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physikgeschichte - Austrian Physical Society

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PHYSIKGESCHICHTE<br />

Buchbesprechung:<br />

Ilse Maria Fasol-Boltzmann, Gerhard<br />

Ludwig Fasol (Hrsg.): Ludwig Boltzmann<br />

(1844-1906) Zum hundertsten<br />

Todestag. Springer Wien New York<br />

2006. ISBN-13 978-3-211-33140-8<br />

Ludwig Boltzmann ist zugleich einer<br />

der bedeutendsten und doch auch der<br />

unbekanntesten Physiker der neueren<br />

Zeit. Dass sich heuer sein Todestag<br />

zum 100. Mal jährt, hat sich in einigen<br />

Veranstaltungen niedergeschlagen, ist<br />

aber in der Literatur ziemlich unbemerkt<br />

geblieben. Umso verdienstvoller<br />

ist es, dass die Enkelin<br />

Boltzmanns, Ilse Maria Fasol-<br />

Boltzmann, gemeinsam mit Gerhard<br />

Ludwig Fasol, das vorliegende<br />

Bändchen herausgebracht haben,<br />

das Artikel zur Biographie und<br />

über die philosophischen Aspekte<br />

in Boltzmanns Werk mit solchen<br />

über sein (durchaus gespanntes)<br />

Verhältnis zu verschiedenen berühmten<br />

Fachkollegen, mit der<br />

Erstveröffentlichung eines bisher<br />

nur als Manuskript von fremder<br />

Hand (nach Boltzmanns Diktat<br />

oder als Vortragsmitschrift?) vorliegenden<br />

populären Vortrags und<br />

verschiedene Bild- und Schriftdokumenten<br />

kombiniert. Einen besonderen<br />

Reiz erhält das Werk<br />

dadurch, dass die Herausgeberin<br />

aus der Familientradition über<br />

sehr persönliche Informationen<br />

zum Leben ihres Großvaters besitzt<br />

und zudem, wie Walter Höflechner<br />

im Geleitwort anmerkt,<br />

„Jahrzehnte der Arbeit an den nachgelassenen<br />

Materialien gewidmet<br />

und unter enormem Arbeitsaufwand in<br />

mühseliger Kleinarbeit die sehr individuelle<br />

Kurzschrift Boltzmanns entzifferte“.<br />

Dadurch sind zahlreiche neue Texte<br />

zugänglich geworden, die bisher<br />

Unbekanntes zur Gedankenwelt Boltzmanns<br />

zutage fördern und ein tieferes<br />

Bild des großen Naturforschers und<br />

Philosophen, aber auch des Menschen<br />

Boltzmann zeichnen.<br />

Der biographische Artikel umfasst 52<br />

Seiten und erstreckt sich von der Ahnenreihe<br />

Ludwigs über seine Jugend,<br />

die Studien- und Assistentenzeit, seine<br />

Professuren in Graz (zweimal), Wien<br />

(dreimal), München und Leipzig bis zu<br />

seinem tragischen Tod in Duino und<br />

8 N R. 4/2006<br />

LUDWIG BOLTZMANN<br />

ist mit vielen, zum Teil noch unveröffentlichten<br />

Bildern aus der Familie und<br />

seiner Umgebung ergänzt. Durch den<br />

persönlichen Stil und den Rückgriff auf<br />

den von der Verfasserin verwalteten<br />

wissenschaftlichen Nachlass ist diese<br />

Biographie auch für den lesenswert,<br />

der mit dem Standardwerk, Walter Höflechners<br />

„Ludwig Boltzmann, Leben<br />

und Briefe“ (1994) vertraut ist. Der Bescheidenheit<br />

der Autorin, die ihr Werk<br />

„keineswegs ein wissenschaftliches“<br />

nennt, kann nicht beigepflichtet werden.<br />

Das folgende Essay von Stephen G.<br />

Brush (College Park, MD, USA) ist<br />

bereits in in der 1990 erfolgten Publikation<br />

von Boltzmanns Principien der<br />

Naturfilosofi zu finden, der Nachdruck<br />

hat aber hier durchaus seine Berechtigung.<br />

Brush’s Analyse demonstriert<br />

überzeugend, wie sehr Boltzmanns<br />

physikalisches Werk lebenslang durch<br />

philosophische Fragestellungen bestimmt<br />

war und wie sehr Boltzmann<br />

nicht nur nach extensivem Wissen<br />

sondern nach einem kohärenten Weltbild<br />

strebte.<br />

Zwei Artikel von Karl Heinz Fasol beleuchten<br />

das Verhältnis Boltzmanns zu<br />

Maxwell einerseits und Mach und Ost-<br />

wald andererseits. Boltzmann hat Maxwell<br />

nie persönlich kennen gelernt,<br />

zählte aber zu den frühesten und überzeugtesten<br />

Verfechtern der<br />

Maxwell’schen Elektrizitätstheorie sowie<br />

seiner mechanistischen Gastheorie.<br />

Bezeichnend für die Denkweise<br />

des 19. Jahrhunderts ist, dass Boltzmann<br />

viel Arbeit investierte, um die<br />

Maxwell’schen Gleichungen durch mechanische<br />

Modelle zu demonstrieren.<br />

Das bekannteste Beispiel dafür ist das<br />

„Bicycel“, eine Art Differentialgetriebe,<br />

das die Verkettung von elektrischen<br />

und magnetischen Wirkungen<br />

und die daraus entstehenden<br />

Phänomene der Induktion und<br />

Transformation durch einem genialen<br />

Zahnradmechanismus<br />

nachbildet. Das Original ist verloren,<br />

in den noch existierenden Vorlesungsskripten<br />

sind allerdings<br />

ausreichende Zeichnungen vorhanden,<br />

dass ein funktionstüchtiger<br />

Nachbau am Grazer Physikalischen<br />

Institut hergestellt werden<br />

konnte. Mit Mach und Ostwald verbanden<br />

Boltzmann eher Konkurrenz<br />

und Polemik, der Grund dafür<br />

lag aber nicht nur in den unterschiedlichen<br />

Temperamenten,<br />

sondern auch in gänzlich verschiedenen<br />

Weltsichten. Trotzdem<br />

schreib Boltzmann wenigstens<br />

über Ostwald „Mein persönliches<br />

verhältnis zu ihm ist das wissenschaftlicher<br />

Gegnerschaft bei<br />

höchster persönlicher Wertschätzung“.<br />

„Ich ehre die Philosophie, ich hasse<br />

die Philosophen“. Dieses Motto<br />

beschreibt sehr klar Boltzmanns gespaltenes<br />

Verhältnis zu der Wissenschaft,<br />

die eigentlich die treibende Kraft<br />

auch hinter all seiner Physik war. Besondere<br />

Bedeutung haben seine Gedanken<br />

über Raum, Zeit und Materie.<br />

„So haben wir uns das Rüstzeug zurechtgelegt<br />

zur Behandlung der großen<br />

Continua Raum, Zeit und Materie … es<br />

ist enorm, welcher … Scharfsinn auf<br />

… Lösung dieses großen Rätsels …<br />

aufgewendet worden ist“, schreibt er<br />

in der Naturfilosofi, und nicht von<br />

Ungefähr ist Boltzmann der Einzige,<br />

den einige Jahre später Albert Einstein<br />

zitiert, wenn er sich anschickt, das Rätsel<br />

anzupacken.

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