Janusz Korczak - ein Pädagoge aus Leidenschaft
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TITEL<br />
8<br />
Wenn ich diese zugegebenermaßen sehr theoretischen<br />
Aussagen der Person noch <strong>ein</strong>mal auf den Begriff bringen<br />
wollte, so würde ich sie so fassen.<br />
Personwerden als LEBENSAUFGABE<br />
Der Mensch ist der AUTOR SEINES LEBENS<br />
Der Mensch steht in<br />
BEZIEHUNG und in VERANTWORTUNG<br />
Die UNVERFÜGBARKEIT der Person (Geheimnis).<br />
Diese Sätze zum Grundsatz der Schule zu machen bedeutet,<br />
Schule wieder den pädagogischen Ansprüchen aufzutun<br />
und gegen alle Fremdbestimmung und Verzweckung<br />
zu behaupten.<br />
Hier wird die Bruchstelle der zukünftigen Verständnisse<br />
von Schule sichtbar. Aus dieser Vorstellung <strong>ein</strong>er Schule<br />
"der Person" folgert k<strong>ein</strong>eswegs die Abschaffung der<br />
öffentlichen Schule und die Gründung <strong>aus</strong>schließlich privater<br />
Einrichtungen.<br />
Wohl aber folgert, wie wir im Folgenden sehen werden,<br />
<strong>ein</strong>e Selbstbeschränkung des Staates auf Rahmenbedingungen,<br />
Lehrpläne und Ordnungen, wie wir sie z. T. in den<br />
skandinavischen und angelsächsischen Länder vorfinden.<br />
Die zweite Vermutung oder Annahme, diese Focussierung<br />
der Schule auf das pädagogische Primat führt zum Verlust<br />
von Qualität, dürfte selbst unter dem Gesichtspunkt des<br />
Standarddenkens irrig s<strong>ein</strong>, wenn das Basiswissen, das<br />
alle zu erreichen haben, normativ angefordert wird.<br />
Augustinus sagt weiter: "Lernen ist nicht <strong>ein</strong> passives<br />
Empfangen, sondern <strong>ein</strong> aktives Fürwahrhalten, Fürwerthalten<br />
und Fürschönhalten; Lehren ist nicht <strong>ein</strong> Vermitteln<br />
von Kenntnissen und Inhalten, sondern der Anstoß zum<br />
Selber-Glauben und zu <strong>ein</strong>er Einsicht; "…überhaupt ist<br />
Erziehung nicht Fremdgestaltung, sondern Selbstgestaltung<br />
der Person durch Einsicht, Wahl und Entscheidung".<br />
3.2 Das Eigene als Ziel von Persons<strong>ein</strong><br />
Ich vermute, <strong>ein</strong> Initiationsweg zum Erwachsenen, der<br />
s<strong>ein</strong> Eigenes gefunden hat, bleibt k<strong>ein</strong>em in k<strong>ein</strong>em<br />
Lebensbereich erspart. Das Ergebnis aber ist der Schlüssel<br />
zu <strong>ein</strong>em neuen Lebens- oder Berufsverständnis. Auf den<br />
Schüler bezogen heißt dies: sich entdecken lernen mit s<strong>ein</strong>en<br />
Möglichkeiten und Grenzen. Auf den Lehrer bezogen<br />
heißt es vor allem, um<br />
sich selber wissen,<br />
”Wer führen will, muss sich zuvor um andere zu sich<br />
selbst erzogen haben”<br />
führen zu helfen..<br />
S<strong>ein</strong>e eigenen Stärken<br />
und Schwächen<br />
erkannt zu haben. Benedikt von Nursia sagt in s<strong>ein</strong>er<br />
Abtsregel: Wer führen will, muss sich zuvor selbst erzogen<br />
haben.<br />
Förderung ist in m<strong>ein</strong>em Verständnis viel weniger <strong>ein</strong>e<br />
Frage methodischer Raffinesse oder struktureller Besonderheiten.<br />
Es ist im eigentlichen Sinne das Zulassen des<br />
Eigenen in den Kindern, mit denen wir es zu tun haben.<br />
Lehrer, die sich in diesem Bereich engagieren, sind häufig<br />
Experten <strong>ein</strong>er gekonnten Unterrichtspraktik. Sie müssen<br />
mehr noch als dieses Experten s<strong>ein</strong>. Experten des Zulas-<br />
sens, Annehmens, der Bejahung s<strong>ein</strong>. Kinder bejahen,<br />
weil sie außergewöhnlich oder schräg sind, das ist nicht<br />
wenig. Es erfordert zuerst, mit s<strong>ein</strong>er eigenen Besonderheit<br />
im R<strong>ein</strong>en zu s<strong>ein</strong>.<br />
<strong>Korczak</strong> nannte s<strong>ein</strong>e Kinder/Schüler häufig "m<strong>ein</strong>e Eigenen".<br />
Das ist <strong>ein</strong>e ambivalente, auch falsche Bezeichnung.<br />
Sie sind eigen und gehören sich doch oft, häufig sogar,<br />
noch nicht selbst. Sie vergleichen sich, erleben sich<br />
abweichend, erfahren sich anders oder nicht ganz dazugehörig,<br />
erleiden sich deswegen. Sie sind "auffällig". Auch<br />
dieses Wort entbehrt nicht <strong>ein</strong>er interessanten Ambivalenz.<br />
(Auffällig geworden s<strong>ein</strong> ist etwas anderes als auffallen,<br />
her<strong>aus</strong>ragen <strong>aus</strong> der Menge.)<br />
Wenn ich mit Ihnen in diesem Sinne arbeite erlebe ich<br />
Ähnliches. Ich gehöre mir nicht mehr, wie ich mir lange<br />
Jahrzehnte als Lehrer "gehört" habe, weil ich m<strong>ein</strong>e Prinzipien<br />
und m<strong>ein</strong>e Verhaltensmuster als Lehrer "durchzusetzen"<br />
gewohnt war. Personalisierender Untericht geht<br />
wesentlich vom Gegenüber, vom Kind <strong>aus</strong>. Das fordert<br />
etwas anderes als die Durchdringung der Klasse mit m<strong>ein</strong>en<br />
Erwartungen.<br />
Im Kontext unserer Schulen, die bestimmt sind von den<br />
schon beschriebenen Mustern: Klasse, Gleichheit, Nachahmung,<br />
Belohnung des guten Nachahmens werde ich selbst<br />
auffällig.<br />
Genau hier ist auch die Sollbruchstelle des Neuen, vielleicht<br />
sogar der erneuerten Schule der Zukunft. Aber<br />
genau in diesem Wartezustand zwischen "so war es" und<br />
"so könnte es <strong>ein</strong>mal s<strong>ein</strong>" (dem Theologen fällt hier die<br />
theologische Chiffre vom kommenden Reich Gottes <strong>ein</strong>,<br />
<strong>ein</strong> superber Vergleich!) ersch<strong>ein</strong>t die Matuya der neuen<br />
Identität m<strong>ein</strong>er Lehrerrolle, jener Ton an Eigenartigkeit,<br />
in dem auch die Frage <strong>ein</strong>e Antwort finden kann: Was soll<br />
ich, der ich so bin?<br />
Dieser Prozess der Randhaftigkeit macht mir mehr und<br />
mehr auch buchstabierbar, worin der Kern des Christlichen<br />
im Lehrerberuf und in unseren Schulen offenbar<br />
werden könnte. In der Annahme des Eigenen, in der auf<br />
diese Weise akzeptierten Personalität, die ja auch <strong>ein</strong>e<br />
Schöpfungseigenheit ist, liegt die Berufung, wenn wir dieses<br />
große Wort dafür in Anspruch nehmen wollen. Und<br />
Berufung hat mit Evocation zu tun, her<strong>aus</strong>rufen. Auch hier<br />
tauchen wieder die Anklänge <strong>aus</strong> den biblischen Heilungswundern<br />
auf. Komm her<strong>aus</strong> <strong>aus</strong> d<strong>ein</strong>er Blindheit! So<br />
gesehen ist der Lehrer immer schon, ich denke an das<br />
sokrateische Prinzip der Hermeneutik <strong>ein</strong> Lockender, nicht<br />
<strong>ein</strong> prophetisch Hinr<strong>ein</strong>brüllender.<br />
Was würde geschehen, wenn wir dem Eigenen, der Personalität<br />
in unserem Lehrerhandeln und Schulgestalten<br />
<strong>ein</strong>en besonderen Rang <strong>ein</strong>räumen wollten? Wenn das<br />
Eigene, die besondere Lösung <strong>ein</strong>en höheren Rang erhielte<br />
als das Nachgesagte und Nachgetane, wenn das Lernen<br />
des Einzelnen, s<strong>ein</strong> Tempo und s<strong>ein</strong>e Leistungshöhe <strong>ein</strong>e<br />
Überlegung wert wäre im Prozess der Normschule. Dann<br />
könnte <strong>ein</strong>e Kultur entstehen, von der ich manchmal träume,<br />
in der die Unterschiedlichkeit der Menschen als Chance,<br />
als Reichtum gar und nicht als Bedrohung erfahren<br />
werden könnte. Allerdings auf <strong>ein</strong>e andere Weise anstrengend<br />
wird diese Schule werden.<br />
WIENER LEHRERZEITUNG | MÄRZ / APRIL 2008