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Temporäre Stadt Oberengadin - Berggebiete.ch

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4<br />

der Alpen auf si<strong>ch</strong> wirken liess, bildete<br />

den Übergang, wo die Natur in das<br />

Rei<strong>ch</strong> der Kultur eingeholt wurde.<br />

An dieser kolonisierenden Begegnung<br />

mit der Natur hat si<strong>ch</strong> bis heute<br />

ni<strong>ch</strong>ts verändert. Na<strong>ch</strong> wie vor ist die<br />

S<strong>ch</strong>önheit der Lands<strong>ch</strong>aft das wi<strong>ch</strong>tigste<br />

Kapital der touristis<strong>ch</strong>en Marke<br />

<strong>Oberengadin</strong>, die seit Jahrzehnten<br />

erfolgrei<strong>ch</strong> bewirts<strong>ch</strong>aftet wird. Geblieben<br />

ist au<strong>ch</strong> über all die Jahre<br />

das Verspre<strong>ch</strong>en auf Erholung in authentis<strong>ch</strong>er<br />

Lands<strong>ch</strong>aft. Freili<strong>ch</strong> bleibt<br />

seine Realisierung ni<strong>ch</strong>t ohne Nebengeräus<strong>ch</strong>e.<br />

Deshalb steckt au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong><br />

wie vor so viel Bedenkenswertes in<br />

Hans Magnus Enzensbergers polemis<strong>ch</strong>er<br />

Anmerkung, dass die Touristen<br />

das zerstörten, was sie su<strong>ch</strong>ten, indem<br />

sie es fänden. Das harmonis<strong>ch</strong>e<br />

Natur- und Lands<strong>ch</strong>aftsverständnis<br />

verwe<strong>ch</strong>selt dabei eine immense<br />

Kulturleistung – nämli<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>affung<br />

dieser Lands<strong>ch</strong>aften – mit Natur.<br />

So führt die massenhafte Befriedigung<br />

dieser Sehnsu<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> der harmonis<strong>ch</strong>en<br />

«Natur» weltweit über<br />

Hotelanlagen, Wu<strong>ch</strong>erungen von<br />

Ferienwohnungskolonien, Seilbahnanlagen<br />

und weitere touristis<strong>ch</strong>e Infrastrukturen<br />

zur Auslös<strong>ch</strong>ung genau<br />

der Harmonie, die einen Auslöser des<br />

alpinen Tourismus bietet.<br />

Die Voraussetzungen vor Ort mögen<br />

si<strong>ch</strong> nur wenig verändert haben und<br />

do<strong>ch</strong> präsentieren si<strong>ch</strong> die Vorzei<strong>ch</strong>en<br />

für die Tourismusdestination <strong>Oberengadin</strong><br />

heute grundlegend anders. Der<br />

Tourismus bildet heute einen globalisierten<br />

Markt, in dem die Kundinnen<br />

si<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en Tau<strong>ch</strong>ferien auf den<br />

Malediven, Heliskiing in den Rocky<br />

Mountains und Jetset-Stelldi<strong>ch</strong>ein<br />

in St. Moritz ents<strong>ch</strong>eiden. Der Gast<br />

ist mobiler geworden, bleibt kürzer<br />

und verglei<strong>ch</strong>t stärker. Wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />

bedeutet dies, dass das traditionelle<br />

Standbein der regionalen Wirts<strong>ch</strong>aft<br />

einem akzentuierten Konkurrenzkampf<br />

ausgesetzt ist. Die anhaltenden<br />

Strukturprobleme vieler Hotelbetriebe<br />

spre<strong>ch</strong>en hier eine deutli<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e.<br />

Gerade die Betriebe im unteren<br />

und mittleren Segment stehen oft<br />

vor erhebli<strong>ch</strong>en Problemen; ihre Kostenstrukturen<br />

und ihre Preise sind im<br />

internationalen Verglei<strong>ch</strong> kaum konkurrenzfähig,<br />

der Investitionsbedarf<br />

enorm, will man mit den gängigen<br />

Standards mithalten.<br />

Die touristis<strong>ch</strong>e Infrastruktur im<br />

<strong>Oberengadin</strong> steht aber no<strong>ch</strong> von<br />

einer anderen Seite unter Druck: Hotelbetrieb<br />

um Hotelbetrieb mutiert<br />

heute zu mit erhebli<strong>ch</strong>en Gewinnen<br />

verkauften Apartmentgebäuden.<br />

Darin spiegelt si<strong>ch</strong> ein Trend, der die<br />

Entwicklungsbedingungen des Tals<br />

über die letzten Jahrzehnte wie kein<br />

zweiter verändert hat: der Boom im<br />

Zweitwohnungsbau. Bereits ein Blick<br />

in die nü<strong>ch</strong>terne Welt der Statistiken<br />

ist überaus erhellend. So lagen im<br />

<strong>Oberengadin</strong> über die letzten Jahre<br />

die Bauinvestitionen pro Kopf mehr<br />

als drei Mal höher als im s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />

Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt. Diese Zahl steht<br />

für eine na<strong>ch</strong> wie vor ungebro<strong>ch</strong>ene<br />

Na<strong>ch</strong>frage, die dem <strong>Oberengadin</strong><br />

über die Jahre sein in der Zwis<strong>ch</strong>ensaison<br />

viel zu weites Kleid gestrickt<br />

hat. Dieser Bauboom programmierte<br />

über die Jahre die gebaute Lands<strong>ch</strong>aft<br />

um, in den letzten Jahren verstärkt<br />

dur<strong>ch</strong> eine starke Bautätigkeit bei<br />

den Erstwohnungen und im Gewerbebau<br />

sowie der öffentli<strong>ch</strong>en Hand.<br />

Der Zweitwohnungsbau setzt in den<br />

1960er Jahren zunä<strong>ch</strong>st nur langsam<br />

ein, begann si<strong>ch</strong> aber na<strong>ch</strong> 1970 in den<br />

Dörfern immer deutli<strong>ch</strong>er bemerkbar<br />

zu ma<strong>ch</strong>en. Um 1980 dann hielten si<strong>ch</strong><br />

Erst- und Zweitwohnungsbestand in<br />

etwa die Waage. Anfang des laufenden<br />

Jahrzehnts waren dann sieben<br />

von zehn im <strong>Oberengadin</strong> gebaute<br />

Wohnungen Zweitwohnungen.<br />

Die temporäre <strong>Stadt</strong> hat im Zuge<br />

dieser Vers<strong>ch</strong>iebungen ni<strong>ch</strong>t nur ihre<br />

quantitative Ausdehnung erfahren,<br />

sie hat qualitativ ihre Existenzweise<br />

verändert. Eine touristis<strong>ch</strong>e Na<strong>ch</strong>frage<br />

mutierte dabei mehr und mehr zu<br />

einem temporären Aufenthalt in der<br />

Region. Die vor zwei Jahren bes<strong>ch</strong>lossene<br />

Kontingentierung des Zweitwohnungsbaus<br />

ist als politis<strong>ch</strong>es Votum<br />

gegen die Entwicklungen der letzten<br />

Jahre zu sehen. Die Initiative ist aber<br />

weniger Remedur denn Ventil, das einige<br />

der Baustellen der <strong>Temporäre</strong>n<br />

<strong>Stadt</strong> <strong>Oberengadin</strong> deutli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t.

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