15.06.2020 Aufrufe

OTON Magazin & Jahresvorschau 2020/21 der Tonhalle Düsseldorf

Liebes Publikum, laut ist nicht immer das Gegenteil von leise. Laut ist nicht immer Krach. Farben können laut sein, aber sie stören nicht. Auch ein Orchester kann seeehr laut sein. Aber man kann es genau deshalb lieben. Im OTON der Saison 2020 | 2021 haben wir uns über 140 Seiten lang Gedanken über gute und schlechte „Lauts“ gemacht. Einfach anklicken und lesen! tonhalle.de

Liebes Publikum,
laut ist nicht immer das Gegenteil von leise. Laut ist nicht immer Krach. Farben können laut sein, aber sie stören nicht. Auch ein Orchester kann seeehr laut sein. Aber man kann es genau deshalb lieben. Im OTON der Saison 2020 | 2021 haben wir uns über 140 Seiten lang Gedanken über gute und schlechte „Lauts“ gemacht. Einfach anklicken und lesen! tonhalle.de

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Kommentarspalte angefeindet, dann freue ich mich, dass

der Instagram-Post von meinem Mallorca-Strandaufenthalt

so viele „Herzchen“ einheimst, dann bringt mich ein

Artikel der Süddeutschen auf die Palme, obendrauf erhalte

ich noch Nachrichten über Corona, Flüchtlingswelle, Klimawandel

und die SMS vom Chef, der auf eine Excel-Tabelle

wartet. Die Schlagzahl der täglichen Irritationen verdichtet

sich so zu einem Stresszirkus der unterschiedlichsten Informationen

und Affektlagen. Nun würde man meinen, dass

auch hier Gegenkräfte auf den Plan gerufen werden – Selbstmedikationen

in Form von Achtsamkeit, Meditation und

Yoga. Eine Art Symptombekämpfung durch Weltentzug,

durch kleine Idyllen der Kontrolle.

Ich sehe natürlich eine Verbindung des Verschiedenen.

Kein Mensch kann im Zustand der Dauerverstörung

existieren. Das wäre ganz gewiss auch nicht gut. Ich

würde insofern nicht zu scharf auf Bewegungen in Richtung

Achtsamkeit reagieren. Denn hier artikuliert sich

ja ein sehr relevantes Bedürfnis. Die Schlüsselfrage ist

nur: Wie kann man einen guten Ausgleich zwischen

engagierter Weltzugewandtheit auf der einen Seite und

abgrenzungsfähiger Dosierung und Selektion auf der

anderen Seite herstellen? Und hier gilt es, eine Balance

zu entdecken, die natürlich immer personen- und situationsabhängig

ist.

Ich kann das Phänomen aber auch kritischer sehen. Auf der

einen Seite gibt es die Weltzugewandtheit und den damit

verbundenen Stress, auf der anderen eine neue Privatromantik

aus Gartenpflege, Töpfern, kleinen Asylen der

Selbstwirksamkeit. Bin ich hier nicht eigentlich in der Selbstoptimierungsfalle?

Am nächsten Tag stehe ich dem Markt

ja wieder zur Verfügung: Wahrscheinlich sogar erholter,

leistungsbereiter und effizienter als zuvor. Das hätte

sich der Kapitalismus ja nicht schöner ausdenken können, oder?

Aber das hieße ja, dass der Kapitalismus gewissermaßen

selbst eine Art Verschwörungsagentur darstellt. Ich

würde nicht in dieser Schärfe über die Neigung zum

Rückzug, zur kleinen Flucht, zum Eskapismus, der einem

Ruhe bringt, herziehen wollen, weil ich darin ein

urmenschliches Bedürfnis sehe. Natürlich kann es sein,

dass man in dieser Weise dann wieder dem Markt in besserer

Form präsentabel erscheint. Nur was wäre die

Alternative? Ist es sinnvoll, sich zu Tode zu arbeiten, weil

man das Töpfern und das Yoga und die Achtsamkeitsmeditation

als raffinierte Überlebenstaktik von noch raffinierteren

Kapitalisten, die uns die Selbstoptimierungsideologie

auferlegt haben, entlarvt hat? Hier bin ich mir

nicht so sicher.

Die Alternative wäre, sich selbst auf die Schliche zu kommen,

sich zu fragen, in welchem Muster man lebt, um

dann Handlungsoptionen zu bewerten oder zu neuen zu

kommen.

Das sehe ich nicht so. Weil dieser Diskurs diejenigen

herabsetzt, die einfach nicht kapieren, dass das Töpfern

im Grunde genommen eine Perfektionierung der neoliberalen

Ideologie ist. Diese Art des Nachdenkens läuft

immer auf eine Abwertung von Menschen hinaus, die

etwas Konkretes tun. Dies ist aus meiner Sicht bevormundend.

Und deswegen tue ich mich mit einer allzu

scharfen Kritik schwer und will der auch nicht folgen.

Nun liefern wir gerade ein gutes Beispiel für konträre

Ansichten. Differenzen können ja prinzipiell produktiv werden:

Es besteht zumindest die Chance, dass die Streitenden

am Ende ihrer Auseinandersetzung woanders stehen als

am Beginn. Was ist denn die Voraussetzung für eine solche

Bewegung?

Die Voraussetzung dafür ist, dass man anerkennt,

dass die Wahrheit zu zweit beginnt – wie mein Kollege

Friedemann Schulz von Thun sagen würde. Dafür

muss man Abschied von der Idee nehmen, man selbst

besäße einen überaus privilegierten Zugang zur Wirklichkeit,

man sei im Besitz der einzig möglichen Interpretation

der Weltverhältnisse, und es ginge nur

darum, diese Interpretation allen Menschen, die guten

Willens sind und nicht dumm, krank oder bösartig,

gewissermaßen klar zu machen. Eine Haltung absoluter

Wahrheitsgewissheit ist ein effektives Mittel, um

einen Dialog zu ruinieren. Also wer mit dem anderen

wirklich sprechen möchte und in einem guten Sinne

streiten will, der sollte auch von der Pauschalverurteilung

des ganzen Menschen Abschied nehmen. Die Rede

von dem weißen alten Mann, der hysterischen Feministin,

dem kriminellen Flüchtling – das sind alles Formen

der Pauschalverurteilung, die eines garantiert erreichen:

den sofortigen Ruin des Kommunikations- und

Dialog-Klimas. Darüber hinaus ist es auch nötig, das

Zögern zu lernen und den Reflex des kommentierenden

Sofortismus, der so viele Netzdiskussionen prägt, zu

unterdrücken.

Sie sagen: Die Wahrheit beginnt zu zweit. Gilt das auch im

Gespräch mit Rechtsradikalen?

Nein. Man kann nicht mit einem Rechtsradikalen in

Dialog treten, der offen rassistisch formuliert, für Ausgrenzung

plädiert, ein soldatisches Deutschland herbeivisioniert.

Ich persönlich halte zum Beispiel die

Dialogoffensive, die es eine Zeitlang gegenüber den

Pegida-Anführern gab, für vollkommen falsch und letztlich

von großer Unkenntnis geprägt. Wenn man mit

einem Lutz Bachmann, einem Götz Kubitschek oder

einem Björn Höcke in einen Dialog eintreten will, dann

muss man ja der Auffassung sein, dass ihr Gesellschaftsbild

womöglich produktiv sinnvoll und ihre Politik eine

diskussionswerte Alternative darstellt. Und dieser Auffassung

bin ich nicht. Das Plädoyer, das Friedemann

Schulz von Thun und ich formulieren, heißt: Es kommt

auf die situations-, rollen- und personenbezogene

Mischung an – auf die richtige Mischung aus Konfrontationsbereitschaft

und Empathie. Nur Empathie ist

falsch. Sie führt zu einer Betulichkeit und zu einem

Nichtanerkennen von harten Unterschieden, die eben

auch einen Gesprächsabbruch nötig machen können.

Und nur Konfrontation wäre auch falsch, weil man

dann womöglich einfach nur eine Abwertungsspirale in

Gang setzt und den Anderen bloß attackiert und

kritisiert.

Nun gibt es nicht nur rhetorische Brandstifter wie Björn

Höcke, sondern auch eine große Masse an Menschen, die

in der Flüchtlingskrise zunächst einmal ein tief empfundenes

Gefühl von Ungerechtigkeit formuliert haben. Die

sich womöglich in Konkurrenz mit den einströmenden,

dB Das Atmen eines Menschen.

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