ramp#49_DE
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
92 Ganz schön was los hier. ramp #49
Higgledy Piggledy Waterproof
93
Wir fahren los. Ein simpler Satz. Welche dramatischen Entwicklungen
sich allerdings anbahnen, ahne ich beim Blick
gen Himmel. Es regnet die sprichwörtlichen Bindfäden – und
in den Nachrichten kam gerade die Meldung, dass in einem
Bergdorf namens Franz Josef auf der Südinsel Neuseelands,
auf der auch wir uns befinden, tausende Menschen wegen
Hochwasser festsitzen. Die einzig mögliche Rettung erfolgt
durch Helikopter. Ich schaue mitleidig auf meine Converse
herunter. Mir wird klar: Meine Stoffschuhe werden das nicht
überleben. Bei allem anderen vertraue ich ab sofort auf Jeep;
eben jener Marke, die ihren Ursprung im Bau von unverwüstlichen
Allrad-Fahrzeugen für das Militär hat. Dwight D.
Eisenhower persönlich stellte einst fest, dass man den zweiten
Weltkrieg ohne Jeep nicht hätte gewinnen können. Die
Fahrzeuge waren extrem robust und gleichzeitig sehr simpel.
Schon bald hieß es, Jeep stünde für »just enough essential
parts«. Etwas Spott und Anerkennung in einem. Aus dem
Militärfahrzeug Willys MB entwickelte sich der Wrangler.
Mit der Zeit wandelte sich der Jeep zum FSV – Freizeit-Spaß-Vehikel;
hochgelegt, ohne Türen und Fenster, mit
dickem V8. So fand man ihn für gewöhnlich in Key West, Florida.
Manchmal noch mit einem aufgemalten Adler auf der
Motorhaube. Die ernsthaftere Fraktion fuhr den Rubicon
Trail in Kalifornien oder den Hells Revenge Trail in Utah. Da
fuhr dann aber auch sonst nichts anderes mehr. Zumindest
nicht auf vier Rädern.
Auch die Ahnengalerie des Gladiator reicht weit zurück. Sie
beginnt 1947 mit dem Willys-Overland »Jeep« Pick-up Truck.
Weitere DNA-Spuren finden sich im FC-150/170 Pick-up. 1963
gab es dann bereits den ersten Gladiator, der wie sein moderner
Namensvetter mit robusten Dana 44-Achsen – die Rolex
Daytona unter den Offroader-Achsen – ausgestattet war. In
den 1980ern folgten noch der CJ-8 Scrambler und der Comanche.
Danach bildete sich eine Lücke, zumindest was Pick-up-
Trucks angeht. Der neue Gladiator schließt diese Lücke. Und
mit genau dem sind wir unterwegs.
Unser Ausgangsort ist Queenstown, Neuseeland. Und es geht
mitten rein in die Natur. Zunächst ein bisschen Straße. Kann
der Gladiator. Aber es wäre schon sehr verwunderlich, wenn
dieses Fahrwerk am Nürburgring abgestimmt worden wäre.
Ein amerikanischer Kollege
schaut mich etwas
vorwurfsvoll an: »Du gehst
wohl auch mit ’nem Löffel
zur Schießerei.«
Und die Wälder um die Nürburg herum dürften kaum ausreichend
Herausforderung sein. Mal vom Genehmigungswahn
der deutschen Bürokratie abgesehen.
Neben mir sitzt ein britischer Kollege namens Matt. Seine
Anreise aus London fand über Los Angeles und Auckland
statt, 38 Stunden Reisezeit. Er wechselte zwischen den Zeitzonen
wie ein routinierter Playboy zwischen seinen Frauen. Er
hat keine Ahnung, was für ein Tag heute ist. Und es ist ihm
auch egal. »Scheiß Jetlag. Du gewöhnst dich nie dran.« Gut für
ihn: In Neuseeland gilt Linksverkehr wie in England. Ich blicke
aus dem Fenster. Schwere Wolken hängen tief in den grünen
Bergen links und rechts. Schafe liegen auf saftigen
Wiesen. »Da bist Du zwei Tage im Flieger unterwegs, ein Mal
um die gesamte Welt herum, fährst hier im Regen bei Linksverkehr
durch eine Landschaft, die aussieht wie Schottland –
und die Menschen sprechen Englisch. Kommst Du Dir nicht
ein bisschen veräppelt vor?«, frage ich Matt mit einem süffisanten
Unterton. Er blickt zu mir rüber, zieht eine Augenbraue
hoch, dann blickt er wieder nach vorne. Überall Schafe.
14 Millionen sind es angeblich in ganz Neuseeland, denen
stehen vier Millionen Einwohner gegenüber. »Ja, so gesehen
könnte ich die Ortsmarke einfach weglassen und mal schauen,
welchem unserer Leser überhaupt auffällt, dass wir nicht zu
Hause unterwegs sind.«
Unser Konvoi stoppt. Neben uns liegt ein See – aber auch vor
uns, da, wo eigentlich unsere Straße weiterführen sollte. Paul
Nicholson kommt durch den Regen zu unserem Auto gestapft.
Er grinst. »Die Straße ist zwar unter Wasser gesetzt, aber wir
werden da jetzt durchfahren.« Seit 20 Jahren arbeitet Nicholson
als Motivator, Instruktor, Organisator und Guide für
Touren durch die neuseeländischen Berge. Zudem besitzt er
diverse Zertifikate und zwölf Jahre Erfahrung im Bereich
neuro-linguistischer Programmierung. Würde er mir erzählen,
dass ich auch übers Wasser gehen kann, ich würde es glatt
auf einen Versuch ankommen lassen. Einzig um meine
Chucks würde ich mir Sorgen machen.
In kontrolliertem Tempo rollen wir los. Vollautomatischen
Allrad zuschalten, und ab dafür. Mit einer ordentlichen Bugwelle
teilen wir das Meer vor uns. Halleluja! Zwei Jungs auf
einem Motorboot schauen neugierig vorbei, winken kurz rüber
und drehen wieder ab. Sicher erreichen wir das andere »Ufer«.
Bald biegen wir rechts ab, es geht hinein ins Gelände.
Programmpunkt: Schotterpiste mit Wasserpfützen. Der
immer gleiche Effekt: Sobald man mit einer angemessenen bis
etwas zu hohen Geschwindigkeit durch eine Wasserpfütze
prescht, spritzt das Wasser so hoch, dass die Windschutzscheibe
vollständig eingedeckt wird. Und obwohl ich weiß,
dass ich wirklich nichts vor mir habe, gehe ich reflexartig vom
Gas. Blindflug im Jeep – für das zarte Gemüt eines Wehrdienstverweigerers
dann doch eine Nummer zu hart. Links
am Hang ist über Nacht ein Felsbrocken so groß wie ein Parkhaus
den Berg hinabgerutscht. Er liegt nur knapp hundert
Meter von unserem Weg entfernt und hat eine erdfarbene
Schneise in den grünen Hang gerissen, die wie eine offene
Schnittverletzung »blutet«. Wenn uns ein solcher Brocken
trifft, hilft auch kein Allrad oder Überrollkäfig mehr. Dann
war’s das. Demut macht sich breit. Doch schon wartet die
nächste Pfütze.
Kurz darauf ein improvisierter Kaffeestopp. Fachsimpelei
unter Kollegen. Einig ist man sich vor allem in einem Punkt:
Kein anderer Hersteller wäre unter diesen Bedingungen losgefahren.
Das könne nur Jeep machen. Einer wirft zumindest
ein, dass man es mit einem Toyota Hilux hätte versuchen
können. Mein rechter Schuh ist vollends nass, die Sohle nicht
mehr ordentlich verklebt. Ein amerikanischer Kollege schaut
mich etwas vorwurfsvoll an: »Du gehst wohl auch mit ’nem
Löffel zur Schießerei.« Kurz überlege ich, ob das ein guter
Zeitpunkt ist, meine pazifistischen Grundwerte gegenüber
einem Amerikaner klarzustellen, lasse es dann aber. Im
Grunde hat er ja Recht. »Ich bin ein Lifestyler«, antworte ich und
zucke mit den Schultern. Der Ami lacht. Man muss dazu sagen,
dass »Lifestyler« als Schimpfwort gilt unter automobilen Fachjournalisten.
Der Begriff bezeichnet eine Kollegenkaste, die sich
im Dunstkreis von Influencern vor allem darauf konzentriert,
dass die Schuhe zum Gürtel beziehungsweise zum Leder der
Sitze passen. Wirkliche Fachkompetenz wird den wenigsten
→