Rundbrief der Emmausgemeinschaft - Ausgabe 02|20
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Sieh einmal, hier steht er, Pfui! der Struwwelpeter!
Vom Wesentlichen des Lebens
Thema | 5
Fast jeder kennt ihn, den 1844 vorgestellten Struwwelpeter mit den ekelerregenden
Nägeln an den Händen, „fast ein Jahr“ nicht geschnitten und dem Haarschopf,
der nie einen Kamm sah. Ein wirklich garst’ger Struwwelpeter! Oder?
von Angelika Köck
Doch betrachten wir diesen Struwwelpeter
einmal mit dem Wissen,
dass jeder Mensch für seine gesunde
psychische Entwicklung bedingungslose
Liebe, Wertschätzung und Respekt
braucht.
Wie mag sich Struwwelpeter fühlen –
verspottet, angeprangert, ausgestoßen?
Warum beurteilen ihn die Menschen nur
nach dem Abstoßenden seines Äußeren
und nicht nach dem Positiven? Die glänzend
geputzten Schuhe? Die hübsche,
symmetrisch gebundene Schleife unter
seinem blütenweißen Kragen? Sehen sie
nicht seine herabhängenden Mundwinkel,
die traurigen Augen, die Sehnsucht
nach Nähe, den stummen Schrei nach
Liebe, Zuwendung, Annahme?
Einsamkeit
Wir alle kennen Struwwelpeter. Wir treffen
ihn auf der Straße, im Supermarkt, am
Arbeitsplatz. Ein einsamer Mensch, dem
anzusehen ist, dass er sich aufgegeben,
sich von Gott, den Menschen und vielleicht
von sich selbst getrennt hat. Wie
gehen wir mit ihm um? Sehen wir ihn als
Geschenk der Schöpfung, erkennen, was
ihn zum Menschen macht und erahnen
sein innerstes Sehnen nach Liebe und
Anerkennung?
Im Buch „Der kleine Prinz“ von Antoine
de Saint-Exupéry vertraut der Fuchs dem
kleinen Prinzen eine Botschaft an: „Man
sieht nur mit dem Herzen gut – das Wesentliche
ist für die Augen unsichtbar.“
Schon als kleines Mädchen verspürte ich
beim Betrachten des Struwwelpeters einen
tiefen Seelenschmerz. Aber mit der
Zeit entfernen wir uns mehr und mehr
vom Wesentlichen des Lebens und bewerten
viel zu schnell und oberflächlich
nur das auf den ersten Blick Sichtbare.
Machen wir uns das bewusst und blicken
wir auf so manchen Struwwelpeter mit
den Augen eines Kindes. Dann geht uns
das Herz auf und vielleicht erkennen wir
sogar ein fast unmerkliches, feines Lächeln
in Struwwelpeters Gesicht.
Foto: Fokusverliebt.com
Angelika Köck ist Mitarbeiterin
im Wohnheim Kalvarienberg.
Foto: de.wikipedia.org