Zielgerichtet in den Tod - Anleser Erwachen in den Slums von Manila
Journalist Steffen Raupner wurde überfallen und schwer verletzt. In diesem Anleser werden Szenen in den Slums von Manila dargestellt, nachdem er erwacht.
Journalist Steffen Raupner wurde überfallen und schwer verletzt. In diesem Anleser werden Szenen in den Slums von Manila dargestellt, nachdem er erwacht.
- Keine Tags gefunden...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Anleser: Manila Squatters
1
Dieser Anleser stellt ein paar Situationen in den
Slums von Manila dar. Nach einem Überfall erwacht
Journalist Steffen Raupner in der für ihn fremden,
wenn nicht sogar befremdlichen Umgebung.
Wer Lust hat das ganze Buch zu lesen findet es bei
allen Buchhandlungen im Internet oder im Geschäft.
Hier nur eine Option es zu kaufen:
https://www.epubli.de/suche?q=Stefan+Ammon
Viel Spaß beim Lesen!
2
Kapitel 9
Bin ich jetzt im Himmel oder bin ich in der
Hölle? Steffens Kopf dröhnte, und er fühlte sich wie
in einem irrationalen Traum. Es war heiß, und von
irgendwo schrammelte laute Musik, zu der eine helle
Frauenstimme, die kaum einen Ton traf, voller Hingabe
sang. Außerdem hörte Steffen Stimmen, die in
einer ihm nicht bekannten Sprache diskutierten.
„Hey, are you awake na? Hey Sir. Did you hear me
po?“
Steffen begann zu vermuten, dass er nicht tot war
und versuchte, die Augen zu öffnen. Es war nicht
sehr hell – eher schummrig – aber trotzdem fühlte
sich Steffen geblendet und benötigte einige Zeit, um
ein einigermaßen klares Bild zu bekommen. Eine
junge Frau hatte zu ihm gesprochen, eine weitere
schaute interessiert zu, während sie geräuschvoll
einen Kaffee schlürfte. „Was ist das für eine Musik?
Könnt ihr das abstellen?“
Die Kaffee schlürfende Frau stellte ihren Kaffee bei
Seite, kam näher und fragte „Ano daw?“ Steffen
fragte sich, was das bedeutete, dann wurde es wieder
3
dunkel vor seinen Augen. Musik und Frauen verschwanden.
**** hier wird ein bisschen übersprungen ****
Das Mädchen, das auf der Bettkante von Steffen saß
und ihm das Gesicht wusch, sprang erschrocken auf,
wich einen Schritt zurück und rief „Ate, halika na.
Gising na sya“. Sie sprach kurz mit einer heran eilenden
jungen Frau, die dann ihre Hand auf Steffens
Stirn legte: „Welcome to the Philippines. Are you ok
na? We did not get your shades, po. Promise.“
Steffen sah sich irritiert um. Der Raum, in dem er
sich befand, war klein und scheinbar noch im Rohbau.
Die Wände aus Stein waren nicht verputzt, und
das einzige kleine Fenster im Zimmer war mit Metallstäben
vergittert. Die spärliche Einrichtung bestand
aus einem grauen Plastikschrank mit hellblauen
Türen, einem zweiflammigen Gaskocher und einem
Regal, ebenfalls aus Plastik und vollgestellt mit bunten,
zum Teil schmutzigen Kuscheltieren aller Art.
Außerdem standen weiße Plastikstühle in einer Ecke
gestapelt, und neben dem Regal befand sich ein
Lautsprecher aus dem laut und schrill Musik ertönte.
Es war heiß, und Steffen genoss jeden Luftzug, der
ihn streifte, wenn ein klappernder, hin- und her
schwenkender Ventilator in seine Richtung pustete.
4
Er selbst lag auf einem alten, abgenutzten Stoffsofa,
dessen Blau nun eher zu einem Grau geworden war.
„Sir, are you ok, Sir?“ Steffen kam immer mehr zu
sich und begann, seine Beine zu kratzen, die unerträglich
juckten.
„Where am I? Who are you?“ stammelte er und wartete
darauf, aus diesem Traum zu erwachen. „I‟m
Cen and this is my sister Arlene, po Sir. You are in
the Philippines, po.” Sie lächelte, nahm seine Hände
und presste sie zärtlich: “Don‟t scratch your legs.“
Sie lachte. „Yes, the mosquitos love you so much
coz you are so very sweet. Sorry, no money for Off-
Lotion”. Cen war sehr zierlich, hatte eine hellbraune
Haut und mittellange schwarze Haare. Ihr Gesicht
war schön mit großen aufmerksamen Augen und
einem kleinen Mund mit üppigen Lippen. Wenn sie
lachte, zeigten sich strahlend weiße Zähne und eine
silberne Zahnspange. Ihre Nase war sehr klein und
flach, was ihrem Gesicht ein fast kindliches Aussehen
gab. Steffen schätzte sie auf Mitte zwanzig und
der Blick in ihr lächelndes, etwas verunsichert scheinendes
Gesicht, beruhigte ihn. „Im so hungry“, sagte
er. „So very hungry“.
Arlene fütterte ihn mit einer Suppe, in der sich jede
Menge Reis befand, außerdem fettes Fleisch, Kno-
5
chen und gerösteter Knoblauch. In der Mitte der
Schale war ein gekochtes Ei, von dem ihm Arlene
immer wieder ein Stück mit auf den Löffel gab.
„It„s Lugaw, Sir. Sarap? What‟s your name, Sir? How
old are you? Do you have a wife?“ Arlene fragte viel,
aber Steffen war damit beschäftigt, die Suppe langsam
vom Löffel zu schlürfen und hatte keine Zeit, all
ihre Fragen zu beantworten. Arlene lächelte permanent
und manchmal lachte sie laut und herzlich. Cen,
die auf dem Boden saß, lachte dann mit. Sie schienen
die ganze Zeit zu scherzen. Arlene war etwas molliger
als Cen und vielleicht siebzehn Jahre alt. Ihr Gesicht
war perfekt schön, ihre strahlenden Augen
fesselten Steffen, und er fühlte sich gut aufgehoben.
Arlene, hatte den gleichen üppigen Mund wie Cen,
aber ihre Nase war etwas größer.
„Are you single, Sir?“ Arlene setzte ihre Fragerunde
fort. „Ai! Kulit mo“, sagte Cen streng, kicherte aber,
und Arlene lachte ebenfalls herzhaft. „Sorry po. She
is so kulit“, sagte Cen zu Steffen gewandt, der sich
noch fragte, was kulit sei und dann wieder zurück in
einen tiefen Schlaf fiel.
Als er das nächste Mal erwachte, war es Nacht. Eine
Glühbirne ohne Lampenschirm brannte an der Decke,
und Steffen sah, dass Arlene und Cen auf dem
6
Boden neben seinem Sofa lagen und schliefen. Es
war immer noch sehr heiß, und draußen regnete es
in Strömen. Vermutlich war es der Regen, der ihn
geweckt hatte, denn er prasselte lärmend auf das
Dach des Hauses. Steffen registrierte jetzt, dass es
keine Zimmerdecke gab. Über ihm befand sich direkt
das Dach aus Metallplatten, und in einer Ecke
des Raumes tropfte der Regen durch ein Loch im
Dach in einen Eimer. Steffen erinnerte sich, dass es
bei seiner Ankunft in Manila ebenfalls stark geregnet
hatte.
*********Hier machen wir einen
Sprung von 10 Kapiteln ;) *******
7
8
Kapitel 19
Cen hatte ihm erzählt, dass sie Single sei,
aber drei Söhne habe. Arlene hatte ebenfalls einen
Sohn und lebte mit einem Mann zusammen, der
Reinigungskraft in einer Bank war. Bei Cen war Arlene
nur geblieben, um ihr zu helfen, Steffen zu pflegen
und war jetzt, nachdem es ihm besser ging, wieder
zurück zu ihrer Familie gegangen. Zumindest
was Cen betraf, schienen die Angaben nicht ganz zu
stimmen, denn Steffen hörte ihr heftiges, wenn auch
unterdrücktes Stöhnen aus einem Raum, in den sie
sich zurückgezogen hatte.
Es ging ihm schon viel besser heute, und so setzte er
sich auf und versuchte zum ersten Mal, die Beine vor
dem Sofa auf den Boden zu stellen. Das gelang ihm
gut, er verspürte jedoch einen heftigen Schmerz in
der Brustgegend und jammerte laut. In einem Wandspiegel
konnte sich Steffen zum ersten Mal sehen
und betrachtete seinen Körper. Er war nackt bis auf
seine Unterhose. Vor allem sein Oberkörper war
übersät mit blauen und grünen Flecken. Unterhalb
der Brustwarzen war unprofessionell ein schmuddeliger
Verband angebracht worden. Steffen meinte
einen Fremdkörper in seinem Mund zu spüren. Er
stand mühsam auf, fiel auf die Knie und robbte auf
allen Vieren zu dem Spiegel. Hier öffnete er den
Mund und sah, dass einer seiner Schneidezähne abgebrochen
war und der Rest schief im Kiefer steckte.
Zum ersten Mal kamen die Erinnerungen an das
Geschehene zurück. Es war alles noch da. Steffen
hatte es für ein paar Tage verdrängt und erst jetzt
begann sein Gehirn, wieder zu arbeiten und Fragen
zu stellen.
Die Tür öffnete sich, und Cen trat in den Raum. Sie
war sichtlich erschrocken, eilte zu Steffen und half
ihm zurück aufs Sofa. „What are you doing?“ sagte
sie vorwurfsvoll, bedeckte mit einem verschämten
Lächeln Steffens Unterkörper mit dem dünnen Bettlaken,
das auf dem Sofa lag und presste die Hand auf
seine Stirn. „Good. No fever anymore. I´m a good
doctor, eh“. Sie strahlte Steffen an. „You are beautiful,
Cen“. Steffen wusste nicht, warum er das sagte.
Er sprach einfach aus, was er dachte. Cen lachte.
„Hahaha. Maybe still fever. But thank you, Sir.“
„Cen, why am I here? What happened? Who are
you?” Cen blickte ihn sorgenvoll und fürsorglich
zugleich an und begann zu erzählen.
Früh morgens vor drei Tagen hatten sie und ihre
Schwester ihre Mutter besuchen wollen, die nah der
Zabarte Road wohnte, die in Richtung SM Fairview
führte. Kurz bevor sie das Haus erreicht hatten,
musste Arlene dringend pinkeln, und sie war auf ein
9
an der Straße liegendes Feld mit hohen Büschen
gelaufen, um sich dort zu erleichtern. Cen hatte sie
begleitet und sich hingehockt, um auf ihre Schwester
zu warten, als ein weißes Taxi vorbeigefahren war,
die Tür aufgestoßen hatte und Steffen aus dem Wagen
gefallen war. „A gift of God“, sagte Cen leise,
was Steffen nicht begriff. „We called my bro and
brought you to our mom. Wow – you are so heavy“.
Ihre Mutter hatte dann einen Heiler hinzugerufen,
der Steffen für tot erklärt und fünfzig Pesos kassiert
hatte. Cen wurde jetzt sichtlich nervös und stockte
beim Weitererzählen. „Hm – we did not know what
to do, po. Maybe the police think we killed you“ fing
sie an und führte aus, dass sie darüber nachgedacht
hatten, Steffen in ein Krankenhaus zu bringen, aber
Angst vor den Kosten hatten, die man von ihnen
verlangen würde. Also hatten sie sich entschlossen,
den toten Körper wieder zurück auf die Felder zu
schmeißen.
„We searched for money in your pockets“. Cen
senkte den Kopf. „Sorry po, but we are poor“. Tatsächlich
hatten sie knapp eintausendfünfhundert
Pesos in seinen Hosentaschen gefunden. Die Halunken,
die Steffen zusammengeschlagen hatten, waren
offensichtlich nicht auf Geld aus gewesen. Als sie
Steffen umgedreht hatten, um in die hinteren Taschen
zu schauen, war es passiert. Steffen hatte den
10
Kopf beweg und gestöhnt. „We were so shocked“.
Cen starrte ihn mit großen Augen an. „We did not
like to throw you. That‟s why at night we bring you
here.“ So war Steffen aus Angst vor Kosten und
Fragen der Polizei auf einem geliehenen Tricycle in
Cens Haus gebracht worden.
Alle waren sich sicher gewesen, dass Steffen sterben
würde. Aus seinem Mund war Blut gesickert, und er
hatte eine Stichwunde in der Brust. Nach seinem
Tod, so Cen, hätte man ihn dann irgendwo vergraben.
„But god is watching us, po“, sagte Cen und aus
dieser Gottesfurcht heraus hatten sie beschlossen,
ihn zu behandeln.
„You gave me Pesos, so I gave you my medicine“,
lachte Cen und zeigte auf mehrere, leere Fertignudel
– Becher, die auf einem kleinen Tisch neben dem
Sofa stand. In diesen befand sich eine ansehnliche
Ansammlung von Medikamenten. Steffen sah sie
sich an. Das meiste waren Antibiotika, hauptsächlich
Cefalexin, aber auch Amoxicillin, dann Paracetamol,
ein paar Vitaminpräparate, mehrere Medikamente,
die Steffen nicht zuordnen konnte und – er staunte
nicht schlecht –Antibabypillen. „We gave you one of
this and one of this every six hours and then this one
once a day.” Cen war sichtlich stolz auf ihren Behandlungserfolg.
„Why do you have all this drugs?“
11
„UTI“, sagte Cen nüchtern und erläuterte, dass sie
immer wieder unter Entzündungen der Blase und
des Urinaltrakts litt. Die Antibiotika setzte sie mit
Einsetzen der Besserung ab, so dass sich im Laufe
der Zeit eine Menge an Restbeständen angesammelt
hatte.
Tatsächlich hatte dieser nachlässige Umgang mit den
Antibiotika Steffen das Leben gerettet. Unabhängig
von der Richtigkeit der Dosierung und davon ob er
zwischendurch auch mal eine Antibabypille bekam.
Sie hatten die Tabletten zerstampft, in Wasser aufgelöst
und sie Steffen langsam in den Mund geträufelt.
Sein Schluckreflex hatte anscheinend funktioniert. Er
hatte überlebt.
Steffen sah sich vergeblich nach seinen Shorts um.
Auf Nachfrage erfuhr er, dass sie seine Kleidung
gerade gewaschen hatten und sie sich auf der Wäscheleine
befand. „And where is my belt?“. „Here
po“. Cen öffnete den blauen Plastikschrank und
reichte Steffen den Gürtel. „Why you need a belt?
No shorts ha?“ Steffen nahm den Gürtel in die Hand
und fühlte die Erhebungen im Leder. Das Geld war
eindeutig noch da.
12
Dass sich die fünfzehntausend Pesos immer noch in
seinem Gürtel befanden, freute Steffen, beunruhigte
ihn aber auch. Die brutalen Typen wollten seinen
Tod, nicht aber sein Geld. Das bedeutete, jemand
hatte ein Motiv, ihn zu töten und schreckte vor
nichts zurück, um dieses Ziel zu erreichen. Er dachte
an die eindeutigen Worte von Vosse. „Vergessen Sie
Frau Valenzuela“, hatte dieser gesagt, und Steffen
hatte es als eindeutige Drohung verstanden. Es war
unglaublich heiß in dem kleinen Raum und der
Schweiß rann seinen Körper entlang ohne dass Steffen
sich bewegte. „Can you turn on the electric fan,
please“ „Sorry po. Brown out”, antworte Cen und
zuckte mit den Schultern. “Brown out?” Cen erklärte
ihm, dass Stromausfälle auf den Philippinen als
„Brown out“ bezeichnet wurden und regelmäßig
vorkamen. Manchmal nur für wenige Minuten oder
Stunden, oft aber tagelang wurde die Stromversorgung
meistens ohne vorherige Ankündigung gekappt.
Für Cen war das normal. Steffen schwitzte. „No
electricity, no work“, lachte Cen und schnitt Bohnen
in einen Topf, in dem sich Wasser befand. Sie hatte
sich Steffen gegenüber als Cyber Girl geoutet und in
dem Raum, aus dem Steffen das Stöhnen gehört
hatte, befanden sich ein alter Acer Computer und
eine Webcam. Ansonsten waren in dem Raum nur
13
noch eine Decke auf dem Boden und ein übergroßer
Plüschteddybär, den Cen von einem Verehrer geschickt
bekommen hatte. Sie zog sich vor der Webcam
aus und machte, wie sie es ausdrückte, eine
„Show“ nach Wünschen ihrer zahlenden Kunden,
die meistens aus Deutschland, der Schweiz, Österreich
oder den USA kamen. Aber Cen hatte auch
japanische Kunden und ein paar Russen, die sie allerdings
nicht sehr mochte. Einige dieser Kunden
verliebten sich und machten Cen zu ihrer virtuellen
Freundin. Sie hofften, eines Tages mit ihr zusammen
zu leben, und Cen dachte sich fantasievoll Geschichten
aus, um die „Boyfriends“ dazu zu bewegen, ihr
Geld zum Lösen zahlreicher Probleme zu schicken.
Sie war gleich bei mehreren dieser Webcam - Seiten
als Model registriert und hatte neben ihren gewöhnlichen
Kunden derzeit vier Boyfriends. Steffen konnte
nicht verstehen, wie Cen diesen Job aushielt. Er
hatte Cen als eher schüchtern und zurückhaltend
erlebt. Sie glaubte an Gott und ihm gegenüber achtete
sie stets darauf, dass all ihre ansehnlichen Rundungen
immer bedeckt blieben. „It„s work only, po“,
hatte sie ihm erläutert. „It‟s my job“. Arlene arbeitete
nicht, aber eine weitere Schwester, die weiter entfernt
in Las Pinas wohnte, übte denselben Job aus.
Laut Cen arbeitete in Camarin, der Ort an dem Cen
lebte, und an dem Steffen sich derzeit befand, fast
jedes einigermaßen hübsche Mädchen vor der Web-
14
cam. Die meisten arbeiteten in sogenannten Studios,
weil sie sich keine eigenen Computer leisten konnten.
Sie bekamen nur einen Bruchteil des verdienten
Geldes ausgezahlt, das von den Webseitenbetreibern
an den Boss des Studios floss. „I´m lucky to have my
own“, lachte Cen. Im Moment wartete sie auf das
Geld eines ihrer Boyfriends, der es ihr ermöglichen
wollte, ein eigenes Studio mit mehreren Computern
und angestellten Girls zu betreiben. „Yes, I will be
rich, soon“, hatte Cen gesagt und gelacht.
Die Cybergirls von Camarin verdienten nicht
schlecht, hatten aber permanent Angst vor der Polizei,
die immer mal wieder Razzien durchführte, die
Computer beschlagnahmte und die Mädchen für
eine Zeitlang inhaftierte. Dabei ging das Gerücht
um, dass die Polizei auf dem Computer gefundene
Nacktaufnahmen der Mädchen im Internet veröffentlichte,
um andere von dieser Art auf den Philippinen
illegaler Beschäftigung abzuhalten. Für die
Mädchen war das nicht nur eine große Schande,
sondern vor allem auch der Verlust ihrer Einnahmen,
mit denen sie ganze Familien ernährten. „It‟s a
good job“, sagte Cen. „It‟s not bad. Why the Philippines
don‟t allow? Crazy.“ Tatsächlich gab es empfindliche
Haftstrafen für Betreiber von Cyber-
Studios und auch für die arbeitenden Damen, so sie
erwischt wurden. Steffen erfuhr von Cen, dass viele
15
Dinge auf den Philippinen verboten waren und hart
bestraft wurden. So zum Beispiel auch außereheliche
sexuelle Handlungen mit einem verheirateten Partner
oder der Besitz von pornografischen Bildern, wobei
sogar die Zeitschrift Playboy bereits als pornografisch
galt. Steffen erinnerte sich daran, auf dem
Markt in Baclaran Stände gesehen zu haben, wo
neben Action- und Horrorfilmen auch offen Kopien
harter Pornofilme verkauft wurden. Er hatte sogar
DVD-Cover mit Aufdrucken gesehen, die darauf
hinwiesen, dass es um Sex mit Tieren ging und fragte
sich, wie dieses System der Doppelmoral funktionierte.
16
Kapitel 20
Es war sein fünfter Tag in Cens Haus, und
Steffen fühlte sich immer noch schwach. Die
Schmerzen hatten nachgelassen, und er sehnte sich
auch aufgrund der drückenden Hitze im Haus nach
frischer Luft. Cen meinte, es sei nicht sicher für einen
Ausländer in Camarin. Das Gebiet war bekannt
für seine hohe Kriminalität, und täglich gab es Überfälle
und auch Morde. „It‟s near to squatters. Not
squatters, but near to squatters, po“. Trotz der Warnungen
bestand Steffen darauf, hinauszugehen. Cen
begleitete ihn, sichtlich verschämt gegenüber ihren
Nachbarn, die verblüfft aufschauten. Einige riefen
„Wow“ und kicherten. Andere starrten nur stumm
auf den weißen Riesen, der die kleine Straße vor
Cens Haus hinauf ging und sich interessiert umsah.
Das erste was Steffen auffiel, war die Masse von
Kindern, die überall zu sein schienen und in Gruppen
jeder Altersklasse auf den Straßen spielten,
Drahtzäune hoch klettern und mit einfachsten Spielzeugen
aus Holz oder Steinen Möglichkeiten fanden,
Spaß zu haben und begeistert zu lachen. Auf der
Straße hatten einige der Kinder ihre Slippers ausgezogen,
die sie jetzt mit geschickten Würfen nach
anderen Slippers warfen und dabei versuchten, diese
möglichst weit über die Straße zu schießen. Die Regeln
dieses Spiels verstand Steffen nicht, aber es
17
bereitete allen einen Heidenspaß. Die Kleinen
schrien vor Vergnügen, sprangen aufgeregt hin- und
her, schmissen sich auf den Boden, und einige sangen
wie im Chor einen englischen Song der Carpenters
mit erstaunlicher Textsicherheit. Als Steffen
vorbeiging riefen sie „Hey. Hey. What‟s your name?
What's up? Hey. Hey“. Steffen stoppte kurz, beantwortete
die Frage nach seinem Namen und fragte die
Kinder ebenfalls, wie sie hießen, was artig beantwortet
wurde, ehe man wieder in Lachen und Kichern
ausbrach.
Cen und Steffen setzten ihren Weg fort und kamen
an einen Platz, an dem es ein paar kleinere Geschäfte
gab, die allerlei Waren von Reis über Getränke bis
hin zu Süßigkeiten verkauften. An einer Seite des
Platzes war ein Basketballkorb aufgehängt und eine
Gruppe Jugendlicher spielte barfuß auf der asphaltierten
Fläche. Einige trugen ärmellose Trikots, auf
deren Rücken ein Spielername und eine Zahl standen.
Einer der Spieler rief Cen etwas zu, was sie
ignorierte und weiterging. Auch die anderen Spieler
hatten Cen und Steffen jetzt bemerkt, unterbrachen
ihr Spiel und schauten neugierig auf das seltsame
Paar. „Hey. What‟s up“ riefen auch sie. „How are
you doing, guys.?Isn‟t it too hot to play basketball?“
erwiderte Steffen, bekam aber keine Antwort, sondern
nur ein weiteres „Hey“. Er erkannte, dass sich
18
das Englisch sowohl der Kinder als auch der meisten
Jugendlichen auf die Worte „What„s up“, „What‟s
your name“ und „Where are you from?“ beschränkte.
„If you want to talk English find a girl“, lachte
Cen. “She knows English from her work”.
Cen kaufte ein paar Dinge in einem kleinen Laden
und Steffen sah sich um. Vier Straßen vereinten sich
auf dem kleinen Basketballplatz. Die zumeist kleinen
Häuser waren fast alle aus grauem Stein, einige aber
auch aus Holz und Metallplatten gebaut. Sie alle
wirkten auf Steffen wie nicht fertig gestellt, aber
bewohnt. Auf den Straßen lag überall Müll, der zumeist
aus weggeschmissenen Bonbon- und Chipsverpackungen
bestand, aber Steffen sah auch volle
Babywindeln, Lumpen und Holzreste. An der Ecke
zur einen Seite standen drei lilafarbene Tricycles.
Einer der Fahrer schlief in seinem Vehikel, während
ein weiterer Steffen anglotzte. Das dritte Tricycle war
leer. Überall wimmelte es von Menschen. Sie fuhren
in knatternden Tricycles oder auf Mopeds an ihnen
vorbei oder gingen zum Teil schwerbeladen mit
Plastiktüten, Kokosnüssen oder anderen erworbenen
Dingen über den Platz. Steffen sah ein kleines, zirka
zehn Jahre altes Mädchen einen gefüllten Wasserkanister
schleppen, ein weiteres ungefähr gleichaltriges
Mädchen trug zwei Flaschen Emperador und eine
Packung Fortune Zigaretten im Arm und eilte eine
19
der Straßen hinab. Vereinzelt strichen ein paar
schmutzige und abgemagerte Hunde die Straßen
entlang – immer auf der Suche nach fressbaren Resten.
Die Geräuschkulisse war beachtlich. Ein ständiges
Krähen von Hähnen, Bellen von Hunden sowie
das Schreien und Lachen von Kindern vermischte
sich mit Hupen von Autos, knatternden Einzylinder-
Motoren und lauten Musikfetzen, die aus unterschiedlichen
Quellen kamen, aber alle gemeinsam
hatten, dass selbst aus der Distanz die Bässe noch
die Magengrube erreichten.
Noch nie hatte Steffen Ähnliches gesehen und auch
noch nie so viele lachende, lächelnde und strahlende
Gesichter. Er fühlte sich nicht bedroht, blieb aber
vorsichtig. Denn er war für die Anwohner von Camarin
nicht nur eine willkommene Abwechslung
vom Alltag. Da er durch seine Größe und seine
Hautfarbe aus der Menge hervor stach, waren alle
Augen auf ihn gerichtet. Man empfing ihn freundlich,
neugierig und mit einem Lächeln. Aber Steffen
war sich bewusst, dass man ihn ebenfalls als reich
ansah und Geld in seinen Taschen vermutete. Er
fühlte sich außerdem wieder müde, und so machten
Cen und er sich auf den Weg zurück zu ihrem kleines
Haus, das auch Steffen jetzt fast heimisch vorkam.
20