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ML_01_2020 Sensationelle Schweizer Funde

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Benno Ammanns Messe und neue Fragmente von Joachim Raff<br />

<strong>Sensationelle</strong> <strong>Schweizer</strong> <strong>Funde</strong><br />

Würde man Musik mit Archäologie<br />

vergleichen, wären «musikalische<br />

Ausgrabungen» wie die Wiederentdeckung<br />

von Benno Ammanns Missa<br />

Defensor Pacis ein Fund von unschätzbarem,<br />

historischen Wert.<br />

In der Schweiz hält sich die Aufregung<br />

über ausserordentliche <strong>Funde</strong><br />

in der Musikwelt bislang jedoch in<br />

Grenzen. Es wäre daher gut, wenn<br />

man solchen einheimischen Trouvaillen<br />

eine grössere Wertschätzung<br />

entgegenbringen würde.<br />

Von Raphael Immoos<br />

2<strong>01</strong>7 nahm ich einen interessanten Artikel<br />

von Matthias Wamser in Musik & Liturgie<br />

6//17, Seite 5 ff. zur Kenntnis. Er las sich<br />

wie ein Krimi, denn offenbar hatte man<br />

Ammann seinerzeit in Rom alle möglichen<br />

Steine in den Weg gelegt: Der Chor der<br />

Sixtinischen Kapelle war mit dem Werk<br />

hoffnungslos überfordert. Zudem war die<br />

Aufführung dieser zeitgenössischen Komposition<br />

in Rom anlässlich einer Heiligsprechung<br />

ein absolutes Novum, da bei feierlichen<br />

Papstmessen traditionsgemäss nur<br />

Kompositionen päpstlicher Kapellmeister<br />

gesungen wurden. Insofern war Ammanns<br />

Projekt eine echte Glanzleistung.<br />

Sensation oder Flopp?<br />

Die widrigen Umstände machten mich<br />

natürlich erst recht skeptisch. Sensation<br />

oder Flopp?<br />

Fast gleichzeitig kontaktierte mich der<br />

unseren Leserinnen und Lesern allseits<br />

bekannte Alois Koch – und wieder ging<br />

es um Benno Ammanns Messe. Wir entschieden<br />

uns, jeder für sich die Messe<br />

nochmals genau unter die Lupe zu nehmen.<br />

Wir kamen zu demselben Ergebnis.<br />

Alois Koch schrieb dazu: «In seiner ambitionierten,<br />

einzigen Messekomposition<br />

wollte Ammann der Tradition der grossen<br />

Vokalpolyphonie eine neue Dimension<br />

Wer diese unsere Fachzeitschrift für katholische<br />

Kirchenmusik regelmässig liest,<br />

wird sich an den <strong>Schweizer</strong> Komponisten<br />

Benno Ammann (*14. Juni 1904 in Gersau;<br />

†14. März 1986 in Rom) erinnern.<br />

Mehrmals wurde sein Schaffen hier vorgestellt<br />

und gewürdigt. Als sich die Basler<br />

Madrigalisten nach den Aufführungs- und<br />

Aufnahmerechten der fein säuberlich gedruckten<br />

Missa Defensor Pacis von Benno<br />

Ammann erkundigten, welche immerhin<br />

zur Heiligsprechung von Bruder Klaus<br />

1947 in Rom erklang, begann die Suche<br />

nach einer adäquaten Einordnung dieses<br />

Werks.<br />

Wie ein Krimi …<br />

Die Aufarbeitung von Benno Ammanns<br />

Nachlass ist Andreas Schenker zu verdanken,<br />

der dessen Werk akribisch erfasste.<br />

2<strong>01</strong>5 legte er erstmals einen Werkkatalog<br />

vor und informierte interessierte Kreise.<br />

So erhielt ich schon bald ein Exemplar<br />

dieser Messe, die ich allerdings zunächst<br />

nicht recht einzuschätzen wusste.<br />

Wortwörtlich<br />

«Als Komponist war ich schon längst zur freien Tonalität und zur<br />

Dodekaphonik vorgedrungen, ohne mir zu verbieten, im alten<br />

Stile zu schreiben. Heute macht mir jede Regression grösstes Unbehagen.<br />

Unser Musikleben ist gespalten, und der schaffende Musiker<br />

sucht Vergangenes und Neues zu verschmelzen, aus Furcht,<br />

nicht verstanden oder abgelehnt zu werden. Ohne mit vielen und<br />

mannigfachen Problemen jahrelang zu ringen, kommt man zu<br />

keiner Lösung und diese wiederum kann man nicht durch Konzessionen preisgeben.<br />

[…] Lebendig-persönliche und verbindliche Aussage ist mir ebenso wichtig wie<br />

kontrapunktische und rhythmische Durchdringung des Tonsatzes oder Lösung eines<br />

kompositorischen Problems an sich im Bereich des melodischen oder harmonischen<br />

Duktus. Innere Unabhängigkeit und Freiheit auch von einem neuen «Tonmaterial»<br />

bilden ein notwendiges Gegengewicht zu einer bedrohlichen Erstarrung von Seiten<br />

der Materie oder naturgesetzliche technische Entwicklungen. Der menschliche<br />

Geist schafft auch hier Neues und öffnet neue Welten. Systeme kommen und gehen.<br />

Das atemraubende Tempo der Entwicklung, die ständige Bewegung und Erneuerung<br />

ist, wie im Kosmos, so auch in der Musik, Tatsache, die wir intensiver wahrnehmen<br />

als in früheren Epochen. Nähern wir uns einer mythischen, ja kultischen Epoche der<br />

Musik? Auch wenn unsere Musikkultur ins aperspektivische Zeitalter hinüber ragt<br />

und neue Erfindungen der Physiologie und Technik ein neues Weltbild der Musik<br />

schaffen und ihre Existenz völlig umgestalten, so wird sich vielleicht der Mensch<br />

doch nach Jahrhunderten wieder früheren Epochen und noch tieferen Schichten<br />

zuwenden, um aus ihrer Wiederentdeckung eine neue Synthese und Blüte der Weltmusik<br />

aufzubauen.»<br />

Benno Ammann (Zitat aus: «Musik der Zeit», Heft 10//1955)


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Foto Benno Hunziker<br />

Foto René Reiche<br />

Die Basler Madrigalisten interpretieren Kirchenmusik von zwei <strong>Schweizer</strong> Komponisten<br />

Raphael Immoos leitet die Basler Madrigalisten<br />

verleihen und insofern ist die Missa Defensor<br />

pacis ein bemerkenswerter Solitär<br />

der frühen Nachkriegszeit, nicht nur in<br />

der Schweiz. Sie steht gattungsgeschichtlich<br />

zwischen Frank Martins Messe für<br />

zwei vierstimmige Chöre von 1922/1926<br />

und Paul Hindemiths Messe für Chor a<br />

cappella von 1963.»<br />

Qualitativ hochstehend<br />

Die Musikforschung ist heutzutage sehr<br />

aktiv. Es stellt sich bei solchen «Ausgrabungen»<br />

immer wieder die berechtigte Frage,<br />

ob es nicht auch qualitative Gründe gibt,<br />

warum sie in Vergessenheit gerieten. Als<br />

musikalischer Leiter eines der führenden<br />

Vokalensembles der Schweiz, den Basler<br />

Madrigalisten, muss ich leider zugestehen,<br />

dass ich in letzter Zeit wenig qualitativ<br />

hochstehende Wiederentdeckungen<br />

erleben durfte, obwohl die Nachfrage an<br />

Aufführungen und Aufnahmen entdeckungswürdiger<br />

Musik ungebrochen ist.<br />

Eine Ausnahme bildet eben diese Missa<br />

Defensor Pacis. Es freut mich, dass wir<br />

dieses Werk in verschiedenen kirchenmusikalischen<br />

Zentren der Schweiz aufführen<br />

und endlich mit einer CD dokumentieren<br />

dürfen, zu der auch ein entsprechend überarbeitetes<br />

Aufführungsmaterial gehört.<br />

Und noch eine kleine Sensation …<br />

Da Ammanns Messe nicht ganz abendfüllend<br />

ist, werden wir zu einer weiteren<br />

kleinen Sensation ausholen: Joseph<br />

Joachim Raff (*27. Mai 1822 in Lachen<br />

SZ; †24. Juni 1882 in Frankfurt/Main),<br />

auch ein Schwyzer Komponist, wird<br />

ebenfalls einen gebührenden Platz<br />

erhalten. In Zusammenarbeit mit der<br />

Joachim-Raff-Gesellschaft wird erstmals<br />

ein Messe-Fragment mit Kyrie und Gloria<br />

erklingen.<br />

Notenausgaben und CD-Einspielung<br />

Eine Wiederauflage der Notenausgaben<br />

Benno Ammanns ist in den Hug Musikverlagen,<br />

Zürich in Vorbereitung. Eine<br />

Edition der drei Werke von Joachim Raff<br />

ist auf Anfrage bei der Edition Nordstern,<br />

Musikverlag Stuttgart erhältlich. Die Einspielung<br />

ist beim Label Capriccio geplant.<br />

Somit werden die aufgeführten Werke<br />

demnächst allen interessierten Chören<br />

zur Verfügung stehen. Es ist zu hoffen,<br />

dass die neuen «Ausgrabungen» auf Resonanz<br />

stossen werden und diese hervorragende<br />

<strong>Schweizer</strong> Musik vermehrt<br />

in unseren Kirchen- und Konzerträumen<br />

Gehör findet. Die Konzerte der Basler<br />

Madrigalisten sollte man sich nicht entgehen<br />

lassen (siehe die Angaben im entsprechenden<br />

Kasten).<br />

Raphael Immoos<br />

ist Professor für Chorleitung und Dirigent<br />

verschiedener Vokalensembles an<br />

der Hochschule für Musik in Basel sowie<br />

künstlerischer Leiter der Sommerakademie<br />

Thun. Von 2000 bis 2<strong>01</strong>3 dirigierte<br />

er das Akademische Orchester Basel und<br />

von 2004 bis 2<strong>01</strong>3 das Vokalensemble<br />

Cappella Nova. Seit 2<strong>01</strong>3 hat Raphael Immoos<br />

die künstlerische Leitung der Basler<br />

Madrigalisten inne. Besondere Anliegen<br />

sind ihm die Recherche selten aufgeführter<br />

Werke des 17. und 18. Jahrhunderts<br />

und die Pflege und Förderung neuer Musik<br />

unserer Zeit mit zahlreichen Ur- und<br />

<strong>Schweizer</strong> Erstaufführungen.<br />

Save the dates!<br />

Samstag, 8. Februar<br />

20.15 Uhr, Kirche St. Oswald, Zug<br />

Sonntag, 9. Februar<br />

17.30 Uhr: Musikalische Gottesdienstgestaltung;<br />

18.45 Uhr: Konzert<br />

Kath. Kirche St. Peter und Paul,<br />

Werd strasse 63, Zürich<br />

Samstag, 15. Februar<br />

18.45 Uhr: Konzerteinführung im<br />

Joachim-Raff-Archiv, Seeplatz 1, Lachen;<br />

19.30 Uhr: Konzert<br />

Pfarrkirche Lachen SZ<br />

Sonntag, 16. Februar<br />

16.30 Uhr, Kloster Mariastein

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