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ramp#49_DE

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22 Intro ramp #49 Higgledy Piggledy

... Unterwegs ...

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trotzdem: Dabei werden Elektronen durch zwei Spalten geleitet

und erscheinen auf einem dahinter angebrachten Beobachtungsschirm

als wirres Interferenzmuster. Der Beobachter

kann somit nicht erkennen, durch welchen Spalt die Elektronen

fließen, weil sich die Teilchen verhalten wie Wellen, die

sich beeinflussen, übereinanderfließen. Werden die Wege der

Elektronen jedoch durch einen Detektor geleitet, erkennt man

zwei Striche. Die Elektronen verhalten sich nun wie Teilchen.

Die Viele-Welten-Theorie interpretiert diese Verhaltensweisen

mit dem Aufspalten des Universums im Moment des Messens.

In der einen wird das Elektron am linken Spalt gemessen, in

der anderen am rechten.

»Als Kind hatte ich mich davor gefürchtet, dass das Universum

vielleicht gar nicht existiert«, sagt Carroll. »Das hat mir oft den

Schlaf geraubt. Die Viele-Welten-Theorie löste nie diese Angst

aus. Obwohl die Fragen existenziell sind, wissen wir nicht, ob

die unzähligen Kopien von uns jemals einen Sinn ergeben

können. Sind sie wirklich wir? Sind sie in irgendeiner Weise

bedrohlich? Die Antwort darauf ist mit einer gewissen Sicherheit:

Wir sollten so tun, als gäbe es diese Welten nicht.«

Trotz dieser absichtlichen Ignoranz sei es aber eine Tatsache –

»Wir können das verifizieren. Das sind absolut konventionell

klare Voraussagen!« –, dass eine unzählbar hohe Zahl von

parallelen Universen existiert, dass es vielleicht keine unendliche,

aber eine unfassbar hohe Zahl von Ichs gibt, die nebeneinander

existieren, sich aber nie treffen können. Die ihre

eigenen Wege gehen können, oder aber identisch weiter existieren

– oder vielleicht schon lange tot sind. »Es ist durchaus

denkbar, dass ein anderer Sean Carroll die Viele-Welten-Theorie

irgendwo für ausgemachten Blödsinn hält oder Präsident

wird«, lacht er. »Und er telefoniert gerade mit jemandem, der

Schrödingers Katze für das Normalste der Welt hält.« Alles, was

geschehen kann, wird nach der Viele-Welten-Theorie in einem

der Myriaden von Universen auch eintreten.

Deshalb sei das Konzept unserer Realität so schwierig zu

verstehen, gibt Carroll zu. Ein vollkommen unkonventionelles

Verständnis sei nötig, was denn nun in Wirklichkeit wirklich

ist. »Realität ist ein Vektor im Hilbert-Raum« sei nicht unbedingt

etwas, das einfach zu erfassen sei.

Realität ist die Totalität von allem Existierenden, sowohl von

dem, was wir sehen, als auch von dem, was wir nicht sehen.

»Wir sehen Häuser und Tische und Planeten, die durch den

Raum schweben«, versucht er sein Bestes. »Quantenmechanik

jedoch besagt, dass es weder Tische noch Leute gibt, sondern

nur etwas, das wir Wellenfunktion nennen. Die klassische Definition

unserer Welt ist eine ungefähre Beschreibung dieser

Wellenfunktionen. Die Aufgabe von Physikern und Philosophen

besteht nun darin, zu erklären, warum es Leute und Tische und

Planeten gibt, wenn wir in einer Welt von Wellenfunktionen

leben. Darüber haben wir uns noch nicht einigen können.«

Carroll hat ein außerordentliches Talent, darüber zu dozieren,

warum sich das Universum laut der Viele-Welten-Theorie

permanent in neue Ableger spaltet, warum wir uns ein relaxtes

Alles, was geschehen kann, wird

nach der Viele-Welten-Theorie in

einem der Myriaden von Universen

auch eintreten.

Verhältnis zu unseren alternativen Ichs aneignen sollten und

die Katze doch nicht sterben muss. Und dazu ein endloses Maß

an Geduld. Nicht umsonst ist der 53-Jährige Inhaber zweier

Lehrstühle in Physik – einmal forscht er am California Institute

of Technology, kurz Caltech, in Pasadena, zum anderen

ist er Gastprofessor am renommierten Santa Fe Institute. Und

er versucht seit vielen Jahren ziemlich erfolgreich, seinen

Studenten beizubringen, warum wir auf der atomaren Ebene

nur aus Schwingungen bestehen und warum unsere Realität

eigentlich eine Illusion sei. Dass Raum und Zeit relative

Begriffe sind (Raum mehr als Zeit, doch davon gleich mehr),

fällt bei angehenden Akademikern in Southern California und

New Mexico sicherlich auf dankbaren Boden. Ich hätte solche

Erklärungen nach dem Genuss von größeren Mengen Tetrahydrocannabinol

auch völlig verständlich gefunden.

Doch nun zum Thema Raum und Zeit. Carroll: »Zeit bleibt

Zeit, unverändert, weil es eben Zeit ist. Raum hingegen ist ein

bisschen komplizierter, weil sich Raum eben dupliziert. Es ist

nicht nur, dass es Raum so nicht gibt, sondern dass sich die

entstehenden Welten nicht im Raum befinden. Im Gegenteil,

es ist eigentlich andersrum. Raum ist in allen differenten

Welten enthalten. Wenn man also fragt, wo genau diese Welten

sind, gibt es keine Antworten. Man kann es simplifizieren –

die Viele-Welten-Theorie bietet eine ganz neue Sichtweise auf

das, was Realität wirklich ist.«

So wirklich vereinfacht klingt das nicht. Und dann fügt der

Mann, der uns das beibringen will, allen Ernstes noch hinzu,

er würde »Klarheit statt Rätsel« bevorzugen. Er glaube an

keinen Gott, sagt er, auch nicht an mehrere. In der Natur sehe

und habe er alles und mehr, als er brauche. »Die Natur als

physisches System ist mehr als ausreichend für mich. Natur

ist vielfältig, komplex und hält sich überraschenderweise an

alle physischen Gesetze.« Wissenschaft hätte für alles eine

Erklärung. »Solange ich damit klarkomme, werde ich mich

daran halten«, meint er, und ich kann sein Lächeln am Telefon

hören.

Allerdings sei die Philosophie heute relevanter für die Physik

als noch vor einiger Zeit, lenkt er ein. »Es gibt konzeptionelle

Fragen, die Philosophen besser beantworten können als

Physiker, speziell in komplexen Systemen wie der Quantenphysik.

Oder zumindest sind sie in der Lage, Probleme aufzuzeigen

und Interpretationen zu bieten. Die Wissenschaft kann

hoffen, die Welt zu erklären, was sie ist und was mit ihr

geschieht. Aber sie kann nicht erklären, was gut oder schön

ist. Wissenschaftler können auch in der Zukunft nicht alle

Fragen beantworten, aber forschen. Ich glaube nicht, dass uns

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