Interview mit Wladimir Kaminer
Interview mit dem Schriftsteller Wladimir Kaminer von Werner Jürgens, erschienen in der Schwäbischen Zeitung vom 24. Januar 2020
Interview mit dem Schriftsteller Wladimir Kaminer von Werner Jürgens, erschienen in der Schwäbischen Zeitung vom 24. Januar 2020
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Freitag, 24. Januar 2020 KULTUR
Schwäbische Zeitung 11
Interview
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„Ich finde, Deutsch ist eine super Sprache“
Wladimir Kaminer über Migranten, Kreuzfahrer und Politiker, die kommen und gehen
Seine Muttersprache ist Russisch,
aber er schreibt lieber auf Deutsch
und das äußerst erfolgreich. Wladimir
Kaminer hat mit seinen Büchern,
Erzählungen und Kolumnen ein Millionenpublikum
erobert. Derzeit ist
der Autor unterwegs auf Lesereise
und wird demnächst auch in
Blaubeuren (19. März, Altes Postamt)
und Laichingen (20. März, Altes
Rathaus) Station machen. Werner
Jürgens hat mit ihm gesprochen.
Tabea Zimmermann wird mit Siemens-Musikpreis geehrt.
Musik-Nobelpreis für
Bratschistin
Tabea Zimmermann erhält
Ernst-von-Siemens-Musikpreis
MÜNCHEN (epd) - Die Bratschistin
Tabea Zimmermann erhält in diesem
Jahr den mit 250 000 Euro dotierten
Ernst-von-Siemens-Musikpreis. Die
1966 in Lahr im Schwarzwald geborene
Musikerin, die 2012 Artist in Residence
beim Bodenseefestival war, ist
mit ihren Auftritten weltweit gefragt.
Der Ernst-von-Siemens-Musikpreis,
einer der begehrtesten und höchstdotierten
Musikpreise der Welt, gilt
als „Nobelpreis für Musik“.
Zimmermann begann bereits als
Dreijährige mit dem Bratschenspiel,
ihre außergewöhnliche Begabung
wurde früh erkannt und gefördert.
Als Solistin arbeitet sie seit Jahren
regelmäßig mit weltweit bedeutenden
Orchestern wie den Berliner
Philharmonikern oder auch dem
London Symphony Orchestra zusammen.
Zudem arbeitet sie viel im
kammermusikalischen Bereich sowie
in der Neuen Musik. Neben ihrer
regen Konzerttätigkeit setze sich die
Musikerin „seit langem beispiellos
für den musikalischen Nachwuchs
ein“, teilte die Ernst-von-Siemens-
Stiftung mit. Seit 2002 ist Tabea Zimmermann
Professorin an der Berliner
Hochschule für Musik „Hanns
Eisler“.
Der Preis wird ihr am 11. Mai bei
einem Festakt im Münchner Prinzregententheater
verliehen. Die Laudatio
wird dabei der ehemalige Präsident
des Deutschen Bundestages,
Norbert Lammert halten, der aktuell
Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung
ist. Zu den Trägern
des seit 1974 verliehenen Hauptpreises
gehören Benjamin Britten, Herbert
von Karajan, Gidon Kremer,
Wolfgang Rihm und Anne-Sophie
Mutter.
Insgesamt vergibt die Ernst-von-
Siemens-Musikstiftung dieses Jahr
Preis- und Fördergelder von über 3,6
Millionen Euro. Der größte Teil der
Förderung entfalle erneut auf Kompositionsaufträge,
aber auch Wiederaufführungen,
Festivals, Konzerte,
Kinder- und Jugendprojekte würden
bedacht.
Perser-Schau
in Karlsruhe abgesagt
Landesmuseum findet keine Versicherung
FOTO: RUI CAMILO/DPA
KARLSRUHE (dpa) - Enttäuschung
nach bangen Wochen: Die große
Karlsruher Perser-Schau fällt aus.
Für den geplanten Kulturaustausch
findet sich derzeit keine Versicherung.
Eckart Köhne, Direktor des Badischen
Landesmuseums, erklärte:
„Wir müssen sie stoppen, wir bekommen
unsere Objekte nicht versichert.“
Für Köhne, der zugleich Präsident
des Deutschen Museumsbundes
ist, ist das besonders schmerzlich:
Gerade angesichts der
angespannten politischen Beziehungen
hätten die Museen als Botschafter
ihrer Länder ein Zeichen setzen
können.
Für die im Oktober geplante
Schau „Die Perser – Am Hof der
Großkönige“ hätte das Badische Landesmuseum
rund 200 kostbare Leihgaben
aus iranischen Museen aus
dem 6. bis 4. Jahrhundert vor Christus
bekommen, darunter Gold- und
Silbergefäße sowie zahlreiche Keramiken.
Die Karlsruher wollten im
Gegenzug für eine Ausstellung in Teheran
eigene Antiken aus dem Mittelmeerraum
verleihen. Allein die
Karlsruher Objekte hätten für einen
zweistelligen Millionen-Betrag versichert
werden müssen. Doch angesichts
der aktuellen Sicherheitslage
habe sich kein Versicherer gefunden,
der das Risiko tragen wollte, sagte
Köhne. Er betonte aber: „Sobald sich
die Lage gebessert hat, werden wir
sofort wieder dort sein und es anschieben.“
Das Museum bewahrt rund
500 000 Objekte auf. Präsentiert
werden 13 000 Exponate von der
Steinzeit bis zur Gegenwart – neben
der „Türkenbeute“ auch die Antiken-
Sammlung sowie Zeugnisse aus dem
Schwarzwald und der badischen Revolution.
Voraussichtlich ab 2024
steht die Sanierung des Museums an.
Danach soll es unter anderem ein eigenes
Kindermuseum im Karlsruher
Schloss geben.
Trifft es zu, dass der berüchtigte
Kreml-Flieger Mathias Rust Sie inspiriert
hat, nach Deutschland zu
gehen?
Das war eher ein Zufall. Es stimmt
schon, dass ich in der sowjetischen
Armee gedient habe, als er über uns
flog. Ich war damals mit für ihn zuständig,
weil ich am Radar saß. Zum
Glück haben wir ihn nicht abgeschossen.
Das war 1987, und er wollte
nach Russland. Ich hingegen wollte
nach Deutschland, und das hat
sich erst drei Jahre später ergeben.
Was hat Sie denn nun zu diesem
Schritt motiviert?
Auch das war, wie fast alles Schöne
im Leben, ein Zufall. Eigentlich wollte
ich nur raus und meine Heimat
verlassen. Lange Zeit durften wir
nicht, weil man uns nicht gelassen
hat. Wie die meisten jungen Menschen
waren wir sehr kritisch und
haben uns gedacht: Wenn das bei uns
alles so komisch läuft, muss das Leben
irgendwo da draußen schöner
sein. Im Grunde genommen hatten
wir überhaupt gar keine Ahnung,
weil wir keinerlei Informationsquellen
hatten. Als die Mauer fiel, ergab
sich plötzlich die Möglichkeit, Teil
der westlichen Gesellschaft zu werden.
Diese Möglichkeit habe ich genutzt.
Privat ein Russe, von Beruf ein
deutscher Schriftsteller – so charakterisieren
Sie sich selber.
Ich bin in der Sowjetunion aufgewachsen
und sozialisiert worden.
Das waren die ersten 23 Jahre meines
Lebens, und die waren natürlich
identitätsbildend für mich. Das kann
kein Mensch aus seinem Leben wegstreichen.
Meine alte Heimat, die
Sowjetunion, die einst so groß war
wie die halbe Welt, existiert allerdings
nicht mehr. Trotzdem geht das
Leben weiter. Als ich in Deutschland
meine Geschichten erzählen wollte,
stellte sich für mich nicht die Frage,
in welcher Sprache ich das tun sollte,
zumal ich eine große Leserschaft im
Visier hatte. Deswegen habe ich angefangen,
auf Deutsch zu erzählen
und zu schreiben.
Nun ist Deutsch alles andere als eine
leichte Sprache.
Ich finde, Deutsch ist eine super
Sprache. Ich kann jedenfalls nicht
klagen. Immerhin schreibe ich schon
seit 25 Jahren auf Deutsch. Und es
wird immer besser. In einer fremden
Sprache zu schreiben, hat eine Menge
Vorteile. Man kontrolliert sich
mehr. Ich möchte mich gerne klar
und deutlich ausdrücken. Das ist in
der Muttersprache oft schwierig,
weil man dazu tendiert sich zu vergessen
und vom Thema abzuschweifen.
Ich merke das bei mir selber,
wenn ich einen Brief auf Russisch
schreibe und meine Sätze häufig
sehr lang werden. In einer fremden
Wladimir Kaminer glaubt an die deutsch-russische Freundschaft. Er sagt: „Leute wie Merkel oder Putin sind
lediglich vorübergehende Erscheinungen.“
FOTO: SVEN-SEBASTIAN SAJAK/IMAGO IMAGES
Sprache ist man eher geneigt, jedes
Wort und jeden Satz exakt abzuwägen,
um sich zu fragen: Muss das
jetzt sein? Bringt das die Geschichte
wirklich weiter? Kann man das nicht
noch anders oder schärfer formulieren?
Außerdem habe ich einen Riesenspaß
daran, aus alten Wörtern
neue Wörter zu basteln. Das ist fast
so ein bisschen wie Lego.
Ist Ihnen das, was Sie erzählen, tatsächlich
alles so widerfahren?
Oder basteln Sie auch an den Inhalten
„legomäßig“ herum, damit eine
Geschichte nachher gut und rund
klingt?
Ich glaube nicht, dass sich solche Geschichten,
wie ich sie erzähle, einfach
so aus den Fingern saugen lassen.
Man muss schon neugierig sein
und richtig hinschauen, was an der
nächsten Ecke passiert. Meine primäre
Aufgabe besteht darin, Geschichten
zu erkennen und sie zu
sammeln. Es passiert ständig etwas.
Nur den meisten Leute fällt das nicht
auf. Der Job eines Schriftstellers ist
es, aus dem Nebel des Alltäglichen
die Schmuckstücke herauszufiltern.
Die Sprache, das Schreiben und Formulieren
sind natürlich auch wichtig.
Aber dafür muss man überhaupt
erst einmal eine Geschichte haben.
Die Bandbreite der Themen, mit
denen Sie sich beschäftigen, reicht
von Migration bis hin zur Kreuzschifffahrt.
Wie hängt das zusammen?
Da existiert durchaus ein Zusammenhang.
Ich habe viel über Menschen
in Bewegung geschrieben,
weil zur Zeit die halbe Welt in Bewegung
zu sein scheint. Die meisten
von ihnen bewegen sich in Gruppen.
Die zwei größten Gruppen sind un-
freiwillig reisende Migranten und
freiwillig reisende Touristen. Als
erstes habe ich ein Buch über Geflüchtete
geschrieben, weil ich eine
ganze Weile nahezu an jeder Ecke
Menschen getroffen habe, die von
diesem Schicksal betroffen waren.
Dass ich Kreuzfahrer kennengelernt
habe, ist wiederum ein Zufall gewesen.
Ursprünglich war ich als Entertainer
und Vorleser auf eine Kreuzfahrt
eingeladen. Als ich bemerkte,
dass das eine ganz besondere Art
von Tourismus ist, habe ich die
Kreuzfahrer kurzerhand zu meinen
Touristen gemacht.
Inwiefern sind die besonders?
Das bezieht sich in erster Linie auf
ihre Haltung. Viele würden gerne die
Welt retten, wissen aber nicht wie.
Gleichzeitig möchten sie auf nichts
verzichten von dem, was ihnen die
Welt an Annehmlichkeiten zu bieten
hat. Diese Mischung aus Ohnmacht,
Endzeitstimmung und Party-Laune
ist gerade auf Kreuzfahrten ungemein
verbreitet: Einerseits sich Sorgen
machen über den schlechten Zustand
des Planeten, anderseits
abends Party machen mit „Atemlos
durch die Nacht“. Ich habe Kreuzfahrten
erlebt, wo manche das Schiff
überhaupt nicht verlassen wollten.
Welche Bedeutung haben politische
Entscheidungen und Prozesse
aus der alten Heimat für den „privaten
Russen“ Wladimir Kaminer?
Mir geht es vorrangig darum, die
deutsch-russische Freundschaft zu
erhalten und zu stärken. Politiker
kommen und gehen. Leute wie Merkel
oder Putin sind lediglich vorübergehende
Erscheinungen. Auf
meinen Reisen treffe ich häufig Menschen,
die das ähnlich sehen wie ich.
Wenn die Politiker nicht miteinander
können, müssen wir das eben
übernehmen. Erst neulich habe ich
eine Russendisko in Neuruppin eröffnet.
Die ist in einem riesigen
Hangar, wo früher sowjetische Panzer,
Waffen und Kanonen standen.
Heute tanzen dort Menschen zu russischer
Musik.
Ihr aktuelles Buch handelt von
„Liebeserklärungen“. Was steckt
konkret dahinter?
Es geht hauptsächlich darum, dass es
in der Liebe selten so kommt wie
man denkt. Mein Ziel ist es, in den
Dramen und Tragödien des Lebens
das Komische zu entdecken, um auf
diesem Weg über die Tragödien lachen
zu lernen. Sonst werden sie zu
Sackgassen, die nicht zu überwinden
sind. Die Liebe ist dafür ein geradezu
prädestiniertes Thema, eben weil es
selten so kommt wie man denkt. Ein
exzellentes Beispiel ist der erste erotische
Film, der 1990 im russischen
Staatsfernsehen gezeigt wurde. Das
war in meinen Augen eine Liebesklärung
der Deutschen an die Russen,
weil dieser Film eine deutsche Produktion
war, die den wunderbaren
Titel „Unter dem Dirndl wird gejodelt“
trug. Die Staatsführung hielt
ihn wohl für harmlos und wollte damit
bloß ihre Bereitschaft zur Modernisierung
signalisieren. Womit
sie nicht gerechnet hatte: Viele, die
den Film gesehen haben, verspürten
danach offensichtlich keine Lust
mehr, weiter wie bisher zu leben und
sich für den Sozialismus aufzuopfern,
während fernab auf der Alm
wilde Sex-Orgien abgingen. Bald darauf
eroberten Pornofilme aus aller
Welt die Videoshops und Fernsehprogramme,
und das Land brach völlig
zusammen.
Frankfurt für Neubau
Schauspiel und Oper sind sanierungsbedürftig - Kosten werden auf eine Milliarde Euro geschätzt
FRANKFURT (dpa) - Frankfurt hat
dasselbe Problem wie Stuttgart: Die
städtischen Bühnen sind marode,
Schauspiel und Oper stark renovierungsbedürftig.
Auch in Frankfurt
steht eine Summe zwischen 800 Millionen
und einer Milliarde Euro im
Raum, allerdings für ein Gesamtpaket
für Oper und Schauspiel. Gedacht
ist an einen Abriss und einen
Neubau der Städtischen Bühnen am
angestammten Platz. Das ist das Ergebnis
des Prüfberichts der Stabsstelle
Zukunft der Städtischen Bühnen,
der am Donnerstag vorgestellt
wurde. Eine politische Entscheidung
ist damit aber noch nicht gefallen.
Schon 2017 hatte eine Machbarkeitsstudie
Kosten von mindestens 800
Millionen Euro errechnet. Seither
sind die Preise gestiegen, heute wäre
es laut Stabsstelle mindestens eine
Milliarde.
Eine Basissanierung käme laut
Prüfbericht auf 826,3 Millionen Euro.
Eine Sanierung mit Verbesserungen
würde 918,3 Millionen Euro kosten.
Für den Neubau gibt es zwei Optionen.
In einem Fall würden beide Bühnen
während der Bauzeit ausgelagert
und zögen danach gemeinsam zurück
an den Willy-Brandt-Platz – das
würde laut Stabsstelle 874,9 Millionen
Euro kosten. Im anderen Fall zöge
ein Haus dauerhaft in einen Neubau
an anderer Stelle – das würde
809,3 beziehungsweise 859,1 Millionen
Euro kosten, je nachdem ob
Schauspiel oder Oper in ein Übergangsquartier
gingen.
„Die Hoffnung, dass eine Sanierung
günstiger wäre, hat sich nicht bestätigt“,
sagte Kulturdezernentin Ina
Hartwig (SPD). „Ich schlage in aller
Klarheit eine Neubaulösung vor.“ Das
Beste wäre aus ihrer Sicht, zuerst das
Opernhaus zu erneuern. Die Oper
sollte dann im Schauspielhaus spielen.
Für das Sprechtheater müsste
dann eine Übergangslösung gesucht
werden. Dann erst sollte das Gebäude
am Willy-Brandt-Platz abgerissen
werden, um dort einen Neubau für
das Schauspiel zu errichten.
Die Doppelanlage mit der charakteristischen
Glasfassade wurde 1963
eröffnet, innen stammten Teile noch
aus dem Vorgängerbau von 1902.
Dass die Städtischen Bühnen den aktuellen
Standort ganz aufgeben, steht
nicht zur Debatte: „Das kulturelle
Herz der Stadt schlägt am Willy-
Brandt-Platz“, sagte Hartwig, „wir
dürfen es nicht herausreißen.“ Der
Leiter der Stabsstelle, Michael Guntersdorf,
sagte: „Wenn die Politik zügig
entscheidet, ist das noch in dieser
Dekade zu schaffen.“
Ein Neubau der Städtischen Bühnen käme Frankfurt billiger als eine Sanierung.
Das ist das Ergebnis eines Gutachtens.
FOTO: ARNE DEDERT/DPA