legale Rausch? - Nansen & Piccard
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Abbildung ähnlich: Wer Drogen nimmt,<br />
sieht die Welt oft bunter. Schön ist das<br />
nicht immer.<br />
100 — Wissen<br />
Dichterfreiheit<br />
Laufend werden Drogen verboten. Doch noch<br />
schneller werden neue erfunden. Wie funktioniert<br />
der <strong>legale</strong> <strong>Rausch</strong>? Ein Selbstversuch.<br />
Text PAUL-PHILIPP HANSKE Illustrationen JAMES ROPER<br />
Wissen — 101
Jeder <strong>Rausch</strong> ist eine Reise. Fragt sich nur: Wohin?<br />
B evor<br />
man sich im <strong>Rausch</strong> verliert, muss man ganz genau sein.<br />
Die erste Aufgabe meiner Selbstversuchsgruppe: Teile ein<br />
Gramm in Portionen zu fünf Tausendsteln. Wir, die wir uns an diesem<br />
Abend zusammengefunden haben, um uns auf psychedelische Erkundungstour<br />
zu begeben, versammeln uns also um einen liegenden Spiegel<br />
und bemühen unsere Dividierkenntnisse: 1000 Milligramm in zwei<br />
Häuflein macht 500, dann 250, 125 … »Was ist 125 durch zwei?« – »Pass<br />
auf, der hier ist viel größer!« Vorsichtshalber ziehen wir die Vorhänge<br />
zu. Spiegel, Kontokarte, weißes Pulver – wie sieht das denn aus? Dabei<br />
dürften, sollten Polizisten in dieses Wohnzimmer eindringen, sie uns<br />
nicht einmal die Substanz abnehmen: Methoxetamin, MXE oder, auch<br />
nicht gerade vertrauenerweckend: Roflcoptr.<br />
Der Überbegriff lautet: Legal Highs. Denn es sind – zumindest halbwegs<br />
– <strong>legale</strong> Drogen. Dass es so etwas gibt, liegt am deutschen Betäu-<br />
bungsmittelgesetz, kurz BtMG. Das funktioniere, erklärt mir der Staatsanwalt<br />
und BtMG-Fachmann Jörn Patzak (Motto: »Finger weg vom<br />
Drogendreck«), über eine Positivliste: »Alle verbotenen Substanzen<br />
müssen ausdrücklich genannt werden, wie Kokain, Cannabisprodukte,<br />
Das Betäubungsmittelrecht verbietet nur, was<br />
es kennt. Aber es kennt nicht alles<br />
Heroin und so weiter.« Nun ist jede Liste endlich – theoretisch aber gibt<br />
es unendlich viele berauschende Substanzen.<br />
Das erste Legal-High-Produkt, das für Aufregung sorgte, war vor etwa<br />
vier Jahren Spice. Ich erfuhr damals über aufgeregte Schlagzeilen à la<br />
»Schüler kiffen sich ins Koma« davon. Kurz darauf zeigte ein Freund mir<br />
eine hässlich gestaltete Glitzerpackung. Wir betrachteten sie gering-<br />
schätzig: »Das also rauchen Gymnasiasten in der kleinen Pause.« Trotzdem<br />
drehten wir uns eine Zigarette mit dem penetrant nach Esoladen<br />
stinkenden Pflanzenpulver. Herzrasen, dazu das Gefühl, als hätte sich<br />
eine Käseglocke über das Bewusstsein gestülpt – alles war enorm weit<br />
weg. An diesem Abend fiel ich zum ersten und bisher letzten Mal vor<br />
Lachen von einem Stuhl. Kurz darauf wurde durch Untersuchungen<br />
bestätigt: Spice enthält mehrere künstliche Cannabinoide, Stoffe, die<br />
einen ähnlichen <strong>Rausch</strong> hervorrufen wie Cannabisprodukte. Im Eilverfahren<br />
wurden sie verboten. Damals meinte man, damit das Pro blem<br />
gelöst zu haben.<br />
Aber Methoxetamin, die Substanz, der wir uns an diesem Abend stellen,<br />
ist immer noch legal. Aufmerksam darauf wurde ich, wieder einmal,<br />
über die Presse. Englische Medien schrieben: »It’s legal, it’s cheap and<br />
it’s trippy as hell!« – »Why not?«, dachte ich. Berichtet wurde, dass sich<br />
die Welt auf Methoxetamin in ein höchst unterhaltsames Märchenland<br />
verwandle. Erwische man aber zu viel, finde man sich auf Stunden in<br />
einem Raum wieder, in dem es weder Sprache noch Denken – auf<br />
höchst unangenehme Weise aber immer noch einen selbst gebe.<br />
Auf MXE verwandle sich die Welt in ein höchst<br />
unterhaltsames Märchenland, heißt es<br />
Das gilt es natürlich zu vermeiden. Weder meine Freunde noch ich sind<br />
psychedelische Draufgänger. Eher Mitte dreißigjährige, halbwegs gesetzte<br />
Männer, Familienväter und Kombifahrer, die es interessant finden,<br />
gelegentlich an den Justierschrauben der eigenen Wahrnehmung<br />
zu drehen. Ein kurzes Gegenprogramm zum Alltag mit seinen berechenbaren<br />
Herausforderungen. Praktisch, dass das auch noch legal zu<br />
haben ist.<br />
Inzwischen haben wir auch die Portionierung geschafft. Ich schlage ein<br />
Kreuz (das mache ich auch, wenn ich ein Flugzeug betrete) und – schnief.<br />
Mein Gott, wie scheußlich.<br />
Archie, unser Protokollant, blickt uns fragend an. Bisher fühlt es sich in<br />
etwa so an, als hätte ich mich zweimal im Kreis gedreht und mehrere<br />
Dolo-Dobendan-Halsschmerztabletten gelutscht. Stefano und Tobi<br />
beginnen ein banales Gespräch über irgendeine neue Serie. Ich schaue<br />
sie strafend an: Etwas mehr Ernst bitte! Aber genau genommen sind wir<br />
einfach noch nüchtern. Also die nächste Runde.<br />
Ernst Jünger beschreibt in seinem Drogenbuch »Annäherungen« den<br />
<strong>Rausch</strong> so: Der »geistige Mensch« suche damit nicht eine Steigerung<br />
seiner Kräfte, auch kein Glück oder Wohlbefinden. Ihm gehe es um das<br />
»Eintretende«: das radikal Fremde, dem man sich stellen müsse. Genau<br />
so ist es. Auf einmal ist ES da. Nur was? Ein seltsames Gefühl kriecht in<br />
mich. Angenehm? Na ja. Einfach nur anders. Ich schließe die Augen.<br />
Nein, immer wach bleiben. Ich hole etwas zu trinken. Huiuiui, der Boden<br />
ist aber ganz schön uneben, plötzlich.<br />
Die Lust am <strong>Rausch</strong> ist eine anthropologische Konstante. Jede Gesellschaft,<br />
das führt der Kulturhistoriker Mike Jay in seiner Drogenabhandlung<br />
»High Society« aus, pflegt ihre Räusche. Während diese in früheren<br />
Zeiten in religiöse Zeremonien eingebettet waren, wurden sie in der<br />
Moderne individualisiert – infolge der Sehnsucht nach einer »Wiederverzauberung«<br />
der als öde empfundenen Welt. Jürgen vom Scheidt, ein<br />
freundlicher Alt-68er und der Autor des legendären »Handbuches der<br />
<strong>Rausch</strong>drogen« (ein häufig geklautes Buch in öffentlichen Bibliotheken),<br />
bringt es so auf den Punkt: »Es geht bei Drogen immer auch darum, den<br />
uralten Topos der ›Heldenreise‹ wiederzubeleben. Man entfernt sich<br />
102 — Wissen Mitarbeit: Xifan Yang<br />
Wissen — 103<br />
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Geht es um Glück? Oder um das radikal Fremde, dem man sich stellen will?<br />
aus dem gesicherten Alltag, um eine Mutprobe oder eine Initiation<br />
zu bestehen.«<br />
Genauso war es in meiner eigenen, bescheidenen <strong>Rausch</strong>karriere. Es<br />
gab einen direkten Übergang von den Abenteuerspielen der Kindheit<br />
zum ersten Bierrausch und dem ersten Joint. War es mir kurz zuvor ein<br />
unglaubliches Vergnügen gewesen, mit Freunden durch den Wald zu<br />
streifen und Jedi-Ritter-Kämpfe zu bestehen, begab ich mich nun auf<br />
innere Abenteuerreisen – der Reiz war der gleiche. Auch hatte ich nie<br />
das Gefühl (wie es die Lehrer warnend formulierten), der Realität zu<br />
entfliehen. Es ging darum, diese zu bereichern. Und da ich immer vorsichtig<br />
war und mich eher in den <strong>Rausch</strong> schlich als warf, hatte ich<br />
damit auch nie Probleme.<br />
Bei manchen führen die Heldenreisen jedoch in die Dunkelheit. Jeder<br />
kennt die Geschichten von Schulkameraden, Freunden oder Verwand-<br />
104 — Wissen<br />
ten, die abglitten in die Sucht oder in eine Drogenpsychose und die jetzt<br />
für den Rest ihres Lebens mit irrem Blick durch Wälder streifen. Es versteht<br />
sich eigentlich von selbst, dass die Politik tätig wird, um das zu<br />
unterbinden. In Deutschland wurde 1972 mit dem Betäubungsmittelrecht<br />
ein Verbotsgesetz installiert – zuvor war der Umgang mit Drogen<br />
im Opiumgesetz von 1929 geregelt gewesen, das aber nur in seltenen<br />
Fällen zu wirklicher Verfolgung geführt hatte. Das Betäubungsmittelrecht<br />
hingegen habe eine doppelte Stoßrichtung, erklärt der Staatsanwalt<br />
Jörn Patzak: »Zum einen soll das Individuum vor Krankheit und<br />
Sucht geschützt werden.« Daneben gehe es aber auch um den Schutz der<br />
Volksgesundheit. »Beide Aspekte rechtfertigen das Verbot«, sagt Patzak.<br />
Aber es gibt Mittel und Wege, das Verbot zu umgehen.<br />
Etwa über neue Drogen, wie MDMA, 2-CB oder Methamphetamin. In<br />
der Vergangenheit wurden diese immer relativ schnell entdeckt und den<br />
NH<br />
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O<br />
METHOXETAMIN<br />
ist ein stark psychedelisches<br />
Derivat des Narkosemittels<br />
Ketamin. Angeblich entwickelte<br />
es ein einarmiger britischer<br />
Pharmazeut als Nebeneffekt seiner<br />
Forschung an neuen Schmerzmitteln.<br />
Die Legal Highs kommen<br />
von der »dunklen Seite«<br />
der Neurowissenschaften.<br />
Drogengesetzen unterstellt. Die Legislative hinkte der Entwicklung von<br />
Designerdrogen etwas hinterher, hielt aber einigermaßen Schritt. Das<br />
änderte sich schlagartig – infolge des Booms der Neurowissenschaften.<br />
Zum Beispiel Spice: Das ist ein Forschungsprodukt. In den Achtzigerjahren<br />
entdeckten Forscher, dass der Cannabisrausch ausgelöst wird,<br />
indem THC, der Cannabiswirkstoff, an die Cannabinoidrezeptoren andockt.<br />
Die sind für viele kognitive Vorgänge, aber auch für die Steuerung<br />
des Immunsystems mitverantwortlich. Pharmazeuten machten sich<br />
nun – in der Hoffnung auf neue Medikamente, etwa gegen Schmerzen<br />
oder Krämpfe – auf die Suche nach anderen Molekülen, die wie ein<br />
Schlüssel in dieses Schloss passen. Sie wurden fündig und synthetisierten<br />
etliche Substanzen mit Namen wie JWH-018 oder CP 47,497-C8.<br />
2004 begannen findige Köpfe der zuerst in England, später in den Niederlanden<br />
gemeldeten Firma Psyche Deli, einige dieser Substanzen in Reinform<br />
zu kaufen, auf ein wirkungsloses Pflanzensubstrat aufzutragen<br />
und als »Räuchermischung« zu vertreiben: Spice. 2008 wurden die<br />
Medien auf das Phänomen aufmerksam. Die Substanzen JWH-018 und<br />
CP-47,497-C8 wurden verboten – mit dem Effekt, dass kurz darauf Produkte<br />
mit den noch <strong>legale</strong>n Substanzen JWH-073 und JWH-015 (und<br />
etlichen anderen) auf den Markt kamen. Langsam wurde klar: Es gibt<br />
nicht nur unzählige künstliche Cannabinoide. Es gibt für so gut wie jede<br />
il<strong>legale</strong> Droge Ersatzstoffe, die ähnlich wirken. Gerade trat die »26. Verordnung<br />
zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften« in<br />
Kraft, mit der 28 weitere Legal-High-Wirkstoffe wie 4-Fluortropacocain<br />
(ein Ersatz für Kokain) oder Metyhlon (wirkt ähnlich wie Ecstasy) verboten<br />
wurden – Ersatz aber ist längst gefunden. Volker Auwärter,<br />
Rechts mediziner an der Freiburger Universität und Fachmann in Sachen<br />
Legal Highs, sagt: »Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel. Es ist ein Leichtes,<br />
psychotrope Stoffe chemisch so zu modifizieren, dass eine neue, vom<br />
Betäubungsmittelrecht nicht erfasste Substanz vorliegt.« Und selbst<br />
wenn alle chemischen Modifikationen einer il<strong>legale</strong>n Substanz ebenfalls<br />
verboten würden, gibt es noch immer unzählige Ausweichmöglichkeiten.<br />
Oder ganz andere Drogen.<br />
Etwa unser Mittelchen. Es ist eine chemische Weiterentwicklung des<br />
<strong>legale</strong>n Narkosemittels Ketamin, das sich in jedem Notarztkoffer befindet.<br />
Die Substanz unterliegt wie alle Legal Highs nicht dem BtMG. Wohl<br />
aber dem Arzneimittelrecht, was bedeutet, dass nicht der Besitz, sondern<br />
nur der Handel damit strafbar ist. Die Strafen dafür seien aber viel zu<br />
gering, um Händler wirklich abzuschrecken, klagt der Staatsanwalt<br />
Jörn Patzak. Machten sich jene anfangs noch die Mühe, die Substanzen<br />
als »Räuchermischung« oder »Badesalz« zu deklarieren, kann man sie<br />
inzwischen pur bestellen. Auf dem Tütchen steht der Hinweis »for research<br />
use only«. Wie man halt »research« definiert.<br />
Verpackung und Vertrieb kosten die<br />
Internethändler mehr als die Droge selbst<br />
Woher haben die Händler im Internet eigentlich die nötigen Kenntnisse,<br />
solche Drogen herzustellen? Da keiner der Händler auf meine Anfragen<br />
reagiert, frage ich Volker Auwärter. Er sagt: »Es ist ein Leichtes, sich über<br />
Studienpublikationen oder Google Scholar pharmazeutische Forschungsergebnisse<br />
zu besorgen.« Dafür brauche es keinen besonders großen<br />
Sachverstand. »Von Labors in China kann man die Substanzen dann<br />
bestellen – für Kilopreise zwischen 2000 und 4000 Dollar. Im Endeffekt<br />
kosten das Verpackungsmaterial und die Vertriebsstruktur die Händler<br />
mehr als die Droge.« Ein Millionengeschäft.<br />
Einer der großen Lieferanten ist die Firma Chemfun in China, die sich<br />
seit 2009 auf künstliche Cannabinoide spezialisiert hat. Es ist nicht allzu<br />
kompliziert, mit dem Chef der Firma, Doktor Wang Zhiguo, in Kontakt<br />
zu treten. Mit dem Zoll habe es noch nie Probleme gegeben, erklärt<br />
Doktor Wang. Schließlich handle man ja nicht mit il<strong>legale</strong>n Substanzen:<br />
»Wir verkaufen nur Inhaltsstoffe, die Kunden bei uns nachfragen. Wir<br />
sind nicht dafür verantwortlich, was die Kunden daraus machen.«<br />
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AUS DEM LABOR<br />
Einige bekannte Legal-High-Substanzen.<br />
Es gibt hunderte mehr.<br />
Damit ging es los:<br />
JWH-018. Das Cannabinoid<br />
ist ein Seitenprodukt der<br />
Schmerzmittelforschung.<br />
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Zombiedroge:<br />
MDPV war ein Bestandteil<br />
der »Badesalze« und machte<br />
angeblich willenlos.<br />
MOLEKÜLE<br />
Der Ersatz: AM-2201.<br />
Wirkt ähnlich wie die<br />
ver botenen Cannabinoide –<br />
und steht nicht im BtMG.<br />
Comicdroge: 2C-C.<br />
Wirkt stark halluzinogen.<br />
User berichten, die<br />
Welt werde zum Comicstrip.<br />
Er betont dann noch, dass man sehr flexibel sei und auch neue Chemikalien<br />
in spätestens sechs Wochen in großer Menge synthetisieren<br />
könne. Man müsse nur eine Molekülformel schicken.<br />
Eifrige chinesische Chemieingenieure synthetisieren in ihren Industrieparks<br />
neue Drogen für die gelangweilten Neurohipster in der Alten<br />
Welt: Es ist klar, dass es mit dem Westen bergab geht. Inzwischen, wir<br />
sind bei dreißig Milligramm, hat das »Eintretende« seine Zähne gezeigt.<br />
Archie, der Protokollant, veranstaltet eine musikalische Versuchsreihe.<br />
Er spielt einen harten Beat. Wir tanzen. Stolpern trifft es wohl besser.<br />
Danach: Sphärenklänge. Wir: liegen murmelnd auf dem Sofa. Fürs Protokoll:<br />
»Sehr ausgeprägte Suggestibilität.« Archie fragt reihum nach<br />
unserem Zustand. Die Ergebnisse sind, nun ja, widersprüchlich. Tobi<br />
meint, er habe Sehnsucht nach seiner Frau. »Jetzt nicht sexuell, eher so –<br />
hmmm.« Seine Katze wäre aber auch schön. Ich berichte davon, dass<br />
ich mich grusle. Stefano sagt, er fühle sich wie stark betrunken, »nur<br />
ganz anders«.<br />
Die Schwammigkeit unseres <strong>Rausch</strong>es ist kein Wunder. Denn was uns<br />
fehlt, ist der Bezugsrahmen. Ein <strong>Rausch</strong>, das zeigt der schon erwähnte<br />
Kulturhistoriker Mike Jay, ist immer auch Kultur: Wer LSD nimmt,<br />
weiß, dass dies Millionen spirituelle Schatzgräber vor ihm getan haben.<br />
Er kennt vielleicht Bücher über das Thema oder nachempfundene<br />
CI<br />
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NH 2<br />
Videos der visuellen Effekte. All das grundiert den <strong>Rausch</strong>, man trampelt<br />
gewissermaßen auf vorgegebenen Pfaden. Wer »research chemicals«<br />
probiert, steht – abgesehen von windigen Trip-Protokollen im<br />
Internet – dem <strong>Rausch</strong> nackt und deshalb auch ratlos gegenüber. Man<br />
kann seinem Gehirn beim Arbeiten zusehen – in unserem Fall wissen<br />
wir etwa, dass Methoxetamin mit dem sogenannten NMDA-Rezeptor<br />
interagiert. Aber aus diesem abstrakten Wissen folgt keine Praxis, keine<br />
Erkenntnis. Der uralte Kulturkomplex <strong>Rausch</strong> mit seinen unzähligen<br />
Riten, Zeremonien, seinem Geheimwissen, seinen künstlerischen Umsetzungen<br />
und Regalmetern an Literatur, weicht der bestellten Stimulation<br />
einiger Synapsen. So einfach das Zeug zu bekommen ist, so billig<br />
ist auch der <strong>Rausch</strong>: formlose Dichtheit.<br />
Der viel schlichtere Einwand, den man gegen Legal Highs haben kann:<br />
Es ist einfach gefährlich. Die User sind Versuchskaninchen. Volker Auwärter<br />
berichtet von einem Todesfall im vergangenen Jahr durch eine<br />
Überdosis künstlicher Cannabinoide.<br />
Der Boom lässt sich nicht mehr aufhalten. Verlässliche Zahlen über die<br />
Zahl der User gibt es nicht, aber die weit mehr als 200 Onlinehändler,<br />
die das »European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction« im<br />
Jahr 2011 zählte, legen nahe, dass es sich um kein Spartenphänomen<br />
Das Denken fließt nach ein paar Stunden<br />
zäh wie kalter Honig<br />
handelt. Die Autoren der Studie berichten von einer Verschiebung des<br />
Konsums weg von etablierten Drogen hin zu Legal Highs, also von<br />
einigermaßen gut erforschten Drogen zu immer unbekannteren Substanzen,<br />
von denen jetzt nicht klar ist, was für Spätfolgen sie möglicherweise<br />
verursachen.<br />
Drei Stunden nach dem Beginn unserer Reise sind wir dicht wie die<br />
Strandhaubitzen, aber irgendwie unbefriedigt. Sergej murmelt: »Wir<br />
schrammen an der Unterseite der Macht entlang.« Ohne zu verstehen,<br />
was er meint, nicken wir. Also Steigerung auf fünfzig Milligramm. Und<br />
Ortswechsel. Jetzt aber: Die Fenster zur Realität werden erschreckend<br />
klein. Stefano, der sich schon im Taxi beklagt hat, dass »sein Hintern auf<br />
der Straße schleift«, schreit in der Fußgängerzone plötzlich: »Das ist zu<br />
krass!« Ja. Aber was eigentlich? Ich kann es nicht ergründen. Das Denken<br />
fließt zäh wie kalter Honig. Plötzlich sind wir in einer Disko. Enge, Bass,<br />
Schweiß, Bekannte. Jetzt fühle ich mich wie Pac-Man in seinem Labyrinth.<br />
Die Welt ist flach und abstrakt. Das versprochene Märchenland<br />
habe ich mir anders vorgestellt. So geht es weiter. Spaß macht das alles<br />
nicht. Irgendwann liege ich im Bett und betrachte mit Verwunderung<br />
die geometrischen Kaskaden, die vor meinen Augen in die Tiefe stürzen.<br />
Schön? Bevor ich mir die Frage beantworten kann, schlafe ich ein.<br />
Am nächsten Morgen wache ich auf. Was für ein seltsamer Abend. Der<br />
Rest des Methoxetamins wandert in den Müll. Das Beste an seiner<br />
Wirkung: Sie ist am nächsten Morgen komplett verflogen. •<br />
PAUL-PHILIPP HANSKE, 36, trinkt ohnehin am<br />
liebsten Bier. Und auch das nur in Maßen: »Nach<br />
jedem <strong>Rausch</strong> genieße ich erst einmal ein paar<br />
Wochen lang die absolute, klare Nüchternheit.«<br />
106 — Wissen Foto: Julian Baumann<br />
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