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SÜDKURIER Medienhaus -<br />

URL: http://www.suedkurier.de/nachrichten/seite3/art1798,2970926,0<br />

Wo ein Wille ist<br />

20.12.2007 03:01<br />

Das Beispiel von Adrian Sauter zeigt: Behinderte schaffen den Weg in den Arbeitsmarkt, wenn man<br />

ihnen dabei hilft<br />

Max Rauber (rechts) ist der Chef, Adrian Sauter sein Mitarbeiter. "Der schafft wirklich gern", freut sich<br />

Rauber.<br />

Ganzert<br />

Das ist ein Graus für jede Hausfrau oder jeden Hausmann: Fettige Ränder kleben an der Abzugshaube und<br />

wollen sich nicht lösen. Ganz besonders hartnäckig halten sie sich in der Küche. Da helfen nur<br />

Gummihandschuhe und nicht zu wenig Chemie, bevor es los geht. Für Adrian Sauter ist das "Standard",<br />

so wie alle anderen nicht besonders appetitlichen Arbeiten auch. Immerhin hat sich der 19-Jährige ganz<br />

bewusst für die Arbeit in einem Sanitär- und Flaschnerbetrieb entschieden. Heute rückt er gewissenhaft<br />

dem hartnäckigen Wrasen, wie man den fest gewordenen Kochdunst nennt, in einer komplett<br />

umzubauenden Immenstaader Restaurantküche an den Kragen - bevor nicht alles runter ist, kann es nicht<br />

weitergehen mit der Arbeit.<br />

Hand in Hand<br />

Dass Adrian Sauter hier in seiner blauen "Rebstein"-Firmenhose steht und Hand in Hand mit dem<br />

erfahrenen Max Rauber arbeitet, ist keine Selbstverständlichkeit - viele haben sich dafür stark gemacht,<br />

dass der Absolvent einer Schule für geistig behinderte Schüler seinen Wunsch-Arbeitsplatz auf dem<br />

regulären Arbeitsmarkt hat. Für Schulabgänger wird es immer schwieriger eine geeignete Arbeits- oder<br />

Ausbildungsstelle zu finden - das gilt besonders für Schüler aus Sonder- und Förderschulen, die<br />

naturgemäß benachteiligt werden. Obwohl sie viele Fähigkeiten wie Zuverlässigkeit und oft hohe<br />

Einsatzfreude mitbringen, müssen sie besonders hohe Hürden bei möglichen Arbeitgebern nehmen, bei<br />

denen sie sich zum ersten Mal vorstellen.<br />

Pirmin Rebstein, Chef der Sanitär-, Heizungs- und Flaschnereifirma Friedrichshafen-Fischbach, ist da als<br />

Arbeitgeber klar im Vorteil: Er kennt nicht nur die Tannenhagschule für geistig Behinderte seit Jahren,<br />

sondern auch das sorgfältig ausgeklügelte Konzept der Schule: Hier werden Kinder und Jugendliche fit für<br />

ein möglichst selbstständiges Leben gemacht. Dazu gehört es auch, dass die Schulabgänger die Wahl<br />

haben zwischen dem Arbeitsleben in einer Werkstatt für behinderte Menschen oder eben im allgemeinen<br />

Arbeitsmarkt. Dafür wurde im vergangenen Jahr die Klasse "Wege ins Berufsleben" (WIB) gegründet -<br />

Praktika in den Werkstätten der Stiftung Liebenau oder bei Firmen gehören ebenso zum Lehrplan wie<br />

spezielle Angebote im Unterricht. Ziel dieser besonderen dualen Ausbildung ist eine dauerhafte<br />

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sozialpflichtige Beschäftigung. Die Behinderten sollen nicht in eine Werkstatt abgeschoben werden,<br />

sondern mit ihrer Arbeit ihr eigenes Geld verdienen. Das nützt ihnen - und es hilft den Betrieben, in denen<br />

sie arbeiten.<br />

Dabei hilft seit 2005 auch das Modellprojekt "Integrationscoach", das vom Integrationsamt des<br />

Kommunalverbandes für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) entwickelt wurde, um geistig<br />

behinderten und lernbehinderten Schülern beim Einstieg in den Arbeitsmarkt zu helfen. Mitfinanziert wird<br />

das Projekt aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Die "Aktion 1000" ist ein Teil des Modellprojekts<br />

und beinhaltet das hehre Ziel, innerhalb der nächsten fünf Jahre 1000 geistig behinderten Menschen eine<br />

berufliche Perspektive auf dem regulären Arbeitsmarkt zu eröffnen. 2005 konnten 159, im vergangenen<br />

Jahr bereits 251 schwer behinderte Menschen vermittelt werden. Das ist nicht viel, aber schon deutlich<br />

<strong>mehr</strong> als früher, als Behinderte generell für arbeitsunfähig eingestuft wurden.<br />

Die Tannenhagschule will die Voraussetzungen für eine echte Wahlmöglichkeit schaffen. Eine bewusste,<br />

klare, aber auch realistische Berufsvorstellung ist dafür wichtige Basis: Schüler, Eltern und künftiger<br />

Arbeitgeber müssen die Stärken und Schwächen der jungen Menschen kennen, damit es klappt.<br />

Diplom-Sozialarbeiterin Steffi Gerstler ist eine der Integrationsfachberater für die Modellregion<br />

Oberschwaben (weitere Regionen sind Stuttgart, Franken und Donau-Iller) und erarbeitet mit den<br />

Schülern ganz persönliche Fähigkeits-, Leistungs- und Interessensprofile bevor sie einen Praktikums-,<br />

Arbeits- oder Ausbildungsplatz sucht. Eine reguläre dreijährige Ausbildung an einer Berufsschule hätte<br />

Adrian Sauter nicht bewältigen können, nicht nur weil er "Schule total langweilig findet und dort "oft<br />

eingeschlafen" ist.<br />

In der Firma Rebstein ist er "einer unserer wichtigsten Mitarbeiter", freut sich der Firmenchef. Meist ist<br />

Adrian mit Max Rauber unterwegs und der weiß über seinen jungen Gehilfen nur Positives zu berichten.<br />

"Er schafft wirklich gern" und nichts sei ihm zuviel. Dauert es mal etwas länger, zucke Adrian mit der<br />

Schulter und sagt, "dann nehm‘ ich halt den nächsten Bus". Adrian wohnt in Tettnang, was ein ziemliches<br />

Stück von Fischbach entfernt ist. Um 6.30 Uhr steigt er jeden Morgen in den Bus, fährt nach<br />

Friedrichshafen steigt um in den nächsten Bus nach Fischbach. Dass er den Busfahrplan komplett im Kopf<br />

hat, ist nur von Vorteil. Spaß, so Adrian, mache ihm alles, wenn es nichts mit Schule zu tun hat. Dass<br />

seine Arbeitgeber seine Schwächen und Stärken schon im Praktikum erkennen konnten, ist für beide<br />

Seiten von großem Vorteil. "Er passt gut zu uns", sagen die Kollegen und Max Rauber "und er schafft<br />

vorbehaltlos gern mit ihm zusammen". Besser kann es kaum laufen.<br />

Steffi Gerster, Schulleiter Karl-Heinz Vogt und sein Stellvertreter in der Tannenhagschule, Gerold<br />

Ehinger, hören das natürlich gerne. Sie haben Adrian gemeinsam mit seinen Kollegen auf das Berufsleben<br />

vorbereitet. Dessen bisheriger Weg weist darauf hin, dass sie alles richtig gemacht haben. Von den sechs<br />

Schülern, die im Schuljahr 2006/2007 in der WIB-Klasse anfingen, haben immerhin vier einen<br />

Arbeitsvertrag in einem Überlinger Hotel, in einer Kompostieranlage in Salem, in der Fischbacher<br />

Flaschnerei und in einem Einkaufszentrum in der Zeppelinstadt gefunden.<br />

Das ist ein großer Erfolg, zweifellos. Nur bei einer Absolventin der "Wege in den Beruf"-Klasse muss die<br />

Finanzierung noch geklärt werden und der sechste im Bunde wählte den Weg in eine Werkstufenklasse.<br />

Im laufenden Schuljahr wurden erstmals ausführliche Gespräche zur persönlichen Zukunftsplanung<br />

geführt. Dann machen sich die Schüler auf ihren Weg in den Beruf.<br />

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VON SUSANN GANZERT<br />

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