ramp#49_DE
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AUTO.KULTUR.MAGAZIN #49
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ISSN 2568-1958
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1
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2
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3
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9
Higgledy
Piggledy
Wer den Titel dieser Ausgabe jetzt etwas seltsam
bis wunderlich finden sollte, darf entspannt und
tief durchatmen: Es hätte schlimmer kommen
können. Viel schlimmer. Denn eigentlich hatte
sich der Chefredakteur für »Kraut & Rüben«
begeistert, was mindestens eine weitere Razzia
des örtlichen Drogendezernats zur Folge gehabt
hätte. Hinterher hätte es dann im Verlag so ausgesehen
wie eigentlich immer – aber zur
Abwechslung hätten wir das fröhliche Chaos
dann auch endlich einmal prima erklären können.
Vielleicht hätte sich sogar ein genial-turbulent-wild-chaotisches
Cover-Motiv ergeben.
Denn um solche Situationen und Szenarien dreht
sich in diesem Heft ja schließlich alles. Irgendwie.
Wir lassen uns begeistert auf ein ziemliches
Tohuwabohu ein. Gerne geben sich plötzlich
gelernte und verkrustete Strukturen geschüttelt
und gerührt. Wie aktuell in unserer echten Welt.
Ein Chaosforschungsabenteuer.
Haltung und Meinung prägen den Orientierungsalgorithmus
– und am Ende zählt dann sowieso
mal wieder die Kunst des pragmatischen Aufräumens,
sprich die gekonnte Abstraktion. »Man
muss die Dinge so einfach wie möglich machen.
Aber nicht einfacher«, hat es Albert Einstein auf
den einfachen Punkt gebracht.
Hallo Überraschungen!
Willkommen Durcheinander!
Viel Vergnügen mit ramp #49!
Ihr
Michael Köckritz
© Riocam
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Higgledy
Piggledy
Intro
1Ganz schön
was los hier.
2
Hallo
Überraschung!
3Alles halb
so wild!
09 Editorial
14 Impressum
38 Short Cuts 01
Ein halbwegs aufgeräumter
Auftakt mit fliegenden, wachsamen
und würzigen Objekten der
Begierde.
100 Short Cuts 02
Eine durchaus systematische
Fortsetzung. Diesmal mit Rollen,
Koffein und Durchblick.
182 Short Cuts 03
Ein sorgsam kuratiertes Finale
mit Sneakern, Schlafstätten und
einem gut aussehenden E-Scooter.
Kein Witz.
232 Fabulous Fifties
Race, Peace and Happiness:
der Rennsport in den Fünfzigerjahren
in Kalifornien.
16 Contributors
18 Unterwegs
… in ganz anderen Sphären.
Ein Gespräch mit dem amerikanischen
Astrophysiker Sean
Carroll, der glaubt, dass sich
die Universen in weitere Welten
verzweigen. Alles klar?
26 Countdown
Zählen wir sauber runter:
beginnend bei einem Schreihals,
weiter über eine gewaltige
Niere – und dann endet das
Ganze mit einem Kladderadatsch
auf engstem Raum.
40 Und jedem Zauber wohnt ein
Chaos inne
Ein Plädoyer für die Unordnung
– von Philipp Tingler.
46 Kraut und Rüben
Wladimir Kaminer. Dazu: ein Brite,
ein Italiener, zwei Franzosen
und ein Deutscher.
62 Krauts in America
Wild gemischte Fotos aus Florida
und eine chronologische
Erzählung der Ereignisse.
82 Die Werkstatt am Ende der Welt
Ein Gespräch mit Berlins
oberstem Schrauber Thomas
Lundt. Ohne Missverständnisse,
Meta-Ebenen oder Zwischentöne.
102 Das Taycan-Lächeln
Ein Lächeln lässt sich nur
schwer imitieren. Unterwegs
im rein elektrischen Porsche
Taycan machen wir uns auf eine
unbestechliche Spurensuche danach,
was bleibt – und danach,
was sich ändert.
112 Kings of Cool
Innerhalb kürzester Zeit avancierte
das GP Ice Race zum Szenetreff
der besonderen Art.
120 Eine Frage der Präzision
Kendō ist mehr als die modernisierte
Fechtkunst der
japanischen Samurai. Es geht
um Entschlossenheit, moralische
Stärke – und in diesem
Fall auch um einen Audi RS 7
Sportback.
184 Wild at Heart
»Eine Garage ohne einen
Porsche 911 ist doch ein ödes,
leeres Loch.« Und diese Seiten
sehr, sehr weiß.
194 Car Wash
Er ist einer von zwölf Bentley
Bacalar, wird von Hand gewaschen
– und zwar von Chefdesigner
Stefan Sielaff.
Gesprochen wurde dabei auch.
202 It’s in the Mix
Lamas im Taxi und Giraffen im
Mini: Paul Fuentes arrangiert
die Welt, wie sie ihm gefällt.
208 It’s hot, baby
Die Klimaregelung im neuen GTI
mal modisch umgesetzt.
250 Rennfahrer wie wir
Die Liste der Motorsport-Zitate
am modernen Automobil ist
lang – und das Ziel noch lange
nicht in Sicht.
252 Fahrkultur
Kalifornische Träume, Tank-
Routen, Edward Hopper, die Pet
Shop Boys und – last but not
least – Tom Cruise.
90 Waterproof
Jede andere Präsentation wäre
abgesagt worden. Die des Jeep
Gladiator nicht.
128 Teilchenbeschleuniger
Viele beschleunigte Teilchen
und ein beschleunigter CUPRA
Ateca.
218 Alles in Ordnung
Nicht grundsätzlich, aber mit
diesen Uhren auf jeden Fall
denkbarer.
138 Trial and Error
Eine tolle Kiste. Eine wüste
Geschichte. Klaus Erich
Küster über seine Fiat Panda-
Kampagne.
226 Hoch oben
Eine unhysterische Nachtfahrt
im Range Rover Sport P400e.
147 Short Stories
Herausgeber
Christian Gläsel, Michael Köckritz
Chefredakteur / Creative Director
Michael Köckritz
Stellv . Creative Director
Nadine Hanfstein
Head of Inhouse Publications
Cedric Pfaus
Art Direktion
Philipp Gentner, Carolin Watzlawik,
Franziska Wolf
Textchefin
Wiebke Brauer
Creative Board
Olivier Ellerbrock, Udo Lindenberg, Christian
Malorny, Frank Marrenbach, Dr. Andreas Narr,
Prof. Dr. Bernhard Pörksen, Helmut Schlotterer
Redaktion
Natalie Diedrichs, Bernd Haase, Marco Knab,
Tim Köckritz, Matthias Mederer, Alexander
Morath, Tom M. Muir, Michael Petersen,
Marc C. Röder, Peter Thul
Projektmanager Inhouse Publications
Ann-Katrin Reinhard
Bildredaktion
Antonietta Procopio
Graphic Design
Carmen Krafft, Sandra Stephan
Lektorat
Korrekturbüro Burger, Tübingen
→ korrekturburger.de
Mitarbeiter an dieser Ausgabe
Maximilián Balázs, David Breun,
Paul Fuentes, Steffen Jahn, Wladimir Kaminer,
Kirill Kirsanov, Roman Kuhn, Gregory Gilbert-
Lodge, Vincent Perraud, Peter Schreiber, Iris
Soltau, David Staretz, Philipp Tingler, Martin
Trockner, Helmut Werb
Verlag
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Obere Wässere 5
72764 Reutlingen
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Cover
© Matthias Mederer · ramp.pictures
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ist, haben nur einen Fehler: Sie sind uninteressant.
Und doch: Für Irrtümer, Druckfehler oder Unvollständigkeiten
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ramp Auto.Kultur.Magazin erscheint viermal jährlich
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(25 % Rabatt). Jahresabonnement als E-Paper:
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Alle Preise inkl. gesetzlicher MwSt.
ISSN 2568-1958
Das Bilster Berg Drive Resort ist
Kooperationspartner von uns und
gleichzeitig auch »ramp home
base«. Als Medienpartner berichten
wir regelmäßig vom und über
den Bilster Berg.
Contributors
Die Freude am Chaos?
Unsere Contributors erklären sich.
Maximilian Balázs
Fotograf
Philipp Tingler
Autor
Steffen Jahn
Fotograf
Peter Schreiber
Fotograf
Fühlt sich nach zu Hause an.
Das ist gar keine richtige Frage.
Nietzsche hat es schon gewusst:
»Ich sage euch: Man muss immer
noch Chaos in sich haben, um
einen tanzenden Stern gebären zu
können.«
Die Freude über meine 18-jährige
Tochter ist riesig, das Chaos in
ihrem Zimmer auch!
MY STYLE.
MY STATEMENT.
GERARD BUTLER´S CHOICE.
Kirill Kirsanov
Fotograf
David Staretz
Autor, Objekthersteller
Christian Malorny
Weltautochef A.T.Kearney /
Member of Creative Board
Wiebke Brauer
Textchefin
Eigentlich nicht, zumindest nicht
bewusst. Jedoch hat Chaos sehr oft
Großartiges in meinem Leben
hervorgebracht!
Wenn das keine Fangfrage ist! Dass
es in meinem Maschinen-Atelier
chaotisch zugeht, bedeutet nicht,
dass es mich freute. Vielmehr jedoch,
es ist mein Impetus.
Ich liebe Chaos. Dann kann ich
wieder aufräumen!
Der einzige chaotische Ort in
meinem Leben ist die Garage, in der
sich Ersatzteile, Putzmittel, Planen
und eine stattliche Sammlung von
Musik-Kassetten türmen. Das ist
wenig erfreulich. Obwohl – für die
zahllosen Spinnen darin schon.
OLYMP.COM
Higgledy Piggledy
19
… UNTERWEGS …
Universum, im Januar 2020
Wir sind Billionen. Jeder Einzelne von uns. Trilliarden.
Es gibt uns hier. Und dort. Und überall. Und wir
vermehren uns ständig. Ein Gespräch mit dem amerikanischen
Astrophysiker Sean Carroll, der erklärt,
dass sich das Universum fortwährend in Myriaden
neuer Welten vervielfältigt.
Was er außerdem glaubt: dass der Raum wahrscheinlich
nur eine Illusion ist.
Während des Interviews befand sich der Kosmologe
übrigens in Los Angeles. Also unter anderem. Ganz
genau wissen wir es natürlich nicht.
Und ich? Ich wiederum identifizierte kurzerhand einen
Lamborghini Huracán Evo als idealen Mobilfunkzellenort
und materialisierte daher während des kurzweiligen
Austausches grundsätzlich fröhlich beschwingt
durch meine Teile des Universums.
Sollten meine Trilliarden anderen Ichs doch mal
sehen, wo sie bleiben.
Text
Michael Köckritz
Fotos
Matthias Mederer · ramp.pictures
20 Intro ramp #49
Vielleicht beginnt man das
Gespräch erst einmal vorsichtig
mit besagter Katze im Karton. Mit
der man so seine Probleme hat.
Tja. Quantenphysik.
Ich habe nie wirklich verstanden, warum Schrödingers Katze
ausgerechnet dann sterben muss, wenn ich den Deckel des
Kartons hebe und hineinschaue. Und nun sollen ich und die
Katze noch in unzähligen Versionen weiterbestehen. In
unzählbar vielen parallelen Universen. Jedes meiner Ichs geht
seinen eigenen Weg. Und keines meiner Ichs wird jemals
wieder was mit mir zu tun haben. Ich teile eine Vergangenheit
mit den Unzahlen meiner »Alter Egos«, aber keine Zukunft.
Sagt zumindest Sean Carroll.
In seinem neuen Buch »Something Deeply Hidden: Quantum
Worlds and the Emergence of Spacetime« befasst sich der
amerikanische Kosmologe mit der sogenannten Viele-Welten-Theorie.
Vielleicht beginnt man das Gespräch erst einmal
vorsichtig mit besagter Katze im Karton. Mit der man so seine
Probleme hat. »Schrödingers Katze war ein Gedankenexperiment«,
beruhigt Carroll meine persönliche Quantenphobie.
»Schrödinger und Einstein hatten ihre Zweifel an den Theorien
der Quantenphysik der damaligen Zeit. Demnach gibt es
einen großen Unterschied zwischen einem System, wenn man
es betrachtet, und wenn man es nicht betrachtet. Sie erfanden
eine elaborierte Theorie, in der die Katze gleichzeitig tot und
am Leben ist, bis zu dem Augenblick, an dem man den Deckel
aufmacht.«
Seit über 90 Jahren versuchen wir die Welt der kleinsten denkbaren
Teile, der Moleküle und Atome, zu verstehen. Quantenphysik.
Wir bauen damit zwar Computer und Leuchtdioden und
revolutionieren die Telekommunikation und suchen (und
finden) mysteriöse Teilchen und Bausteine wie das Higgs-
Boson, aber die meisten von uns (mich mit eingeschlossen)
verstehen weder, was es mit Higgs-Boson genau auf sich hat,
noch können wir eine logische Erklärung für das liefern, was
Quantenphysik eigentlich bedeutet und wie sie funktioniert.
Unser normales, auf ein dreidimensionales Universum kalibriertes
Hirn hat mit den multidimensionalen Konventionen
der Quantenphysik so seine Verständnisprobleme. Selbst der
amerikanische Physiker und Nobelpreisträger Richard
Feynman hatte in den Sechzigerjahren Erklärungsnotstand mit
seinem eigenen Fachbereich. »Niemand versteht die Quanten-
theorie«, so Feynman. Das läge vor allem am Doppelspalt-Experiment
(zu dem wir noch kommen). Und das sei »unmöglich,
absolut unmöglich auf klassische Weise zu erklären«.
Quantenmechanik (oder Quantenphysik) ist also anwendbar,
widerspricht aber jeglicher konventionellen Logik.
Warum haben selbst Physiker damit Probleme?
Warum soll sich Natur anders verhalten, wird sie erst einmal
beobachtet?
»Das ist das große Rätsel, über das wir schon fast ein Jahrhundert
nachgrübeln«, sagt Sean Carroll. Die meisten Physiker
hätten sich einfach mit dem Phänomen abgefunden, sagt er,
und handeln nach der Prämisse »Halt’s Maul und rechne!«
Er jedoch bezieht Distanz zur Kopenhagener Interpretation
der sogenannten »Superposition«, die in ihrer reduzierten
Form besagt, dass ein Quantenteilchen – wie ein Elektron zum
Beispiel – an mehreren Orten gleichzeitig existieren kann und
dass allein die Tatsache der Beobachtung jenes Quantenteilchen
dazu bringt, sich in nur einem Platz zu materialisieren.
Siehe unsere Katze.
Aber was passiert dann mit dem anderen, dem unbeobachteten
Teilchen? Energie kann ja nicht verschwinden. Und: Was
verstehen wir unter Beobachtung oder Messung? Wie oft und
schnell geschieht das? Wie soll ein solcher Apparat zur
Messung aussehen? Muss ein Mensch dahinterstecken, oder
eine Art von Bewusstsein? Unbeantwortete Fragen, die Sean
Carroll und viele seiner Kollegen seit Jahren frustrieren.
Dann hatte Carroll eine andere Idee. Anstelle der Kopenhagener
Interpretation griff er die alte Viele-Welten-Theorie von
Hugh Everett auf, der das Universum 1957 als ein sich ständig
änderndes System von Zahlen beschrieb, die alle auf einer
Gleichung basieren. Entgegen der Kopenhagener Interpretation
splittet sich das Universum nach Everett nämlich kontinuierlich
in neue Zweige ab, es kommt zu keinem Kollaps der
Wellenfunktion, sondern produziert unzählige Versionen von
mir – oder ihr oder ihm oder uns allen. Nur um sich danach
wiederum in unzählige andere Splits aufzuteilen.
Und so weiter bis in alle Endlichkeit.
»Dieser Split geschieht, wenn in einem kleinen quantenmechanischen,
superpositionierten System Atome zerfallen, und
jedes Mal, wenn das passiert, verzweigen sich die Universen in
unterschiedliche Systeme innerhalb der weiteren Welt. Das
hat jedoch nichts mit der Aktivität eines Menschen zu tun.«
Carroll zitiert das bereits erwähnte (und nicht auf klassische
Art zu erklärende) Doppelspalt-Experiment. Versuchen wir es
→
22 Intro ramp #49 Higgledy Piggledy
... Unterwegs ...
23
trotzdem: Dabei werden Elektronen durch zwei Spalten geleitet
und erscheinen auf einem dahinter angebrachten Beobachtungsschirm
als wirres Interferenzmuster. Der Beobachter
kann somit nicht erkennen, durch welchen Spalt die Elektronen
fließen, weil sich die Teilchen verhalten wie Wellen, die
sich beeinflussen, übereinanderfließen. Werden die Wege der
Elektronen jedoch durch einen Detektor geleitet, erkennt man
zwei Striche. Die Elektronen verhalten sich nun wie Teilchen.
Die Viele-Welten-Theorie interpretiert diese Verhaltensweisen
mit dem Aufspalten des Universums im Moment des Messens.
In der einen wird das Elektron am linken Spalt gemessen, in
der anderen am rechten.
»Als Kind hatte ich mich davor gefürchtet, dass das Universum
vielleicht gar nicht existiert«, sagt Carroll. »Das hat mir oft den
Schlaf geraubt. Die Viele-Welten-Theorie löste nie diese Angst
aus. Obwohl die Fragen existenziell sind, wissen wir nicht, ob
die unzähligen Kopien von uns jemals einen Sinn ergeben
können. Sind sie wirklich wir? Sind sie in irgendeiner Weise
bedrohlich? Die Antwort darauf ist mit einer gewissen Sicherheit:
Wir sollten so tun, als gäbe es diese Welten nicht.«
Trotz dieser absichtlichen Ignoranz sei es aber eine Tatsache –
»Wir können das verifizieren. Das sind absolut konventionell
klare Voraussagen!« –, dass eine unzählbar hohe Zahl von
parallelen Universen existiert, dass es vielleicht keine unendliche,
aber eine unfassbar hohe Zahl von Ichs gibt, die nebeneinander
existieren, sich aber nie treffen können. Die ihre
eigenen Wege gehen können, oder aber identisch weiter existieren
– oder vielleicht schon lange tot sind. »Es ist durchaus
denkbar, dass ein anderer Sean Carroll die Viele-Welten-Theorie
irgendwo für ausgemachten Blödsinn hält oder Präsident
wird«, lacht er. »Und er telefoniert gerade mit jemandem, der
Schrödingers Katze für das Normalste der Welt hält.« Alles, was
geschehen kann, wird nach der Viele-Welten-Theorie in einem
der Myriaden von Universen auch eintreten.
Deshalb sei das Konzept unserer Realität so schwierig zu
verstehen, gibt Carroll zu. Ein vollkommen unkonventionelles
Verständnis sei nötig, was denn nun in Wirklichkeit wirklich
ist. »Realität ist ein Vektor im Hilbert-Raum« sei nicht unbedingt
etwas, das einfach zu erfassen sei.
Realität ist die Totalität von allem Existierenden, sowohl von
dem, was wir sehen, als auch von dem, was wir nicht sehen.
»Wir sehen Häuser und Tische und Planeten, die durch den
Raum schweben«, versucht er sein Bestes. »Quantenmechanik
jedoch besagt, dass es weder Tische noch Leute gibt, sondern
nur etwas, das wir Wellenfunktion nennen. Die klassische Definition
unserer Welt ist eine ungefähre Beschreibung dieser
Wellenfunktionen. Die Aufgabe von Physikern und Philosophen
besteht nun darin, zu erklären, warum es Leute und Tische und
Planeten gibt, wenn wir in einer Welt von Wellenfunktionen
leben. Darüber haben wir uns noch nicht einigen können.«
Carroll hat ein außerordentliches Talent, darüber zu dozieren,
warum sich das Universum laut der Viele-Welten-Theorie
permanent in neue Ableger spaltet, warum wir uns ein relaxtes
Alles, was geschehen kann, wird
nach der Viele-Welten-Theorie in
einem der Myriaden von Universen
auch eintreten.
Verhältnis zu unseren alternativen Ichs aneignen sollten und
die Katze doch nicht sterben muss. Und dazu ein endloses Maß
an Geduld. Nicht umsonst ist der 53-Jährige Inhaber zweier
Lehrstühle in Physik – einmal forscht er am California Institute
of Technology, kurz Caltech, in Pasadena, zum anderen
ist er Gastprofessor am renommierten Santa Fe Institute. Und
er versucht seit vielen Jahren ziemlich erfolgreich, seinen
Studenten beizubringen, warum wir auf der atomaren Ebene
nur aus Schwingungen bestehen und warum unsere Realität
eigentlich eine Illusion sei. Dass Raum und Zeit relative
Begriffe sind (Raum mehr als Zeit, doch davon gleich mehr),
fällt bei angehenden Akademikern in Southern California und
New Mexico sicherlich auf dankbaren Boden. Ich hätte solche
Erklärungen nach dem Genuss von größeren Mengen Tetrahydrocannabinol
auch völlig verständlich gefunden.
Doch nun zum Thema Raum und Zeit. Carroll: »Zeit bleibt
Zeit, unverändert, weil es eben Zeit ist. Raum hingegen ist ein
bisschen komplizierter, weil sich Raum eben dupliziert. Es ist
nicht nur, dass es Raum so nicht gibt, sondern dass sich die
entstehenden Welten nicht im Raum befinden. Im Gegenteil,
es ist eigentlich andersrum. Raum ist in allen differenten
Welten enthalten. Wenn man also fragt, wo genau diese Welten
sind, gibt es keine Antworten. Man kann es simplifizieren –
die Viele-Welten-Theorie bietet eine ganz neue Sichtweise auf
das, was Realität wirklich ist.«
So wirklich vereinfacht klingt das nicht. Und dann fügt der
Mann, der uns das beibringen will, allen Ernstes noch hinzu,
er würde »Klarheit statt Rätsel« bevorzugen. Er glaube an
keinen Gott, sagt er, auch nicht an mehrere. In der Natur sehe
und habe er alles und mehr, als er brauche. »Die Natur als
physisches System ist mehr als ausreichend für mich. Natur
ist vielfältig, komplex und hält sich überraschenderweise an
alle physischen Gesetze.« Wissenschaft hätte für alles eine
Erklärung. »Solange ich damit klarkomme, werde ich mich
daran halten«, meint er, und ich kann sein Lächeln am Telefon
hören.
Allerdings sei die Philosophie heute relevanter für die Physik
als noch vor einiger Zeit, lenkt er ein. »Es gibt konzeptionelle
Fragen, die Philosophen besser beantworten können als
Physiker, speziell in komplexen Systemen wie der Quantenphysik.
Oder zumindest sind sie in der Lage, Probleme aufzuzeigen
und Interpretationen zu bieten. Die Wissenschaft kann
hoffen, die Welt zu erklären, was sie ist und was mit ihr
geschieht. Aber sie kann nicht erklären, was gut oder schön
ist. Wissenschaftler können auch in der Zukunft nicht alle
Fragen beantworten, aber forschen. Ich glaube nicht, dass uns
→
24 Intro ramp #49
Religion oder Mystizismus weiterbringen, wir sollten unseren
Weg in der Welt der Natur finden, so wie sie von den Wissenschaften
beschrieben wird.«
Dass ein solcher Querdenker eine enorme Attraktivität auf Filmproduzenten
im benachbarten Hollywood ausübt und sich
wiederum in die Niederungen der Unterhaltungsindustrie
begibt, überrascht nicht. Abgesehen von der Tatsache, dass seine
Frau Jennifer Ouellette Wissenschafts-Journalistin ist und sich
darauf spezialisiert hat, Wissenschaft und Unterhaltung miteinander
zu verbinden. Filme wie »Interstellar«, »Avengers:
Endgame« oder »12 Monkeys« sind von der Quantenmechanik
beeinflusst, und Sean Carroll gehört zu den gefragtesten wissenschaftlichen
Ratgebern bei Drehbuchautoren und Regisseuren.
Die These, dass sich jeden Augenblick parallele Universen neu
erschaffen, wirkt wie ein Aphrodisiakum auf die Macher in den
Traumfabriken. In Filmen wie »Thor« oder »Hulk« gab der Herr
der vielen Welten den Superhelden einen Anstrich von Glaubwürdigkeit.
Für »Illuminati« mit Tom Hanks berechnete er den
Effekt der Explosion einer Antimaterie-Bombe, ein Schreckens-Event,
das es nur als Fiktion gibt.
Trotzdem ist nicht zu überhören, dass ihm seine Arbeit für die
Filmindustrie ebenfalls großen Spaß macht. Bislang ist es
jedoch ein Hobby geblieben – meist gab’s keinen Credit im
Abspann, dazu, so sagt er, hätte er immer ohne Gage gearbeitet
(»Nur um zu helfen!«).
Das ist in einem Parallel-Universum natürlich ganz anders.
Hofft er.
Damit ist das Telefonat dann auch beendet und ich bin wieder
alleine mit mir, der Nacht, dem Universum und diesem
Lamborghini. Der ganze Rest ist ausgeblendet. Plötzlich gibt es
nur noch eine Welt. Meine! Und die bietet sich in dem Huracán
Evo wunderbar konkret an. Die Idee des Urknalls bekommt im
Folgenden ein paar neue Facetten, und ich ahne, wie das mit
der Intuition in Grenzbereichen, der Verformung des Raums
und der Steigerung des Unwahrscheinlichen tatsächlich
gemeint sein könnte. Statt rechte oder linke Spalten zählen nur
noch Ideallinien. Die Zeit verfliegt, so verhält sich Natur.
Nur gut, dass mich niemand beobachtet.
Dass eine irrationale Scheibenwelt im Film »Thor« in eine
realistischere Kugel verwandelt wurde, verdanken wir ebenfalls
Sean Carroll (»Quantenphysik hin oder her, es gibt so
etwas wie ein hydrostatisches Gleichgewicht, das jeden
Planeten in eine ungefähre Kugelform bringt.«). Er konnte
zwar Thors physikalisch unlogischen Hammer nicht verhindern,
ließ aber die Flugbahn neu – und korrekt – berechnen.
»Ein Superhelden-Film ist kein Dokumentarfilm«, lacht er.
»Was man rüberbringen will, ist die Essenz der Wissenschaften.
Im Leben bestimmen die Naturgesetze das
Geschehen, im Film bestimmt immer ein Mensch, was geht
und was nicht. Da versuche ich auszugleichen. Praktizierte
Hollywood-Diplomatie.«
Wie muss also ein Wurmloch im Film »Interstellar« aussehen?
In der Wirklichkeit, in der Wurmlöcher tatsächlich existieren,
sind sie vollkommen unspektakulär. »Im Kino müssen Lichter
blinken und es muss blitzen. In der Realität sind sie unsichtbar.
Wir Wissenschaftler machen aus solchen Dingen Experimente.
Hollywood macht daraus Blockbuster.«
Sean Carroll wird seinen Hauptjob sicherlich nicht aufgeben.
»Es ist eine aufregende Zeit für die Quantenphysik, obwohl es
sie schon neunzig Jahre gibt. Wir beginnen erst langsam, in
die Geheimnisse einzutauchen. Die Theorie ist spannend, aber
auch die neuen Entwicklungen wie die Informationstechnologie
sind faszinierend. Das ist zurzeit der Forschungsbereich,
der intellektuell am interessantesten ist«, sagt er.
Lamborghini Huracán EVO
MOTOR
HUBRAUM
LEISTUNG
DREHMOMENT
V10-Saugmotor
5.204 ccm
0 – 100 KM / H ca. 2,9 s
VMAX
640 PS (470 kW) bei 8.000 U/min
600 Nm bei 6.500 U/min
325 km/h
SEAN M. CARROLL (*1966 in
Philadelphia) ist ein amerikanischer
Astrophysiker. Seinen
Ph.D. machte er 1993 in
Harvard, aktuell forscht und
lehrt er als Professor am
California Institute of Technology
in Pasadena. Carroll
veröffentlichte mehrere Bücher,
für sein Werk »The Particle at
the End of the Universe«
erhielt er 2013 den Royal
Society Winton Prize for
Science Books.
26
Intro ramp #49
ANZEIGE
Countdown
Text Natalie Diedrichs
Ein Potpourri der Mobilität: elektrische Dreiräder, futuristische
Zweiräder, ein SUV mit Hundedusche, natürlich ein paar Sportwagen
– und eine Handtasche.
HAT EIN AUTO CHARISMA?
Wenn es ein Jeep ®
Wrangler ist, auf jeden Fall. Wo er auftaucht, ist er markant
und abenteuerlustig Herr über Straße und Gelände
10
09
10 Jaguar F-Type
Der Brüller
Mit seiner sportlich-eleganten Form gewann der Jaguar
F-Type die Herzen vieler Petrolheads. Na ja, und vom Design
einmal abgesehen, zum Erfolg trug sicherlich auch der
knackige Sound der Abgasanlage mit Klappensteuerung bei.
Die bis zu 114 Dezibel machen das britische Coupé zu einem
der lautesten Seriensportwagen mit Straßenzulassung. Nun
erhielt der F-Type eine Modellpflege. Dazu zählen schmalere,
weiter unten positionierte Scheinwerfer, ein digitales Cockpit
und eine leicht abgeänderte Motorenpalette: Der V6 fliegt
raus, dafür bleiben der Zweiliter-Vierzylinder mit 300 PS und
die Topversion mit Fünfliter-V8-Kompressor und 575 PS. Die
heißt jetzt nicht mehr »SVR«, sondern »R«. Den V6 ersetzt eine
auf 400 PS »abgespeckte« Version des Achtzylinders. Wie laut
der dann klingt, werden wir bald berichten.
09 Bio-Laden
Nudeln mit Ketchup, bitte.
»Iss dein Gemüse!« Kaum ein Kind, das ohne diesen Satz
aufgewachsen ist. Und auch wenn uns damals so überhaupt
nicht einleuchten wollte, was an einer Ernährung ausschließlich
mit Nudeln und Ketchup falsch sein könnte, heute sind wir
unseren Eltern für die strenge Fürsorge dankbar. Wir befinden
uns auf der Schwelle vom Tech- ins Biozeitalter. Mittlerweile
gibt es für die bewusste Ernährung tausende Bio-Läden alleine
in Deutschland. Der beste kleine Fachladen ist der Laden im
Schafbrühl in Tübingen. Das fand jetzt die Schrot & Kern-
Leserwahl heraus. Bewertet wurden 2.648 Läden von 51.671
Verbrauchern.
Mehr dazu im Interview auf → ramp.space.
AB 399,– € MTL.
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Wie er das macht? Mit vielen ausgefeilten Details,
die den Jeep ®
Wrangler zum begehrten Alleskönner
werden lassen. Wie zum Beispiel sein raffiniertes
Command-Trac® Allradsystem, das automatisch
zwischen Zwei- und Vierradantrieb umschaltet,
wenn es die Traktionsverhältnisse auf der Straße
und im Gelände erfordern. Für eine beachtliche
Dynamik sorgen dabei leistungsfähige Benzinoder
Dieselmotoren, kombiniert mit einem Achtgang-Automatikgetriebe.
Smarte neue Systeme
geben noch mehr Sicherheit, wie Adaptive Cruise
Control, das automatisch die Geschwindigkeit des
Wrangler so reguliert, dass ein ausreichender Abstand
zum vorausfahrenden Fahrzeug eingehalten
wird. Und der Style kommt dabei auch nicht zu kurz:
Der Jeep-typische 7-Slot-Kühlergrill, das abnehmbare
Dach und die ausbaubaren Türen sowie eine
vorklappbare Windschutzscheibe machen den Jeep
Wrangler zum einzigen viertürigen Cabrio der Welt
und zum lässigen Begleiter. www.jeep.de/wrangler
Kraftstoffverbrauch (l/100 km) nach RL 80/1268/EWG: innerorts 10,3; außerorts 6,5; kombiniert 7,9. CO 2
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die Ausstattungsmerkmale der abgebildeten Fahrzeuge sind nicht Bestandteil des Angebotes. Nur bei teilnehmenden Jeep ®
Partnern.
28
Intro ramp #49
08
07
08 Ferrari Roma
Supernuova
07 Peugeot Motocycles P2X Roadster
Sie sind wieder da
Der neueste Supersportwagen aus Modena verkörpert laut
Website das »Nuova Dolce Vita«, was im Ferrari-Sprech so viel
wie »zukunftsweisend« bedeuten dürfte. Wasserstoff-Technologie,
Künstliche Intelligenz oder Blockchain sind im Roma
allerdings nicht zu finden. Dafür ein immerhin 16 Zoll großes
digitales Cockpit, ein 3,9-Liter-V8-Turbomotor sowie – und
das ist für Ferraristi wirklich ein Game Changer – schmale,
schlitzförmige Rücklichter anstatt der bekannten runden
Form. Dafür bleibt der Italiener mit 620 PS und 720 Newtonmetern
Drehmoment wie gewohnt leistungsstark. Der GT
beschleunigt in 3,4 Sekunden auf Landstraßentempo,
während das gleiche DTC-Getriebe wie im SF90 Stradale
durch die acht Gänge schaltet. Die Auslieferung des Roma soll
noch vor Sommer 2020 erfolgen.
Von 1899 bis 1959 war Peugeot stückzahlmäßig der größte
Motorradhersteller in Frankreich, später konzentrierte sich
die Zweiradsparte der Franzosen vor allem auf Motorroller.
2019 kaufte der indische Automobilhersteller Mahindra
Peugeot Motocycles auf, kündigte bei der Übernahme gleich
mal ein Comeback in der Motorrad-Szene an und stellte in
diesem Zuge zwei Studien vor. Eine davon ist die P2X Roads
ter, die optisch an eine Peugeot Vorkriegsmaschine namens
P515 erinnert und LED-Scheinwerfer sowie ein konnektives,
digitales Cockpit enthält. Mit ihren 125 Kubik zählt die P2X
Roadster zu den Leichtkrafträdern. Übrigens: Die darf man
seit 1. Januar nach ein paar Übungsstunden auch mit einem
Autoführerschein der Klasse B fahren.
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30
Intro ramp #49
06
05 THE M2 CS
06 Hyundai Prophecy
Mal was anderes
05 BMW Concept i4
Überall »i Blau«
Inzwischen ist es ja so, dass sich die Modelle vieler Autohersteller
kaum noch voneinander unterscheiden. Mit der Studie
»Prophecy« setzt Hyundai nun einen Gegentrend: stromlinienförmig,
sportlich, nicht zu aggressiv, in jedem Fall aber
polarisierend – mit anderen Worten: ein völlig neuer
Hyundai. Dazu passt dann auch, dass im Innenraum das
Lenkrad zum Steuern des Elektroautos fehlt. Das übernehmen
zwei Joysticks, die sich links und rechts vom Fahrersitz
befinden. Gemäß seinem Namen »Prophecy« soll das Konzept
die Richtung des künftigen Hyundai Designs vorgeben und
sich als Ikone im Portfolio der Marke etablieren. Und so viel
ist klar: Ikonen verwechselt man selten.
Wo schaut man bei einem BMW zuallererst hin? Genau, auf
die Niere. Wow, die fällt beim BMW Concept i4 gewaltig aus.
Wir lernen, dass die nun nicht mehr der Motorkühlung dient.
BMW bezeichnet die Niere als »Intelligenzfläche, in der
Sensoren verbaut sind«. Die kümmern sich um viele Bewegungen
des rein elektrischen Gran Coupés mit vielversprechenden
Eckdaten: 600 km Reichweite, bis zu 530 PS,
von 0 auf 100 km/h in zirka 4,0 Sekunden, Topspeed über
200 km/h. Kleiner Haken: Der BMW i4 als Ableger der Studie
kommt erst 2021 auf den Markt. Bis dahin bleibt der Blick auf
die Studie. »Frozen Light Copper« wurde die Außenfarbe
getauft, Dazu gibt es überall »BMW i Blau«: an Front, Seite
und Heck und erst recht an den Diffusoren.
BMW M2 CS:
Fuel consumption in l/100 km (combined): 10.4-10.2 [9.6-9.4]. CO2 emissions in g/km (combined): 238-233 [219-214].
All fuel consumption and emissions figures are provisional. The figures in brackets refer to the vehicle with seven-speed M double-clutch transmission with Drivelogic.
The values of fuel consumptions, CO2 emissions and energy consumptions shown were determined according to the European Regulation (EC) 715/2007 in the version applicable at the time of type approval. The figures refer to a vehicle
with basic configuration in Germany and the range shown considers optional equipment and the different size of wheels and tires available on the selected model. The values of the vehicles are already based on the new WLTP regulation and
are translated back into NEDC-equivalent values in order to ensure the comparison between the vehicles. [With respect to these vehicles, for vehicle related taxes or other duties based (at least inter alia) on CO2-emissions the CO2 values
may differ to the values stated here.] The CO2 efficiency specifications are determined according to Directive 1999/94/EC and the European Regulation in its current version applicable. The values shown are based on the fuel consumption,
CO2 values and energy consumptions according to the NEDC cycle for the classification. For more information on the WLTP and NEDC test procedures, seehttps://www.bmw.com/en/innovation/wltp.html. Further information on official
fuel consumption figures and specific CO2 emission values of new passenger cars is included in the following guideline: ‚Leitfaden über den Kraftstoffverbrauch, die CO2-Emissionen und den Stromverbrauch neuer Personen-kraftwagen‘
(Guide to the fuel economy, CO2 emissions and electric power consumption of new passenger cars), which can be obtained free of charge from all dealerships, from Deutsche Automobil Treuhand GmbH (DAT), Hellmuth-Hirth-Str. 1, 73760
Ostfildern-Scharnhausen and at https://www.dat.de/co2.
32
Intro ramp #49
MEN’S GROOMING PRODUCTS
04
03
04 BST Hypertek
Für Freibiker
03 McLaren 765LT
Spätzünder
»It’s quite something«, sagte der Motorrad-Designer Pierre
Terblanche über sein neuestes Werk in einem Interview. Ein
deutsches Leitmedium für Motorradjournalismus beschreibt
die BST Hypertek als »wilden Mix aus verschiedensten
Elektrogeräten«. So oder so bricht Terblanche, der zuvor unter
anderem die Ducati 749 und 999 entwarf, in diesem Fall
deutlich mit den bisherigen Konventionen des Motorraddesigns:
eine minimalistische Sitzbank, darunter viel
Freiraum und ein wuchtiger, 80 kW starker Elektromotor,
eine fast vollständig verkleidete Gabel, viel Kohlefaser, dafür
aber kein Cockpit. Normalerweise fertigt die südafrikanische
Firma BST vor allem Räder für Motorräder und Autos – die
Hypertek dürfte daher maximal in Kleinserie produziert
werden.
In einer immer komplexer werdenden (Supersportwagen-)Welt
pflegt McLaren eine äußerst angenehme und souveräne Ruhe
und Geradlinigkeit an den Tag zu legen. Die Autos aus Woking
sind allesamt sauschnell, extrem schön und vor allem leicht.
Entsprechend simpel und technisch hergeleitet sind auch ihre
Modellbezeichnungen. Im Grunde ist es die PS Zahl mit einem
oder zwei Buchstaben hinten dran. Die Spannung beim 765LT
lag also weniger darin, ob er denn kommen würde (das war
eigentlich logisch, Stichwort Geradlinigkeit), die Spannung lag
vielmehr darin, wie er denn nun heißen wird: von 750 bis
780LT war eigentlich alles denkbar. Geworden ist es jetzt ein
765LT, womit dann auch die PS-Zahl bekannt ist. Ach ja, schön
und leicht ist er natürlich auch wieder. Nur das mit der Ruhe
darf beim Blick auf die vier offen austretenden Auspuffrohre
dann in Zweifel gestellt werden.
GRAHAMHILL-COSMETICS.COM
34
Intro ramp #49
Higgledy Piggledy
Countdown
35
01
02
00
02 SEAT Leon
Planet der Leons
01 Mini Cooper SE
PR-Profi
© Shutterstock
00 Handtasche
Der Rand des Universum
Der Gesellschaft für deutsche Sprache zufolge war der Name
»Leon« von 1999 bis 2010 durchgängig unter den zehn am
häufigsten vergebenen Vornamen für männliche Säuglinge,
2001 belegte er sogar Platz 1. Für diejenigen, die einem dieser
Leons zu dessen 18. Geburtstag ein ganz besonderes Geschenk
machen wollen, hier mal ein Tipp: Die neue Generation seines
automobilen Namensvetters ist jetzt draußen. Das dynamische
Design des SEAT Leon dürfte bei Freunden gut
ankommen, ohne allzu dick aufzutragen, dank vieler Assistenz-
und Sicherheitssysteme wie adaptiver Fahrwerksregelung
und intuitiver Sprachsteuerung ist man bequem und
sicher unterwegs – und für diejenigen, die freitags demonstrieren
gehen, gibt’s ihn neuerdings auch als Plug-in-Hybrid.
Die Unternehmensberatung Progenium hat 2018 in einer
Erhebung das Image von Autofahrern verschiedener Marken
ermittelt. Die Befragten hielten Mini-Fahrer der Studie
zufolge für weltoffen, attraktiv, sportlich, schlank und
fröhlich. Nur gut die Hälfte fand allerdings, dass Mini-Fahrer
auch umweltbewusst seien. Dieser Aspekt könnte sich nun
mit dem ersten rein elektrischen Mini Cooper SE ändern. Sein
32,6 kWh großer Akku wurde platzsparend im Unterboden
verbaut, sorgt für 270 Kilometer WLTP-Reichweite und ist bei
einer Ladeleistung von 50 kW binnen 35 Minuten zu 80
Prozent geladen. Der 135 kW (184 PS) starke Elektromotor
stammt aus dem BMW i3. Damit kann der weltoffene,
attraktive, schlanke Mini-Fahrer dann demnächst sportlich,
fröhlich und lokal emissionsfrei durch die Stadt düsen.
Wir werden eines Tages alle Geheimnisse des Ozeans entschlüsselt
haben, wir werden den Rand des Universum erforscht
haben und vielleicht wird just in diesem Moment eine Frau
sagen: »Verdammt, ich kann mein Handy nicht finden.« Und sie
wird aufgekratzt in ihrer Handtasche wühlen, schließlich will
sie ja ein Foto machen vom Rand des Universums. So wird es
sein. Vermutlich. Denn wenn eines sicher ist, dann, dass wir
niemals verstehen werden, nach welchen Naturgesetzen der
Inhalt einer Handtasche sich ordnet. Das einzig beruhigende
aus Sicht von Männern ist vielleicht, auch die Frauen selbst
werden das Chaos in ihrer treusten Begleiterin nie vollständig
entschlüsseln. Eine Studie ergab jetzt, dass Frau im Schnitt 76
Tage ihres Lebens damit verbringt in ihrer Handtasche etwas
zu finden. Der Fußballtrainer Jürgen Klinsmann nutzte diese
Zeitspanne übrigens für seine Trainertätigkeit bei Hertha BSC.
Auch so ein Chaosfall.
1
© Jan Von Holleben / Trunk Archive
Ganz
schön
was los
hier.
38 Ganz schön was los hier. ramp #49
Higgledy Piggledy
39
Wachtmeister
Geschmacksverstärker
Salz- und Pfefferstreuer stehen meist verschämt am
Tischrand herum (auch in der Gastronomie), weil das
Nachwürzen noch immer als Affront gegen den Koch ausgelegt
wird. Diese schönen Exemplare in Form von Raketen
dürfen (auch wegen des Preises) gern im Mittelpunkt
stehen, sind sie doch aus Sterling-Silber sowie weißer und
schwarzer Emaille gefertigt.
→ asprey.com
Die gute Nachricht vom BKA: Die Zahl der WEDs (Wohnungseinbruchdiebstahl)
ist rückläufig. Wer sein Hab und Gut trotzdem
schützen will, spart sich die Alarmanlage und holt sich den
Spexor von Bosch. Das handliche Ding, dessen Akku zwei Monate
reicht, kann im Haus, im Auto oder im Wohnwagen aufgestellt
werden. Sobald seine Sensoren Veränderungen in der näheren
Umgebung registrieren, schlägt das Gerät auf dem Smartphone
Alarm oder gar bei der Polizei.
→ spexor-bosch.com
Planwirtschaft
Organisation ist selten eine Frage des Willens,
sondern meist eine der praktischen Umsetzung.
Hilfreich könnte dabei dieser reduzierte und
übersichtliche Tagesplaner von Wit & Delight sein.
Eingebunden in Leder mit Markierungsband, lassen
sich Prioritäten für die jeweilige Woche verfassen
und die Hochs und Tiefs mit Smileys markieren.
Einfach nur herrlich analog.
→ witanddelight.com
Schüttelfest
Auf die Idee, einen 50er-Jahre-Rennwagen mit einem
Cocktailshaker zu kombinieren, muss man erst mal
kommen. Der vierteilige Racing Car Cocktailshaker
von Asprey ist aus Sterling-Silber gefertigt und mit
Holzrädern versehen. Wie man seinen Long Island Ice
Tea dann schüttelt, beziehungsweise ins Ziel fährt,
bleibt jedem selbst überlassen.
→ asprey.com
Uber-Flieger
Wer sich 2023 einen Uber bestellt, muss vielleicht
nicht mehr am Straßenrand warten, sondern auf dem
Hausdach. Hübsche Idee. Zumindest präsentierte der
Autohersteller Hyundai zusammen mit dem Fahrdienstvermittler
jüngst den Protoypen eines elektrischen
Vier-Sitzer-Flugtaxis namens SA-1. Es erreicht einen
Top-Speed von 260 km/h, kommt bis zu 600 Meter hoch
und hat eine Reichweite von 100 Kilometern.
→ uber.com
Short Cuts – 01
Text Martin Trockner
Kraut und Rüben, die erste: Wer braucht schon eine strukturierte
Einkaufsliste, wenn man ganz wild auf diese ganz
verschiedenen Dinge sein kann?
Weißabgleich
»Die Farbe Weiß bleibt dem künstlerischen Ausgangsmaterial
am nächsten und schließt jede Ablenkung,
etwa die Erzeugung von Illusion, aus« war das Credo
des amerikanischen Malers Robert Tracy Ryman. Diesem
Motto folgt auch die auf 350 Stück limitierte Leica M
10-P »White«. Hier sind nicht nur Deckklappe und
Bodendeckel weiß lackiert, auch die Vollrindbelederung
ist in dieser Farbe gehalten.
→ leica-camera.com
Vision
»Ein Zustand ist schlimmer als die Blindheit,
nämlich Dinge zu sehen, die nicht da sind.«
Stammt von Thomas Hardy. So, schöne Überleitung
zur VR-Brille, die Panasonic auf der
diesjährigen CES in Las Vegas vorgestellt hat.
Die ist HDR-fähig und unterstützt zudem noch
den Funkstandard 5G. Serienreif ist sie leider
noch nicht.
→ panasonic.com
40 Ganz schön was los hier. ramp #49
Higgledy Piggledy
41
Und jedem
Chaos wohnt ein
Zauber inne
Plädoyer für mehr Kraut und Rüben. Und was das mit
dem Bedeutungswandel des Autos zu tun hat. Und mit
George Orwell.
Text
Philipp Tingler
Illustrationen
Gregory Gilbert-Lodge
Ach, das Chaos, meine Damen und Herren. Man
wird ja regelrecht nostalgisch. Können Sie sich
noch an das Chaos erinnern? Ich bin alt genug.
Opa erzählt vom Krieg, Opa erzählt von Punkern,
Opa erzählt vom Chaos. Aww, Kraut und
Rüben. Those were the days. Das war einmal.
Punk ist vorbei. Schon lange. Ich gebe Ihnen mal
einen kleinen Überblick über die Chronologie der
Modernen, also: Moderne, Postmoderne, Spätmoderne.
Sind Sie noch da? Andere Leute bieten
andere Überblicke, mir erscheint der folgende
am einleuchtendsten:
Die klassische industrielle Moderne umfasst
die sogenannten glorreichen dreißig Jahre von
1945 bis 1975. Dann: Ölkrise, Zusammenbruch
des zentral gesteuerten globalen Finanzsystems
von Bretton Woods 1973 und die Entwicklung
des Apple I, des ersten bezahlbaren Personal
Computers im Jahre 1976. Damit begann die
recht kurze Phase der Postmoderne, eingeläutet
durch die kulturelle Bewegung des Punk, deren
Maxime »No Future« lautete und die passenderweise
eigentlich nur drei Jahre dauerte, bis zur
ersten Auflösung der Sex Pistols 1978 (der ersten
von vier, das nur am Rande). Doch die Zukunftsskepsis
blieb, dieser Sprung und größer
werdende Schatten in der im Kern liberalen
Fortschrittserzählung der gloriosen dreißig
Jahre. Parallel dazu schritten auch in den letzten
Dekaden des letzten Jahrhunderts Vermarktlichung
und Verwissenschaftlichung voran. So
wie die Idee universeller Menschenwürde als
einem säkularen Begriff der Gottesähnlichkeit.
Those were the days. Die seligen Neunziger.
Beide Dynamiken, sowohl die Dystopie (und
Nostalgie) wie auch die ökonomische Dynamik
durch Globalisierung und Digitalisierung,
erreichten und erreichen eine neue Qualität in
der sogenannten Spätmoderne, in der wir jetzt
leben, eine Ära, die mit dem 11. September 2001
ihren Anfang nahm. Ein Datum, das die wachsende
Bedrohung der Freiheit und Aufklärung
durch vormoderne Holzköpfe symbolisiert.
Neben der technologischen und lebensweltlichen
Beschleunigung (die der Trägheit und Beharrung
des menschlichen Habitus gegenübersteht)
zeichnet sich die Spätmoderne in der westlichen
Welt durch einen neuen Zeitgeist aus: die Prämierung
von Besonderheiten und Einzigartigkeiten,
von (vermeintlichen) qualitativen
Differenzen, Partikularität; gegen das Standardisierte,
lediglich Funktionale, gegen mittelmäßige
→
42 Ganz schön was los hier. ramp #49
Higgledy Piggledy
Und jedem Chaos wohnt ein Zauber inne
43
Individuen, olle Durchschnittsware, gesichtslose
Automobile, spannungsarme Routinen. Dies im
strikten mentalen Gegensatz zur industriellen
Moderne, deren gloriose dreißig Jahre tatsächlich
nicht in jeder Hinsicht glorios waren, denn
hier herrschten Funktionalität, Standards,
Norm, Normalität, Gleichförmigkeit. Soziale
Kontrolle, kulturelle Homogenität und Diskriminierung
von Minderheiten waren hoch.
Das Chaos als Horror schlechthin
Heute scheint das ganz anders zu sein: Valorisiert
wird, was als singulär empfunden wird.
Als authentisch. Natürlich hat das eine Kehrseite.
Es gibt immer eine Kehrseite, wissen Sie
schon. Die Kehrseite ist: Verunsicherung. Rutschende
Werte. Zuflucht zu vermeintlichen Identitäten,
die in Wahrheit bloß Pseudo-Identitäten
sind. Der Schwund an Ambiguitätstoleranz und
die Sehnsucht nach einer Vereindeutigung der
Welt. Die Leute können das Chaos nicht mehr
ertragen, allein schon die Vorstellung davon
wird zum Alb. Deshalb laufen im Fernsehen so
viele Krimis und Quizsendungen, weil die eindeutige
Antworten versprechen.
Zugleich erleben wir eine Ökonomisierung
des Sozialen. Also ein Vordringen ökonomischer
Maximen und Rationalisierungen auch in Bereiche
wie zum Beispiel das Bildungswesen, die
Kultur oder die private Gastfreundschaft. Der
Philosoph Jürgen Habermas schreibt von einer
Kolonialisierung von Lebenswelten durch ökonomistisches
Denken. Und die Arbeitswelt polarisiert
sich in »Lovely Jobs« und »Lousy Jobs«:
faszinierende Selbstausbeutung in der Creative
Economy auf der einen, prekäre Scheinselbständigkeiten
der neuen Service Class in der Gig Economy
auf der anderen Seite. Dabei breitet sich
der Markt als Organisationsprinzip immer mehr
aus. Ob auf der Suche nach einem Partner oder
nach einem Bildungsabschluss: Verschiedene
Anbieter konkurrieren in Sachen Preis, Nutzen,
Wert, Prestige miteinander um die Gunst von
Nachfragern, die sich ihrerseits in einer Konstellation
der Wahl und des Vergleichens und auch
der Konkurrenz befinden.
Ist der Markt das Gegenteil von Chaos? Jedenfalls
unterstützt das Modell der Konkurrenz die
Prämierung von vermeintlichen Besonderheiten
und Einzigartigkeiten, und das sehen wir auch
auf dem Feld des Konsums: Konsumgüter
müssen narrative und symbolische Werte bieten;
ein schlichter Nutzwert reicht nicht mehr,
die Kuratierung und Ausstellung von Gütern
durch den Konsumenten im Rahmen des eigenen
Lebensstils wird bedeutsam. Wir sehen das am
Auto, das als Produkt ohnehin gerade eine
Selbstfindungskrise durchmacht. Die gesamte
Automobilbranche tendiert seit Beginn des
21. Jahrhunderts zu einer kulturellen Anreicherung
ihrer Produkte. Das Auto ist endgültig zum
kulturellen Gut geworden, prädestiniert für den
Geltungskonsum. Bis hin zum Statussymbol für
alle, die kein Statussymbol brauchen.
Der Wahn der Authentizität
Kehren wir zurück zum Anfang. Der Anfang des
Chaos ist die Mehrdeutigkeit, die Vagheit, das
Schillernde. Die Ambiguität. Wir haben festgestellt,
dass die Ambiguität immer schlechter
ertragen wird. An die Stelle der Auseinandersetzung
mit dem Anderen ist eine Hermetik des
Eigenen getreten, ein maßlos überzogenes Ideal
von Authentizität. Liegt die oft beklagte Verschärfung
des Tons in der gesellschaftlichen
Debatte auch darin begründet, dass sich die
Gesellschaft neuerdings stärker kulturell als
materiell differenziert? Oder, präziser: Wie weit
ist es von der sozialen Logik des Besonderen zur
Identitätspolitik? Identitätspolitik ist schließlich
die politische Betonung dessen, was man ist oder
zu sein meint (das ist für Identitätspolitiker, egal
ob von rechts oder links, regelmäßig wichtiger
als das, was man denkt oder anstrebt). Bei Identitätspolitik
geht es immer um Gruppenidentitäten,
sie ist insofern das gerade Gegenteil von
Individualismus. Auch hier ist die soziale Kontrolle
hoch. Trotzdem kann man sie mit dem
Streben nach Besonderheit in Verbindung bringen.
Sehr eindrücklich tut dies der Politikwissenschaftler
Francis Fukuyama in seinem Buch
»Identität«. Fukuyama sagt: Wenn Menschen auf
der Suche nach dem Authentischen und Besonderen
tief in sich blicken, finden sie oft: nichts.
Sie finden keine einzigartige Person. Was tun sie
dann? Sie suchen sich das nächstliegende Kollektiv.
Der Mensch bleibt eben oft genug trivial.
Identitätspolitik ist die Idiotenantwort auf
das Chaos. Hierzu lese man den soeben (erst) auf
deutsch erschienenen Essay von George Orwell
aus dem Jahre 1945 mit dem Titel »Über Nationalismus«.
Von Nationalismus spricht Orwell in
→
44 Ganz schön was los hier. ramp #49
Higgledy Piggledy
Und jedem Chaos wohnt ein Zauber inne
45
allen Fällen, in denen sich ein Kollektiv imaginiert,
das relativ deutliche Zugehörigkeitskriterien
formuliert. Klare Innen Außen
Dichotomien. Orwell weist folgerichtig dem
Nationalismus drei Hauptmerkmale zu: Obsession,
Instabilität und Gleichgültigkeit gegenüber
der Realität. Genau das ist heute Identitätspolitik.
Also das Abstellen und Fixieren auf vermeintliche
Besonderheiten statt auf Universalität
des Menschseins. Öffentliche Debatten neigen
immer mehr dazu, zu polarisieren und geradezu
kulturkämpferisch maximal unterschiedliche
Orientierungen zu imaginieren, extreme Standpunkte,
die bisweilen eschatologische Formen
annehmen und in Endzeiterwartungen zu einer
Selbststeigerung neigen, die mit Argumenten
nicht mehr erreichbar ist. Kompromisse oder
nur schon Diskurse werden unvorstellbar. Das
ist kein Chaos. Sondern Totalitarismus.
Wie retten wir das Chaos?
Orwell empfiehlt in seinem Essay gegen den
Nationalismus: Selbstreflexion, Selbsthinterfragung,
Selbstaufklärung. Also nicht Abstreifen
der Denkschwächen und Kurzschlüsse – das
schafft der Mensch nicht, der sich nach Orwells
Auffassung von der Präferenz für das Eigene
nicht wirklich befreien kann –, sondern
Bewusstmachung der eigenen Befangenheiten
und Irrationalitäten. In diesem Sinne ist Orwell
ein radikaler Demokrat, wenn man unter Demokratie
(bereits in Anlehnung an Alexis de Tocqueville)
jenen politischen Mechanismus
versteht, in dem sich nicht einfach die Mehrheit
durchsetzt, sondern in dem es gelingt, auch das
Oppositionelle, das Abweichende, die Gegenthese
institutionell einzufangen und in der der Unterlegene
nicht herausfällt, sondern legitim und
legal integriert ist.
Orwell plädiert für das aufgeklärte Individuum,
gegen das bornierte Kollektiv, das das
mutmaßlich Eigene borniert übersteigert. Aber
wer für das Individuum ist, muss halt auch
immer ein bisschen das Chaos in Kauf nehmen.
Das ist schließlich der Urzustand des Universums.
Das Chaos besitzt im kosmogonischen
Mythos Ähnlichkeit mit dem Nichts und der
Leere. Das kann auch ein Anfang sein. Das Chaos
ist der Anfang.
Denken wir doch mal das Chaos als Anfang
und machen einen großen Sprung von Orwell,
denn die Gedanken sind frei, und fragen: Wie
verträgt sich eigentlich eine andere kulturelle
Schreckensvorstellung mit dem Chaos, nämlich
die der Digitalisierung? Digitalisierung erzeugt
ein kulturelles Unbehagen, eine Unruhe, basierend
auf einer Kränkung. Nämlich der Kränkungserfahrung
der Berechenbarkeit und
Manipulierbarkeit und des Verlustes von Verfügungswissen.
Das hat der Mensch nicht gerne.
Die erlebte Demütigung ist eine doppelte: Man
wird erkannt durch die Maschine. Und dann
auch noch nach Mechanismen, die man regelmäßig
nicht versteht. Die Kränkung ist da. Aber in
der Welt da draußen spitzt sich gleichzeitig die
Konkurrenz zwischen Gesellschaftsmodellen zu.
Eine Armee von Holzköpfen steht bereit. Die
Digitalisierung wird bei dieser Zuspitzung als
Katalysator fungieren. Die Entscheidung fällt
zwischen Freiheit und autoritärer Technokratie.
Die Digitalisierung kann uns retten. Sie kann
ein freundliches Monster sein. Denn am Ende ist
womöglich das Chaos, auch als Urzustand des
Universums, nichts anderes als ein Muster, das
wir bloß noch nicht erkannt haben? Und wer hilft
uns bei Mustern? Die Künstliche Intelligenz. Aber
das ist wieder eine andere Geschichte.
Orwell plädiert für das aufgeklärte
Individuum, gegen das bornierte
Kollektiv, das das mutmaßlich Eigene
borniert übersteigert. Aber wer für
das Individuum ist, muss halt auch
immer ein bisschen das Chaos in
Kauf nehmen.
46 Ganz schön was los hier. ramp #49
Kraut
und Rüben
Text
Wladimir Kaminer
Fotos
David Breun
Jetzt wird es wirklich wild. Mit einem
Briten, einem Italiener, zwei Franzosen
und einem Deutschen. Außerdem geht es
um die Diversität von Himmelsbekleidungen,
Hamster, ewige Liebe und langsame
Dreier.
Es könnte aber auch sein, dass dieses
Durcheinander die neue Ordnung ist. So
ganz genau weiß man das natürlich nicht.
Ganz schön was los hier. ramp #49
Wo fahren wir eigentlich hin? Alte Straßen
taugen anscheinend nicht mehr, sie führen
nirgendwohin, über die Notwendigkeit der neuen
Straßen wird heftig gestritten, sie nehmen uns
viel Lebensraum weg, die Welt verändert sich zu
schnell, wer weiß, wie sich die Menschen der
Zukunft am liebsten fortbewegen werden? Vielleicht
gehen sie demnächst alle zu Fuß oder
joggen der Umwelt zuliebe? Nicht ausgeschlossen,
dass sie nur noch Panzer-ähnliche Großraumfahrzeuge
bedienen oder gar fliegen. Niemand
kann es voraussagen, und so versinkt die Menschheit
im Chaos, nicht zum ersten Mal in ihrer
Geschichte. Die Optimisten unter uns sagen, nur
Geduld, wir sollten nichts überstürzen, irgendwann
wird aus diesem Chaos eine neue, klare
Ordnung entstehen, die alle Unzufriedenen zufriedenstellt
und die Unglücklichen glücklich macht.
Die Pessimisten meinen, die Welt sei zu komplex
geworden, um sie unter einen Hut zu kriegen, wir
müssen lernen, im Chaos zu überleben.
Wie konnte es passieren, dass unsere schöne Welt
so schnell so anders geworden ist? Die Energie
der Veränderung sammelte sich, oftmals unbemerkt,
in den letzten Jahrzehnten in den Lakunen
und Spalten der Landschaft, nun wurde sie plötzlich
freigesetzt, und zwar überall beinahe gleichzeitig,
als hätte eine unsichtbare Hand die Kupplung
des Planeten von »Neutral« auf »Drive«
umgelegt. In den Ländern mit unterschiedlichster
ökonomischer, gesellschaftlicher, politischer
Ordnung wuchs die Unzufriedenheit, auf
einmal erkannten Massen von Menschen, die
lange Zeit ihre Lebensweise als selbstverständlich
und alternativlos wahrnahmen: So geht es
nicht weiter! Sie beschlossen, ihr Leben zu
ändern, sie gingen auf die Straße, sie protestierten,
sie übten Druck auf die politische
Führung ihrer Länder aus, wählten falsche
Propheten zu Oberhäuptern oder verließen ihre
Heimat und liefen aufs Geratewohl los, ohne ein
klares Ziel vor Augen zu haben. Ihre Bemühungen
blieben nicht folgenlos, das Eis war
gebrochen, die Menschheit ist dabei, ihre Lebensweise
zu überdenken, wir alle sitzen nun auf
diesem Eisbrocken, der sich vom sicheren Ufer
der Vernunft und Tradition verabschiedete und
in freier Fahrt mit immer wachsender Geschwindigkeit
ins offene Meer des Unbekannten steuert.
Dabei schmilzt er unterwegs auch noch.
Wie können wir dieser Situation gerecht werden?
Wir müssen den Menschen die Angst vor dem
Chaos nehmen, ihre Neugierde, ihre Begeisterung
auf das, was kommt, wecken, meinte
Michael, der Chefredakteur von ramp. Für
unseren neuen Supersupersupertest haben wir
fünf Autos ausgesucht, die unterschiedlicher
nicht sein könnten, einen Briten, einen Italiener,
zwei Franzosen und einen Deutschen. Damit
fuhren wir von der Achalm im Vorland der mittleren
Schwäbischen Alb in Richtung Tübingen,
an den kleinen Bergen und Hügeln vorbei, über
die hundert Jahre alten Landstraßen und die
neuen, noch nicht fertiggestellten Wege. Es war
ein Feiertag, die Sonne schien und viele Menschen
waren unterwegs. Auf Fahrrädern, mit Autos
und zu Fuß stiegen sie auf die Hügel und auf der
→
Wir müssen den
Menschen die Angst
vor dem Chaos
nehmen, ihre
Neugierde, ihre
Begeisterung auf das,
was kommt, wecken,
meinte Michael.
52 Ganz schön was los hier. ramp #49 Higgledy Piggledy
Kraut und Rüben
53
anderen Seite wieder runter, sie genossen das
gute Wetter, der Weg war das Ziel. Wir taten es
ihnen nach. Die Schwäbische Alb ist eine gottgesegnete,
lebensfrohe Gegend. Ein deutscher
Dichter sagte einmal, der Tod sei flach, hügelige
Landschaften feierten das Leben, bestimmt hatte
er die Schwäbische Alb im Sinn. Jeder Berg und
jeder Hügel ist hier anders, ist einmalig und hat
andere Wolken als Kopfbedeckung obendrauf. Ich
vermute sogar, dass die Berge die Farbe des
Himmels ändern. Aus dem Auto sah der Himmel
über jedem Berg jedenfalls anders aus, man
konnte sich an dieser himmlischen Vielfalt nicht
sattsehen. Ich wäre eigentlich gern hauptberuflich
ein Himmelsbeobachter, ich könnte mir gut
eine solche Tätigkeit mit einer 40-Stunden-Woche
vorstellen, das ganze Jahr über die Wolken nach
Farbe und Form sortieren und am Ende des
Jahres einen Wolkenkatalog vielleicht sogar als
Beilage zu ramp herausbringen: »Die Diversität
der Himmelsbekleidung über der Schwäbischen
Alb« oder so. »Hör auf, den Himmel anzustarren,
schau lieber auf die Straße!« sagten die Kollegen
zu mir. »Du musst lenken!« Stimmt, wenn man in
solch großartigen Autos sitzt, vergisst man
oftmals das Fahren.
I.
Der Engländer
Rolls-Royce Cullinan Black Badge
Oft kommen Menschen in Besitz von wertvollen
Dingen, mit denen sie nichts anfangen können.
Dieses Auto, ein fahrender Tresor mit Vierradantrieb,
wurde nach dem größten Diamanten
benannt, der jemals auf unserem Planeten
gefunden wurde. Der Stein war so groß, dass er
auf keine Krone und an keinen noch so fetten
Königshals passte. Einerseits waren seine
Besitzer auf den Stein unheimlich stolz, doch
niemand wusste etwas damit anzufangen. Nach
langem Hin und Her beschlossen sie, den Fund
doch in mehrere kleine Diamanten zu zerteilen,
ein paar davon sind in der Krone der britischen
Königin zu finden, wo die anderen Teile sind,
weiß ich nicht. Dieses Auto ist nicht nur ein
Tresor, es ist ein gemütliches, sehr leise fahrendes
Schloss, man braucht kein Hotel, wenn man mit
diesem Fahrzeug unterwegs ist. Im Kofferraum
kann man Partys feiern oder mindestens ein
Picknick veranstalten, ein Tischlein und zwei
Stühle sind in der Ausstattung inbegriffen. Auf
den Hintersitzen kann man wahrscheinlich auch
gut und ruhig schlafen, unter einem LED–Sternenhimmel,
versteht sich, wenn man lange genug
auf die Decke des Wagens schaut, sieht man eine
Sternschnuppe in Richtung Lenkrad flitzen.
»Nur kein Stress, ich bring Dich, wohin Du
willst« flüstert der Rolls-Royce zu seinem Fahrer,
»mit mir kommst Du immer und überall durch,
egal welches Wetter draußen herrscht, durch die
unsichersten Zeiten und bis ans Ende der Welt!«
Als Beweis mag er an den Agenten seiner Majestät,
T. E. Lawrence, erinnern, den er sicher durch alle
arabischen Wüsten und Partisanenkämpfe
brachte, worüber der bereits voll des Lobes war.
II.
Der Deutsche
Mercedes–AMG C 63 S
Dieses sportliche Schwergewicht lässt sich nicht
eindeutig klassifizieren, mein Gefühl am Lenkrad
des Mercedes war, dass dieses Auto aus jeder
Klasse ausbricht und neben dem komfortablen
Gleiten und sportlichen Gasgeben ein eigentümliches
Leben führt, das über die Grenzen des bloßen
Funktionierens hinausgeht. Ich meine es ernst,
das Auto lebt. Was ist eigentlich das Leben? Wie
unterschiedet sich ein lebendes Objekt von einem
toten? Die Biologen und die Philosophen haben
heute unterschiedliche Antworten auf diese
Frage, die Naturwissenschaftler meinen, das
Leben ist ein Prozess, der Gesetzmäßigkeiten
produziert, kreisförmige Verwandlungsprozesse,
wie zum Beispiel der Jahreszeitenwechsel oder
die permanente Zellenerneuerung. Die Philosophen
meinen, bei solchen zyklischen Prozessen
geht es um bloßes Funktionieren um des Funktionierens
willen, das Leben beginnt jedoch genau
dort, wo die Regularität durchbrochen wird. Fast
alle Teile unseres Körpers werden regulär
erneuert, der Mensch aber altert trotzdem, insofern
kann man diese zyklische Erneuerung als
einen Bestandteil der Leichenwerdung be trachten.
Ja, unser Organismus wird oft mit einer
tickenden Uhr verglichen, die Chronologie des
Alltags wird als das beste Rezept für die Langlebigkeit
gepriesen, festgelegte Schlaf- und Essenszeiten
sollen uns zum besseren Funktionieren
verhelfen. Aber gleicht dieses Funktionieren
einem erfüllten Leben? Ich denke nicht. Ich kenne
das von etlichen Nachbarn und Freunden, die
sich mit gut bemessener Regelmäßigkeit, nach
einem individuellen Plan, ernähren, schlafen,
Sport treiben, Bücher lesen. Sie funktionieren
perfekt, aber nehmen sie wirklich am Leben teil?
Viele, sehr viele sogar arbeiten und feiern nach
dem Kalender, nicht nach ihrer Lust und Laune.
Im Geiste leiden sie unter diesem Automatismus
und beschweren sich oft. Sie sagen Sätze wie: »Ich
lebe nicht, ich drehe mich nur im Kreis, wie ein
Hamster im Hamsterrad.«
Deswegen denke ich, der Bruch jeglicher Ordnung
symbolisiert den Beginn wahren Lebens, das kann
etwas Unabsichtliches, ein Flug zu den Sternen
oder umgekehrt ein Fall sein. Oder ein »auf der
Stelle treten«. Kurzum: Wenn der Hamster in
seinem Rad über die eigenen Füße stolpert und
rausfällt, beginnt für ihn das wahre Leben. Und in
Entenhausen gehen die Lichter aus, denn in dieser
Disney-Comicstadt benutzt man die Hamster im
Hamsterrad, um Strom zu produzieren.
III.
Der Italiener
Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio
Zum ersten Mal habe ich dieses italienische Auto
gefahren, angeblich das Lieblingsfahrzeug der
italienischen Carabinieri und Mafiosi. Wie
können so unterschiedliche Berufsgruppen das
gleiche Auto mögen, würden Sie vielleicht fragen.
Fragen Sie nicht, drehen Sie eine Runde mit der
Giulia, dann wissen Sie es. Ja, die Wege der Liebe
sind unergründlich, vielleicht sind diese Berufsgruppen
auch gar nicht so verschieden, im Land,
wo die Zitronen blühen.
Ein Freund von mir fährt dieses Auto in Deutschland,
er erzählte, die Fahrer eines Alfa Romeo
bleiben ihrer Marke treu, wenn sie sich einmal
für sie entschieden haben, und wechseln nie
→
54 Ganz schön was los hier. ramp #49
mehr, das ist eine Garnelen-Liebe, meinte er. Was
bedeutet Garnelen-Liebe, wunderte ich mich. Ich
wusste gar nicht, dass die Garnelen überhaupt
ein Liebesleben haben. Doch, sie haben. Die Zeit
bis zur Geschlechtsreife verbringen sie ganz
allein in ihrer Schale und langweilen sich
furchtbar, doch wenn sie sich reif für eine Beziehung
fühlen, gehen sie auf die Suche nach einer
Partnerin beziehungsweise einem Partner. Sie
suchen nach der einzig wahren Garnele, mit der
zusammen sie alt und glücklich werden können,
vorausgesetzt, sie werden nicht vorher gefangen
und mit Knoblauch und Tomaten gebraten. Wenn
sie aber ihre Lebensbegleitung finden, bleiben sie
ihr ein Leben lang treu, bis die Pfanne sie scheidet.
Habe ich die
Botschaft der Globalisierung
falsch
verstanden? Statt
einer Gleichschaltung
brachte sie eine neue,
noch nie da gewesene
Diversität zustande.
IV. und V.
Die Franzosen
Wir hatten zwei französische Autos, die besten,
die die französische Automobilindustrie heute
anzubieten hat, ein kleines und ein großes.
Laut firmeneigener Auskunft ist der Renault
Alpine Légende ein Auto, das die Leidenschaft des
schnellen Fahrens durch Pässe und Bergstraßen
hervorragend bedient. Der große Noble war ein
DS7 Crossback E-Tense 4x4, der Luxus-SUV von
Citroën. Eigentlich hatte die Globalisierung eine
Unifikation von Menschen und Dingen vorgesehen,
alles sollte gleich und leicht zu bedienen
sein, kein Unterschied zwischen den Deutschen
und Franzosen, wir sind alle Europäer, teilen die
gleichen Werte und haben die gleichen Interessen.
Und die technischen Geräte Europas, die
Fahrzeuge, sollten nach den gleichen Technologien
perfektioniert werden und Gleiches leisten,
oder habe ich die Botschaft der Globalisierung
falsch verstanden? Statt einer Gleichschaltung
brachte sie eine neue, noch nie da gewesene
Diversität zustande. Wenn man die Autos aus der
Ferne betrachtet, sehen sie alle gleich aus, wie die
Schnecken auf dem Asphalt nach einem regenreichen
Tag. Wenn man aber drin sitzt, merkt man
die feinen Unterschiede. Gerade bei den Franzosen
findet sich kein Knopf dort, wo er eigentlich
sein soll. Alle diese Autos haben ihren eigenen
Charakter, ihr Fahrstil bleibt unverwechselbar.
Wenn ein deutsches Auto dem Berg und dem
Wind trotzt, so versucht der Franzose, auf der
Welle zu reiten, in der Luftströmung zu gleiten.
Auf diese Vielfalt besteht unsere Welt. Die
Menschen werden sich einander nie angleichen,
ihre Autos auch nicht. Und bei den Schnecken ist
es übrigens auch nicht anders. Bei ihnen findet
man auch keine zwei, die einander gleichen.
Die Schnecken haben ein kompliziertes Leben.
Sie haben Gender-technisch alle Möglichkeiten,
als Weibchen ebenso wie als Männchen zu
agieren, das wird bei ihnen in der Regel sehr
kurzfristig entschieden. Vor der Paarung absolvieren
sie einen seltsamen Paarungstanz, in der
Regel zu dritt, sie nehmen zur Sicherheit eine
dritte Schnecke zur Paarung mit, die nicht
mittanzt, nur guckt. Es kann nämlich durchaus
passieren, dass beide tanzenden Schnecken sich
während des Tanzes für das gleiche Geschlecht
→
56 ramp #49
Higgledy Piggledy
Kraut und Rüben
57
entscheiden, dann kann die dritte Schnecke zur
Not einspringen. Es kann aber auch passieren,
dass die Schnecken während des Tanzes überhaupt
keine Gefühle füreinander entwickeln und
keine Lust auf weitere gemeinsame Aktionen
haben, auch das ist bei den Schnecken möglich.
Doch mit Gottes Gnade schaffen sie es seit Jahrtausenden,
sich fortzupflanzen. Nur in ganz
seltenen Fällen wenden sich alle drei Schnecken
voneinander ab und kriechen auseinander, jede
in eine andere Richtung, in der Hoffnung, unterwegs
vielleicht einer anderen Schnecke ihres
Vertrauens zu begegnen.
Sie sind wie Menschen wetterabhängig, be kom men
oft schlechte Laune, versuchen stän dig weiterzukommen,
wissen aber nicht so richtig, wohin,
sind trotzdem immer unterwegs, wollen endlich
ankommen und kommen nie an.
Wir haben inzwischen mit unseren fünf Autos
im chaotischen Zickzack eine Runde über die
Schwäbische Alb gedreht und sind am Fuß der
Achalm wieder zum Stehen gekommen.
Wer weiß, vielleicht ist das, was uns als Chaos
erscheint, in Wahrheit bereits die neue Ordnung,
die wir nur noch nicht erkannt haben, sie ist zu
komplex und hat so viele neue Facetten, dass wir
sie nicht als Ganzes wahrnehmen können, noch
nicht. »Die die Schwäbische Alb aufbauenden
Schichten sind ungefaltet und schräggestellt«,
heißt es auf Wikipedia. Aber das kann man auch
anders sehen.
Higgledy Piggledy
Kraut und Rüben
59
60 Ganz schön was los hier. ramp #49 Higgledy Piggledy
Kraut und Rüben
61
Renault Alpine A110 Légende
Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio
DS 7 Crossback E-Tense 4x4
Mercedes-AMG C63 S Coupé
MOTOR
Vierzylinder-Turbo
MOTOR
V6-Biturbo
MOTOR
Vierzylinder-Turbo und zwei Elektromotoren
MOTOR
V8-Biturbo
HUBRAUM
1.798 ccm
HUBRAUM
2.891 ccm
HUBRAUM
1.598 ccm
HUBRAUM
3.982 ccm
LEISTUNG
252 PS (185 kW)
LEISTUNG
510 PS (375 kW)
LEISTUNG
300 PS (220 kW)
LEISTUNG
510 PS (375 kW)
DREHMOMENT
320 Nm bei 2.000 – 5.000 U/min
DREHMOMENT
600 Nm bei 2.500 U/min
DREHMOMENT
300 Nm bei 3.000 U/min
DREHMOMENT
700 Nm bei 2.500 – 5.000 U/min
0–100 KM/H ca. 4,5 s
0–100 KM/H ca. 3,9 s
0–100 KM/H ca. 5,9 s
0–100 KM/H ca. 3,9 s
VMAX
250 km/h
VMAX
307 km/h
VMAX
240 km/h
VMAX
290 km/h
Rolls-Royce
Cullinan Black Badge
MOTOR
V12-Biturbo
HUBRAUM
6.749 ccm
LEISTUNG
600 PS (441 kW)
DREHMOMENT
900 Nm bei 5.000 U/min
0–100 KM/H ca. 4,9 s
VMAX
250 km/h
62 Ganz schön was los hier. ramp #49
Wir waren zwei Wochen in Florida unterwegs und
produzierten dort drei verschiedene Fotostrecken.
us
Kr
a t
in America
Text
Natalie Diedrichs
Fotos
Maximilián Balázs
Dann beschloss der Chef, dass wir sie alle zusammenwerfen,
ordentlich durchmixen und mal schauen, was
dabei herauskommt. Kraut und Rüben halt. Der
Ordnung halber schrieben wir aber trotzdem auf, wie
das Ganze chronologisch ablief.
64 Ganz schön was los hier. ramp #49 Higgledy Piggledy
Krauts in America
65
Eigentlich wollte ich ja nach L.A. Aber das haben
Automobiljournalisten in den vergangenen Jahren
Foto- und Reportagen-technisch so dermaßen
abgegrast, dass Sie einen Road Trip
entlang der Westküste wahrscheinlich mit
einem »Schon wieder«-Seufzer und vielleicht
noch einem Augenrollen dazu honoriert hätten.
Wohin sollte der Urlaub/die Produktionsreise
also dann gehen? Die USA waren zumindest
gesetzt. Zum einen, weil mein Chefredakteur im
»Kraut und Rüben«-Heft gerne eine »Krauts in
America«- Geschichte haben wollte. Wie die letztendlich
genau aussehen sollte, war zu dem Zeitpunkt
noch unklar. Zum anderen, weil es dort
IHOP gibt. Das ist eine amerikanische Diner-
Kette, die 24 Stunden lang Frühstück anbietet.
Und was für eins. Ich sage Ihnen: IHOP ist ein
Traum. Wenn es das hier in Deutschland gäbe,
würde ich jeden Tag drei Mal dort essen. Morgens
Pancakes mit Ahornsirup, mittags Pancakes
mit Karamellsoße, abends Pancakes mit
Blaubeeren und Schoko stücken. Diabetes Typ 2
ginge dann aufs Haus, ebenso wie das Gratis-
Eiswürfelwasser mit Chlorgeschmack und die
Zitronentüchlein zum Klebehände Abwischen.
Es wurde also die Ostküste statt der Westküste.
Florida. Miami. Ocean Drive. Von dort gab’s bislang
selten Fotostrecken – vor allem nicht
nachts, stellte Max, mein Freund/Fotograf fest.
Und das hatte auch seine Gründe, aber dazu
kommen wir später. Zwei Autos begleiteten uns
»Don’t get me wrong, Chi-town got it goin’
on and New York is the city that we know
don’t sleep and we all know that L.A. and
Philly stay jiggy but on the sneak, Miami
bringin’ heat for real.«
WILL SMITH, »MIAMI«
auf unserer Reise. Wobei das Wort »Autos«
eigentlich nicht ganz passt. »Wahnsinns-Karren«
trifft es besser. Ein Chevrolet Camaro LT1
und ein Ferrari 812 Superfast. Sie lassen sich
zwar in keiner Weise miteinander vergleichen,
verdeutlichten mir aber einmal mehr, jeder auf
seine Art, wie tief meine Liebe zum Automobil
sitzt – trotz aller Kritik und gesellschaftlichen
Diskussionen. Solange es noch geht, würde ich
jedem empfehlen, mal einen Wagen mit V-Motor
zu fahren. Egal, ob ein V8 wie im Camaro oder
sogar ein V12 wie im Ferrari. Ist zwar nicht
gerade Greta-konform, aber wer ein schlechtes
Gewissen hat, kann ja ein paar Bäume pflanzen.
Es lohnt sich.
Im Nachgang lässt sich festhalten, dass es
eigentlich keine perfekteren Autos für unsere
Reise hätte geben können. Denn sie erfüllten
eine wichtige Funktion: Sie waren Türöffner für
zwei Welten, die ohne diese Autos verschlossen
geblieben wären. Die schillernd-bunte Welt derjenigen,
die es in Miami ihrer Ansicht nach zu
etwas gebracht haben. Und die erstaunlich offenherzige
Welt der anderen Amerikaner, für die
ein Camaro ungefähr so spektakulär ist wie für
uns ein VW Golf. Aber wenn jemand mit einem
nagelneuen Golf 8 durch Deutschland fährt,
dann gucken die Leute trotzdem. Sie wollen sich
die neue Variante des Evergreens ganz genau
ansehen, ein Pläuschchen über die Veränderungen
halten. So war es auch mit dem Camaro
Facelift. Der LT1 ist übrigens die Basisvariante
des legendären Musclecars. Ab 34.000 Dollar plus
Steuern kommt man in den USA in den Genuss,
den 455 PS starken V8-Sauger mit Heckantrieb zu
fahren. In Deutschland bietet Chevrolet die Variante
LT1 leider nicht an. Allein das wäre schon
eine Überlegung wert, auszuwandern. Und IHOP
natürlich.
Trotz dieser Privilegien kann man in Miami das
Leben jedoch offenbar erst dann richtig genießen,
wenn man lange genug malocht hat und diese
Arbeit schließlich mit Erfolg in Form von Reichtum
belohnt wurde. Der amerikanische Traum.
Vom Tellerwäscher zum Millionär und so weiter.
Diesen Eindruck vermittelte uns zumindest
Louis. Wir trafen ihn auf einem Parkdeck im
Design District, als Max gerade den 812 Superfast
fotografierte. Louis stammt ursprünglich aus
Costa Rica, kam mittellos in die USA, gründete
ein Unternehmen, das Aufzüge repariert und
instand hält, und ist jetzt super reich. Im Alltag
fährt er einen Ferrari 488. Den parkte er neben
dem 812 Superfast, stieg aus, nahm seine Sonnenbrille
ab, begutachtete unseren Testwagen und
fällte schnell sein Urteil: »Der ist wirklich schick,
aber ein bisschen langweilig.«
Zugegeben, neben seinem Auto wirkte der 812
tatsächlich etwas, nun ja, konventionell. Denn
mit einer Serienvariante gewinnt man in Miami
keinen Blumentopf, auch wenn wir hier von
einem Ferrari sprechen. »Den kann sich ja jeder
im Geschäft kaufen«, erklärte mir Louis, während
sein Assistent gerade dabei war, die Drohne
bereit zu machen. Ein paar Luftaufnahmen für
den privaten Instagram-Account des Selfmade-Millionärs.
Klar. Jedenfalls verpasste er seinem
Ferrari eine noch lautere, klappengesteuerte
Abgasanlage und ein, sagen wir, noch exklusiveres
Äußeres. Er beauftragte den deutschen
Künstler René Turrek damit, den Standardlack
des Ferrari abzuschleifen und ihn stattdessen
mit den Logos seiner Lieblings-Modelabels Louis
Vuitton und Supreme zu schmücken. Handbemalt.
Was in Modena vermutlich als Majestätsbeleidigung
geahndet würde, ist hier Kunst.
Deshalb gab’s auch keinen Stress mit den
Markenrechten.
Der 488 wirkt dadurch ein bisschen wie eine
sehr schnelle Handtasche auf vier Rädern, aber
zumindest passt er nach Miami. Dort, wo scheinbar
jeder Ferrari fährt. Oder es zumindest vorgibt.
Während der Shootings trafen wir immer
wieder auf Influencer, die mit ihren Fotografen
um die Häuser zogen, um Fotos für Instagram zu
machen. Egal, ob ein durchtrainiertes Männermodel,
das fünf verschiedene Outfits in seiner
Reisetasche griffbereit hatte, oder eine aufgedrehte
Gruppe twerkender Latino-Mädels – sie
alle warfen sich buchstäblich vor den 812 Superfast.
Und wir standen daneben und hielten die
besten Momente fotografisch fest. Das hätte uns
sonst doch keiner geglaubt.
Die lang ersehnte Ocean-Drive-Produktion fiel
dagegen leider flach. Nicht etwa, weil am Sonntagmorgen
um vier zu viel los war auf der Partymeile
von South Beach. Sondern weil die meisten
Hotels und Clubs ihre Neonlichter ausgeknipst
hatten. Und dann war es ganz schön dunkel dort.
Keine Aufnahme vom Hotel Carlyle und kein
Beauty-Shot mit dem berühmten Gianni Versace-
Haus, vor dessen Eingang der exzentrische
Modeschöpfer vor 23 Jahren erschossen wurde.
Wenigstens ein Hotel ließ die Lampen an, sodass
wir immerhin ein Alibifoto mit nach Hause
bringen konnten. Zum Glück erwiesen sich die
Parkhäuser in der Hauptstadt Floridas als verlässlich.
Sie waren 24 Stunden geöffnet und
erstrahlten durch ihre satte Beleuchtung, während
im Hintergrund die lebendige Metropole im
Dunkeln glitzerte. Nur ohne den Ocean Drive.
Ein starker Kontrast zum Bling-Bling-Leben in
Miami war übrigens unser Besuch des NASCAR-
Finales in Homestead. Es gibt wohl nichts stereotypisch
Amerikanischeres als diese
Tourenwagenserie. Und zwar mit allem, was so
dazugehört. Wer sich in Deutschland fragt, wer
bitte Donald Trump wählt, findet auf dem
Gelände der Renn strecke schnell Antworten.
Beispielsweise in Form einer vierköpfigen Bilderbuch-Familie,
die T-Shirts im Partnerlook
trägt. Vorne steht »President Trump 2020, Keep
America Great« drauf und hinten »If you feel
offended by this flag, I’ll help you pack.« Harter
Tobak.
→
66 Ganz schön was los hier.
Nach zwei Corndogs, einer kalten Coke, einer
Militärparade, einem gemeinsamen Gebet und
einer Düsenjet-Flugeinlage samt Fallschirmsprung
transportierten wuchtige Ford Trucks die
NASCAR-Helden auf die Strecke. Jeweils zwei auf
einer Ladefläche, damit noch genügend Platz für
die zwei Meter breite US-Flagge blieb. Und nach
der Nationalhymne ging’s dann auch schon los mit
dem vierstündigen Saisonabschluss. An dieser
Stelle würde ich wirklich gerne einen bildhaften
Vergleich liefern, der die Geräuschkulisse adä quat
beschreibt, aber ich habe in meinem ganzen Leben
noch nie etwas gehört, das diesem Lärm auch nur
im entferntesten Sinne gerecht wird. Selbst als ich
Max direkt ins Ohr brüllte, konnte er kein Wort
verstehen. Einigen wir uns also am besten auf
»ohrenbetäubend«. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Der Rennfahrer Kyle Busch wurde an dem
Abend übrigens Meister. Aber das erfuhr ich auch
nur aus dem Internet, weil wir nach drei Stunden
Dauerbeschallung genug hatten.
Meine narkotisierten Gehörorgane klingelten
selbst am Tag darauf noch, als wir bei einem Stapel
in Ahornsirup getränkter Pancakes unsere
nächste Etappe planten. Der Ferrari blieb in
Miami, und endlich kam der Camaro zum Ein satz.
Ein Auto, für das ich schon seit Jahren einen Platz
in meiner imaginären Garage reserviert habe. Er
hat Wumms ohne Ende, eignet sich wegen seiner
Rückbank und des großzügigen Kofferraums hervorragend
fürs Reisen und ver leiht einem dank
des Chevrolet Markenlogos am Kühlergrill auf
Anhieb das Gefühl, ein Teil von alldem hier zu
sein. Ob man nun will oder nicht. Und weil sich die
amerikanische Automarke schon seit Anbeginn
der Rennserie in der NASCAR engagiert, war der
Camaro das perfekte Fotomodel für unser nächstes
Shooting in Daytona Beach.
Erschöpfung. Der legendäre, 5,7 Kilometer lange
Speedway mit seinen drei Steilkurven (üblich sind
zwei) bildet das Zentrum der 70.000-Einwohner-Stadt.
Seine Wolkenkratzer-hohen Besucherränge
überragen die dort angesiedelten Kinos,
Geschäfte und Restaurants bei Weitem. Alles
scheint im Schatten dieser gigantischen Rennstrecke
zu liegen. Der zweite Place to be ist der Strand
von Daytona. Alle, die Disneys Animationsfilm
»Cars 3« gesehen haben, wissen natürlich, dass an
exakt diesem Meeresufer vor 72 Jahren die
NASCAR-Serie gegründet wurde. Genau dort setzten
wir den Camaro in Szene. Selbstverständlich
bei Sonnenaufgang. Das klappte im Gegensatz zu
unserem Ocean-Drive-Flop wirklich gut.
Auf bestimmten Abschnitten des Strandes darf
man offiziell mit dem Auto fahren, zwar nicht
mehr als 10 Meilen pro Stunde (16 km/h), aber bei
so etwas können Fotografen ja zum Glück tricksen.
An diesem bilderbuchhaften Morgen war erstaunlicherweise
wenig los. Abgesehen von den schätzungsweise
300 Wasservögeln, die neugierig
beobachteten, wie ich zwanzig Mal geradeaus fuhr
und anschließend wieder zurücksetzte, während
Max auf den Auslöser drückte. Schon erstaunlich,
wie an einem ursprünglich so leisen, beruhigenden
Ort etwas so Lautes wie die NASCAR entstehen
konnte. Nachdem wir der Beach Patrol dann
noch erklärt hatten, dass es sich bei dem Camaro
um das neueste Modell handelt, die Front im
Gegensatz zum Vorgänger leicht abgeändert ist
und es die Basisvariante ab 34.000 Dollar plus
Steuern zu kaufen gibt (»unbelievable!«), gingen
wir anschließend wieder unserer gewohnten Morgenroutine
nach. Wobei, nicht ganz: Diesmal
wählte ich Erdbeersirup.
Die Küstenstadt nördlich von Miami ist ein historisch
bedeutender Ort für den amerikanischen
und internationalen Motorsport. Beim
24- Stun den- Rennen messen sich hier jedes Jahr
Rennfahrer aus aller Welt bis zur völligen
68 Ganz schön was los hier. ramp #49
Higgledy Piggledy
Krauts in America
71
72 Ganz schön was los hier. ramp #49
Die wichtigsten Zutaten für ein gelungenes
NASCAR-Wochenende: bunte Rennautos, siegreiche
Schokolinsen, Nachwuchsförderung, ein
bisschen Militärzeug und – bitte aufstehen und
mitsingen – die amerikanische Hymne.
Higgledy Piggledy
Krauts in America
77
Ferrari 812 Superfast
MOTOR
V12-Saugmotor
HUBRAUM
6.496 ccm
LEISTUNG
800 PS (588 kW) bei 8.500 U/min
DREHMOMENT 718 Nm bei 7.000 U/min
0–100 KM/H ca. 2,9 s
VMAX
340 km/h
78 Ganz schön was los hier. ramp #49
81
»Come hungry.
Leave happy.«
IHOP SLOGAN
Chevrolet Camaro LT1
MOTOR
V8-Saugmotor
HUBRAUM
6.162 ccm
LEISTUNG
455 PS (339 kW) bei 6.000 U/min
DREHMOMENT 614 Nm bei 4.400 U/min
0–100 KM/H ca. 4,4 s
VMAX
290 km/h
Higgledy Piggledy
83
Die Werkstatt am
Rande der Welt
Wenn es in Berlin einen Chefschrauber gibt, dann ist es Thomas Lundt.
Er ist Obermeister der dortigen Kfz-Innung und führt seit gut dreieinhalb
Jahrzehnten die Porsche Werkstatt Lundtauto Sportwagenservice.
Hier spricht er Klartext über das Auto, über Politiker und über
Migranten als Auszubildende.
Alles andere würde nur zu Missverständnissen führen.
Interview
Michael Köckritz,
Matthias Mederer
Fotos
David Breun
besser wusste. Den fragte ich: »Sagen Sie mal, sind Sie ein
Kollege?« Und er: »Nein, ich bin Rechtsanwalt und fahre schon
seit zwanzig Jahren Oldtimer.« Also bitte! Ein bekannter deutscher
Sänger brachte auch mal so einen merkwürdigen
Experten mit. Die brauche ich hier nicht. Aber über echte Sachverständige
freue ich mich. Und jeder, der ein Auto über 50.000
Euro kaufen will, sollte daran nicht sparen.
Herr Lundt, wie steht es aktuell um den Oldtimermarkt?
Thomas Lundt: Vor zwei, drei Jahren war der Hype auf dem
Höhepunkt, da wurden für Autos so absurd hohe Preise
bezahlt, dass man das Grausen bekam. Zum Glück befinden
wir uns jetzt in einer Konsolidierungsphase. Die Preise liegen
etwa dreißig Prozent unter den Summen, die noch vor drei
Jahren bezahlt wurden. Heute wird nur noch für wirklich gute
Autos richtig viel Geld gezahlt. Und die Leute sind besser
informiert. Die bringen zum Autokauf einen Sachverständigen
mit, der besser beurteilen kann, was an so einem Wagen
geleistet wurde und was er wert ist.
Nervt Sie das, wenn da so viele mitreden?
Lundt: Im Gegenteil, ich freue mich, wenn ein Kunde einen
Spezialisten mitbringt. Eine bessere Expertise als die von
einem Kollegen kann ich nicht bekommen. Allerdings sollten
die auch Ahnung haben. Nicht so wie neulich, da erschien ein
sogenannter Sachverständiger, der nur herumnölte und alles
Ist der 911 tatsächlich immer noch die sicherste Wertanlage?
Lundt: Es gibt ein paar hochpreisige 911er-Sondermodelle, die
es geschafft haben, über die ganze Zeit sehr hoch gehandelt zu
werden. Ich warne aber davor, so ein Fahrzeug als Spekulationsobjekt
zu sehen. Nennen wir es lieber eine relativ sichere
Anlage. Ich habe schon einige Leute erlebt, die sich beschwert
haben, weil ihr Oldtimer über die Jahre an Wert verloren hat.
Gleichzeitig fahren sie aber mit einem Audi A8 herum, der
nach dreieinhalb Jahren nur noch knapp die Hälfte wert ist.
Kann man davon ausgehen, dass bald die nächste Welle mit hohen
Preisen kommt?
Lundt: Ich glaube, dass wir froh sein können, wenn wir bei
Oldtimern ein bestimmtes Niveau erreichen. Es liegt möglicherweise
nach einem kleinen Tal im Herbst wieder etwas
höher, und mit Glück pendelt es sich da ein. Die ganze Berichterstattung
über Autoabgase und den CO 2
-Effekt geht natürlich
auch an den Oldtimern nicht vorbei. Die Zahl derer, die sich
freuen, wenn du mit einem alten Elfer an ihnen vorbeifährst,
wird auch nicht größer. Ganz im Gegenteil, der Nachwuchs
fehlt.
→
84 Ganz schön was los hier. ramp #49 Higgledy Piggledy
Die Werkstatt am Rande der Welt
85
Ist ein Auto, das vor 30 Jahren gebaut wurde, nachhaltiger als ein
neues?
Lundt: In jedem Fall. Die Fahrzeuge sind da und haben in über
dreißig Jahren bewiesen, dass sie heute noch nutzbar sind und
in der Regel werden sie nicht mehr als 2.000 Kilometer im Jahr
gefahren. Völlig unbedeutend für die Umwelt. Darüber hinaus
gab es in den letzten Jahren keinen tödlichen Unfall mit Fahrzeugen,
die ein H-Kennzeichen tragen.
Zu viel Lobbyarbeit im Hintergrund?
Lundt: Nun ja, am liebsten würde ich darauf antworten: weil
die Politiker wiedergewählt werden wollen und der Einfluss
der deutschen Automobilindustrie auf unsere Regierung schon
wesentlich größer ist, als man sich das vorstellen kann. Lüge
und Unvernunft, blinder Aktionismus beherrschen aktuell das
Thema. Es wird nirgends so viel gelogen wie beim Umweltschutz.
Wie viele Oldtimer sind derzeit in Deutschland gemeldet?
Lundt: Es gibt ungefähr 400.000 Autos mit H-Kennzeichen,
das ist nicht mal ein Prozent. Die Entwicklung steigt allerdings
rasant, weil immer mehr Autos – wie zum Beispiel der
Golf, der Baby-Benz oder der VW Bus T3 – jetzt in das Alter
kommen. Da gibt es eine Menge gut erhaltener Autos. Auch die
haben das Recht, ein H-Kennzeichen zu tragen. Leider gibt es
aber viele Leute, die sich das H-Kennzeichen nur holen, um
Steuern zu sparen. Das verwässert allerdings ein bisschen den
eigentlichen Sinn.
Was glauben Sie, wie wird es in Zukunft auf unseren Straßen
aussehen?
Lundt: Derzeit sind in Deutschland 54 Millionen Kraftfahrzeuge
gemeldet, ich glaube nicht, dass es bald zu einem signifikanten
Abschwung kommen wird. Allerdings wird die Zahl
mit der Zeit sicher weniger, da wir ja kaum noch Platz haben.
Vor allem in der Stadt gibt es einfach zu viele Autos, das ist
Fakt. In Berlin ist der Senat Schuld, weil der keine Alternativen
bietet. Der öffentliche Personennahverkehr wird nicht
ausgebaut, die sind nicht in der Lage, zu entscheiden, ob man
eine U-Bahn-Linie verlängert oder nicht. Da muss man erst
eine Machbarkeitsstudie machen. Da fragst du dich schon:
»Sind da nur noch inkompetente Menschen am Werk?« Aber
lassen wir das. Ich rege mich sonst auf. Nein, Automobilität in
der Stadt wird es weiterhin geben. Inwieweit der Oldtimer in
Zukunft betroffen sein wird, bleibt die Frage.
Größer, als es für das Land gut ist?
Lundt: Das müssen die Leute entscheiden, die noch ein paar
Jahre auf dieser Welt leben müssen. Ich weiß aber zum Beispiel,
dass, wenn wir fünfzig bis siebzig Prozent der recycelten
Kunststoffe für die Verpackung von Lebensmitteln verwenden
dürften, man in Deutschland auf einen Schlag 60 Millionen
Tonnen CO 2
einsparen könnte. Aber davon will keiner etwas
wissen. Das interessiert die Leute nicht, die aber gleichzeitig
eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Autobahn fordern,
um gerade mal eine Million Tonnen CO 2
einzusparen. Die wäre
übrigens der Todesstoß für die deutsche Autoindustrie.
Inwiefern?
Lundt: Jeder Hersteller und Importeur, der in Deutschland
entweder Autos produziert oder ins Land lässt, muss damit
rechnen, dass seine Fahrzeuge ausgefahren werden. Das
bedeutet, dass alle Wagen so gebaut sein müssen, dass das
auch sicher möglich ist. Große Bremsen, große Kühler, große
Sicherheitssysteme. Und wenn der deutschen Autoindustrie
dieses Merkmal genommen wird, dann gnade ihr Gott. Die
Sicherheit ist der Hauptgrund, warum selbst Leute in Ländern
wie den USA, in denen sie gar nicht schnell fahren dürfen,
unbedingt unsere Autos haben wollen.
→
Wenn jetzt noch die E-Autos dazukommen, könnte es noch enger
werden.
Lundt: Die Vermehrung des innerstädtischen Individualverkehrs
sehe ich nicht, da ein E-Auto in der Regel ein bis zwei
Fahrzeuge mit Verbrennermotor ersetzt. Wir werden weltweit
nicht mehr als maximal 14 bis 15 Prozent der Fahrzeuge
elektrisch antreiben können, weil die Rohstoffe fehlen. Selbst
bei 14 Prozent haben wir schon alle Ressourcen dieser Welt
ausgeraubt und Länder wie beispielsweise Chile und Argentinien
zerstört. Die haben kaum noch Trinkwasser, weil sie das
ganze Wasser für ihre Erdenauswaschung verwenden.
Darüber redet keiner. Die Politik setzt sich nicht vernünftig
mit dem Thema auseinander, das ist das Problem.
THOMAS LUNDT, Jahrgang 1954, bestand mit 24 die
Kfz-Meisterprüfung, gute zwei Jahre später gründete
er die Lundtauto Sportwagenservice GmbH – heute ein
20-Mann-Betrieb und die Topadresse für alte Porsche.
Seit 2004 ist der gebürtige Zehlendorfer zudem
Obermeister der Kfz-Innung Berlin und hat damit fast
370 Kfz-Werkstätten mit zusammen rund 12.000
Beschäftigten unter sich.
→ lundtauto.de
86 Ganz schön was los hier. ramp #49 Higgledy Piggledy
Die Werkstatt am Rande der Welt
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»Es gibt sinnvolle und schöne
Extras. Aber dann gibt es
welche, bei denen du dir an den
Kopf fasst. Der 380 SEC von
Mercedes besitzt einen
Schalter, mit dem du von innen
den Innenspiegel einstellen
konntest. Also, falls du den Arm
nicht hochkriegen solltest.«
Kommen wir noch mal auf die Oldtimer zurück. Wie lautet Ihre
Definition von Luxus?
Lundt: Dass ich mir Dinge leisten kann, die ich nicht unbedingt
brauche, aber die mein Leben verschönern. Es ist eine
Möglichkeit, mir etwas mehr zu gönnen, weil ich mehr geleistet
habe.
Ginge es auch komplett ohne Luxus?
Lundt: Auf jeden Fall. Ich bin das neunte von elf Kindern. Und
was »nichts« heißt, weiß ich. Alles, was ich heute besitze, haben
meine Frau und ich – und inzwischen auch unsere Tochter –
zusammen aufgebaut. Wir waren eine der ersten Werkstätten
in Berlin, die die Auszeichnung »Fachbetrieb historische Fahrzeuge«
bekamen.
Was bedeutet es für Sie, einen Oldtimer richtig zu restaurieren?
Lundt: Der wichtigste Benchmark ist, dass der Restaurateur
versucht, möglichst viel vom Original zu erhalten. Natürlich
kommen auch mal Kunden, die alles neu haben wollen, was
mir persönlich widerstrebt. Gott sei Dank gibt es aber noch
eine Menge Menschen, die alte Fahrzeuge lieben. Bei jedem
Oldtimer, den wir seit Jahrzehnten restaurieren, lernen wir
dazu. Wir versuchen unsere Qualität von Objekt zu Objekt zu
steigern. Die neuen oder alten Besitzer würden nicht auf die
Idee kommen, so ein Auto wieder zu verkaufen.
Die wollen einfach nur fahren …
Lundt: Genau, »artgerecht halten« sagen wir dazu. Ein Oldtimer
darf nicht herumstehen. Und ein Oldtimerbesitzer kleidet sich
mit seinem Fahrzeug. Es sei denn, der Wagen stammt aus der
Vor-vor-Kriegszeit. Ich besaß mal einen Hudson 33 aus dem Jahr
1912. Den konnte ich hin und wieder mal um den Block fahren,
ich wurde von Passanten beklatscht, aber das war auch alles.
Welches Teil des 911ers hat Sie während Ihrer Karriere die meisten
Nerven gekostet?
Lundt: Gute Frage. Aber die kann ich so gar nicht beantworten.
Es gibt immer wieder Autos, die zwicken uns wochenlang, bis
wir dahinterkommen, wo das Problem liegt. Das zieht sich
durch alle Modelle durch. Je neuer sie sind, desto schlimmer ist
es. Aber bis 1998 kennen wir inzwischen alle Probleme unserer
Porsche. Und bei manchen Fahrzeugen haben wir uns ganz
schön die Zähne ausgebissen. Da gibt es tausend Geschichten.
Bis 1998 …
Lundt: … weil im April 1998 die letzten luftgekühlten gebaut
worden sind, dann kam der Wechsel von 993 auf 996.
Momentan denken wir darüber nach, ob wir uns mit den jetzt
aktuell gebauten Porsche überhaupt weiterhin beschäftigen
sollen.
Warum?
Lundt: Weil diese Autos viel zu anspruchsvoll sind. Und
Porsche repariert immer mehr Fahrzeuge über das Intranet,
also über das eigene Netz. Da kommen wir nicht hinein. Also
geben wir die Autos bei Porsche ab, die kümmern sich dann
und berechnen uns 235 Euro die Stunde. Warum sollen wir da
noch weiter mitmachen? Bei Beulen, kaputten Reifen oder
Bremsen helfen wir natürlich, aber wenn es um Probleme mit
dem Motor geht, glaube ich nicht, dass wir das weiterhin tun
werden. Natürlich steht Porsche für eine hervorragende Ingenieurleistung,
darüber müssen wir gar nicht diskutieren. Ich
frage mich nur, ob die Autos wirklich immer alles kriegen
müssen, was geht.
Können Sie das genauer erklären?
Lundt: 1992 kam der 968er Porsche heraus. Schöner Drei-Liter-Motor
mit Vario-Cam und so weiter. Ein tolles Auto, Vierzylinder,
kostete aber in der vom Werk angebotenen Version
über 100.00 Mark. Dann lief das Auto nicht, weil es den Leuten
zu teuer war. Was hat Porsche gemacht? Sie nahmen alles
wieder heraus, E-Fensterheber, Klimaanlage, alles raus, und
nannten das Auto einfach »Clubsport«, und der Preis fiel von
über 100.000 D-Mark zurück auf 73.000 D-Mark. Danach lief
es wie geschnitten Brot und jeder konnte sich die Extras zu
dem Auto noch dazubestellen. Das war der ganze Trick. Und
da müssten wir heute mal wieder hinkommen. Es gibt sinnvolle
und schöne Extras wie ESP. Aber dann gibt es welche, bei
denen du dir wirklich an den Kopf fasst. Der 380 SEC von
Mercedes besitzt einen Schalter, mit dem du von innen den
Innenspiegel einstellen konntest. Also, falls du den Arm nicht
hochkriegen solltest, hättest du auf der Mittelkonsole noch
einen Drehknopf (lacht). Wer kommt denn auf so etwas?
Träumt man noch von besonders schönen Modellen, wenn man den
ganzen Tag schraubt?
Lundt: Natürlich! Ich bin Autofan durch und durch und gucke hin
und wieder auch über den Porsche Rand hinweg. Ein Traumauto
habe ich auch, das ist der EB110, der Bugatti. Bei dieser Technik
fange ich beinahe an zu sabbern. Ach ja, und dann bin ich im
letzten Jahr zu meinem Ford Händler hier nebenan gegangen.
Und was stand da?
Ein GT40?
Lundt: Nein. Ein Bullitt. Ich sagte nur »Boah, ey!«. Liebe auf
den ersten Blick! Ich hatte so mit 100.00 Euro gerechnet, aber
er sollte nur 53.000 Euro kosten. Die Verkäuferin meinte noch:
»Ich kann Ihnen aber keinen Rabatt darauf geben.« Und ich
antwortete: »Das wäre auch total bescheuert!« Ja, dann habe
ich mir den Bullitt gekauft. Ein Traum. Sechsganggetriebe,
handgerissen, V8-Motor, Auspuff in vier Stufen einstellbar.
Okay, bei Nässe in der Kurve grauenvoll zu lenken, aber dafür
hat man ja Autofahren gelernt, nicht?
Würden Sie den Wagen wieder verkaufen?
Lundt: Nee, den Bullitt gebe ich nicht mehr her. Meinen Hudson
habe ich verkauft und noch einen Elfer. Manchmal muss man
Ballast abwerfen. Dann hatte ich noch einen Continental Mark
II, einen Lincoln, den habe ich auch verkauft. Momentan
besitze ich noch einen 993 Turbo WLS II, also die 450-PS-Version
aus April 1998, einen der letzten und ohne Schiebedach.
Den gebe ich auch nicht mehr her, der und ich, wir sind ein
Pärchen.
Wie viele Kilometer fahren Sie mit diesen Autos?
Lundt: Jeder Wagen kriegt im Jahr so zwei-, dreitausend Kilometer.
Und dann habe ich noch eine kleine Harley-Davidson,
eine Road King von 1998. Mit der fahre ich auch gerne. Motorradfahren
bedeutet für mich Freiheit.
»Die Verkäuferin meinte noch:
›Ich kann Ihnen aber keinen
Rabatt darauf geben.‹ Und ich
antwortete: ›Das wäre auch
total bescheuert!‹«
Anders als beim Oldtimerfahren?
Lundt: Das ist eine völlig andere Welt. Mein schönster Trip
ging quer durch die USA, von Georgia nach Los Angeles, weiter
nach Dawson City in Kanada, dann hinüber nach Alaska und
dann über Milwaukee zurück. 42 Tage, 18.500 Kilometer.
Klingt spannend.
Lundt: Ich war der reichste Mann der Welt. Bin alleine gefahren
und musste 42 Tage niemanden fragen, ob wir jetzt hier tanken
oder wo wir übernachten sollen. Ich habe auf dem Ding nur
gesungen und gejubelt und habe mir so den Stress der Selbständigkeit
von dreißig Jahren aus dem Schädel gefahren.
Wohin fahren Sie, wenn Sie mit Ihren Oldtimern unterwegs sind?
Lundt: Ins Umland. Sonntags geht’s früh los, in Richtung Perleberg
oder Fürstenwalde. Dann schön zu Mittag essen und zurück,
dann hast du deine 150 Kilometer heruntergeschnullt und der
Wagen kommt wieder ins Körbchen. Durch die Stadt fahre ich mit
meinem Cayenne-V8-Diesel, damit die alle gleich Bescheid
wissen. Neulich fragte mich doch ein Journalist, ob ich mich
deswegen nicht schäme. Ich meine, hat der noch alle Tassen im
Schrank? Ich antwortete: »Ich fahre ein Fahrzeug mit Zulassung
und das ist mein Arbeitsgerät. Was ist daran so falsch?«
Gibt es noch mehr Dinge im (Auto-)Leben, die Sie überraschen?
Lundt: Meine Frau fuhr mit Anfang zwanzig einen Alfa Romeo
Junior. Das war aber eine solche Rostmorchel, dass ich irgendwann
gesagt habe: »Mausi, das Ding muss weg.« Da hat sie
geheult wie ein Schlosshund. Vor einigen Jahren meinte sie
dann, dass sie sich so ein Auto noch mal wünschen würde.
Also fand ich einen Wagen in Nürnberg und rief den Mann an:
»Hören Sie, ich komme jetzt vorbei und schaue mir den an. Ich
bin Oldtimer-Spezialist und hoffe, ich werde von dem Auto
nicht enttäuscht sein.« – »Auf keinen Fall«, meinte der, »es ist
in einem sensationellen Zustand.« Was soll ich sagen? Heckschaden,
der Kofferboden war noch faltig, die Schweller
guckten unten ab, weil sie gar nicht angeschweißt waren. Und
als ich mich darüber aufregte, sagte der Typ, die Kleinigkeiten
könne ich ja wohl mit links reparieren, wenn ich ja davon
Ahnung hätte. Unglaublich.
Und dann?
Lundt: Entdeckte ich einen Alfa in Holland. Witzigerweise
hieß der Verkäufer auch noch Romeo. Ein total rostfreies,
gerades Auto, traumhaft schön. Wir haben nur Wasserschläuche
und Reifen gemacht. Seitdem hat meine Frau ihren
Alfa Romeo wieder zurück.
Ist ein Motor für Sie ein Kunstwerk?
Lundt: Grundsätzlich schon, und zwar auf mannigfaltige Art.
Ich weiß nicht, wie viele Motoren ich schon repariert habe.
Zweihundert, dreihundert Stück? Und jedes Mal, wenn ich so
→
Ganz schön was los hier. ramp #49
das zu beweisen, stellte ich jemanden an, der nur Sechsen im
Zeugnis hatte. Also den erdenklich schlechtesten Kandidaten
für eine Kfz-Mechanikerlehre. Ich sagte zu ihm: »Streng Dich
an, Du trägst eine große Verantwortung. Wenn das mit Dir
hier klappt, bist Du ein Vorbild für andere.« Um es kurz zu
machen: Nach zwei Jahren war der Servicemechaniker. So
habe ich hier schon einige durch die Ausbildung gekriegt, die
woanders keine Chance bekommen hätten. Das war noch vor
der Flüchtlingskrise 2015.
einen Motor neu starte, ist das ein ganz besonderes Gefühl.
Immer! Das gilt nicht nur für die 911er-Motoren, sondern auch
für die Ferrari- oder eben, wie gesagt, die Alfa-Motoren. Oder
letztes Jahr haben wir einen Audi quattro gemacht, einen
Ur-quattro. Komplett revidiert, Gott sei Dank hatte ich noch
fünf originale Übermaßkolben gefunden. Und dann fuhr der
Kunde damit die historische Monte und hat auch noch
gewonnen.
Haben Sie sonst noch ungewöhnliche Autos restauriert?
Lundt: Ja, vor anderthalb Jahren haben wir ein Grumman
Post-Auto für das Zeithaus in der Autostadt von Volkswagen
restauriert. Davon wurden gerade mal 47 Stück in den USA
hergestellt, heute gibt es weltweit nur noch zwei Exemplare,
wovon wir einen gemacht haben. Und jetzt kommt der Kracher:
E-Motor mit Kupplung und Fünf-Gang-Getriebe. Das fand ich
lustig. Der landete also bei uns, weil VW damit seine Elektromobil-Geschichte
aufarbeiten wollte. Grumman ist aber
eigentlich ein Flugzeughersteller und nutzt dieses harte Blech,
beim Bearbeiten sind wir fast irre geworden. Dann haben wir
noch recherchiert: Wie war das Auto damals lackiert? Wie
sahen die Postzeichen zu der Zeit aus? Zum Schluss mussten
wir die Elektrik noch auf aktuelle E-Stecker umbauen. Das
war vielleicht ein Gefummel.
Noch eine andere Frage: Sie achten in Ihrem Betrieb darauf, auch
Migranten zu beschäftigen. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Lundt: Ich habe mich früher immer über Kollegen geärgert,
die sagten: »Diese Leute sind zu doof zum Ausbilden.« Und ich
hielt dagegen: »Nein, man muss sie nur richtig anleiten.« Um
Und dann?
Lundt: Dann haben wir interessierte Flüchtlinge durch die
Berliner Innung geschleust. Die sollten sich in kleinen Gruppen
mal das Handwerk angucken. Und da habe ich gleich gesagt:
»Passt auf, Leute, wenn einer dabei ist, der wie ein Champignon
aus der Wiese guckt, dann schickt mir den.« So kam
Hassan zu mir. Er hat schon mal an Autos herumgeklopft,
sagte er, ansonsten betrieb er in Syrien einen Obstladen. Heute
ist er einer der wichtigsten Mitarbeiter in meiner Karosserieabteilung.
Dem kann man geben, was man möchte, er macht
immer ein Kunstwerk aus dem Blech. Ein Libanese gehört
auch noch zu meiner Gang. Der ist jetzt 19 und sollte erst abgeschoben
werden. Aber mit der Ausbildung konnte er das
verhindern. Jetzt ist er schon über drei Jahre da. Und wenn der
im Sommer ausgelernt hat, brauche ich den hier als Fachkraft.
Nur mit zwei von sechs Flüchtlingen hat es nicht funktioniert.
Ich würde immer wieder so handeln. Ich konnte mich in dieser
Welt etablieren und hocharbeiten und mir einen gewissen
Wohlstand schaffen. Mit meinem sozialen Engagement kann
ich der Gesellschaft auch etwas zurückgeben. Wir sind ja alle
verantwortlich für unser Land.
Das nennt man wohl gelungene Integration.
Lundt: Wenn man sich kümmert, geht das auch. Wenn ich aber
eine Aversion gegen Ausländer habe, kann ich das natürlich
vergessen. Unser Land ist nun mal so, wie es ist, die Menschen
sind jetzt da, und mir ist es lieber, wir machen aus ihnen
vernünftige Mitglieder unserer Gesellschaft, als dass sie auf
der Straße herumlungern. Ich glaube, es wäre viel einfacher,
wenn die Deutschen auch mal am eigenen Leib erleben
könnten, wie es den Flüchtlingen in ihren Heimatländern so
erging. Ich würde gerne mal so ein ganzes Dorf, das zu siebzig
Prozent AfD gewählt hat, 14 Tage lang im Bus durch Syrien
fahren lassen. Wenn alle mal den Ball ein bisschen flacher
halten, in sich kehren und darüber nachdenken würden, in
welcher traumhaften Situation sie in Deutschland leben, wäre
vielen geholfen. Das wäre mein größter Wunsch.
90 Ganz schön was los hier. ramp #49
Higgledy Piggledy
91
Waterproof
Text / Fotos
Matthias Mederer · ramp.pictures
Jede andere Fahrzeug-Präsentation wäre abgesagt worden. Doch
es handelt sich um den Launch des Jeep Gladiator. Da dürfen der
neuseeländische Dauerregen, überschwemmte Straßen und Wege,
abrutschende Hänge und Schlamm als Respektsbekundungen
seitens der Natur begriffen werden.
92 Ganz schön was los hier. ramp #49
Higgledy Piggledy Waterproof
93
Wir fahren los. Ein simpler Satz. Welche dramatischen Entwicklungen
sich allerdings anbahnen, ahne ich beim Blick
gen Himmel. Es regnet die sprichwörtlichen Bindfäden – und
in den Nachrichten kam gerade die Meldung, dass in einem
Bergdorf namens Franz Josef auf der Südinsel Neuseelands,
auf der auch wir uns befinden, tausende Menschen wegen
Hochwasser festsitzen. Die einzig mögliche Rettung erfolgt
durch Helikopter. Ich schaue mitleidig auf meine Converse
herunter. Mir wird klar: Meine Stoffschuhe werden das nicht
überleben. Bei allem anderen vertraue ich ab sofort auf Jeep;
eben jener Marke, die ihren Ursprung im Bau von unverwüstlichen
Allrad-Fahrzeugen für das Militär hat. Dwight D.
Eisenhower persönlich stellte einst fest, dass man den zweiten
Weltkrieg ohne Jeep nicht hätte gewinnen können. Die
Fahrzeuge waren extrem robust und gleichzeitig sehr simpel.
Schon bald hieß es, Jeep stünde für »just enough essential
parts«. Etwas Spott und Anerkennung in einem. Aus dem
Militärfahrzeug Willys MB entwickelte sich der Wrangler.
Mit der Zeit wandelte sich der Jeep zum FSV – Freizeit-Spaß-Vehikel;
hochgelegt, ohne Türen und Fenster, mit
dickem V8. So fand man ihn für gewöhnlich in Key West, Florida.
Manchmal noch mit einem aufgemalten Adler auf der
Motorhaube. Die ernsthaftere Fraktion fuhr den Rubicon
Trail in Kalifornien oder den Hells Revenge Trail in Utah. Da
fuhr dann aber auch sonst nichts anderes mehr. Zumindest
nicht auf vier Rädern.
Auch die Ahnengalerie des Gladiator reicht weit zurück. Sie
beginnt 1947 mit dem Willys-Overland »Jeep« Pick-up Truck.
Weitere DNA-Spuren finden sich im FC-150/170 Pick-up. 1963
gab es dann bereits den ersten Gladiator, der wie sein moderner
Namensvetter mit robusten Dana 44-Achsen – die Rolex
Daytona unter den Offroader-Achsen – ausgestattet war. In
den 1980ern folgten noch der CJ-8 Scrambler und der Comanche.
Danach bildete sich eine Lücke, zumindest was Pick-up-
Trucks angeht. Der neue Gladiator schließt diese Lücke. Und
mit genau dem sind wir unterwegs.
Unser Ausgangsort ist Queenstown, Neuseeland. Und es geht
mitten rein in die Natur. Zunächst ein bisschen Straße. Kann
der Gladiator. Aber es wäre schon sehr verwunderlich, wenn
dieses Fahrwerk am Nürburgring abgestimmt worden wäre.
Ein amerikanischer Kollege
schaut mich etwas
vorwurfsvoll an: »Du gehst
wohl auch mit ’nem Löffel
zur Schießerei.«
Und die Wälder um die Nürburg herum dürften kaum ausreichend
Herausforderung sein. Mal vom Genehmigungswahn
der deutschen Bürokratie abgesehen.
Neben mir sitzt ein britischer Kollege namens Matt. Seine
Anreise aus London fand über Los Angeles und Auckland
statt, 38 Stunden Reisezeit. Er wechselte zwischen den Zeitzonen
wie ein routinierter Playboy zwischen seinen Frauen. Er
hat keine Ahnung, was für ein Tag heute ist. Und es ist ihm
auch egal. »Scheiß Jetlag. Du gewöhnst dich nie dran.« Gut für
ihn: In Neuseeland gilt Linksverkehr wie in England. Ich blicke
aus dem Fenster. Schwere Wolken hängen tief in den grünen
Bergen links und rechts. Schafe liegen auf saftigen
Wiesen. »Da bist Du zwei Tage im Flieger unterwegs, ein Mal
um die gesamte Welt herum, fährst hier im Regen bei Linksverkehr
durch eine Landschaft, die aussieht wie Schottland –
und die Menschen sprechen Englisch. Kommst Du Dir nicht
ein bisschen veräppelt vor?«, frage ich Matt mit einem süffisanten
Unterton. Er blickt zu mir rüber, zieht eine Augenbraue
hoch, dann blickt er wieder nach vorne. Überall Schafe.
14 Millionen sind es angeblich in ganz Neuseeland, denen
stehen vier Millionen Einwohner gegenüber. »Ja, so gesehen
könnte ich die Ortsmarke einfach weglassen und mal schauen,
welchem unserer Leser überhaupt auffällt, dass wir nicht zu
Hause unterwegs sind.«
Unser Konvoi stoppt. Neben uns liegt ein See – aber auch vor
uns, da, wo eigentlich unsere Straße weiterführen sollte. Paul
Nicholson kommt durch den Regen zu unserem Auto gestapft.
Er grinst. »Die Straße ist zwar unter Wasser gesetzt, aber wir
werden da jetzt durchfahren.« Seit 20 Jahren arbeitet Nicholson
als Motivator, Instruktor, Organisator und Guide für
Touren durch die neuseeländischen Berge. Zudem besitzt er
diverse Zertifikate und zwölf Jahre Erfahrung im Bereich
neuro-linguistischer Programmierung. Würde er mir erzählen,
dass ich auch übers Wasser gehen kann, ich würde es glatt
auf einen Versuch ankommen lassen. Einzig um meine
Chucks würde ich mir Sorgen machen.
In kontrolliertem Tempo rollen wir los. Vollautomatischen
Allrad zuschalten, und ab dafür. Mit einer ordentlichen Bugwelle
teilen wir das Meer vor uns. Halleluja! Zwei Jungs auf
einem Motorboot schauen neugierig vorbei, winken kurz rüber
und drehen wieder ab. Sicher erreichen wir das andere »Ufer«.
Bald biegen wir rechts ab, es geht hinein ins Gelände.
Programmpunkt: Schotterpiste mit Wasserpfützen. Der
immer gleiche Effekt: Sobald man mit einer angemessenen bis
etwas zu hohen Geschwindigkeit durch eine Wasserpfütze
prescht, spritzt das Wasser so hoch, dass die Windschutzscheibe
vollständig eingedeckt wird. Und obwohl ich weiß,
dass ich wirklich nichts vor mir habe, gehe ich reflexartig vom
Gas. Blindflug im Jeep – für das zarte Gemüt eines Wehrdienstverweigerers
dann doch eine Nummer zu hart. Links
am Hang ist über Nacht ein Felsbrocken so groß wie ein Parkhaus
den Berg hinabgerutscht. Er liegt nur knapp hundert
Meter von unserem Weg entfernt und hat eine erdfarbene
Schneise in den grünen Hang gerissen, die wie eine offene
Schnittverletzung »blutet«. Wenn uns ein solcher Brocken
trifft, hilft auch kein Allrad oder Überrollkäfig mehr. Dann
war’s das. Demut macht sich breit. Doch schon wartet die
nächste Pfütze.
Kurz darauf ein improvisierter Kaffeestopp. Fachsimpelei
unter Kollegen. Einig ist man sich vor allem in einem Punkt:
Kein anderer Hersteller wäre unter diesen Bedingungen losgefahren.
Das könne nur Jeep machen. Einer wirft zumindest
ein, dass man es mit einem Toyota Hilux hätte versuchen
können. Mein rechter Schuh ist vollends nass, die Sohle nicht
mehr ordentlich verklebt. Ein amerikanischer Kollege schaut
mich etwas vorwurfsvoll an: »Du gehst wohl auch mit ’nem
Löffel zur Schießerei.« Kurz überlege ich, ob das ein guter
Zeitpunkt ist, meine pazifistischen Grundwerte gegenüber
einem Amerikaner klarzustellen, lasse es dann aber. Im
Grunde hat er ja Recht. »Ich bin ein Lifestyler«, antworte ich und
zucke mit den Schultern. Der Ami lacht. Man muss dazu sagen,
dass »Lifestyler« als Schimpfwort gilt unter automobilen Fachjournalisten.
Der Begriff bezeichnet eine Kollegenkaste, die sich
im Dunstkreis von Influencern vor allem darauf konzentriert,
dass die Schuhe zum Gürtel beziehungsweise zum Leder der
Sitze passen. Wirkliche Fachkompetenz wird den wenigsten
→
94 Ganz schön was los hier. ramp #49
Higgledy Piggledy Waterproof
95
Jeep Gladiator Rubicon (US-Spezifikation)
MOTOR
3,6-Liter-V6 Pentastar
HUBRAUM
3.604 ccm
LEISTUNG
284 PS (209 kW) bei 6.400 U/min
DREHMOMENT 353 Nm bei 4.400 U/min
0 – 100 KM / H k.A.
VMAX
k.A.
96 Ganz schön was los hier. ramp #49
Higgledy Piggledy Waterproof
97
zugesprochen. Und da mir diese offen gesagt vor allem bei echten
Off roadern fehlt, kehre ich Zurückhaltung heraus. Ich lerne:
Der Gladiator hat einen zusätzlichen Wählhebel in der Mitte, auf
dem man zwischen 2H, 4H Auto, 4H Part Time und 4L wählen
kann. Man wählt damit die Kraftverteilung und die Getriebeuntersetzung.
Die »4« steht grundsätzlich für Vierradantrieb, die
»2« für Heckantrieb, den nutzt man auf ebener, trockener Straße,
um Sprit zu sparen. »H« heißt Getriebeübersetzung High für die
Straße, »L« heißt Low fürs Gelände und lässt den Motor bei niedriger
Geschwindigkeit höher drehen, was höheres Drehmoment
bringt, damit alle erdenklichen Offroad-Herausforderungen
gemeistert werden können. »4H Auto« schließlich schaltet den
vollautomatischen Vierradantrieb, »4H Part Time« den starren
Durchtrieb zu allen Rädern gleichzeitig. »4L« ist also die Wunderwaffe
für anspruchsvollste Gebiete. Wenn zum Beispiel über
Nacht aus einem kleinen Rinnsal ein stattlicher Fluss geworden
ist, der über gut zehn Meter Länge einen kompletten Weg weggespült
hat. Aber so viel Glück muss einer erst mal haben.
Ich stehe mit meinem Kaffee neben Nicholson. Er sagt mir, ich
solle unbedingt noch einen der Cookies probieren, die habe
seine Tochter selbst gebacken. Natürlich nehme ich einen. Der
Keks ist sehr amerikanisch, zuckersüß. Nicholson erzählt ein
wenig davon, was wir als Nächstes vorhaben. Zusammengefasst
sagt er: Alles, was wir bisher gemacht haben, war Kindergarten.
Ich halte mich an meinem Keks fest.
Der Gladiator vermittelt dem Fahrer kein Gefühl von »Lehn’
dich zurück, ich mach das schon« – vielmehr bekommt man
etwas, das heutzutage selten geworden ist: das Gefühl, dass
du am Steuer wieder der Chef bist und das Auto zwar alles
kann, aber eben nur, wenn du es auch kannst. Wir meistern
jedes Hindernis. Was wahrscheinlich auch daran liegt, dass
die meiste Zeit mein englischer Kollege Matt am Steuer sitzt.
Der ist ein echter Offroad-Fachjournalist und am Ende des
Tages zufrieden: »Alleine dafür hat sich die Reise gelohnt!«
Nachtrag: Meine Converse haben es leider nicht überlebt. Ich
musste sie am anderen Ende der Welt in einem Mülleimer
zurücklassen und habe mir noch am selben Tag in einem
Laden gegenüber von unserem Hotel ein Paar neue Schuhe
besorgt.
Zusammengefasst sagt er:
Alles, was wir bisher gemacht
haben, war Kindergarten. Ich
halte mich an meinem Keks fest.
Wir fahren weiter und halten schon kurz darauf wieder an.
Und siehe da: Über Nacht ist ein kleiner Rinnsal zu einem
stattlichen Fluss angewachsen und hat über eine Länge von
gut zehn Metern den kompletten Weg weggespült. Wieder
kommt Nicholson ans Fenster. »Wir checken den Durchlauf
und werden grobe Felsbrocken beseitigen. Dann fahren wir
weiter ... Ach ja, jetzt schalten wir in 4L.« Ja, da schau an! Im
wahrsten Sinne des Wortes. Denn mit Augen zu und durch
geht in diesem Gelände gar nichts mehr. Es rauscht der Fluss,
es kratzt der Stein, die Un ebenheiten der Natur rütteln heftig
an Karosse und Körper. Und der Jeep kriecht langsam durch
den Fluss.
Danach geht es rein ins eigentliche Offroad-Gelände. Ab hier
ist alles nur noch Klettern, Kraxeln, Waten; natürlich in 4L.
2
© CBS Photo Archive/GettyImages
Hallo
Überraschung!
100 Hallo Überraschung! ramp #49
Higgledy Piggledy
101
Siegerehrung
Zu Recht wurde dieses Jahr »Le Mans 66 – Gegen jede Chance«
mehrfach für den Oscar nominiert. Dennoch würden wir gern einen
Zusatz-Oscar in der Kategorie »Beste Sonnenbrille« vergeben. Der
Gewinner: Entourage of 7’s Beacon 1020. Die trug Matt Damon in
dem Film und verwandelte sich so endgültig in den Autonarr Carrol
Shelby an der Seite von Christian Bale.
→ eof7.com
Funkverkehr
Video mag vielleicht die Radio-Stars
gekillt haben, aber mitnichten das
Radio. Das bewahrheitet sich, wenn man
sich das Eames Radio anguckt. Dem
Originaldesign von Charles & Ray Eames
aus dem Jahr 1946 nachempfunden,
steckt es voll moderner Technik wie
DAB/DAB+-Tuner, Bluetooth oder
FM-Tuner mit RDS. Auf 999 Stück
limitiert.
→ vitra.com
Steckspiel
Werkzeug hat den unangenehmen
Nebeneffekt, dass es meist in der
Garage liegt, während man es doch grad
mitten auf dem Radweg bräuchte, weil
eine Nabe locker ist. Das M.250
Multitool von Tactica löst dieses
Problem. So groß wie ein Handteller,
birgt es zwölf der am häufigsten
gebrauchten Bits in sich, die sich
einfach rausnehmen und an der Vorderseite
aufstecken lassen.
→ tacticagear.com
Rollator
Sollten Sie glauben, dass Crowdfunding nicht
funktioniert, dann sehen Sie hier den
Gegenbeweis: Als Kickstarter-Projekt
gestartet, ist Rollogo mittlerweile der
Geheimtipp unter Kofferträgern. Denn der
Trolley sieht nicht nur stylisch aus, er
erzeugt auch über seine Rollen Energie, mit
der Sie Smartphone oder Notebook laden
können. Dann ergeben auch die Wege am
Frankfurter Flughafen endlich mal Sinn.
→ rollogo.com
Gleichberechtigung
Die Zeitschrift (wobei Buch eigentlich das trefferende
Wort wäre) »Modern Huntsman« ist das Aushänge-Blatt
des intellektuellen Jägers und Naturfreunds. Die Macher
überraschten nun ihre Leserschaft mit der vierten
Ausgabe, die sie als reines Frauenheft konzipierten.
Und bevor gelästert wird: Die Ausgabe ist ein Paradebeispiel,
wie man so was macht. Besser geht’s nicht.
→ modernhuntsman.com
Weckruf
Short Cuts – 02
Text Martin Trockner
Kraut und Rüben, die zweite: Diese schönen Sachen
dürfen durchaus wahllos in der Wohnung verteilt werden.
»Der Kaffee ist fertig, klingt das net
unheimlich zärtlich«, sang 1980 der österreichische
Liedermacher Peter Kornelius. Selten
war ein Songtext irreführender, denn wie
jeder weiß, sind morgens meist die Bohnen
alle oder der Wassertank ist leer oder der
Satzbehälter voll. Einzig passend zu dem Song
ist der Bariseur Tea & Coffee-Wecker, der
einen morgens mit frischem Kaffee weckt –
oder mit Tee.
→ joyresolve.com
Higgledy Piggledy
103
Das Taycan-Lächeln
Die Wahrheit liegt im Lächeln, müsste es eigentlich heißen.
Denn ein ehrliches Lächeln lässt sich nur schwer imitieren.
Dass einem ein Porsche beim Fahren genau so ein Lächeln
ins Gesicht zaubert, gehört seit jeher zur Basisausstattung.
Ein kurzweilige Ausfahrt in Richtung GP Ice Race im
neuen rein elektrischen Taycan klärt somit rasch auf, über
die Dinge, die sich ändern, und die Dinge, die immer bleiben
werden.
Text
Matthias Mederer
© Andrea Klainguti / Classic Driver
Ein »Pan Am Smile« war einst ein geläufiger Begriff für ein
künstliches, falsches Lächeln. Er ging zurück auf die amerikanische
Fluglinie »Pan American World Airways«, die ihren
Stewardessen ein ständiges Lächeln abverlangte, schließlich
sollte sich der Fluggast willkommen fühlen. Leider war den
Stewardessen im Berufsalltag nicht immer zum Lächeln
zumute, und das sah man ihnen schnell an. Das menschliche
Lächeln ist ein äußerst komplexer Gesichtsausdruck, bei dem
sehr viele Muskelpartien im Gesicht aktiv werden müssen. Wer
nicht fühlt, was er lächelt, dem sieht man das oft direkt an. Das
Fühlen macht die Wahrheit aus. Und fühlen werden wir einiges
an diesem Wochenende. Und lächeln. Wahrhaftig lächeln.
Wir sind in München, Roomers Hotel, einen entspannten
Spaziergang von der weltberühmten Theresienwiese entfernt,
die ja eigentlich gar keine Wiese mehr ist, sondern ein Platz,
zum größten Teil geteert. Die Köpfe hinter den Roomers Hotels
heißen Micky Rosen und Alex Urseanu. Die Branchen-Exper ten
der Auszeichnung »Hoteliers des Jahres 2018« beschrieben die
beiden einst als Macher, die »zeigen, wie Luxus modern interpretiert
werden kann, ohne dabei die Leichtigkeit des Seins aus
dem Auge zu verlieren«. In der Lobby, direkt neben dem
Eingang, steht ein Custom-Motorrad, vintage und klassisch
benzinbefeuert. Darüber wollen wir aber großzügig hin wegsehen.
Uns erwartet ein elektrifizierendes Wochenende.
Zusammen mit ein paar Kunden, Fotografen, Journalisten und
einem Schauspieler wollen wir uns mit dem neuen Porsche
Taycan auf den Weg nach Österreich zum GP Ice Race in Zell
am See machen. Die Strecke selbst steht für einen typischen
Wochenendtrip, wie ihn die Münchner gern als Alltagsflucht
betreiben: zum Skifahren im Winter, zum Wandern und
Mountainbiken im Sommer. Ein bisschen Autobahn, ein bisschen
Bergstraßen, und schon ist man in gut drei Stunden am
Ziel. Der Taycan sollte das mit seiner realistischen Reichweite
ohne zwischenzeitliches Aufladen schaffen. Eines vorneweg:
Er hat es geschafft. Relativ locker sogar.
An dieser Stelle nur fürs Protokoll: Der Taycan hat einen tiefer
liegenden Schwerpunkt als der 911 – dank der im Fahrzeugboden
verbauten Batterien. Gefühlsecht in den Kurven, sozusagen.
Dann der Geradeauslauf! Rund 28 Meter Strecke macht
der Taycan in den ersten 2,5 Sekunden, das schafft so mancher
Besitzer wahrscheinlich in seiner Hofeinfahrt. Empfehlenswert
ist ein solcher Wahnsinn natürlich nicht. Und nur zum Vergleich:
Der Plug-in-Hybrid-Über-Porsche 918 Spyder schafft in dieser
→
104 Hallo Überraschung! ramp #49
© Matthias Mederer ∙ ramp.pictures
Zeit gut zwei Meter weniger. Über hoch emotionale Gesichtsausdrücke,
gar Tränen der Ergriffenheit beim Beschleunigen hat
sich der Hobby-Philosoph Walter Röhrl ja schon vor Jahren
intensiv Gedanken gemacht. Der Taycan übertrifft das. Bei
ihm fließen die Tränen nicht waagerecht nach hinten ab, der
Taycan zieht dir beim Beschleunigen die Falten glatt. Unser
»Jungbrunnen« ist ein kleiner Flugplatz. Die Landebahn ist
reserviert, ausschließlich für den Tiefieger Taycan. Ein paar
Mal unter Volllast mit Launch Control von null auf hundert,
und wir sehen alle glatt drei bis fünf Jahre jünger aus. In der
Botox-Industrie machen sich erste Sorgenfalten breit. Hört
man. Das Faszinierende an der E-Mobilität made in Zuffenhausen
ist die millisekundenschnelle Ansteuerung jedes
einzelnen Rades, die in der Form bei einem Verbrenner nicht
möglich ist. Wie ein Spürhund erschnüffelt sich jedes der vier
Räder selbstständig so viel Grip, wie es nur finden kann, und
schiebt den Taycan nach vorne. Die Bedingungen sind beinahe
egal. Der Taycan Turbo S braucht bei Regen nur ein Zehntel
länger von null auf hundert als bei idealen trockenen Bedingungen.
Auch eine neue Form der Effizienz. Irgendwie.
Es braucht schon eine äußerst zähe Blockabfertigung an einem
Tunnel in Österreich, um einem das Dauergrinsen im Taycan
wieder aus dem Gesicht zu wischen. Für Abwechslung sorgt ein
Fan. Er fährt Seat, steht zwei Wagen hinter unserem Konvoi.
»Ist das der neue Taycan?« Seine Begeisterung kennt kaum
Grenzen. Er ist ganz aus dem Häuschen. Outet sich als selbsternannter
»größter Porsche Fan überhaupt«. Den Taycan findet er
»sensationell«. Und das, was er über die Performance gelesen
und gesehen habe, sei ja schier unglaublich. Der Fan turnt dann
noch eine ganze Weile überglücklich vor Porsche Freude um uns
herum. Wir wiederum freuen uns über den Taycan. Der Allradantrieb
nimmt einem die Angst vor jedem einsetzenden Schneegestöber
auf der Berg straße. Man fühlt sich intuitiv sicher.
Keine schlechte Einstimmung, wenn man Richtung GP Ice Race
unterwegs ist. Denn auf dem 600 Meter langen Schnee-
Parcours schlittern und driften die Fahrzeuge ein Wochenende
lang über eine 40 cm dicke Eisschicht. Motorsport-Action
»on the rocks«. Und wir dann mittendrin im Highspeed-
Schnee-und-Eis-Spektakel. Enthusiasten unter sich.
Richtig Spaß bereitet dann auf unserem Weg dahin ein abgesperrtes
Testgelände in Österreich. Schneebedeckte Strecken,
Driften im E-Auto lautet die Disziplin. Und Driften mit einem
Allrad. Wir erinnern uns wieder an Walter Röhrl. Als der für
die »Monte« 1984 vom extremen Hecktriebler Lancia 037 in
den Audi quattro umstieg, benötigte auch der Meister einige
Tage, um sich an den Zug von vorn zu gewöhnen. Aber dann
schenkte er den skandinavischen Quattro-Assen Stig Blomqvist
und Hannu Mikkola nicht Sekunden, sondern Minuten
ein. Welche Erkenntnis ziehen wir daraus? Man kann alles
lernen. Einzig die Lernkurve verläuft halt beim einen so, beim
anderen so. Und bei uns? Na ja, sie ist direkt nach unseren
Witzen wahrscheinlich das Flachste hier in den Bergen, wobei
es uns der Taycan einfach macht. Die Dosierbarkeit der Kraft
ist weitaus präziser als bei einem Verbrenner steuerbar – und
das Grip niveau ist besser. Entsprechend hervorragend sind
die Ergebnisse beim reinen Geradeaus-Beschleunigen:
»Zackenbatz!« Das geht dann mal richtig voran.
© Vince Perraud
© Frank Kayser
Doch dann sind da ja noch die Kurven. Und beim Bremsen lässt
sich das Gewicht von 2,3 Tonnen nicht wegentwickeln. Masse
bleibt Masse. Dem Taycan wohnt aber jederzeit eine Leichtigkeit
inne. Es ist eine neue Form der Leichtigkeit, die mehr ein
Zusammenspiel ist aus den Prozessen der Bewegung ganz allgemein:
Beschleunigen, Lenken, Bremsen, es auch mal laufen
lassen, all diese Dinge spielt der Taycan mit einer – geräuscharmer
E-Antrieb hin oder her – gelassenen Ruhe ab, die
spürbar auf das zentrale Nervensystem des Fahrers wirkt.
Wellness beim Gegenlenken, sozusagen.
Und die wahre Kunst beim Allraddriften besteht ja ohnehin
gerade darin, nicht zu lenken. Im Idealfall steht das Lenkrad
nämlich auf zwölf Uhr, während das Fahrzeug quersteht, oder
besser: schiebt und zieht. Alles fein gesteuert über den rechten
Fuß; der linke ruht bei den großen Meistern auf dem
Bremspedal, und hier und da setzt er einen kurzen, aber
bestimmten Impuls, um zu verhindern, was keiner will: das
hämische Grinsen der anderen, während es dich eindreht und
der Taycan sich rückwärts in der Schneebande eingräbt. Es ist
ein im wahrsten Sinne unerhörter Spaß, so mühe- und
ansatzlos über den losen Untergrund zu rutschen. Völlig
geräusch los läuft es dann aber doch nicht ab. Da ist das Scharren
der Reifen über Schnee und Eis, und es gibt den aufpreispflichtigen
Sound, den man auch abschalten könnte. Tatsächlich aber
hilft der bei der Dosierung. Es sind wohl alte Instinkte, die da
bedient werden. Darüber hinaus erinnert der Sound ein bisschen
an den Warp-Antrieb vom Raumschiff Enterprise. Innerlich
ist man also schon mal direkt auf interstellares Raumfahrtabenteuer
vorbereitet. Also, um es mit den Worten von
Captain Kirk zu sagen: »Volle Schubkraft voraus!«
Zum Vergleich stehen auch noch ein paar – darf man das
sagen? – konventionelle Porsche bereit: ein paar 911, heck- und
allradgetrieben, ein GT3 RS, ein GT2 RS und ein 718 GT4,
handgerissen. Freilich ist das eine akustische Wollust, wenn
so ein GT3 RS seinen Sauger Richtung 9.000 Umdrehungen
jagt, aber es verlangt eben auch jede Menge Talent und
Konzentration, um damit scharf um die Ecken zu driften. Da
verspannt der Gesichtsausdruck beim ein oder anderen dann
schon mal, vor allem, wenn es dich zum dritten Mal in der
gleichen Kurve eindreht. Sound hin, Sound her.
Später am Abend dann, in einer bestens gelaunten Runde,
diskutieren wir darüber, ob uns die Evolution diesen Instinkt,
auf den Motorensound zu reagieren, jemals vollends
austreiben wird. Einigkeit herrscht keine. Porsche betont,
dass der Sound aus den natürlichen Prozessen des E-Antriebs
generiert werde, also technisch gesehen tatsächlich echt ist.
Genau wie das Lächeln aller Beteiligten über dieses Wochenende
hinweg.
106 Hallo Überraschung! ramp #49 Higgledy Piggledy
Das Taycan-Lächeln
107
© Andrea Klainguti
Higgledy Piggledy
Das Taycan-Lächeln
109
© Andrea Klainguti
Porsche Taycan Turbo
MOTOR
Permanenterregte Synchronmaschine an Vorder- und Hinterachse
LEISTUNG
680 PS (500 kW) bei Launch Control mit Overboost
DREHMOMENT 850 Nm bei Launch Control mit Overboost
0–100 KM/H ca. 3,2 s bei Launch Control
VMAX
260 km/h
Und die wahre Kunst beim
Allraddriften besteht ja
ohnehin gerade darin, nicht zu
lenken. Im Idealfall steht das
Lenkrad auf zwölf Uhr,
während das Fahrzeug quersteht,
oder besser: schiebt
und zieht.
© Frank Kayser
Higgledy Piggledy
113
Kings of Cool
Text
Natalie Diedrichs
Fotos
Keno Zache
Früher stellte man ein Auto auf
einer Messe aus, um seine Marke
zu präsentieren. Tja. Das GP Ice
Race in Zell am See beweist nach
nur zwei Jahren, dass eine neue
Ära beginnt – die definitiv mehr
Spaß macht.
Dichte Nebelschwaden wabern über der österreichischen
Kleinstadt Zell am See. Wegen fast
frühlingshafter Temperaturen Ende Januar
müssen Schneemaschinen nachhelfen, um den
Flugplatz südlich der Stadt mit dem nötigen
Bodenbelag zu präparieren. Später soll auch noch
Nieselregen einsetzen. Die Voraussetzungen,
unter denen die zweite Auflage des GP Ice Race
stattfindet, klingen zunächst alles andere als
ideal. Und trotzdem sprengt das Event, das in den
Siebzigern eingestellt und 2019 von Ferdi Porsche
neu belebt wurde, mal wieder sämtliche Rekorde:
mehr als 16.000 Zuschauer in eineinhalb Tagen,
über 150 Teilnehmer, die in acht verschiedenen
Wettbewerbsklassen gegen ein ander antreten,
und dazu die Crème de la Crème der automobilen
Influencer-Szene. Sie sorgt dafür, dass die sozialen
Medien während dieses Wochenendes heißlaufen
und auch alle, die nicht vor Ort sind, in
Echtzeit miterleben, welche Gaudi gerade in
Österreich abgeht.
»Ein Szenetreff, der selbst die europäischen Automessen
in den Schatten stellt«, schreibt der
»Stern« später. Absolut richtig. Denn während
man sich andernorts den Kopf darüber zerbricht,
ob eine örtliche Verlagerung der IAA den seit
Jahren einbrechenden Besucherzahlen entgegenwirken
könnte, denken die Initiatoren des GP Ice
Race den nötigen Schritt weiter: Die Idee, Autos
einfach irgendwo hinzustellen, ist überholt – da
spielt es keine Rolle, ob sie nun in München oder
Berlin vor sich hinfunkeln. Experten sind sich
einig: Marken müssen heutzutage Erlebnisse
bieten, wenn sie eine effektiv-positive Beziehung
zu ihren Kunden aufbauen wollen. Und das
wollen sie, denn nur so verkaufen sie Autos. Es
gilt also, Lebenswelten zu schaffen, zum Mitmachen
anzuregen, gemeinsam eine gute Zeit zu
haben. Und dabei ihre Botschaften und Markenwerte
zu vermitteln.
→
114 Hallo Überraschung!
ramp #49
Higgledy Piggledy
Kings of Cool
115
»Ein Szenetreff, der selbst
die europäischen Automessen
in den Schatten
stellt.«
»Stern«
Das GP Ice Race in Zell am See ist dafür ein Paradebeispiel.
Während namhafte Rennfahrer-Prominenz
wie Hans-Joachim »Strietzel« Stuck,
Tanner Foust, Stig Blomqvist und Michael
Stoschek ein PS-starkes Schmuckstück nach dem
anderen übers Eis scheucht, ist gleichzeitig auch
die Zukunft ein Thema. Denn natürlich dreht
auch der neue Porsche Taycan seine Pirouetten
auf dem Eis, Volkswagen hat ebenfalls das
Konzept eines rein elektrisch angetriebenen
Sport-Golf mitgebracht. Neue Antriebe teilen sich
die Bühne mit klassischen Hochkarätern wie
einem 911 2.7 RS oder einem 550 Spyder, und
auch völlig markenfremde Exemplare wie ein
Alfa Romeo 8C 2900, ein BMW 700 oder ein
Lancia Stratos Gruppe 4 mischen mit.
So bleiben am Ende nicht die Nebelschwaden oder
der Nieselregen in Erinnerung, sondern die
Benzingespräche, die tollen Autos, die gute Zeit.
Und die erlebt man nun mal nicht in tageslichtbefreiten
Messehallen, sondern in Goodwood,
Pebble Beach oder wo auch immer die Jungs von
»Luftgekühlt« ihre legendären Porsche Treffen
ausrichten. Die waren dieses Mal übrigens auch
in Zell am See vor Ort. Zurück in Kalifornien
pappte Luftgekühlt-Mitorganisator Jeff Zwart
erst mal einen Aufkleber vom GP Ice Race auf
seinen Porsche und resümierte bei Instagram:
»Great memories of a great event.«
116 ramp #49
Higgledy Piggledy
117
Interview
Matthias Mederer,
Nadine Hanfstein
Fotos
Keno Zache
»Es gibt keinen
Plan B«
Aksel Lund Svindal will
als einer der erfolgreichsten
Skirennläufer
eigentlich nur durch
Kurven fahren. Und
zwar schnell. Langstrecken-Weltmeister
Neel
Jani nickt, meint damit
aber nicht den Reiz am
Skirennlauf, sondern
den am Motorsport. Im
Rahmen des GP Ice
Race in Zell am See
sprachen wir mit den
beiden über Präzision,
Heldengeschichten und
die Relevanz von Fernsehbildern.
»Ziel des Sports muss es
sein, Heldengeschichten zu
schreiben. Das geht nur,
wenn jemand nach einem
Unfall wieder aufstehen und
siegen kann.«
Was macht die Faszination an der Sportart des
jeweils anderen aus?
Aksel Lund Svindal: Wo soll man da anfangen?
Beim Skifahren ist es zunächst mal die Ausrüstung,
die relativ einfach ist, um eine Piste hinunterzufahren.
Trotzdem glaube ich nicht, dass wir
mit einem Motor schneller wären. Das Schöne ist,
dass man eigentlich nur Kurven fahren will.
Schnell geradeaus können sie alle. Aber schnell
durch Kurven und über Wellen fahren, das macht
den Reiz aus. Denn man kann nicht nur den Speed
mit in eine Kurve nehmen, teilweise kann man
sogar noch mehr Speed aus einer Kurve herausholen.
Die Kurven machen für mich auch das Besondere
am Motorsport oder ganz generell beim
Autofahren aus. Drag Racing, also stur geradeaus,
ist für mich nicht interessant.
Neel Jani: Das ist auch das Spannende für mich an
beiden Sportarten. Es geht immer um das Finden
der Linie, und die ergibt sich schlussendlich aus
Geschwindigkeit und G-Kräften. Eigentlich ließe
sich die perfekte Linie sogar berechnen, man hat
nur in beiden Fällen nicht die Zeit dazu. Man muss
das im Gefühl haben. Das ist etwas, was sich
natürlich über die Jahre entwickelt, beim Skifahren
wie im Rennauto. Es sind sogar die gleichen
Fragen, die wir uns stellen: Wann und wie viel
bremse ich? Wann lenke ich ein? Wann lasse ich
laufen? Wann mache ich die Lenkung wieder auf,
beziehungsweise wann stelle ich die Skier wieder
talwärts?
Es geht also um Präzision am Limit unter enormem
Zeitdruck?
Jani: So in der Art. Die Vorbereitung spielt eine
große Rolle. Vor einem Rennen besichtigen wir
immer die Strecke, sehen uns jede Kurve sowohl
vom Eingang als auch vom Ausgang an.
Svindal: Und obwohl es im Rennen dann sehr
schnell geht und man sehr schnelle Entscheidungen
treffen muss, sieht man die Linie irgendwie.
Selbst im Schnee, wo alles weiß ist. Mental bist du
immer ein gutes Stück voraus. Das merkst du vor
allem dann, wenn etwas Unvorhergesehenes,
wenn ein Fehler passiert, wenn du zum Beispiel
stürzt.
Jani: Ist im Rennauto ganz genauso. Passiert ein
Unfall oder verlierst du das Auto, bist du im ersten
Moment überrascht, denn im Kopf bist du längst
fertig mit der Kurve.
Dennoch gibt es immer wieder unvorhergesehene
Dinge. Wie viel Improvisation braucht ein guter
Racer?
Svindal: Es gibt einen Plan A, aber keinen Plan B.
Ziel ist es, stets so schnell wie möglich auf Plan A
zurückzukommen. Kleinigkeiten passieren immer.
Bremsen und zurück auf A ist eigentlich keine
Option.
Jani: Du lebst im Grunde die vorausschauende
Antizipation, zu achtzig, neunzig Prozent funktioniert
das. Zehn bis fünfzehn Prozent sind Improvisation,
weil alles immer in Bewegung und rasend
schnell ist. Im wahrsten Sinne des Wortes.
→
118 Hallo Überraschung! ramp #49 Higgledy Piggledy
Es gibt keinen Plan B
119
Wobei es beim Skifahren meistens nur einen oder
zwei Läufe gibt. Im Rennsport gibt es viele Runden,
in denen die Strecke ja immer die gleiche ist.
Jani: Stimmt nicht ganz. Die Strecke ändert sich
von Runde zu Runde. Meistens wird sie schneller.
In der Formel E kann das extrem sein, da es sich
um einen improvisierten Stadtkurs handelt. Das
Grip-Niveau steigt von Runde zu Runde. Am Ende
eines Tages kann so ein Kurs plötzlich dreißig
Sekunden schneller sein, wie in Saudi-Arabien
zum Beispiel. Wobei das schon extrem ist.
Wie viel Erfahrung hat der Skirennfahrer Aksel Lund
Svindal im Auto auf der Rennstrecke?
Svindal: Wenig. Ich bin viele Kilometer Auto
gefahren, aber nur wenig auf der Rennstrecke.
Wenn ich allerdings mit Freunden auf die
Rennstrecke gehe, spüre ich schon, dass ich im
Vergleich zu denen, die keinen Sport treiben,
schneller lerne.
Jani: Weil das Gefühl da ist.
Svindal: Richtig, vor allem das Gefühl für die
schnelle Linie. Lenkrad, Gas, Bremse haben wir
beim Skifahren natürlich nicht, also in diesem
Bereich muss ich schon immer viel lernen, aber
das Gespür für die Linie habe ich im Blut.
Jani: Du warst zwei Mal in Le Mans, stimmt das?
Svindal: Richtig. Und ich bin permanent an der
Rennstrecke geblieben und habe während der 24
Stunden vielleicht rund eine Stunde geschlafen.
Ich war bei vielen Formel 1-Rennen, aber Le Mans
ist schon noch mal etwas ganz Besonderes.
Der Kampf auf der Strecke, mit den Gegnern, der
Tempounterschied zwischen den Prototypen und
den GT-Fahrzeugen. Das sind natürlich Dinge, die
wir beim Skifahren nicht haben.
Was macht diese Ereignisse für Zuschauer nach wie
vor so faszinierend?
Svindal: Ich glaube, es sind die Geschichten.
Sowohl Le Mans als auch Kitzbühel – um diese
Beispiele zu nennen – sind extrem traditionsreiche
Rennen, und in dieser langen Zeit passieren
natürlich wahnsinnig viele Geschichten – auch
Heldengeschichten. Die Rennen, die hier stattgefunden
haben, sind voll von Dramen und unglaublichen
Siegen.
Jani: Die Menschen kennen diese Rennstrecken.
Wenn du den Menschen etwas vom FIS-Weltcup
oder von der LMP1 erzählst, fragen viele: »Wie
bitte?« Aber wenn du ihnen von Le Mans oder Kitzbühel
erzählst, wissen sie sofort, was gemeint ist.
Was macht den Helden zum Helden?
Jani an Svindal: Wann bist Du in Kitzbühel
gestürzt?
Svindal: Im Ziel?
Jani: Ja.
Svindal: 2016.
Jani: Bei den Skifahrern gibt es diese spektakulären
Stürze. Das sieht manchmal brutal aus. Aber die
Skifahrer stehen oftmals wieder auf, winken in die
Kamera. Für die Zuschauer ist das ein psychologischer
Wow-Effekt. Die Pisten provozieren diese
Fehler. Aber genau dieses Stellen der Gefahr, das
Wiederaufstehen, das macht den Helden aus.
Svindal: Es ist der Umgang mit Fehlschlägen. Es ist
gefährlich. Immer wieder gibt es Unfälle mit kaputten
Knien. Und im schlimmsten Fall stirbt jemand.
Der Held ist also nur möglich beim Auge-in-Auge mit
dem Tod?
Jani: Es gehört irgendwie zusammen.
Svindal: Das Wichtigste ist, dass ich nach einem
Unfall nicht einfach sage »Shit happens!« und
weitermache. Ich muss analysieren, warum es
passiert ist. Ziel des Sports muss es sein, Heldengeschichten
zu schreiben. Das geht nur, wenn
jemand nach einem Unfall, Rückschlag wieder
aufstehen, zurückkommen und siegen kann.
Jani: Der Sturz von Hermann Maier in Nagano
1998 ist ein gutes Beispiel.
Svindal: Und da siehst du auch, wie wichtig Fernsehbilder
sind. Der Sturz war eigentlich nicht so
schlimm, sah aber extrem spektakulär aus. Die
Kamera stand seitlich. Hermann kam aus der
Kurve, flog quer über den Bildschirm, ist aber im
Schnee gelandet. Und es gibt Stürze, die sehen
weit weniger spektakulär aus, haben aber größere
Konsequenzen. Wenn jemand mit dem Hubschrauber
abgeholt wird, ist das nicht gut für den
Sport. Dann gibt es keinen Helden. Das Beste ist
genau so ein Sturz wie der von Hermann. Die
Zuschauer sehen sofort, er lebt noch, er bewegt
sich, und nach ein paar Tagen kommt er spektakulär
mit einem Sieg zurück. Das ist es, was wir
brauchen.
Warum brauchen wir das?
Jani: Ich glaube, es geht darum, etwas zu sehen,
was nicht jeder kann. Nicht jeder von uns kann die
Streif in Kitzbühel so fahren wie die Abfahrer.
Und kaum jemand kann Le Mans im Renntrimm
über 24 Stunden fahren. Und auch die paar wenigen,
die es können, müssen voll ans Limit gehen.
120 Hallo Überraschung!
Eine
Frage der
Präzision
Text
Jana Doe
Fotos
Michael Wendler
Dürfen wir kurz penibel werden?
In diesem Fall geht es nämlich
um Kendō, die modernisierte
Fechtkunst der japanischen
Samurai. Kendō steht für
Entschlossenheit, moralische
Stärke – und Geschwindigkeit.
Was auch den Audi RS 7 Sportback
erklären könnte, der in
dieser Geschichte vorkommt.
122 Hallo Überraschung!
»Die schnellsten Männer können nur geschlagen werden,
wenn man die Distanz mit einer unmerklichen Bewegung
überwindet.« Der Satz stammt von einem sehr erfolgreichen
Kendōka. Und er beschreibt nur einen Bruchteil dessen, was
die Faszination des erzjapanischen Kampfsports ausmacht,
dessen Wurzeln bis ins neunte Jahrhundert zurückreichen.
Einfach formuliert: Bei Kendō handelt es sich um ein beidhändiges
Stockfechten, bei dem die Kontrahenten Kopf- und
Gesichtsschutz sowie eine Art Samurai-Ausrüstung tragen –
und mit Shinai kämpfen, einem Übungsschwert aus Bambus.
Wobei einige Kendōka Carbon-Shinai bevorzugen, die wesentlich
stabiler und zugleich biegsamer sind. Und schmerzhafter.
Beobachtet man einen Kampf, sieht man zwei Kontrahenten
regungslos gegenüber stehen. Ein Schwert bewegt sich um
einen Millimeter nach rechts. Ein Kämpfer stößt einen
markerschütternden Schrei aus und schlägt mit voller Kraft
auf den Brustkasten des anderen, drängt ihn zurück, springt
→
124 Hallo Überraschung!
»Die schnellsten Männer
können nur geschlagen
werden, wenn man die
Distanz mit einer
unmerklichen Bewegung
überwindet.«
zur Seite, schlägt noch mal zu, trifft den Kopf. Das Ganze
dauert vielleicht fünfzehn Sekunden. Auf ein unsichtbares
Zeichen hin stehen die Kendōka wieder wie Statuen voreinander.
Kendō erscheint zwar als Sport durch sein Grundmuster
relativ simpel – generell ist die Fußarbeit ein wichtiger
Bestandteil, es gibt vier Trefferzonen: Kopf, Kehle, Handgelenk
und Bauch – aber durch sein Regelwerk und die Begrifflichkeiten
ist Kendō für Europäer schwer zu erfassen (und
führt vermutlich auch zu dem ein oder anderen Fehler in
diesem Text). Sicherlich geht es um Ausdauer, Präzision und
Körperkontrolle – aber vor allem darum, »den menschlichen
Charakter durch Anwendung der Prinzipien des Schwertes zu
schulen«, wie es der 1952 gegründete japanische Dachverband
Zen Nihon Kendō Renmei formulierte. In der Leitlinie von
1975 heißt es: »Die Übung des Kendō hat den Vorsatz, Geist und
Körper zu formen, eine starke Seele zu entwickeln, durch
korrektes und strenges Üben Fortschritt in der Kunst des
Kendō anzustreben, Höflichkeit und Ehre des Menschen zu
achten, mit anderen aufrichtig umzugehen und unaufhörlich
die persönliche Weiterentwicklung zu verfolgen.« Darum ist
Kendō auch keine Frage des Alters: Nur wer den Sport sein
ganzes Leben lang betreibt, kann auf die wahre Meisterschaft
hoffen und den zehnten Dan, den Budo-Olymp, erreichen.
Und während im europäischen Fechtsport das Aufleuchten
einer elektronisch gesteuerten Anzeige Treffer eindeutig
signalisiert, ist die Wertung beim Kendō den Kampfrichtern
überlassen. Beurteilt wird das »Ki-Ken-Thai-Itchi«, die Einheit
von Geist und Körper – und die schließt Zufallstreffer aus. Der
Schlag muss »Tenouchi« haben, vom Körper des Gegners
zurückfedern. Und bei der Ausführung eines »Men«, dem
Hauptschlag gegen den Kopf des Gegners, gibt der Kämpfer ein
lautes »Men« von sich. Dabei handelt es sich um ein »Kiai«, den
Kampfschrei der Kendōka, der notwendig ist, um einen
gültigen Treffer zu erzielen. Der Zen-Meister Deshimaru definierte
den »Kiai« einmal wie folgt: »Ein einziger Schrei, ein
einziger Moment, in dem die ganze Raum-Zeit-Dimension des
Kosmos liegt.«
126
Audi RS 7 Sportback
MOTOR
V8-Biturbo
HUBRAUM
3.996 ccm
LEISTUNG
600 PS (441 kW)
DREHMOMENT 800 Nm bei 2.050 – 4.500 U/min
0 – 100 KM / H ca. 3,6 s
VMAX
250 km/h
Higgledy Piggledy
Creative Space
Fotos
Roman Kuhn
Text
Natalie Diedrichs
Teilchenbeschleuniger
Model
Ruben Batalla
Produktion
Nadine Hanfstein
Elementarphysik,
Teilchenkollision und
die ganz großen
Fragen der Menschheit
– nicht gerade
alltägliche Themen,
aber wir schauen uns
das mal genauer an.
Mit einem CUPRA
Ateca Limited
Edition. Der Flüelapass
wird zur
Versuchsanordnung.
Styling
Elcin Aiser
130 Hallo Überraschung! ramp #49
Higgledy Piggledy Creative Space
131
Windjacke / Moncler
Weste / Quartz Co
Rollkragenpullover / Mr. P
Brille / Moscot
Ein schneller Herzschlag. Schnee, der aufwirbelt. Adrenalin,
das durch die Adern schießt – und ein CUPRA Ateca Limited
Edition, der durch die Winterlandschaft driftet. Beschleunigung
längs und quer, Meter pro Sekunde Quadrat, hier mal an
einem ganz anschaulichen Beispiel verdeutlicht. Eine physikalische
Größe, die glücklich macht. Autofans wissen das,
Adrena linjunkies sowieso. Doch Beschleunigung dient noch
einem wesentlich größeren, essenzielleren Zweck – und das
Wort »essenziell« kommt hier ausnahmsweise mal im richtigen
Zusammenhang zum Einsatz, da es hier wirklich um das
Wesentlichste geht, um den Kern des Ganzen. Mit Beschleunigung
wollen Wissenschaftler Fragen beantworten wie »Wo
kommen wir her?«, »Warum sind wir hier?« und »Was befindet
sich am Rande des Universums?«
Die Europäische Gemeinschaft für Kernforschung (CERN)
baute vor zwölf Jahren einen 27 Kilometer langen Tunnelring
tief in die Erde. Im Large Hadron Collider (LHD) werden Teilchen
auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, um dann
an bestimmten Stellen aufeinanderzuprallen. Die dadurch
freigesetzte Energie entspricht den Bedingungen, die eine
Millionstel-Millionstel-Sekunde nach dem Urknall vor 13,8
Milliarden Jahren herrschten. Experimentalphysiker forschen
am Rande unserer Vorstellungskraft. Sie verbringen jeden Tag
»Durch divergentes Denken
aktivieren Schachspieler
unbewusste Denkprozesse,
die kreative Lösungen
hervorbringen.«
MILAN GUPTA
damit, Erklärungen für Unmögliches zu finden, den nächsten
Schritt in eine Richtung zu gehen, in die vorher noch niemand
gegangen ist.
»Die allgemeingültigen Regeln, wie die Relativitätstheorie,
gelten nicht für Atome. Stellen Sie sich die Kollision im Teilchenbeschleuniger
so vor: Zwei Autos kollidieren, verschwinden,
daraus entwickelt sich plötzlich ein Fahrrad, bevor daraus zwei
Skateboards werden und davonschießen.«, erklärt der
CERN-Forscher und Teilchenphysiker James Beacham. Ve r-
rückt, wie es in unserem Universum zugeht. Und mit welcher
Geschwindigkeit die Dinge ablaufen.
→
132 Hallo Überraschung! ramp #49
Higgledy Piggledy Creative Space
133
Lederjacke / Sandro
Rollkragenpullover / Saint Laurent
Brille / Givenchy
»Hör nie damit auf, dir die
ganz großen Fragen zu
stellen und traue dich, einen
Schritt weiter zu gehen als
alle anderen.«
JAMES BEACHAM
Der Philosoph Byung-Chul Han spricht von einer »Punktzeit«,
in der wir gerade leben. Als Reaktion auf die fortwährende
Beschleunigung empfinden wir die Zeit als asynchron,
springen von einem Zeitpunkt zum nächsten. Zeit-Hopping
sozusagen. Das Gegenteil davon wäre dann wohl der Flow. Das
Absorbieren des Moments, während man die Zeit, vollkommen
in eine Sache vertieft, nur noch als verschwommene Linie
wahrnimmt, die an einem vorbeifliegt. Beim Autofahren zum
Beispiel. Wenn es nur noch darum geht, im richtigen Moment
Gas zu geben, zu bremsen, einzulenken, den Scheitelpunkt zu
finden und sich aus der Kurve heraustragen zu lassen. Oder
den Drift im Schnee zu halten. Das perfekte Zusammenspiel
aus gezielten Gasstößen und geschmeidigem Gegenlenken, so
wie hier oben auf dem 2.383 Meter hohen Flüelapass in der
Schweiz. Im CUPRA Ateca Limited Edition. Noch so ein
Beschleuniger.
CUPRA steht für Cup Racing und kam ursprünglich als sportliche
Version von SEAT in die Welt. Nach vielen Erfolgen im
Motorsport beschlossen die Petrolheads in Barcelona, CUPRA
zu einer eigenständigen Marke weiterzuentwickeln. Leistungsstark,
natürlich, aber nicht ausschließlich, sondern auch
gut aussehend, komfortabel und mit Premiumanspruch. »Die
zeitgemäße Interpretation von Sportlichkeit.« Also von allem
etwas, so wie heute alles von allem etwas sein muss. Ein Weg,
der Mut erforderte und natürlich auch Kritik auslöste. Man
hätte ja auch alles einfach so belassen können. Stattdessen
aber lebt die Marke ihren Slogan selbst vor: »Create Your Own
Path.« Gemacht für Creators, sagt CUPRA über sich selbst. Für
Macher, die ihren eigenen Weg gehen. Was macht einen
Macher zum Macher? Der Strategie-Coach Milon Gupta hält es
für erfolgversprechend, wenn Menschen die Fähigkeit
besitzen, in größeren Zusammenhängen zu denken, so wie es
Schachspieler während einer Partie tun: »Durch divergentes
Denken aktivieren sie unbewusste Denkprozesse, die kreative
Lösungen hervorbringen«, so Gupta.
Das große Ganze, der weite Blick – funktioniert am besten von
ganz oben. So wie hier auf dem Füelapass. Oder ganz tief unter
der Erde. Im Teilchenbeschleuniger. »Hör nie damit auf, dir
die ganz großen Fragen zu stellen und traue dich, einen Schritt
weiter zu gehen als alle anderen«, sagte James Beacham mal in
einem TED-Talk. Seine Forschung am CERN beschäftigt sich
unter anderem mit Dunkler Materie und der Entdeckung
weiterer unbekannter Teilchen. Große Aufgaben, die Beacham
zufolge ein großes Maß an Neugier erfordern. Auch der
Psychologe William McDougall bezeichnete Neugier als
wichtigsten Kern der Motivation und als Basis für besondere
wissenschaftliche und kulturelle Leistungen der Menschen.
Aber warum sind wir neugierig? Beacham erklärt das so:
→
Hallo Überraschung! ramp #49
Higgledy Piggledy Creative Space
135
Pullover / Stone Island
Weste / Quartz Co
Brille / Hugo Boss
»Wenn wir feststellen, dass zwischen dem, was wir wissen,
und dem, was wir beobachten, eine Lücke entsteht, passt das
nicht in unser Weltbild. Mit diesem Zustand sind wir nicht
zufrieden, wir füllen diese Lücke mit Neugier. Ein Feuer im
Bauch, das wir von Natur aus in uns tragen.«
Ein Feuer, das uns antreibt. Neugier und Mut in Verbindung
mit dem größeren Blick auf die Dinge ergeben die perfekte
Kombination für Fortschritt. Und manchmal spielt auch
tatsächlich der Zufall mit rein. Klingt zwar nicht besonders
wissenschaftlich, gilt aber trotzdem als bewiesen: »Der Faktor
Zufall kann seit der Einführung der Quantenphysik nicht
mehr ignoriert werden«, schrieb der Wissenschaftsjournalist
Norbert Lossau einmal, »Zufall führt im Mikrokosmos
tatsächlich Regie. In der Welt der Atome sind einzelne Ereignisse
grundsätzlich nicht mehr präzise vorhersagbar.«
Womit wir wieder bei den Lücken wären, die es zu schließen
gilt. Eine Herausforderung, denen Menschen wie James
Beacham ihr Leben gewidmet haben. »Schon als kleiner Junge
fragte ich: Wieso ist der Himmel blau? Wieso funkeln Sterne?
Wieso fließt der Fluss?« Antworten wie »Weil es halt so ist«
akzeptierte der junge Beacham damals nicht. Stattdessen
wurde er Teilchenphysiker am CERN. Seine Forschung fängt
dort an, wo unser menschliches Wissen aufhört. Sie beschäftigt
sich mit den ganz großen Fragen. Und mit Beschleunigung.
Zu diesen Themen sollte man sich wirklich mal ausführlicher
mit Beacham unterhalten. Natürlich ganz anschaulich,
zum Beispiel während eines Schneedrifts im CUPRA Ateca
Limited Edition …
»In der Welt der Atome sind einzelne
Ereignisse grundsätzlich nicht mehr
präzise vorhersagbar.«
NORBERT LOSSAU
Fortsetzung folgt in der ramp #52.
Higgledy Piggledy
Creative Space
137
Mit Beschleunigung wollen Wissenschaftler
Fragen beantworten wie »Wo
kommen wir her?«, »Warum sind wir
hier?« und »Was befindet sich am
Rande des Universums?«
CUPRA Ateca Limited Edition
MOTOR
Vierzylinder-Turbomotor
HUBRAUM
1.984 ccm
LEISTUNG
300 PS (221 kW) bei 5.300 – 6.500 U/min
DREHMOMENT 400 Nm bei 2.000 – 5.200 U/min
0–100 KM/H ca. 5,2 s
VMAX
247 km/h
Kraftstoffverbrauch CUPRA Ateca 2.0 TSI 4Drive,
221 kW (300 PS):
innerorts 8,9,
außerorts 6,5,
kombiniert 7,4 l/100 km;
CO 2
-Emissionen: kombiniert 168 g/km.
CO 2
-Effizienzklasse: D.
Pullover / Stone Island
Brille / Hugo Boss
138 Hallo Überraschung! ramp #49
Higgledy Piggledy
139
Mit seiner Fiat Panda-Kampagne
schrieb Klaus Erich Küster vor
vierzig Jahren ein Stück Geschichte.
Die der Werber hier erzählt – und
die keine stringente und zielstrebige
Entwicklung war, sondern ein
knapp zehn Jahre dauerndes Chaos.
Trial and Error
Aber an einem Punkt passte zufällig
alles zusammen. Zufällig hatte der
Kunde nicht genug Geld, um
Doppelseiten zu schalten. Zufällig
war damit die Kampagne, die schon
verkauft war, weg vom Fenster.
Plötzlich war die Chance da für
»Die tolle Kiste«. Die Kampagne,
die im Test auf 75 Prozent Ablehnung
stieß. So ging es los, August
1980. Gleich die erste Anzeige – das
Motiv »Biologisch betrachtet« –
wurde Anzeige der Woche.
Text
Klaus Erich Küster
Anzeigen
Fiat
Später kam Bronze vom Art Director’s
Club, auch Gold, Silber (für
die Radiowerbung), noch mal Gold,
der Gold-Effie, der die Wirksamkeit
der Werbung bewertet. Und 1988,
im neunten Jahr, wurde sie die
Kampagne des Jahres. Aber, wie
gesagt: Geplant war es so nicht.
140 Hallo Überraschung! ramp #49 Higgledy Piggledy
Trial and Error
141
16. JANUAR 1980 Im Zug von Turin nach Mailand. Gute Stimmung. Wir haben das Auto
zum ersten Mal gefahren. Gefällt uns sehr. Das sagen wir den
Italienern. Das gefällt denen sehr: jede Menge Barbaresco im
Tastevin in Turin. Nur ich trinke Pellegrino, weil ich doch noch
mal die 1.500 Meter unter vier Minuten laufen will.
Jemand sagt, piemontesisch angehaucht: »Das is ’ne tolle
Kiste.« Klingt für mich wie ein Slogan. Ich schreibe ins Notizbuch
»Tolle Kiste«. Man kann ja nie wissen.
FEBRUAR 1980
APRIL 1980
MAI 1980
JUNI 1980
JULI 1980
SOMMER 1982
Natürlich wollen wir etwas Großartiges machen. Nicht das übliche
Werbegeschwafel. Nicht die automobilen Superlativ- Bla-Blas. Es war
ja eine Auto-Kampagne, weshalb ich Texter wurde: VW. Think small.
Dieses Wahnsinnszeug aus New York. So was müsste man machen.
Ganz neu. Ganz frisch.
Wir haben uns in sechs verschiedenen Kampagnen verheddert.
Favorit ist Kampagne 5: »Gesucht: Fahrer, die den Club of Rome
nicht für eine neue heiße Disco halten.« Sie erinnern sich? Zweite
Ölkrise. Small war plötzlich beautiful. Sie erinnern sich vielleicht
auch an die Schlagzeile? Die erschien später in der »Tolle
Kiste«-Kampagne. Plötzlich passte der ganze Kram zusammen. Und
der Riesenhaufen Ideen, der in den anderen Ansätzen steckte, kam
in die kreative Wiederaufbereitungs anlage.
Der Kunde kauft die »Gesucht«-Kampagne. Die »Tolle Kiste« soll
erst nach der Einführung folgen. Leichte Enttäuschung.
Das Budget ist nur noch halb so groß. Wir haben keine Doppelseite.
Die »Tolle Kiste« funktioniert hervorragend als 1/1-Seite.
Dem Rotstift sei Dank.
Test. Die Kampagne fällt durch. 75 Prozent halten sie für Blödsinn.
25 Prozent finden sie toll. Der Werbeleiter, Hans-Joachim Richter,
zeigt Scharfsinn und Mut: »Bei 2,5 Prozent Marktanteil sind
25 Prozent heftige Zustimmung ja nicht schlecht. Wir machen
weiter!« Langsam ausatmen. Die erste Reinzeichnung geht raus.
Das Motiv, an dem wir am längsten geknobelt haben, sieht eigentlich
ganz harmlos aus: »Es kam der Abend, wo er ihr zeigen wollte,
womit sein Vater jede Menge Kies machte. Sie jedoch wollte
endlich wissen, wie die umklappbare Rückbank funktioniert.« Punkt.
Ende.
Wir haben genau 64 Vorschläge zum Kunden getragen. 63 Mal
sagte Hans-Joachim Richter: »Nicht schlecht. Aber ihr könnt es
besser.« Danke für die Blumen. Hinter jedem Vorschlag, der nach
Heilbronn ging, steckten rund 40 Versuche. Macht 2.400 Schlagzeilen
– um eine zu verkaufen!
Ganz zum Schluss war es wie bei Robert Musil. Der beschreibt in
»Der Mann ohne Eigenschaften« das Gefühl, das einer hat, wenn er
eine Idee hat: Das sei wie bei einem Hund, der mit einem langen
Stock im Maul durch die Tür zu kommen versucht. Er knurrt und
drängt – die Tür ist zu schmal. Nachdenklich dreht er den Kopf –
plötzlich flutscht er durch. Heute, knapp zehn Jahre später, sind
wir um die 200 Mal durchgeflutscht. Wow!
6. DEZEMBER 1983 Wir haben es sozusagen amtlich: Die Zentrale zur Bekämpfung des
unlauteren Wettbewerbs e.V. attestiert uns Humor! Zitat:
»Vergleicht man beide Werbungen miteinander, so kommt man zu dem
Ergebnis, dass hier von Fiat mit den gleichen Mitteln, wie sie die
Bundesbahn benutzt hat, geantwortet worden ist, wobei in der
MAI 1985
NOVEMBER 1988
DEZEMBER 1988
Fiat-Anzeige der Mangel an Ernstlichkeit des Vergleiches noch
stärker hervortritt als in der Anzeige der Bundesbahn. Eigentlich
ist in der Anzeige der Firma Fiat lediglich die Werbung der
Bundesbahn wörtlich genommen worden.
Das Ganze erfolgte dabei in einer humorvollen, die Bundesbahn
keineswegs herabsetzenden Art und Weise, sondern dem Leser wird
lediglich klargemacht, dass hier Äpfel mit Birnen verglichen worden
sind, denn ein Zweitwagen hat andere Aufgaben zu bewältigen als
eine Bundesbahnlok.«
O ja!
Die Herren von der Bundesbahndirektion sind sehr geschickt: Es
gibt keine einstweilige Verfügung, sondern sechs Freikarten erster
Klasse zur Fasnacht in Basel. Wir sind eine Woche arbeitsunfähig.
Die Kampagne hat viel Neugeschäft produziert. Aber auch Geschäft
verhindert. Nie werden wir einen Fertighaus-Etat bekommen. Auch
die Dünnsäure-Verklappung stößt manchem bitter auf. Protest habe
es auch wegen der Currywurst gegeben. Kurt Tucholsky: »Wenn
einer in Deutschland einen guten politischen Witz erzählt, sitzt
halb Deutschland auf der Couch und nimmt es übel.« Wir hatten
keine Theorie über die Werbung, als wir die Werbung machten.
Doch, vielleicht eine: Es ist auf jeden Fall besser, Ihre (also des
Kunden) Werbung ist so interessant, dass die Leute zurückblättern
und zweimal lesen. Ist Ihre Werbung das nicht, schmeißen Sie Geld
zum Fenster raus. Die Zeiten, wo man mit dem Holzhammer auf die
Fontanelle klopfte, in der Hoffnung, das Stammhirn bis ins Mark zu
erschüttern, sind – ja, was? Leider nicht vorbei! Der berühmteste
lebende Werber der Welt – David Ogilvy – hat gesagt:
1. You cannot save souls in an empty church.
2. You cannot bore people into buying your product.
Der Mann ist reich. Man kann ihm glauben. Von David Ogilvy
bekomme ich auch einen Brief: »Dear Klaus Erich, there have been
so many imitations of my famous Rolls-Royce ad, that I wonder that
you take part in this silly procession.«
Das geht unter die Haut. Wir haben die »Omi«-Anzeige mit dem
schnarchenden Kanarienvogel als Verbeugung gemeint, nicht als
Tritt vor das Schienbein. Je vous demande pardon.
Zum ersten – und bisher einzigen – Mal kommt es zur öffentlichen
Lesung einer Anzeige im Deutschen Bundestag. Vortragender:
Oppositionsführer Hans-Jochen Vogel. Thema: Steuerreform. Dauer
des Vortrags: 1 Minute 43 Sekunden. Geldwerter Vorteil für den
Kunden: 373.000 DM. So viel hätte Fiat zahlen müssen, um entsprechende
Sendezeit zu ergattern. Kunden rufen an, Telefone sind
blockiert, Radiosender rufen an, morgens um 8.39 Uhr (!), und
wollen ein Interview. Ich bin am Schreibtisch. Dieser Vorgang
erinnert ein bisschen an den Witz, der bei uns in der Agentur
kursiert. Sagt der Grafiker: »Gehen wir mal davon aus, dass der Text
nicht gelesen wird.« Sagt der Texter: »Doch, wir lesen alles vor.«
Die Panda-Kampagne wird »Kampagne des Jahres«.
1989 Die Panda-Kampagne läuft zehn Jahre in Illustrierten. Dann,
endlich, gelingt es uns, einen Film zu verkaufen. Der läuft so
ähnlich wie die neueste Anzeige »Weihnachten«. Und er läuft in
vielen Kinos. Vor Weihnachten.
1990 Die Panda-Kampagne geht ins zweite Jahrzehnt.
142 Hallo Überraschung! ramp #49
Higgledy Piggledy Trial and Error
143
144 Hallo Überraschung! ramp #49
Higgledy Piggledy Trial and Error
145
146 Kolumnentitel ramp #42
XXXX Kolumnentitel
147
SHORT
STORIES
162 SKILLS, FREUNDE!
Ach, die Übermotorisierung.
Über die
Kunst im zügigen
Umsetzen geringer
Ressourcen.
164 ALTERNATIVE FACTS
»Zu sagen, was ist,
bleibt die revolutionärste
Tat.« Meinte
Rosa Luxemburg.
Wobei die das auch
geklaut hat.
166 ROUND ABOUT
Eine Formel
1 Rennstrecke mit
Zebrastreifen.
Na, wo isse?
148 SIND WIR NICHT
ALLE EIN BISSCHEN
SUV?
Ein letzter Tango
durch Südafrika mit
dem Porsche Macan
Turbo, Al Pacino
und Richard David
Precht.
150 HEHEHEHE.
Der Polestar 1 wurde
in Italien präsentiert.
Wobei sich
die Überschrift
nicht auf diese
Tatsache bezieht.
156 DIE DEUTSCHEN
AUTOMARKEN VER-
BLASSEN IN CHINA
Ein Gespräch mit
Christian Malorny,
einem der einflussreichsten
Berater
der Automobilindustrie,
über obiges
Thema.
168 SCHÖNER PARKEN
Lieferheld-Mitgründer
Nikita Fahrenholz
hatte eine neue
Idee: die perfekte
Fertiggarage.
172 CYBERTRUCK
TYP DIY
Der Tesla Cybertruck
soll von Ende
2021 an ausgeliefert
werden. Dauert
zu lang? Es gibt da
ein prima Plagiat
aus Russland.
174 MYLE & MORE
Drei Jungs und eine
Idee mit Mehrwert.
176 ERLEUCHTET
Sagen wir es so:
Eigentlich geht
es um den neuen
Superb iV von
Škoda.
159 DATING REPORTS
Blätter im Wind,
rollende Steckdosen,
etwas Großes
und diesmal alles
in Rot.
148 Short Stories
ramp #49
Higgledy Piggledy
Sind wir nicht alle ein bisschen SUV
149
SIND WIR NICHT ALLE
EIN BISSCHEN SUV?
Das Facelift des Porsche Macan Turbo stellt zugleich einen Wendepunkt
dar – denn einen Macan wie diesen wird es nie wieder geben. Ein letzter
Tango durch Südafrika. Mit dabei: Al Pacino und Richard David Precht.
SHORT
STORIES
Text / Fotos
Matthias Mederer
ramp.pictures
Nachtflug von Frankfurt nach Kapstadt, rund
zwölf Stunden, etwa 10.000 Meter über den
Dingen. Viel dünne Luft um einen herum, viel
Zeit zum Nachdenken. Direkt nach der Landung,
noch am Flughafen, wird der neue Porsche
Macan Turbo für eine Ausfahrt warten. Ein paar
Begriffe schießen kreuz und quer. Nichts
wirklich Reflektiertes, vieles Medien-befeuert,
populistisch. Jetzt nicht aufregen.
Derweil auf dem Bildschirm ein Klassiker des
Unterhaltungsprogramms: Al Pacino als blinder
Lieutenant Colonel Frank Slade in »Der Duft der
Frauen«. Eine einfache Welt: Eine Frau an ihrem
Parfum erkennen, einen roten Ferrari fahren
und eine 45er abfeuern. Das ist die ganze
Wahrheit. »Es gibt zwei Sorten von Menschen
auf der Welt«, lebensweisheitet Frank Slade,
»die einen, die sich aufbäumen und den Helden
spielen ... und die anderen, die in Deckung
gehen. In Deckung gehen ist besser!« Am Ende
steht der Colonel dann doch auf und gibt den
Helden. Die Werte siegen. Pacino bekommt
seinen bis heute einzigen Oscar. Huh-haaa …!
Zurück am Boden. Fahrzeugübergabe. Seit seiner
Einführung um das Jahr 2014 kommt dem
Porsche Macan eine Sonderrolle zu. Er ist streng
genommen die Quadratur des Kreises und
schafft vom rein technischen Standpunkt her
etwas, das nicht möglich zu sein scheint: Er ist
tatsächlich ein Sportwagen und Offroad-tauglich!
Damit ist der Macan einzigartig in einem
Segment, dem seit jeher eine gewisse Schizophrenie
innewohnt. »Wer bin ich – und wenn ja,
wie viele?« Das SUV ist die Automobil gewordene
Verkörperung von Richard David Prechts
philosophischer Reise zur Selbsterkenntnis des
modernen Menschen. Die Frage sei also gestattet:
Sind wir nicht alle ein bisschen SUV? Der
Macan ist der meistverkaufte Porsche, deutlich
vor dem 911, noch deutlicher vor dem Cayenne.
Zündschloss links. Nach wie vor. Und prompt
ist sie gegenwärtig, die etwas romantisch
verklärte Hommage an Le Mans, an Rennsport,
an Wettkampf, an Performance. Pures Racing.
Ein Schmunzeln kommt auf, entlockt vom
unaufgeregten Erwachen des V6-Turbomotors.
Und fast ist es, als ob die hochschnellende Dreh -
zahlnadel des startenden Verbrenner- Aggregats
die gerade noch pulsierende Romantik einfach
weggeblasen hat, denn auf einmal steht die
Zukunft im Raum: Der Nachfolger dieses Macan
wird elektrifiziert sein. Diese Reise am Kap, hier
in Südafrika, das Befahren des Clarence Drive,
des Du Toit’s Kloof-Passes, das Rausbeschleunigen
aus den Kurven des Franschhoek-Passes, all
das darf als Abschieds tour verstanden werden.
Denn so einen Macan wird es nie wieder geben.
Und wieder grüßt Al Pacino, wenn man so will:
ein letzter Tango also.
Apropos Abschied. Thema Innenraum. Thema
Knöpfe. Nach ein paar Ausfahrten im neuen
Porsche 911 der Baureihe 992 erinnert vieles im
Macan Turbo Facelift plötzlich wieder an den 911
der Baureihe 991. Gerade vor Kurzem erst rollte
das letzte von 233.540 Einheiten gebaute Modell
(ein Speedster) vom Band. Wir befinden uns
mitten in der Übergangsphase. Denn auch die
Philosophie der vielen haptischen Knöpfe ist
mit dem aktuellen Macan auf Abschiedstour.
Der Nachfolger wird sich hier sicher an der
Design-Philosophie des neuen 911 orientieren,
stehen sich doch gerade 911er und Macan geistig
so nahe wie wahre Brüder.
Der Macan ist tatsächlich der 911er für das
Gelände. Er wurde einst aus der Tradition
Off road-tauglich umgerüsteter Porsche wie
einem Rothmanns-911 entwickelt, mit dem sich
auch mal so etwas wie eine Rallye Dakar
DAS SUV IST DIE
AUTOMOBIL
GEWORDENE VERKÖR
PERUNG VON RICHARD
PRECHTS PHILOSO
PHISCHER REISE ZUR
SELBSTERKENNTNIS
DES MODERNEN
MENSCHEN.
PORSCHE MACAN
TURBO
MOTOR
Sechszylinder-Turbomotor
HUBRAUM
2.894 ccm
LEISTUNG
440 PS (324 kW)
DREHMOMENT
550 Nm
bei 1.800 – 5.600 U/min
0–100 KM / H
4,3 s
(mit Sport Chrono Paket)
VMAX
270 km/h
bewältigen ließ. Anders als bei vielen anderen
SUV sitzt man beim Macan nicht auf einem
hohen Bock, sondern gefühlt tatsächlich tiefer
im Auto. Fahrwerk, Antrieb, Bremse, Lenkung
sind dann sowieso Nürburgring-erprobt. Einzig
das Gewicht von über zwei Tonnen lässt sich halt
vor allem beim Anbremsen und Einlenken
(gerne auch gleichzeitig) nicht komplett kaschieren.
Ansonsten gilt der Ausspruch »Wo Porsche
draufsteht, ist auch Porsche drin!«
Abenddämmerung. Sonnenuntergang. Ein Glas
einheimischer Rotwein. »Diese unendliche
Weite!« kritzeln Touristen gerne in die Gästebücher
südafrikanischer Lodges. Ihre Farmen
steckten sich die europäischen Siedler einst
derart weiträumig ab, dass der Nachbar mit
bloßem Auge kaum noch zu sehen war. Selbst in
den Städten waren Grundstücke so großzügig
bemessen, dass sich die weißen Gutsbesitzer
in ihren eigenen Wald zurückziehen konnten.
Die Botschaft war eindeutig: »Komm mir nicht
zu nahe!« Ein Prinzip der Abschottung; etwas
also, das Kritiker immer wieder auch gerne beim
Thema SUV rügen. Ein zweites Glas Rotwein
und dann die Erkenntnis: Wir waren wahrscheinlich
schon lange vor Erfindung des
Automobils alle ein bisschen SUV.
Higgledy Piggledy
HeHeHeHe.
151
HEHEHEHE.
SHORT
STORIES
Ein bisschen Mut gehört dazu, wenn man seinen ersten Sportwagen in
Italien präsentiert. Im Falle des Polestar 1 ist das nur konsequent.
Denn ohne Courage gäbe es dieses Auto gar nicht.
Text / Fotos
Matthias Mederer · ramp.pictures
»Hehehehe.« Das ist der am häufigsten gebrauchte
Laut auf dieser Dienstreise. Die erste Ausfahrt
im Polestar 1 – und dann direkt in Italien. In dem
Land, wo man sich wie nirgends sonst auf
Schön heit, Kunst und den Genuss verstehen soll.
Hier, wo die Menschen so stolz auf ihre Sportwagenschmieden
sind, wo sie den Bau eines
freisaugenden Zwölfzylinders zelebrieren wie
ein heiliges Ritual, wo sie Musik hören, wenn
eben jener Zwölfender seinen hochdrehenden
Dienst verrichtet, und wo sie in Ehrfurcht von
»La bella macchina« sprechen. Genau hier in
Italien also lässt Polestar eine ganze Flotte seines
ersten Seriensportwagens auf öffentliche
Straßen los. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Unser Ausgangspunkt ist Florenz, genauer
gesagt die Villa Cora, gelegen in einem jahrhundertealten
Park oberhalb der Boboli-Gärten auf
den Hügeln vor den Toren der historischen
Innenstadt. Heute ist das Haus ein Hotel. Aber
ursprünglich war es ein vom Architekten Pietro
Comparini errichteter Adelssitz für den Baron
Oppenheim, Ende des 19. Jahrhunderts. Der Bau
spiegelt verschiedene Stile jener Zeit wider, wird
stark von einem eklektischen Dekor beherrscht
und von zum Teil bizarren künstlerischen Stilen
geziert. Der französische Pianist Claude Debussy
war hier zu Gast, wie auch die Frau Napoleons III,
Prinzessin Eugénie. Es wäre ein Frevel, hier mit
offenen Auspuffklappen irgendeinen zwangsbeatmeten
Krawallmacher zu starten, der Polestar 1
»HEHEHEHE.«
rollt dank seines Plug-in-Hybrid Motors – 609 PS
hin oder her – nahezu geräuschlos vom Hof.
»Tire le chapeau«, wie die Lateiner sagen. Oder
so ähnlich.
Ein erstes »Hehehehe«. Und der Gedanke:
Da fahre ich also mit einem schwedischen Gran
Turismo und 1.000 Newtonmetern Drehmoment
durch die italienische Toskana. Jetzt eine
Begegnung mit einem Ferrari 812 Superfast?
Welch elektrifizierender Gedanke! Leider habe
ich dieses Glück nicht. Fast geräuschlos zoomt
der Polestar 1, aber mit einer Spannkraft im
Körper, die in der Schuhsohle des rechten Fußes
wie ein Permanentreiz kitzelt. Der Polestar 1
braucht keine Gedenksekunde mehr. Er setzt
den Befehl der Beschleunigung um, sobald der
Gedanke Form angenommen hat.
152 Short Stories ramp #49
SCHAU ZUM SCHEITEL-
PUNKT DER KURVE,
SCHAU AUF DEN
KURVENAUSGANG,
DORTHIN, WO DU WIEDER
HINBESCHLEUNIGEN
WILLST. SCHAUE NIE,
WIRKLICH NIE DORTHIN,
WO DU NICHT HINFAHREN
WILLST: RICHTUNG BAUM
ODER BÖSCHUNG.
»HEHEHEHE.«
Walter Röhrl hat über das Turbo-Monster Audi
quattro S1 mal gesagt: »Im Prinzip bist du bei
dem Auto mit dem Denken zu langsam.« Das gilt
zwar für den Polestar 1 nicht unbedingt, weil er
einem gerade das gedankenverlorene Cruisen
gar so entspannt souverän bietet. Aber wer ihn
provoziert, sollte seine Sinne schon gut sortiert
beisammen haben.
Wirklich lustig wird es in den Kurven. Ein Dauer
Hehehehe, sozusagen. Gewicht und Schwerpunkt
sind da ein Thema. Aber auch die Technik. Die
des Autos und die des Fahrers. Und eigentlich
weiß ich ja, wie es geht. Ganz wesentlich ist das
Schauen – oder die Blickführung, wie die
Experten sagen. Ein sehr strenges Wort. Völlig
zu Recht, denn die Regel besagt: Schau immer
dahin, wo du hinfahren willst – auch wenn du
dafür durch die Seitenscheibe etwas umständlich
um die A-Säule herumschielen musst. Mach
es einfach. Schau zum Scheitelpunkt der Kurve,
schau auf den Kurvenausgang, dorthin, wo du
wieder hinbeschleunigen willst. Schaue nie,
wirklich nie dorthin, wo du nicht hinfahren
willst: Richtung Baum oder Böschung. Oder
Richtung Kiesbett, falls du auf einer Rennstrecke
unterwegs bist. Da kumuliert sich die Blickführung
dann umso mehr zu einer eisernen
Grundlage für Erfolg. Für eine flüssige und
zügige – und auch sichere – Fahrt im Polestar 1
über eine italienische Landstraße ist das
154 Short Stories ramp #49 Kraut & Rüben
HeHeHeHe.
155
Schauen ebenso unabdingbar. Nur irgendwie
gurke ich zunächst ziemlich eckig herum. Es
liegt wie immer am Fahrer. Die Kombination aus
brachialer Beschleunigung, den sehr starken
Bremsen und dem Fahrzeuggewicht fordert
einige Übung, ehe alles flüssig wird. Tipp vom
Laien: Spätes Bremsen und maximale Beschleunigung
aus den Kurven raus ist nicht unbedingt
Prio Numero uno. Es kommt vielmehr auf die
Gleichmäßigkeit an. Zumal heutzutage, in
Zeiten, in denen die Autos mit einer Armee
an elektronischen Soldaten in eine Kurve
hineinbremsen, bei der jeder Feldherr neidisch
dreinblicken würde. Eine zweite Armee übernimmt
dann das Rausbeschleunigen. Das ist im
Polestar 1 auch so. Torque Vectoring nennt es der
Fachjargon. Normalerweise werden hierbei die
kurveninneren Räder abgebremst, der Polestar 1
geht da etwas progressiver und damit auch
evolutionärer vor: Dank extrem präzise steuerbaren
E-Maschinen beschleunigt er kurvenäußere
Räder, statt innen zu bremsen. Er dreht sich
also aktiv aus der Kurve raus. Und die Beschleunigung
beschleunigt ... naja ... »Hehehehe«.
Wie das dann alles im Detail mit dem Antrieb
funktioniert? Dafür sollte man besser anhalten.
Obendrein können ein paar Grundkenntnisse in
Rechnungswesen nicht schaden. Hier wäre
zunächst mal der Verbrenner-Motor zu nennen.
Ein hochgezüchteter Zwei-Liter-Vierzylinder
mit Kompressor und Turbo-Aufladung (227 kW/
»HEHEHEHE.«
309 PS), zwei E-Maschinen an den Hinterrädern
(je 85 kW/116 PS) und ein Startergenerator (50 kW/
68 PS), integriert in die Kurbelwelle. Bis auf den
Hamster im Laufrad ist also so ziemlich alles
verbaut, was die aktuelle Vortriebstechnik an
Möglichkeiten hergibt. Das Meiste davon ist
auch rasch vergessen. Nur 1.000 Newtonmeter
maxi males Drehmoment bleiben in Erinnerung.
Und diese kurvigen Landstraßen der Toskana ...
Der Polestar 1 ist auf 1.500 Stück limitiert.
Und wie es aussieht, wird er der einzige jemals
gebaute Polestar sein, der für seinen Vortrieb
tatsächlich noch fossile Brennstoffe benötigt.
Schon der bereits vorgestellte Polestar 2 ist ein
reiner Stromer. CEO Thomas Ingenlath sagt,
etwas wie den Polestar 1 hätte man bei Volvo
nicht realisieren können. Die Prozesse, die bei
einer Firma wie Volvo im Hintergrund einer
Neufahrzeugentwicklung ablaufen, wären dafür
gar nicht ausgelegt. Polestar agiert innerhalb des
Konzerns wie ein Start-up, forciert mutig
bisweilen radikale Lösungen. Den Polestar 1
wird es in nur einer einzigen Ausstattung zum
Festpreis von 155.000 Euro geben. Einzige
Option: eine Matt-Lackierung für 5.000 Euro
Aufpreis. Zudem kann man den Polestar 1 nur
im Internet bestellen, ein konservatives physisches
Händlernetz wird es nicht geben. »Solche
Entscheidungen können wir sehr schnell
treffen«, sagt Ingenlath. Was er nicht sagt:
»Hehehehe.«
POLESTAR 1
MOTOR
Plug-in-Hybrid aus
4-Zylinder-Turbo- und
Kompressormotor sowie
zwei E-Maschinen an der
Hinterachse plus ein
elektrischer Startergenerator
HUBRAUM
2.000 ccm
LEISTUNG
609 PS (kombiniert)
DREHMOMENT
1.000 Nm (kombiniert)
0–100 KM / H
4,2 s
VMAX
250 km/h
156 Short Stories ramp #49
Higgledy Piggledy
Die deutschen Automarken verblassen in China
157
DIE DEUTSCHEN
AUTOMARKEN
VERBLASSEN
IN CHINA
Herr Malorny, Sie beraten seit 15 Jahren die
deutschen Automobilhersteller in China. Bisher
offenbar sehr erfolgreich, wenn man sich deren
Bilanzen ansieht. Doch jetzt schlagen Sie Alarm.
Warum?
Christian Malorny: Wir erleben gerade in China,
dass sich beim Autokauf ein ganz neues Kundenbewusstsein
entwickelt. Junge, gut verdienende
Chinesen schicken sich an, eigene chinesische
Marken zu kaufen und laufen nicht mehr
unbedingt den deutschen Automarken hinterher.
Die Begehrlichkeit nach Autos von hiesigen
Herstellern lässt deutlich nach. Das hat ganz
handfeste Gründe.
Nämlich?
Malorny: Zum einen beginnen junge chinesische
Marken wie Build Your Dream (BYD), Great
Wall, Lynk & Co, Xiaopeng oder auch Weltmeister,
Erfolge zu feiern. Sie punkten bei den jungen
Kunden mit schickem Design, guter Verarbeitungsqualität
und einer beeindruckenden
Digi talität sowie Vernetzung. Hinzu kommen
Show räume, in die es Spaß macht zu gehen.
Sie sind trendig gestylt, transportieren ein
Lebensgefühl von Freiheit und strahlen ein
cooles Image ab. Zum anderen schicken sich die
SHORT
STORIES
JUNGE CHINESISCHE
MARKEN PUNKTEN BEI
DEN JUNGEN KUNDEN
MIT SCHICKEM DESIGN,
GUTER VERARBEITUNGS-
QUALITÄT UND EINER
BEEINDRUCKENDEN
DIGI TALITÄT.
Synchron zur weltweiten Wirtschaftsschwäche
bricht auch der Automarkt
in China ein. Für die deutschen
Hersteller ist das schmerzhaft –
kommen doch bis zur Hälfte der
Gewinne aus dem Reich der Mitte.
Bislang wird das hierzulande als
eine Konjunkturdelle angesehen,
doch die Hoffnung könnte täuschen.
Ein Gespräch mit Christian Malorny,
einem der einfluss reichsten Berater
der Automobil industrie.
Chinesen an, Premiummarken auf die Beine
zu stellen. NIO oder BYTON stehen dafür
exemplarisch. Beide entwickeln und verkaufen
SUV, die außen und innen eine ausgesprochen
hohe Wertanmutung besitzen, einen besonders
kundenfreundlichen Service bieten und ein
Lebensgefühl der Geborgenheit vermitteln.
Das geht schon los bei der Ausstattung der
Showräume, wo warme Farben und viel Holz
vorherrschen. Schicke, bequeme Möbel und
dezentes Licht bieten eine einladende Wohnzimmeratmosphäre,
in der der Kunde dem rauen
Alltag entfliehen und sich in Ruhe mit seinem
Fahrzeug beschäftigen kann. Gleichwohl sind
diese Showräume technisch hochgerüstet.
VTR-Brillen, Fahrsimulatoren und große
Bildschirme ermöglichen eine Erlebniswelt, wie
sie aus dem chinesischen Internet und damit
dem Alltag bekannt ist.
Sie wollen also sagen, dass die Chinesen immer
stärker auf Markenimage, also Begehrlichkeit und
Lifestyle, Coolness und Stolz, sowie auf Premium
setzen. Doch hält das Produkt, also die Fahrzeuge
selbst, was die Marken versprechen, wirklich?
Malorny: Ja, es ist so. Die chinesischen Hersteller
schicken sich an, immer akzentuierter die
Markenentwicklung voranzutreiben. Das ist
neu. Dazu gehört die Ausprägung eines Markenkerns.
Da ist das Produkt, das Fahrzeug selbst,
natürlich der Schlüssel zum Erfolg. Alle chinesischen
Marken setzen dabei auf den Elektroantrieb
mit Batteriegrößen zwischen 65 und 90
kWh bei Reichweiten von 250 bis 520 Kilometern.
Die Antriebstechnologie wird verpackt in
attraktive, dynamisch gestylte SUV-Karosserieformen,
die eine sehr ordentliche Verarbeitungsqualität
und Solidität ausstrahlen. Spaltmaße,
Passgenauigkeit der Teile, Material- und
Oberflächenanmutung haben sich in den letzten
fünf Jahren enorm entwickelt und stehen den
deutschen Herstellern kaum noch nach. Das,
was wir bei uns als Premiumanmutung im
Innenraum empfinden, wie z.B. Oberflächen
aus schwarz gefärbter Glasoptik, ein Schalthebel,
der einem Joystick entspricht, üppig wirkende
Sitzbezüge oder gesteppte Nähte auf
Lederoptik, gibt es heute in China im Mittelklassebereich.
Schauen sie sich mal den G3 von
Xiaopeng oder den Tang von BYD an. Das sind
Fahrzeuge, die haben umgerechnet einen Preis
zwischen 20 und 35 Tausend Euro. Wohlgemerkt
E-Fahrzeuge mit über 350 Kilometern
Reichweite.
Hinzu kommt ein weiteres Schlüsselelement,
nämlich die Digitalität. Es gibt quasi kein
chinesisches Fahrzeug mehr, das nicht ein
digitales Cockpit besitzt. Die Mittelkonsole trägt
immer ein iPad-großes Display, welches wie im
Fall von BYD ein offenes Android-System bietet.
Auf diesem Display können sie nicht nur wie an
ihrem Computer zu Hause agieren. Auch sämtliche
Fahrzeugfunktionen lassen sich über das
Display ansteuern. Mittlerweile besitzen die
Fahrzeuge auch eine sehr gut funktionierende
Sprachsteuerung. Und das alles, ohne ihr Handy
dabeihaben zu müssen. Quasi »ein fahrender
Computer«.
SCHAUEN SIE SICH MAL
DEN G3 VON XIAOPENG
ODER DEN TANG VON BYD
AN. DIE E-FAHRZEUGE
KOSTEN ZWISCHEN 20
UND 35 TAUSEND EURO.
MIT ÜBER 350 KILOME-
TERN REICHWEITE.
In Ordnung, die Chinesen holen auf und machen bei
Design und Verarbeitungsqualität große Fortschritte.
Doch das können die deutschen Hersteller doch auch.
Malorny: Ja natürlich. Aber es ist noch etwas
anderes, was die chinesischen Hersteller immer
besser hinbekommen: Sie personalisieren das
Fahrzeug und sprechen extrem stark den Familiensinn
der Chinesen an. Dabei muss man
wissen, dass Familien in China wieder größer
werden, weil zwei Einzelkinder, die heiraten,
jetzt zwei eigene Kinder bekommen können (statt
bisher nur eines), womit es immer mehr vierköpfige
Familien gibt. Ein gutes Beispiel ist der NIO
es6, ein elektrisch betriebener SUV, der auf der
Armaturentafel eine tennisballgroße Kugel mit
Display sitzen hat, die mit den Insassen spricht,
sich zu einem dreht und über die Sprachsteuerung
Fahrzeugfunktionen auslöst. Die Kugel
heißt NOMI und wirkt wie ein Familienmitglied,
das sich um das Auto und seine Insassen kümmert.
Es hat eine menschliche Anmutung mit
Augen, einem Lächeln und einer sympathischen
Stimme. Das mögen wir kitschig finden. Dem
chinesischen Geschmack kommt es entgegen.
Des Weiteren lieben es die Chinesen, sich
untereinander in sogenannten digitalen Communities
auszutauschen und dort ihre soziale
Bestätigung, ihr Sozialprestige zu erhalten.
Auch hier ist die Marke NIO mit der »NIO Auto
Community«, die regional organisiert wird, ein
exemplarisches Beispiel. Mal ganz abgesehen
davon, dass »Words of Mouth«, also persönliche
Produktberichte und -empfehlungen, einen
extrem hohen Stellenwert bei der Kaufentscheidung
haben.
Was bedeutet das für die deutschen Hersteller?
Malorny: Zunächst müssen wir erkennen, dass
es nicht mehr reichen wird, ein deutsches
Fahrzeug ohne Anpassungen an den chinesischen
Markt zu verkaufen. Ich meine dabei nicht
das Angebot der L-(Long) Versionen und den
158 Short Stories ramp #49
Higgledy Piggledy
Dating Reports
159
FOLGE
30
DATING
REPORTS
Sehr schnelle Treffen mit einem Blatt
im Wind, einem Stromspender und
einem Sitzriesen – zufälligerweise
waren alle rot.
Einbau eines speziellen Luftfilters oder die
Übersetzung der Navigation von deutscher in
chinesische Sprache. Das ist sowieso Standard in
China und bietet jeder Hersteller. Die deutschen
Autohersteller müssen ihre gesamte Digitalität
und Ausstattung auf den chinesischen Kunden
zuschneiden. Es geht hier nicht um die Anpassung
einer hiesigen, deutschen Lösung, wo
vergleichsweise kleine Displays und eine sehr
eingeschränkte Digitalität und Vernetzung
immer noch der Stand der Technik sind. Es geht
um die Vernetzung mit dem chinesischen
Internet und dessen Funktionalität. Es ist ein
anderes Internet als das, was wir hier im Westen
gewohnt sind. Und es hat in China einen sehr
hohen Stellenwert bei der jungen Bevölkerung,
die es in ihrem Auto schlichtweg erwartet. Das
alles ist in den Fahrzeugen der deutschen
Hersteller nicht verfügbar. Sie wirken durch ihre
weitgehend fehlende Digitalität wie aus einer
anderen Welt. Es fehlen zudem Personalisierungsmöglichkeiten,
die gerade digitale Lösungen
bieten.
Und der Markenauftritt?
Malorny: Nun, wenn Sie in Shanghai in den
Showroom von Mercedes, BMW oder Porsche
gehen, werden Sie feststellen, dass sich die
Räume fast nicht unterscheiden. Die Architektur
und Farbgestaltung sind ziemlich gleich. Zudem
sind sie mit Fahrzeugmodellen vollgestopft und
gleichen eher Parkhäusern als Premium-
Showräumen. Die Raumfarben sind kalt (grauer
Fliesenbelag, kalkweiße Wände und dunkle
Decken bei gleißend hellem OP-Licht),
Gesprächs ecken unpersönlich, Verkäufer
zuweilen gelangweilt. Fast hat man das Gefühl,
dass die Marken »ausgecasht« werden – solange
es gut geht. Nach dem Motto: Warum soll man
sich mit der chinesischen Kultur und dem
chinesischen Kunden näher beschäftigen? Nur,
diese Phase geht jetzt vorbei. Die deutschen
DEUTSCHE MARKEN
MÜSSEN RADIKAL
WEITERENTWICKELT
WERDEN UND NEUE
BEGEHRLICHKEITEN
WECKEN.
CHRISTIAN MALORNY
studierte an der
Technischen Universität
Berlin Maschinenbau und
entwickelte sich während
seiner Promotion zum
Spezialisten für
Qualitätsmanagement in
der Autoindustrie. Schon
bevor er 1996 zu
McKinsey ging, schrieb
er mehrere Bücher. Seit
2018 ist er Chef der
Autosparte bei A.T.
Kearney, zu den Klienten
gehören alle großen
Autohersteller und Zulieferer.
Wenn Malorny
nicht im Flugzeug (oder
im Kleinwagen) sitzt,
verbringt er die Zeit mit
seiner Frau und den
beiden Töchtern.
Marken müssen sich viel stärker auf den chinesischen
Geschmack und auf die Bedürfnisse
ausrichten sowie mit der chinesischen Kultur
verzahnen.
Was heißt das denn für die Aufstellung der deutschen
Hersteller in China?
Malorny: Unseres Erachtens müssen sämtliche
kundennahen Aktivitäten entlang der gesamten
Wertschöpfungskette in China abgebildet werden.
Das heißt insbesondere, dass die Produktdefinition
mit der Festlegung der Funktionalitäten und
Spezifikationen im Lastenheft, die Konzeptphase
sowie die gesamte Entwicklung der Software für
digitale Lösungen in China installiert und dort
vor Ort ausgeführt werden. Wir können nicht
erwarten, dass hiesige Ingenieure, die ein ganz
anderes Internet nutzen als jenes, das in China
existiert, digitale Lösungen für Fahrzeuge für
China entwickeln werden.
Auch eine Personalisierung, also ein maximales
Zuschneiden des Autos auf den Kunden, wird
nur wirksam funktionieren, wenn Entwickler
aus der Kultur kommen und innerhalb des
Marktes agieren, für die das Fahrzeug gemacht
wird – also aus China für China. Zudem müssen
die deutschen Marken radikal weiterentwickelt
werden und neue Begehrlichkeit wecken. Dazu
gehört auch, den Markenauftritt, also unter
anderem das Showroom-Konzept, die Kommunikation
und die Kontaktpunkte mit dem
Kunden, neu zu gestalten und dem chinesischen
Kunden ein ganz neues Gefühl der Wertschätzung
entgegenzubringen. Und schließlich muss
der Designbereich ein Design-Zentrum vor Ort
führen. Asiatisches Design wird genauso gefragt
sein wie heute schon asiatische, insbesondere
chinesische Kunst. Dabei geht es nicht nur um
das Design dortiger Fahrzeuge, sondern auch um
den zunehmenden Einfluss asiatischer Designsprache
auf hiesige Designlösungen.
HINTER DEN SIEBEN SITZEN
Text Matthias Mederer
Foto Mercedes
Es gibt eine interessante Entwicklung bei Autos
und Filmen. Früher existierten viele verschiedene
Genres, es wurden Western, Komödien, Kriegsoder
Liebesfilme gedreht. Heute gibt es Blockbuster,
ab und an einen Independent-Film – und
Tarantino. Aber vor allem Blockbuster.
Bei den Autos ist es ähnlich. Früher gab es
viele Autos. Luxuslimousinen, Klein-, Geländeund
Sportwagen, irgendwann sogar einen
Lamborghini Countach. Und heute? Heute gibt es
SUV. Mal sind sie luxuriös und repräsentativ, mal
flauschig-weich oder krawallhart.
Und jetzt wartet da der neue Mercedes-AMG
GLB 35 4MATIC, ein Kompakt-SUV mit bis zu
sieben Sitzen. Das Kompakt-SUV ist jetzt keine
Neuerfindung, vielmehr ist es schon ein Dauerbrenner
im SUV-Blockbuster-Segment des
Daimler-Universums. Und deshalb ist die
Erwähnung der sieben Sitzmöglichkeiten so
wichtig. Zumindest aus Sicht von Mercedes.
Weil es sich um das Alleinstellungsmerkmal des
AMG GLB 35 handelt. Seine Rivalen – VW T-Roc R,
BMW X2 M35i, Audi RSQ3 – bieten keine sieben
Sitze. Und es gibt noch einen Punkt, der für den
Mercedes spricht: Die Konkurrenz nutzt variabel
einsetzbare Plattformen, was dazu führt, dass
die Autos der verschiedenen Marken zwar
verschieden aussehen, technisch aber oftmals
gleich oder ähnlich sind. Bei Mercedes bekommt
AUSWERTUNG
man nach wie vor einen Mercedes. Was auffällt:
Die Schulterlinie wirkt sehr tief. Ein echter
Offroader nutzt eine tiefe Schulterlinie, damit
man sich als Fahrer im Gelände besser aus dem
Fenster lehnen kann, um auf das Vorderrad zu
schauen. Der Fahrer eines GLB 35 wird es vor
allem dann zu schätzen wissen, wenn er sich im
Parkhaus für das Ticket zum Automaten aus
dem Fenster lehnen muss. Dieser »Kundenwunsch«
war allerdings nicht das Entwicklungsziel.
Vielmehr wollte man durch das Design
Höhe darstellen und das Auto optisch »kürzen«.
Die Siebensitz-Option geht nur mit Zugeständnissen
bei der Länge. Denn ein bisschen mehr
Parklücke braucht der GLB 35 dann doch im
Vergleich zur Konkurrenz. Und wie fährt sich
der GLB 35? Der Motor ist ein alter Bekannter,
im GLB allerdings deutlich zivilisierter als in der
A-Klasse, was dazu führt, dass man tatsächlich
auch erwachsener fährt. Ganz großes Kino,
möchte man sagen.
MERCEDES-AMG GLB
35 4MATIC
MOTOR
Vierzylinder-Turbomotor
HUBRAUM
1.991 ccm
LEISTUNG
306 PS (225 kW)
MAX. DREHMOMENT
400 Nm
bei 3.000–4.000 U/min
0–100 KM/H
5,2 s
VMAX
250 km/h
(elektr. abgeregelt)
SHORT
STORIES
Erster Eindruck? Ein Mercedes SUV. Okay.
♥♥♥♥
Wahrscheinlichkeit für ein zweites Date? Wurde nicht eben schon der neue GLA vorgestellt?
♥♥♥♥
Ich-kann-vor-meinen-Freunden-angeben-Faktor? Hmmm ... die sind doch sehr auf den AMG GT C fixiert. ♥♥ ♥♥
Mutter-wird-nichts-dagegen-haben-Faktor? Na, das ist mal gesetzt.
♥♥
♥
Wat für länger? Mit den sieben Sitzen? Sollten mal Kinder da sein ... ♥♥ ♥♥
Würde dem Händler meine Nummer geben? Sicher ist sicher.
♥♥♥ ♥
160 Short Stories
ramp #49
Higgledy Piggledy
Dating Reports
161
WUNDERKISTE
Text Natalie Diedrichs
Foto Mitsubishi Motors
Plug-in-Hybride sind schon ganz praktisch.
Noch mal kurz für diejenigen, die sich nicht
jeden Tag mit automobiler Antriebstechnik
beschäftigen: Ein Hybrid ist ein Benziner, der
von einem Elektromotor unterstützt wird.
Die hierfür notwendige Batterie wird größtenteils
beim Bremsen aufgeladen. Damit sind dann
kurze Strecken von zwei bis drei Kilometern rein
elektrisch möglich. Ein Plug-in-Hybrid hat im
Gegensatz dazu eine größere Reichweite, weil er
sich nicht zwingend selbst aufladen muss, zumal
man ihn auch an eine Steckdose oder Ladestation
stöpseln kann. Plug-in halt. Der Mitsubishi
Outlander schafft dadurch beispielsweise bis
zu 57 Kilometer rein elektrisch. Zwei Elektromotoren,
jeweils einer an der Vorder- und einer
an der Hinterachse, ergänzen hier den Vierzylinder-Benziner.
Während wir den japanischen Plug-in-
Hybrid-SUV ausgiebig testeten, fielen uns noch
andere recht hilfreiche Eigenschaften an ihm
auf: Zum Beispiel kann man ihn dank seines
E-Kennzeichens auf öffentlichen Parkplätzen in
Stuttgart umsonst parken – was bei Preisen von
bis zu drei Euro pro Stunde eine effiziente
Sparmaßnahme darstellt. Das Einparken an sich
verläuft ebenfalls unproblematisch, da die
Basisvariante des Outlander Plug-in-Hybrids
bereits eine Rückfahrkamera enthält. Und wenn
man erst mal aus der Stadt aufs Land fährt,
meistert er dank seines Allradantriebs auch
unbefestigte, verschneite oder steile Strecken.
Dazu sitzt es sich auf den gesteppten Ledersitzen
äußerst bequem und das digitale Cockpit vermittelt
leicht verständlich, wie viel elektrische
Reichweite noch vorhanden ist und wann die
Batterie beim Bremsen oder Bergabfahren
geladen wird.
So weit, so nützlich. Richtig lässig wird’s aber
jetzt erst: Neben all dem technologisch
anspruchs vollen Klimbim sind im Outlander
Plug-in-Hybrid nämlich noch zwei 230-Volt-
Steckdosen installiert. Also so richtige, wie zu
Hause. Laut Mitsubishi versorgen sie bis zu
1.500 Watt starke Elektrogeräte mit Strom –
Haare trocknen, rasieren oder sogar ein Gericht
im Thermomix zubereiten geht damit also auch
unterwegs. Wenn man’s denn braucht. Theoretisch
ließe sich mit der Steckdose im Outlander
sogar ein Elektroauto aufladen. Da wundert es
uns jetzt auch nicht mehr, dass er der beliebteste
Plug-in-Hybrid-SUV der Welt ist.
MITSUBISHI
OUTLANDER
PLUG-IN-HYBRID
MOTOREN
Vierzylinder-Saugmotor
+ zwei Elektromotoren
HUBRAUM
2.360 ccm
SYSTEMLEISTUNG
312 PS (229 kW)
SYSTEMMOMENT
543 Nm
bei 4.000 U/min
0–100 KM/H
10,5 s
VMAX
170 km/h
SHORT
STORIES
STÜRMISCHE ZEITEN
Text Natalie Diedrichs
Foto Nissan
Montagmorgen. Sturmtief Sabine tobt sich über
den Köpfen der Berufspendler aus. Die Ampelanlagen
an den Stuttgarter Hauptverkehrsadern
quittierten nach einer Stromspitze ihren Dienst,
Blätter und Äste fliegen herum. Fünf Polizisten
regeln im peitschenden Regen den Verkehr.
Die armen Schweine. Ich würde ihnen ja gerne
einen Tee anbieten, habe aber leider keine
Thermoskanne dabei.
Dafür einen Nissan Leaf e+. Das »e+« steht
für die leistungs- und akkustärkere Variante
des japanischen Elektroautos. 217 PS und eine
62 kWh große Batterie – macht 385 Kilometer
WLTP-Reichweite. Die sich exorbitant verringert,
weil ich mich bei den Ampelstarts einfach
nicht zusammenreißen kann. Fuß aufs Gas,
Kickdown! Das Drehmoment liegt sofort an und
der Leaf wirbelt wie ein Blatt durch den Sturm.
So flott, dass sogar der Bauch kribbelt. Definitiv
ein probates Mittel gegen wöchentlich auftretende
Montagsdepressionen. Und ein wirksames
Argument gegen die Kritik jener Mäkler, die
»rein elektrisch« immer noch für ein Synonym
für »spaßbefreit« halten.
Ich gerate ins Grübeln, während ein paar
Kilometer weiter eine Gruppe Straßenmeister
einen Baumstamm von der Strecke räumt. Was
passiert eigentlich, wenn ein Elektroauto vom
Blitz getroffen wird? Ist es dann auf einen Schlag
wieder aufgeladen? Wahrscheinlich nicht.
Faradayscher Käfig und so. Und was, wenn bei
so einem Sturm mal der Strom ausfällt? Dann
hätte man zumindest eine plausible Ausrede,
nicht zur Arbeit zu kommen. Es sei denn, eine
Bahn fährt. Ha ha.
Doch abgesehen von solchen Schreckensszenarien
schlägt sich der Leaf hervorragend,
macht sogar richtig Spaß. Und dank seiner
Mörder- Reichweite entpuppt er sich als absolut
alltagstauglich. Vorausgesetzt, man findet eine
Ladestation, die genug Power für ihn hat, um ihn
schnell aufzuladen. Die hier in unserem Reutlinger
Parkhaus lädt mit 11 kW. Heute Nacht um
3:50 Uhr wäre der Leaf dann abstöpselbereit.
Diesmal pack’ ich die Thermoskanne ein.
NISSAN LEAF E+
TEKNA
MOTOR
Wechselstrom-
Synchronmotor
BATTERIE
62 kWh
LEISTUNG
217 PS (160 kW)
DREHMOMENT
340 Nm
0–100 KM/H
6,9 s
VMAX
157 km/h
SHORT
STORIES
AUSWERTUNG
AUSWERTUNG
Erster Eindruck? Mit dem kann man sich auch auf der Schwäbischen Alb zeigen.
Wahrscheinlichkeit für ein zweites Date? Parken ist umsonst. Er bleibt einfach hier.
Ich-kann-vor-meinen-Freunden-angeben-Faktor? »Wir könnten eine PlayStation anschließen!«
Mutter-wird-nix-dagegen-haben-Faktor? »Doch, der ist schon an, Mama. Der fährt elektrisch.«
Wat für länger? Wie gesagt: Er bleibt hier.
Würde dem Händler meine Handynummer geben? Ist ’ne Kabeltrommel inklusive?
♥♥♥♥♥
♥♥♥♥♥
♥♥♥♥♥
♥♥♥♥♥
♥♥♥♥♥
♥♥♥♥♥
Erster Eindruck? Wie süß, ein Nasenlader.
Wahrscheinlichkeit für ein zweites Date? Ein romantisches Dinner am CHAdeMO-Ladepunkt.
Ich-kann-vor-meinen-Freunden-angeben-Faktor? »Also ich bin ja jetzt nachhaltig. Und ihr so?«
Mutter-wird-nix-dagegen-haben-Faktor? »Beim EDEKA kann man den jetzt auch laden, Mama.«
Wat für länger? Acht Jahre Garantie!
Würde dem Händler meine Handynummer geben? Wenn er mir eine Wallbox schenkt.
♥♥♥♥♥
♥♥♥♥♥
♥♥♥♥♥
♥♥♥♥♥
♥♥♥♥♥
♥♥♥♥♥
162 Short Stories
ramp #49
Higgledy Piggledy
Skills, Freunde!
163
SKILLS,
FREUNDE!
250, 400 oder gar 625 PS – stark kann heute jeder. Dabei liegt die wahre
Kunst im zügigen Umsetzen geringer Ressourcen. Darum: Schwung mitnehmen!
Text David Staretz
Es klingt provokant, ist aber schwer zu widerlegen:
Unsere Autos sind übermotorisiert, das
heißt, ihr Leistungsangebot übertrifft bei Weitem
die Notwendigkeit zügiger Fortbewegung. Dabei
sprechen wir nicht vom Audi Avant RS mit 600 PS,
sondern vom üblichen Renault oder Volkswagen,
Kia wie Mercedes, Ford oder Volvo.
Die teilweise sportlich, teilweise als Maßnahme
der Vernunft begründete Hochrüstung der
letzten Jahrzehnte lässt heute biedere Stoßzeiten
Pendler über jene tobenden Feuermaschinen
herrschen, von denen einst die Anhänger von
Filippo Tommaso Marinetti, dem Begründer
des Futurismus, schwärmten. Allerdings sind
deren brennenden Manifeste eher allegorisch
zu verstehen: Niemand konnte sich Anfang des
20. Jahrhunderts vorstellen, dass man im zivilen
Straßenverkehr tatsächlich mehr als siebzig
Pferde beherrschen würde, um damit (siebzigspännig!)
durch die Gassen zu preschen.
Stark können heute alle. Damit ist im
Main stream kaum noch zu reüssieren.
Sucht man aber sparsam motorisierte Autos
in den Katalogen, findet man kaum ein Modell,
das weniger als 60 PS hat. Selbst der minderste
Lada, früher ein Garant für Untermotorisierung,
bringt 83 PS. Und der Fiat Panda, einst
unterste Kiste, stemmt mit seinen zwei Zylindern
69 PS. Einzig der VW eco up! ist mit
60-PS-Motorisierung zu haben.
Kurios: Der schwächste Aston Martin hat
98 PS. (Es ist das Modell Cygnet – Schwänchen –,
das man als eine Art Schlüsselanhänger zu
NIEMAND KONNTE SICH
ANFANG DES 20. JAHR
HUNDERTS VORSTELLEN,
DASS MAN IM ZIVILEN
STRASSENVERKEHR
TATSÄCHLICH MEHR
ALS SIEBZIG PFERDE
BEHERRSCHEN WÜRDE,
UM DAMIT (SIEBZIG
SPÄNNIG!) DURCH DIE
GASSEN ZU PRESCHEN.
einem V8 Vantage oder DB9 Coupé dazubekommen
sollte. Allerdings ist das Toyota-IQ-Derivat
seit 2013 mangels Nachfrage eingestellt.) Der
kleinste Peugeot/Citroën/Toyota hat 68 PS, der
schwächste BMW üppige 140, der schwächste
Bugatti 1.001 PS (somit immerhin 199 PS
weniger als der stärkste).
Aber im Ernst: Wo sind heute noch richtig
schwach motorisierte Autos zu finden außer bei
Leichtkraftfahrzeugen – oder kurz: Mopedautos?
Marktführer Aixam aus Aix-les-Bains bietet seine
Klein-Dieselchen mit führerscheinbefreiter Spar
leistung an; selbst der großspurig als City GTO
bezeichnete Kleinstwagen hat nicht mehr als
8,1 PS, aber damit sollte man nicht freiwillig
kokettieren.
Also, was hat es mit meinem Spleen des
Untermotorisierten auf sich? Klimarettung in
kleinen Dosen? Ganz geheuer ist mir das selber
nicht, dennoch beschleicht mich manchmal das
Gefühl, dass unser Projekt Weltrettung von den
Autoherstellern auf einem zu hohen Niveau
abgefeiert wird, dass Autos mit 250-PS-Dieselmotoren
und vom Werk angegebenen 6,0 Litern
Normverbrauch nicht wirklich unsere Probleme
lösen werden, genauso wenig wie fahrende
Umspannwerke mit absurden Höchstleistungen.
Meine Theorie (und meine Praxis) lautet,
dass hohe Motorleistung keine Frage der
Notwendigkeit ist, sondern vielmehr eine der
Relation – nämlich zu anderen Fahrzeugen,
die in irgendeiner Art von Wettbewerb stehen.
Das ist wie beim Hochrüsten bei Slotcars.
Die hochgegitzten Folienrenner haben nur mehr
zwei Antriebsräder und eine Aerofolie als
Karosserie. Sie flitzen so schnell, dass man sie
mit bloßem Auge nicht mehr sieht.
Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten,
dass der Volkswagen Golf GTI dafür verantwortlich
ist. Durch ihn wurde vor 44 Jahren der
Rennsport in den Straßenverkehr hineindemokratisiert,
gefolgt von den anderen kleinen,
süßen, frechen Giftspritzen.
Ich fand es nie ganz in Ordnung, dass
elegante Sportwagen, die sich so sehr bemühten,
mit allem, was sie darstellten, und allem, worauf
sie verzichteten, sich plötzlich von biederen
Familienbüchsen, die äußerlich nicht mehr als
ein paar verschämte Sportzitate aufbrachten,
»verblasen« lassen mussten, wie man das damals
anerkennend nannte.
Heute ist alles viel schlimmer. Heute sind es
die scheußlichen weißen Lieferwagen, die uns
auf der Autobahn hartnäckig im Nacken sitzen
und den absoluten Linke-Spur-Anspruch fordern,
ganz gleich, ob wir im Mercedes AMG GT, im MG B
von 1968 mit 90 PS oder im VW Golf R der aktu
ellen Generation mit mittlerweile 310 PS fahren.
Heute regelt sich die Geschwindigkeitsfrage
meist nur danach, wer den besseren Radarsensor
besitzt, die bessere Ortskenntnis oder die
stärkeren Nerven.
Ende des Exkurses.
Was ich mir in meiner Theorie (und aus der
Praxis heraus) wünsche, sind Autos, die ihre
Motorleistung aus dem Verhältnis zur Umgebung
holen und aus dem absoluten Verständnis,
dass jegliches Vorankommen ein grandioser
Fortschritt gegenüber dem Stillstand ist und
dass wir es uns eigentlich nicht mehr leisten
können, exzeptionelle Motorstärke als Deko und-
Ego-Material mitzuführen. Ferrari, Lamborghini,
Lotus etc. bleiben natürlich ausgenommen, denn
die betreiben Motorleistung und das ganze
Sportwagen-Commitment auf überzeugend
integrale Weise. Aber ich will keinen BMW X6 M
Competition mit 625 PS unter dem Zeichen der
Vernunft betrachten müssen. Das gilt umso
mehr für Power-Hybrids und Power-Elektriker.
Uns imponieren wohl die theatralischen Aspekte,
Opulenz und Dekadenz, aber wenn sich
ICH WÜRDE SOGAR SO
WEIT GEHEN ZU BEHAUP
TEN, DASS DER VOLKS
WAGEN GOLF GTI DAFÜR
VERANTWORTLICH IST.
DURCH IHN WURDE VOR
44 JAHREN DER RENN
SPORT IN DEN
STRASSEN VERKEHR
HINEINDEMOKRATISIERT,
GEFOLGT VON DEN
ANDEREN KLEINEN,
SÜSSEN, FRECHEN
GIFTSPRITZEN.
ES IST IN GEWISSER
WEISE AUCH EIN
ENTSPANNENDES
GEFÜHL, VOLL AUF DEM
GASPEDAL ZU STEHEN
UND ZU WISSEN, DASS
MAN STÄRKER ALS DAS
AUTO IST.
einerseits der Mainstream aufmotorisiert, wir
andererseits eine Zukunft ermöglichen wollen,
müssen wir die Sache anders angehen.
An einem Kipppunkt der Übersättigung
angelangt, setzt angesichts des neuerlich sich
abzeichnenden Wettrüstens per E-Motorisierung
eine gewisse Nachdenklichkeit ein: Ob nicht
abgerüstete Motorleistung die wirklich nachhaltigen
Ergebnisse brächte und uns nebenbei alle
zu besseren Autofahrern (bei geringerem
Kraftstoffverbrauch) machte?
Skills, Freude! Denn mit wenig Leistung
auszukommen erscheint mitunter anspruchsvoller,
als immer nur dröge ins Volle zu steigen.
Reduzierte Motorleistung verdammt nicht zum
Dahinzuckeln. Im Gegenteil, erst mit untermotorisierten
(und abgespeckten) Fahrzeugen kann
man wirklich Fahrtalent beweisen, indem man
die spärlichen Ressourcen mit Schwung,
Geschicklichkeit und Vorausschau so einsetzt,
dass man zügig unterwegs ist. Es ist in gewisser
Weise auch ein entspannendes Gefühl, voll auf
dem Gaspedal zu stehen und zu wissen, dass
man stärker als das Auto ist. Dass man es selber
besser könnte, aber das Maschinchen eben nicht.
Man spürt wieder Steigungen, erfreut sich an
Gefällen, berechnet Kurven voraus und fühlt die
Kraft der Abendkühle, wenn die Zylinderfüllung
dichter wird.
Den Nebeneffekt der Kraftstoffeinsparung
und Abgasreduktion können wir uns als Elektroverzicht
anrechnen lassen.
In gewisser Weise rührt mich das und
erinnert an Zeiten, als 21 PS im Renault 4CV
(mein erstes Auto) die Welt waren und ein auf
70 PS frisierter Puch 500 als Granate galt.
Nostalgiealarm? Vielleicht. Aber oft ist es nur
eine Sache des sogenannten Wordings. So spricht
man heute in der modernen Motorentechnik von
Downsizing – und sobald ein cooles englisches
Idiom für eine Sache gefunden wurde, ist es ja
schon fast wieder ein Hype.
SHORT
STORIES
164 Short Stories ramp #49
Higgledy Piggledy Alternative Facts
165
Er sah den langen, langsamen Pazifikwellen zu,
die über den Sand heranrollten, und wartete
und wartete auf das Nichts, das, wie er wusste,
jeden Moment passieren würde. Als die
Zeit kam, dass es nicht passierte, passierte es
pflichtgemäß nicht, und so verläpperte sich der
Nachmittag, die Sonne ging hinter der langen
Horizontlinie des Meeres unter, und der Tag war
zu Ende.
Aus Douglas Adams, »Macht’s gut, und danke
für den Fisch«
Schweigend hing eine Katastrophe um ihn herum
in der Luft und wartete, dass er sie bemerkte.
Aus Douglas Adams, »Der lange dunkle Fünfuhrtee der Seele«
WENN MAN EINE KATZE AUSEI-
NANDERNEHMEN WILL, UM ZU
SEHEN, WIE SIE FUNKTIONIERT,
HAT MAN ALS ERSTES EINE
NICHT FUNKTIONIERENDE KATZE
IN DEN HÄNDEN.
Douglas Adams
STRASSEN? WO WIR HINFAHREN, BRAUCHEN WIR KEINE STRASSEN!
Aus »Zurück in die Zukunft II«
Die Basis einer
gesunden Ordnung ist
ein großer Papierkorb.
Kurt Tucholsky
I accept chaos. I’m not sure
whether it accepts me.
Bob Dylan
AUCH DAS CHAOS
GRUPPIERT SICH UM
EINEN FESTEN PUNKT,
SONST WÄRE ES NICHT
EINMAL ALS CHAOS DA.
Arthur Schnitzler
DAS IST KEINE UNORD
NUNG, HIER LIEGEN NUR
ÜBERALL IDEEN HERUM!
Unbekannt
FÜR VIELE MÄNNER IST AUTO
FAHREN WIE SEX: DIE FRAU
SITZT TEILNAHMSLOS DANEBEN
UND RUFT IMMER: »NICHT SO
SCHNELL, NICHT SO SCHNELL!«
Harald Schmidt
Wenn ein unordentlicher
Schreibtisch einen unordentlichen
Geist repräsentiert, was
sagt dann ein leerer Schreibtisch
über den Menschen, der
ihn benutzt, aus?
Albert Einstein
Umgehungsstraßen sind sinnreiche Gebilde, die es einigen Leuten erlauben,
sehr schnell von Punkt A nach Punkt B zu sausen, während andere Leute sehr
schnell von Punkt B nach Punkt A sausen. Leute, die am Punkt C wohnen, der
genau in der Mitte dazwischen liegt, fragen sich oft verzweifelt, was an Punkt
A so phantastisch ist, dass so viele Leute von Punkt B so versessen darauf
sind, unbedingt dahin zu wollen. Oft wünschen sie sich, die Leute würden sich
einfach mal endgültig entscheiden, wo sie denn, verdammt noch mal, sein
möchten.
FRAUEN TUN FÜR IHR ÄUSSE-
RES DINGE, FÜR DIE JEDER
GEBRAUCHTWAGENHÄNDLER INS
GEFÄNGNIS KOMMT.
Nick Nolte
EIN KOPF VOLLER
KRAUT UND RÜBEN –
MIT MANCHERLEI
TOLLHEITEN AUCH –
IST DER BESTE NÄHR-
BODEN KREATIVER
PROZESSE.
Erwin Koch
SHORT
STORIES
Wenn du
immer alle
Regeln befolgst,
verpasst du den
ganzen Spaß.
EINES DER BESTEN MITTEL GEGEN DAS ALTWERDEN IST DAS DÖSEN AM
STEUER EINES FAHRENDEN AUTOS.
Juan Manuel Fangio
Katharine Hepburn
Aus Douglas Adams, »Per Anhalter durch die Galaxis«
166
NACHGEFAHREN
ROUND ABOUT
Text Michael Petersen
Illustration Sandra Stephan
Eine Formel 1-Rennstrecke mit Zebrastreifen. Fuß vom Gas,
weil eine Dame im Pünktchenkleid passiert. Wo wir sind,
wird der eine oder andere bereits erraten haben: mitten auf
dem Boulevard Albert 1er, oder anders gesagt, auf der
Start-und-Ziel-Geraden der Formel 1-Rennstrecke von
Monaco. Nirgendwo sonst lässt sich ein Grand Prix-Kurs so
leicht nachfahren, noch dazu kostenlos. Nach der Sainte-
Dévote geht es steiler bergauf, als es das TV-Bild vermittelt.
Beau Rivage, Massenet, schon schauen wir auf eine Versammlung
von Supersportwagen vor dem Kasino. Obwohl der VW
California frisch gewaschen ist, fordert ein streng dreinschauender
Herr mit nachdrücklichem Winken zur Weiterfahrt
auf.
Zwischen Mirabeau Haute und Mirabeau Bas das Grandhotel
Hairpin. Die Formel 1-Fahrer schalten in den ersten
Gang zurück. Wenig später der Tunnel unter dem Fairmont
Hotel hindurch. Die Rennwagen schaffen knapp 300 km/h.
Wir nicht. Tabac und Piscine. Mit Schwimmbad ist nicht der
Jachthafen gemeint. Ihn sehen wir zur Linken, bis es gilt, die
Rascasse anzubremsen. Zweimal rechts herum, der Kreis ist
geschlossen. So eindrucksvoll die Runde ist, frei ist sie
keinesfalls. Vespas und Wohnmobile, Skoda Kombi-Diesel und
Lamborghini Aventador SVJ, Linien- und Reisebusse, alle
vereint im Schneckentempo.
In der Formel 1 teilen sich nur 20 Rennwagen 3,337 Kilometer
Piste. Wie chaotisch muss man sich das vorstellen?
Schnell mal bei Bernd Mayländer, Fahrer des Safety Car,
nachfragen. Mayländer absolvierte in zwanzig Jahren 368
Safety Car-Einsätze und schüttelt sofort eine Geschichte aus
dem Ärmel: »Skurril war ein Einsatz 2004. Vor dem Tunnel
hatte ich das Feld im Rückspiegel, danach keinen mehr.« Nach
Momenten der Ungewissheit sah Mayländer einen Ferrari mit
abgeknicktem linkem Vorderrad aus der Dunkelheit schlittern.
Was war passiert? Michael Schumacher hatte stark
verzögert, um die Bremsen aufzuwärmen. Juan Pablo Montoya
im Williams-BMW schob den Ferrari in die Leitplanken.
Da war das Rad ab.
Der VW California beendet seine Runde auf allen vier
Rädern. Wir suchen erst einen Parkplatz (Glück gehabt) –
dann einen Kaffeehaustisch im Viertel La Condamine, unweit
des Boulevard Albert 1er. Noch mehr Glück gehabt.
SHORT
STORIES
WAS BRAUCHE ICH?
→→
→→
→→
→→
Boulevard du Larvotto
Rue Grimaldi
Start/Ziel
19
Anthony
Noghés
Boulevard Albert 1er
Sainte Dévote
16
17
15
13
14
Avenue de la Porte Neuve
Boulevard de la Princesse Charlotte
12
Louis Chiron
Piscine
18
La Rascasse
Geduld. Dass für 3,337 Kilometer viel Zeit vergeht, liegt
weniger an mangelnder Streckenkenntnis als an den vielen
Konkurrenten auf der Strecke.
Kohle. Man will sich in Monte Carlo ja auch mal was gönnen.
Einen Kaffee oder eine halbe Stunde parken oder so.
Ordentliche Klamotten oder ein starkes Selbstbewusstsein.
Zwei oder vier Räder. Für die Rundenzeit spielt die Fahrzeugwahl
überhaupt keine Rolle.
1
Tabac
Port Hercule
Beau Rivage
11
2
10
Nouvelle
Chicane
Boulevard des Moulins
MIT WELCHEN PROBLEMEN
MUSS ICH RECHNEN?
→→
→→
→→
Streckensperrungen. Beim
Aufbau des Kurses mit
Leitplanken oder Tribünen
und den Rennen.
Großer Preis von Monaco:
21.–24. Mai 2020. Startzeit
15:20 Uhr.
Grand Prix Historique:
8. – 10. Mai 2020.
Casino
4
Massenet
3
Grand Hotel
Hairpin
6
WAS SOLLTE ICH MINDESTENS
EINMAL MACHEN?
→→
→→
Einen Orangensaft im
Yacht Club de Monaco
bestellen. Das fürstliche
Ambiente ist weit mehr als
15 Euro wert.
Auf YouTube eine Onboard-Runde
mit Ayrton
Senna anschauen. Wilder
geht Monaco nicht.
5
9
Mirabeau
Haute
Mirabeau
Bas
7
Tunnel
W
N
S
WORAUF MUSS ICH
VERZICHTEN?
→→
8
Portier
E
Auf eine gute Rundenzeit.
Zum Vergleich: Die
Trainingsbestzeit von
Lewis Hamilton im
Mercedes ist 1:10,116
Minuten. Nicht Stunden,
wie bei uns mit dem VW
California.
SOUNDTRACK?
→ →
→ →
»Time Is on My Side«
(Rolling Stones)
»Der Spieler«
(Achim Reichel)
167
168 Short Stories
ramp #49
Higgledy Piggledy
Schöner Parken
169
SCHÖNER
PARKEN
Er ist einer der erfolgreichsten Start-up-Unternehmer Deutschlands –
und er hatte eine neue Idee. Der Mann heißt Nikita Fahrenholz, die Firma
nannte er Fahrengold und das Produkt ist eine High-End-Garage.
Übrigens: Einen Businessplan gab es nie.
Text
Matthias Mederer
Foto
Fahrengold
SHORT
STORIES
Nichts Digitales. Sondern etwas ziemlich Analoges,
Schönes – und tatsächlich Neues. 2010
gründete der Berliner Nikita Fahrenholz den
Bringdienst Lieferheld, der von Delivery Hero
übernommen wurde, danach die Firma Book A
Tiger, eine Plattform für Reinigungsdienstleistungen
– und nun eben Fahrengold. Dabei geht es
natürlich nicht um irgendwelche Nullachtfünfzehn
Carports. Sondern um konfigurierbare
Luxus Garagen, deren Design vom Apple inspiriert
ist, mit großen Glasflächen, vier Millimeter
starken, Pulver-beschichteten Aluminium-Wänden
– und mit einer Temperaturregelung auf
Nachkommastelle, die natürlich per App steuerbar
ist. Gegründet hat Fahrenholz das Unternehmen
mit dem Architekten Michael Schultz, später kam
Maximilian Knüppel als Managing Partner dazu.
Herr Fahrenholz, den Witz müssen wir jetzt machen:
Die Idee zur Garage hatten Sie nicht zufällig auch
noch in einer Garage?
Nikita Fahrenholz: Nein. Um ehrlich zu sein, eine
legendentaugliche Geschichte gibt es gar nicht.
Letztendlich basiert Fahrengold auf Beobachtungen:
Schon während ich noch bei Book A Tiger
war, fielen mir immer wieder Häuser auf, die
zwar architektonisch schön waren, aber Standardgaragen
hatten, manche sogar lediglich
einen unansehnlichen Carport. Gleichzeitig
standen darin oftmals Premiumautos. Ich rede
jetzt nicht von Luxusvillen, die komplett samt
Garage entworfen wurden, sondern vom Einfamilienhausbereich.
Und irgendwann stand da
die Frage im Raum: Warum gibt es kein Unternehmen,
bei dem ich mir eine coole Garage
konfigurieren kann und die nach drei Wochen
geliefert wird?
Und dann macht man das einfach selber? Ist das Ihr
typischer Start-up-Spirit?
Fahrenholz: Sagen wir so, als ich bei Book A
Tiger raus bin und mir eine Auszeit nahm, baute
ich zunächst mein Haus um und beschäftigte
mich darum mit meinem Architekten Michael
Schultz sehr viel mit dem Design und der
»WARUM GIBT ES KEIN
UNTERNEHMEN, BEI DEM
ICH MIR EINE COOLE
GARAGE KONFIGURIEREN
KANN UND DIE NACH
DREI WOCHEN GELIEFERT
WIRD?«
Funktionalität eines Gebäudes. Anschließend
fragte ich ihn: »Wie schaut’s aus, hast Du Lust,
mir mal eine Garage zu entwerfen?« Das Lustige
daran ist, dass Micki überhaupt keinen Bezug zu
Autos hat. Man muss sich nur anschauen, was er
fährt.
Verraten Sie, was es ist?
Fahrenholz: Ich weiß es gar nicht genau.
Max, weißt Du das?
Maximilian Knüppel: Ich glaube, es ist so ein
asiatisches Familienauto. Ein Daihatsu?
Fahrenholz: Das Raumangebot ist jedenfalls
exzellent. Ich war ganz überrascht.
Und trotzdem war und ist Michael Schultz nach wie
vor dabei.
Fahrenholz: Ja. Er fand die Idee sehr spannend,
denn für gewöhnlich entwirft er Individuallösungen,
große Villen, solche Dinge. Er fing an,
ein paar Skizzen anzufertigen und gab sie mir;
ich habe dann selber ein bisschen darin rumgekritzelt.
Diese Beschreibung trifft es am ehesten,
denn ich kann nicht wirklich zeichnen. Wir
spielten uns dann den Ball hin und her – und da
ich zu der Zeit eh nichts zu tun hatte, sagten wir
irgendwann: Komm, wir bauen das Ding jetzt
einfach mal, im schlimmsten Fall wird es
irgendeine hässliche Kiste, die ich mir dann eben
in den Garten stelle.
Es hätte eine sehr teure hässliche Kiste werden
können.
Fahrenholz: Das stimmt. So ein Experiment
– und es war tatsächlich ein Schuss ins Blaue –
muss man sich natürlich leisten können, aber
hier bin ich in der glücklichen Situation, dass so
etwas geht, ohne dass ich mich dafür verschulden
müsste. Und so suchten wir nach einem
Konstrukteur, zogen einen Metallbauer hinzu
und fingen an. Rückblickend kann ich schon
zugeben, dass ich da mit der Arroganz eines
Softwareentwicklers heranging und mir schnell
eingestehen musste, dass so eine Konstruktion
vielleicht doch ein bisschen mehr Zeit benötigt.
170 Short Stories
ramp #49
Higgledy Piggledy
Schöner Parken
171
Woran lag das?
Fahrenholz: Ich habe mir zu jedem Detail
Gedanken gemacht: Welches Material nehmen
wir, wie müssen die Spaltmaße sein, welche
Schrauben benutzen wir? Es war von Leidenschaft
getrieben und wir arbeiteten for free.
Am Ende war es eine fast eineinhalbjährige
Prototypisierungsphase. Und schließlich kam
der Tag, an dem wir davorstanden, ein bisschen
wie die drei von der Tankstelle. Und wir fanden
es super! Schon der Prototyp war extrem hochwertig,
alle Kanten, Spalten, Flächen passten wie
bei einem MacBook Pro. Das war auch der Punkt,
an dem wir beschlossen, die Garage jemandem
zu zeigen. Wir dachten: Wenn wir jemanden
finden, der Lust drauf hat und es kaufen will,
freuen wir uns.
Es gab und gibt bis heute keinen Businessplan?
Fahrenholz: Nein, gab es nie. Ich habe nie einen
geschrieben, keine Investorengespräche geführt,
keine Kalkulationen oder Prognosen aufgestellt.
Nichts. Es war und ist die reine Arbeit am
Produkt; immer designgetrieben und gleichzeitig
auf Funktionalität ausgelegt. An dem Punkt
wollten wir keine Kompromisse machen. Es geht
uns darum, das Auto zu präsentieren, für seinen
Besitzer, aber auch für andere, je nachdem, was
der Kunde möchte. Wir wollen nicht über die
technischen Features verkaufen. Die Garage hat
zwar alles und kann mehr als eine normale
Garage – so gibt es sogar eine eigene App für die
Steuerung aller Funktionen. Aber es geht vor
allem darum, dass man etwas sieht und es
schön finden darf. Wir wollen den Wow-Effekt.
Knüppel: Und trotz geringer Werbemaßnahmen
– ein bisschen Social Media, ein, zwei
kleinere Events – bekamen wir schon richtig
gutes Kundenfeedback. Da ist zum Beispiel ein
Kunde aus Schweden, der sagte, mein Wohnzimmer
ist komplett verglast mit Blick auf den
Fjord, und ich hätte jetzt gerne eine Garage
daneben, in der das Auto geschützt hinter Glas
steht, sodass ich es von meinem Sofa aus sehen
kann.
»IM GRUNDE BIETEN
WIR DAS KLEINSTE
AUTO-MUSEUM DER
WELT AN.«
Sie haben nie recherchiert, ob es nicht irgendwo auf
der Welt schon ein ähnliches Geschäftsmodell gibt?
Fahrenholz: Zu Beginn nicht, nein. Irgendwann
ging es dann darum, ob wir weiter Geld in das
Projekt investieren. An diesem Punkt haben wir
selbst ein bisschen gegoogelt und festgestellt,
dass es nichts Vergleichbares gibt. Aber das war
nie der Primärtreiber. Ich will es einfach
machen, weil es sinnvoll ist. Manche mögen
sagen, das ist naiv oder kindlich, aber ich fand es
immer schon gerechtfertigt.
Knüppel: Hinzu kommt ja, dass es einen Milliardenmarkt
rund ums Automobil gibt. Der setzt
sich aus Herstellern, Zulieferern, Kunden,
Liebhabern, Restauratoren oder Medien zusammen.
Aber dieser Markt dreht sich primär um
das Auto selbst. Dieser Wunsch, dem Auto auch
eine Plattform zur individuellen Präsentation zu
bieten, dieser Markt wird aus unserer Sicht
aktuell nicht bedient.
Fahrenholz: Im Grunde bieten wir das kleinste
Auto-Museum der Welt an.
Knüppel: Es gibt wie gesagt die Individuallösungen
von Architekten, die das bei der Planung
eines Hauses berücksichtigen, aber im Bereich
Fertiggaragen gibt es keine High-End-Angebote,
sondern lediglich Betonfertiggaragen, die per
Lkw angeliefert werden, immer gleich aussehen
und mit einer DIN-Breite von rund 2,50 Metern
produziert werden. Wir dagegen verwenden
kaum Standardteile, zudem ist der Fahrengold
FG1 fast vier Meter breit. Wir bewegen uns damit
genau in der Nische zwischen Standardgarage
und Individuallösung. Und wir sind auch erst
am Anfang. Wir nehmen uns bewusst Zeit,
haben keinen Druck, rasch wachsen zu müssen,
und müssen keine Investoren glücklich machen.
Wir wollen ein gutes, handwerklich hergestelltes
Produkt anbieten.
Lassen sich mehrere Garagen zu einer größeren
kombinieren?
Knüppel: Der Fahrengold FG1 ist ein Produkt für
ein Auto. Das hat auch statische Gründe. Wir
arbeiten aber natürlich an weiteren Lösungen.
Fahrenholz: Es kommt auch auf den Kundenwunsch
an: Ein Kunde aus Berlin hat gerade drei
FG1 geordert und stellt sie sich nebeneinander.
Gab es auch schon verrücktere Anfragen?
Fahrenholz: Einen FG1 komplett aus Gold für den
solventen Kunden aus Abu Dhabi – so etwas in
der Art? Nein, das hatten wir noch nicht. Was
aber schon angefragt wurde, war die Möglichkeit,
einen Autoaufzug in unseren FG1 zu
integrieren – als Zugang zu einer unterirdischen
Großraumgarage. Da mussten wir absagen. Wir
arbeiten aber aktuell mit einem Partner an einer
Lösung.
Fahrengold-Gründer
MICHAEL SCHULTZ (links)
und NIKITA FAHRENHOLZ.
→ fahrengold.com
172 Short Stories
ramp #49
Higgledy Piggledy
Cybertruck Typ DiY
173
CYBERTRUCK
TYP DIY
SHORT
STORIES
Nix LED – eine Neonröhre tut
es auch.
Für die großzügig bemessenen
Scheiben ist Plexiglas die
richtige Wahl.
Wer es schnell, einfach und
billig mag, greift zur Schere.
Bei »Fold Up Toys« lässt sich
sogar ein echter Papier-Tesla
herunterladen.
Text
Michael Petersen
Illustration
Carmen Krafft
Der Tesla Cybertruck soll von Ende 2021 an ausgeliefert werden.
Wer so lange nicht warten möchte, sollte eine russische Vorlage aufgreifen.
Das Plagiat ist so gut gemacht, dass die Ähnlichkeit mit dem Original
unverkennbar ist. Immerhin. DiY – do it yourself!
Plattenbauten sind in Russland weit verbreitet.
Passend dazu mag man sich die Garagen und
Werkstätten vorstellen, die zu ihren Füßen
zusammengeschustert wurden. In so einer
Mini-Factory haben sich tapfere Männer versammelt,
um ihren ganz eigenen Cybertruck auf
die Straße zu bringen. So viel vorweg. Erstens:
das ist gelungen. Und zweitens: Wenn diese
Herren das schaffen ... Also: frisch ans Werk!
Um dem Vorgehen des Teams nachzuspüren,
bedarf es keiner Industriespionage. In einem
48:14 Minuten währenden Videoclip geben die
Enthusiasten preis, was sie neben einer großen
Portion an Idealismus für die Erfüllung ihres
Tesla Traums benötigen: schwere Hämmer, eine
robuste Flex, ein Autogenschweißgerät, eine
stattliche Lieferung an Vierkantstahlrohren
sowie einige Quadratmeter Blech. Ach ja, fahren
soll der Apparat ja auch noch. Als technische
Basis haben unsere russischen Freunde einen
Lada auserkoren, vermutlich ist es ein arg
GUT, ZUGEGEBEN, EINEN
GROSSEN UNTERSCHIED
ZU ELEKTRO-PIONIER
TESLA GIBT ES BEI
DEM RUSSISCHEN
PLAGIAT: DEN VORTRIEB
BESORGT EIN VERBREN-
NUNGSMOTOR.
heruntergekommener Typ 110. In der Preislage
um 500 Euro lässt sich gewiss in so ziemlich
jedem Landstrich ein Gefährt ähnlich robuster
Bauart finden.
Die Flex trennt das Dach ab und schafft in den
Radhäusern Raum für fettere Räder. Das
Schweißgerät verbindet die Vierkantrohre
oberhalb der Gürtellinie des Fahrzeugs zu einem
Sicherheits(?)-Käfig. Die Bleche werden über
dieses Gestell gestülpt, mit Schweißpunkten
fixiert und an den Kanten feingeschliffen.
Weil wir das Thema Elektromobilität weit
umfahren, bedarf es Kühlschlitzen im Bereich
der Front.
Die russische Interpretation stört die klaren
Linien nicht, ist dem Augenschein nach aber für
eher sibirische Temperaturen ausgelegt. Fehlt
noch die Beleuchtung. Dafür könnten Neonröhren
verwendet worden sein, vorne weiß, hinten
orange eingefärbt. Für die Radkappen genügen
kreisförmig ausgeschnittene Blechformen. Das
unveränderte Lada Interieur ist durch passend
zurechtgeschnittene und per Bemalung abgedunkelte
Kunststoffscheiben einigermaßen gut
erkennbar. Ohne Furcht vor Markenrechtsverfahren
haben die russischen Tesla Fans darauf
das Tesla Wappen eingraviert. Ach ja, keinerlei
Türen bieten Zugang, das Kraxeln durch die
Heckklappe aber schon.
Tatsächlich, der Cybertruck 0.2 lässt sich in
Bewegung setzen, und das sogar recht flott. Per
Videobeweis lässt sich die belegen und ebenso,
dass ein zweites Ziel erreicht wurde: das
Erzielen der größtmöglichen Aufmerksamkeit
aller Passanten.
Wer darauf nicht so viel Wert legt, aber dafür
auf Sauberkeit und rasche Erfolge, dem sei ein
Bastelbogen von »Fold Up Toys« empfohlen. Der
lässt sich aus dem Netz herunterladen. Ausdrucken,
falten, schneiden, kleben, fertig.
IM NETZ WIRD VER-
MELDET, DASS DER
FUTURISTISCHE RUS-
SEN-SCHLITTEN
KÄUFLICH ERWORBEN
WERDEN KANN. AUF-
GERUFEN SIND 666.666
RUBEL. DAFÜR LASSEN
SICH 190 QUADRAT-
METER STAHLBLECH
ERSTEHEN. DAS REICHT
FÜR 19 CYBER- TRUCK-
REPLIKAS. FEHLEN NUR
NOCH 19 LADAS ALS
UNTERSATZ.
Kotflügelverbreiterungen
bieten Platz für Breitreifen –
und schon ist das Lada
Fahrverhalten vergessen.
Alles nur Fake? Wer nicht alles glauben mag,
dem sei die Autorevue-Story samt Video ans
Herz gelegt:
→ autorevue.at/kurioses/tesla-cybertruckrussland
174 Short Stories
ramp #49
Higgledy Piggledy
Myle & More
175
MYLE & MORE
Sie sind Anfang zwanzig, hatten eine Idee und setzten sie um. MYLE heißt das Festival, das
in diesem Jahr zum ersten Mal in München stattfindet. Dabei geht es um nichts weniger als
die Zukunft.
Text
Michael Petersen
Fotos
MYLE
»Das Festival mit dem Schönsten, Schnellsten und
Spannendsten, das uns bewegt.« So lautet die
Unterzeile und das Versprechen von MYLE –
Munich’s Mobility Festival. Das klingt vielversprechend.
Auf dem Event, das in diesem Jahr zum
ersten Mal stattfindet, geht es um das Betrachten
oder sogar Probefahren von Produkten der
Premiumhersteller Koenigsegg, BMW, McLaren,
Harley-Davidson, Brabus, Automobili Pininfarina,
Bugatti oder Pagani und einigen mehr. Und
natürlich geht es nicht nur um Fahrzeuge:
»Zwischen Betrachten, Diskutieren und Informieren
bleibt auf jeden Fall Zeit für ein gutes Glas
Wein«, sagt Organisator Fabian Steindorf. Auch
die Location ist nicht unspannend: Im Kesselhaus
& Kohlebunker in München finden sonst vorrangig
Konzerte statt.
So neu wie das Konzept ist, so jung sind auch ihre
Erfinder. Robin Tiburtius, Lennart Vogt und
Fabian Steindorf, alle zwischen 22 und 24 Jahre
alt, lernten sich an der Universität kennen.
Zwischen ihren Vorlesungen kümmerte sich das
Trio um das Vermieten von Luxussportwagen, das
Handeln mit Privatjets und um das Thema Messe.
Die Idee zu MYLE wurde geboren, Klausuren
wurden trotzdem geschrieben, die Notenschnitte
blieben gut.
In den Anfängen lag der Schwerpunkt zunächst
auf Sportwagen, allerdings soll es bei
MYLE auch um die Zukunft der Fortbewegung
gehen. Und im Gespräch wird deutlich, dass das
Auto von den Dreien nicht uneingeschränkt als
zukunftsfähig angesehen wird. »Es geht um
Mobilität und den Spaß daran«, so Fabian
Steindorf, »heute wie morgen.« Und das mit vier
oder zwei Rädern – oder ganz ohne. Harley zeigt
SHORT
STORIES
den Elektroantrieb, Luxusboote von Frauscher
Yachten docken an. »Mit den Prototypen der TUM
Hyperloop greifen wir sogar eine Mobilität auf,
wie sie in drei oder vier Jahrzehnten aussehen
kann«, sagt Initiator Steindorf.
Ob es leicht war, die namhaften Marken ins
Festival einzubinden? Rasche Antwort von
Steindorf: »Das kann ich absolut verneinen!« Jeder
wollte der Letzte sein, der mitmacht, keiner der
Erste. Es ist wohl der Hartnäckigkeit der Macher
und des engagierten Beirats mit guten Kontakten
zur Industrie zu verdanken, dass sich in München
eine stattliche Liste an hochkarätigen Unternehmen
vorstellen wird.
Begleitet wird die Schau von Gesprächsrunden zur
Mobilität der Zukunft. Dabei gehört das Thema
E-Fuels ebenso dazu wie das innerörtliche Reisen
durch die Luft. »In den nächsten zwei, drei Jahren
werden Lufttaxis wohl noch nicht abheben«, ist
Steindorf überzeugt, »aber früher oder später
werden wir das erleben.«
Natürlich sehen Robin Tiburtius, Lennart Vogt und
Fabian Steindorf in dem Konzept von MYLE selbst
jede Menge Zukunft. So soll es nicht bei dieser
ersten Ausgabe des Mobilitätsfestivals bleiben, ein
Jahres-Turnus ist bereits fest eingeplant, weitere
Projekte außerhalb dieses Events sollen hinzukommen.
»Jetzt schauen wir voller Elan, Begeisterung
und Freude auf den 17. bis 19. April«, sagt Fabian
Steindorf. Wie sagte Sartre so schön? »Die Jugend
hat Heimweh nach der Zukunft.«
Alle Informationen zum Event auf
→ myle-festival.com
»ES GEHT UM MOBILITÄT
UND DEN SPASS DARAN,
HEUTE UND MORGEN«
Vom 17. bis 19. April geht es im Norden Münchens um Träume,
Leidenschaft und Emotionen. Mittendrin bieten exklusive
Caterer kulinarische Höhepunkte, DJs aus ganz Deutschland
bringen MYLE sogar zum Tanzen.
Mobility von morgen in einem spektakulären
Ambiente: Von dem rund hundert Jahre alten
Kesselhaus ist nicht nur die Hülle
erhalten. Aus der einzigartigen Architektur
aus Stahl und Glas ragen Rohre hervor,
Kessel sind zu erkennen, antike Armaturen
scheinen für den nächsten Einsatz bereit.
Bei dem diesem Kesselhaus vorgelagerten
Kohlebunker handelt es sich um Reste der
1916 gegründeten Bayerischen Geschützwerke
Friedrich Krupp, einer Waffenschmiede
mit damals 2.000 Mitarbeitern.
176 Short Stories
ramp #49
Higgledy Piggledy
Erleuchtet
177
ERLEUCHTET
Die Reise beginnt mit einem Schauspieler, den man nicht vergessen sollte,
in einer sehr hellen Nacht auf einer Gracht in Amsterdam. Und sie geht
weiter im neuen Superb iV von Škoda bis nach Den Haag.
SHORT
STORIES
Text Michael Sönke
Fotos Škoda
Von dem Schauspieler Harry Dean Stanton
stammt der Satz: »Silence is the most powerful
state.« Für alle, die nicht sofort wissen, woher sie
den Namen kennen: Stanton stolperte in »Paris,
Texas« durch die texanische Wüstenlandschaft,
suchte in »Alien« seine Katze, spielte in »The
Green Mile« oder »Die Klapperschlange«. Als
»eine der bedeutenden Randfiguren des amerikanischen
Kinos« wurde er einmal bezeichnet
und der US-Filmkritiker Roger Ebert formulierte
die »Stanton-Regel«, nach der ein Film, in
dem Harry Dean Stanton eine Nebenrolle spielt,
nicht völlig schlecht sein kann. Wohl wahr. In
jedem Fall wusste der Schauspieler, der vor drei
Jahren mit 91 Jahren starb und bei dem selbst die
»New York Times« nicht wusste, ob es Frauen
oder Kinder gibt, die in diesem Moment besonders
um ihn trauern, sehr viel über Licht und
Schatten und über die Intensität von Stille.
Vielleicht hätte ihm diese Reise gefallen, die
auf dem Wasser beginnt, mit einer Fahrt durch
die Grachten der niederländischen Hauptstadt.
Von Wellenschlag keine Spur, dafür leuchtet es
an allen Ecken und Enden – gerade findet das
Amsterdam Light Festival statt. Zum achten Mal
haben die Stadt, Architekten und Lichtkünstler
zusammengearbeitet, um der Öffentlichkeit die
spektakulärsten Werke zu präsentieren. Brücken
erstrahlen wie Regenbögen, Schriftzüge phosphoreszieren
in der Dunkelheit, das Wasser
reflektiert die illuminierten Fassaden aus dem
17. Jahrhundert. Mit gedämpften Stimmen
weisen wir uns gegenseitig auf einzelne Glanzlichter
hin. Natürlich ertappt man sich beim
Gedanken, dass es dieses Lichterfestival ohne
Strom nicht geben würde – und dass der
Umstieg in ein Elektroauto am nächsten Morgen
darum besonders passend erscheint. Dabei
handelt es sich um den Superb iV von Škoda. Im
reinen E-Betrieb geht es hinaus aus der Stadt.
85 kW (115 PS) Leistung und 330 Nm Drehmoment
des E-Motors reichen vollkommen aus, um
im Verkehr mitzuschwimmen. Das Spitzentempo
liegt bei 140 km/h. Na also. Alles läuft wie
SILENCE IS THE MOST
POWERFUL STATE.
selbstverständlich ab, die Frau am Steuer nutzt
den Begriff »solide« als Kompliment. Der Mann
daneben spricht vom Gefühl des vertrauten
Vertrauens, das auch dieser Škoda bietet. Viel
Komfort, sehr viel Platz, prima Verarbeitung.
Wir überlegen, ob wir das Album »Partly
Fiction« von Harry Dean Stanton hören sollen,
entscheiden uns aber dagegen. Stanton war auch,
was wenige wissen, ein sehr guter Musiker. Aber
vielleicht braucht man für seine blueslastige
Musik ein wenig mehr Wüste. Aber zurück zum
Auto, zurück nach Europa:
Der Superb iV ist der erste Plug-in-Hybrid
aus Tschechien, der Octavia iV steht bereits in
den Startlöchern. Škoda Vorstandschef Bernhard
Maier hält fest: »Wir haben uns vorgenommen,
die CO 2 -Emissionen unserer Fahrzeugflotte bis
2025 um 30 Prozent gegenüber 2015 zu reduzieren.«
Einen Beitrag dazu leistet der rein elektrische
Citigo-e-iV. »Bis Ende 2022 werden wir
mehr als 30 neue Modelle vorstellen«, sagt
Bernhard Maier, »davon werden wir zehn
Modelle komplett oder teilweise elektrifizieren.«
Im Superb iV hat die Lithium-Ionen-Hochvoltbatterie
eine Kapazität von 37 Ah und 13 kWh
Energie. Der riesige Kofferraum wird von dem
im Unterboden vor der Hinterachse untergebrachten
Energiespeicher kaum geschmälert.
Wir erfahren, dass der Akku zu Hause an der
normalen Steckdose binnen fünf Stunden auf -
geladen wird. Über eine Wallbox mit einer Lade -
leistung von 3,6 kW klappt das in 3,5 Stunden.
War da was? Nach 50 Kilometern geht ein
leiser Ruck durch den Wagen. Nun spielt der
Verbrenner mit. Wir spielen wenig später auch.
Vom Hybrid-Modus wechseln wir in den
Sport-Modus. Noch hat die Batterie Reserven.
Die gebündelte Power von E-Antrieb und dem
1,4-Liter-TSI mit 115 kW (156 PS) liefert eine
Systemleistung von 160 kW (218 PS) und 400 Nm
Drehmoment. Es geht echt flott voran. Ein Blick
aufs Datenblatt verrät: 0 bis 100 km/h in 7,8
Sekunden, Höchstgeschwindigkeit: 224 km/h.
Den ersten Wert glaubt man nach einem kräfti-
178 Short Stories ramp #49
178
ŠKODA SUPERB IV
MOTOR
Vierzylinder-Turbomotor
+ Elektromotor
HUBRAUM
1.395 ccm
LEISTUNG
218 PS (160 kW)
Drehmoment
400 Nm
0–100 KM / H
7,7 s
VMAX
224 km/h
DER RIESIGE KOFFER
RAUM WIRD VON DEM IM
UNTERBODEN VOR DER
HINTERACHSE UNTER
GEBRACHTEN ENERGIE
SPEICHER KAUM
GESCHMÄLERT.
gen Spurt gerne, den zweiten kann – oder besser:
will – man in den Niederlanden nicht überprüfen.
Die letzten Meter legen wir im E-Modus
zurück. Nun übernimmt die E-Maschine die
ganze Arbeit. Welch ein Glück, am Stadtrand von
Den Haag findet sich eine freie Ladesäule. Beim
Gang rund ums Auto fällt einem allerdings keine
Ladebuchse auf. Also noch ein Blick ins Bordbuch.
Alles klar – die entsprechende Klappe befindet
sich gut getarnt links in der Kühlermaske. Škoda
hält sich somit beim optischen Auftritt der
Elektromobilität zurück. Auch sonst unterscheidet
sich der Hybrid optisch vom anderen Superb
der aktuellen Generation nur durch dezente
Hinweise auf die Škoda Submarke »iV«.
Nahe am Meer verschlucken die Dünen alle
lauten Geräusche. Wir unterhalten uns leise.
Wie immer auf dieser Reise.
Vielleicht sollte man mal wieder »Paris, Texas«
gucken. Ist ja auch ein sehr stiller Film.
THE ESSENTIALS.
Sartorial Calendars, Notebooks and Leather Goods
www.treuleben.com
3
© Sarah Bahbah / The Licensing Project
Alles
halb so
wild!
182 Alles halb so wild! ramp #49
Higgledy Piggledy
183
Hautnah
Sagen wir an dieser Stelle einfach mal: Danke,
Marlon Brando. Ohne ihn hätte es wesentlich länger
gedauert, die Biker-Jacke salonfähig zu machen.
Wer seine Ergebenheit auch im Alltag zeigen
möchte, sollte das mit diesem Modell von Heinz
Bauer tun. Aus echten Lamm-Nappa mit verstärkten
Schultern und Ellbögen sowie praktischen Reißverschlüssen.
So wird man der Legende mehr als
gerecht.
→ heinzbauer.com
G-Punkt
Außergewöhnliche Partnerschaften bringen
außergewöhnliche Dinge hervor. Aus der
Zusammenarbeit der Schweizer Uhrenmanufaktur
Richard Mille und der französischen
Rallye-Legende Sébastien Loeb entstand der
RM 36-01 Tourbillon Sébastien Loeb. Das
Besondere: In der Mitte des Zeitmessers aus
Karbonröhrenverbundstoff und Titan befindet
sich ein Beschleunigungssensor, der die
Fliehkraft bis auf 6g genau messen kann.
→ richardmille.com
Schlafmittel
Fortschritt
Neues Jahr, neuer Trend. Mussten
Sneaker im vergangenen Jahr noch
all-white sein, sind 2020 wieder
Farbakzente erlaubt – aber bloß nicht
zu viel. Gut beraten ist man dabei mit
dem Cosmo Nero von Scarosso, der über
einen schwarzen Fersentap verfügt und
eine drei Zentimeter dicke Off- white-
Gummisohle. Der Schuh selbst wurde aus
weißem Kalbsleder handgefertigt.
→ scarosso.com
Packstation
»Das Equipment, welches wir gebrauchen, spielt
nur eine kleine Rolle.« So lautet das Credo des
amerikanischen Fotografen Sam Abell. Gut
möglich, dass er noch nie was vom Evoc CP 35l
gehört hat, mit dem sich dank intelligenter
Polsterung jede Fotoausrüstung und selbst
Drohnen einfach und sicher transportieren
lassen. Weiteres Plus: Er verfügt über zusätzliche
Fächer für Geländekarten, Lawinenausrüstung,
Laptop sowie eine Drei-Liter-Trinkblase.
→ evocsports.com
Hyper, Hyper
Ein würdevoller Auftritt ist mit einem E-Scooter nicht
möglich. Anders sieht es da schon mit dem Dragonfly
von D-Fly aus. Den Hyperscooter gibt es, gefertigt aus
Kohlefaser und kohlenstofffaserverstärktem Paulowina-
Holz, als Drei- oder Vierradvariante – angetrieben von
einem Doppelvordermotor mit 1.800 Watt Leistung und
einer Höchstgeschwindigkeit von bis zu 61 km/h.
Träumen Architeken von bauhausartigen Schachteln?
Oder werden sie von Wohnparadiesen im
Toskana-Stil verfolgt? Man weiß es nicht. Wo sie
aber am liebsten nächtigen, steht in dem Buch von
Sarah Miller »Where Architects Sleep«.
250 Architekten geben hier weltweit Tipps für die
besten Hotels.
→ phaidon.com
Short Cuts – 03
→ d-fly.com
Text Martin Trockner
Kraut und Rüben, die dritte: Hatten wir uns für diese
Seiten ein System überlegt? Eher nicht so.
184 Alles halb so wild!
ramp #49
Higgledy Piggledy
185
© Vince Perraud
© Vince Perraud
Wild
at Heart
Klar, so ein Porsche ist natürlich ein verdammt guter Sportwagen. Superinnovativ,
superingeniös, superperfekt und so. Fein. Der eigentliche Grund,
warum wir Porsche lieben, ist aber ein anderer.
Porsche war schon immer die etwas andere Sportwagenmarke. Unkonventioneller,
wilder, rebellischer – und damit auch irgendwie deutlich cooler. Zur
Belohnung begeistert Porsche gerade Helden, Rebellen und Avantgardisten
längst als zeitlos-aktuelles Lebensgefühl.
Na ja, und jetzt gibt es eben auch endlich ein etwas anderes Porsche Buch
zur Angelegenheit.
Schließlich sind auch wir etwas verrückt nach Porsche.
186 Alles halb so wild! ramp #49
Higgledy Piggledy Wild at Heart
187
© ssszphoto.com
Open-minded and down to earth:
You’ll find all kinds of people here,
people with a passion for Porsche
but who don’t take themselves and
the at times quite complicated
Porsche world too seriously.
Wir geben es ohne Wenn und Aber zu: Wir sind befangen. Porsche
ist für uns ein perfekter, ein idealer Sportwagen – was wiederum
sehr viel damit zu tun hat, dass hier längst nicht nur Idee, Design
und Produkt begeistern.
Es sind die Menschen und Bilder, die Geschichten und die
Geschichtchen, die sich hier in Verbindung mit den Autos immer
wieder zu einer äußerst reizvollen, facettenreichen Welt verweben.
Der Mythos Porsche lebt für uns in relevanten Zusammenhängen,
und in der Bandbreite von Lebensfreude bis Lebensgefühl passt
hier alles ebenso intensiv und sinnlich wie anregend und stimmig.
Wie wäre es also mit einer Plattform, deren Community genau
die Themen, Geschichten und Bilder anregend bis übermütig
realisiert, sammelt und bündelt, die uns in Verbindung mit
Porsche besonders gut gefallen? Das hatte sich Michael Köckritz,
unser Herausgeber und Chefredakteur, vor etwa einem Jahr überlegt.
Ein paar Tage später haben wir diese Plattform mit »Crazy
About Porsche« einfach mal in die Welt gebracht.
Eine Community-Plattform, auf der sich die besten Geschichten
und Bilder der Porsche Welt finden, kuratiert von Michael Köckritz
und der »ramp«-Redaktion. Nach einem Jahr sind inzwischen über
97.000 Leser des Blogs und über 30.000 Follower bei Instagram
völlig »Crazy About Porsche«. Und siehe da: Die Lebenswelt entwickelt
sich selbst zu einer Marke, die auf den wichtigsten Events
vertreten ist und von vielen Menschen geschätzt wird.
Und jetzt? Gibt’s die allerbesten Geschichten von »Crazy About
Porsche« auch zum Blättern. Als – wie man sagt – ziemlich
lesenswertes, 448 Seiten starkes Coffeetable-Bookazine, ein Mix
aus Buch und Magazin, das den Status quo der Porsche Literatur
etwas aushebelt. Großformatig, bildgeprägt, mit hochwertiger
Optik und vier verschiedenen Covern. Ein unkonventioneller,
frischer Mix und durchaus auch ein Regelbruch, der Konventionen
verweigert, dafür aber Lust und Spaß macht. Wie im echten
Porsche Leben.
188 Alles halb so wild! ramp #49
Higgledy Piggledy Wild at Heart
189
© Matthias Mederer ∙ ramp.pictures
© Adriano Cimarosti
© Pascal Frei
190 Alles halb so wild!
ramp #49
Higgledy Piggledy
Wild at Heart
191
Foto: Marc Goldbaum
Model: Brittney Lee Hamilton
Fahrzeug: AutoKennel / Paul Kramer
»Do you have a
script yet? Two
pages? An idea?«
From the film »8 ½«
Collector’s Edition »RE/CAP – Crazy About
Porsche«, 448 Seiten, Format 230 x 300 mm,
4 verschiedene Cover, erschienen im Verlag
ramp.space, Reutlingen, 50 Euro zzgl. Versand.
Mehr Infos unter → shop.ramp.space
Folgt uns auf Instagram:
@crazyaboutporsche
»It’s moving,
even when it’s not.«
Otl Aicher
© Trevor Dalton
194 Alles halb so wild! ramp #49
CAR
EST.
2010
Interview
Michael Köckritz
Fotos
Matthias Mederer
ramp.pictures
Es gibt nur zwölf Fahrzeuge dieses Typs – und
keines davon wird dem anderen ähneln, so
Stefan Sielaff, Chefdesigner von Bentley.
Ein Carwash-Talk.
196 Alles halb so wild! ramp #49
Higgledy Piggledy Creative Space
197
Herr Sielaff, welches Modell waschen wir
gerade?
Stefan Sielaff: Dieser Bentley ist ganz neu,
womöglich wird er zum allerersten Mal
gewaschen. Er trägt den Namen Bacalar.
Wir sprechen von einem »one-of-twelveproject«.
Das bedeutet, dass wir nur zwölf
Autos dieses Typs bauen. Übrigens: Alle
Fahrzeuge sind bereits reserviert.
Ein schicker Wagen, wie würden Sie ihn
beschreiben?
Sielaff: Die Fachleute sprechen von einem
Barchetta, dabei handelt es sich um einen
Zweisitzer ohne Dach. Das birgt beim
Waschen schon mal eine gewisse Herausforderung
in sich. Ein Gartenschlauch
wäre somit ungeeignet. Es ist ein Bentley
mit einem Design, bei dem wir einen
Schritt nach vorn gegangen sind. Er ist
modern, hat ungewöhnliche und wunderschöne
Proportionen.
Haben Sie schon viele Jahre lang an dem
Design gefeilt?
Sielaff: Ganz im Gegenteil! Das Design ist
sozusagen wie in einer Time Machine
entstanden, in gerade mal neun Monaten.
Und mich freut es sehr, dass wir trotz
dieser immens kurzen Entwicklungszeit
Anfang des nächsten Jahres ein fahrbares
Auto ausliefern werden. Von der ersten
Skizze bis zum Einsatz auf der Straße sind
nur zwei Jahre vergangen. Das ist für
einen Designer ein außergewöhnlicher,
aber sehr befriedigender Vorgang. So
etwas gibt es in den normalen Abläufen in
der Autoindustrie sonst nicht. Da nehmen
die Entwicklungszyklen vier oder auch
fünf Jahre in Anspruch. Wenn man als
Designer sein Produkt dann endlich auf
der Straße sieht, ist man im Kopf schon
ein gutes Stück weiter.
Bei so einem Tempo sollte der erste Wurf
sitzen, oder wurde die Form nach dieser
ersten Skizze noch weiterentwickelt?
Sielaff: Wir haben sogar sehr viel an den
Proportionen arbeiten müssen. Auch
deswegen, weil sich hinter den Sitzen
Überrollbügel befinden, die während
einem Unfall emporschnellen. Dieses
Sicherheitsfeature bedingt eine gewisse
Höhe, mit der wir zurechtkommen
mussten. Im Lastenheft stand natürlich
auch eine Weiterentwicklung der Bentley
Design-Formensprache. Es sollte kein
Aufguss von bekannten Linien sein, wir
wollten das Design nach vorne pushen.
Dafür haben wir lange am Plastilinmodell
gearbeitet.
Woran erkenne ich den klassischen
Bentley?
Sielaff: Jeder Bentley hat ganz typische
Proportionen. Darf ich einen kühnen
Vergleich ziehen? Intern sprechen wir
manchmal von einem »resting tiger«. Also
von einem Tiger, der gerade ruhig auf
dem Boden liegt, bei dem aber jeder sofort
»Dieser Bentley ist
ganz neu, womöglich wird
er zum allerersten Mal
gewaschen. Er trägt den
Namen Bacalar.«
die Sprungbereitschaft erkennt. Das Raubtier
ist eben nicht völlig entspannt, vielmehr
sind seine Muskeln voller Spannung.
Im übertragenen Sinn soll jeder Betrachter
sofort spüren, dass der Bentley voller
Power steckt. So weit das Grundsätzliche.
Und die Details?
Sielaff: Jeder Bentley hat einen prägenden
Grill und runde, elliptische Frontleuchten,
die in ihren Proportionen mit dem Grill
korrespondieren. Typisch ist, dass die
Leuchten sich stets knapp unterhalb der
Oberkante des Grills befinden. Die Seitenlinie
entspringt dem vorderen Kotflügel,
zieht sich durch die Tür oder die Türen
nach hinten. Wer einen Bentley von leicht
schräg oben betrachtet, erkennt eine
Schulter oder eben einen Muskel. Diese
Dreidimensionalität zeichnet einen
Bentley aus. Das Heck ist auch betont
dreidimensional, bei diesem Bacalar
deuten wir auch bei den hinteren
Leuchten eine elliptische Form an. Die
erkennt man besonders gut, wenn das
Licht eingeschaltet ist oder der Fahrer auf
die Bremse tritt.
Wie modern ist das Interieur?
Sielaff: Zunächst gibt es da viele gesetzliche
Vorgaben, die man einhalten muss.
Ein Bentley soll innen ein großzügiges
Raumgefühl vermitteln, aber zugleich ein
Gefühl der Umschlossenheit. Hinzu
zeichnen einen Bentley Details aus, ich
denke da an die runden Luftdüsen. Die
Luftzufuhr wird mechanisch gesteuert. An
diesen Hebeln muss man regelrecht
ziehen und drücken, um Luft ins Fahrzeug
zu lassen oder eben nicht. Solche mechanischen
Trompetenventile strahlen in
einer digitalen Welt viel Charme aus.
Anders gesagt: Einen Bentley zeichnet die
Mischung aus digitaler Technik und
analoger Handwerkskunst aus.
Darf ich mal ganz grundsätzlich fragen: Wie
wichtig ist das Design für eine Marke wie
Bentley?
Sielaff: Sehr wichtig natürlich! Die Hauptargumente
für den Kauf eines Bentley ist
einmal die Marke selbst – und dann
kommt schon die Emotionalität des
Designs. Unseren ja recht anspruchsvollen
Kunden möchten wir ein breites
→
»Jeder Bentley hat
typische Proportionen.
Darf ich
einen kühnen
Vergleich ziehen?
Intern sprechen wir
von einem ›resting
tiger‹.«
198 Alles halb so wild! ramp #49
Higgledy Piggledy
199
STEFAN SIELAFF zählt zu den einflussreichsten
Autodesignern der Branche. Unter
seiner Ägide entstanden neben vielen
anderen Modellen der Audi A1, der A7 und
Bentleys Luxus-SUV Bentayga. Seine
Karriere begann der heute 58-jährige
Sielaff 1984 bei Audi als Volontär. Nach
einem Studium am renommierten Londoner
Royal College of Arts arbeitete er bei
Volkswagen und Audi, wo er ab 1997 das
Audi Design Center leitete. Vor fünf Jahren
übernahm der geborene Münchner die
Leitung von Bentley Design.
200 Alles halb so wild! ramp #49
Higgledy Piggledy Creative Space
201
»Ich sehe den Bacalar als eine
Anregung, sein Gelbton ist
durchaus extrovertiert.«
Spektrum an Wahlmöglichkeiten bieten.
In enger Absprache mit Designern soll der
Kunde seinen Wagen konfigurieren
können. Mit einer speziellen Lackierung
zum Beispiel kann jeder Bentley
Continental oder Flying Spur individualisiert
werden. Das setzt sich im Innenraum
bei der Auswahl der Materialien fort. Diese
Individualisierung treiben wir im Bacalar
auf die Spitze. Jedes dieser zwölf Autos
wird in einer engen Kooperation zwischen
Kunde und Designer gestaltet. Keines
dieser Fahrzeuge wird dem anderen
gleichen. Luxuskunden wollen Einzelstücke,
wir wollen ein Auto, das es in
dieser Ausführung kein zweites Mal gibt.
Gerade für eine Marke wie Bentley ist es
wichtig, immer größeren Wert auf diese
Individualität zu legen. Die Kunden wollen
Liebhaberstücke. Auf diese Weise wollen
wir auch neue und jüngere Kunden
gewinnen. Die liebenswerten traditionellen
Käufer werden wir weiterhin glücklich
machen. Aber wir müssen uns neu
erfinden, um junge Kunden für Bentley zu
gewinnen: Das können nur wir Designer
leisten. Die Leute lieben die Marke, aber
vor allem die Jüngeren wollen ein
frischeres Design.
Ist unser Bacalar, den wir gerade waschen,
sozusagen ein Vorschlag, wie so ein
Bentley aussehen könnte?
Sielaff: Wir zeigen mit ihm, wie das geht.
Dazu sehe ich ihn als eine Anregung, sein
Gelbton ist durchaus extrovertiert. Im
Innenraum ist nicht nur Leder zu finden,
sondern auch manches textile Material.
Die 5.000 Jahre alte Moor-Eiche zeigen
wir offenporig. Der Eindruck des Interieurs
ist modern. Ob die Kunden ein Auto
mit diesen Stilmerkmalen wollen, ist eine
ganz andere Frage. Vielleicht besteht ein
Käufer auf dem traditionellen Racing-
Green mit cognacfarbener Lederausstattung.
Natürlich ist und bleibt der Kunde
der König. Er bekommt, was er möchte.
Waschen Sie häufig ein Auto von Hand?
Sielaff: Ja, aber nur die Autos, zu denen ich
ein emotionales Verhältnis habe. Beim
Waschen möchte ich die Form fühlen,
möchte die Details fühlen. Wer sein Auto
per Hand wäscht, lernt es in- und
auswendig kennen. Sozusagen kennst du
an dem Body jeden Leberfleck.
Wir bitten um einen Expertentipp: Worauf
sollte man beim Autowaschen achten?
Sielaff: Also gut, gehen wir ins Detail:
Regel eins: von oben nach unten (lacht
herzlich). Regel zwei: Ein Auto muss man
immer im Schatten waschen oder in
einem Raum. Zu Beginn weiche ich erst
einmal die ganze Karosserie mit Wasser
samt entsprechenden Zusätzen ein.
Danach greife ich zu einem Schwammhandschuh
und seife den ganzen Body ein.
Dabei muss ich auch in die Ecken gehen,
wo sich der Dreck lange hält. Nach einer
sehr gründlichen Reinigung wasche ich
die Seife vorsichtig ab. Vor allem für meine
historischen Autos nutze ich ein Gebläse,
mit dem ich das Wasser auch aus den
Fugen und Ritzen herausföhnen kann.
Dort kann sich schnell Rost bilden. Nach
dem Abblasen kommt das Abledern, dann
vielleicht noch ein Nachtrocknen in der
Sonne für ein oder zwei Stunden.
Wie wäre es mit ein oder zwei Stunden
fahren?
Sielaff: Dann fallen, je nach Wagenfarbe,
so kleine Wasserfäden auf, die sich aus
den Ritzen über die Karosserie ziehen.
Das ist nicht so schön.
Sie haben Ihre historischen Autos erwähnt,
dürfen wir fragen, wer in der Garage steht?
Sielaff: Es geht um einen Porsche 356 A
aus dem Jahr 1958, einen Aston Martin
DBS von 1968, der mit den vier Frontscheinwerfern.
Eher semihistorisch ist ein
Morgan 4/4 Sport. Der ist beim Waschen
eine echte Herausforderung, weil das
Wasser überall hinfließt, auch nach innen.
Die Interpretation von Luxus ändert sich
ständig. Wie definiert Bentley Luxus?
Sielaff: Inzwischen legen wir nicht nur bei
der Herstellung, sondern auch bei der
Wahl der Materialien großen Wert auf
Nachhaltigkeit. Soziale Verantwortung
und lokale Quellen lauten da die Stichworte.
Warum soll die Wolle für den
Teppich nicht aus unserer Nachbarschaft
kommen statt aus, sagen wir mal, Australien?
Auch bei einem Fahrzeug der Luxusklasse
zählt der ökologische Fußabdruck.
Als Luxus empfinden unsere Kunden
zudem die Handwerkskunst, die für einen
Bentley aufgebracht wird. Auch hier ein
Beispiel: Die Ummantelung eines Lenkrades
näht ein Mensch mit viel Herzblut
einen ganzen Tag lang. Und er nimmt
exakt den Faden, den der Kunde ausgewählt
hat.
Erhält ein Bentley durch diese viele
Handarbeit einen Wert, der nicht nur von
finanziellen Aspekten bestimmt wird?
Sielaff: Lassen Sie mich es so ausdrücken:
Wenn die Besitzer von irgendeinem
Objekt spüren, dass viel Handwerkskunst
drinsteckt, dann werfen sie es nicht
einfach weg. Von meinem Urgroßvater
wurde über den Großvater und Vater nun
an mich ein Zigarren-Etui von 1903
weitergereicht. Von diesem Stück werde
ich mich niemals trennen. Das gilt auch
für manche Autos: Mehr als achtzig
Prozent aller Bentleys befinden sich in
Familienbesitz. Die verkauft man nicht so
einfach. Auch das ist eine Form von Nachhaltigkeit
– wer sich etwas Besonderes
leistet, möchte es auch behalten. Es ist zu
schön und zu gut und zu vertraut, um es
wegzuwerfen.
202 Alles halb so wild! ramp #49
Higgledy Piggledy
203
In der Musik steht der Begriff »Mashup« für Songs, die aus mehreren zusammengemischt
wurden. In der Fotografie könnte man den Begriff anhand der Bilder
von Paul Fuentes erklären – der die Welt auch ein bisschen anders arrangiert.
Interview
Wiebke Brauer
Fotos
Paul Fuentes
Playa del Carmen. One
of my favorite beaches
in Mexico. If you wake
up early, you can find
this paradise beach
without any tourists, all
for yourself and your
camera.
It’s in the Mix
Tiger Motel. This image is one of my new favorites. It
has everything at once: a classic car, a tiger and the
desert mountains in the background.
204 Alles halb so wild! ramp #49
Higgledy Piggledy
It’s in the Mix
205
Porsche. That mid-century
vibe, with a white Porsche
Speedster, set up the perfect
feeling of a California
Dreaming house in the middle
of the summer.
Twin Palms Estate. Also
known as the Frank Sinatra
House, designed by E. Stewart
Williams. This is one of my
favorite houses in Palm
Springs. Given my obsession
with big cats, I thought a
jaguar could represent Frank
Sinatra very well.
206 Alles halb so wild! ramp #49
Higgledy Piggledy
It’s in the Mix
207
sind. Pop Art ist meiner Meinung nach Kunst, die
sich an die breite Masse richtet. Die Einschränkung
auf »mexikanisch« erscheint mir deshalb
unpassend.
PAUL FUENTES nur als
Fotograf und Grafikdesigner
zu bezeichnen,
wäre zu kurz gegriffen.
Fuentes wuchs in
Mexiko-Stadt auf,
arbeitete nach seinem
Studium als Designer für
die Universidad Anáhuac
México, reiste nach
Europa, kam zurück und
startete mit neuen Ideen
auf Instagram. Seine
surrealen Bilder von
Lebensmitteln, Tieren
und Objekten machten ihn
berühmt – so berühmt,
dass er in London eine
eigene Designagentur
gründete und unter
anderem für Apple oder
Dior arbeitete. Sein
Credo: die Menschen zum
Lachen zu bringen.
→ paulfuentesdesign.com
Sie schmücken Giraffen mit Luftballons, lassen
Lamas Taxi fahren und inszenieren Donuts in der
Wüste. Mal vorsichtig gefragt: Was bedeutet Realität
für Sie?
(lacht) Ich denke, dass das jeder selbst entscheiden
muss, wir leben jedoch sicher nicht alle in derselben
Realität. Menschen haben verschiedene Wahrnehmungen.
Zudem identifizieren sich Menschen je
nach Persönlichkeit mit verschiedenen Tieren, was
der Kunst große Möglichkeiten eröffnet.
Sie fingen aber nicht mit Tieren an, sondern mit
Lebensmitteln. Wie kamen Sie auf die Idee?
Ich kann nicht genau sagen, woher die kam.
Grundsätzlich interessierte ich mich aber schon
immer für Lebensmittelwerbung. Meistens ist das
beworbene Essen gar kein Essen, und das machte
mich damals verrückt. Ich beschloss also, dasselbe
aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten.
Würden Sie sagen, dass Ihre bizarren Kombinationen
ein Musterbeispiel für Kreativität sind?
Für mich ist Kreativität die Verbindung erwartbarer
Ideen auf eine Weise, die etwas Neues und
Interessantes schafft. Ich stimme also zu, dass
meine Kunst in gewisser Weise die Realität
verzerrt, was der Definition von bizarr durchaus
entspricht.
Was man jetzt nicht vermutet hätte: Ihr Lieblingskünstler
ist Caravaggio. Warum gerade ein Maler des
Frühbarocks?
Als Stilllebenfotograf male ich mit Licht. Wenn
man Caravaggios Bilder betrachtet, erkennt man
sein herausragendes Talent, Licht und Schatten
perfekt einzusetzen. Darüber hinaus sind seine
Bilder nicht rein religiös. Er ging hier andere
Wege, was für Künstler seiner Zeit alles andere als
einfach war. Damals malte man Religion oder die
Aristokratie. Diesen Aspekt seiner Malerei schätze
ich sehr.
Wie sehen Sie die Rolle des Künstlers in der
heutigen Zeit, in der die Digitalisierung immer
rasanter voranschreitet?
Für mich hat die Digitalisierung positive und
negative Seiten. Es gibt viele Künstler, die großartige
Werke schaffen und einen sehr professionellen
Feed gestalten. Sie erfüllen damit die
wichtigste Voraussetzung, nämlich sich mit den
auftretenden Veränderungen weiterzuentwickeln.
Leider sehe ich auch viele Menschen, die
Künstler sein wollen, außer ihrem Streben nach
Aufmerksamkeit in den sozialen Medien jedoch
keinerlei Botschaft haben. Sie passen sich laufend
an, um im Trend zu bleiben. Und es gerät immer
mehr in Vergessenheit, dass man die Technik
beherrschen muss. Jeder hat heute eine Kamera
auf seinem Smartphone und kann einfach einen
Stil kopieren, Voreinstellungen und Filter nutzen.
Meine Karriere wäre ohne Instagram sicher
langsamer verlaufen – und man muss ganz offen
sagen, dass Instagram Künstlern unglaubliche
Chancen eröffnet.
Letzte Frage: Sie sagten, dass Sie Menschen gerne
It’s in the Mix
New York Alpaca. Inspired by
one of the most iconic images
by Inge Morath, A Llama in
Times Square (1957), I felt
encouraged to do a remake
with an alpaca riding a cab in
New York City.
zum Lachen bringen. Halten Sie Humor heute für
Sie haben einmal gesagt: »Die leuchtenden Pastell-
wichtiger denn je?
farben in meinen Werken sind eine direkte Referenz
zu Mexiko.« Würden Sie Ihre Kunst als mexikanische
Pop Art bezeichnen?
Ich empfinde meine Kunst nicht als besonders
mexikanisch. Ich bin jedoch sicherlich von der
Architektur, dem Essen und der Kunst meines
Landes inspiriert, weil diese humorvoll und bunt
Ich versuche tatsächlich, Menschen zum Lachen
zu bringen, aber eigentlich möchte ich sie glücklich
machen. Und ich denke auch, dass wir in
einem Zeitalter des Humors leben. Die Kunst war
noch nie so voller komischer Elemente wie heute.
Es ist eine gute Zeit zu lachen, besonders wenn
die Welt so verrückt ist.
208 Alles halb so wild! ramp #49 Higgledy Piggledy Creative Space
209
Smart Climate? Kein Problem. Wir empfehlen hier mal
einen lockeren Mix aus aktueller Bade- und Herbstmode.
Oder gleich den neuen Golf GTI. Oder beides.
It’s hot,
Fotos
Peter Schreiber
baby
Produktion
Antonietta Procopio,
Cedric Pfaus,
Ann-Katrin Reinhard
Fotoassistenz
Martin Kula,
Florian Lankes
Styling
Mirjana Hecht
Hair & Make-up
Stephan Schmied
Models
Thayna Brito De Jesus,
Paolo Obermüller,
Nuria Oliu Sanchez,
Elias Sträter
→ NURIA
Sonnenbrille / MIU MIU
Badeanzug / Hermès
→ ELIAS
Shorts / Calvin Klein
Beachballs / Frescobol Carioca
über Mr. Porter
→ PAOLO
Shorts / Hermès
→ THAYNA
Badeanzug / Eres
Sonnenbrille / Boss
Tuch / Roeckl
Ohrringe / Swarovski
→ THAYNA
Badeanzug / Perfect Suit
Sonnenbrille / Boden
210 Alles halb so wild! ramp #49
Higgledy Piggledy Creative Space
211
»Cool town, evening in the city
Dressed so fine and looking so pretty
Cool cat lookin’ for a kitty
Gonna look in every corner of the city«
»Summer in the City«
JOE COCKER
→ NURIA
Jumpsuit / Guess
Men’s Jacket / Acne über Bungalow
Schuhe / Paul Smith
Sonnenbrille / Escada
Armreif / Cartier
→ ELIAS
Anzug / Sandro Paris
Sonnenbrille / Jimmy Fairly
Chelsea Boots / Scarosso
Hemd / Marciano for Guess
→ PAOLO
Hose / Paul Smith
Shirt / Tom Ford
Jacke / Amy über Bungalow
Chelsea Boots / Scarosso
Handschuhe / Roeckl
212 Alles halb so wild!
ramp #49
213
→ THAYNA
Trenchcoat / Schneiders
Schuhe / Dondup
Regenschirm / Hermès
»No clouds in my stones
Let it rain, I hydroplane into fame
Comin’ down at the Dow Jones
When the clouds come, we gone
We Rocafella
We fly higher than weather«
→ NURIA
Blazer / Armani
Hose / Armani
»Umbrella«
RIHANNA
214 Alles halb so wild! ramp #49 Higgledy Piggledy
Creative Space
215
»Ain’t no sunshine when she’s gone
It’s not warm when she’s away
Ain’t no sunshine when she’s gone
And she’s always gone too long
Anytime she goes away«
»Ain’t No Sunshine«
BILL WITHERS
→ PAOLO
Sakko / Everyday Holiday
T-Shirt / Phyne
Hose / Hackett London
Tuch / Hermès
→ THAYNA
Blazer / Polo by Ralph Lauren
Shorts / Second Female
Schuhe / Guess
Strickshirt / 8 By Yoox
→ NURIA
Schuhe / Charles & Keith
→ THAYNA
Badeanzug / Eres
Schuhe / Charles & Keith
Sonnenbrille / Boss
Tuch / Roeckl
Ohrringe / Swarovski
216
ramp #49
Higgledy Piggledy
Creative Space
217
»And I’ve got a long way to go (such a long way to go)
To make it to the border of Mexico
So I’ll ride like the wind
Ride like the wind
Gonna ride like the wind«
»Ride Like The Wind«
CHRISTOPHER CROSS
Und nun zum Golf 8 GTI, beziehungsweise zu
dessen intelligenter Klimaanlage, in deren Smart
Climate-Menü fünf vordefinierte Klimatisierungs-Einstellungen
hinterlegt sind. Die steuert
man mit Sprachbefehlen. So dreht die Air Care
Climatronic bei dem Satz »Mir ist kalt!« die
Temperatur auf der Fahrer- oder Beifahrerseite
hoch, bei »Mir ist heiß!« entsprechend herunter.
Auf den Befehl »Freie Sicht« sorgt das System
für Durchblick, dazu gibt es die Kommandos »Füße
wärmen« und »Füße kühlen« oder mal ganz
konkrete Ansagen wie: »Mach es vier Grad
wärmer«. Eine Sache noch: natürlich erkennt das
System, ob ein Befehl von der Fahrer- oder
Beifahrerseite aus erteilt wurde. Sonst würde es
auch sehr ungemütlich werden.
→ ELIAS
Pullover / Polo by Ralph Lauren
Uhr / Omega
Handschuhe / Roeckl
218 Alles halb so wild! ramp #49
219
ZENITH EL PRIMERO
um 7.900 Euro
Alles in
Ordnung
SINN CHRONOGRAPH 936
um 2.900 Euro
In einer Welt, in der die
Dinge in unendlicher Anzahl
verfügbar sind, erscheinen
perfekte Objekte umso kostbarer.
Sie liegen gut in der
Hand, sie funktionieren, sie
sparen Zeit – und diese zu
bemessen gelingt mit diesen
Uhren ganz wunderbar.
Fotos
Steffen Jahn
Produktion
Antonietta Procopio, Ann-Katrin Reinhard
Beratung
Martin Thom (Juwelier Depperich)
Accessoires und Werkzeug
Manufactum Warenhaus Stuttgart und Heldberg GmbH
220
221
TUDOR BLACK BAY DARK
um 4.310 Euro
ROLEX OYSTER PERPETUAL
SUBMARINER DATE
um 35.900 Euro
TUDOR PELAGOS LHD
um 4.260 Euro
ROLEX OYSTER PERPETUAL
COSMOGRAPH DAYTONA
um 36.800 Euro
222 Alles halb so wild! ramp #49 Higgledy Piggledy
Alles in Ordnung
223
HUBLOT BIG BANG UNICO
BLACK MAGIC
um 18.600 Euro
CHOPARD L.U.C XPS
um 8.020 Euro
LANGE & SÖHNE SAXONIA MONDPHASE
um 27.900 Euro
IWC PORTUGIESER CHRONOGRAPH
um 7.450 Euro
224 Alles halb so wild! ramp #49 Higgledy Piggledy
Alles in Ordnung
225
BREITLING PREMIER B01 –
CENTENARY LIMITED EDITION
um 9.650 Euro
OMEGA SPEEDMASTER RACING
um 7.900 Euro
GARMIN MARQ ADVENTURER
TOOL WATCH
um 1.750 Euro
TAG HEUER MONACO
um 5.400 Euro
226 Alles halb so wild! ramp #49 Higgledy Piggledy
227
Hoch
oben
Die Debatte über das SUV wird aktuell in
Deutschland hochemotional und selten differenziert
geführt. Vorschlag zur Güte: eine
ruhige Nachtfahrt durch die leere Stadt im
teilelektrischen Range Rover Sport P400e.
Text
Matthias Mederer
Fotos
Kirill Kirsanov
Die Stille im Innenraum des Range
Rover Sport P400e ist beinahe gespenstisch.
Dank des Plug-in-Hybrid-Antriebs
rolle ich für den ersten Moment rein
elektrisch ohne irgendwelche Antriebsgeräusche.
Die Doppelverglasung,
Response-Luftfahrwerk und ein beinahe
schon exzessiver Einsatz diverser
Dämmmaterialien schaffen eine maximale
Entkopplung von der Fahrbahn,
von dem Draußen, wenn man es so
abgrenzen möchte. Also schnell das
Radio an und die Lautstärke des optionalen
Meridian-Systems eine Stufe
höhergedreht: »Sound of Silence« von
Disturbed. Ist das britischer Humor?
Oder schlicht eine neue Stufe von
Geräuschkomfort?
Angst kommt jedenfalls keine auf –
am Steuer eines über 2,5 Tonnen
schweren Fahrzeugs, in dessen DNA
sich tatsächlich so etwas wie echte
→
228 Kolumnentitel ramp #49 Higgledy Piggledy
Hoch oben
229
Es liegt ein kindliches Vergnügen
darin, sich am Steuer eines
Range wie ein Lord zu fühlen,
hoch über den Dingen thronend.
Geländetauglichkeit findet. Da zudem
allerlei elektronische Assistenten den
Prozess des Fahrens überwachen, gleite
ich vornehm durch die ruhige Nacht. Die
Straßen der Stadt, die sich noch wenige
Stunden zuvor durch die ruhelose Nervosität
der gestauten Rushhour auszeichneten,
verwandeln sich jetzt in feine Alleen.
Gefühltes Ziel: der Duke of Marlborough.
Es liegt ein kindliches Vergnügen
darin, sich am Steuer eines Range wie ein
Lord zu fühlen, so hoch oben über den
Dingen thronend; auch wenn die Käuferschicht
in der Realität natürlich weit
breiter gestreut ist, wie Jeremy Clarkson
einst sehr fein analysierte. Der umriss sie
wie folgt: Fußballspieler, die Frauen von
Fußballspielern, die Geliebten von Fußballspielern,
Drogendealer, Landwirte,
Amerikaner und Geschäftsleute. Für
Letztere – zumindest in Deutschland –
ist gerade der P400e mit seinem
Plug-in-Hybrid sehr interessant, fällt er
doch in die gegenwärtigen Subventionierungsmaßnahmen
der Bundesrepublik.
Es bleibt abzuwarten, ob in dieser Politik
nicht ein schleichender Kobra-Effekt versteckt
ist. Sicher wird es dann die entsprechenden
Lautschreier geben, die
sich, die deutsche Motz-Tradition wahrend,
entsprechend zu Wort melden werden.
Das SUV wird sicher auch das
überleben. Robust genug ist es ja. Und
Kritiker-erprobt, immerhin bietet so ein
Range Rover neben all seinen Annehmlichkeiten
den neuesten Stand an Sicherheitsfeatures,
sowohl aktiv als auch
passiv. Ein paar Schläge hier und da
steckt er lässig weg, unebenes Gelände
oder gar Wasserdurchfahrten sind kein
Problem, auch weil die Akkus nicht im
Boden, sondern im Kofferraum verbaut
sind.
Mit fast schon stoischer Gelassenheit
klettern die Absatzzahlen des SUV nach
oben, es stemmt auf seinen breiten
Schultern die wirtschaftliche Rentabilität
von immer mehr Automobilherstellern,
die ohne diese Fahrzeuge nicht mehr
existieren könnten; sichert darüber Abertausende
Arbeitsplätze. Doch was ist in
den Medien zu lesen? Man verflucht, verteufelt
gar das SUV als metallgewordene
Trutzburg, als rücksichtslose, ignorante
Abschottung einer Gesellschaft gegen
sich selbst. Beim Menschen sagt man, er
brauche ein dickes Fell, wenn die Kritik
gar zu arg einprasselt. Das Bild lässt sich
prima auf den Range Rover Sport übertragen.
Die behagliche Atmosphäre im
Inneren erinnert fast schon an das luxusbelederte,
holzvertäfelte Designambiente
eines entlegenen Ferienhauses in den
Rocky Mountains. Und das nun schon
seit einigen Jahrzehnten stringent fortgeführte
Design ist in seiner Zeitlosigkeit
nahezu ebenso unverwüstlich wie der
Range selbst. Mag draußen ein Schneesturm
toben, drinnen ist es angenehm
warm. Und eines ist sicher: Bisher ist
noch jeder Schneesturm vorübergegangen.
230 Alles halb so wild! ramp #49
Higgledy Piggledy
Hoch oben
231
Im Radio läuft »Sound of Silence«
von Disturbed. Ist das britischer
Humor? Oder schlicht eine neue
Stufe von Geräuschkomfort?
Range Rover Sport P400e
MOTOR
Vierzylinder-Turbo + Elektromaschine
HUBRAUM
1.997 ccm
SYSTEMLEISTUNG
404 PS (297 kW) kombiniert
SYSTEMDREHMOMENT
640 Nm bei 1.500 – 3.000 U/min
0 – 100 KM / H 6,7 s
VMAX
220 km/h
232 Alles halb so wild! ramp #49
Higgledy Piggledy
233
Fabulous
Fifties
Text
Michael Petersen
Fotos
aus dem Buch »Weekend Heroes 2.0«
von Tony Adriaensens
Automobile Begeisterung,
kalifornische Sonne und die Energie
der Nachkriegszeit – das alles führte
zu einer goldenen Ära des
Rennsports, deren Faszination bis
heute anhält.
234 Alles halb so wild! ramp #49 Higgledy Piggledy
Fabulous Fifties
235
Racing pur – zur Renn vorbereitung
gehörte der offene
Sportwagen und der Halbschalenhelm.
Die Luft flirrt von den heißen Abgasen immer höher drehender
Motoren. Die Piste scheint zu vibrieren, der Puls rast, sein
Hall füllt den Helm von innen. Mit einem Krachen rastet der
erste Gang ein. Der Blick fällt auf den Drehzahlmesser, die
Konkurrenten, die Flagge. Sie muss doch gleich fallen, jetzt
gleich … Start! Los geht die Hatz, nur die Gedanken bleiben
zurück.
»Fast and Furious« würde als Titel bestens auf die Rennen
in Kalifornien in den Fünfzigern passen. Mancher GI hatte aus
England eine kleine MG in die USA verschifft, andere einen
Jaguar XK 120. Kaum noch bekannt waren die Allards, leichte
Sportwagen, wie geboren für die Rennerei. Dafür standen in
den Garagen Ferrari, Alfa Romeo oder Maserati, später viele
Porsche 356, erst als American Roadster begehrt, dann als
leichter Speedster.
Selbst heute, sieben Jahrzehnte später, findet man noch
Rennstrecken von einst. Ovale, Dirt Tracks, Straßenkurse –
um die dreißig Einrichtungen kommen da leicht zusammen.
Wie viele mögen es damals gewesen sein? Auf Flugplätzen
wurden mit ein paar hundert Strohballen für einen Tag Strecken
geschaffen; steil und verwinkelt ansteigende Staubwege
gesperrt und flugs als Bergrennpiste deklariert.
Hierhin zog es diejenigen, die mit einer angeborenen
Mischung aus Mut und Tollkühnheit, gepaart mit Siegeswillen
ausgestattet waren. Der Einsatz von Körper wie Gehirn
forderte den ganzen Menschen und lieferte einen besonderen
Kick. Talent gehörte auch dazu. Ein Daytona-Sieger war sich
sicher: »Man kann das schnelle Autofahren lernen, aber das
Fahren im Grenzbereich kann man oder man kann es eben
nicht.« Geld verdiente in diesen Starterfeldern keiner, im
Gegenteil, der Rennsport kostete Geld. Viel Geld. Wer das nicht
hatte, oder die kostspielige Hingabe nicht nachvollziehen
konnte, erlag zumindest der Faszination auf passive Art – und
begnügte sich mit der Rolle des Zuschauers.
→
236 Alles halb so wild! ramp #49 Higgledy Piggledy
Fabulous Fifties
237
Einst im Mai – Jaguar XK 120 oder Porsche 356 Speedster gehörten
1957 ins Fahrerlager von Flugplatzrennen wie dem des Santa Barbara
Roadrace auf dem Goleta Airport.
Ob Porsche, Jaguar, MG oder
Ferrari – das Gros der Fahrzeuge
am Start stammte aus Europa.
Zu den schnellen Strecken im Kalender zählte der Rundkurs von
Pomona. Im Oktober 1956 wurde dieser Ex-Phil-Hill-Jaguar XKC 007
Elfter des Hauptrennens. Fahrer CARLYLE BLACKWELL JR. ist der
Sohn des damals sehr bekannten Stummfilmschauspielers CARLYLE
BLACKWELL (»Der Hund von Baskerville«).
Kalifornien sei Dank – wer in den
Bänden der Weekend Heroes
blättert, stößt auf so gut wie
keine Regenrennen.
240 Alles halb so wild! ramp #49 Higgledy Piggledy
Fabulous Fifties
241
242 Alles halb so wild! ramp #49 Higgledy Piggledy
Fabulous Fifties
243
Buntes Starterfeld Ende August 1957 auf dem Arcata Airport
nörd lich von San Francisco. Der weiße Porsche 550 Spyder von
SAM WEISS gewinnt vor PETE LOVELY im roten Ferrari 500 TR.
Viele Jahre später fährt LOVELY einige Formel 1-Rennen auf
Cooper und Lotus.
In Kalifornien damals rückten alle Speedjunkies nah aneinander.
Fahrer, Mechaniker, Zuschauer, Helfer, Girls, die paar
Offiziellen – alle vereint im Happening mit Namen Motor
Racing. Es war so herrlich unkompliziert. Startklar war der
Sportwagen, sobald der Fahrer seinen Halbschalenhelm
aufsetzte. Übrigens: Der »California Sports Car Club« feiert in
diesem Jahr sein 70. Jubiläum mit dem Motto: »Join the Fun at
California’s Place to Race!« Zugegeben, die Rennen sind
weniger geworden. Die Rennstrecken ebenso. Der »Cal Club«
nutzt heute vor allem die Strecke vor seiner Haustür, den
Buttonwillow Raceway Park, gut 120 Meilen nordwestlich von
Los Angeles.
Von den goldenen Jahren wird überliefert, dass die Soldaten
auf ihrem Weg zurück in die Zivilgesellschaft nur zu gern
Ablenkung auf der Rennstrecke suchten und dort auch fanden.
Vielleicht kam auch dazu, dass viele junge Männer – und
einige Frauen – den Optimismus der Nachkriegszeit in unbändige
Energie umsetzten und auf der Piste ließen.
Wie gut die Fahrer waren? Für die allermeisten reichte es,
dabei gewesen zu sein. Aber ein paar Namen zeugen davon,
dass hier internationale Karrieren starteten: Masten Gregory,
die Rodriguez-Brüder, Carroll Shelby, Ken Miles oder Richie
Ginther gelang der internationale Durchbruch. Phil Hill wurde
1961 mit dem Ferrari 156 »Sharknose« sogar Formel 1-Weltmeister.
Die Zielflagge fällt, alles ist vorbei. Der Zeiger des Drehzahlmessers
bewegt sich weit nach links, der Motor dreht
einige tausend Umdrehungen weniger. Die Temperaturen von
Ganz nah dabei – die Zuschauer
sehen die Wagen, hören sie,
riechen sie und spüren das Beben
beim Start.
Wasser, Ölen, Getriebe und der Reifen erreichen wieder
Normalwerte. Der Puls ebenso. Das Leben hat wieder Normalgeschwindigkeit.
Ein Tourenwagenfahrer sagte einmal: »Der
schönste Moment eines Rennens ist die Auslaufrunde, wenn
alles gut gegangen ist.«
Wer mehr – oder auch sehr viel mehr – über das Racing in Kalifornien
wissen will, sollte zu den druckfrischen Bänden »Weekend
Heroes 2.0« von TONY ADRIAENSENS greifen. 2007 kam die erste
Ausgabe von »Weekend Heroes« auf den Markt, ein 700 Seiten
dickes Buch – die drei Folge-Werke des Belgiers umfassen
zusammen 1.560 Seiten und 911 Fotos, aufgeteilt in die Jahre 1950
bis 1953, 1954 bis 1956 sowie 1956 bis 1957 plus Drivers Section.
»Weekend Heroes 2.0«, herausgegeben von »Corsa Research«, ist
auf 750 Exemplare limitiert und kostet 449 Euro.
Higgledy Piggledy
Fabulous Fifties
245
MASTEN GREGORY ist einer der ersten amerikanischen
Rennfahrer, die von Kalifornien aus
Europas Renn strecken erobern. 1965 gewinnt er
gemeinsam mit Jochen Rindt im Ferrari 250 LM
die 24 Stunden von Le Mans.
Higgledy Piggledy
Fabulous Fifties
247
Zu den Stars in Kalifornien gehört KEN MILES (linke Seite), dessen Geschichte 2019 in
»Le Mans 66 – Gegen jede Chance« verfilmt wurde. Zu einer der schnellsten Damen im
Feld gehört RUTH LEVY (unten links). Sie startet auf Ferrari und Aston Martin, bevor
sie eine Karriere als Sängerin ansteuert.
250 Alles halb so wild! ramp #49
Higgledy Piggledy
251
Rennfahrer
wie wir
Sportauspuff-Endrohre, Zusatz-Scheinwerfer,
ver breiterte Reifen unter herausgedengelten
Kot flügeln – die Liste der Motorsport-Zitate am
modernen Automobil ist länger als man denkt.
Am Ziel sind wir damit noch lange nicht.
Text
David Staretz
Unlängst entdeckte ich an der Zapfsäule
einen Kraftstoff mit der Bezeichnung
»Racing Super 98«, der perfekt in meine
Sammlung »Rennaffine Merkmale am
zivilen Automobil« passt. Wahr ist, dass
der Autorennsport einen deutlich größeren
Einfluss auf den täglichen Pendlerverkehr
hat als die Nebenprodukte
der Raumfahrt auf Alltäglichkeiten –
wie Casual Cleaning (Handstaubsauger),
Casual Contact (Klettverschluss)
und Casual Pricing (Strichcode). Nun
könnte man sich über die Racing-Anleihen
echauffieren, müssten wir nicht
einsehen, dass das moderne Automobil
ein natürliches Kind des Rennsports ist.
Junge Adelige und wohlhabende Sportskanonen
der vorletzten Jahrhundertwende
entdeckten die Faszination des
Neuen, die Sensation der Geschwindigkeit,
die Herausforderung des Wettbewerbs
in den feschen Fahrmaschinen
– wie auch bei schnellen
Pferden, wackeligen Aeroplanes und
wahnwitzigen Cresta-Bobs. Und Automobilhersteller
versuchten, die Qualität
ihrer Erzeugnisse im Motorsport zu
demonstrieren.
Freilich hätte die Geschichte des Autos
auch anders verlaufen können, typischerweise
militärisch bis kriegerisch,
vielleicht zu praktischen Transportverbänden
gekoppelt oder dekorativ und
verspielt als Fashion-Statement. Man
hätte Kurvensteuer verlangen oder
Rückwärtsgänge verbieten können. Das
Elektroauto stand schon einmal vor dem
großen Durchbruch, die Voraussetzungen
waren verhältnismäßig sogar besser
als heute.
In den Zwanzigerjahren machte die
weltgrößte Eisenbahnindustrie in den
USA (per Ripley’s Plan) letzte Anstrengungen,
den Schienenverkehr gegenüber
den Highways konkurrenzfähig zu
halten. Wären die nicht an der Uneinigkeit
der Bahnmagnaten gescheitert,
Freilich hätte die
Geschichte des Autos
auch anders verlaufen
können, typischerweise
militärisch bis kriegerisch
oder dekorativ
und verspielt
als Fashion-Statement.
Solange das
Elektroauto keine
subversive, sozusagen
aus dem Schlamm
geborene Funktion
aufweisen kann, wird
es genau so weit
laufen, wie man es
schiebt. Natürlich im
übertragenen Sinne.
hätten wir jetzt ein bahnorientiertes
Verkehrswesen.
Blicken wir auf die Automodelle seit den
Sechziger-, Siebzigerjahren bis heute
zurück, so lässt sich eine museale
Menagerie von Motorsport-Zitaten
zusammentragen: karierte Zielflaggenmotive
als Steinschlagschutz über drögen
VW Käfer-Hauben, grotesk
vergrößerte Sport auspuff-Endrohre am
biederen Opel Kadett, dekorative Rallyestreifen
am Fiat, Sportfanfaren (gern mit
der Tonfolge von La Cucaracha),
Zusatz-Scheinwerfer, verbreiterte Reifen
unter herausgedengelten Kotflügeln, eine
schwarz abgemattete Motorhaube am
Ford Escort, die natürlich mit Gummi-Spannverschlüssen
niedergehalten
wurde. Der Drehzahlmesser als unverzichtbarer
Maschinen tele graf begann
einen Siegeszug, der bis heute anhält.
Bodennahe, bodenharte Kübelsitze, Überrollkäfige,
Plexiglas-Scheiben, grüne
Sonnenblenden-Streifen und natürlich
der völlig unangebrachte, oft selbst montierte
Heckspoiler zählten zu den Insignien
fortgeschrittener Straßenmobilität.
Sport lenkräder erkannte man an drei
Speichen, knackigem Lederbezug und
dem Durchmesser einer Langspielplatte.
Der Schalthebel musste stummelkurz
sein, der Knauf hingegen massiv und
grifffest. Bisweilen schlug er durch Vibrationen
die Gänge von selber wieder raus.
Wenn wir heute darüber lächeln und denken,
wir seien längst über solche Kindereien
hinaus, so muss man einwenden,
dass der Rennbetrieb viel professioneller
und deshalb geschmeidiger in unsere
Autos eingezogen ist.
Turbobefeuerte, kurzhubige Vierventilmotoren
mit obenliegender Nockenwelle
sind der Normalstand, wie auch
Dreieckquerlenker-Sportfahrwerke mit
Querstabilisatoren, oft versteifbar bis hin
zum Sport- oder Track-Modus. Elektronische
Sperrdifferenziale samt Torque
Vectoring zum idealen Momentenaufbau
am kurvenäußeren Rad findet man selbst
an gehobenen SUV. Schließlich erzielt
man Motorleistungen über 500 PS bei
den massigen Bügeleisen von Porsche,
Jaguar, Audi, BMW und bis hin zu 600 PS
beim Bentley Bentayga. Motoren geben
automatisch Zwischengas beim Runterschalten,
was gerne auch mit entsprechender
(künstlicher) Klangkulisse aus
dem Auspuff oder der Soundbox kommentiert
wird.
Schon der Blick macht alles klar: Herabhängende
Lefzen zum Ansaug- und Kühlluft-Inhalieren
wie beim Rennsport,
NACA-Lufteinlässe, wie sie am 3er-BMW
(Ausstattung Sport Line) den Rennsport
zitieren, leiten über in seitliche Air-Vents
hinterm Vorderrad. Appetitlich aufgeräumte
Diffusor-Heckpartien findet man
schon beim Kia Proceed, wo die Rippen
zumindest optisch für mehr Bodendruck
durch beschleunigte Luftströmung am
Unterboden sorgen.
Weitere Beispiele staugewordenen Motorsports
ließen sich anführen, doch einen
Gedanken möchte ich noch einbringen:
Wo setzt wohl das Elektroauto an? Hier
gibt es keine sportliche Grundlage, kein
prometheisches Bändigen des Feuers wie
beim Verbrennungsmotor. Die synthetische
Formel E als Vorbild? Dagegen muss
man halten, dass Motorsport bisher
immer von unten, aus der Volksbegeisterung
kam. Beiwagenrennen gab es,
solange die Leute Beiwagenmaschinen
fuhren. Heute hat das bestenfalls Exotenstatus.
Meine Theorie: Solange das Elektroauto
keine subversive, sozusagen aus
dem Schlamm geborene Funktion aufweisen
kann, wird es genau so weit laufen,
wie man es schiebt. Natürlich im
übertragenen Sinne.
Higgledy Piggledy
Fahrkultur
253
Fahrkultur
Text
Iris Soltau
Dirk Behlau: Squeezed Up – Tales of Polynesian Pop and
Kustom Kulture, Dokumentarfilm als Video-on-Demand oder DVD
für 25 Euro und Bildband mit 378 Seiten für 59 Euro, beides
über → thepixeleye-shop.com/de
California Dreaming
Grafikdesigner, Fotograf und Filmemacher Dirk »The Pixeleye«
Behlau macht keine halben Sachen. Und so bringt er mit
»Squeezed Up« nicht nur einen Dokumentarfilm, sondern
gleich einen XXL-Bildband mit heraus. Worum es geht? Um all
das, was Spaß macht. Hot Rodding, polynesischer Pop, Tiki-
Kultur, Tattoos und Kustom Kulture. Der Bonner reiste mit
vier Freunden durch Südkalifornien und traf sich mit Malern,
Surfern, Tätowierern, Barkeepern und anderen schrägen
Vögeln. Premiere feiert der Film übrigens nicht in L.A.,
sondern in Helsinki. Dort werden mit Sicherheit auch die
Leningrad Cowboys dabei sein. Als Behlau die Finnen vor
Jahren fotografierte, ließen sie ihn nicht nach Hause fahren,
sondern nahmen ihn direkt mit nach Mexiko, wo er sie drei
Wochen lang bei der Carrera Panamericana begleitete.
© Dirk Behlau
254 Alles halb so wild!
ramp #49 Higgledy Piggledy
Fahrkultur
255
Lesen
© Vince Perraud
Ist das Kunst oder fährt das weg?
»Jeder Oldtimer ist weit mehr als ein Automobil. Er ist ein Stück Kunst, das zufälligerweise
fährt.« Das sagt der Grazer Richard Kaan – und der muss es wissen. Der ehemalige Renn-Fahrlehrer,
Konstrukteur und Prototypenbauer gilt heute als einer der angesehensten Sachverständigen
für historische Autos. Zusammen mit dem Fotografen Daniel Reinhard brachte er mit
»Passion Oldtimer« ein Kompendium heraus, das keine Fragen mehr offenlässt. Neben einer
Fülle an Infos begeistern vor allem die Detailbilder-Mosaike, die zum Beispiel Kühlerfiguren,
Technikdetails oder Karosserieformen zeigen.
Richard Kaan und Daniel Reinhard: Passion Oldtimer – Die Welt der klassischen Automobile,
GeraMond-Verlag, 69 Euro
Die ramp Buchcharts
Um die Ecke gedacht
Für Menschen, die sich immer schon gefragt haben, wie
man einen Lavagraben anlegt, gibt es den schlauen und
superkomischen Ratgeber »How to – Wie man’s
hin kriegt« von Randall Munroe. Der erklärt jedoch nie den
einfachen, sondern immer den absurdesten Weg: digitale
Daten versenden? USB-Sticks an Zugvögeln befestigen,
zack, fertig. Starthilfe geben? Einfach mal elf Jahre auf
eine Sonneneruption warten. »Selbst die mieseste Idee«,
findet der Autor, »bringt uns vielleicht auf einen besseren
Denkansatz.«
Randall Munroe: How to – Wie man’s hinkriegt, Penguin,
16 Euro
Die Letzten ihrer Art
Vom Bugatti EB110 wurden keine 130 Exemplare gebaut,
obwohl er das Zeug dazu gehabt hätte, das beste Auto
seiner Zeit zu werden. Warum dieses Projekt der
Superlative so gnadenlos scheiterte, ist auch eine
spannende Geschichte. Das Buch »The Last Bugatti
Racing Cars« feiert dagegen noch einmal die Großartigkeit
des Fahrzeugs: Mit Hunderten von unveröffentlichten
Fotografien, Zeichnungen und Rennberichten rund um die
beiden letzten Werksrennwagen EB110S Le Mans und
EB110S IMSA. Zurück bleibt die traurige Frage: Was hätte
nicht alles werden können?
Johann Petit, Pascal Van Mele: The Last Bugatti Racing
Cars, Hortons Books Limited, 459 Euro (blau gebundene
Le Mans-Edition und silbern gebundene IMSA-Edition,
jeweils nur 110 Exemplare). theeb110book.com
Liebe und Staub
Einst fotografierte Vince Perraud die BMX- und Skater-Szene, heute eher
kostspielige Fahrzeuge. Aber: Die Bildsprache ist geblieben. Für den Bildband
»Get In« begab sich der Franzose auf einen staubigen Roadtrip durch
Europa, die USA und Japan und fotografierte klassische Porsche Modelle.
»Ich liebe den Klang und den Geruch. Wenn du einen Porsche hörst, drehst
du dich automatisch um.« Gerade restauriert Perraud übrigens einen
heruntergerockten Porsche 912 von 1968, den er »Cactus« nennt. »Sie
braucht jede Menge Liebe«, erklärt er, »aber so langsam kommt sie zurück
ins Leben.«
Vince Perraud: Get in, L’Écurie, 60 Euro,
→ lecurie.bigcartel.com
Welt retten für Anfänger
Die Liste der Probleme ist lang: Klimawandel, Verkehrskollaps,
Artensterben. Was tun? Jammern ist eine Möglichkeit,
wir empfehlen aber das Buch »Es gibt keinen Planet
B«. Autor Mike Berner-Lee nimmt das Drama aus der
Diskussion und bietet wissenschaftlich fundierte
Lösungsansätze an, die pragmatisch und motivierend
sind. Zuerst aber, so der britische Soziologe, sollten wir
eine Vision entwickeln, wie die perfekte Welt in Zukunft
aussehen könnte: »Teilen Sie diesen Traum und leben Sie
für ihn.«
Mike Berner-Lee: Es gibt keinen Planet B: Das Handbuch
für die großen Herausforderungen unserer Zeit, Midas
Sachbuch, 25 Euro
Der gute Ruf
Seit 1939 stellt RUF einige der begehrtesten Performance-Autos
der Welt her. Jetzt wird die Geschichte von
Alois Ruf und seiner Familie in einem 520-seitigen,
zweiteiligen Buch erzählt. Ein Teil widmet sich dem
berühmtesten Ruf von allen – dem Yellowbird. Cool: Die
limitierten Bände (356 Exemplare) stecken in einem
Luxus-Schuber, der mit original Ruf-Sitzstoff bezogen ist.
Aber nicht draufsetzen, bitte.
RUF – The very very limited one. Waft Books. 550 Euro.
waft.be
256 Alles halb so wild!
ramp #49
Higgledy Piggledy
Fahrkultur
257
sich zu informieren. Das ist, als ob man ein Rudel gut ausgebildeter
Hunde hätte und einen neuen Welpen dazubringt – dann
lernt der Welpe, wie sich das Rudel verhält und fühlt sich zugehörig.
Nachdem wir die Kerngruppe aufgebaut hatten,
begannen wir, diese Vision auf andere Kategorien wie Kunst,
Design, Reisen und Architektur auszuweiten.
Bilder spielen heute eine zentrale Rolle. Instagram ist das beste
Beispiel dafür. Brauchen wir überhaupt noch Texte?
Ohne Kontext ist Schönheit nur pornografisch, und das wird
ziemlich schnell langweilig. Obwohl unsere Aufmerksamkeitsspanne
heute als Gesellschaft kürzer ist, sehnen wir uns
noch immer nach einer guten Geschichte. »Type 7« möchte
diese Lücke schließen, indem wir genau die richtige Menge an
Story für den Kontext bieten, den wir gewohnt sind.
»Ohne Kontext ist Schönheit
nur pornografisch.«
Jemand beschrieb Ted Gushue einmal als »allgegenwärtigen
Fotografen und Influencer«, letztes Jahr brachte er mit »Type 7«
einen der erfolgreichsten Social Media-Accounts an den Start,
ein nur auf Instagram erscheinendes Magazin, das sich ganz
Porsche verschrieben hat. Ein Gespräch über geerbte Leidenschaften
– und sein neues Buch.
Herr Gushue, woher rührt Ihre Faszination für Autos?
Ich bin in Connecticut auf dem Land aufgewachsen, in einem
jener Orte, an denen es toll ist, Kind zu sein, die dann aber im
Alter von sechzehn langweilig werden. Wir waren nicht reich,
daher war es für uns unmöglich, die neuesten und besten
Fahrzeuge zu besitzen – aber sie waren immer interessant.
Das Auto, das ich heute fahre, ein 911S von 1976, hat mein
Vater 1992 für genau fünftausend Dollar gekauft.
begann, die Welt der Oldtimer wirklich zu erkunden. Einige
Jahre lang ging ich zu jedem Oldtimer-Event und knipste alles,
was mir vor die Linse kam. Es war die beste Entscheidung
meines Lebens.
Und wie kam es zu »Type 7«?
Das entstand aus einem Gespräch mit meinen Kollegen bei
Porsche Marketing in Zuffenhausen heraus. Es startete als
Online-Magazin, aber im Laufe von vierzehn Monaten und
vielen Meetings entfernten wir uns davon und konzentrierten
unsere Energie auf Instagram.
Jetzt gibt es auch ein Buch. Haben Sie eine Lieblingsgeschichte?
Vielleicht die der Familie Holbert, die Todd Holbert, der Sohn
des verstorbenen Al Holbert, zur Verfügung gestellt hat. Er
ging das persönliche Familienarchiv durch, holte nie zuvor
gesehene Bilder heraus und schrieb ausführliche Bildunterschriften,
die noch nie zuvor erzählt worden waren.
Gibt es einen persönlichen Porsche Moment, an den Sie sich
besonders gut erinnern?
Als ich sechzehn Jahre alt war, nahm ich den 911S, der jetzt
mir gehört, für eine Spritztour, ohne dass mein Vater es
wusste. Ich war mir einiger Getriebeprobleme nicht bewusst
und brachte ein paar Schaltvorgänge wirklich durcheinander,
wodurch der dritte Gang bis zu dem Punkt heruntergeschliffen
wurde, dass er ersetzt werden musste. Ich werde nie vergessen,
wie ich das meinem Vater erklären musste.
Mehr dazu auf Instagram:
@type7
Es liegt also in der Familie?
Ja, in der meines Vaters. Man kaufte ständig zu Schrott gefahrene
Porsche und andere Sportwagen, um sie gemeinsam zu
restaurieren. Bis vor Kurzem war das ein ziemlich übliches
Hobby.
Und wie kamen Sie dann zur Fotografie?
Ich hatte einen Universitätsabschluss in Fotografie, mit dem
ich nichts anzufangen wusste. Na ja, eigentlich hatte ich zwei
Abschlüsse, mit denen ich nichts anzufangen wusste. Ich
wohnte damals in New York und kam dann eher per Zufall
zum Journalismus. Als ich als Redaktionsleiter von petrolicious.com
eingestellt wurde, griff ich wieder zur Kamera und
Was sagt uns dieser Name eigentlich?
Wir entschieden uns aufgrund der Bedeutung für die Entwicklung
des 911ers dafür. Es war das erste Design, das die Lücke
zwischen dem 356er und dem 911er (oder 901er) überbrückte.
Ein sehr seltsam anmutendes Fahrzeug mit viel Charakter.
Außerdem waren alle Namen und Domänen verfügbar, und
das ist, wenn man etwas über die Einführung einer Marke
weiß, von großem Vorteil!
Wie hat sich die Idee seit den Anfängen entwickelt?
»Type 7« ist seit der Einführung ziemlich schnell gewachsen.
Zunächst wollten wir traditionelle Porsche Fans zum Gespräch
einladen. Wenn man die hat, wird es für neue Fans einfacher,
Type 7: The Porsche Lifestyle
Channel @Instagram Vol. one.
Delius Klasing, 49,90 Euro
258 Alles halb so wild!
ramp #49
Hingehen
Hopper entdecken
Es gibt wohl kaum ein Bild, das die Verlorenheit von Großstädtern
besser symbolisiert wie Edward Hoppers »Nighthawks«.
So ikonisch, dass es die anderen Werke des US-Künstlers
komplett überschattet. Darum legt die Baseler Fondation
Beyeler mit ihrer Hopper-Ausstellung den Schwerpunkt auf
unbekanntere Aquarelle und Ölgemälde. Weiteres Highlight:
der 3D-Kurzfilm »Two or Three Things I Know About Edward
Hopper« von Wim Wenders. Der Regisseur ist ein riesiger
Hopper-Fan und sagt: »Ich finde, dass er gemalt hat, als ob er
erwarten würde, dass daraus ein Film wird.«
Edward Hopper. Fondation Beyeler. 16.01. bis 17.05.20
→ fondationbeyeler.ch
© Heirs of Josephine Hopper / 2019, ProLitteris, Zürich
Foto: © 2019 Digital image, The Museum of Modern Art, New York / Scala, Florence
© Heirs of Josephine Hopper / 2019, ProLitteris, Zürich
Foto: © 2019. Digital image Whitney Museum of American Art / Licensed by Scala
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260 Alles halb so wild!
ramp #49
Higgledy Piggledy
Fahrkultur
261
Hören
Sehen
Leaving Las Vegas
The Killers aus Las Vegas haben keine Angst vor Pailletten,
hymnischen Refrains oder Texten, die knapp am Kitsch
vorbeischrammen. Und trotzdem (oder gerade deshalb?) sind
sie eine großartige Rockband. Mit dem sechsten Album »Imploding
the Mirage« zeigen sich die Jungs politischer denn je: Im
Song »Land of the Free« prangern sie Trumps Asyl- und
Waffenpolitik an, Regisseur Spike Lee inszenierte das Video
dazu. Aber keine Bange, wenn die Killers im Sommer auf Tour
kommen, wird es auf der Bühne wieder funkeln. Wie heißt es
doch so schön? Du kriegst mich aus der Hood, doch die Hood
nicht aus mir.
© Paramount Pictures / MoviestillsDB
Top Gun 2: Maverick,
Paramount Pictures,
Kinostart: 16.07.
© 2007 Press Here Productions
Hotspot Berlin
Songs der Pet Shop Boys sind ein Garant, jede noch so lahme
Party sofort auf Vordermann zu bringen. Auf »Hotspot«
präsentiert sich das Brit-Duo jetzt ungewohnt melancholisch.
Vielleicht liegt’s daran, dass es das Album in den Berliner
Hansa-Studios aufnahm, wo schon legendäre Werke von
Bowie, U2 oder Depeche Mode entstanden? Ach ja, getanzt
werden darf auch. Zum Beispiel zu dem pumpenden Electro -
Track »Will-o-the-wisp«.
The Killers: Imploding the Mirage, Universal, 20 Euro (Album-VÖ tba)
© Phil Fisk
Helden der Lüfte
Es gibt Menschen, bei denen läuft der Filmtrailer von »Top
Gun 2: Maverick« seit Juli in Dauerschleife. Weil ein Leben
ohne den Kinohit von 1986 nicht denkbar ist und sie noch
immer für Kelly McGillis schwärmen. Und es gibt Menschen,
die das sehr seltsam finden. Trotzdem sollten auch die sich die
Fortsetzung im Kino ansehen: Weil es Spaß macht, Cruise als
Elite-Piloten Pete »Maverick« Mitchell, der es allen noch mal
zeigen will, zuzuschauen. Weil die Flugszenen spektakulär
sind und man sich daran erinnert, warum Cruise als coolster
Typ der 80er galt. »Iceman« (Val Kilmer) sitzt übrigens auch
wieder mit im Cockpit, Harold Faltermeyer komponierte
erneut den Soundtrack – einzig Kelly McGillis musste zu
Hause bleiben.
Lebe deinen Baum
Ernsthaft, ein Film über stämmige Kerle, die sich nicht vom Fleck bewegen und auch schon
reichlich Moos angesetzt haben? Ganz genau! Die Verfilmung des Bestsellers »Das geheime
Leben der Bäume« ist eine fesselnde Doku, in der sich spektakuläre Naturaufnahmen mit
Einblicken in das Leben des Försters Peter Wohlleben abwechseln. Mal besucht er Demonstranten
im Hambacher Forst, dann führt er eine koreanische Delegation durch die Eifel – oder
reist nach Vancouver Island, wo er ein indigenes Waldprojekt unterstützt. Und wir lernen:
Ohne Wald ist nichts los. Nirgendwo.
Pet Shop Boys: Hotspot. Rough Trade.
14 Euro
Das geheime Leben der Bäume.
Im Stream erhältlich
Vorschau
ramp #50 erscheint 09.07.2020
Lieber Von-hinten-Leser,
es ist ja eine seltsame Sache, dass der Mensch alles in der Welt
vermessen muss. Vielleicht, um sie besser zu verstehen, um
eine behagliche Ordnung zu schaffen. Und dieses Bestreben
macht natürlich auch nicht vor dem Himmel halt – oder besser
gesagt vor Wolken, ausgerechnet den Gebilden, die scheinbar
willkürlich entstehen und vergehen. Ein Gerät zur Vermessung
heißt Ceilograph, die Faustformel, die auf den deutschen
Physiker Fritz Henning zurückgeht, lautet in Fuß
h = 400(t − td). Diese dient der »näherungsweisen Berechnung
des Konvektionskondensationsniveaus«. Oder anders gesagt:
Sie bemisst die Untergrenze, an der sich Wolken bilden. Dabei
wird die Differenz zwischen Temperatur (t) und Taupunkt (tp)
auch »Spread« genannt. Sind die Temperatur am Boden und
der Taupunkt identisch, ist auch die Wolkenuntergrenze gleich
null. Und das nennt man schlicht und ergreifend: Nebel.
Also ein ausgesprochen hübsches Phänomen, das sich nicht in
exakte mathematische Formeln fassen lässt, ein vergnügliches
Durcheinander – und damit genau das, was man auch über
dieses Heft sagen kann.
Viel Spaß beim Lesen dieser Ausgabe!
VON ZELL AM SEE NACH LOS ANGELES.
AUF KNOPFDRUCK.
Allzeit bereit – weltweit. Der innovative Porsche Design
1919 Globetimer UTC definiert eine neue Generation
von Reiseuhren und begeistert durch einen innovativen
Schaltmechanismus, der Maßstäbe setzt: Über einen
Drücker kann die aktuelle Zeitzone im 1-Stunden-Takt
ohne Verlust der exakten Zeiteinstellung [Min./Sek.]
verstellt werden.
1919 GLOBETIMER UTC
PORSCHE DESIGN KALIBER WERK 04.110
www.porsche-design.com/GlobetimerUTC