Rundbrief der Emmausgemeinschaft - Ausgabe 02|20
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Betty gleich mehrmals operiert und verliert
fast ein Bein. Völlig verwahrlost landet
sie danach in der Notschlafstelle des
Frauenwohnheims (FWH). Den Alkohol
versteckt sie rund ums Wohnheim.
Weihnachten 2009: „Ich saß im St. Pöltener
Dom und heulte – der schlimmste
Moment meines Lebens!“ Es sind Schuldgefühle
ihren Lieben gegenüber, komplett
versagt zu haben. „Ich hab in den
Spiegel g’schaut und gesagt: Pfui, ich hab
keine Achtung vor dir!“ Kurz vor Silvester
trinkt sie alle ihre Flaschen leer. Ihr Entschluss
steht fest: „Ich kann nicht mehr.
Ich will mein Leben wieder in den Griff
bekommen und aufhören zu trinken!“ Im
Februar lernt sie Michi kennen, auch er
ein Emmaus-Gast. Kurz danach kommt
sie nach Kalksburg. Michi besucht sie
dort und kümmert sich um sie.
Ein neues Leben
„Vor Kalksburg trank ich sechs Liter Wein
am Tag“, erinnert sich Betty. „Nach einer
solchen Saufzeit dauert es fünf Jahre, bis
man sich saniert hat – sozial, finanziell,
gesundheitlich“, meint ein Primar. Drei
Monate dauert die Therapie. Danach ist
Betty wieder im FWH. „Ein neues Leben
beginnt“, sagt sie sich bei der Ankunft am
Bahnhof St. Pölten.
Heute arbeitet sie als Köchin in Wien.
Rückblickend meint Betty: „Du musst
überzeugt sein, nicht mehr zu können,
dann gehst du freiwillig in Therapie. Du
musst ein Ziel haben. Ohne das geschützte
Umfeld und die Unterstützung des
FWH hätte ich das nicht geschafft. Und
auch ohne Michi wär‘ das nix geworden.“
Seit 10 Jahren sind sie zusammen. Bald
wollen sie heiraten.
Mit-Mensch
Gastgeschichte | 7
von Karl Rottenschlager
Ein Wandel,
der entschleunigt
Weltweit arbeiten zwei
Mrd. Menschen ohne
Kranken- und Unfallversicherung,
ohne Anspruch
auf Arbeitslosengeld
oder Pension. Müllsammler, Ernte- und
Bauarbeiter, Kleinbauern und Pflegepersonal
beziehen oft kein fixes Gehalt, sind
aber für das Gemeinwohl unverzichtbar,
um schwierige Zeiten wie die Corona-Krise
zu überbrücken. Daher schlägt Papst
Franziskus für arbeitende Menschen, die
an der Armutsgrenze leben, ein Grundeinkommen
vor. Staatliche Lenkung oder
das rein wirtschaftliche Modell würden
nicht ausreichen, um die Pandemie und
andere Probleme der Menschheit anzugehen.
Statt Wettbewerb, schnellem
Konsum und Profit für wenige sei ein
Wandel nötig, der entschleunigt, umdenken
lässt und zur Regeneration führt.
– Emmaus, Antlas und die soogut-Sozialmärkte
beweisen in Krisenzeiten, dass
gelebte Solidarität möglich ist. Unsere
Wohnheime und Betriebe sind Solidarmodelle
für eine zukunftsfähige Gesellschaft,
in der die Rechte jedes Menschen
gesichert sind. Während der Pandemie
wuchs die Hilfsbereitschaft bei Emmaus,
Antlas und soogut deutlich. Freiwillige
helfen in den Sozialmärkten oder besuchen
unter Schutzmaßnahmen ältere
Menschen und übergeben ihnen an
der Wohnungstür Blumen und Nahrungsmittel.
Edith (91) freudestrahlend:
„Gut, dass es euch gibt!“
Foto: Böswart