Leseprobe: Moderne Kunst verstehen - Vom Impressionismus ins 21. Jahrhundert

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104 Prozesskunst 2 Unter diesen Begriff fallen Kunstwerke, die die Aufmerksamkeit auf den Prozess ihrer Entstehung lenken. Ende der 1960er- und in den 1970er-Jahren gab es insbesondere in Amerika einen Trend, experimentelle Prozesse und das Verhalten un - gewöhnlicher Materialien zum Gegenstand künstlerischer Arbeiten zu machen. 1 BARRY FLANAGAN (1941–2009), HANS HAACKE (*1936), EVA HESSE (1936–70), ROBERT MORRIS (*1931), RICHARD SERRA (*1939) 3 4 Anti-Form, Schwerkraft, Eigenschaften, ungewöhnliche Materialien Mit Ausnahme von Plänen und Skizzen, die für eine spätere Ausstellung aufbewahrt wurden, hielt sich bis in die moderne Zeit die Konvention, die Prozesse, die ein Kunst - werk hervorbrachten, vor den Betrachtern zu verbergen. Wie Robert Morris, früher ein Vorreiter des Minimalismus, 1968 in seinem be - rühmten Aufsatz „Anti-Form“ in der Zeitschrift Artforum erklärte: „Die wohlgestaltete Form von Objekten ging allen Überlegungen über Mittel voraus. Die Materialien selbst wurden auf diejenigen beschränkt, die effizient die allgemeine Objektform schaffen.“ Im Fokus stand das vollendete Werk, und die Materialien und Prozesse, aus denen es entstand, waren zweitrangig gegenüber seiner gelungenen Fertigung. Die Prozesskunst untergrub dieses – so Mor - ris – „anti-entropische und konservative Unternehmen“, indem sie die Phänomene des Prozesshaften und des Materials zum Hauptthema des Werks machte. Ein Jahr vor seinem Artforum- Artikel hängte der Künstler dünne Filzstreifen mit einem Nagel an die Wand und überließ es dem Material, wie es sich anordnete. Indem er mit diesem Schritt – der an die Öffnung des Da daismus für den Zufall erinnerte – seine Verantwortung für das Arrangement des Materials aufgab, entstand das Kunstwerk allein durch die Schwerkraft und die Eigenschaften des Filzes. A Sein Landsmann Richard Serra untersuchte die Schwerkraft in einer umfangreichen Folge von Arbeiten, in denen Bleirohre und -platten gegeneinander und an die Museumswände gelehnt und so im Gleichgewicht gehalten wurden. In Splashing (1968) schleuderte Serra in einem Lagerraum, den ihm sein Kunsthändler zur Verfügung gestellt hatte, geschmolzenes Blei dorthin, wo die Wand auf den Boden stieß; das Ergebnis hing mehr vom Verfestigungsprozess des Metalls als vom Kalkül des Künstlers ab. Der Trend zur Prozesskunst lässt sich bis zu Jackson Pollocks abstrakt-expressionistischen Bildern zurückverfolgen, bei denen der Prozess des Ausgießens von Farbe das Wichtigste war. Doch bei Pollocks Gemälden blieb der menschliche Ausdruck im Fokus. Die „Tropfarbeiten“ des Nachmalerischen Abstrakten Morris Louis standen der Prozesskunst insofern näher, als Louis jede gestische Bewegung vermied; seine Arbeiten zeugen von der Viskosität der Farbe und der Absorptionsfähigkeit des Untergrunds. Nach den damaligen Verfahren der Konzept - kunst bestand die Rolle des Künstlers oft darin, die Regeln für die Arbeit vorher festzulegen. Wenn diese einmal aufgestellt waren und der Prozess angestoßen worden war, ließen die Künstler die Materialien „ihre Arbeit tun“, ohne einzugreifen. Praktiker untersuchten die Effekte von immer schrägeren Materialien, von Neon (Keith Sonnier) bis Latex (Lynda Benglis) und Sand (Barry Flanagan), und experimentierten mit Prozessen bis hin zur Kondensation (Hans Haacke) und Zersetzung (Eva Hesse). Prozesskunst wird oft unter den weiteren Begriff Post-Minimalismus gefasst. Obwohl sie die glatten Formen des Minimalismus ab lehnte, teilte sie das Interesse an den augenscheinlichen Eigenschaften von Industriematerialien. Die Bewegung ist auch eng mit der Land Art verwandt, die natürliche Prozesse ins Blickfeld nahm, und der Arte povera in Italien.
Prozesskunst 105 HAUPTWERK im Whitney Museum of American Art, New York Prop, 1968 (wiederhergestellt 2007), RICHARD SERRA Serras reduzierte Prozesskunst-Arbeiten werden oft im Kontext des Minimalismus betrachtet. Diese Kompo si tion – eine quadratische, 0,5 m 2 große Bleiplatte, gehalten von einem Bleirohr, das von der Wand gestützt wird – lenkt in ihrer Einfachheit die Aufmerksam keit auf den elementaren Prozess der Schwerkraft, auf dem sie beruht. 9 Dadaismus, Kinetische Kunst, Nach - malerische Abstraktion, Arte povera WEITERE WERKE im Whitney Museum of American Art Ohne Titel, 1970, EVA HESSE Tet, 1958, MORRIS LOUIS Ohne Titel (L-Balken), 1965, ROBERT MORRIS Out-of-Round IX, 1999, RICHARD SERRA Ba-O-Ba, Nummer 3, 1969, KEITH SONNIER 0 Impressionismus, Expressionismus, Neue Sachlichkeit, Kitchen Sink Realism
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Seite 9: Fluxus 103 von Briefumschlägen, Br
Seite 13: Bildnachweis 157 S. 2 (Detail), 75

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