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Die Verführung zum Lesen

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Kurzgeschichten

Blumen für die Damen

von Christiane Kromp

„Monique!“ seufzte Aaron Gerber sehnsuchtsvoll,

als er erwachte. Voller Wärme

dachte er an seine neue Kollegin. Seine

Lippen formten ihren Namen noch einmal,

beinahe unbewusst: „Monique!“ Genüsslich

ließ er sich die Laute auf der

Zunge zergehen wie ein sahniges Stück

Schokolade. Er sah sie vor sich mit ihren

langen blonden Haaren, die wie goldene,

glänzende Flügel über ihren Schläfen lagen.

Ihre schlanke Gestalt schwebte auf

hohen Absätzen durch die Büros und

hinterließ einen blumig-süßen Parfümgeruch,

als ob ein Abbild ihrer Präsens im

Raum zurückgeblieben wäre.

Mechanisch brachte Aaron Bad und

Frühstück hinter sich. Dann brach er

zur Arbeit auf.

Aaron war überpünktlich, aber Monique

kam wie immer ein paar Minuten

zu spät. Aaron ließ sie in sein Büro bitten,

nur um sie sich mit ihrem süßen französischen

Akzent entschuldigen zu hören:

„Mein Auto schprang nischt ahn, tut mirr

la-id!“

In seiner Mittagspause bestellte Aaron

im nächsten Blumenladen einen

Präsentkorb für sie. Da er noch einen eiligen

Termin einhalten musste, schrieb

er Moniques Adresse in großer Eile auf:

Frau M. Leblanc, Beierstr. 12. Auch einen

Brief und einen Flakon ihres Parfüms

ließ er da.

Monique Leblanc war inzwischen

schon auf dem Heimweg und sehr zufrieden

mit sich. Ihr Chef fraß ihr jetzt schon

aus der Hand. Wie dumm Männer doch

waren, dachte sie selbstgefällig. Es war

alles so einfach: Lange blonde Haare, französischer

Akzent, hohe Absätze, ein gutes

Parfüm, und schon konnte sie mit ihnen

machen, was sie wollte! Sie genoss dieses

Machtgefühl mit jedem Tag mehr. Zu

Hause erwartete sie eine Überraschung:

ein Korb stand vor ihrer Tür im 14. Stock.

Freudig hob sie ihn auf und nahm ihn

mit in ihre Wohnung. Als sie den Korb

aber öffnete, entströmte ihm ein so ekelhafter

Gestank nach fauligem Fisch, dass

sie sich beinahe übergeben hätte. Empört

und verärgert warf sie den Korb samt Inhalt

in ihre Mülltonne im Keller. Der Gestank

hing noch lange in ihrer Wohnung

und ihre Laune blieb im Keller.

Am nächsten Tag machte Monique

einen sehr missgelaunten Eindruck auf

Aaron. Um sie wieder aufzumuntern,

fragte er sie: „Wie hat Ihnen denn mein

Geschenk gefallen?“ Diese unschuldige

Frage verwandelte das sanfte Geschöpf

Monique in eine wütende Furie. Rot vor

Empörung kreischte sie: „Sie waren das

also! Finden Sie das witzig?! Ich nicht!“

Erschrocken fragte Aaron: „Habe ich

vielleicht nicht den richtigen Duft ausgewählt?“

Wenn irgend möglich, nahm Moniques

Gesicht jetzt einen noch dunkleren Rotton

an und ihre Stimme klang hysterisch,

als sie schrie: „Nie wieder sollen Sie mir

etwas schicken, hören Sie?“ Jede Wärme

und Zurückhaltung, auch der süße Akzent

waren aus ihrer Stimme verschwunden.

Aaron war verwirrt und tief enttäuscht.

Unmöglich konnte sie sich über sein Geschenk

so geärgert haben. Es musste etwas

im Blumenladen schiefgelaufen sein!

Kurz entschlossen rief er dort an und

fragte, an welche Adresse sein Präsentkorb

gegangen war. „Der ging an Frau

M. Leblanc, Buerstr. 12. Es liegt übrigens

auch ein Brief für Sie hier“, erwiderte die

Blumenfrau.

Verärgert holte Aaron nach der Arbeit

den Brief ab, riss ihn ungeduldig auf und

las:

„Lieber unbekannter Herr Gerber!

Vielen Dank für die Blumen, das Parfüm

Abb.: © Archiv Stach

und den netten Brief. Da ich Sie aber

nicht kenne, nehme ich an, dass sie sich

in der Adresse geirrt haben. Weil Sie mir

aber so viel unerwartete Freude gemacht

haben, lade ich Sie zu einem Kaffee bei

mir ein. Ihre Marion Leblanc.“

Ein netter Brief, fand Aaron und las

ihn noch einmal langsam durch. Jedes

freundliche Wort tat ihm jetzt doppelt

gut.

Monique hatte es sich gerade zu Hause

gemütlich gemacht, da klingelte es an

ihrer Haustür. Als sie mürrisch die Tür

öffnete, grinste das runzlige Gesicht ihrer

Nachbarin durch den Türspalt. „Wissen

Sie zufällig, wo mein Korb mit Fischabfällen

für meine Katzen geblieben ist?“

fragte sie freundlich. „Ach, ihnen gehört

dieser stinkende Korb?! Er ist in meiner

Mülltonne, aber Sie können ihn gerne

wieder haben!“ sagte Monique spitz.

„Ich bitte darum!“ antwortete die

Nachbarin pikiert.

Am Spätnachmittag fuhr Aaron zu

Monique, um das Missverständnis aufzuklären.

Ihre Wohnungstür im 14. Stock

fand er sofort. Auf sein Klingeln öffnete

ihm eine Frau mit unordentlichen blonden

Haaren und einem weißen, nachlässig

geschlossen Bademantel. Ein Handtuch

war um ihren Nacken gelegt. Ihr

ausdrucksloses Dutzendgesicht war noch

nass vom Duschen, ihre Haare seltsamerweise

aber trocken. „Ich möchte Monique

sprechen!“ stotterte Aaron verwirrt. „Moment!“

rief die Frau mit ihm wohlbekannter

Stimme. In die Tiefen der Wohnung

enteilend, zog sie das Handtuch aus ih-

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