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ramp#49_DE

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162 Short Stories

ramp #49

Higgledy Piggledy

Skills, Freunde!

163

SKILLS,

FREUNDE!

250, 400 oder gar 625 PS – stark kann heute jeder. Dabei liegt die wahre

Kunst im zügigen Umsetzen geringer Ressourcen. Darum: Schwung mitnehmen!

Text David Staretz

Es klingt provokant, ist aber schwer zu widerlegen:

Unsere Autos sind übermotorisiert, das

heißt, ihr Leistungsangebot übertrifft bei Weitem

die Notwendigkeit zügiger Fortbewegung. Dabei

sprechen wir nicht vom Audi Avant RS mit 600 PS,

sondern vom üblichen Renault oder Volkswagen,

Kia wie Mercedes, Ford oder Volvo.

Die teilweise sportlich, teilweise als Maßnahme

der Vernunft begründete Hochrüstung der

letzten Jahrzehnte lässt heute biedere Stoßzeiten­

Pendler über jene tobenden Feuermaschinen

herrschen, von denen einst die Anhänger von

Filippo Tommaso Marinetti, dem Begründer

des Futurismus, schwärmten. Allerdings sind

deren brennenden Manifeste eher allegorisch

zu verstehen: Niemand konnte sich Anfang des

20. Jahrhunderts vorstellen, dass man im zivilen

Straßenverkehr tatsächlich mehr als siebzig

Pferde beherrschen würde, um damit (siebzigspännig!)

durch die Gassen zu preschen.

Stark können heute alle. Damit ist im

Main stream kaum noch zu reüssieren.

Sucht man aber sparsam motorisierte Autos

in den Katalogen, findet man kaum ein Modell,

das weniger als 60 PS hat. Selbst der minderste

Lada, früher ein Garant für Untermotorisierung,

bringt 83 PS. Und der Fiat Panda, einst

unterste Kiste, stemmt mit seinen zwei Zylindern

69 PS. Einzig der VW eco up! ist mit

60-PS-Motorisierung zu haben.

Kurios: Der schwächste Aston Martin hat

98 PS. (Es ist das Modell Cygnet – Schwänchen –,

das man als eine Art Schlüsselanhänger zu

NIEMAND KONNTE SICH

ANFANG DES 20. JAHR ­

HUNDERTS VORSTELLEN,

DASS MAN IM ZIVILEN

STRASSENVERKEHR

TATSÄCHLICH MEHR

ALS SIEBZIG PFERDE

BEHERRSCHEN WÜRDE,

UM DAMIT (SIEBZIG­

SPÄNNIG!) DURCH DIE

GASSEN ZU PRESCHEN.

einem V8 Vantage oder DB9 Coupé dazubekommen

sollte. Allerdings ist das Toyota-IQ-Derivat

seit 2013 mangels Nachfrage eingestellt.) Der

kleinste Peugeot/Citroën/Toyota hat 68 PS, der

schwächste BMW üppige 140, der schwächste

Bugatti 1.001 PS (somit immerhin 199 PS

weniger als der stärkste).

Aber im Ernst: Wo sind heute noch richtig

schwach motorisierte Autos zu finden außer bei

Leichtkraftfahrzeugen – oder kurz: Mopedautos?

Marktführer Aixam aus Aix-les-Bains bietet seine

Klein-Dieselchen mit führerscheinbefreiter Spar ­

leistung an; selbst der großspurig als City GTO

bezeichnete Kleinstwagen hat nicht mehr als

8,1 PS, aber damit sollte man nicht freiwillig

kokettieren.

Also, was hat es mit meinem Spleen des

Untermotorisierten auf sich? Klimarettung in

kleinen Dosen? Ganz geheuer ist mir das selber

nicht, dennoch beschleicht mich manchmal das

Gefühl, dass unser Projekt Weltrettung von den

Autoherstellern auf einem zu hohen Niveau

abgefeiert wird, dass Autos mit 250-PS-Dieselmotoren

und vom Werk angegebenen 6,0 Litern

Normverbrauch nicht wirklich unsere Probleme

lösen werden, genauso wenig wie fahrende

Umspannwerke mit absurden Höchstleistungen.

Meine Theorie (und meine Praxis) lautet,

dass hohe Motorleistung keine Frage der

Notwendigkeit ist, sondern vielmehr eine der

Relation – nämlich zu anderen Fahrzeugen,

die in irgendeiner Art von Wettbewerb stehen.

Das ist wie beim Hochrüsten bei Slotcars.

Die hochgegitzten Folienrenner haben nur mehr

zwei Antriebsräder und eine Aerofolie als

Karosserie. Sie flitzen so schnell, dass man sie

mit bloßem Auge nicht mehr sieht.

Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten,

dass der Volkswagen Golf GTI dafür verantwortlich

ist. Durch ihn wurde vor 44 Jahren der

Rennsport in den Straßenverkehr hineindemokratisiert,

gefolgt von den anderen kleinen,

süßen, frechen Giftspritzen.

Ich fand es nie ganz in Ordnung, dass

elegante Sportwagen, die sich so sehr bemühten,

mit allem, was sie darstellten, und allem, worauf

sie verzichteten, sich plötzlich von biederen

Familienbüchsen, die äußerlich nicht mehr als

ein paar verschämte Sportzitate aufbrachten,

»verblasen« lassen mussten, wie man das damals

anerkennend nannte.

Heute ist alles viel schlimmer. Heute sind es

die scheußlichen weißen Lieferwagen, die uns

auf der Autobahn hartnäckig im Nacken sitzen

und den absoluten Linke-Spur-Anspruch fordern,

ganz gleich, ob wir im Mercedes AMG GT, im MG B

von 1968 mit 90 PS oder im VW Golf R der aktu ­

ellen Generation mit mittlerweile 310 PS fahren.

Heute regelt sich die Geschwindigkeitsfrage

meist nur danach, wer den besseren Radarsensor

besitzt, die bessere Ortskenntnis oder die

stärkeren Nerven.

Ende des Exkurses.

Was ich mir in meiner Theorie (und aus der

Praxis heraus) wünsche, sind Autos, die ihre

Motorleistung aus dem Verhältnis zur Umgebung

holen und aus dem absoluten Verständnis,

dass jegliches Vorankommen ein grandioser

Fortschritt gegenüber dem Stillstand ist und

dass wir es uns eigentlich nicht mehr leisten

können, exzeptionelle Motorstärke als Deko­ und-

Ego-Material mitzuführen. Ferrari, Lamborghini,

Lotus etc. bleiben natürlich ausgenommen, denn

die betreiben Motorleistung und das ganze

Sportwagen-Commitment auf überzeugend

integrale Weise. Aber ich will keinen BMW X6 M

Competition mit 625 PS unter dem Zeichen der

Vernunft betrachten müssen. Das gilt umso

mehr für Power-Hybrids und Power-Elektriker.

Uns imponieren wohl die theatralischen Aspekte,

Opulenz und Dekadenz, aber wenn sich

ICH WÜRDE SOGAR SO

WEIT GEHEN ZU BEHAUP­

TEN, DASS DER VOLKS­

WAGEN GOLF GTI DAFÜR

VERANTWORTLICH IST.

DURCH IHN WURDE VOR

44 JAHREN DER RENN­

SPORT IN DEN

STRASSEN VERKEHR

HINEINDEMOKRATISIERT,

GEFOLGT VON DEN

ANDEREN KLEINEN,

SÜSSEN, FRECHEN

GIFTSPRITZEN.

ES IST IN GEWISSER

WEISE AUCH EIN

ENTSPANNENDES

GEFÜHL, VOLL AUF DEM

GASPEDAL ZU STEHEN

UND ZU WISSEN, DASS

MAN STÄRKER ALS DAS

AUTO IST.

einerseits der Mainstream aufmotorisiert, wir

andererseits eine Zukunft ermöglichen wollen,

müssen wir die Sache anders angehen.

An einem Kipppunkt der Übersättigung

angelangt, setzt angesichts des neuerlich sich

abzeichnenden Wettrüstens per E-Motorisierung

eine gewisse Nachdenklichkeit ein: Ob nicht

abgerüstete Motorleistung die wirklich nachhaltigen

Ergebnisse brächte und uns nebenbei alle

zu besseren Autofahrern (bei geringerem

Kraftstoffverbrauch) machte?

Skills, Freude! Denn mit wenig Leistung

auszukommen erscheint mitunter anspruchsvoller,

als immer nur dröge ins Volle zu steigen.

Reduzierte Motorleistung verdammt nicht zum

Dahinzuckeln. Im Gegenteil, erst mit untermotorisierten

(und abgespeckten) Fahrzeugen kann

man wirklich Fahrtalent beweisen, indem man

die spärlichen Ressourcen mit Schwung,

Geschicklichkeit und Vorausschau so einsetzt,

dass man zügig unterwegs ist. Es ist in gewisser

Weise auch ein entspannendes Gefühl, voll auf

dem Gaspedal zu stehen und zu wissen, dass

man stärker als das Auto ist. Dass man es selber

besser könnte, aber das Maschinchen eben nicht.

Man spürt wieder Steigungen, erfreut sich an

Gefällen, berechnet Kurven voraus und fühlt die

Kraft der Abendkühle, wenn die Zylinderfüllung

dichter wird.

Den Nebeneffekt der Kraftstoffeinsparung

und Abgasreduktion können wir uns als Elektroverzicht

anrechnen lassen.

In gewisser Weise rührt mich das und

erinnert an Zeiten, als 21 PS im Renault 4CV

(mein erstes Auto) die Welt waren und ein auf

70 PS frisierter Puch 500 als Granate galt.

Nostalgiealarm? Vielleicht. Aber oft ist es nur

eine Sache des sogenannten Wordings. So spricht

man heute in der modernen Motorentechnik von

Downsizing – und sobald ein cooles englisches

Idiom für eine Sache gefunden wurde, ist es ja

schon fast wieder ein Hype.

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