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ramp#49_DE

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92 Ganz schön was los hier. ramp #49

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Wir fahren los. Ein simpler Satz. Welche dramatischen Entwicklungen

sich allerdings anbahnen, ahne ich beim Blick

gen Himmel. Es regnet die sprichwörtlichen Bindfäden – und

in den Nachrichten kam gerade die Meldung, dass in einem

Bergdorf namens Franz Josef auf der Südinsel Neuseelands,

auf der auch wir uns befinden, tausende Menschen wegen

Hochwasser festsitzen. Die einzig mögliche Rettung erfolgt

durch Helikopter. Ich schaue mitleidig auf meine Converse

herunter. Mir wird klar: Meine Stoffschuhe werden das nicht

überleben. Bei allem anderen vertraue ich ab sofort auf Jeep;

eben jener Marke, die ihren Ursprung im Bau von unverwüstlichen

Allrad-Fahrzeugen für das Militär hat. Dwight D.

Eisenhower persönlich stellte einst fest, dass man den zweiten

Weltkrieg ohne Jeep nicht hätte gewinnen können. Die

Fahrzeuge waren extrem robust und gleichzeitig sehr simpel.

Schon bald hieß es, Jeep stünde für »just enough essential

parts«. Etwas Spott und Anerkennung in einem. Aus dem

Militärfahrzeug Willys MB entwickelte sich der Wrangler.

Mit der Zeit wandelte sich der Jeep zum FSV – Freizeit-Spaß-Vehikel;

hochgelegt, ohne Türen und Fenster, mit

dickem V8. So fand man ihn für gewöhnlich in Key West, Florida.

Manchmal noch mit einem aufgemalten Adler auf der

Motorhaube. Die ernsthaftere Fraktion fuhr den Rubicon

Trail in Kalifornien oder den Hells Revenge Trail in Utah. Da

fuhr dann aber auch sonst nichts anderes mehr. Zumindest

nicht auf vier Rädern.

Auch die Ahnengalerie des Gladiator reicht weit zurück. Sie

beginnt 1947 mit dem Willys-Overland »Jeep« Pick-up Truck.

Weitere DNA-Spuren finden sich im FC-150/170 Pick-up. 1963

gab es dann bereits den ersten Gladiator, der wie sein moderner

Namensvetter mit robusten Dana 44-Achsen – die Rolex

Daytona unter den Offroader-Achsen – ausgestattet war. In

den 1980ern folgten noch der CJ-8 Scrambler und der Comanche.

Danach bildete sich eine Lücke, zumindest was Pick-up-

Trucks angeht. Der neue Gladiator schließt diese Lücke. Und

mit genau dem sind wir unterwegs.

Unser Ausgangsort ist Queenstown, Neuseeland. Und es geht

mitten rein in die Natur. Zunächst ein bisschen Straße. Kann

der Gladiator. Aber es wäre schon sehr verwunderlich, wenn

dieses Fahrwerk am Nürburgring abgestimmt worden wäre.

Ein amerikanischer Kollege

schaut mich etwas

vorwurfsvoll an: »Du gehst

wohl auch mit ’nem Löffel

zur Schießerei.«

Und die Wälder um die Nürburg herum dürften kaum ausreichend

Herausforderung sein. Mal vom Genehmigungswahn

der deutschen Bürokratie abgesehen.

Neben mir sitzt ein britischer Kollege namens Matt. Seine

Anreise aus London fand über Los Angeles und Auckland

statt, 38 Stunden Reisezeit. Er wechselte zwischen den Zeitzonen

wie ein routinierter Playboy zwischen seinen Frauen. Er

hat keine Ahnung, was für ein Tag heute ist. Und es ist ihm

auch egal. »Scheiß Jetlag. Du gewöhnst dich nie dran.« Gut für

ihn: In Neuseeland gilt Linksverkehr wie in England. Ich blicke

aus dem Fenster. Schwere Wolken hängen tief in den grünen

Bergen links und rechts. Schafe liegen auf saftigen

Wiesen. »Da bist Du zwei Tage im Flieger unterwegs, ein Mal

um die gesamte Welt herum, fährst hier im Regen bei Linksverkehr

durch eine Landschaft, die aussieht wie Schottland –

und die Menschen sprechen Englisch. Kommst Du Dir nicht

ein bisschen veräppelt vor?«, frage ich Matt mit einem süffisanten

Unterton. Er blickt zu mir rüber, zieht eine Augenbraue

hoch, dann blickt er wieder nach vorne. Überall Schafe.

14 Millionen sind es angeblich in ganz Neuseeland, denen

stehen vier Millionen Einwohner gegenüber. »Ja, so gesehen

könnte ich die Ortsmarke einfach weglassen und mal schauen,

welchem unserer Leser überhaupt auffällt, dass wir nicht zu

Hause unterwegs sind.«

Unser Konvoi stoppt. Neben uns liegt ein See – aber auch vor

uns, da, wo eigentlich unsere Straße weiterführen sollte. Paul

Nicholson kommt durch den Regen zu unserem Auto gestapft.

Er grinst. »Die Straße ist zwar unter Wasser gesetzt, aber wir

werden da jetzt durchfahren.« Seit 20 Jahren arbeitet Nicholson

als Motivator, Instruktor, Organisator und Guide für

Touren durch die neuseeländischen Berge. Zudem besitzt er

diverse Zertifikate und zwölf Jahre Erfahrung im Bereich

neuro-linguistischer Programmierung. Würde er mir erzählen,

dass ich auch übers Wasser gehen kann, ich würde es glatt

auf einen Versuch ankommen lassen. Einzig um meine

Chucks würde ich mir Sorgen machen.

In kontrolliertem Tempo rollen wir los. Vollautomatischen

Allrad zuschalten, und ab dafür. Mit einer ordentlichen Bugwelle

teilen wir das Meer vor uns. Halleluja! Zwei Jungs auf

einem Motorboot schauen neugierig vorbei, winken kurz rüber

und drehen wieder ab. Sicher erreichen wir das andere »Ufer«.

Bald biegen wir rechts ab, es geht hinein ins Gelände.

Programmpunkt: Schotterpiste mit Wasserpfützen. Der

immer gleiche Effekt: Sobald man mit einer angemessenen bis

etwas zu hohen Geschwindigkeit durch eine Wasserpfütze

prescht, spritzt das Wasser so hoch, dass die Windschutzscheibe

vollständig eingedeckt wird. Und obwohl ich weiß,

dass ich wirklich nichts vor mir habe, gehe ich reflexartig vom

Gas. Blindflug im Jeep – für das zarte Gemüt eines Wehrdienstverweigerers

dann doch eine Nummer zu hart. Links

am Hang ist über Nacht ein Felsbrocken so groß wie ein Parkhaus

den Berg hinabgerutscht. Er liegt nur knapp hundert

Meter von unserem Weg entfernt und hat eine erdfarbene

Schneise in den grünen Hang gerissen, die wie eine offene

Schnittverletzung »blutet«. Wenn uns ein solcher Brocken

trifft, hilft auch kein Allrad oder Überrollkäfig mehr. Dann

war’s das. Demut macht sich breit. Doch schon wartet die

nächste Pfütze.

Kurz darauf ein improvisierter Kaffeestopp. Fachsimpelei

unter Kollegen. Einig ist man sich vor allem in einem Punkt:

Kein anderer Hersteller wäre unter diesen Bedingungen losgefahren.

Das könne nur Jeep machen. Einer wirft zumindest

ein, dass man es mit einem Toyota Hilux hätte versuchen

können. Mein rechter Schuh ist vollends nass, die Sohle nicht

mehr ordentlich verklebt. Ein amerikanischer Kollege schaut

mich etwas vorwurfsvoll an: »Du gehst wohl auch mit ’nem

Löffel zur Schießerei.« Kurz überlege ich, ob das ein guter

Zeitpunkt ist, meine pazifistischen Grundwerte gegenüber

einem Amerikaner klarzustellen, lasse es dann aber. Im

Grunde hat er ja Recht. »Ich bin ein Lifestyler«, antworte ich und

zucke mit den Schultern. Der Ami lacht. Man muss dazu sagen,

dass »Lifestyler« als Schimpfwort gilt unter automobilen Fachjournalisten.

Der Begriff bezeichnet eine Kollegenkaste, die sich

im Dunstkreis von Influencern vor allem darauf konzentriert,

dass die Schuhe zum Gürtel beziehungsweise zum Leder der

Sitze passen. Wirkliche Fachkompetenz wird den wenigsten

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