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Jagd & Natur | Ausgabe Juli 2020 | Vorschau

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Wild & Wissen

Sommerhirsche

Mit Heisshunger

äsen die Hirsche das

Frühlingsgras.

Fast fertig

geschoben

Kalb im Juli

Äsung im

Überfluss

Das Wiedererwachen der Natur

Am Ende des Winters sind die Feisteinlagerungen restlos

verbrannt, und gerade jetzt benötigen Hirsche viel

Energie, um den anfangs zögerlichen, dann aber in Fahrt

kommenden Aufbau des neuen Geweihs, die Regeneration

der atrophierten Muskulatur der Gliedmassen und

den Haarwechsel zu verkraften. Die winterlichen Anpassungen

des Verdauungsapparates an das verknappte

Nahrungsangebot werden rückgängig gemacht und der

Stoffwechsel gesteigert. Dank der jetzt überall im Überfluss

wachsenden, sehr gehaltvollen, zarten Grünäsung

kann der Organismus an allen Baustellen Wachstum

und Regeneration ankurbeln. Insbesondere für den jetzt

täglich bis zu 2 cm erreichenden Schub der Geweihkolben

bedarf es grosser Mengen an organischen und anorganischen

Bestandteilen, vornehmlich Eiweissen und

Kalzium- und Phosphorverbindungen, die in den jungen

Grünpflanzen in unterschiedlichem Mass vorhanden

sind. Alttiere tradieren ihr akkumuliertes Wissen an ihre

Jungen, wo und wann in gewissen Pflanzen die benötigten

Nährstoffe am reichlichsten enthalten sind. Unter

dem Sternenhimmel versammeln sich die Ausgehungerten

auf den gedüngten Talwiesen, bis die Bauern

dem Segen mit Gülle ein Ende bereiten. Tagsüber tritt

das Wild auf Blössen, Lichtungen, Waldwiesen und Lawinenzügen

aus, wohl wissend, dass es in diesen Wochen

wenig gestört wird. Im Gebirge ist das Wiedererwachen

der Natur gestaffelt und rückt allmählich in die

Höhe. Daher dauert der Frühling länger als im Unterland,

und das Schalenwild kann der Schneelinie folgen

und kommt so länger in den Genuss energiereicher

Nahrung. Die starke vertikale und horizontale Gliederung

und der wechselnde Bewuchs des alpinen Rotwildgebiets

offerieren viele schattige Stellen. Es geht fast

immer irgendwo ein Lüftchen, und an schönen Tagen

bläst der Wind im besonnten Gelände aufwärts, in Rinnen,

Gräben, Lawinenzügen und Bachtobeln zieht die

Luft wegen des Temperaturunterschieds abwärts. Bei

Sonnenuntergang setzt der Talwind ein. An den wenig

besonnten Standorten verzögert sich das Wachstum der

Äsungspflanzen und ist auch im Sommer noch frisch. In

trockenen Sommern sinkt der Nährwert in den Grünpflanzen

rasch, und das Gras verholzt. Spät gesetzte Kälber

müssen mit weniger Muttermilch auskommen und

gehen untergewichtig in den Winter. Vielleicht wird sich

der Fortpflanzungszyklus den veränderten klimatischen

Bedingungen anpassen und die Brunft vorverschieben.

Dazu müsste die innere Uhr anders programmiert werden,

die auf die sich ändernden Tag- und Nachtlängen

reagiert und die physiologischen Vorgänge steuert, unter

anderem den Geweihzyklus und die Fortpflanzung.

Das Kahlwild ist ebenfalls auf gehaltvolle Äsung erpicht.

Im Leib der beschlagenen Tiere reift die nächste

Generation heran, und im Mai/Juni ziehen sich die

hochträchtigen Kühe zurück, um im Verborgenen die

getupften Kälber zu setzen. Diese werden abgelegt und

zum Säugen aufgesucht. Die Mütter entfernen sich

nicht weit zum Äsen und sind bei drohender Gefahr

rasch zur Stelle. Nach ein bis zwei Wochen stossen sie

samt Anhang wieder zum Rudel. Ein wesentlicher Faktor

für das Gedeihen der Kälber ist die Milchproduktion

der Mutter. Eine langanhaltende Trockenheit im

Frühsommer kann die Milchleistung so beeinträchtigen,

dass das Überleben des Nachwuchses auf der Kippe

steht.

Bedürfnis nach Sicherheit und Ruhe

Stand nach dem Ende der kalten Jahreszeit bei den Hirschen

das Besänftigen des nagenden Hungers und das

Wiederherstellen einer guten körperlichen Verfassung

im Vordergrund, rückt mit dem Nahen des Hochsommers

wieder das Bedürfnis nach Sicherheit und Ruhe

an die erste Stelle. Der Rohbau des Geweihs ist bei den

reifen Hirschen abgeschlossen, jetzt kommt noch die

Feinarbeit, will heissen, der Umbau von Knorpel in Knochen

sowie die Mineralisierung und Härtung der Stangen-Ummantelung

und der Spitzen. Die nährende Basthaut

trocknet ein und wird durch Fegen an Ästen und

biegsamen Stämmchen, manchmal auch am Boden

entfernt. Erst jetzt ist der Hirsch wieder für einen Waffengang

gerüstet, doch steht ihm der Sinn noch nicht

nach Kampf und Minne, vielmehr nach beschaulicher,

ausgedehnter Siesta irgendwo im Schatten oder auf einem

windumspülten Kamm. An solche Örtlichkeiten,

aber auch auf Firnfelder, hatten sich schon die Kolbenhirsche

zurückgezogen, um den peinigenden, Blut saugenden

Insekten etwas zu entgehen. Auf dem Alt-

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