte als Erste aus der Besetzungsliste<br />
einen Theaterzettel mit Stückbeschreibungen<br />
–, und ohne sie hätte das schauspielernde<br />
Handwerk sich nicht so rasch<br />
vom Ruch des Halbseidenen befreit.<br />
Und dennoch dieser Ausbruch, diese<br />
Enttäuschungssuada, diese Publikumsbeschimpfung<br />
zu Hamburg im Januar<br />
1740. Da war sie 42 Jahre alt und kurz<br />
davor, auf den Ruf der Zarin Anna hin<br />
mit ihrer Truppe nach St. Petersburg<br />
überzusiedeln. Den Hamburgern klangen<br />
die Ohren: „Hier hält mich wenig<br />
Gunst und kein Verdienst zurück, / darum<br />
gönnet wenigstens Euch und mir<br />
dies Glück, / dass Ihr uns nicht mehr<br />
seht. / Denn von der Schauspielkunst<br />
habt ihr sehr wenig Licht, / weil’s Euch<br />
an Zärtlichkeit, Natur und Kunst gebricht.“<br />
Ein Auftrittsverbot durch den<br />
Hamburger Magistrat war die Quittung<br />
für weiblichen Bekennermut.<br />
St. Petersburg wurde Episode. Die<br />
Zarin starb Ende Oktober 1740 und<br />
mit ihr alle Gunst. In absolutistischen<br />
Zeiten konnte es nicht anders sein.<br />
Zuvor hatte der Tod Augusts des Starken<br />
1733 zu einer Krise geführt, war<br />
doch damit das Privileg erloschen, kraft<br />
dessen das Ehepaar Neuber zu Hofkomödianten<br />
ernannt worden war. Kein<br />
festes Haus hatte ihr der Kurfürst verliehen,<br />
aber das Recht, als fahrendes<br />
Ensemble aufzutreten. Das Leipziger<br />
Debüt zur Ostermesse führte die<br />
Neuberin 1727 mit<br />
Johann Christoph Gottsched<br />
zusammen. Eine<br />
fruchtbare Zusammenarbeit<br />
beginnt. Beide<br />
wollen das Schauspiel<br />
in deutschen Landen<br />
auf europäisches<br />
Niveau heben. Die<br />
Franzosen sind Vorbild.<br />
Die Neuberin macht<br />
sich um deutsche Aufführungen<br />
der Stücke von<br />
Corneille, Racine, Marivaux,<br />
Molière verdient.<br />
Gottsched, der die Neuberin<br />
in ihrer Paradedisziplin kennenlernte,<br />
der vierfachen Hosenrolle junger<br />
männlicher Studenten in der Komödie<br />
„Gespräche im Reiche der Toten“, ist<br />
bekümmert nach dem Hamburger<br />
Fiasko: „So verlieren wir in Deutschland<br />
wiederum ein Mittel, den guten Geschmack<br />
zu fördern.“ Leider frage man<br />
„in <strong>Sachsen</strong> nach solchen Sachen nichts,<br />
die von Auswärtigen mit sehr großen<br />
Kosten gesuchet werden“. <strong>Sachsen</strong> aber<br />
nimmt seine verlorene Tochter nach der<br />
Rückkehr aus Russland in Ehren auf.<br />
„Mein allerliebstes vernünftiges Leipzig“<br />
– so die Neuberin an Gottsched –<br />
wird Schauplatz der Uraufführung einer<br />
Komödie des blutjungen Gotthold<br />
Ephraim Lessing aus dem sächsischen<br />
Kamenz. Die Neuberin bringt 1748<br />
den „Jungen Gelehrten“ auf die Bühne.<br />
Die große Frau, die sich „nichts als<br />
eine Komödiantin“ nannte, stirbt in den<br />
Wirren des Siebenjährigen Krieges am<br />
29. November 1760 in Laubegast. Goethe<br />
setzt ihr ein Denkmal in „Wilhelm<br />
Meisters Lehrjahren“ – und Petra Oelker<br />
in historischen Krimis um die Komödiantin<br />
Rosina. Alles Weitere findet sich,<br />
anschaulich verdichtet, im Neuberin-<br />
Museum in Reichenbach/Vogtland. Das<br />
Wort, das Friederike Caroline auf einen<br />
Theaterzettel drucken ließ, gilt noch:<br />
„Das Übrige wird angenehmer zu sehen,<br />
als hier zu lesen sein.“ •<br />
BÜHNE SACHSEN
Das Lied<br />
der Straße<br />
BÜHNE SACHSEN
REPORTAGE<br />
35<br />
Einmal im Jahr verwandelt sich<br />
die Europastadt Görlitz in eine<br />
Bühne für Gaukler, Artisten<br />
und Schauspieler. Ein Rundgang<br />
über das Straßentheaterfestival<br />
„Via Thea“<br />
TEXT Ralf Hanselle<br />
Links: Strange Fruit<br />
aus Australien mit dem<br />
Stück „The Field“<br />
auf dem Obermarkt<br />
Görlitz an einem Sommertag.<br />
Am Himmel über der östlichsten<br />
Stadt Deutschlands stapeln<br />
sich Cumuluswolken zu bedrohlichen<br />
Türmen. Ein Geruch von Gewitter<br />
liegt in der Luft – von nassem Staub<br />
auf benetztem Asphalt. Noch harren<br />
die Passanten trotzig in den Straßencafés<br />
am Untermarkt aus, und vor dem<br />
Gerhart-Hauptmann-Theater am<br />
Demianiplatz dreht ein Kinderballett<br />
seine Pirouetten unbeeindruckt in den<br />
Abend hinein. Es ist das erste Wochenende<br />
im Juli. Im größten Flächendenkmal<br />
Deutschlands trotzen die Bewohner<br />
dem Regen – dem Aufzug des<br />
Windes und der zuweilen trockenen<br />
Luft, die aus den letzten Altbauruinen<br />
BÜHNE SACHSEN
36 REPORTAGE<br />
herüberweht. Nur wer genau hinschaut,<br />
erahnt schon das Schauspiel – das<br />
kleine Welttheater am Ufer der Neiße,<br />
das hier in wenigen Momenten zur<br />
Aufführung kommen wird.<br />
„Gleich geht es los!“ Ein verschwitzter<br />
Junge mit roten Haaren tanzt aufgeregt<br />
mit einem im Wind fliegenden Zeitungspapier.<br />
„Es bleibt nur die Straße“<br />
verkündet eine Überschrift in dicken<br />
Lettern. Die Straße – wo wüsste man<br />
um die Kraft dieses Ortes besser als in<br />
Görlitz, der historischen Kreisstadt an<br />
der Lausitzer Neiße. Bereits im 12. Jahrhundert<br />
verlief über deren Brücken und<br />
Plätze die alte Fernstraße „Via Regia“<br />
bis hinüber ins schlesische Breslau und<br />
in umgekehrter Richtung zurück an<br />
den Rhein. Noch heute erzählen die<br />
prächtigen Fassaden von dem Reichtum,<br />
den man damals am Rande der alten<br />
Königsstraße erlangen konnte.<br />
Vielleicht ist sie immer schon ein<br />
Ort für Weltenstücke gewesen. Mal ereigneten<br />
sich hier große Dramen, mal<br />
Die „Via Thea“ zeigt<br />
eine bunte Mischung<br />
aus Straßentheater,<br />
Clownerie und Artistik<br />
unbedeutende Liebeleien. Mal diente<br />
das Pflaster der Pilgerfahrt, mal der<br />
Prozession oder dem Wanderschauspiel.<br />
Einer war hier dem anderen Mime. Nur<br />
ins Bewusstsein drang das die meiste<br />
Zeit über nicht. Unbekannt blieben<br />
die Titel der Stücke, fremd die Dramaturgen<br />
und Regisseure. Nur einmal<br />
im Jahr – in der Regel im Juli oder im<br />
Görlitz war immer<br />
schon ein Ort für<br />
Weltenstücke – für<br />
große Dramen und<br />
Liebeleien<br />
frühen August – lüftet man in Görlitz<br />
den großen Vorhang. Dann verwandelt<br />
sich die Straße vor den Augen<br />
Tausender Schaulustiger zu einer gewaltigen<br />
Bühne, und die alte Europastadt<br />
an der Grenze zu Polen wird über drei<br />
Tage hinweg zum Austragungsort für<br />
das drittgrößte Straßentheaterfestival<br />
Deutschlands.<br />
Der Name des Festivals ist der alten<br />
Heeres- und Handelsstraße entlehnt:<br />
„Via Thea“. Ein Theaterereignis, das bereits<br />
seit 23 Jahren international einen<br />
Cie du Mirador – ein<br />
Balanceakt zwischen<br />
Poesie, Musik und Spaß<br />
guten Ruf genießt. Straßentheaterfestivals<br />
gibt es in Deutschland eine ganze<br />
Menge, von Berlin über Detmold bis<br />
ins hessische Heppenheim. Kaum<br />
eines aber zieht derart viele Menschen<br />
in seinen Bann wie die „Via Thea“ in<br />
Görlitz. Denn, so meint Klaus Arauner,<br />
der als Generalintendant des Görlitzer<br />
Gerhart-Hauptmann-Theaters Mitveranstalter<br />
des Festivals ist: „An diesem<br />
Wochenende feiert sich die Europastadt<br />
Görlitz immer auch selbst.“<br />
Es feiern sich Fassaden aus Barock,<br />
Renaissance und Gründerzeit; es rühmt<br />
sich das Ornament und das Dekor.<br />
Fast ist es, als fände das einzigartige<br />
Panorama während dieser Tage ganz<br />
Fotos: Nikolai Schmidt/D-foto (S. 34–S. 35), Tom Neumeier, Eventpress Hoensch, Philipp Haufe
Foto: Tom Neumeier<br />
Die „Via Thea“ ist<br />
international. Hopla<br />
Circus etwa ist eine<br />
Gruppe aus Brüssel<br />
zu sich selbst. Görlitz, ein Theatrum<br />
mundi. Hier braucht es keine Requisiten<br />
und Bühnenbilder. Die Stadt<br />
selbst wird sich Kulisse. Und neben<br />
den 23 Profi-Gruppen aus elf Ländern,<br />
die allein bei der letzten Ausgabe der<br />
„Via Thea“ mit dabei waren, wird auch<br />
jeder Passant für einige Momente<br />
Schauspieler und Mit-Akteur.<br />
„Jetzt kommen sie!“, ruft etwa<br />
der rothaarige Kleine und zeigt mit dem<br />
Finger auf weißkostümierte Stelzengänger,<br />
die mit angenähten Vogelflügeln<br />
wie die unheimlichen Fabelwesen<br />
in den Bilderwelten von Hieronymus<br />
Bosch erscheinen. Ein paar Gäste stellen<br />
eilig ihre mitgebrachten Klappstühle<br />
aufs Pflaster, und die große Uhr am<br />
„Dicken Turm“ schlägt mit Inbrunst die<br />
volle Stunde. An diesem Abend, so will<br />
es scheinen, ist sie nicht mehr Zeitansage;<br />
sie ist ein donnernder Theatergong.<br />
Alles hat eben seinen Platz in dieser<br />
geheimnisvollen Choreografie.<br />
Bühne werden – es scheint, als<br />
hätte Görlitz mit dieser großen Aufgabe<br />
seine wahre Bestimmung gefunden.<br />
Wie oft schon haben in der Vergangenheit<br />
namhafte Filmregisseure aus Berlin<br />
oder Hollywood die kleine Stadt in<br />
eine Traumkulisse verwandelt. 2008<br />
etwa drehte Quentin Tarantino auf dem<br />
Bühne werden –<br />
Görlitz scheint mit<br />
dieser Aufgabe seine<br />
wahre Bestimmung<br />
gefunden zu haben<br />
historischen Untermarkt Szenen<br />
zu seinen „Inglourious Basterds“, und<br />
2012 ließ Wes Anderson im leerstehenden<br />
Jugendstil-Warenhaus von Carl<br />
Schmanns sein „Grand Budapest Hotel“<br />
Wirklichkeit werden. Im Vergleich zu<br />
den ganz großen Settings nehmen sich<br />
die provisorischen Bühnen auf der „Via<br />
Thea“ fast fragil und unscheinbar aus.<br />
Manchmal stehen die Besucher vor goldenen<br />
Vorhangstoffen, manchmal auch<br />
nur vor der selbst mitgebrachten Fantasie.<br />
Vieles auf der „Via Thea“ ist vergänglich,<br />
so wie die ungezählten Seifenblasen,<br />
die während der Festivalabende<br />
über die Köpfe der Zuschauer hinweggepustet<br />
werden. Es gibt Theatergruppen,<br />
die ihre Stücke vor teuren Bühnenbauten<br />
inszenieren. Viele andere spielen<br />
„auf Hut“. Es gibt Modern Clowning<br />
oder Antigone in Kurzversion; Installationen,<br />
Walk Acts oder halsbrecherische<br />
Artistik. Unten am Fluss träumt eine<br />
holländische Freilichttruppe vom Sommerglück<br />
im Caravan, während um<br />
dieselbe Zeit oben am Rathausturm ein<br />
Sarg auf Rädern um die Ecke flitzt.<br />
Mit jedem Moment wird es surrealer,<br />
mit jeder Vorstellung ein Stück mehr<br />
fantastisch. Ob dies hier noch das<br />
Leben ist oder nicht längst schon ein<br />
Gesamtkunstwerk? Auf der „Via Thea“<br />
bleibt das über drei Tage und Nächte<br />
hinweg ein gut gehütetes Geheimnis. •<br />
Mehr Infos unter:<br />
www.viathea.de<br />
BÜHNE SACHSEN
PORTRÄT<br />
Tanzender Freigeist:<br />
Heike Hennig zieht<br />
ihre Ideen aus ihrem<br />
direkten Umfeld<br />
Beweglicher<br />
Geist<br />
Bloß keine Grenzen: Heike Hennig<br />
vereint in ihren Stücken Tanz, Sprache,<br />
Musik, Artistik und Humor<br />
TEXT Irene Bazinger<br />
FOTO S Christoph Busse<br />
Es war bei einem Elternabend in<br />
einem Leipziger Gymnasium,<br />
und da hieß es nicht, „Frau Müller<br />
muss weg“ (wie in der Komödie von<br />
Lutz Hübner), sondern „Crystal Meth<br />
muss weg“. Heike Hennig, Tänzerin,<br />
Choreografin, Regisseurin und außerdem<br />
Mutter dreier Söhne, wovon einer<br />
besagte Schule besuchte, notierte sich<br />
den Namen der in der Stadt gerade kursierenden<br />
Modedroge auf einem Notizzettel.<br />
Und dann gleich noch einmal<br />
und noch einmal, weil die anwesenden<br />
Eltern ihre Sorgen fast panisch wiederholten.<br />
Am Ende der Sitzung war das<br />
Blatt voll mit diesem Begriff, und sie<br />
wusste: Darum wird sich mein nächstes<br />
Projekt drehen!<br />
„Ja, die Themen fliegen mir meist<br />
einfach zu“, beschreibt Heike Hennig<br />
ihre Methode, die Welt künstlerisch<br />
auszu loten. Und so kam „Crystal“ als<br />
Sprech- und Tanz-Theaterstück 2014<br />
auf die Bühne des Theaters der Jungen<br />
Welt Leipzig, dessen Programm sich vor<br />
allem an Kinder und Jugendliche richtet.<br />
Als exemplarische Produktion für genreübergreifendes<br />
Theater erhielt es 2015<br />
den mit 80000 Euro dotierten Theaterpreis<br />
des Bundes, ein Jahr später den<br />
Preis des Sächsischen Theatertreffens.<br />
Offen für die Zeit und die Menschen<br />
sowie für Einflüsse jeder Art entwickelt<br />
Heike Hennig ihre Stücke und überlegt<br />
von Fall zu Fall, wie sie diese am besten<br />
umsetzen kann. Grenzüberschreitungen<br />
scheinen ihr im Blut zu liegen, seit<br />
sie mit ihrem damaligen Ehemann 1989<br />
aus der DDR über Ungarn in die Bundesrepublik<br />
flüchtete. Er wollte nicht<br />
zur Armee, und sie wollte „endlich<br />
Pistazien riechen“, denn sie war damals<br />
Stammgast in der Stadtbibliothek und<br />
las, was ihr dort in die Finger geriet. Die<br />
Romane von Gabriel García Márquez<br />
etwa zauberten ihr die Gerüche Südamerikas<br />
in die Nase und ins Gehirn.<br />
Diese Fantasien wollte sie irgendwann<br />
real werden lassen. Also entschloss<br />
sich das junge Paar zu einem neuen<br />
BÜHNE SACHSEN
Leben im Westen. Hennig studierte in<br />
Köln Germanistik, modernen Tanz und<br />
Choreografie, ehe sie nach San Francisco<br />
zog, wo das Fach Performing Arts<br />
folgte. Sie reiste – „endlich!“ – durch die<br />
Welt, arbeitete in Brasilien und Portugal.<br />
Den Kontakt nach Leipzig, wo sie<br />
1966 geboren wurde, ließ sie nie abreißen.<br />
1998 kehrte sie in ihre geliebte<br />
Heimatstadt zurück und gründete<br />
das Forum Zeitgenössischer Tanz und<br />
Musik, in dem sie, zusammen mit<br />
Künstlern aus anderen Bereichen, Bühnenwerke<br />
und interdisziplinäre Kunstprojekte<br />
kreierte, die dann andernorts<br />
aufgeführt wurden. „Tanz allein ist mir<br />
zu wenig“, hatte sie schon früh erkannt,<br />
„ich bin ein Freigeist und brauche viele<br />
verschiedene Anregungen, Impulse und<br />
Ausdrucksmöglichkeiten.“<br />
In ihren Stücken robben die Musiker<br />
schon mal bäuchlings auf die Bühne,<br />
weil es in „Kriech“ (2017) um Krieg<br />
geht – und dem kann sich eben keiner<br />
entziehen. Angeregt durch den Roman<br />
„Der Gott der kleinen Dinge“ von<br />
Arundhati Roy schuf sie 2004 das<br />
„Estha“-Ballett für vier Tänzer, das den<br />
Codes der Macht und der Architektonik<br />
von Hierarchien nachspürte.<br />
Dafür recherchierte sie eine Woche lang<br />
in der Leipziger IBM-Niederlassung<br />
und beobachtete die Arbeiter, wie sie<br />
ihren Büroalltag bewältigten.<br />
In „Zeit – tanzen seit 1927“ konn te<br />
sie 2006 vier zwischen 1927 und 1943<br />
geborene ehemalige Tänzer der Oper<br />
Leipzig aus dem Ruhestand locken und<br />
motivieren, sich trotz Alter und mangelnder<br />
Übung erneut in ihrem Beruf<br />
zu betätigen. Betagte Körper mit eingeschränktem<br />
Aktionsradius sieht man<br />
sonst nicht im Tanztheater, doch<br />
der Mut der Akteure lohnte sich. Das<br />
Publikum war begeistert, und Arte<br />
dreht einen Film über die Aufführung.<br />
Was ist das Wichtigste bei derartigen<br />
Produktionen? „Unbedingt und vor<br />
allem bewegliche Geister“, so Hennig,<br />
und die sucht sie sich überall zusammen,<br />
steckt sie mit ihrer Leidenschaft an. Bei<br />
den Proben wird nicht nur Yoga zum<br />
Aufwärmen gemacht, sondern stets viel<br />
gelacht. Obwohl ihr die Weltlage mitunter<br />
auf die Laune schlägt, will sie sich<br />
nicht unterkriegen lassen: „Wir können<br />
nicht alle trüb werden, gerade jetzt<br />
nicht! Wir müssen aufstehen und etwas<br />
tun!“ Dabei schlägt sie auf den Tisch<br />
und hat schon wieder dieses Funkeln<br />
in den Augen, das sie begleitet, wenn<br />
sie von ihrer Arbeit spricht – dem kommenden<br />
Stück „Angela, Ursula, Monika“<br />
zum Beispiel, in dem sie drei Politikerinnen<br />
in den Mittelpunkt rücken wird.<br />
Was soll’s denn werden, ein Dokudrama,<br />
eine Staatsanalyse, eine Frauenlegende?<br />
„Eine Mischung aus all dem<br />
wahrscheinlich“, das kann sie bereits<br />
verraten, obgleich das Konzept noch<br />
nicht fertig ist. Wie bezeichnet sie selbst<br />
eigentlich das, was sie veranstaltet?<br />
Da rutscht die Sächsin sprachlich kokett<br />
ein bisschen ins Sächsische hinüber,<br />
das auch der Leipziger Richard Wagner<br />
nie ganz abgelegt haben soll, und<br />
sagt unbescheiden humorvoll: „Gesamtkunstwerke,<br />
was sonst.“ •<br />
BÜHNE SACHSEN
40 DORFMUSIK<br />
Eine Scheune für<br />
Schostakowitsch<br />
In der Gemeinde Gohrisch schuf der<br />
russische Komponist sein 8. Streichquartett.<br />
Heute erinnert ein Festival an den Geniestreich<br />
TEXT Michael Stallknecht<br />
Nierenförmig ist der kleine Teich,<br />
von Steinen eingefasst, eine<br />
große Buche lässt tief ihre Äste<br />
darüber hängen – ein tristes, ängstlich<br />
umrandetes Stückchen Natur vor einem<br />
deutlich renovierungsbedürftigen Gebäudekomplex<br />
im sächsischen Gohrisch.<br />
Hier soll laut Augenzeugenberichten<br />
zwischen dem 12. und dem 14. Juli<br />
1960 der Komponist Dmitri Schostakowitsch<br />
gesessen und sein 8. Streichquartett<br />
komponiert haben, ein ziemlich<br />
verzweifeltes Stück Musik. Es ist sein<br />
heute wahrscheinlich meistgespieltes<br />
Streichquartett – und das einzige, das<br />
außerhalb der Sowjetunion entstand.<br />
Zur Erinnerung daran finden seit<br />
2010 in Gohrisch die Internationalen<br />
Schostakowitsch-Tage statt. Für drei<br />
Tage im Jahr beherbergt der 800-Seelen-<br />
Ort unmittelbar an der tschechischen<br />
Grenze das weltweit einzige regelmäßige<br />
Festival für den 1975 gestorbenen russischen<br />
Komponisten. Enger Kooperationspartner<br />
ist die Sächsische Staatskapelle<br />
Dresden, deren Konzertdramaturg<br />
Tobias Niederschlag die Schostakowitsch-Tage<br />
als Intendant leitet. Das<br />
Eröffnungskonzert mit der Staatskapelle<br />
findet in der Semperoper statt. Danach<br />
geht es 40 Kilometer die Elbe hinauf<br />
aufs Land, in die auf einer malerischen<br />
Statt eines imposanten<br />
Konzerthauses empfängt<br />
hier eine Scheune die<br />
Besucher<br />
Anhöhe gelegene Gohrischer Konzertscheune.<br />
Über das Jahr dient das Gebäude<br />
bis heute als Scheune. Ein Foto<br />
von den ersten Schostakowitsch-Tagen<br />
vor acht Jahren zeigt Isang Enders, den<br />
damaligen Solocellisten der Staatskapelle,<br />
bei der Akustikprobe zwischen<br />
mannshohen Strohballen. Es hängt in<br />
der zentralen Bushaltestelle des Ortes,<br />
daneben hat man eine Büste Schostakowitschs<br />
aufgestellt und einen Brief<br />
aufgehängt, in dem er dem Freund<br />
Isaak Glikman die Komposition des<br />
8. Streichquartetts meldet. „Unerhört<br />
schön“ nennt Schostakowitsch die<br />
Gegend in dem Brief und fügt in dem<br />
für ihn charakteristischen ironischen,<br />
von einer tiefen Skepsis gegenüber<br />
dem Leben unterfütterten Ton hinzu:<br />
„Übrigens gehört sich das für sie auch<br />
so: Die Gegend nennt sich ‚Sächsische<br />
Schweiz‘.“<br />
Unerhört schön ist das Elbtal<br />
mit seinen charakteristisch bewaldeten<br />
Tafelbergen bis heute. Die Schostakowitsch-Tage<br />
verfügen frei Haus über<br />
die Mischung, von der nicht wenige erfolgreiche<br />
sommerliche Klassikfestivals<br />
leben: Der Rückzug in die reizvolle<br />
Natur ermöglicht eine Konzentration<br />
auf die Musik, wie sie im hektischen<br />
Fotos: Oliver Killig<br />
BÜHNE SACHSEN
In der Scheune:<br />
musizieren, wo sonst<br />
Stroh gelagert wird<br />
In einem Brief hat<br />
Schostakowitsch<br />
die Gegend einst<br />
als „unerhört schön“<br />
bezeichnet<br />
Großstadtbetrieb kaum möglich ist.<br />
Hinzu kommt dann oft der Charme<br />
des Improvisierten, sogar in Bayreuth<br />
wird das Festspielhaus, das Richard<br />
Wagner als Provisorium in die Provinz<br />
stellte, bis heute gern liebevoll die<br />
„Scheune“ genannt.<br />
Bereits im 19. Jahrhundert hatte<br />
ein Musiker der Sächsischen Staatskapelle<br />
Gohrisch als, wie man damals<br />
sagte, Sommerfrische für sich und<br />
seine Familie entdeckt, andere Künstler<br />
folgten. Die junge DDR schätzte den<br />
Charme der ländlichen Idylle ebenfalls<br />
und erbaute dort ein sogenanntes Intelligenzheim<br />
für ihre politisch konformen<br />
Intellektuellen. Weil die Parteioberen<br />
bald neidisch wurden, kaperte der Ministerrat<br />
der DDR den Gebäudekomplex<br />
als Gästehaus für sich und seine<br />
Staatsgäste. Nach der Wende wurde das<br />
Ensemble von der Treuhand verkauft,<br />
im besterhaltenen Teil versucht derzeit<br />
eine Berliner Hotelkette ihr Glück. Vor<br />
der Wende hatte das Gästehaus vielen<br />
Gohrischern ihr Auskommen gesichert,<br />
die Führungen für die Konzertbesucher<br />
der Schostakowitsch-Tage übernimmt<br />
bis heute ein ehemals für die DDR-<br />
Gästehäuser zuständiger Regierungsmitarbeiter.<br />
Er zeigt auch den damals sicher<br />
sehr modischen Tanzpavillon mit eingebauter<br />
Fußbodenbeleuchtung, auf<br />
dessen Empore Schostakowitsch jeden<br />
Morgen den Konzertflügel traktiert<br />
haben soll.<br />
Der Komponist wohnte hier im Jahr<br />
1960, als er die Musik für den Film<br />
„Fünf Tage – fünf Nächte“ schrieb. Die<br />
erste filmische Koproduktion zwischen<br />
der DDR und der Sowjetunion erzählt<br />
in idealisierender Verklärung, wie die<br />
Rote Armee nach dem Ende des Zweiten<br />
Weltkriegs die ausgelagerten Kunstschätze<br />
der Dresdner Gemäldegalerie<br />
Alte Meister aufspürt. Zur Inspiration<br />
für seine Filmmusik wollte sich Schostakowitsch<br />
vor Ort ein Bild von dem<br />
noch immer völlig zerstörten Dresden<br />
machen und wurde dafür von der DDR<br />
im Gohrischer Gästehaus beherbergt.<br />
Doch auch in der unerhört schönen<br />
Gegend vergaß Schostakowitsch die<br />
Zerstörungen nicht, die der real existierende<br />
Kommunismus in seiner Seele<br />
BÜHNE SACHSEN
hinterlassen hatte. In seinem 8. Streichquartett<br />
zitiert er all die Werke, die<br />
unter Stalin verboten worden waren<br />
und ihn an den Rand des Arbeitslagers<br />
oder der heimlichen Exekution gebracht<br />
hatten. Die panische Nervosität und<br />
die bodenlose Trauer der Musik geben<br />
einen erschütternden Eindruck davon,<br />
wie es in einem aussieht, der einen ständigen<br />
Spagat hinlegte zwischen dem<br />
eigenen Gewissen und seiner offiziellen<br />
Stellung als führender Komponist der<br />
Sowjetunion.<br />
In seinem Roman „Der Lärm der<br />
Zeit“ hat der britische Schriftsteller<br />
Julian Barnes jüngst noch einmal beeindruckend<br />
das Porträt eines Komponisten<br />
gezeichnet, der sich auch unter<br />
der milderen Repression von Stalins<br />
Nachfolger Nikita Chruschtschow nie<br />
sicher fühlen konnte. Von Haus aus<br />
ein eher ängstlicher Charakter, verflucht<br />
sich Schostakowitsch darin für die vollzogenen<br />
Anpassungen an das System,<br />
handelt aber im Einzelfall immer wieder<br />
mutig und unterläuft in seiner Musik<br />
häufig die verordnete Ästhetik des Sozialistischen<br />
Realismus. Auch sein<br />
8. Streichquartett widmete er offiziell<br />
mit staatstragender Systemkonformität<br />
„den Opfern von Krieg und Faschismus“.<br />
Im Brief an Glikman aus Gohrisch<br />
Die Konzertbesucher<br />
kommen zum Teil aus<br />
der ganzen Welt nach<br />
Gohrisch<br />
nennt er es dagegen sarkastisch ein „niemandem<br />
nützendes und ideologisch<br />
verwerfliches Quartett“. Er habe es zum<br />
Gedenken an sich selbst komponiert,<br />
während er beim Komponieren so viele<br />
Tränen vergossen habe „wie Urin nach<br />
einem halb Dutzend Biere“, da nach<br />
seinem Tod seiner ja doch niemand gedenken<br />
werde.<br />
Damit hat er nicht recht behalten,<br />
wie gerade die letzten Jahre gezeigt<br />
haben. Die Kompositionen Schostakowitschs<br />
erfreuen sich inzwischen auch<br />
in westlichen Konzertsälen einer<br />
Mitten in Natur und<br />
ländlicher Stille kann<br />
man avantgardistische<br />
Klänge hören<br />
Beliebtheit, die nicht vielen Komponisten<br />
des 20. Jahrhunderts zuteil geworden<br />
ist. Doch in Gohrisch ist man<br />
näher dran an den politischen Hintergründen<br />
ihrer Entstehung, weshalb<br />
Intendant Tobias Niederschlag in einem<br />
Festival an diesem Ort auch „eine<br />
Relevanz in der Aufarbeitung der eigenen<br />
Geschichte der letzten 50 Jahre“<br />
sieht. In den Programmen kombiniert<br />
er das Werk Schostakowitschs häufig<br />
mit dem von Zeitgenossen, „die auch<br />
ähnliche Schicksale haben“ und bei<br />
denen die „Entwicklungslinien aus dem<br />
Fotos: Oliver Killig<br />
BÜHNE SACHSEN
DORFMUSIK<br />
43<br />
Kalten Krieg noch spürbar sind“, wie er<br />
im Gespräch sagt.<br />
Es sind Komponisten wie Sofia<br />
Gubaidulina oder Mieczysław Weinberg,<br />
deren Kompositionen beim Festival<br />
im vergangenen Juni neben denen<br />
Schostakowitschs zu hören waren. Der<br />
1996 verstorbene Weinberg war ein<br />
enger Freund Schostakowitschs, den<br />
dieser noch unter Stalin einmal mit<br />
einem ziemlich mutigen Brief aus dem<br />
Gefängnis zu holen versuchte. Von den<br />
ständigen Repressionen eingeschränkt,<br />
komponierte Weinberg vieles für die<br />
Schublade, was erst in den vergangenen<br />
Jahren im Rahmen einer regelrechten<br />
Weinberg-Renaissance auf westlichen<br />
Spielplänen aufgetaucht ist. Die Komponistin<br />
Sofia Gubaidulina hatte<br />
Schostakowitsch dagegen noch als junge<br />
Studentin ermutigt, „ganz sie selbst<br />
Gohrischer<br />
Bürger servieren<br />
ehrenamtlich<br />
Würstchen und<br />
Kartoffelsalat<br />
zu sein“, wie die heute 85-Jährige beim<br />
Publikumsgespräch erzählte. Leicht<br />
war das auch für die gläubige Christin,<br />
die in ihren Werken bis heute häufig<br />
religiöse Sujets wählt, in der Sowjetunion<br />
nicht.<br />
Die Mittel für die Präsentation ihrer<br />
Werke sind dabei bislang alles andere als<br />
üppig in Gohrisch. Eine Gage bekommen<br />
die Musiker nicht, größere Kammermusikwerke<br />
und kleinere Orchesterwerke<br />
sind überhaupt nur durch das<br />
Engagement der Sächsischen Staatskapelle<br />
möglich. Auch viele Gohrischer<br />
arbeiten unentgeltlich mit, servieren im<br />
Festivalzelt Würstchen und Kartoffel-<br />
Die Schostakowitsch-Tage<br />
stehen urbanen Musikfestivals<br />
in nichts nach<br />
salat. Bei der Agrargenossenschaft muss<br />
Tobias Niederschlag jährlich um die<br />
Scheune kämpfen, weshalb man sich<br />
auf Dauer auch einen beständigeren<br />
Ort wünschen würde. Doch die Akustik<br />
ist erstaunlich brillant, binnen Sekunden<br />
stellt sie die volle Konzentration auf<br />
die Musik her.<br />
In der intimen Atmosphäre mit<br />
ihrem engen Beieinander von Publikum<br />
und Künstlern trifft man bis heute auf<br />
Weggefährten Schostakowitschs wie den<br />
russischen Dirigenten Gennadi Roschdestwenski,<br />
den polnischen Komponisten<br />
Krzysztof Meyer, der eine überaus<br />
lesenswerte Biografie über Schostakowitsch<br />
geschrieben hat, oder den Dirigenten<br />
Thomas Sanderling. Sein Vater<br />
Kurt Sanderling, ebenfalls ein bekannter<br />
Dirigent, hatte Schostakowitsch bei<br />
seinem zweiten Aufenthalt in Gohrisch<br />
besucht, als der 1972 noch einmal für<br />
einen Urlaub in die „unerhört schöne“<br />
Gegend zurückkehrte. Seinem Sohn<br />
Thomas hatte Schostakowitsch noch als<br />
sehr jungem Dirigenten die deutsche<br />
Erstaufführung seiner 13. und 14. Symphonie<br />
anvertraut. Bei den Schostakowitsch-Tagen<br />
in diesem Jahr fiel ihm die<br />
Ehre zu, eine veritable Uraufführung<br />
aus dem eigentlich gut aufgearbeiteten<br />
BÜHNE SACHSEN
44 DORFMUSIK<br />
Werkbestand Schostakowitschs zu präsentieren.<br />
Die drei Stücke aus der Oper<br />
„Die Nase“ sind erst vor Kurzem im<br />
Nachlass des Komponisten entdeckt<br />
worden. Für die Schostakowitsch-Tage<br />
bedeutete ihre Uraufführung einen<br />
Durchbruch auch in der überregionalen<br />
Aufmerksamkeit.<br />
Bei allem Gedenken an den Namensgeber<br />
ist das Festival denn auch nicht<br />
nur auf Rückschau ausgelegt. „An dem<br />
Ort, wo etwas Neues entstanden ist,<br />
muss auch Neues präsentiert werden“,<br />
lautet die Überzeugung des Intendanten<br />
Tobias Niederschlag. Auf dem Programm<br />
steht hier fast ausschließlich<br />
Musik des 20. und 21. Jahrhunderts.<br />
Andere Festivals mit diesem klaren<br />
Schwerpunkt werden oft nur von einem<br />
Spezialpublikum besucht, in Gohrisch<br />
sieht das anders aus. Die Auslastung<br />
liegt bei 90 Prozent, aus dem nahen<br />
Dresden kommen viele Konzertbesucher<br />
für das verlängerte Wochenende<br />
nach Gohrisch.<br />
Funktionieren dürfte das auch deshalb,<br />
weil die in Gohrisch stark vertretenen<br />
Komponisten aus dem ehemaligen<br />
Ostblock nie einem derart hermetischen<br />
Avantgardebegriff gefolgt sind wie manche<br />
ihrer Kollegen im Westen. Ihre<br />
An einem Ort,<br />
wo etwas Neues<br />
entstanden ist,<br />
muss auch Neues<br />
präsentiert werden<br />
Kompositionen streben bei aller künstlerischen<br />
Eigenständigkeit häufig nach<br />
unmittelbarer Verständlichkeit, auch<br />
nach einem intensiven Ausdruck von<br />
Emotionen. Nicht nur Schostakowitschs<br />
Musik ist deshalb im Westen<br />
mittlerweile Teil des Kanons geworden,<br />
Wenn das Orchester<br />
schweigt, kann<br />
man sich der<br />
Sommerfrische<br />
hingeben<br />
Tobias Niederschlag, Intendant des<br />
Festivals, Dirigent und Schostakowitsch-<br />
Weggefährte Gennadi Roschdestwenski<br />
und die Pianistin Viktoria Postnikova<br />
auch andere Komponisten aus der ehemaligen<br />
Sowjetunion werden seit dem<br />
Fall des Eisernen Vorhangs mit wachsender<br />
Aufmerksamkeit rezipiert. Nicht<br />
zufällig wohl ist das Interesse an ihrer<br />
Musik in dem Maß gestiegen, in dem<br />
man im Westen der eigenen, einst ziemlich<br />
strengen Avantgarde etwas müde<br />
geworden ist. Gohrisch kann sich so<br />
nicht nur als Reflex der sozialistischen<br />
Vergangenheit begreifen, sondern auch<br />
als Schnittstelle zwischen West und<br />
Ost in der Gegenwart. Groß reden<br />
muss man über die darin liegenden<br />
politischen und ästhetischen Implikationen<br />
nicht. Man lässt die Musik für<br />
sich sprechen, die schließlich nicht nur<br />
bei einem Komponisten wie Schostakowitsch<br />
oft mehr und Komplexeres<br />
ausspricht, als Worte erklären könnten.<br />
Der kleine Teich, an dem einst ein<br />
ziemlich verzweifeltes Streichquartett<br />
entstand, schlägt seine Wellen. •<br />
Mehr Infos unter:<br />
www.schostakowitsch-tage.de<br />
Fotos: Harald Schluttig, Oliver Killig (2)<br />
BÜHNE SACHSEN
VORSPRECHEN<br />
45<br />
Foto: Miroslaw Nowotny<br />
SORBISCH<br />
FÜR<br />
ANFÄNGER<br />
Zehn Vokabeln,<br />
mit denen man das<br />
Deutsch-Sorbische<br />
Volkstheater in Bautzen<br />
besser verstehen lernt<br />
Gut 20000 Menschen zwischen<br />
der Märkischen Heide in Brandenburg<br />
und dem sächsischen<br />
Städtchen Bautzen sprechen heute aktiv<br />
die sorbische Sprache – davon sind geschätzt<br />
13000 im obersorbischen und<br />
7000 in dem akut vom Aussterben bedrohten<br />
niedersorbischen Dialekt zu<br />
Hause. Neben den Schulen und Kindergärten<br />
in der Region sind es vor allem<br />
die Schauspieler des Deutsch-Sorbischen<br />
Volkstheaters, die sich um die<br />
Bewahrung dieser einzigartigen westslawischen<br />
Sprache bemühen. Denn das<br />
1948 gegründete Bautzener Theater ist<br />
das einzige Schauspielhaus in Deutschland,<br />
in dem drei Sprachen gesprochen<br />
werden. Damit das auch funktioniert,<br />
braucht es neben guter Schauspieler vor<br />
allem erstklassige Übersetzer. Torsten<br />
Schlosser ist einer davon. Als Schauspieler<br />
und Simultanübersetzer arbeitet er<br />
seit der Spielzeit 1994/95 in Bautzen.<br />
Er weiß genau, was es mit all den Buchstaben,<br />
Strichen und Häkchen auf sich<br />
hat, die für Nicht-Sorben zuweilen einfach<br />
nur kurios erscheinen. Im Folgenden<br />
erklärt Schlosser, welche Vokabeln<br />
Sie unbedingt lernen sollten, um bei<br />
der nächsten Premierenfeier in Bautzen<br />
auch mitreden zu können.<br />
AKTIENGESELLSCHAFT, DIE: akcijowa<br />
towaršnosć ~e, Femininum 1796<br />
wurde das Bautzener Stadttheater,<br />
ein Vorgängertheater des heutigen<br />
Deutsch-Sorbischen Volkstheaters,<br />
als Aktiengesellschaft in einer Bastion<br />
der inneren Stadtmauer gegründet.<br />
FIGURENGIEBEL, DER: rietschelowe swisl|e<br />
~ow, Neutrum Im Jahr 1905 bekommt<br />
das Bautzener Stadt theater von der<br />
Stadt Dresden einen von Ernst Rietschel<br />
geschaffenen Figurengiebel<br />
geschenkt. 2003 werden die Figuren in<br />
den Neubau des Theaters integriert.<br />
GASTHOF, DER: hosćenc ~a, Maskulinum<br />
[s. auch Dorfsaal, der: wjesna žurl|a ~e,<br />
Femininum] Als im Jahr 1948 das<br />
erste Sorbische Volkstheater gegründet<br />
wurde, verfügte das Ensemble über<br />
kein eigenes Haus. Gespielt wurde in<br />
Gasthöfen – eine Tradition, die noch<br />
heute mit den sogenannten Frühjahrsund<br />
Herbst abstechern weiterlebt.<br />
KINDERGARTEN, DER: pěstowarnj|a ~e,<br />
Femininum Das Deutsch-Sorbische<br />
Volkstheater ist ein Ort der sprachlichen<br />
Früherziehung. Jährlich spielt<br />
das Puppentheater und das Schauspiel<br />
vor sorbischen oder Sorbisch<br />
lernenden Kindern und prägt somit<br />
Fantasie und Sprachgefühl.<br />
KOPFHÖRER, DER: słuchatk|o ~a, Neutrum<br />
Das Deutsch-Sorbische Volkstheater<br />
ist das einzige Theater in Deutschland,<br />
in dem drei Sprachen auf einer Bühne<br />
gesprochen werden – deutsch,<br />
nieder- und obersorbisch. Die drei<br />
sorbischen Inszenierungen pro<br />
Spielzeit werden per Kopfhörer ins<br />
Deutsche übersetzt.<br />
NEUE BURG, DIE: Dźiwadło na hród<br />
hroda || hrodu, Maskulinum Im<br />
Jahr 2003 eröffnete das Sorbische<br />
Volkstheater mit der Neuen<br />
Burg eine zweite Spielstätte. Im<br />
neuen Haus im Innenhof der Ortenburg<br />
finden seither vor allem das Puppentheater<br />
sowie das Kinder- und Jugendtheater<br />
Platz.<br />
PREMIERE, DIE: premjer|a ~y, Femininum<br />
Das Theater in Bautzen feiert in jeder<br />
Spielzeit 25 Premieren im Schauspielund<br />
im Puppentheaterrepertoire.<br />
ROLLE, DIE: ról|a ~e, Femininum [s. auch:<br />
„Wir treten aus unseren Rollen<br />
heraus“: wustupimy z našich rólow]<br />
Im Wendejahr 1989/90 wurde das<br />
Deutsch-Sorbische Volkstheater zum<br />
Ort der friedlichen Revolution. Am<br />
8. Oktober 1989 traten die Schauspieler<br />
geschlossen auf die Bühne und<br />
verlasen unter der Überschrift „Wir<br />
treten aus unseren Rollen heraus“ ihre<br />
politischen Forderungen.<br />
SCHULE, DIE: šul|a ~e, Femininum 2004<br />
entstand am Deutsch-Sorbischen<br />
Volkstheater der Wunsch, aktiv gegen<br />
Rechtsextremismus vorzugehen. In<br />
den Schulen der Region inszenierte<br />
man eine Bühnenversion von Morton<br />
Rhues Jugendbuchklassiker „Die Welle“<br />
und feierte damit große Erfolge.<br />
VOLKSTHEATER, DAS: ludowe dźiwadł|o ~a,<br />
Neutrum Das Sorbische Volkstheater<br />
ist das einzige bilinguale Theater<br />
in Deutschland. Jährlich zieht es mit<br />
seinen über 1000 Veranstaltungen<br />
mehr als 140 000 Besucher an.<br />
Torsten Schlosser wurde<br />
1966 in Bautzen geboren.<br />
Nach einem Schauspielstudium<br />
in Berlin leitete<br />
er lange Jahre das<br />
Sorbische Jugendtheater<br />
und das Sorbische<br />
Schauspielstudio. Als<br />
Simultanübersetzer<br />
übersetzt er Vorstellungen<br />
aus dem Oberund<br />
Niedersorbischen<br />
BÜHNE SACHSEN
46<br />
TANZEINLAGE<br />
Hellerauer<br />
Hüftgeschüttel<br />
Breakdance trifft Ballett: Das Format<br />
„Floor on Fire“ beschert der Dresdner<br />
Tanzszene energiegeladene Abende<br />
TEXT Rafael Barth<br />
FOTOS Stephan Floss<br />
Es ist ein Feuerwerk. Man weiß<br />
nicht, wo man zuerst hinschauen<br />
soll. So schnell, so viel saust<br />
an diesem Abend über die Bühne, hier<br />
kommt zusammen, was sonst nicht<br />
zusammengehört. Ein Tänzer dreht<br />
sich springend auf einem Bein, legt<br />
die Arme auf den Rücken und flattert<br />
mit den Händen. Ein Viererteam<br />
hebt einen Solisten in die Höhe, der<br />
von oben Küsse in die Luft pustet.<br />
Ein Breakdancer hüpft auf einer<br />
Hand. Überall Moves, Bewegung, wie<br />
ein einziger Rausch. Aus den Boxen<br />
erklingt eine Mischung von Hip-Hop<br />
bis Barock. Das Publikum klatscht<br />
rhythmisch mit.<br />
Das ist sie also, „the real total craziness“,<br />
die sich der Moderator zum<br />
Finale gewünscht hat. Da wirkt es für<br />
einen Moment wie ein Programmfehler,<br />
dass die Show nun vorbei sein soll.<br />
Mehr als zwei Stunden haben 500 Leute<br />
mitgefiebert, mitgejubelt, mitgeklatscht.<br />
Jetzt applaudieren sie ein letztes Mal<br />
für jene Tänzer, die auf dem Siegerpodest<br />
zum Posen antreten. Glitzerschnipsel<br />
flittern hinunter, während der DJ<br />
schnell in den Partymodus überblendet:<br />
„Let’s Twist Again“. Männer, Frauen,<br />
Kinder: Die Tanzfläche gehört euch!<br />
Tanz gibt es das ganze Jahr über im<br />
Festspielhaus Hellerau, dem europäischen<br />
Zentrum der Künste. Aber kein<br />
anderes Format euphorisiert die Zuschauer<br />
dermaßen wie „Floor on Fire“<br />
seit 2015. Bei kaum einem anderen<br />
Programm sieht das Publikum eine derartige<br />
Bandbreite an professionellem<br />
Tanz. An drei, vier Abenden in der Saison<br />
begegnen sich Breakdancer und<br />
Ballerinas im Wettbewerb, messen sich<br />
Hip-Hopper mit zeitgenössischen<br />
Tänzern. Vor allem für letztere kennt<br />
man das Festspielhaus auch jenseits<br />
der Stadtgrenzen.<br />
Bei „Floor on Fire“ sind die Karten<br />
jedes Mal binnen Stunden weg. „Es<br />
ist die einzige Veranstaltung, für die<br />
wir keine Werbung machen müssen“,<br />
sagt Anna Bründl, künstlerische Mitarbeiterin<br />
der Intendanz. Sie hat das<br />
Format zusammen mit Breakern von<br />
„The Saxonz“ mitentwickelt, mit dem<br />
das Festspielhaus schon in Prag und<br />
Paris gastierte. Der Ursprung liegt im<br />
Breakdance, den Battles der B-Boys,<br />
die sich gegenseitig beweisen, wer am<br />
meisten draufhat. „Floor on Fire“ belässt<br />
es nicht dabei. „Es geht darum,“<br />
sagt Bründl, „sich selbst, sein Ego<br />
und seinen Stil zurückzunehmen. Im<br />
Idealfall vergessen die Leute ihren<br />
eigenen Background, wachsen über<br />
ihre Grenzen hinaus und im Team<br />
kann etwas ganz Neues entstehen.“<br />
16 Tänzer und Tänzerinnen sind an<br />
diesem Abend am Start. Drei Stunden<br />
vor dem Start trudeln sie im Nebenraum<br />
der Bühne ein. Manche begegnen<br />
sich dort zum ersten Mal. Sie kommen<br />
vom Ballett der Dresdner Semperoper,<br />
ein Teil tanzt zeitgenössisch in der freien<br />
Szene, andere gehören zu „The Saxonz“,<br />
jener Breakdance-Company aus <strong>Sachsen</strong>,<br />
die zweimal deutscher Meister war.<br />
Dehnen, springen, Übungen mit Partnern,<br />
erster Schweiß läuft über Rücken<br />
und Stirn. Vom Organisationsteam<br />
kommt jemand mit einem Basecap, in<br />
dem 16 Zettel liegen.<br />
BÜHNE SACHSEN
Schongang geht<br />
anders: Dalier<br />
Burchanow tanzt<br />
in Hellerau<br />
Bei keinem anderen<br />
Programm sieht<br />
das Publikum eine<br />
solche Bandbreite an<br />
professionellem Tanz<br />
Für die erste Runde werden Paare<br />
ausgelost. Die Vorgabe lautet, dass sich<br />
die Tanzstile mischen müssen. Im Laufe<br />
des Abends siebt eine Jury immer weiter<br />
aus, wobei klar ist, dass witzige Schnuten<br />
und sexy Hüftschüttelei mehr punkten<br />
als Innerlichkeit. Gewinner einer<br />
Runde dürfen sich einzelne Tänzer aus<br />
dem Verliererteam in die eigene Gruppe<br />
holen. Durch das ausgeklügelte System<br />
wachsen die Teams und kriegen ständig<br />
neues Blut. „Es ist wie Lotterie“, sagt<br />
Dalier Burchanow, der mit drei Kollegen<br />
vom Ballett des Theaters Halle für<br />
diesen Abend nach Dresden gekommen<br />
ist. „Man kann sich nicht vorbereiten.“<br />
Dieser Umstand macht es besonders<br />
Balletttänzern wie ihm schwer. Tag für<br />
Tag führen sie aus, was ein Choreograf<br />
sehen will, heute müssen sie improvisieren.<br />
Erschwerend kommt hinzu,<br />
dass der DJ wie immer bei „Floor on<br />
Fire“ einen unvorhersehbaren Stilmix<br />
auflegt, Salsa, Pop, Dance, Klassik –<br />
alles ist dabei. Da ist es umso bemerkenswerter,<br />
was Dalier, 28, schwarzes<br />
Haar, schwarze Jogginghose und rot<br />
gemustertes Laufshirt, mit seinem<br />
Körper anstellt. Überschläge mit einer<br />
Hand zu „Forever Young“, Drehungen<br />
mit wechselndem Sprungbein zu<br />
einem Rocksong der Red Hot Chili<br />
Peppers. Schongang geht anders.<br />
Alexander Kelox Miller von den<br />
„Saxonz“, bei „Floor on Fire“ von Anfang<br />
an dabei, beschreibt es so: „Man<br />
kann sich nicht vorbereiten, du weißt<br />
nicht, was passiert. Du springst über<br />
deinen eigenen Schatten und dann<br />
kannst du einfach nur du selbst sein.“<br />
Daliers Team hat sich inzwischen zu<br />
wenig aufeinander eingestellt, die Gegner<br />
waren einfach besser. Scheinwerfer<br />
strahlen auf die fünf Jurymitglieder, die<br />
mit ausgestreckten Armen abstimmen.<br />
Die Sieger entscheiden sich, die beiden<br />
Mittänzer von Dalier bei sich aufzunehmen.<br />
In diesem Moment könnte die<br />
Nebelschwade über der Bühne eine<br />
Zorneswolke sein. Das Publikum, verteilt<br />
auf zwei gegenüberliegenden Tribünen,<br />
schreit, buht, klatscht, klatscht<br />
weiter, als ließe sich so die Entscheidung<br />
noch einmal rückgängig machen. Vergebens.<br />
Dalier fällt im Halbfinale raus.<br />
Abgekämpft wird er sich nach der Show<br />
unter die Zuschauermenge mischen.<br />
Eine Frau, die seine Mutter sein könnte,<br />
wird ihm anerkennend auf die Brust<br />
klopfen und sagen, dass er, Dalier, für<br />
sie der eigentliche Gewinner des<br />
Abends ist. •<br />
Mehr Infos unter:<br />
www.hellerau.org<br />
BÜHNE SACHSEN
48 LOGBUCH<br />
Spielplan<br />
<strong>Sachsen</strong><br />
Premieren, Festivals und Uraufführungen:<br />
Höhepunkte aus der aktuellen<br />
Theatersaison 2017/18<br />
STADTTHEATER FREIBERG<br />
Premiere<br />
„Reinecke Fuchs“<br />
Nach dem Versepos von<br />
Johann Wolfgang von Goethe<br />
16. Dezember 2017, 19.30 Uhr<br />
EDUARD-VON-WINTERSTEIN-THEATER<br />
ANNABERG-BUCHHOLZ<br />
Premiere<br />
„Gräfin Mariza“<br />
Operette in drei Akten<br />
von Julius Brammer und<br />
Alfred Grünwald<br />
29. Oktober 2017, 19 Uhr<br />
STAATSSCHAUSPIEL DRESDEN<br />
Festival<br />
Fast Forward<br />
Europäisches Festival für Junge Regie<br />
Kuratiert von Barbara Engelhardt<br />
2.–5. November 2017<br />
SCHAUSPIEL LEIPZIG<br />
Uraufführung<br />
„Mein Hohlraum“<br />
Auftragswerk des Schauspiels Leipzig<br />
von Sascha Hargesheimer<br />
25. November 2017, 20 Uhr<br />
OPER LEIPZIG<br />
Premiere<br />
„Rusalka“<br />
Lyrisches Märchen in drei Akten<br />
von Antonin Dvořák<br />
Text: Jaroslav Kvapil<br />
3. Dezember 2017, 18 Uhr<br />
Oper Leipzig<br />
SEMPEROPER DRESDEN<br />
„Der Ring des Nibelungen“<br />
„Das Rheingold“<br />
Premiere<br />
Oper von Richard Wagner<br />
Dirigent: Christian Thielemann<br />
13. Januar 2018, 18 Uhr<br />
DIE THEATER CHEMNITZ<br />
Premiere<br />
„Der dressierte Mann“<br />
Komödie von John von Düffel<br />
nach Ester Vilar<br />
27. Januar 2018, 19.30 Uhr<br />
Schauspielhaus Chemnitz<br />
Semperoper Dresden<br />
Fotos: XXXXXX XXXXX<br />
BÜHNE SACHSEN
LOGBUCH<br />
49<br />
THEATER DER JUNGEN WELT LEIPZIG<br />
Uraufführung<br />
„Dolores (Schmerz)“<br />
Ein Borderline-Tanzprojekt von<br />
Hong Nguyen Thai<br />
12. April 2018, 19.30 Uhr<br />
GEWINNSPIEL<br />
Preisfrage: In welchem Jahr<br />
wurde auf der Felsenbühne<br />
Rathen erstmals ein Romanstoff<br />
von Karl May inszeniert?<br />
Fotos: Kirsten Nijhof, Klaus Gigga, Dieter Wuschanski, Oliver Killig, Jens Gerber. (Architekt: Eberhard Göschel, © VG Bild-Kunst, Bonn 2017)<br />
tjg Dresden im Kraftwerk Mitte<br />
BURGTHEATER BAUTZEN<br />
Uraufführung<br />
„Die Wahrheit über<br />
die Farm der Tiere“<br />
Nach Motiven aus dem Roman<br />
„Die Farm der Tiere“ von George Orwell<br />
Puppentheater für Jugendliche und<br />
Erwachsene<br />
16. Februar 2018, 19.30 Uhr<br />
GEWANDHAUS LEIPZIG<br />
Festwochen zur Amtseinführung<br />
von Andris Nelsons<br />
Werke von Steffen Schleiermacher,<br />
Alban Berg, Felix Mendelssohn<br />
Bartholdy<br />
Dirigent: Andris Nelsons<br />
22. Februar 2018, 20 Uhr<br />
LANDESBÜHNEN SACHSEN RADEBEUL<br />
Premiere<br />
„Ein Sommernachtstraum“<br />
Komödie von William Shakespeare<br />
Empfohlen für junges Publikum<br />
10. März 2018, 19 Uhr<br />
THEATER ZWICKAU, MALSAAL<br />
Premiere<br />
„Die Räuber“<br />
Schauspiel von Friedrich Schiller<br />
23. März 2018, 19.30 Uhr<br />
THEATER JUNGE GENERATION<br />
DRESDEN<br />
Premiere<br />
„Einige fühlen den Regen,<br />
andere werden nass“<br />
Jugendtheater von Johannes Deimling<br />
13. April 2018, 19.30 Uhr<br />
GERHART-HAUPTMANN-THEATER ZITTAU<br />
Premiere<br />
„House at the Crossroads“<br />
Trinationales Projekt<br />
des Theaterjugendclubs<br />
23. Mai 2018, 19.30 Uhr<br />
Gewandhaus Leipzig<br />
SCHAUSPIEL CHEMNITZ<br />
Premiere<br />
„Maria Stuart“<br />
Ballett nach Reiner Feistel<br />
8. Juni 2018, 19.30 Uhr<br />
STAATSOPERETTE DRESDEN<br />
Premiere<br />
„Die Csárdásfürstin“<br />
Operette von Emmerich Kálmán<br />
30. Juni 2018, 19.30 Uhr<br />
a) 1938<br />
b) 1949<br />
c) 1986<br />
Unter den richtigen Einsendungen<br />
verlosen wir:<br />
einen Gutschein<br />
im Wert von 70 EUR<br />
für die Felsenbühne Rathen<br />
1 x 2 Eintrittskarten<br />
im Gesamtwert von 150 EUR<br />
für den Ball d’Amour –<br />
den Bühnenball der<br />
Landesbühnen <strong>Sachsen</strong> –<br />
am 10. Februar 2018<br />
in Radebeul<br />
Schreiben Sie die Lösung auf eine<br />
frankierte Postkarte und schicken<br />
Sie diese an:<br />
Redaktion „Bühne <strong>Sachsen</strong>“<br />
c/o Ketchum Pleon<br />
Käthe-Kollwitz-Ufer 79<br />
01309 Dresden<br />
Oder senden Sie eine E-Mail an:<br />
gewinnen@so-geht-saechsisch.de<br />
Viel Glück!<br />
Teilnehmen darf jede natürliche Person außer<br />
Mitarbeiter der sächsischen Staatsregierung<br />
sowie deren Angehörige. Personenbezogene<br />
Daten werden nicht an Dritte weitergegeben,<br />
ausschließlich für den genannten Zweck genutzt<br />
und anschließend gelöscht. Einsendeschluss:<br />
31.12.2017. Die Gewinner werden schriftlich<br />
benachrichtigt. Eine Barauszahlung der<br />
Gewinne ist nicht möglich. Der Rechtsweg ist<br />
ausgeschlossen.<br />
BÜHNE SACHSEN
50 LETZTER AKT<br />
SACHSEN,<br />
MEINE BÜHNE<br />
Sophie Dannenberg<br />
ist vom sächsischen Lachen<br />
verzaubert<br />
TEXT Sophie Dannenberg<br />
Es war wohl 1986, im Jahr, in dem<br />
Tschnernobyl in die Luft ging<br />
und Jörg Haider FPÖ-Vorsitzender<br />
wurde, als wir nach Dresden auf<br />
Klassenfahrt fuhren. Wir hatten uns<br />
wochenlang vorbereitet und wussten<br />
alles über die DDR: Antifaschismus,<br />
Wirtschaft, Wahlen. Und über Dresden:<br />
Bombardierung, Frauenkirche, Semperoper.<br />
Nur, dass die DDR ein totalitärer<br />
Staat war, hatten wir nicht auf<br />
dem Schirm, denn die Reise diente der<br />
Völkerverständigung.<br />
Den Einreiseantrag nahm ich darum<br />
nicht ernst. Ich hatte verschusselt,<br />
meinen Personalausweis zu beantragen,<br />
und als die Lehrerin die Anträge einsammelte,<br />
kritzelte ich eine fantasierte<br />
Zahlenfolge in das Feld für die Ausweisnummer.<br />
Dann vergaß ich das Ganze.<br />
Es fiel mir erst wieder ein, als der<br />
Reisebus an der Grenze stand. Mir<br />
wurde ganz anders, denn zwar hatte<br />
ich inzwischen meinen Ausweis, aber<br />
die Nummer war natürlich falsch.<br />
Die Lehrerin verschwand beunruhigend<br />
lange im Kabuff mit den Grenzern.<br />
Hinzu kam, dass ein paar der Jungs<br />
im Bus den „Wachturm“ dabei hatten,<br />
den ihnen ein Zeuge Jehovas an der<br />
letzten Raststätte angedreht hatte.<br />
Unser Lehrer befürchtete, man würde<br />
uns wegen Zeitschriftenschmuggels<br />
nicht<br />
in die DDR lassen. Mir wurde auf<br />
einmal klar, dass das alles nicht komisch<br />
war. Der Lehrer versteckte den „Wachturm“,<br />
wir kamen durch.<br />
Dresden lag im Elbtalkessel wie in<br />
einer zerbrochenen Schneekugel. Wir<br />
durften die Brücken nicht fotografieren,<br />
die sich matt über das Wasser beugten.<br />
Nicht nur die Stadt war grau, ihre Aura<br />
war es auch, ein feiner, wehmütiger<br />
Dunst, der sich erst in der Ferne verlor.<br />
Die Leute auf der Straße sahen erschöpft<br />
aus, wir verstanden ihren Dialekt<br />
nicht, und überall schnauzten uns<br />
die Kellner an. Die FDJ-Funktionärin,<br />
die dazu verdonnert worden war, uns<br />
während eines „Begegnungsabends“ die<br />
Vorzüge des Sozialismus zu vermitteln,<br />
erzählte uns stattdessen, wie schlimm<br />
die DDR sei. Sie hatte müde blondiertes<br />
Haar und trug einen Synthetikpullover<br />
mit Puscheln. Beim Stadtrundgang<br />
starrten wir in ein Schaufenster, in dem<br />
nichts außer einem Rasierpinsel lag.<br />
In der Oper lernten wir ein anderes<br />
Dresden kennen. Es gab eine Operette,<br />
die Sänger rannten in barocken Kostümen<br />
hin und her und verschwanden<br />
ständig hinter wippenden Theatertüren.<br />
Aber, anders als wir, lachte das einheimische<br />
Publikum nicht nur über die<br />
Handlung. Die Sänger versahen ihre<br />
Dialoge mit Anspielungen,<br />
die offenbar politisch<br />
waren und die wir nicht<br />
decodieren konnten. Das<br />
Lachen der Dresdner klang<br />
anders als unser lautes Lachen, mehrschichtig,<br />
stiller, voller Kadenzen, die<br />
wohl eine Antwort auf den doppelten<br />
Boden des Schauspiels formten.<br />
Auf der Heimfahrt entdeckte ein<br />
Grenzer den „Wachturm“ in unserem<br />
Reisebus und enttarnte ihn als antisozialistisches<br />
Propagandamaterial. Unsere<br />
Lehrer hatten alle Mühe zu erklären,<br />
wo das herkam, und mir fiel mein<br />
gefälschter Antrag wieder ein. Ich fantasierte<br />
meine Verhaftung, Verhöre, internationale<br />
Verwicklungen und merkte<br />
kaum, dass wir längst wieder fuhren,<br />
auf einer perfekten glatten Straße ohne<br />
die Querfugen der Plattenautobahn.<br />
Wenn ich heute nach Dresden<br />
komme, sehe ich die vollen Schaufenster<br />
und die restaurierten Gebäude,<br />
die Touristen und die Werbeschilder.<br />
Dann denke ich noch immer an den<br />
wehmütigen Dunst und die Kadenzen<br />
im Lachen. •<br />
Sophie Dannenberg kam<br />
1971 in Gießen zur Welt. Ihr<br />
Debüt „Das bleiche Herz der<br />
Revolution“ löste heftige<br />
Debatten aus. 2012 erschien<br />
Dannenbergs viel gelobter<br />
Roman „Teufelsberg“<br />
Illustration: Anja Stiehler-Patschan/Jutta Fricke Illustrators<br />
BÜHNE SACHSEN
Spannung.Energie.Widerstand.<br />
tjg.theater junge generation und Staatsoperette Dresden spielen im Kraftwerk Mitte<br />
Fotos: XXXXXX XXXXX<br />
tjg-dresden.de<br />
kraftwerk-mitte-dresden.de<br />
staatsoperette.de
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