Jahresbericht 2019
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Fallbericht I - ein Beispiel ritueller Gewalt<br />
MARINA 1 ist 36 Jahre alt und lebt alleine in eigener Wohnung.<br />
Aufgrund ihrer vielen Gewalterfahrungen ist sie körperlich sehr<br />
krank und stark eingeschränkt. Sie hat oI Schmerzen und muss<br />
viele Medikamente nehmen. Trotzdem versucht sie so gut es<br />
geht, ihren Lebensunterhalt mit verschiedenen Jobs zu bestreiten.<br />
MARINA ist 2018 zu gewaltlos.de gekommen. Sie hat lange<br />
gebraucht, um mit uns über ihre SituaCon sprechen zu können.<br />
Sie haqe große Angst, jemand könne herausfinden, dass sie<br />
„spricht“, was schlimme Konsequenzen für sie und geliebte<br />
Menschen häqe. Auch wollte sie mich als ihre Beraterin<br />
schützen, weil alle „Mitwisser“ beseiCgt werden - so wurde es ihr<br />
angedroht und in Ihrer Vergangenheit auch demonstriert.<br />
1 Der Name „MARINA“ ist ein frei erfundener Name, der gesamte Beratungsverlauf ist<br />
ein Beispiel für viele Fallverläufe und beschreibt keinen Einzelfall.<br />
MARINA wurde als Kind in eine Sekte hineingeboren. Ihre Eltern<br />
gehören einer extremen Glaubensrichtung an und erzogen<br />
dementsprechend auch die Kinder. Schon als Kleinkind erinnert sie<br />
massive Gewalt und Angst, um ihre „Pflichten zu erlernen“. Rechte<br />
haqe sie in ihrer Stellung innerhalb der Sekte keine. Diese musste<br />
sie sich durch besCmmte Handlungen, absolutem Gehorsam und<br />
Verschwiegenheit erarbeiten.<br />
MARINA ging als Kind ganz normal in den Kindergarten und später<br />
zur Schule. Sie hat alles versucht, um dort nicht aufzufallen. Mit<br />
anderen Kindern durIe sie nicht spielen, das war ihr verboten und<br />
stärkte ihr eigenes Gefühl, nicht dazu zu gehören. Sie selbst ging<br />
gerne zur Schule, da sie dort einfach „sein“ durIe, ohne etwas<br />
dafür tun zu müssen. Vor den Wochenenden haqe sie enorme<br />
Angst. Alle Sektenmitglieder trafen sich regelmäßig, viele<br />
Mitglieder waren Männer und sie erlebte „schlimme Dinge“. An<br />
Schlafen war häufig nicht zu denken, oI gingen diese Treffen die<br />
ganze Nacht lang.<br />
MARINA wurde missbraucht, gefoltert, geschlagen. Sie selbst war<br />
Opfer, musste später als Jugendliche selbst zur Täterin werden. Sie<br />
wurde gezwungen, sich zu prosCtuieren, um für ihr Essen, ihre<br />
Kleidung - für ihr „Dasein“ bezahlen zu können. Sie musste für Ihre<br />
Existenz bezahlen und sich diese in der GlaubensgemeinschaI<br />
„verdienen“.<br />
Die massiven Gewalterfahrungen durch Verbrennungen, Schniqe,<br />
Triqe etc. haqen zur Folge, dass sie heute körperlich sehr<br />
eingeschränkt ist und unter starken Schmerzen leidet. Ihre<br />
Verletzungen wurden immer nur notdürIig versorgt, damit kein<br />
öffentlicher Arzt aufgesucht werden musste. Viele Heilungsprozesse<br />
fanden somit unzureichend bis gar nicht staq.<br />
Der Druck und das Verbot über die GlaubensgemeinschaI zu<br />
sprechen war und ist auch heute noch sehr präsent. Menschen<br />
wie MARINA, die Opfer ritueller Gewalt wurden, sind häufig<br />
schwer traumaCsiert. Sie leben in der Regel allein und<br />
zurückgezogen. Jeder Kontakt nach Außen nährt die innere Angst,<br />
andere in Gefahr zu bringen. Zu oI mussten sie schwören, ihr<br />
Geheimnis und ihre Loyalität zu wahren, die GlaubensgemeinschaI<br />
nicht zu verraten. Andernfalls wären sie selbst<br />
Schuld, wenn den Menschen, denen sie darüber berichten etwas<br />
Schlimmes passiert. Auch wenn MARINA inzwischen immer<br />
wieder versucht, sich von der GlaubensgemeinschaI zu<br />
eneernen, sich zu verstecken und ihren Aufenthaltsort wechselt,<br />
wird sie immer wieder gefunden. Sie wird an Ihr Schweigegebot<br />
unter Androhung von Gewalt „erinnert“, mit Anrufen, Mails und<br />
SMS wird sie bis heute bedroht. Ihre Telefonnummer hat sie<br />
schon mehrfach gewechselt, sie wurde aber immer wieder<br />
herausgefunden.<br />
Ziel unserer Beratung ist es, Vertrauen aufzubauen und die<br />
KlienCn vor Ort an geeignete Hilfeangebote wie beispielsweise<br />
eine*n erfahrene*n Therapeut*in anzubinden. Dieser Prozess ist<br />
sehr langwierig und mit vielen Kontaktunterbrechungen<br />
verbunden. Trotzdem nimmt sie immer wieder zu uns Kontakt auf<br />
und versucht in ihrem eigenen Tempo und mit den vorhandenen<br />
Ressourcen, ein gewalereies Leben zu gewinnen.<br />
Eine unserer Mitarbeiterinnen hat sich auf das Themenfeld spezialisiert.<br />
„Rituelle Gewalt ist eine Form planmäßiger und systemaGsch ausgeführter<br />
körperlicher und psychischer Gewalt. Sie wird in Gruppierungen ausgeübt, die<br />
ihre Handlungen in ein Glaubenssystem einbe3en oder ein Glaubenssystem<br />
vortäuschen.<br />
Die TraumaGsierung der Opfer kann dissoziaGve IdenGtätsstörungen zur Folge<br />
haben. (…) Einige Berichte über Fälle ritueller Gewalt, hauptsächlich im Umfeld<br />
von Satanismus werden auf Erinnerungsverfälschung, suggesGve<br />
Befragungstechniken und reißerische Berichtersta3ung der Medien<br />
zurückgeführt.“<br />
Quelle: h3ps://de.wikipedia.org/wiki/Ritual<br />
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