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Janusz Korczak - ein Pädagoge aus Leidenschaft

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TITEL<br />

6<br />

Schule der Person -<br />

<strong>ein</strong>e provokante Vision<br />

Lehrertag - <strong>ein</strong>e gekürzte Nachlese<br />

"Wer war er, als er in den Tabakladen ging. Und wer, als<br />

er wieder her<strong>aus</strong> kam?" Die Frage in Pessoas Gedicht<br />

"Tabakladen" berührt das Wesen der Geschichte <strong>ein</strong>es<br />

Menschen. K<strong>ein</strong>e Begegnung, k<strong>ein</strong> Vorgang so banal und<br />

vordergründig, so zufällig und marginal er ersch<strong>ein</strong>en<br />

mag, lässt uns unbehelligt. Für <strong>ein</strong>en Raucher wie Pessoa<br />

es war, mag der kurze Moment im Zigarettenladen <strong>ein</strong><br />

Augenblick existenzieller Beruhigung s<strong>ein</strong>. Für <strong>ein</strong> Kind,<br />

das täglich viele Momente - im Vergleich zum Kauf <strong>ein</strong>er<br />

Zigarette - <strong>ein</strong>e Ewigkeit in der Schule verbringt, ist diese<br />

Zeit mehr als nur <strong>ein</strong> Moment. Sie tangiert den ganz kl<strong>ein</strong>en<br />

oder heranwachsenden Menschen nicht nur, sie prägt<br />

ihn.<br />

Was geschieht in dieser Zeit? Wir wissen es kaum. Welche<br />

Bilder, angeregt durch unserer Lehrerhandeln vor den<br />

Augen und Seelen sich bilden, welche gedanklichen Verknüpfungen<br />

sich ereignen, welche Gefühle aufsteigen und<br />

sich wieder verlieren, was bedeutsam wird oder sich wieder<br />

verflüchtigt, was in den Menschen vor uns jenseits der<br />

rationalen Kontrolle geschieht, wer vermag es zu erahnen.<br />

Und doch knüpft sich gerade dort und weniger in den<br />

nachprüfbaren Reduktionen unserer Wissensvermittlung<br />

<strong>ein</strong> myzenisches Gewebe, das <strong>ein</strong>mal die Personalität dieser<br />

Individuen vor uns <strong>aus</strong>machen wird.<br />

I. BILDUNG ALS PRAGMATISCHE VER-<br />

MITTLUNG NOTWENDIGER KENNTNISSE<br />

Zurecht haben die Konzepte der Schulen auf diesen untergründigen<br />

Prozess wenig Rücksicht genommen. Wenn<br />

überhaupt haben sensible <strong>Pädagoge</strong>n und aufmerksame<br />

Lehrer diese hintergründige Wirksamkeit schulischen<br />

Geschehens bei <strong>ein</strong>zelnen Schülern wahrgenommen.<br />

Schule hat bislang noch selten den inneren Menschen und<br />

s<strong>ein</strong>e Bildung in den Blick genommen - und rechtfertigend<br />

sei angemerkt in den Blick nehmen können. Öffentliche<br />

Schule, <strong>ein</strong>e Schule für alle, ist anders als der private<br />

H<strong>aus</strong>unterricht vom Anfang der abendländischen Schulgeschichte<br />

an <strong>ein</strong> soziologisches Modell von Schule, <strong>ein</strong>e<br />

Einrichtung für die Zwecke der Gesellschaft und nicht oder<br />

zumindest weniger <strong>ein</strong> Modell für die Formung der Person<br />

als solche. Ein Blick auf die pädagogisch reflektierten Aussagen<br />

über den Zweck von Schule, über die Motive, die<br />

Schule begründen, macht erhellend deutlich: der Schüler<br />

ist durch Schule <strong>aus</strong>zurichten auf die Ideen und Bedürfnisse<br />

des Staates, der Religion, der Gesellschaft. Schule ist<br />

zu allererst <strong>ein</strong>e Einrichtung zur Anpassung, besser zur<br />

Einpassung des jungen Menschen in s<strong>ein</strong>e Umgebung. Die<br />

ersten Schultheoretiker des Abendlandes, die Sophisten,<br />

formulieren dies bereits mit unüberbietbarer Deutlichkeit:<br />

Nur der Mensch gilt als erzogen und gebildet, der die politischen<br />

Tugenden der attischen Polis verkörpert und die<br />

für diesen Staat geforderten Kenntnisse und Fähigkeiten<br />

besitzt. Erziehungsziel ist der kompetente, gesellschaftlich-politisch<br />

erfolgreiche Staatsbürger. Der Unterricht hat<br />

die Schüler zu qualifizieren, indem er ihnen jene Kompetenzen<br />

verschafft, die es ihnen ermöglichen, <strong>ein</strong>en<br />

bestimmten Platz in der Polis <strong>ein</strong>zunehmen. Unser<br />

modernes Wort "Schlüsselqualifikationen" illustriert die<br />

Vorstellung von Schule damals wie heute.<br />

Bildung wird damals wie heute auf den Erwerb von Fähigkeiten,<br />

Kenntnissen und Wissen reduziert. Auf dieser antiken<br />

Tradition baut das mittelalterliche Bildungssystem<br />

ebenso auf wie die moderne Schultheorie. Die "septem<br />

artes", der Lehrplan der karolingischen Schule, dient als<br />

Grundlage <strong>ein</strong>er effizienten, politischen Sicherung des<br />

Reiches durch <strong>ein</strong>e dieses Reich tragende Bildungsschicht.<br />

Bei Luther wird die Schule zur Einrichtung der Erneuerung<br />

des Glaubens durch das Lesenkönnen und damit des eigenen<br />

Verstehens der Bibel. Die Einführung der allgem<strong>ein</strong>en<br />

Schulpflicht in Deutschland durch Friedrich II wird in<br />

<strong>ein</strong>em Kabinettschreiben von 1779 wie folgt begründet:<br />

Dass die Schulmeister auf dem Lande die Religion und die<br />

Moral den jungen Leuten lehren, ist recht gut, und müssen<br />

sie davon nicht abgehen, damit die Leute bei ihrer<br />

Religion hübsch bleiben und nicht zur katholischen übergehen<br />

(…) darum müssen sich die Schulmeister Mühe<br />

geben, dass die Leute Attechment zur Religion behalten<br />

und sie soweit bringen, dass sie nicht stehlen und nicht<br />

morden." (Weigand Gabriele, Schule der Person, S129).<br />

Kant erweitert diesen moralischen Anspruch, wie wir wissen,<br />

durch s<strong>ein</strong> Primat des allgem<strong>ein</strong>en Wohls vor dem<br />

individuellen Glück und gibt der Schule damit <strong>ein</strong>en<br />

akzentuierten moralisch-gesellschaftlichen Auftrag.<br />

Ich möchte die lange Aus<strong>ein</strong>andersetzung seit Herbart,<br />

Schleiermacher oder Humboldt über die Unver<strong>ein</strong>barkeit<br />

von öffentlicher Schule und Bildung der Person, die bis<br />

heute nicht vollkommen <strong>aus</strong>gestanden ist, nicht weiter<br />

vertiefen.<br />

Soviel aber ist festzuhalten und bewusst wahrzunehmen:<br />

Staatlich verantwortete Schulen haben immer - das gilt<br />

auch für Schulen in demokratisch verfassten Gesellschaften<br />

- <strong>ein</strong>en Auftrag, die jungen Menschen für ihre Verwendbarkeit<br />

in diesen Gesellschaft und heute vor allem in<br />

der Wirtschaft vorzubereiten oder brauchbar zu machen.<br />

Dafür sind sie geschaffen. Unsere PISA-Tests und Standardprüfungen<br />

verfolgen erkennbar dieses Ziel.<br />

1.1 Normierte Strukturen<br />

Ungeachtet aller Refomversuche bis hin zur Übernahme<br />

von Elementen der Reformpädagogik haben sich aber<br />

klassifizierten Strukturen der Schule als Ordnungs- und<br />

WIENER LEHRERZEITUNG | MÄRZ / APRIL 2008

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