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ramp#49_DE

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64 Ganz schön was los hier. ramp #49 Higgledy Piggledy

Krauts in America

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Eigentlich wollte ich ja nach L.A. Aber das haben

Automobiljournalisten in den vergangenen Jahren

Foto- und Reportagen-technisch so dermaßen

abgegrast, dass Sie einen Road Trip

entlang der Westküste wahrscheinlich mit

einem »Schon wieder«-Seufzer und vielleicht

noch einem Augenrollen dazu honoriert hätten.

Wohin sollte der Urlaub/die Produktionsreise

also dann gehen? Die USA waren zumindest

gesetzt. Zum einen, weil mein Chefredakteur im

»Kraut und Rüben«-Heft gerne eine »Krauts in

America«- Geschichte haben wollte. Wie die letztendlich

genau aussehen sollte, war zu dem Zeitpunkt

noch unklar. Zum anderen, weil es dort

IHOP gibt. Das ist eine amerikanische Diner-

Kette, die 24 Stunden lang Frühstück anbietet.

Und was für eins. Ich sage Ihnen: IHOP ist ein

Traum. Wenn es das hier in Deutschland gäbe,

würde ich jeden Tag drei Mal dort essen. Morgens

Pancakes mit Ahornsirup, mittags Pancakes

mit Karamellsoße, abends Pancakes mit

Blaubeeren und Schoko stücken. Diabetes Typ 2

ginge dann aufs Haus, ebenso wie das Gratis-

Eiswürfelwasser mit Chlorgeschmack und die

Zitronentüchlein zum Klebehände Abwischen.

Es wurde also die Ostküste statt der Westküste.

Florida. Miami. Ocean Drive. Von dort gab’s bislang

selten Fotostrecken – vor allem nicht

nachts, stellte Max, mein Freund/Fotograf fest.

Und das hatte auch seine Gründe, aber dazu

kommen wir später. Zwei Autos begleiteten uns

»Don’t get me wrong, Chi-town got it goin’

on and New York is the city that we know

don’t sleep and we all know that L.A. and

Philly stay jiggy but on the sneak, Miami

bringin’ heat for real.«

WILL SMITH, »MIAMI«

auf unserer Reise. Wobei das Wort »Autos«

eigentlich nicht ganz passt. »Wahnsinns-Karren«

trifft es besser. Ein Chevrolet Camaro LT1

und ein Ferrari 812 Superfast. Sie lassen sich

zwar in keiner Weise miteinander vergleichen,

verdeutlichten mir aber einmal mehr, jeder auf

seine Art, wie tief meine Liebe zum Automobil

sitzt – trotz aller Kritik und gesellschaftlichen

Diskussionen. Solange es noch geht, würde ich

jedem empfehlen, mal einen Wagen mit V-Motor

zu fahren. Egal, ob ein V8 wie im Camaro oder

sogar ein V12 wie im Ferrari. Ist zwar nicht

gerade Greta-konform, aber wer ein schlechtes

Gewissen hat, kann ja ein paar Bäume pflanzen.

Es lohnt sich.

Im Nachgang lässt sich festhalten, dass es

eigentlich keine perfekteren Autos für unsere

Reise hätte geben können. Denn sie erfüllten

eine wichtige Funktion: Sie waren Türöffner für

zwei Welten, die ohne diese Autos verschlossen

geblieben wären. Die schillernd-bunte Welt derjenigen,

die es in Miami ihrer Ansicht nach zu

etwas gebracht haben. Und die erstaunlich offenherzige

Welt der anderen Amerikaner, für die

ein Camaro ungefähr so spektakulär ist wie für

uns ein VW Golf. Aber wenn jemand mit einem

nagelneuen Golf 8 durch Deutschland fährt,

dann gucken die Leute trotzdem. Sie wollen sich

die neue Variante des Evergreens ganz genau

ansehen, ein Pläuschchen über die Veränderungen

halten. So war es auch mit dem Camaro

Facelift. Der LT1 ist übrigens die Basisvariante

des legendären Musclecars. Ab 34.000 Dollar plus

Steuern kommt man in den USA in den Genuss,

den 455 PS starken V8-Sauger mit Heckantrieb zu

fahren. In Deutschland bietet Chevrolet die Variante

LT1 leider nicht an. Allein das wäre schon

eine Überlegung wert, auszuwandern. Und IHOP

natürlich.

Trotz dieser Privilegien kann man in Miami das

Leben jedoch offenbar erst dann richtig genießen,

wenn man lange genug malocht hat und diese

Arbeit schließlich mit Erfolg in Form von Reichtum

belohnt wurde. Der amerikanische Traum.

Vom Tellerwäscher zum Millionär und so weiter.

Diesen Eindruck vermittelte uns zumindest

Louis. Wir trafen ihn auf einem Parkdeck im

Design District, als Max gerade den 812 Superfast

fotografierte. Louis stammt ursprünglich aus

Costa Rica, kam mittellos in die USA, gründete

ein Unternehmen, das Aufzüge repariert und

instand hält, und ist jetzt super reich. Im Alltag

fährt er einen Ferrari 488. Den parkte er neben

dem 812 Superfast, stieg aus, nahm seine Sonnenbrille

ab, begutachtete unseren Testwagen und

fällte schnell sein Urteil: »Der ist wirklich schick,

aber ein bisschen langweilig.«

Zugegeben, neben seinem Auto wirkte der 812

tatsächlich etwas, nun ja, konventionell. Denn

mit einer Serienvariante gewinnt man in Miami

keinen Blumentopf, auch wenn wir hier von

einem Ferrari sprechen. »Den kann sich ja jeder

im Geschäft kaufen«, erklärte mir Louis, während

sein Assistent gerade dabei war, die Drohne

bereit zu machen. Ein paar Luftaufnahmen für

den privaten Instagram-Account des Selfmade-Millionärs.

Klar. Jedenfalls verpasste er seinem

Ferrari eine noch lautere, klappengesteuerte

Abgasanlage und ein, sagen wir, noch exklusiveres

Äußeres. Er beauftragte den deutschen

Künstler René Turrek damit, den Standardlack

des Ferrari abzuschleifen und ihn stattdessen

mit den Logos seiner Lieblings-Modelabels Louis

Vuitton und Supreme zu schmücken. Handbemalt.

Was in Modena vermutlich als Majestätsbeleidigung

geahndet würde, ist hier Kunst.

Deshalb gab’s auch keinen Stress mit den

Markenrechten.

Der 488 wirkt dadurch ein bisschen wie eine

sehr schnelle Handtasche auf vier Rädern, aber

zumindest passt er nach Miami. Dort, wo scheinbar

jeder Ferrari fährt. Oder es zumindest vorgibt.

Während der Shootings trafen wir immer

wieder auf Influencer, die mit ihren Fotografen

um die Häuser zogen, um Fotos für Instagram zu

machen. Egal, ob ein durchtrainiertes Männermodel,

das fünf verschiedene Outfits in seiner

Reisetasche griffbereit hatte, oder eine aufgedrehte

Gruppe twerkender Latino-Mädels – sie

alle warfen sich buchstäblich vor den 812 Superfast.

Und wir standen daneben und hielten die

besten Momente fotografisch fest. Das hätte uns

sonst doch keiner geglaubt.

Die lang ersehnte Ocean-Drive-Produktion fiel

dagegen leider flach. Nicht etwa, weil am Sonntagmorgen

um vier zu viel los war auf der Partymeile

von South Beach. Sondern weil die meisten

Hotels und Clubs ihre Neonlichter ausgeknipst

hatten. Und dann war es ganz schön dunkel dort.

Keine Aufnahme vom Hotel Carlyle und kein

Beauty-Shot mit dem berühmten Gianni Versace-

Haus, vor dessen Eingang der exzentrische

Modeschöpfer vor 23 Jahren erschossen wurde.

Wenigstens ein Hotel ließ die Lampen an, sodass

wir immerhin ein Alibifoto mit nach Hause

bringen konnten. Zum Glück erwiesen sich die

Parkhäuser in der Hauptstadt Floridas als verlässlich.

Sie waren 24 Stunden geöffnet und

erstrahlten durch ihre satte Beleuchtung, während

im Hintergrund die lebendige Metropole im

Dunkeln glitzerte. Nur ohne den Ocean Drive.

Ein starker Kontrast zum Bling-Bling-Leben in

Miami war übrigens unser Besuch des NASCAR-

Finales in Homestead. Es gibt wohl nichts stereotypisch

Amerikanischeres als diese

Tourenwagenserie. Und zwar mit allem, was so

dazugehört. Wer sich in Deutschland fragt, wer

bitte Donald Trump wählt, findet auf dem

Gelände der Renn strecke schnell Antworten.

Beispielsweise in Form einer vierköpfigen Bilderbuch-Familie,

die T-Shirts im Partnerlook

trägt. Vorne steht »President Trump 2020, Keep

America Great« drauf und hinten »If you feel

offended by this flag, I’ll help you pack.« Harter

Tobak.

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