gerade noch im Krieg... - Frau zu Frau
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dienst | xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Nach dem eiNsatz ist vor dem eiNsatz | dienst<br />
<strong>gerade</strong> <strong>noch</strong><br />
<strong>im</strong> <strong>Krieg</strong>...<br />
. . . jetzt wieder Zuhause. Ein Jahr lang<br />
hat der Standort Bad Sal<strong>zu</strong>ngen Soldaten<br />
nach Afghanistan geschickt. Wie haben<br />
sich die Menschen verändert? Ein Besuch<br />
12 . js magazin 07-08/2010<br />
in seiner Kompanie gab es<br />
viele trennungen nach<br />
dem einsatz: stabsfeldwebel<br />
Busch, spieß bei den<br />
Panzergrenadieren<br />
FotoS: StEFFEn Roth (10)<br />
in der 2./Kompanie bei den Panzergrenadieren:<br />
die soldaten haben selbst einen<br />
Gedenkort geschaffen<br />
Am EndE kommt dAs LiEd aus dem Film „Gladiator“.<br />
Das Lied <strong>zu</strong>r letzten Szene: Der Gladiator<br />
stirbt in der Arena. Und er geht durch ein sonnenbeschienenes<br />
Weizenfeld seiner <strong>Frau</strong> und seinem Sohn<br />
entgegen, die vor ihm gestorben sind und am Horizont<br />
auf ihn warten. „Now we are free“, heißt das<br />
Lied: „Jetzt sind wir frei.“ Die Soldaten sitzen in dem<br />
großen Saal in der Kaserne in Bad Sal<strong>zu</strong>ngen und<br />
lauschen dem Gesang, manche haben sich nach<br />
vorne gebeugt, bedecken die Augen und weinen.<br />
Vier Bundeswehrsoldaten sind gestern in Afghanistan<br />
gestorben, an einem Tag <strong>im</strong> April.<br />
Eigentlich sollte heute ein großes Rückkehrfest<br />
stattfinden. Die beiden Bataillone am Standort haben<br />
ein Jahr lang Soldaten nach Afghanistan in den<br />
Einsatz geschickt. Doch dann die Nachricht mit den<br />
vier Toten. Das Fest wurde abgesagt. Stattdessen<br />
macht der Evangelische Militärpfarrer, Wolfram<br />
Schmidt, heute Morgen einen Trauergottesdienst,<br />
der Saal ist voll, viele stehen, ein Foto vom Ehrenhain<br />
in Kunduz ist an die Wand projiziert, das Vaterunser<br />
wird gebetet, und <strong>zu</strong>m Gladiator-Lied am Schluss kann jeder,<br />
der möchte, eine Kerze anzünden, <strong>im</strong> stillen Gedenken.<br />
Die Panzergrenadierbrigade 37, „Freistaat Sachsen“, war<br />
ein Jahr lang so genannte Leitbrigade für Afghanistan, das<br />
heißt sie war ein Jahr lang für den Einsatz verantwortlich, hat<br />
von April 2009 bis März 2010 Soldaten nach Mazar-e Sharif,<br />
Kunduz und Feyzabad geschickt – das Konzept, dass eine Brigade<br />
ein Jahr lang die Hauptlast des Einsatzes trägt, wurde so<br />
das erste Mal gefahren. In der Werratal-Kaserne in Bad Sal<strong>zu</strong>ngen<br />
in Thüringen gehören zwei Bataillone <strong>zu</strong>r Brigade,<br />
das Panzergrenadierbataillon 391 und das Panzerbataillon<br />
393. Mehr als 500 Soldaten von hier waren in den zwölf Monaten<br />
in Afghanistan. Sie sind Patrouille gefahren, sind beschossen<br />
worden und haben getötet, haben <strong>im</strong> Stab gearbeitet,<br />
afghanische Soldaten ausgebildet, Wahllokale erkundet,<br />
ihre <strong>Frau</strong>en vermisst und um vier Kameraden geweint, die in<br />
der Zeit gefallen sind. Wie verändert all das einen Standort?<br />
„Wir hAbEn innErhALb von tAgEn Aus kindErn<br />
männEr mAchEn müssEn“, sagt Stabsfeldwebel<br />
Gerald Gr<strong>im</strong>m. Zusammen mit Stabsfeldwebel Torsten<br />
Busch sitzt er bei einem Kaffee und erzählt; beide sind Spieße<br />
bei den Panzergrenadieren, beide waren mit ihren Kompa-<br />
nien in Kunduz. Die schweren Gefechte, in denen ihre Soldaten<br />
– <strong>zu</strong>m Teil erst 21 Jahre alt – standen, hätten diese<br />
ernsthafter werden lassen. Zurück <strong>zu</strong> Hause, müssten sie die<br />
Soldaten wieder an den Frieden gewöhnen: „Wenn der erste<br />
Schuss <strong>im</strong> Einsatz gefallen ist und der erste Mensch bricht vor<br />
einem <strong>zu</strong>sammen, dann muss man danach <strong>im</strong> Inland die<br />
Hemmschwelle wieder hochsetzen“, sagt Gr<strong>im</strong>m. „Dass<br />
nicht auf alles geschossen wird, was sich bewegt.“ Die Vorgesetzten,<br />
vom Truppführer bis <strong>zu</strong>m Kommandeur, müssen auf<br />
den Übungsplätzen genau hinsehen, auch darauf achten, ob<br />
einer der Soldaten auf die Gefechtsgeräusche auffällig reagiert<br />
– in Ohnmacht fällt, Flashbacks hat. Geräusche können<br />
ein Trauma triggern, das bislang geschlummert hat. „Nichts<br />
herbeireden“, sagt Busch, „aber wachsam sein“.<br />
19 Soldaten hat Gr<strong>im</strong>m in seiner Kompanie gehabt, die<br />
mit PTBS belastet waren oder sind, von 126 – deutlich mehr<br />
als die offiziell genannten fünf Prozent aller Einsatz-Soldaten.<br />
Torsten Busch erzählt von vielen Trennungen in seiner<br />
Kompanie, Beziehungen gingen auseinander, vor allem <strong>im</strong><br />
Führerkorps, vor allem nach dem Einsatz.<br />
kriEg ist nur viEr monAtE. Aber das Leben danach,<br />
das will <strong>noch</strong> lange gelebt werden. Gr<strong>im</strong>m ärgert sich über<br />
den Umgang mit dem Einsatzweiterverwendungsgesetz, das<br />
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dienst |<br />
Nach dem eiNsatz ist vor dem eiNsatz<br />
dafür sorgen soll, dass verletzte Soldaten länger bei der Bundeswehr<br />
beschäftigt werden können: Verwundete Soldaten<br />
aus seiner Kompanie wurden gesund geschrieben, ohne dass<br />
es den Soldaten selbst oder dem Spieß mitgeteilt wurde – und<br />
der musste sie dann von einem Tag auf den anderen aus der<br />
Bundeswehr entlassen. Dienstzeit um, Behandlung beendet,<br />
raus. „Da muss der Dienstherr mehr Fingerspitzengefühl zeigen“,<br />
sch<strong>im</strong>pft Gr<strong>im</strong>m. „Die sind vielleicht medizinisch geheilt<br />
– wenn überhaupt, das kann man ja auch erst langfristig<br />
richtig sagen. Die einsatzerfahrenen Soldaten achten jetzt<br />
sehr darauf, wie hier vorgegangen wird. Und überlegen sich<br />
dann 2012 ganz genau, ob sie <strong>noch</strong>mal mitgehen.“ Nochmal<br />
mit nach Afghanistan, 2012 sind sie wieder dran.<br />
Ein AgA-Zug mArschiErt Am FEnstEr vorbEi,<br />
die Sonne scheint, die früheren DDR-Plattenbauten der Kaserne<br />
sind renoviert, helle Pastelltönen, am Horizont wellen<br />
sich die sanften Hügel des Thüringer Waldes. Nein, es ist<br />
nicht alles Tod, Trauer und Trauma in Bad Sal<strong>zu</strong>ngen. Busch<br />
sagt über die St<strong>im</strong>mung in seiner Kompanie, sie sei „normal“,<br />
seine Männer freuten sich auf die Übungsplätze. Viele Einsatzsoldaten<br />
sind bereits versetzt oder ausgeschieden, neue<br />
Soldaten da<strong>zu</strong>gekommen. Aber der Einsatz ist <strong>noch</strong> präsent.<br />
Und bedeutet für die Spieße viel Arbeit – ein Auge auf ihre<br />
„Jungs“ haben, den Papierkrieg <strong>zu</strong>m Einsatzweiterverwendungsgesetz<br />
führen. Und darauf achten, dass die Afghanistan-Soldaten,<br />
die „Dahe<strong>im</strong>gebliebenen“ und die Neuen<br />
gut <strong>zu</strong>sammenwachsen. Die Spieße klagen nicht. Sie machen.<br />
Ohne jede <strong>zu</strong>sätzliche Unterstüt<strong>zu</strong>ng.<br />
Oberfeldwebel René Schmidt hat <strong>noch</strong> nach rechts geschaut,<br />
<strong>zu</strong> dem Toyota, den sie <strong>gerade</strong> überholten, hat dem<br />
Fahrer ins Gesicht geblickt, langer Bart, ganz in schwarz gekleidet,<br />
der hat ihn angelächelt. „LINKS! GAS!“, hat Renee<br />
Schmidt seinem Kraftfahrer <strong>noch</strong> <strong>zu</strong>gebrüllt. Da ging die<br />
Bombe des Selbstmordattentäters auch schon hoch, den<br />
Dingo der Bundeswehr drückte es nach links ins Feld. Das<br />
14 . js magazin 07-08/2010<br />
Nach vorne schauen und nicht vergessen: die Kommandeure<br />
der Bataillone, otL Leyde (links) und otL Killmann<br />
(rechts) sowie der spieß, stabsfeldwebel Gr<strong>im</strong>m<br />
war am 29. April 2009. Am gleichen Tag starb in einem Gefecht<br />
einige Kilometer weiter der Hauptgefreite Sergej Motz.<br />
rEné schmidt ist Ein EchtEr PAnZErgrEnAdiEr,<br />
kurze weizenblonde Haare, breiter Typ, Nike-T-Shirt,<br />
„just-do-it“. Er lebt mit seiner <strong>Frau</strong> Juliane und seinem Sohn<br />
in einem kleinen Dorf in der Nähe von Bad Sal<strong>zu</strong>ngen, einstöckiges<br />
Häuschen, Planschbecken <strong>im</strong> Garten. Als Truppführer<br />
auf dem Dingo war Schmidt in Kunduz. Bis <strong>zu</strong> dem<br />
Anschlag. Er und vier seiner Soldaten werden verletzt ausgeflogen,<br />
niemand ist schwerst verwundet.<br />
René Schmidt hat Verbrennungen <strong>im</strong> Gesicht und an der<br />
Hand, sie werden behandelt. Monate später merkt man: Mit<br />
dem Daumen st<strong>im</strong>mt etwas nicht, ein Kahnbeinbruch, den<br />
man nicht erkannt hatte. Die Hand wird operiert, eine zweite<br />
OP steht <strong>noch</strong> aus – aber hundertprozentig beweglich wird<br />
der Daumen nie wieder sein.<br />
diE ungEWisshEit nAgt Am LEbEn der kleinen Familie.<br />
Weder ist klar, wie hoch die Wehrdienstbeschädigung<br />
von René Schmidt eingestuft wird, Gutachten werden gestellt<br />
und geprüft und neue gestellt. Noch wissen sie, wie die<br />
Zukunft aussehen soll: eigentlich wäre René Schmidt schon<br />
seit Ende 2009 <strong>im</strong> BFD, den Realschulabschluss machen, bis<br />
er <strong>im</strong> November 2011 aus der Bundeswehr ausscheidet. Das<br />
geht nun nicht. Wenn er bis 2011 behandlungsfrei ist, dann<br />
wird laut Einsatzweiterverwendungsgesetz seine Zeit bei der<br />
Bundeswehr nicht verlängert, er wird entlassen. Kein BFD,<br />
kein Realschulabschluss, was dann? Der Oberfeldwebel ist<br />
ein Präzedenzfall, ein Musterfall. Eine Eingabe an den Wehrbeauftragten<br />
hat er schon geschrieben.<br />
Juliane Schmidt ist schmal, mit dünnen Oberarmen,<br />
dunklen Haaren <strong>zu</strong>r blassen Haut, großen grauen Augen. Ihr<br />
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxx | dienst<br />
Wie soll es weitergehen, nach<br />
der verlet<strong>zu</strong>ng <strong>im</strong> einsatz?<br />
oberfeldwebel schmidt und<br />
seine <strong>Frau</strong> Juliane<br />
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dienst |<br />
Nach dem eiNsatz ist vor dem eiNsatz<br />
geht es nicht gut, die Sorgen um den Mann, und sie selbst hat<br />
Albträume von dem Anschlag. An der Fachhochschule, an<br />
der sie studiert, ist ein Albaner mit langem Bart in ihrem Seminar,<br />
neulich kam er ganz in schwarz, da bekam sie Panikattacken,<br />
sie sitzt <strong>im</strong>mer direkt neben der Tür. Durch ein paar<br />
Prüfungen ist sie durchgefallen, manchmal sackt der Kreislauf<br />
weg. Jetzt sucht sie einen guten Psychologen – aber in<br />
der Region sind alle ausgebucht. Ihr Mann wird von der Bundeswehr<br />
betreut, sie nicht. Das Einsatznachbereitungsseminar<br />
war nicht für die Angehörigen, die Familienbetreuungsstelle<br />
ist nach dem Ende des Kontingents nicht mehr <strong>zu</strong>ständig.<br />
Was würde sie sich denn wünschen? „Eine längere und<br />
genauere Vorbereitung, vielleicht mit so einer Art Rettungskette<br />
für die <strong>Frau</strong>. Und Betreuung hinterher. Dann tauchen<br />
die Probleme doch erst richtig auf.“<br />
Ein nEonbELEuchtEtEr FLur, der Stab des Panzer-<br />
grenadierbataillons, wieder <strong>zu</strong>rück in der Kaserne. Hier sieht<br />
man an den Wänden auf wenigen Metern, wie weit der Weg<br />
ist, den die Bundeswehr gegangen ist: Auf einer Seite hängen<br />
Bilder von der Oderflut 1997, Soldaten mit Sandsäcken. Ein<br />
Stück weiter vorne eine Pinnwand, daran ein Ausdruck aus<br />
dem Internet mit den jüngsten Nachrichten. Vier Soldaten<br />
in Afghanistan tot. Oberstleutnant Andreas Killmann, Kom-<br />
„man hat alles ein bisschen mehr lieben<br />
gelernt“, sagt markus Kempf. er war<br />
bei der QrF, heute ist er wieder zivilist<br />
mandeur des Panzergrenadierbataillons 391, ist<br />
selbst erst seit vier Wochen <strong>zu</strong>rück aus Kunduz. Und<br />
schaut schon wieder nach vorne. Vieles hat brachgelegen<br />
am Standort, große Teile seines Stabes hatte<br />
Killmann mitgenommen nach Kunduz, die Planungen<br />
Zuhause haben gelitten, „da muss man jetzt<br />
wieder ran“. Kaum Zeit für ihn, <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>schauen<br />
oder durch<strong>zu</strong>atmen. Zumal er bald versetzt wird,<br />
Streitkräfteamt in Bonn, ganz andere Baustelle.<br />
Auch der Kommandeur des Panzerbataillons<br />
393, Oberstleutnant Philipp Leyde, ein überlegter,<br />
hochgewachsener Offizier, war in Afghanistan.<br />
Auch er sagt: „Jetzt müssen wir wieder gemeinsam<br />
anpacken“ und erzählt von der Vorfreude auf die<br />
Panzerschlachten, die anstehen – „das kann man<br />
vielleicht als Zivilist jetzt nicht so verstehen“, sagt er<br />
und lächelt. Er würdigt vor allem auch die, die in<br />
dem Jahr am Standort geblieben sind und den<br />
Grundbetrieb aufrechterhalten haben. Viele Beziehungen<br />
seien bei den Soldaten seiner 5. Kompanie,<br />
der AGA-Kompanie, in die Brüche gegangen – so<br />
viele wie bei jenen, die mit <strong>im</strong> Einsatz waren. Die 5.<br />
musste vier AGAs hintereinander stemmen, für beide<br />
Bataillone, mit wenig <strong>zu</strong>sätzlichem Personal. Das<br />
hieß: Richtig harte Arbeit. Abende und Wochenenden in den<br />
Kasernen. Da haben sich manche <strong>Frau</strong>en verabschiedet. Und<br />
die Jungs können nicht mal Heldengeschichten erzählen.<br />
Aus dEm LAgEZEntrum dEr kAsErnE dröhnt<br />
Es. Das Lagezentrum sind zwei Räume gegenüber des Mannschaftshe<strong>im</strong>s<br />
und dortdrin sitzt Stabsfeldwebel Matthias<br />
Weix, kräftiger Brustkorb, Schnurrbart, rauchend, laut und<br />
herzlich. Für ihn hat der Einsatz <strong>im</strong> Januar 2008 angefangen.<br />
Da hat er seine Arbeit <strong>im</strong> Lagezentrum begonnen, <strong>im</strong> Dezember<br />
2008 den ersten Soldaten nach Afghanistan in den Flieger<br />
gesetzt und den letzten Ende April 2010 wieder abgeholt. In<br />
den über zwei Jahren hat er 1546 Soldaten für Afghanistan<br />
eingeplant, hat ihre Lehrgänge, Impfungen und Arzttermine<br />
koordiniert, Abflüge gebucht und wieder verschoben, weil<br />
die Oma gestorben ist, und hat gelernt, dass der Soldat, der<br />
die Überwachungskameras <strong>im</strong> Camp in Afghanistan wartet,<br />
eine best<strong>im</strong>mte betriebsärztliche Untersuchung braucht. Er<br />
hat Soldaten <strong>zu</strong>m Flughafen gebracht und vier Monate später<br />
mit Mettwurstbrötchen und Sekt wieder in Empfang genommen<br />
und so manche Nacht <strong>im</strong> Lagezentrum durchgearbeitet.<br />
Aber eigentlich gibt es ihn gar nicht, erzählt er. Ihn nicht,<br />
seine neun Kameraden <strong>im</strong> Lagezentrum nicht, die Rechner<br />
nicht, nicht mal die Räume. Die STAN-Änderung von der Bri-<br />
gade wurde abgeschmettert, es gab keine offiziellen Dienstposten<br />
für das Lagezentrum – und wo kein Dienstposten, da<br />
auch kein Stuhl, kein Tisch, kein Rechner. Einsatz ja, Lagezentrum<br />
nein, so die verblüffende Logik. Also haben sich die<br />
Bataillone am Standort selbst geholfen und Personal aus anderen<br />
Dienstposten herausgeschnitten. Was machen Sie<br />
denn sonst so, Herr Weix? „Offiziell bin ich Bürosachbearbeiter<br />
Controlling –aber davon weiß ich jetzt nicht mehr viel“,<br />
sagt er. Und lacht.<br />
Markus Kempf und Oberstabsgefreiter Patrick Schönherr<br />
sitzen an dem runden Tisch be<strong>im</strong> Militärpfarrer des Standorts<br />
und erzählen von ihren Einsatzerlebnissen. Beide waren<br />
sie bei der Quick Reaction Force (QRF), von April bis Oktober<br />
2009, für ein halbes Jahr, meist in Kunduz. Sie sind häufig<br />
von Taliban angegriffen worden, sind ausgerückt, wenn andere<br />
Züge <strong>im</strong> Feuergefecht standen, und haben Menschen<br />
totgeschossen. Nette junge Männer, herzensklug und offen,<br />
keine Rambos. Beide reden sehr nüchtern übers Töten: „Das<br />
hat mich nicht großartig belastet, weil ich gesagt habe: Er<br />
oder ich. Wir fangen ja nicht an mit Schießen“, so Kempf.<br />
Wie haben sie sich durch den Einsatz verändert? „Man ist auf<br />
jeden Fall erwachsener geworden“, sagt Kempf. Er mache<br />
sich mehr Gedanken – über Politik, das Leben nach dem Tod<br />
und sogar über Altersvorsorge. Und er sagt: „Man hat alles<br />
ein bisschen mehr lieben gelernt als vorher.“ Schönherr ist<br />
während des Einsatzes Vater geworden. „Meine Freundin hat<br />
nach dem Einsatz gesagt, dass ich nicht so belastbar war, ich<br />
bin ziemlich schnell aus der Haut gefahren“, erzählt er. Jetzt<br />
sei es wieder „einwandfrei“, er kann gut schlafen, träumt<br />
nicht schlecht, redet aufgeräumt von der kleinen Tochter.<br />
dEr miLitärPFArrEr Wünscht sich ZEit. Draußen<br />
geht die Sonne langsam unter an diesem Tag <strong>im</strong> April,<br />
große Fenster, die Wände orange, die frischen Kerzen auf<br />
dem Tisch in blau, grün, orange, ein warmer Kontrast <strong>zu</strong>m<br />
neonfarbenen Einerlei der Kompanien. Wolfram Schmidt<br />
wünscht sich Zeit für seine Soldaten am Standort, dass es<br />
Nach dem eiNsatz ist vor dem eiNsatz | dienst<br />
mehr zeit für die soldaten – und bessere Betreuung<br />
wünscht sich militärpfarrer schmidt (mitte) für<br />
seine soldaten. stabsfeldwebel Weix arbietet <strong>im</strong> Lagezentrum,<br />
oberstabsgefreiter schönherr war bei QrF<br />
nicht gleich <strong>im</strong> Höllentempo weitergeht. Er war selbst in Afghanistan,<br />
in Kunduz, er hat die Verletzten betreut, die Trauerfeiern<br />
für vier Tote gehalten und hat allen <strong>zu</strong>gehört, vom<br />
Hauptgefreiten bis <strong>zu</strong> Oberst Klein. Als er <strong>zu</strong>rückkam, hat<br />
Wolfram Schmidt eine Zeitlang kaum gelacht.<br />
ProFEssionELLE strukturEn, das ist sein zweiter<br />
Wunsch: Ein Betreuungsteam, das vor den Einsätzen, in der<br />
Mitte und auch danach für die Soldaten und ihre Familien da<br />
ist. Die Familienbetreuungsstelle am Standort ist aufgelöst.<br />
Ja, es gibt das Psychosoziale Netzwerk. Das besteht aus Wolfram<br />
Schmidt, seinem katholischen Kollegen, der Truppenpsychologin,<br />
der Sozialdienst-Mitarbeiterin und jemanden<br />
aus dem Sanitätszentrum. Wolfram Schmidt selbst hat neben<br />
Bad Sal<strong>zu</strong>ngen <strong>noch</strong> Rotenburg und die Sportfördergruppe<br />
Oberhof <strong>zu</strong> betreuen, momentan vertritt er außerdem den<br />
Standortpfarrer für Gotha. Die Psychologin ist für die gesamte<br />
Brigade <strong>zu</strong>ständig, mit Sitz in Frankenberg, 300 Kilometer<br />
weit weg. Und die Sanitätsärzte? Die sind zwar am<br />
Standort, wechseln aber ständig. Das ist das Psychosoziale<br />
Netzwerk. Regulär sehen sie sich einmal <strong>im</strong> Vierteljahr – um<br />
über 1500 Soldaten in der Kaserne <strong>zu</strong> betreuen.<br />
Schmidt muss alles auf dem Zettel und <strong>im</strong> Herzen behalten:<br />
Angehörige der gefallenen Soldaten, Verwundete besuchen,<br />
sich nach den Therapien der PTBS-Erkrankten erkundigen,<br />
Einsatznachbereitungsseminare besuchen, Rüstzeiten<br />
mit Einsatzsoldaten und ihren Familien machen, mehr taufen<br />
und mehr trauen als früher – das sind die fröhlichen Momente.<br />
Und dabei den Alltag nicht vergessen: Den Wehrpflichtigen,<br />
der <strong>noch</strong> verweigern möchte. Den FWDLer, der<br />
Liebeskummer hat.<br />
2011 beginnt die Einsatzvorbereitung. Dorothea Siegle<br />
16 . js magazin 07-08/2010 07-08/2010 js magazin . 17