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Urlaub ohne Grenzen! - Nansen & Piccard

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14 DESTINATIONEN, EIN ZIEL:<br />

<strong>Urlaub</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Grenzen</strong>!<br />

Sonnengöttlich!<br />

Ägypten & Türkei jetzt im neuen<br />

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ISSN 1861-5570 // EUR 5,90<br />

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Ägypten<br />

wie man es nicht erwartet<br />

Egypt<br />

As You Least Expect It<br />

Gemütlich: Shetland in<br />

sechs Schritten<br />

Cozy: Th e Shetland<br />

Islands in Six Easy Steps<br />

Gefährlich: Truman Capotes<br />

Fahrt durch Spanien<br />

Dangerous: Truman Capote’s<br />

Ride through Spain<br />

Grün: New Yorks neuer<br />

Wunderpark<br />

Green: New York’s New<br />

Miracle Park<br />

TRAVEL, FLY, DISCOVER | NO 13�2008, 5.90 EUR


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Liebe Leser, hätte Hamed unsere beiden Reporter<br />

bei ihrer Reise durch Kairo und Umgebung nicht begleitet – wir wis-<br />

sen nicht, was aus ihnen geworden wäre. Der groß gewachsene, kräftige<br />

Ägypter faltete den Taxichauff eur zusammen, der während der Fahrt auf<br />

die Idee kam, den Preis zu verdoppeln. Den Polizisten, der im Oasen-Dorf<br />

Fayoum Ausweise, Genehmigungen und Geld verlangte, brüllte er in die<br />

Flucht. Nur beim Betreten der Cheops-Pyramide ließ Hamed das Duo<br />

sitzen. Beziehungsweise, er blieb sitzen – vor dem Eingang. Nachdem die<br />

Reporter das Innere des Baus erkundet hatten, verstanden sie, warum.<br />

– Angenehme Reise, wo immer Sie gerade unterwegs sind!<br />

Dear Reader, If Hamed hadn’t guided our<br />

two reporters through Cairo and environs, they might not have made it.<br />

Th is mighty Egyptian stared down the taxi driver who tried to double the<br />

price en route. When a police offi cer in the Fayoum oasis village demanded<br />

identifi cation, authorization and money, Hamed sent him running.<br />

Hamed only sat out the visit to the Cheops pyramid. More specifi cally, he<br />

remained seated at the entrance. After the reporters had investigated the<br />

structure’s interior, they understood why.—Happy travels, wherever you<br />

may roam!<br />

Cover: Medhat Abdel Hafez, Strandfotograf in Alexandria, aufgenommen von Sebastian Pfütze<br />

Medhat Abdel Hafez, beach photographer in Alexandria, photographed by Sebastian Pfütze<br />

Besonderen Dank an … die Jury Special thanks to … the jury<br />

Eine Jury hat etwas Respektgebietendes. Sie spricht Urteile aus und richtet über Erfolg und<br />

Misserfolg. Wir mögen Jurys. Beim diesjährigen BCP-Award in München entschieden die<br />

Preisrichter, air – wie schon 2007 – mit der Goldmedaille in der Kategorie Tourismus/Reisen<br />

auszuzeichnen. In der Lobrede hieß es, air berichte am ehrlichsten aus der Welt des Reisens.<br />

Das können wir nur bestätigen, ehrlich. Eine weitere Jury beschäftigte sich mit dem Aussehen<br />

dieses Magazins. Ergebnis: air ist nominiert für den in Frankfurt verliehenen Designpreis der<br />

Bundesrepublik Deutschland 2009. So schön kann das Verhältnis zu Jurys sein.<br />

There is something awe-inspiring about a jury. It delivers verdicts and determines success or<br />

failure. We’re fond of juries. At this year’s »Best of Corporate Publishing« Award ceremony in<br />

Munich, judges awarded air a gold medal in the travel/tourism category—just as they had in<br />

2007. Explaining their choice, they said air provides the most honest reports from the world<br />

of travel. And honestly, we can only confirm this. A second jury focused on the magazine’s<br />

appearance. The verdict: air has been nominated for the 2009 Design Award of the Federal<br />

Republic of Germany. Oh, the splendor of juries!<br />

check-in 01


02 content<br />

16 travel<br />

In Kairo ist das wahre Ägypten zu erleben. Eine Entdeckungstour durch die größte Stadt Afrikas (Bild: Busparkplatz an den Pyramiden<br />

von Gizeh) Th e real Egypt is to be found in Cairo. A journey of discovery through Africa’s largest city (Photo:Bus parking lot at the site<br />

of the Pyramids at Giza)<br />

56 pictures<br />

China! Welches China? Der Fotograf Wolfgang<br />

Zurborn porträtiert das Reich der Mitte<br />

China! Which China? Photographer Wolfgang<br />

Zurborn presents the Middle Kingdom


Photos: Sebastian Pfütze, Wolfgang Zurborn, Roderick Aichinger, Przemysław Pokrycki, Joel Sternfeld<br />

12 compact travel<br />

Auf den Shetland-Inseln fühlt man sich<br />

schnell wie zu Hause. Eine Reiseanleitung<br />

in sechs Schritten It is easy to feel at home<br />

on the Shetland Islands. A traveller’s guide,<br />

in six steps<br />

04 diary<br />

Benedikt Sarreiter schildert seine ersten<br />

fünf Tage in Rio de Janeiro und wie er versuchte,<br />

das Strandleben zu genießen Benedikt<br />

Sarreiter describes his fi rst fi ve days<br />

in Rio de Janeiro and his eff orts to enjoy<br />

the beach scene<br />

08 questions & answers<br />

Der Russe Alexander Begak erklärt, warum<br />

Autos auch fl iegen können sollten. David<br />

Frogier lüftet das Geheimnis, weshalb die<br />

vietnamesische Regierung Hamstern den<br />

Krieg erklärt hat. Der Franzose Guy Burgel<br />

erläutert den Niedergang von Paris Russian<br />

Alexander Begak explains why cars should be<br />

able to fl y as well as drive. David Frogier re-<br />

veals the truth about Vietnam’s war against<br />

hamsters. And Frenchman Guy Burgel la-<br />

ments the downfall of Paris<br />

14 column<br />

Tillmann Prüfer staunt über die wechselhaf-<br />

te Geschichte des Alkoholkonsums in Flug-<br />

zeugen Tillmann Prüfer marvels at the erratic<br />

history of airborne alcohol consumption<br />

40 portrait<br />

Aus dem Leben zweier Ägypter: Faruq Shu-<br />

sha, einer der bekanntesten Dichter des<br />

78 family<br />

Przemysław Pokrycki reist ins Innere der<br />

polnischen Volksseele Przemysław Pokrycki<br />

journeys to the center of the Polish soul<br />

Landes, feiert die Liebe. Afaf Abdulmonem<br />

wurde mit vier Jahren verlobt und führt eine<br />

glückliche Ehe – mit ihrem Cousin A glimpse<br />

into the lives of two Egyptians: Faruq Shusha,<br />

one of the country’s most famous poets,<br />

celebrates love. Afaf Abdulmonem was<br />

betrothed at the age of four and enjoys a<br />

happy marriage—with her cousin<br />

44 style<br />

Salon-Abenteurer, Entdecker oder Öko-Tourist<br />

– welcher Reisetyp sind Sie? Armchair<br />

adventurer, discoverer or eco-vacationer—<br />

what type of traveller are you?<br />

46 business<br />

Seit Jahrzehnten beliefern in Indien die<br />

»Dabawalas« Büros mit Mahlzeiten – und<br />

machen nie Fehler. Weltkonzerne wollen<br />

nun aus dem Phänomen lernen For decades,<br />

»dabbawalas« have been delivering meals to<br />

offi ces in India—and never make a mistake.<br />

Now, international companies want to learn<br />

from this phenomenon<br />

47 short story<br />

Truman Capote fährt mit dem Zug durch<br />

Spanien und wird fast Opfer von Banditen<br />

Truman Capote takes a train through Spain,<br />

and nearly loses everything to bandits<br />

66 high life<br />

Die New Yorker »High Line« – eine stillgeleg-<br />

te Hochbahn – wird in einen Park umgewan-<br />

delt. Geschäftsleute reiben sich die Hände<br />

New York’s »High Line«—an abandoned el-<br />

evated railway—is turned into a park. Busi-<br />

nesspeople are rubbing their palms<br />

64 travel basics<br />

Das Reise-ABC, Lektion 3: Nachtportier<br />

ABCs of Travel, Part 3: Night porter<br />

74 interview<br />

Die Seeräuberei boomt. Neil Choong, Direktor<br />

des Piracy Reporting Center in Kuala<br />

Lumpur, erläutert die Methoden moderner<br />

Piraten Th ere’s a boom in piracy. Noel<br />

Choong, director of the Piracy Reporting<br />

Center in Kuala Lumpur, unveils the meth-<br />

ods of modern pirates<br />

80 check-out<br />

Original und Fälschung: ein Auszug aus<br />

der unendlichen Liste nachgebauter Se-<br />

henswürdigkeiten Original and fake: An<br />

excerpt of the endless list of replicas of the<br />

world’s man-made wonders<br />

01 check-in<br />

06 world of air & imprint<br />

72 gallery & air<br />

content 03


04 diary<br />

Meine ersten fünf Tage in …<br />

My First Five Days in …<br />

Erster Tag<br />

Kurz nachdem ich am Flughafen ins<br />

Taxi gestiegen bin, geht die Sonne auf.<br />

Sie blitzt durch das Gerippe eines riesi-<br />

gen, halb entkernten Gebäudes. »Was<br />

ist das?« – »Ein Krankenhaus, wird aber<br />

nur zur Hälfte benutzt.« – »Aha.« – »Da<br />

vorn, schauen Sie, der Zuckerhut.« Der<br />

Taxifahrer will mich ablenken. Zu spät.<br />

Auf der rechten Seite breiten sich Favelas<br />

aus, auf der linken schwimmt Müll in<br />

einem stinkenden Tümpel, die Klima-<br />

anlage bläst, mich fröstelt. Willkom-<br />

men in Rio. Dann wird es dunkel, wir<br />

rasen durch den Reboucas-Tunnel. Auf<br />

der anderen Seite öff net Christus seine<br />

Arme und empfängt mich im reichen<br />

Teil der Stadt. Ipanema, Leblon, Gavea.<br />

Eine halbe Stunde Fahrt, Hässlichkeit,<br />

Schönheit, eine Stadt, alles drin.<br />

Day One<br />

Just after I climb into a taxi at the airport,<br />

the sun rises. It fl ickers through the frame<br />

of a huge, half-gutted building. »What‘s<br />

that?«—»A hospital, but only half of it is in<br />

use.«—»Hmm.«—»Look at that, straight<br />

ahead: it‘s Sugar Loaf Mountain.« Th e taxi<br />

driver wants to distract me. Too late. On<br />

my right. Rio‘s shanty towns sprawl, and<br />

on the left rises a stinking trash heap; the<br />

air conditioner is on full blast and I am<br />

shivering. Welcome to Rio. And then eve-<br />

rything goes dark: we are dashing through<br />

the Reboucas Tunnel. When we emerge<br />

from the other side, Christ the Redeemer<br />

is waiting to receive us with open arms,<br />

welcoming us to the posh side of town.<br />

Ipanema, Leblon, Gavea. A half-hour drive<br />

through ugliness and beauty; it’s a city<br />

that has it all.<br />

Zweiter Tag<br />

Zum Frühstück esse ich ein »Joelho«, ein<br />

»Knie« – eine Hefeteigtasche mit Käse-<br />

Rio de Janeiro<br />

Selige Caipirinha-Nächte an der Copacabana.<br />

Gespräche über Frauen und Fußball. Am Ende<br />

muss der Autor eingestehen: Vielleicht hat er den<br />

Besuch etwas übers »Knie« gebrochen<br />

Blissful caipirinha nights at the Copacabana.<br />

Talk about women and soccer. In the end, the<br />

author has to admit: Perhaps he pushed things<br />

a bit too far this time<br />

Text: Benedikt Sarreiter<br />

Schinken-Füllung. Köstlich! Kalorien!<br />

Mein Reiseführer sagt, Rio könne man nur<br />

verstehen, wenn man die Strände besucht.<br />

Deshalb will ich sie mir alle vornehmen.<br />

Ich beginne mit dem Strand von Ipanema.<br />

Und passiere: die Jeunesse dorée Rios, die<br />

kaum bekleidet den Strandabschnitt vor<br />

dem Country-Club Leblon besetzt; amerikanische<br />

und französische Touristen rund<br />

um die Rettungsschwimmer am Posto 9,<br />

dann kiff ende Dreadlock-Hippies, ein<br />

Stück weiter Schwule, die sich über ihre<br />

aufgepumpten Körper streicheln. Lektion<br />

Ipanema: Tiefb raun ist die Farbe der Sai-<br />

son, Silikon ein Grundnahrungsmittel,<br />

den besten Caipirinha gibt es bei Vincenzo,<br />

die Strandabschnitte sind ordentlich nach<br />

sozialen Gruppen getrennt.<br />

Day Two<br />

My breakfast consists of a »joelho«—<br />

»knee«—a yeast-dough pocket fi lled with<br />

ham and cheese. Tasty! Fattening! My<br />

Ipanema. And I stroll past Rio’s jeunesse<br />

dorée, who—practically naked—occupy<br />

the stretch of sand in front of the Country<br />

Club Leblon; past American and French<br />

tourists surrounding the lifeguard at Posto<br />

9; then a bunch of dreadlock hippies tok-<br />

ing away; a bit further on are the gay men,<br />

preening their pumped-up bodies. Th e<br />

lesson of Ipanema: Deep brown is the new<br />

»in« colour; silicon is a staple in the diet;<br />

the best caipirinhas are made by Vincenzo;<br />

and the beaches are neatly portioned according<br />

to social groups.<br />

Dritter Tag<br />

Zum Frühstück esse ich zwei »Knie«. Hefe-<br />

schock! Aber ich brauche Kraft zum Wan-<br />

dern, denn heute steht die Copacabana an,<br />

vier Kilometer heißer Atlantiksand. Ich<br />

gehe an der Wasserkante und werde alle<br />

zehn Meter von Händlern angesprochen.<br />

»Ein Sandwich?« … »Ein Henna-Tattoo?«<br />

… »Einen Hut?« … »Einen Bikini?« – »Was<br />

guidebook says that to understand Rio you<br />

Heeb/laif<br />

have to visit the beaches. So that‘s what<br />

I plan to do. I start out on the beach of Photo:<br />

soll ich denn mit einem Bikini?« – »Für


deine Frau!« – »Siehst du eine Frau?« –<br />

»Nein!« – »Gut, dann ... Tschauuu!« Nach<br />

einer Stunde habe ich immer noch nicht<br />

den Mittelpunkt der Copa-Halbkurve er-<br />

reicht. Die Sonne knallt, färbt mein Ge-<br />

sicht rot, wie die Bäuche der in der Sonne<br />

brutzelnden Schotten, über die ich fast<br />

stolpere, als mein Blick auf den Beinen<br />

einer Strand-Schönheit haften bleibt.<br />

Day Th ree<br />

My breakfast consists of two »knees.«<br />

Yeast shock! But I need energy for my<br />

wanderings, because today I have to take<br />

on the Copacabana, four kilometres of<br />

hot Atlantic sand. I walk along the beach<br />

and am accosted by hawkers every ten<br />

meters. »Want a sandwich?« »A henna<br />

tattoo?« »A hat?« »A bikini?«—«Why on<br />

earth would I want a bikini?«—«For your<br />

wife!«—«Do you see one here?«—«No!«—<br />

«Good—then...Ciao!« After one hour, I<br />

still haven’t reached the half-way point<br />

along the Copa crescent. Th e sun is ra-<br />

diating relentlessly, turning my face as<br />

red as the bellies of a bunch of sizzling<br />

Scotsmen over whom I nearly stumble,<br />

distracted as I am by the legs of a bathing<br />

beauty.<br />

Vierter Tag<br />

Beim Frühstück schaff e ich zweieinhalb<br />

Joelhos. Katerfrühstück! War noch lange<br />

an der Copa. »Tudo bem?«, sagte der<br />

Caipirinha-Verkäufer zu mir. »Tudo!«,<br />

sagte ich. Und schon hatte ich den ersten<br />

Drink in der Hand. Es folgten einige<br />

mehr und Gespräche über Frauen und<br />

Fußball. Wunderbares Rio! Aber heute<br />

nehme ich Abstand von den Stränden<br />

– Sonnenbrand. Ich will ins Centro, ins<br />

Café Colombo, dem angeblich schönsten<br />

Café der Stadt, dem Treff punkt der Litera-<br />

ten und Denker. Doch kein Mensch ist in<br />

den engen Gassen und Häuserschluchten<br />

des Zentrums zu sehen. Das Colombo<br />

ist geschlossen. Habe ich die Apoka-<br />

lypse verpasst? Nein, es ist Sonntag. In<br />

Rio: Strandtag. Ich warte darauf, dass<br />

rollende Büsche meinen Weg kreuzen,<br />

Gary Cooper auftaucht und die deutsche<br />

Rothaut zum Duell fordert. Aber nicht<br />

einmal das passiert. Es geht nicht anders:<br />

Ich muss an den Strand.<br />

Zu Fuß auf den Zuckerhut<br />

Climbing Sugarloaf<br />

Rio de Janeiros Wahrzeichen ist ein imposanter<br />

Berg, 396 Meter hoch, felsenfester Granit,<br />

ein Paradies für anspruchsvolle Kletterer – auf der einen Seite. Auf der anderen, auf Fotos selten<br />

abgebildeten Seite, ist der Zuckerhut deutlich flacher, so dass man den Gipfel mit ein wenig alpiner<br />

Erfahrung besteigen kann. »Noch ein Stück weiter, und ihr findet einen Wanderpfad, der euch geradewegs<br />

nach oben führt. Kletterseile braucht ihr nicht. Kein Problem!«, sagen die Sportkletterer, die<br />

ihre Ausrüstung am Fuß des Bergs vorbereiten. 30 Minuten später relativiert sich das »Kein Problem!«.<br />

Ein kurzes Stück verschwindet der Pfad in einer Steilwand. 20 Meter geht es fast senkrecht empor.<br />

Man wartet besser auf die nächste Bergsteigergruppe mit Seil – und sichert sich ab. Die Belohnung<br />

oben: eine unglaubliche Aussicht – und eine Gratis-Talfahrt mit der Seilbahn zurück auf den Boden<br />

der Tatsachen.<br />

Rio de Janeiro’s landmark is an imposing mountain, 396 meters high, impenetrable granite, a paradise<br />

for ambitious rock climbers on one side. Sugarloaf’s other side, which is seldom seen in photos, is<br />

much flatter, so one can reach the peak with a bit of alpine-climbing experience. »Just a bit further<br />

on and you’ll find a trail that leads you straight to the top. You don’t need any ropes. No problem!«<br />

say the sport climbers, preparing their gear at the foot of the mountain. Thirty minutes later that<br />

»no problem« gets put into perspective. For a short distance the path turns into a steep wall. It goes<br />

virtually straight up for about 20 meters. Let’s wait for the next mountain-climbing group with a<br />

rope—and tie up. The reward is at the top: an unbelievable view—and a free ride with the cable car<br />

back to the facts on the ground.<br />

Day Four<br />

For breakfast I manage to consume two<br />

and a half joelhos. Cure for a hangover!<br />

Again, I had stayed out late at the Copa.<br />

»Tudo bem?« asked the caipirinha hawker.<br />

»Tudo!« I said. And I was already holding<br />

the fi rst drink of the day in my hand.<br />

Several more followed, and talk about<br />

women and soccer. Oh fabulous Rio! But<br />

today I am keeping my distance from the<br />

beaches—sunburn. I want to go down-<br />

town, to Café Colombo, reportedly the<br />

most beautiful café in town, where literati<br />

and intellectuals meet. But the narrow<br />

streets with rows of tall buildings in the<br />

centre of town seem empty. Did I miss the<br />

apocalypse? No—it’s Sunday. In Rio: beach<br />

day. I wait expectantly for a tumbleweed<br />

to roll across my path, for Gary Cooper to<br />

appear and challenge a German »redskin«<br />

to a duel. But no such luck. Th ere’s no<br />

choice—I have to go to the beach.<br />

Fünft er Tag<br />

Zum Frühstück trinke ich Kamillentee. Ich<br />

habe das Gefühl, die Joelhos der letzten<br />

Tage haben sich mit den Caipirinhas der<br />

letzten Nächte zu einer unseligen Magenmischung<br />

verbunden – Rio-Beton. Nichts<br />

geht mehr. Meine Haut brennt, mein Kopf<br />

ist eine leuchtend rote Boje. Vielleicht mor-<br />

gen wieder: Tudo beleza! Alles bestens!<br />

Day Five<br />

For breakfast, I drink camomile tea. I have<br />

the feeling that all those joelhos I’ve con-<br />

sumed over the past few days have com-<br />

bined with the caipirinhas of the past few<br />

nights to form an unholy union in my gut:<br />

Rio-concrete. Nothing is working right.<br />

My skin is burning, my head is a glowing<br />

red buoy. Maybe tomorrow. Tudo beleza!<br />

All the best!<br />

diary 05


06 world of air<br />

Auf einen Blick: die Länder, aus denen<br />

air in dieser Ausgabe berichtet<br />

At a Glance: Th e Countries air Visited in<br />

Th is Issue<br />

5<br />

Impressum Imprint<br />

Herausgeber // Publisher<br />

1<br />

Blue Wings AG, Th eodor-Heuss-Ring 4, D-46397 Bocholt<br />

(www.bluewings.com), air erscheint im V8 Verlag // air<br />

is published by V8 Verlag<br />

Chefredaktion // Editor-in-Chief<br />

(verantwortlich // executive) Frank Lorentz, Antonia Loick<br />

Textchef // Copy Editor<br />

Jan Kirsten Biener<br />

Autoren dieser Ausgabe // Contributors to this edition<br />

Claudio Gutteck, Barbara Höfl er, Britta Petersen,<br />

Tillmann Prüfer, Isabel Quell, Benedikt Sarreiter, Inga<br />

Schneider, Christina Schott, Emil Th raker, Anika Weiss<br />

Gestaltung // Design<br />

Jürgen und ich, www.juergenundich.de<br />

Übersetzung // Translation<br />

Anika Weiss, Toby Axelrod<br />

Lektorat // Proofreading<br />

Sebnem Yavuz (deutsch), Holly Crawford (english)<br />

3<br />

6<br />

2<br />

8<br />

10<br />

4<br />

Fotos // Photos<br />

7<br />

11<br />

Roderick Aichinger, Guy Burgel, Corbis, Gettyimages,<br />

laif, Sebastian Pfütze, Przemyslaw Pokrycki, Joel<br />

Sternfeld, Wolfgang Zurborn<br />

Herausgeber und Redaktion haben sich bis Produktionsschluss<br />

intensiv bemüht, alle Inhaber von<br />

Abbildungsrechten ausfi ndig zu machen. Personen<br />

und Institutionen, die möglicherweise nicht erreicht<br />

wurden und Rechte an verwendeten Abbildungen<br />

beanspruchen, werden gebeten, sich nachträglich mit<br />

der Redaktion in Verbindung zu setzen.<br />

Th e publishers and editors have made every eff ort to locate<br />

copyright owners before going to press. People and<br />

institutions who were not approached and claim rights<br />

to images utilized, should contact the editors.<br />

12<br />

Illustrationen // Illustrations<br />

Jürgen und ich, www.juergenundich.de<br />

Litho // Lithography<br />

Zebramedia, Köln, www.zebramedia-koeln.de<br />

9<br />

01 Brasilien Brazil (Zahl der offiziell registrierten<br />

Fußballvereine Number of<br />

officially registered football clubs: 29.208)<br />

02 Frankreich France (20.062)<br />

03 Spanien Spain (18.190)<br />

04 Russland Russia (14.329)<br />

05 USA USA (9.000)<br />

06 Schottland Scotland (6.727)<br />

07 Indien India (6.540)<br />

08 Polen Poland (5.891)<br />

09 China China (2.221)<br />

10 Ägypten Egypt (608)<br />

11 Malaysia Malaysia (110)<br />

12 Vietnam Vietnam (35)<br />

Die meisten Clubs gibt es in England: 42.490<br />

England has the most clubs: 42,490<br />

Quelle Source: Weltfußballverband FIFA FIFA<br />

World Soccer Association<br />

Anzeigen // Advertising sales<br />

LuxxMedien, Th omas Brumloop, Ellerstraße 32,<br />

53119 Bonn, Tel.: +49 (0) 228.68831411,<br />

Fax: +49 (0) 228.68831429, brumloop@luxxmedien.de,<br />

www.luxx-medien.de<br />

Druck // Printing<br />

Buersche Druckerei Neufang KG, Gelsenkirchen<br />

Vertrieb // Distribution<br />

IPS Pressevertrieb GmbH, Meckenheim<br />

Redaktionsanschrift // Editorial offi ce<br />

V8 Verlag GmbH, Mohrenstraße 2, D-50670 Köln,<br />

Tel. +49 (0)221.9984836/-37, info@v8-verlag.de,<br />

www.v8-verlag.de<br />

© V8 Verlag<br />

ISSN 1861-5570


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08 questions & answers<br />

auf dem Schirm: Russland,<br />

Vietnam, Frankreich<br />

On the screen this time: Russia,<br />

RADARDiesmal<br />

Vietnam, France<br />

Russland Russia<br />

Wer braucht ein Auto, das fl iegen kann, Herr Begak?<br />

Who needs a car that can fl y, Mr. Begak?<br />

Alexander Begak, 35, ist Absolvent des Moskauer<br />

»Aviation Institute« und Gründer von<br />

»Scarab Aviation Labs« mit Sitz im südrussischen<br />

Pyatigorsk. Seit 2000 arbeitet Begak<br />

– Flug-Fan von Kindesbeinen an – an der<br />

Entwicklung eines fliegenden Autos. 2007<br />

präsentierte er das Modell »Evolution«. Die<br />

Nachfrage wächst.<br />

Alexander Begak, 35, is a graduate of the<br />

Moscow Aviation Institute and founder of<br />

Scarab Aviation Labs, based in the southern-Russian<br />

city of Pyatigorsk. Since 2000,<br />

Begak—a fan of flying from an early age—has<br />

been working on the design of a flying car.<br />

He presented his »Evolution« model in 2007.<br />

Demand is growing.<br />

Herr Begak, wie kommt man dazu, ein fl ie-<br />

gendes Auto zu bauen? Ich liebe Paraglei-<br />

ter und war diese hässlichen, dreirädrigen<br />

Paramotoren – also Gleiter mit Motoren<br />

– leid. Ich dachte: Warum können das keine<br />

ästhetisch ansprechenden, sicheren Fahrzeuge<br />

sein?<br />

Mr. Begak, what prompted you to create a<br />

fl ying automobile? I love paragliders and<br />

couldn’t stand those ugly three-wheeled<br />

paramotors—gliders with motors. I asked<br />

myself, why couldn’t this kind of vehicle be<br />

both aesthetically pleasing and safe?<br />

Ihre Mobile – »Begalets« genannt – sehen<br />

tatsächlich schick aus. Wie steuert man<br />

die? Wie einen Paragleiter. Für den Antrieb<br />

sorgen Benzinmotoren, die PS-Zahl hängt<br />

vom Gewicht des Fahrers ab.<br />

Your vehicles—called »Begalets«—really do<br />

look classy. How do you steer them? Just<br />

like a paraglider. Th e motor runs on gasoline;<br />

output depends on the weight of the<br />

driver.<br />

Gibt es ein Gewicht, das der Pilot nicht überschreiten<br />

sollte? Sie sollten vielleicht nicht<br />

mehr als 120 Kilo wiegen. Aber letztlich ist<br />

das nicht wirklich ein Problem. Wir haben<br />

verschiedene Kabinengrößen im Angebot.<br />

Is there a maximum weight for a pilot? Th at<br />

would be about 120 kilograms. But actually<br />

it’s not really a problem. We off er cockpits<br />

of diff erent sizes.<br />

Das Begalet kann fl iegen, fahren – auch<br />

auf Schnee – und sogar schwimmen. Wer<br />

braucht so etwas?<br />

Leute, die alle diese Eigenschaften in einem<br />

haben wollen. Es ist billiger, als Flieger,<br />

Skidoo und so weiter separat zu kaufen.<br />

The Begalet can fly, drive—also on the<br />

snow—and even fl oat. But who would need<br />

all that? People who want everything in<br />

one. It’s cheaper than buying an aircraft,<br />

a Skidoo and so on.<br />

Sie bieten verschiedene Modelle an. Wie<br />

viele haben Sie schon verkauft? Der Anfang<br />

ist hart. Aber die Reaktionen der Öff entlich-<br />

keit, als wir Evolution auf der MAKS-Luft-<br />

fahrtshow in Moskau präsentierten, haben<br />

gezeigt, dass unsere Entwicklung einiges<br />

Verkaufspotenzial hat. Wir haben inzwi-<br />

schen Anfragen aus der ganzen Welt.<br />

You are off ering several models. How many<br />

have you sold by now? Th e beginning is<br />

tough. But the public reaction to the Evolution<br />

when we introduced it at Moscow’s<br />

MAKS Airshow convinced us that our invention<br />

had some sales potential. And since<br />

then we’ve had international inquiries—<br />

from Brazil to Taiwan.<br />

Braucht man eine Pilotenlizenz? Im<br />

Allgemeinen ja. Zurzeit gilt: Man<br />

darf nicht höher als 300 Meter<br />

fl iegen und muss gesperrte<br />

Lufträume meiden.<br />

Do you need a pilot’s<br />

license to fly one?<br />

Generally speaking,<br />

yes. Currently,<br />

you<br />

can’t go higher than 300 meters and you<br />

have to avoid restricted airspace.<br />

Ihr spektakulärster Trip? In der Regel entfernen<br />

wir uns nicht weit von der Region meines<br />

Heimatorts Pyatigorsk und den Yutza-Bergen,<br />

dem Mekka für russische Paragleiter. Der<br />

Versuch, von St. Petersburg nach Moskau zu<br />

fl iegen, war nur ein halber Erfolg: Damals<br />

hatten wir nicht genug Geld für einen neuen<br />

Motor, und die gebrauchte Maschine, die wir<br />

erworben hatten, gab nach der Hälfte der Stre-<br />

cke den Geist auf – ungefähr 460 Kilometer<br />

vom Startpunkt entfernt.<br />

Your own most spectacular journey? We<br />

don’t usually go far from the region of my<br />

homeland, Pyatigorsk, and the Yutza Mountains—the<br />

Mecca for Russian paragliders.<br />

Our attempt to fl y from St. Petersburg to<br />

Moscow was only partly successful. We<br />

didn’t have enough money at the time for<br />

a new motor, and the used engine that we‘d<br />

procured gave up the ghost after half the<br />

trip—about 460 kilometers into the jour-<br />

ney.<br />

Benutzen Sie das Begalet auch privat, etwa<br />

um einkaufen zu fahren? Ja, manchmal, ob-<br />

wohl ich auch ein normales Auto habe. Ich<br />

fahre mit Evo zum nächsten Supermarkt,<br />

um Verpfl egung für unsere Mitarbeiter zu<br />

holen. Das erregt immer großes<br />

Aufsehen.<br />

Do you use the Begalet your-<br />

self, for example, to go shop-<br />

ping? Yes, sometimes, but<br />

I also have a normal car. I<br />

take the Evo to the nearest<br />

supermarket when our staff<br />

needs supplies. And it always<br />

causes a stir.<br />

http://aerolab.ru/eng<br />

Interview: Antonia Loick<br />

Photos: Scarab Aviation Labs, Corbis


Vietnam Vietnam<br />

Warum darf man in Vietnam seinen Hamster nur<br />

noch heimlich streicheln, Herr Frogier? Why do<br />

you have to pet your hamster secretly in Vietnam,<br />

Mr. Frogier?<br />

Das chinesische Jahr der Ratte hat einen<br />

Hamsterboom in Vietnam ausgelöst – zum Ärger<br />

der Regierung, die den Besitz und Verkauf<br />

von Hamstern seit März mit einer Geldstrafe<br />

von 30 Millionen Dong (1.200 Euro) ahndet,<br />

fast das Doppelte des durchschnittlichen Jahreseinkommens<br />

in Vietnam. Was geht da vor?<br />

Ein Gespräch mit David Frogier de Ponlevoy,<br />

31, Mitarbeiter beim Radiosender »Voice of<br />

Vietnam« in Hanoi.<br />

The Chinese year of the rat has triggered a<br />

hamster boom in Vietnam—to the consternation<br />

of the government, which initiated a fine<br />

of 30 million Dong (1,200 Euro) for possession<br />

and sale of hamsters. This is almost twice<br />

the average annual income. What’s going<br />

on? air talked to David Frogier de Ponlevoy,<br />

31, who works at the radio station »Voice of<br />

Vietnam« in Hanoi.<br />

Herr Frogier, haben Sie Ihren Hamster<br />

schon entsorgt? Nein, ich habe zum Glück<br />

keinen. In der Tat hat man in Hanoi bis<br />

zum Verbot aber viele junge Leute gesehen,<br />

die kleine Hamsterkörbe mit sich<br />

herumtrugen. So eine Art der Haustierhaltung<br />

hat in Vietnam eigentlich gar keine<br />

Tradition. Viele Leute haben Singvögel in<br />

Volièren vor dem Haus, aber vierbeinige<br />

Wuscheltiere sind wirklich eine neumodische<br />

Erscheinung.<br />

Mr. Frogier, have you disposed of your<br />

hamster yet? No, luckily I don’t have one.<br />

Before the ban you did, in fact, see a lot<br />

of young people carrying small hamster<br />

cages. Th at way of keeping pets isn’t re-<br />

ally traditional in Vietnam. Many people<br />

keep songbirds in aviaries in front of their<br />

houses, but four-legged cuddle animals are<br />

truly a new fad.<br />

Wieso schenkt man sich zum Jahr der Ratte<br />

Hamster – und keine Ratten? Ratten haben<br />

wir hier genug. Die laufen einem auf der<br />

Straße entgegen und sind auch längst nicht<br />

so süß wie Hamster. Außerdem sind Ratten,<br />

Mäuse und Hamster im Vietnamesischen<br />

<strong>ohne</strong>hin eine Soße – alle drei haben den<br />

gleichen Wortstamm, also werden sie in<br />

einen Topf geschmissen. Und so hat sich<br />

eben der Hamster eingebürgert, vor allem<br />

als Valentinsgeschenk. Statt Ameisen.<br />

How come people give each other hamsters<br />

in the year of the rat—why not rats? We<br />

have plenty of rats here. Th ey cross your<br />

path in the street and aren’t nearly as cute<br />

as hamsters. Besides, in Vietnamese, rats,<br />

mice, and hamsters are pretty much the<br />

same thing—all three words have the same<br />

root, so they’re interchangeable. Th at’s why<br />

the hamster became popular, especially as a<br />

Valentine’s Day gift. Instead of ants.<br />

Ameisen? Ja. In kleinen Glasröhrchen.<br />

Aber fragen Sie mich bitte nicht nach dem<br />

Grund.<br />

Ants? Yes. In small glass tubes. But please<br />

don’t ask me why.<br />

In Vietnam gibt es inzwischen so viele<br />

Hamster-Fanclubs wie in Deutschland<br />

»Tokio Hotel«-Fanclubs. Was hat die Regierung<br />

gegen die süßen Tierchen? Es geht<br />

ja vor allem um die illegalen Hamster. Wo<br />

auch immer hier einer ein Geschäft wittert,<br />

blüht schon der Handel. Hamster wurden<br />

zu Tausenden <strong>ohne</strong> veterinäramtliche Kontrolle<br />

importiert, wahrscheinlich aus China.<br />

Die Regierung hatte wohl Angst, dass sie<br />

irgendwann ausgesetzt werden und sich<br />

verbreiten und die Ernte fressen.<br />

In Vietnam there are as many hamster fan<br />

clubs by now as »Tokio Hotel« fan clubs<br />

in Germany. What does the government<br />

have against these sweet creatures?<br />

Th is mostly concerns<br />

the illegal hamsters because<br />

Vietnam is an emerging<br />

market that lacks fully<br />

formed retail structures.<br />

Wherever<br />

someone senses a<br />

business opportunity,<br />

commerce<br />

booms instantly.<br />

Hamsters were im-<br />

ported by the thousands without any veterinary<br />

inspections, probably from China.<br />

And the government must have been afraid<br />

that at some point they will be abandoned,<br />

are going to multiply, and could eat the<br />

harvest.<br />

Gab es Hamsterdemos oder Proteste wütender<br />

Teenager? Aber bitte, Proteste gibt<br />

es in Vietnam nicht. Es sei denn, sie sind<br />

erwünscht.<br />

Were there any hamster sit-ins or protests<br />

mounted by angry teenagers? Come on,<br />

there are no protests in Vietnam. Unless<br />

they’re offi cially desired.<br />

Bringen die Leute ihre Hamster nun tat-<br />

sächlich um? Die Vietnamesen machen es<br />

wie immer, wenn ein neues Gesetz kommt:<br />

Man schaut es sich an, überlegt, ob es Sinn<br />

macht, und wenn nicht, dann versucht<br />

man es zu umgehen. Wer seinen Hamster<br />

behalten will, fi ndet einen Weg. Es gibt<br />

sie zu Schwarzmarktpreisen sogar noch zu<br />

kaufen, in den Seitengassen der Märkte.<br />

Do people really kill their hamsters? Th e<br />

Vietnamese do what they always do when<br />

there’s a new law: Th ey check it out, they<br />

see if it makes any sense, and if it doesn’t,<br />

they try to bypass it. Th ose who want to<br />

keep their hamsters fi nd a way. You can<br />

even still buy them at black market prices<br />

in the side alleys of markets.<br />

Interview: Barbara Höfler<br />

questions & answers 09


10 questions & answers<br />

Frankreich France<br />

Warum stirbt Paris, Monsieur Burgel?<br />

Why is Paris dying, Monsieur Burgel?<br />

Die französische Hauptstadt hat ihre beste<br />

Zeit hinter sich, meint der Pariser Geografie-<br />

Professor Guy Burgel. Der Niedergang der<br />

ehemaligen Weltmetropole des schönen Lebens<br />

scheint unausweichlich – und ein Retter<br />

nicht in Sicht.<br />

The French capital is over the hill, says Parisian<br />

geography professor Guy Burgel. The<br />

decline of this former world metropolis of the<br />

beautiful life seems inevitable—and there’s<br />

no knight in shining armor in sight.<br />

Monsieur Burgel, Baudelaire hat gesagt:<br />

»Das alte Paris ist nicht mehr.« Sie sagen<br />

nun: Das Paris der Zukunft wird nicht sein.<br />

Naja, der Titel meines neuen Buches »Stirbt<br />

Paris?« ist ein bisschen provokant. Aber Paris<br />

hat wirklich große Probleme. In krassem<br />

Gegensatz dazu steht das Bild, das alle Welt<br />

von Paris hat: schicke und aufregende Stadt<br />

der Kunst, der Feste, der Tradition und der<br />

Lebensqualität ...<br />

Monsieur Burgel, Baudelaire once said: »Th e<br />

good old Paris is gone.« Now you’re saying:<br />

Th ere will be no Paris in the future. I admit,<br />

the title of my new book, Is Paris Dying?, is a<br />

bit provocative. But Paris really does have<br />

some major problems. Th e image of Paris<br />

around the world stands in sharp contrast<br />

to reality: People still see it as the chic and<br />

exciting city of art, revelry, tradition, and<br />

savoir vivre ...<br />

Laut einer UN-Erhebung immerhin die<br />

zweitbeste Lebensqualität weltweit. Lassen<br />

Sie sich doch nicht täuschen von ein paar<br />

hübschen Haussmann-Fassaden!<br />

According to a UN survey, it still has the<br />

second-best quality of life in the world.<br />

Don’t let yourself be fooled by a few pretty<br />

Haussmann facades!<br />

So wenige sind das doch gar nicht. Sehen Sie,<br />

genau das ist der Punkt: Von außen wird immer<br />

nur das Zentrum von Paris wahrgenommen.<br />

Zwanzig kleine Arrondissements, in denen<br />

aber nur zwei Millionen Menschen leben.<br />

Acht Millionen Pariser leben jedoch jenseits<br />

der Périphérique, der Ringautobahn.<br />

But it’s really not just a few. You see, that’s<br />

my point: From a distance, people only<br />

register the center of Paris. Twenty little<br />

arrondissements, home to only about two<br />

million people. But eight million Parisians<br />

live outside the périphérique, the highway<br />

that loops around the city.<br />

Hat Paris also einfach noch nicht gemerkt,<br />

wie groß es wirklich ist? Genau.<br />

Die Verkehrsplanung ist ungefähr 30 Jahre<br />

im Verzug. Und die Innenstadt nur noch<br />

Bling-Bling. Mit schicken Vorzeigeprojekten:<br />

»Paris de la Fête«, »Paris Plage« und<br />

Fahrrädern, mit denen man die Innenstadt<br />

erkunden kann – während man mit der U-<br />

Bahn nicht einmal von den Banlieues ins<br />

Zentrum kommt. Paris hat den Anspruch,<br />

mit London oder New York zu konkurrieren<br />

– aber niemand hat etwas gemacht.<br />

Die Stadt hat immer gedacht, wenn sie<br />

national unangefochten ist, ist sie es auch<br />

weltweit.<br />

So has Paris never noticed how big it really<br />

is? Exactly. Traffi c planning is about 30 years<br />

behind the times. And the downtown is<br />

one big bling-bling, with chic showcase<br />

projects: »Paris de la Fête,« »Paris Plage,«<br />

and bicycles you can use to explore downtown—when<br />

you can’t even get there by<br />

metro from the suburbs. Paris pretends to<br />

compete with London or New York—but no<br />

one has done anything to live up to this.<br />

Th e city always thought that if no one chal-<br />

lenged this belief at home, no one would do<br />

so abroad, either.<br />

Aber immerhin gibt es jetzt einen groß an-<br />

gelegten Ideenwettbewerb für Architekten<br />

und Stadtplaner. Man löst die Probleme von<br />

Paris nicht durch schicke Gebäude. Über-<br />

haupt sind die meisten Aktionen nur punk-<br />

tuell gezündete Leuchtraketen. In Paris<br />

gibt es keine Konzepte. Man setzt sich<br />

lieber ein Denkmal: Mitterand eine<br />

Bibliothek, Chirac ein Museum...<br />

But anyway, there is now a major idea<br />

contest for architects and urban plan-<br />

ners. You’re not going to solve Paris’s<br />

problems with sexy buildings. Most of<br />

these eff orts are just selectively lit<br />

rocket fl ares. Paris has no<br />

concept. Its planners<br />

prefer to build monu-<br />

ments: for Mitterand a library, for Chirac<br />

a museum...<br />

Immerhin wird Neues gebaut! In Wirklichkeit<br />

hat Paris ein Problem mit Modernität.<br />

Man ist hin und her gerissen zwischen der<br />

Heiligkeit des Alten und den Lockungen des<br />

Neuen. So kommt es zu Endlosstreitereien,<br />

ob hier oder dort jetzt ein Wolkenkratzer<br />

gebaut werden darf oder nicht. Das eigentliche<br />

Problem, dass Paris aus allen Nähten<br />

platzt, bleibt indes ungelöst.<br />

Still, new buildings are going up! Actually,<br />

Paris has a problem with modernity. It is<br />

torn between the sanctity of the old and<br />

the allure of the new, which leads to endless<br />

quarreling about whether a skyscraper<br />

should be permitted to go up here or there.<br />

Th is doesn’t solve the real problem—that<br />

Paris is bursting at the seams.<br />

Sie führen die Probleme in Ihrem Buch ja<br />

zum Glück detailgenau auf. Wird Paris also<br />

vielleicht doch nicht sterben? Wer sollte<br />

Paris denn retten? Wir leben in einem ad-<br />

ministrativen Chaos: ein Bürgermeister<br />

mit einem winzigen Einfl ussgebiet, aber<br />

60 Nachbargemeinden, 1.300 Bürgermeis-<br />

ter im Gebiet der Île-de-France – und ein<br />

nur an einem Glitzer-Paris interessierter<br />

Präsident.<br />

Fortunately, you describe the problem to<br />

a tee in your book. So do you think there’s<br />

a chance to save Paris? Well, who should<br />

rescue her? We’re living in an administra-<br />

tive chaos: Our mayor has infl uence over<br />

a tiny area, but there are 60 neighboring<br />

communities and 1,300 may-<br />

ors in the region of the<br />

Ile-de-France—and<br />

our president is only<br />

interested in a glitzy<br />

Paris.<br />

Interview:<br />

Claudio Gutteck<br />

Photo: Burgel


12 compact travel<br />

Chris und Penny, Bernhardinerzüchter<br />

Chris and Penny, who raise Saint Bernards<br />

1 Zum Haus<br />

In der Bucht von Lerwick ankern drei Öltanker. Hinter ihnen<br />

erheben sich grüne Hügel mit weißen Punkten – Schafe, mehr<br />

als 300.000 gibt es auf Shetland. Links liegt Lerwick, 9.500 Ein-<br />

w<strong>ohne</strong>r, die Hauptstadt. Vom Seafarm-Guesthouse der Andersons<br />

aus kann man sie überblicken. Es gibt keine schönere Aussicht im<br />

nördlichen Großbritannien. Brian Anderson ist der Schafpatron<br />

hier, kennt alles und jeden, kann immer weiterhelfen.<br />

1 At home<br />

Th ree oil tankers are anchored off the Bay of Lerwick. Behind<br />

them rise green hills dotted with white. Th e dots are sheep: Th ere<br />

are more than 300,000 of them on the Shetland Islands. To the<br />

left is Lerwick, the capital, 9,500 residents. You can see it from<br />

the Andersons’ Seafarm-Guesthouse. Th ere is no lovelier view in<br />

northern Great Britain. Brian Anderson is the shepherd here—he<br />

knows everything and everyone, and is always ready to help.<br />

2 An den Tisch<br />

Die Einkaufsstraße von Lerwick mündet in die Hafenstraße. Ir-<br />

gendwann steht man vor dem Tall-Clock-Einkaufszentrum, einem<br />

Siebziger-Jahre-Bau, der einen Schatz birgt – das nördlichste Biobistro<br />

Großbritanniens. Nette Kellnerinnen bringen die besten Alternativen<br />

zu Fish & Chips, dem Grundnahrungsmittel der Shetlands. Durch<br />

die Fenster sind kahle Hügel zu sehen. Gibt es hier Bäume?<br />

Shetland in sechs<br />

Schritten<br />

Th e Shetland<br />

Islands in Six Easy<br />

Steps<br />

Ankommen, unterkommen, runterkommen –<br />

nirgendwo geht das so einfach wie auf den Inseln<br />

im Norden Schottlands. Eine Reiseanleitung<br />

Come, stay, chill out—nowhere better to do this<br />

than on the islands in northern Scotland. Some<br />

tips for travelers<br />

Text: Benedikt Sarreiter _ Photos: Roderick Aichinger<br />

2 At the table<br />

Lerwick’s shopping street empties out into Harbour Street. At<br />

some point you will be standing in front of the Tall Clock shopping<br />

center, a structure from the 1970s that contains a little treasure—<br />

Great Britain’s northernmost bio bistro. Friendly waitresses serve<br />

the best alternatives to fi sh and chips (staple of the Shetlander’s<br />

diet), and through the windows you see bare, green hills. Are<br />

there any trees at all here?<br />

3 Ein Wald!<br />

Eine halbe Stunde von Lerwick entfernt kauert eine Ansamm-<br />

lung von Nadelbäumen im Wind: einer von zwei Wäldern auf<br />

den Inseln – und natürlich: die nördlichsten Großbritanniens.<br />

Drei Förster kümmern sich abwechselnd um die rund 200 Bäume.<br />

Die Stämme sind krumm, die Äste hängen tief, der Wind<br />

bringt sie in Schwingung. Hier könnte man Märchen drehen.<br />

Wo sind die Feen?<br />

3 A forest!<br />

A half hour from Lerwick, a cluster of fi r trees squats in the wind.<br />

It is one of the island’s two forests, naturally the northernmost<br />

in Great Britain. Th ree foresters take turns looking after some 200<br />

trees. Th eir trunks are bent, the branches hang low, and the wind<br />

sends them swinging. A good movie set for a fairytale. Where are<br />

the fairies?


Auf Shetland leben 300.000 Schafe<br />

There are 300,000 sheep living on the Shetland Islands<br />

4 Die Grenzüberschreitung<br />

Immerhin gibt es einen verwunschenen Kapitän. Stuart Hill erlitt<br />

vor sieben Jahren Schiffb ruch vor den Shetlands und wohnt seitdem<br />

allein auf der kleinen Insel Forvik. Captain Calamity, so wird er<br />

genannt, rief vor Kurzem sein eigenes Königreich Forvik aus – es<br />

ist das kleinste Europas. Neue Bürger sind willkommen.<br />

4 Crossing borders<br />

Maybe not fairies, but at least there is an enchanted captain. Seven<br />

years ago, Stuart Hill was shipwrecked off the Shetlands, and since<br />

then has lived alone on the small island of Forvik. Captain Calam-<br />

ity, as he’s called, recently claimed Forvik as his own personal<br />

kingdom—the smallest in Europe. New subjects are welcome.<br />

5 Begleiter fi nden<br />

Ein ständiger Begleiter wäre gut. Aber nicht den hier üblichen<br />

Shetland Shepard, sondern etwas Extravagantes, einen Bern-<br />

hardiner. Chris und Penny haben seit 1994 eine Zucht auf der<br />

Insel Yell. Sie heißt Vikingstar Saint Bernhard’s. Wikinger mit<br />

Bernhardinern – eine abenteuerliche Mischung.<br />

5 Finding a guide<br />

A permanent guide would be good. Not the usual Shetland shep-<br />

herd, but something rather more extravagant: a Saint Bernard<br />

Since 1994, Chris and Penny have had a breeding center on the<br />

compact travel 13<br />

Island of Yell. It is called Vikingstar Saint Bernard’s. Vikings with<br />

Saint Bernards—an adventurous mixture.<br />

6 Hängen bleiben<br />

Viele Shetlander glauben, sie seien norwegischer Abstammung,<br />

im Grunde also Wikinger. Vor ein paar Jahren lag tatsächlich<br />

wieder ein Drachenboot vor Unst. Darauf ein paar Norweger, die<br />

nach Amerika segeln wollten. Die Shetlander freuten sich so über<br />

den Besuch, dass sie mit den Gästen zu trinken begannen. Nach<br />

ein paar Tagen hatten die Norweger ihre Reisekasse versoff en. Sie<br />

mussten heimkehren, das Boot blieb. Man kann es heute in der<br />

Nähe von Baltasound besichtigen.<br />

6 Tripped up<br />

Many Shetlanders believe they are of Norwegian origin—in other<br />

words, descended from Vikings. A few years ago, a Viking ship<br />

actually anchored at Unst. On board were a couple of Norwegians<br />

who hoped to sail for America. Th e Shetlanders were so thrilled<br />

by the visit that they started drinking with their guests. After a<br />

few days, the Norwegians had drunk their entire travel budget.<br />

Th ey had to go home, leaving their boat behind. One can visit it<br />

today near Baltasound.


14 column<br />

Flugversuche (11) Taking Flight (11)<br />

Tillmann Prüfer denkt an frühere Gelage in Flugzeugen und staunt, dass heute viele Passagiere<br />

schon vor dem Start gut gelaunt sind Tillmann Prüfer remembers past revelries on airplanes and<br />

marvels how many passengers today board already in high spirits<br />

A lkohol<br />

im Flieger scheint ein heikles Th ema zu sein. Immer<br />

wieder hört man von schlimmen Ausfällen. In Russland<br />

soll neulich ein Passagier so betrunken gewesen sein, dass er in<br />

10.000 Metern Höhe aussteigen wollte. Ein anderer versuchte, eine<br />

Massenschlägerei anzuzetteln und musste in der Flugzeugtoilette<br />

eingesperrt werden. Nun beschweren sich die Fluglinien – aber<br />

ich muss dazu anmerken: Nirgends wurde ich so zum Trinken<br />

animiert wie in der Flugzeugkabine. Die Tatsache, dass ich heute<br />

kein vom Schnaps zerrüttetes Wesen bin, verdanke ich jedenfalls<br />

nicht der Luftfahrtbranche.<br />

An die Langstreckenfl üge meiner Adoleszenz kann ich mich nur<br />

bruchstückhaft erinnern – weil ich die meiste Flugzeit betrunken<br />

war. Die Fluggesellschaften schenkten zwar keine Cocktails mehr<br />

aus – abfüllen wollten sie einen umso mehr. Schon nach dem Start<br />

sollte ich mehrere Becher Wein zu mir nehmen, dann wurde ich<br />

befragt, ob es auch härtere Spirituosen sein dürften. Das Kalkül war<br />

klar: Ein trunkener Fluggast ist ein müder Fluggast. Und ein müder<br />

Fluggast ist nicht unzufrieden, weil er in den engen Sitzen nicht<br />

schlafen kann. Er schnarcht zufrieden vor sich hin. Der Passagier<br />

nahm das gerne hin, schließlich gehörte Trunkenheit zum <strong>Urlaub</strong><br />

dazu. Und der <strong>Urlaub</strong> konnte nicht früh genug beginnen.<br />

Früher waren Fluggesellschaften geradezu erpicht darauf, ihren<br />

Namen mit Alkohol zu verbinden. Neulich fi el mir an Bord einer<br />

deutschen Airline ein kleines Fläschchen im Getränkewagen der<br />

Stewardess auf. Ein Likör, der den Namen eben dieser Airline trug.<br />

Ich ließ mir erklären, dass es ein Retro-Likör sei, ein Remake eines<br />

Getränkes, das in den sechziger Jahren begehrt war. Damals hatte<br />

die Fluglinie jenen Likör – mit Sekt gemischt – ausgeschenkt. Bald<br />

war er auch im Spirituosenhandel auf dem Boden ein Verkaufs-Hit.<br />

Die Leute über den Wolken galten ja als Jet Set. Und ihren Likör<br />

zu konsumieren bedeutete: trinken wie die Reichen.<br />

Mittlerweile haben sich die Fluglinien darauf verlegt, bequemere<br />

Sitze zu installieren, in denen man besser einschlafen kann.<br />

Dafür gibt es den Alkohol nur noch in geringen Dosen – oder gar<br />

nicht mehr. Das hätte nun das Ende der Bordtrunkenheit sein<br />

können. Leider kam es nicht so. Der Passagier von heute lötet<br />

vor. Mittlerweile sitze ich im Flieger immer wieder neben völlig<br />

besoff enen Passagieren, die schon vor dem Abheben eine halbe<br />

Flasche Jägermeister ihrem Organismus zugeführt haben.<br />

Früher kauften also die armen Alkoholiker im Schnapsladen<br />

Luftfahrt-Likör, um auf die gleiche Weise betrunken zu werden<br />

wie Flugzeugpassagiere. Heute gehen Flugzeugpassagiere in den<br />

Schnapsladen, um auf die gleiche Weise betrunken zu werden<br />

wie arme Alkoholiker. Das muss irgendetwas über unsere Gesellschaft<br />

aussagen. Aber das herauszufi nden, ist nun wirklich<br />

nicht mein Job.<br />

Tillmann Prüfer ist Stil-Chef beim »Zeit«-Magazin »Leben«<br />

I n-fl<br />

ight alcohol consumption appears to be a hot topic. Time<br />

and again, we hear about extreme cases. Recently, a passenger<br />

in Russia apparently was so drunk that he tried to disembark at<br />

10,000 meters. Another tried to incite a riot and had to be locked<br />

in the onboard lavatory. Th e airlines are complaining—but I really<br />

feel obliged to comment that there is no place in the world where<br />

one is so encouraged to drink as on board a jet. Th e fact that my<br />

own character remains unscathed by drink is no thanks to the<br />

airline industry.<br />

I only have fragmentary memories of the long-haul fl ights of<br />

my youth—because I was inebriated most of the way. True, airlines<br />

were no longer doling out free cocktails—but they were even more<br />

dedicated to getting their passengers sloshed. Right after takeoff ,<br />

I was urged to have a few glasses of wine; then I was asked if I<br />

wouldn’t like something harder. I think this was the only way<br />

the cognac industry could survive. Th ey pumped hundreds of<br />

litres of the stuff into the bellies of jets. For travellers who were<br />

not yet sedated, there was a small tray next to the lavatory where<br />

one could choose among various little bottles of hard liquor. Th e<br />

plan was clear: A drunken passenger is a groggy passenger. And<br />

a groggy passenger doesn’t complain about having to sleep in his<br />

narrow seat. He simply snores away. Passengers were only too glad<br />

to oblige. After all, being on holiday also meant heavy drinking.<br />

And holidays could not begin too soon.<br />

Airlines even used to be keen on linking their names with alcoholic<br />

drinks. Recently, while travelling on a German airline, I<br />

noticed a little bottle in the fl ight attendant’s drink cart: It was a<br />

bottle of liquor that actually bore the airline‘s name. Th e explana-<br />

tion? Th is was a retro-liquor, a remake of a drink popular in the<br />

60s. Back then, the airline served it mixed with sparkling wine.<br />

It then became a big hit in liquor stores on the ground. After all,<br />

those people above the clouds were considered the »Jet Set.« And<br />

why not drink like the rich?<br />

Today, airlines have taken to installing more comfortable seats<br />

to promote easier sleeping. On top of that, there is very little alcohol<br />

available—sometimes none at all. All that could have signalled<br />

the end of on-board drunkenness. But unfortunately this was not<br />

the case. Today’s passenger checks into the bar beforehand. Th ese<br />

days, I fi nd the person seated next to me to be completely drunk,<br />

probably having downed half a bottle of Jägermeister before takeoff ,<br />

as if afraid to experience a fl ight sober.<br />

Once upon a time, destitute alcoholics used to pick up airplane<br />

alcohol in liquor stores, just to get drunk the way airline passengers<br />

did. Now, airline passengers head for the liquor stores to get drunk<br />

just like down-and-out alcoholics. Th at must say something about<br />

our society. But it’s really not my job to fi nd out what that is.<br />

Tillmann Prüfer is style editor for Zeit’s magazine, »Leben«


�����������������������<br />

www.dw-world.de


16 travel


Mitten hindurch strömt der Nil:<br />

Kairo, Zentrum<br />

The Nile meanders through the city:<br />

Downtown Cairo<br />

Die monumentale Stadt<br />

Th e Monumental City<br />

Eine Entdeckungstour durch Kairo A journey of discovery through Cairo<br />

travel 17


18 travel<br />

Kairo beeindruckt in jeder Hinsicht. Am Rand von Ägyptens Hauptstadt entstehen Siedlungen<br />

für Hunderttausende. Millionen von Menschen leben auf Friedhöfen. Die Pyramiden sind so<br />

groß, dass sie auf kein Bild passen. Die Oase und das berühmte Alexandria sind ganz nah. Nur<br />

Hamed, der Reiseleiter, hat an allem etwas auszusetzen<br />

Cairo is impressive from every angle. At the edge of Egypt’s capital, one fi nds settlements with<br />

hundreds of thousands of inhabitants. Millions of people live in cemeteries. Th e pyramids are<br />

so large that a camera lens cannot frame them all. Th e oasis and famous city of Alexandria are<br />

close by. Only Hamed, the tour guide, complains about everything<br />

Text: Frank Lorentz _ Photos: Sebastian Pfütze<br />

Es ist ein Wunder, dass wir noch leben«,<br />

rief Hamed, unser ägyptischer Führer.<br />

Gerade waren wir zur Mittagszeit im Basar<br />

in Alt-Kairo an einem Stand mit schwarzen<br />

Oliven vorbeigekommen. »Das sind grüne<br />

Oliven, mit Schuhcreme eingeschmiert«,<br />

behauptete er. »Schwarze verkaufen sich<br />

besser – und wer keine hat, färbt sich welche.<br />

Ob die Leute davon krank werden,<br />

ist dem Verkäufer egal. So ist Kairo!« Am<br />

Nachbarstand lagen auf einem schlichten<br />

Brett rohes Fleisch und Fisch in der prallen<br />

Sonne, wie lange schon, wollte man lieber<br />

nicht wissen. Es war so heiß, dass man<br />

eine Wurst, wenn man sie hätte grillen<br />

wollen, einfach nur in die Luft hätte halten<br />

brauchen.<br />

Hamed, 48, wischte sich den Schweiß<br />

von der Stirn. Und fl uchte weiter, jetzt über<br />

die Korruption in Ägypten. »Du kannst dir<br />

als Deutscher eine amtliche Bescheinigung<br />

ausstellen lassen, dass du der Sohn von Hos-<br />

ni Mubarak bist – wenn du nur genug Geld<br />

I t<br />

is a miracle we’re still alive,« Hamed,<br />

our Egyptian guide, wonders aloud. It<br />

was midday, and we had just passed a stand<br />

with black olives at the bazaar in Cairo’s<br />

old city. »Th ose are green olives covered<br />

in shoe polish,« he contended. »Th e black<br />

ones sell better—and the stands that have<br />

none, invent some. Th e seller doesn’t give<br />

a hoot if people get ill from eating them.<br />

Th at’s Cairo!« At the next stand, raw meat<br />

and fi sh are spread out on a wooden board<br />

under the beating sun; don’t ask for how<br />

long already. It was so hot that you could<br />

grill a sausage in the open air.<br />

Hamed, 48, mopped the sweat from his<br />

brow. And cursed again. Th is time about<br />

the corruption in Egypt. »Even as a German<br />

you can have an offi cial certifi cate produced<br />

stating you are a son of Hosni Mubarak—if<br />

you have enough cash!« Oh, and the noise.<br />

Th e most important car part in Cairo: the<br />

horn! And then there’s the air: You can’t<br />

help thinking that you’re inhaling mas-<br />

fogs up the entire district. »It’s for wiping<br />

out the swarms of mosquitoes and fl ies,«<br />

said Hamed. But we’d never noticed any<br />

mosquitoes or fl ies in all our days here.<br />

»Yeah, but there’s funding designated for<br />

this,« he quipped, removing his perfume<br />

bottle from his pocket again and rubbing<br />

some drops into his hands, as if to disinfect<br />

them. Or maybe to counteract the stink of<br />

exhaust fumes and insecticide. Finally we<br />

arrived at a café. Hamed (»for an Egyptian,<br />

48 is old«) sank exhausted onto a wooden<br />

stool, ordered a water pipe and for the next<br />

quarter hour produced clouds of sweet apple<br />

smoke. And suddenly looked happy<br />

again.<br />

Cairo, Africa’s largest city, is the perfect<br />

vacation spot for someone who feels unchallenged<br />

by the comfortable life of moderation<br />

common in western, developed areas. And<br />

for someone who is looking for monumentality.<br />

Here, 18 million people live in close<br />

proximity and they all have to get along;<br />

hast!« Ach, und der Lärm. Das wichtigste sive amounts of poison with every breath. not just one out of two, but everyone: the<br />

Autoteil in Kairo: die Hupe! Und dann die As if the stink from the old patchwork cars allegedly deceptive olive merchant; the boy<br />

Luft: Bei jedem Atemzug wurde man das were not unpleasant enough, municipal who lazes the day away in the café with<br />

Gefühl nicht los, sich massiv zu vergiften. transport vehicles drive around with odd tea and cigarettes, just like his father and<br />

Als wäre der Gestank der zusammengefl ick- equipment on the loading fl oor, relentlessly grandfather, and who staves off his hunger<br />

ten Altautos noch nicht unangenehm ➾ belching out dense, white smoke, which by gobbling up the local dish of Koshary, ➾


Basar in Alt-Kairo<br />

Bazaar in Old Cairo<br />

travel 19


20 travel


Die Bahn in Kairo hat nur wenige Stationen. Das bevorzugte<br />

Verkehrsmittel ist das Auto<br />

Cairo has very few train stations. Automobiles are the preferred<br />

means of transportation<br />

➾<br />

genug, fuhren städtische Transport-<br />

wagen mit seltsamen Geräten auf der La-<br />

defl äche umher, die unablässig dichten<br />

weißen Rauch ausstießen, der ganze Viertel<br />

komplett einnebelte. »Ein Mittel gegen die<br />

Mücken- und Fliegenplage«, sagte Hamed.<br />

Mücken oder Fliegen hatten wir allerdings<br />

in all den Tagen überhaupt nicht regis-<br />

triert. »Ja, dafür ist Geld da«, spottete er,<br />

zog erneut sein Parfüm-Fläschchen aus der<br />

Tasche und rieb sich die Hände ein, wie um<br />

sie zu desinfi zieren. Vielleicht auch, um<br />

dem Abgas- und Antimückengestank einen<br />

Duft entgegenzusetzen. Schließlich erreich-<br />

ten wir ein Café. Hamed (»mit 48 ist man<br />

als Ägypter alt«) sank erschöpft auf einen<br />

Holzstuhl, bestellte sich eine Wasserpfeife<br />

und produzierte die nächste Viertelstunde<br />

Wolken von apfelsüßem Rauch. Und wirkte<br />

auf einmal froh.<br />

Kairo, die größte Stadt Afrikas, ist der<br />

perfekte Aufenthaltsort für jeden, der das<br />

Monumentale sucht und den das gemäßigte,<br />

bequeme Leben, wie es in westlich<br />

entwickelten Gegenden nicht selten ist,<br />

unterfordert. 18 Millionen Menschen eng<br />

beieinander, und alle müssen klarkommen,<br />

nicht nur jeder zweite, nein, jeder.<br />

Der angeblich betrügerische Oliven-<br />

➾<br />

➾<br />

Bauer in einem ländlichen Bezirk am Stadtrand<br />

Farmer in a rural district at Cairo’s fringes<br />

rice with noodles, lentils and tomato<br />

sauce, from a plastic bowl; the drink seller<br />

who fi lls earthenware jugs with water and<br />

then strings them up under the sun so as<br />

to purify the water; the woman who wears<br />

a head scarf not for religious reasons but to<br />

hide the fact that she is too poor to do her<br />

hair (and, they say, modest-looking women<br />

have better luck with men); the mother who<br />

lives with her daughter in front of the basement<br />

window of a little house in old Cairo<br />

that once was home to a sheikh, whose ghost<br />

reportedly still lives there. Cairo has many<br />

such holy sites for pilgrims and it is a ritual<br />

to ask the sheikh for help, if your daughter<br />

is still without a husband, if you are ill or if<br />

your apartment has become too cramped.<br />

❊ ❊ ❊<br />

And a little intervention would be good for<br />

Cairo. During our attempt to talk with the<br />

two owners of »Café Riche« about ways of<br />

living and surviving in the big city, all we<br />

heard was: »Th at’s how Cairo was, once<br />

upon a time. Today you can only fi nd it here,<br />

in our café! If you go out, you are in Saudi<br />

Arabia. Investors from the Gulf States rule<br />

the street, putting up their ugly buildings<br />

everywhere!« Th e café celebrates its 100th<br />

anniversary in 2008 and for decades has been<br />

considered the meeting place for artists,<br />

politicians and intellectuals. Nobel Prize-<br />

winning writer Nagib Mahfuz of Cairo,<br />

who died in 2006, sat here every morning<br />

from 8:30 to 9 for 40 years, ordering two<br />

espressos and drinking only half of each,<br />

the owners recall.<br />

Some escape into nostalgia. Others are<br />

satisfi ed with a place to stay at the cemetery.<br />

Like Ezath, one of two million people who<br />

actually live in the Bab El Gafi er cemetery,<br />

south of Cairo on a hillside citadel. For ten<br />

kilometers in each direction, one sees only<br />

sand-colored sepulchers that the relatives<br />

of the dead have turned into apartments,<br />

sometimes even with more than one fl oor<br />

neatly added on. Illegal structures, of course,<br />

but the cemetery is like a developed city. It<br />

is crisscrossed with asphalt streets and bus<br />

stops; there is running water and electricity.<br />

Th e city sighs and closes its eyes. Reportedly,<br />

no one pays rent.<br />

Ezath, 38, married with four children,<br />

was born at the cemetery and will never<br />

leave it, not in life and certainly not in death.<br />

»My family has lived here for 80 years,« he<br />

said. »In the morgue under our house are<br />

30 relatives.« We sat in a silent garden<br />

travel 21<br />


22 travel<br />

➾<br />

verkäufer. Der Junge, der den Tag im<br />

Café vertrödelt mit Tee und Zigaretten,<br />

genau wie der Vater und Großvater, und<br />

gegen den Hunger aus einer Plastikschale<br />

das landestypische Koschary futtert, Reis<br />

mit Nudeln, Linsen und Tomatensoße. Der<br />

Getränkehändler, der Wasser in Tonkrüge<br />

füllt, die er dann in der Sonne aufreiht, weil<br />

so das Wasser gereinigt wird. Die Frau, die<br />

ihr Kopftuch nicht aus religiösen Gründen<br />

trägt, sondern um zu verschleiern, dass<br />

sie zu arm ist, um sich die Haare zu pfl egen<br />

(außerdem, sagt man, hätten züchtig<br />

aussehende Frauen bessere Chancen bei<br />

den Männern). Die Mutter, die sich mit<br />

ihrer Tochter vor dem Souterrainfenster<br />

eines Häuschens in Alt-Kairo niederlässt,<br />

in dem einst ein Scheich wohnte, dessen<br />

Geist immer noch dort leben soll. Es gibt in<br />

Kairo viele solcher Pilgerstätten, und es ist<br />

ein Ritual, den Scheich um Hilfe zu bitten,<br />

wenn die Tochter immer noch keinen Mann<br />

gefunden hat, wenn man krank oder die<br />

Wohnung zu eng geworden ist.<br />

❊ ❊ ❊<br />

Beistand kann auch Kairo gebrauchen. Bei<br />

unserem Versuch, mit den beiden Betreibern<br />

des »Café Riche« über die Möglichkeiten des<br />

20 Kilometer von Kairo entfernt hat ein<br />

ägyptischer Geschä� smann die Luxus-Stadt<br />

»Dreamland« gebaut. Funkmasten sind hier<br />

als Palmen verkleidet<br />

20 kilometers from Cairo, an Egyptian<br />

businessman created a luxury city—<br />

»Dreamland.« Radio towers here are<br />

disguised as palm trees<br />

Lebens und Überlebens in der Megastadt<br />

zu sprechen, bekamen wir nur zu hören:<br />

»Kairo, das war einmal. Das gibt es nur<br />

noch hier, in unserem Café! Wenn du rausgehst,<br />

bist du in Saudi-Arabien. Draußen<br />

regieren die Investoren aus den Golf-Staaten<br />

und stellen überall ihre hässlichen Bauten<br />

hin!« Das Café feiert 2008 hundertjähriges<br />

Bestehen und gilt seit Jahrzehnten als der<br />

Treff punkt von Künstlern, Politikern und<br />

Intellektuellen. Nagib Mahfuz, der 2006 ver-<br />

storbene Kairoer Literaturnobelpreisträger,<br />

saß hier 40 Jahre lang jeden Morgen von<br />

halb acht bis neun, bestellte zwei Espressos<br />

und trank aber, wie sich die Betreiber<br />

erinnern, jeden nur halb.<br />

Die einen fl üchten sich in Nostalgie. An-<br />

dere sind schon zufrieden, auf dem Friedhof<br />

eine Bleibe zu haben. Ezath zum Beispiel,<br />

einer von tatsächlich zwei Millionen Bewoh-<br />

nern des Friedhofs Bab El Gafi er, unterhalb<br />

von Kairos auf einer Anhöhe gelegenen Zi-<br />

tadelle. Zehn Kilometer in jede Richtung<br />

nichts anderes als sandfarbene Grabstät-<br />

ten, die sich die Angehörigen der Toten zu<br />

Wohnhäusern, teils sogar mehrstöckigen,<br />

zurechtgezimmert haben. Illegale Bauten,<br />

sicher, dennoch ist der Friedhof erschlossen<br />

wie eine Stadt. Asphaltstraßen mit<br />

➾<br />

➾<br />

with high walls, among palm, mango,<br />

date and olive trees. Th e garden was part of<br />

an imposing mausoleum built in 1930 for a<br />

pasha. Ezath guarded the gravesite. He also<br />

watched over adjacent, much more modest<br />

resting places. He had inherited the job from<br />

his father.<br />

»What exactly do you watch for?«<br />

»You have to make sure that no strangers<br />

sneak in and bury their dead. Th ere is no more<br />

room in Cairo, not even for the dead.«<br />

He took a drag from the stump of a ciga-<br />

rette, let it drop, stepped on it with his<br />

slippers and lit another. His ten-year-old<br />

daughter, Dunia, ran over, off ered some<br />

grapes and looked skyward: a jet was approaching<br />

the runway.<br />

»Do you know what you want to be when<br />

you grow up, Dunia?,« we asked.<br />

»A stewardess!«<br />

»Th e children want to move out,« said<br />

Ezath softly, taking another drag. »At night<br />

they are afraid of evil spirits. But basically life<br />

here is not bad. In the city, people live much<br />

too closely together and become aggressive.«<br />

❊ ❊ ❊<br />

About 75 million people live in Egypt;<br />

another million are added every ten<br />


Straßenszene in einer der neuen Wohnsiedlungen am Stadtrand<br />

Street scene in one of the new housing settlements on the edge of Cairo<br />

travel 23


24 travel<br />

➾<br />

Bushaltestellen führen mitten hin-<br />

durch, es gibt fl ießendes Wasser und Strom.<br />

Der Staat drückt resigniert die Augen zu.<br />

Miete, heißt es, zahlt niemand.<br />

Ezath, 38, verheiratet, vier Kinder, wur-<br />

de auf dem Friedhof geboren und wird ihn<br />

wohl nie verlassen, im Leben nicht und im<br />

Tod auch nicht. »Meine Familie lebt hier seit<br />

80 Jahren«, sagte er. »In der Totenkammer<br />

unter unserem Haus liegen 30 Verwandte.«<br />

Wir saßen in einem stillen, hoch ummau-<br />

erten Garten, in dem Palmen, Mango-,<br />

Dattel- und Olivenbäume wuchsen. Der<br />

Garten gehörte zu dem imposanten, 1930<br />

erbauten Grabhaus eines Paschas. Ezath<br />

war der Wächter dieses Grabs. Er bewachte<br />

auch die anliegenden, weitaus schlichteren<br />

Ruhestätten. Den Beruf hatte er von seinem<br />

Vater übernommen.<br />

»Was genau bewachst du?«<br />

»Man muss aufpassen, dass keine Fremden<br />

eindringen und Leichen begraben. Es<br />

gibt keinen Platz in Kairo, nicht mal für<br />

die Toten.«<br />

Er zog am Stummel seiner Zigarette, ließ<br />

sie fallen, trat sie mit dem Badeschlappen<br />

aus und steckte sich eine neue an. Seine<br />

Ezath, 38, Friedhofsbew<strong>ohne</strong>r, mit einem seiner Söhne<br />

Cemetery dweller Ezath, 38, with one of his sons<br />

zehnjährige Tochter Dunia trat herbei,<br />

reichte Weintrauben und schaute zum<br />

Himmel: ein Flugzeug im Landeanfl ug.<br />

»Weißt du schon, was du einmal werden<br />

willst, Dunia?«, fragten wir.<br />

»Stewardess!«<br />

»Die Kinder möchten fort«, sagte Ezath<br />

leise und zog an der Zigarette. »In der Nacht<br />

haben sie Angst vor bösen Geistern. Aber im<br />

Grunde ist das Leben nicht schlecht hier. In<br />

der Stadt hocken die Menschen viel zu eng<br />

zusammen und werden aggressiv.«<br />

❊ ❊ ❊<br />

Rund 75 Millionen Menschen leben in<br />

Ägypten, alle zehn Monate soll eine Million<br />

hinzukommen. Das verlangt nach<br />

alternativen Wohnformen, wie sie – in<br />

wiederum kolossaler Dimension – auch<br />

am Stadtrand von Kairo und etwas außerhalb<br />

anschaulich werden. Dort entstehen<br />

Dutzende neuer Ortschaften, teils mitten<br />

in der Wüste, die kleinsten für 5.000, die<br />

größten für 200.000 Menschen. Häuserfl<br />

uchten zumeist, so dicht aneinanderge-<br />

quetscht, dass sich die Bew<strong>ohne</strong>r durch die<br />

Fenster die Hände schütteln können.<br />

➾<br />

➾<br />

months. So alternative homes are in<br />

demand, as can be seen—once again in co-<br />

lossal dimensions—on the fringes of Cairo<br />

and somewhat outside the city. Dozens of<br />

new communities are rising, some right in<br />

the middle of the desert; the smallest has<br />

5,000 people and the largest 200,000. Mostly<br />

rows of houses, built so close together that<br />

neighbors can shake each others’ hands<br />

through their windows. One of these towns<br />

is called »New Cairo.« But there are also<br />

new ghettos for the super-rich popping<br />

up. Like »Dreamland,« across from New<br />

Cairo, a kind of private luxury city built<br />

by businessman Ahmed Bahgat, with a<br />

golf course, amusement park, a »Dream<br />

Studio,« »Dream Club,« and »Dream TV«<br />

as well as signs with a red x over a horn<br />

(they might at some point be seen throughout<br />

downtown Cairo). Radio towers on the<br />

edge of the community are disguised as<br />

palm trees. Supposedly, Bahgat has not sold<br />

many properties as of yet. By comparison,<br />

Bab El Gafi er is bustling with life.<br />

We met architect Amira El-Rafei at her<br />

offi ce in Zamalek, Cairo’s most coveted dis-<br />

trict. Grand houses, nice restaurants<br />


Basiswissen Kairo<br />

Fortbewegen: Das ideale Fortbewegungsmittel ist das Taxi. Für 50<br />

Ägyptische Pfund (LE), ungefähr 7 Euro, wird man quer durch die Stadt<br />

gefahren und auch bis an die Peripherie.<br />

Essen und trinken: Das Restaurant Abou El Sid – eine in mehreren Vierteln<br />

vertretene Kette – bietet exzellente ägyptische Küche in nettem Ambiente zu<br />

fairen Preisen (z. B. in Zamalek, 157, Straße des 26. Juli, www.deyafa.net).<br />

Das berühmte Café Riche (17, Talaat-Harb-Straße) ist im Sommer 2008<br />

zu einem Restaurant umgebaut worden. Der Treffpunkt für Künstler und<br />

Intellektuelle lohnt allein wegen der Geschichte des Cafés. In den Räumen<br />

wurden viele politische Entscheidungen vorbereitet. Heute ist es wie ein<br />

Museum eingerichtet, an den Wänden hängen Porträts berühmter Gäste.<br />

Im Keller – hinter einer versteckten Drehtür – arbeiteten während der<br />

französischen Besatzungszeit Oppositionelle. Ebenfalls außergewöhnlich<br />

– und besonders beliebt bei jungen Leuten: das »Greek Center«. Einfaches,<br />

sauberes, günstiges Essen auf einer Dachterrasse mitten in Kairo. Nicht-<br />

Mitglieder des Zentrums zahlen geringen Eintritt (The Greek Center of<br />

Cairo, 21, Mahmoud-Bassiouni-Straße, Talaat-Harb-Platz).<br />

Die drei Pyramiden: Das Betreten der größten, der Cheops-Pyrami-<br />

de kostet gesonderten Eintritt (120 LE, 16 Euro; Besichtigungen bis<br />

10 Uhr, dann wieder ab 14 Uhr). Auf das Gelände und in die anderen zwei<br />

Pyramiden darf man für 50 LE (7 Euro). Nicht abschrecken lassen von<br />

Bediensteten, die gerne im Befehlston nach der Eintrittskarte fragen – ein<br />

Trick, um Touristen zusätzliche, unnötige Tickets aufzuschwatzen. Die Kameltreiber,<br />

die Ritte über das Areal anbieten, sind zuweilen schamlos frech<br />

in ihren Honorarvorstellungen. Der Preis für den (an sich schönen) Ritt sollte<br />

30 LE (5 Euro) nicht überschreiten. Manche verlangen 400 LE und spulen die<br />

übliche Tirade ab (Vater gestorben, Kinder krank usw.). Ignorieren!<br />

Ausflüge machen: Mit dem Zug binnen zwei Stunden nach Alexand-<br />

ria. Zugfahren ist günstig, hin und zurück kostet pro Person ca. 50 LE<br />

(7 Euro). Tickets unbedingt einen Tag vorher kaufen. Für Ausflüge etwa zur<br />

Oase Fayoum (den Ort Fayoum meiden, gleich den Karun-See aufsuchen)<br />

empfiehlt sich ein Taxi. Tagespreis ungefähr 600 LE (80 Euro).<br />

Kleine Fakten: Flugzeit nach Kairo: knapp vier Stunden (ab Frankfurt).<br />

Zeitverschiebung: plus eine Stunde (gegenüber MEZ). Unterkunft: Die<br />

großen Hotelketten haben Häuser am Nilufer. Gut und günstig (EZ ab<br />

40 Euro): Hotel Longchamps (21, Ismail-Mohamed-Straße, Zamalek,<br />

www.hotellongchamps.com).<br />

Libya<br />

Mediterranian Sea<br />

Egypt<br />

Alexandria<br />

Al-Fayoum<br />

Oasis<br />

Cairo<br />

Nile<br />

Mt.<br />

Sinai<br />

Israel<br />

Lebanon<br />

Jordan<br />

Saudi Arabia<br />

Cairo: Basic Facts<br />

Getting around: The ideal means of transportation is the taxi. For 50<br />

Egyptian pounds (LE), about 7 Euro, you’ll be driven clear across Cairo,<br />

and even up to the suburbs.<br />

Food: The restaurant »Abou El Sid«—a chain found in several districts<br />

of Cairo—offers excellent Egyptian cuisine in a nice atmosphere at a fair<br />

price (for example, »Zamalek,« 157, at 26 July Street, www.deyafa.net). The<br />

famous »Café Riche« (17, Talaat Harb Street) was turned into a restaurant<br />

in the summer of 2008. This meeting point for artists and intellectuals is<br />

worth visiting just for its history. Many political decisions reportedly were<br />

prepared in its rooms. Today it is decorated like a museum; portraits of<br />

famous guests hang on the walls. In the cellar—behind a hidden revolving<br />

door—members of the Resistance gathered during the period of French<br />

occupation. Also unusual—and particularly beloved by the younger set:<br />

the »Greek Center.« It is simple, spotless, and with reasonably priced<br />

food served on a rooftop terrace in the middle of Cairo. Non-members<br />

pay a minimal entrance fee (»The Greek Center of Cairo,« 21, Mahmoud<br />

Bassiouni Street, Talaat Harb Square).<br />

The three pyramids: There is a separate entrance fee (120 LE, 16<br />

Euro) for Cheops, the largest of the pyramids (open until 10 a.m. and<br />

again after 2 p.m.). Access to the site and the other two pyramids costs<br />

50 LE (7 Euro). Don’t be discouraged by attendants who may ask gruffly<br />

to see your tickets—it’s a trick to get tourists to purchase additional<br />

unnecessary tickets. The camel drivers who offer rides through the site<br />

are sometimes downright brazen in the fees they demand. Such a ride<br />

(which is quite an experience) should not cost more than 30 LE (5 Euro).<br />

Some demand 400 LE and give you the usual sob story (father just died,<br />

children ill, etc.). Ignore them!<br />

Day trips: By train, you are two hours from Alexandria. Rail travel is<br />

cheap—a round trip ticket costs 50 LE (7 Euro). Definitely buy your tickets<br />

a day ahead of time. A taxi is best for trips to such places as the Fayoum<br />

oasis (skip the town of Fayoum and head straight to Lake Qarun). A day<br />

price for a taxi is about 600 LE (80 Euro).<br />

Details: Flight time to Cairo: about four hours (from Frankfurt). Time<br />

difference: add an hour (to Central European Time). Accommodation: The<br />

major hotel chains have branches on the banks of the Nile. A good budget<br />

accommodation is Hotel Longchamps (single rooms start at 40 Euro; 21<br />

Ismail Mohamed Street, Zamalek, www.hotellongchamps.com).<br />

Syria<br />

Iraq<br />

travel 25


26 travel<br />

Junge Ägypterin im Al-Azhar-Park<br />

Young Egyptian woman in Al-Azhar Park<br />

Eudosia Maura Barrios, genannt Cocuyo, vor ihrem Häuschen in der Nähe von Viñales, im Landesinneren<br />

Eudosia Mauro Barrios, known as Cocuyo, in front of her small house close to Viñales in rural Cuba


➾<br />

Einer dieser Orte heißt »New Cairo«.<br />

Aus dem Boden schießen aber auch Ghettos<br />

für Superreiche. Etwa, gegenüber von<br />

Neu-Kairo, »Dreamland«, eine Art private<br />

Luxusstadt des Geschäftsmanns Ahmed<br />

Bahgat, mit Golfplatz, Vergnügungspark,<br />

»Dream Studio«, »Dream Club«, »Dream<br />

TV« sowie Schildern, auf denen zwei rote<br />

Balken eine Hupe durchkreuzen (die sollten<br />

mal fl ächendeckend in Kairos Innenstadt<br />

aufgestellt werden). Die Funkmasten am<br />

Siedlungsrand sind als Palmen verkleidet.<br />

Sonderlich viele Objekte verkauft haben soll<br />

Bahgat bisher nicht. Auf dem Friedhof Bab<br />

El-Gafi er tobte im Vergleich das Leben.<br />

Wir trafen die Architektin Amira El-Rafei<br />

in ihrem Büro in Zamalek, dem begehrtesten<br />

Viertel von Kairo. Herrschaftliche Häuser,<br />

nette Restaurants, und um die Ecke, wo die<br />

vielen Polizisten wachen, residiert Gamal Mu-<br />

barak, Sohn des Präsidenten und wohl auch<br />

dessen Nachfolger. El-Rafei, spezialisiert auf<br />

Interior Design für Luxusanwesen, lebte zwei<br />

Jahrzehnte im Ausland, in Tunesien, Bahrein<br />

und Paris. Dann sei das Heimweh zu groß<br />

geworden. »Ich habe den Blick auf den Nil<br />

vermisst, wie ich ihn hier im Büro habe.«<br />

»Frau El-Rafei, was bedeutet Luxus in<br />

Kairo?«<br />

Polizist in Kairos berühmtem Café El Fishawy<br />

Policeman in Cairo’s famous Café El Fishawy<br />

»Wir arbeiten vor allem für Geschäfts-<br />

leute. Die kennen alle das Four Seasons – und<br />

möchten genauso w<strong>ohne</strong>n. Sie wünschen<br />

Marmor und Mahagoni. Man kann sagen:<br />

Je mehr sie reisen, umso besser wird ihr<br />

Geschmack. Allmählich wird er sophisti-<br />

cated.«<br />

»Tut es Ihnen weh, zu sehen, wie eng –<br />

mitten in der Wüste, wo Platz genug wäre<br />

– die neuen Häuser für die weniger Wohlhabenden<br />

gebaut werden?«<br />

»Ja, das tut weh. Man versucht, auf wenig<br />

Raum maximalen Profi t zu machen.«<br />

Sie legte einen Stapel Skizzen auf den<br />

Tisch. Zuoberst der Bauplan des Anwesens<br />

eines Herrn Farouk: drei Etagen, Billard-<br />

zimmer, Swimmingpool, und in der Garage<br />

hatte der Zeichner schon mal drei Autos<br />

geparkt. Darunter die Villa eines Herrn<br />

Shawky – mit vier abgestellten Wagen.<br />

»Die Tendenz«, sagte Frau El-Rafei, »ist<br />

klar: Live big.«<br />

❊ ❊ ❊<br />

Erschlagen von der städtebaulichen Monu-<br />

mentalität, wendeten wir uns der Freizeit-<br />

gestaltung zu – die allerdings zu weiteren<br />

Begegnungen mit Monumentalität führte.<br />

Die Pyramiden von Gizeh, am Rand<br />

➾<br />

➾<br />

and, around the corner, where a bevy<br />

of police congregates, the home of Gamal<br />

Mubarak, son of the president and doubtless<br />

also his successor. El-Rafei, who has<br />

specialized in luxury interior design, spent<br />

two decades living abroad: in Tunisia, Bahrain<br />

and Paris. But then her homesickness<br />

got the better of her. »I missed the view of<br />

the Nile River from my offi ce window.«<br />

»Ms. El-Rafei, how do you defi ne luxury<br />

in Cairo?«<br />

»Our clients are primarily businesspeople.<br />

Th ey all know the Four Seasons—and<br />

want to live that way themselves. Th ey<br />

want marble and mahogany. You might<br />

say that the more they travel, the better<br />

their taste becomes. Gradually they become<br />

sophisticated.«<br />

»Does it bother you to see how closely<br />

together the new houses for the few well-<br />

to-do clients are built—in the middle of the<br />

desert, where there could be more room?«<br />

»Yes, it’s upsetting. Th ey are trying to<br />

make the most profi t they can with the<br />

smallest use of property.«<br />

She puts a pile of sketches on the table.<br />

On top is the fl oor plan for the estate of a<br />

Mr. Farouk: three levels, a billiard room,<br />

a swimming pool, and the garage, in<br />

travel 27<br />


28 travel<br />

Auf einem brach liegenden Gelände etwas außerhalb der südvietnamesischen Metropole treff en sich Familien und junge Paare zum Drachensteigenlassen<br />

On fallow terrain just outside the southern Vietnamese metropolis, families and young couples meet to fl y kites.<br />

Fischer auf dem Karun-See, eine Autostunde südlich der Metropole<br />

Fisherman on Lake Qarun, a one-hour’s drive south from Cairo


Abends am Flussufer in Kairos Innenstadt<br />

Evenings on the riverbank, in downtown Cairo<br />

travel 29


30 travel<br />

Mitten auf dem Nil liegt die »Goldene Insel«. Im Hintergrund die für Kairos Randbezirke typische Wohnhaus-Architektur<br />

The »Golden Island« is situated in the center of the Nile. In the background are apartment buildings in a style typical for Cairo’s outer fringes


travel 31


32 travel


Immer herausgeputzt für Touristen: die Pyramiden von Gizeh<br />

Always dolled up for tourists: the Pyramids of Giza<br />

travel 33


34 travel<br />

In die Wüste gesetzte neue Wohnsiedlung für tausende Menschen<br />

New settlements for thousands of people are popping up in the desert<br />

➾<br />

von Kairo, sind einer der raren Orte,<br />

an denen selbst Scharen von Bustouristen<br />

winzig wirken. Rührend ihr Versuch, die<br />

ungeheuren Bauwerke in Digitalkame-<br />

ras zu zwängen. Bei Außentemperaturen<br />

jenseits der 40 Grad kraxelten wir in die<br />

größte, die Cheops-Pyramide. (Hamed,<br />

der schlaue Fuchs, tat sich das nicht an.)<br />

Erst gebückt durch den Stollen und dann,<br />

auf allen vieren, durch die stickige Röhre<br />

mit 217 Trittleisten, die im 45-Grad-Winkel<br />

hinauff ührt. Sie mündet in einen qua-<br />

derförmigen, anthrazitfarbenen, saunamäßig<br />

temperierten Raum, der auch als<br />

Biennale-Kunstwerk durchginge und in<br />

dem nur ein off enes, steinernes, leeres<br />

Grab steht. Völlig durchgeschwitzt hockten<br />

wir uns anschließend in die Sonne, zum<br />

Abkühlen.<br />

Anderntags schipperten wir mit einem<br />

kleinen Holzboot über den Nil. Null Abgase,<br />

kein Gehupe, nur das Gluckern, wenn<br />

der Steuermann sein Paddel ins Wasser<br />

tunkte. Herrlich. Zur weiteren Entspannung<br />

ließen wir uns im Taxi eine Stunde<br />

lang auf schnurgerader Piste durch die<br />

Wüste kutschieren, zur nächstgelegenen<br />

Oase (Fayoum). An dem riesigen See dort<br />

wären wir sicher länger geblieben –<br />

➾<br />

➾<br />

which the artist already has parked<br />

three cars. Under that fl oor plan is one for<br />

the villa of a Mr. Shawky—with four cars<br />

parked in the drive. »Th e tendency is clear,«<br />

said Ms. El-Rafei: »Live big.«<br />

❊ ❊ ❊<br />

Fed up with urban monumentality, we<br />

turned toward leisure activities—which ulti-<br />

mately led us to further encounters with the<br />

enormous. Th e pyramids of Giza, at the edge<br />

of Cairo, are among the rare monuments<br />

that dwarf even herds of tourists in buses.<br />

It is pathetic how these tourists attempt to<br />

capture these colossal structures in their<br />

digital cameras. With an outdoor temperature<br />

above 40 degrees celsius, we scrambled<br />

into the largest pyramid—Cheops. (Hamed,<br />

the sly fox, did not join us.) First crouching<br />

through the entrance and then on all fours<br />

through the sticky tunnel, we climbed along<br />

a ladder with 217 steps leading up to a 45-degree<br />

corner. It opens up into a rectangular,<br />

anthracite-colored room maintained at a<br />

sauna-like temperature, ready to be perused<br />

like a work of art at a biennial, and containing<br />

only an empty stone grave, lying open.<br />

Completely drenched in sweat, we ended up<br />

squatting in the sun to cool off .<br />

Th e next day, we sailed in a little wooden<br />

boat on the Nile. No car exhaust, no honking<br />

horns; just the gentle splashing as the<br />

helmsman dipped his paddle in the water.<br />

Delightful. For more relaxation still, we<br />

indulged in an hour-long taxi ride straight<br />

through the desert to the next oasis (Fayoum).<br />

We surely would have liked to stay<br />

longer on the great lake there—if we were<br />

writers researching a book on water, sand and<br />

stagnant air. And about how heat can take<br />

the life out of you. By contrast, a refreshing<br />

wind blew in Alexandria (two hours by train<br />

from Cairo). On the beaches, where locals<br />

apparently assumed most Europeans were<br />

hanging out on the other side, in Greece,<br />

we palefaces were the attraction—and stole<br />

the show from the cool beach photographer<br />

Medhat Abdel Hafez, who looked like he had<br />

beamed over from Rio de Janeiro.<br />

On the evening of our last day, we lay<br />

stretched on a luscious, green, well-mown<br />

lawn in Al-Azhar Park, in the center of Cairo.<br />

Hamed was going on, as usual: »Without<br />

a visa we can only go to Sudan and Libya.<br />

It couldn’t be worse!« But at that particular<br />

moment there was no reason to put Egypt<br />

on trial. Th e park, opened in 2005 by the<br />

Aga-Khan Foundation, used to be a co-<br />


Moharam El-Ragheb, General Manager<br />

Moharam El-Ragheb, general manager<br />

Sportlich, sportlich: Ein Besuch im<br />

Jahrhundertclub Al Ahly<br />

Auf dem Schreibtisch von Moharam El-Ragheb, General Manager des<br />

Kairoer Sportvereins Al Ahly, stapeln sich Aktenordner und Papiere.<br />

Zwei Mitarbeiter hocken an dem niedrigen Tisch davor und blättern eilig<br />

Zeitungen durch. Im Regal an der Wand ein Pokal neben dem anderen:<br />

Einer erinnert an ein Fußballspiel aus dem Jahr 2007, Al Ahly gegen CF<br />

Barcelona, den europäischen Renommierclub, Endstand 1:0. Daneben die<br />

Auszeichnung »Afrikanischer Fußballclub des 20. Jahrhunderts«, erhalten<br />

im Jahr 2000 vom Afrikanischen Fußballverband. In einer Ecke, unter dem<br />

Ventilator, die kreisrunde Trophäe des aktuellen Fußballmeisters.<br />

»Bei mir laufen alle Fäden zusammen«, sagt Moharam El-Ragheb, 65,<br />

ehemaliger ägyptischer Meister im Schwimmen über 100 Meter Freistil.<br />

Es sind nicht wenige Fäden. Al Ahly, gegründet 1907, ist nicht nur der<br />

größte Fußballverein Ägyptens (32-facher Meister), sondern einer der<br />

größten Sportvereine Afrikas. Die Mitgliederzahl? »Ungefähr 90.000«,<br />

sagt El-Ragheb. »Zu jedem Mitglied gehört aber im Grunde eine ganze<br />

Familie, so dass wir auf 500.000 kommen.« Eine halbe Million Menschen,<br />

die nicht nur Fußball spielen, sondern sich auf 18 Sportarten verteilen,<br />

darunter Handball und Basketball – auch in diesen Disziplinen ist Al Ahly<br />

ägyptischer Serienmeister.<br />

Vor allem aber für ambitionierte Fußballer ist »Al Ahly Club«, so der<br />

offizielle Name, die Traumadresse. Hier kickte bis 1988 Mahmoud El<br />

Khatib, der Franz Beckenbauer Ägyptens, heute Vorstandsvorsitzender<br />

von Al Ahly. Derzeitiger Star: Mohamed Abo Treka, Torschütze zum<br />

1:0-Endstand im Afrika-Cup-Finale 2008 gegen Kamerun. Wie ein einzelner<br />

Verein derartig erfolgreich sein kann? »Das liegt an den tollen<br />

Sportlern«, sagt El-Ragheb. »Und auch an den Politikern, die helfen, wenn<br />

wir zum Beispiel kurzfristig ein Flugzeug benötigen.« Fußball sei eben<br />

Sportart Nummer eins in Ägypten. Und Ägypten ist die Nummer eins im<br />

afrikanischen Fußball (sechsfacher Afrika-Cup-Sieger).<br />

Aber warum bleiben die afrikanischen Mannschaften bei internationalen<br />

Turnieren regelmäßig hinter den Erwartungen zurück? »Afrika hat tolle<br />

Einzelspieler – aber keine kompakten Mannschaften«, sagt El-Ragheb. »Das<br />

wird sich auch bis zur WM 2010 nicht geändert haben.« Ein Manko sei zudem<br />

die fehlende internationale Bekanntheit. »In Afrika kennt man alle europäischen<br />

Clubs. Aber kennen Europäer einen einzigen Club in Afrika?« lof<br />

Athletic, athletic: A visit to Al Ahly,<br />

club of the century<br />

Files and papers are piling up on the desk of Moharam El-Ragheb, general<br />

manager of Cairo’s Al Ahly sport club. Two staffers crouch at the low<br />

table and hurriedly scan newspapers. Trophies are lined up on shelves<br />

against the wall. One is from a soccer game from 2007: Al Ahly against<br />

CF Barcelona, the European prestige club, final score 1:0. Next to it is<br />

the award to the »African Soccer Club of the 20th Century,« presented in<br />

2000 by the Confederation of African Football. In a corner under a fan is<br />

the circular trophy of the current soccer champions.<br />

»All the threads come together in me,« says Moharam El-Ragheb, 65,<br />

former Egyptian free-style swimming champion in the 100-meter category.<br />

And there are many threads. Al Ahly, founded in 1907, is not only Egypt’s<br />

largest soccer club (32-time winner), but also one of Africa’s largest sport<br />

clubs. How many members does it have? »About 90,000,« says El-Ragheb.<br />

»But every membership also brings an entire family with it, so we estimate<br />

about 500,000.« That’s half a million people who play not only soccer but<br />

also 18 other sports, including handball and basketball—and Al Ahly is<br />

the Egyptian series champion in those two disciplines.<br />

But the »Al Ahly Club,« as it is officially known, is primarily a dream<br />

address for ambitious soccer players. Mahmoud El Khatib, the Franz<br />

Beckenbauer of Egypt, practiced here through 1988; today he is chief<br />

executive officer of Al Ahly. The hottest star nowadays is Mohamed Abo<br />

Treka, goal scorer for the 1:0 end score in the 2008 Africa Cup Final<br />

against Cameroon. How does one club get to be so successful? »It’s all<br />

due to our superb athletes,« says El-Ragheb. »And the politicians who<br />

help out when, for example, we need a jet for a short-notice trip.« After<br />

all, soccer is Egypt’s most popular sport. And Egypt is top in African<br />

soccer (six-time Africa Cup winner).<br />

But why then do African teams regularly fail to match expectations at<br />

international tournaments? »Africa has many terrific individual players—<br />

but no solid teams. And that is unlikely to change by the World Cup games<br />

in 2010,« says El-Ragheb. Another deficit is the lack of international<br />

renown. »In Africa, we know all the European clubs. But do Europeans<br />

know a single club in Africa?« lof<br />

travel 35


36 travel<br />

Einer der fünf Mönche im Armen-Hospital: Thich Tam Chau, 32<br />

One of the fi ve monks at the hospital for the poor: Thich Tam Chau, 32


Gleich ist die Sonne versunken, dann rufen die Muezzine zum Abendgebet:<br />

im Al-Azhar-Park, einer ehemaligen Mülldeponie<br />

No sooner does the sun set, than the muezzins issue their call to evening prayer:<br />

in Al-Azhar Park, which used to be a trash landfi ll<br />

travel 37


38 travel<br />

Strand in Alexandria<br />

Beach in Alexandria


➾<br />

wären wir Schriftsteller gewesen, die<br />

für ein Buch über Wasser, Sand und stehen-<br />

de Luft recherchiert hätten. Und darüber,<br />

wie Hitze eine Existenz bis zur vollkomme-<br />

nen Sorglosigkeit herunterdimmen kann.<br />

In Alexandria (zwei Zugstunden ab Kairo)<br />

wehte dagegen ein erfrischender Wind.<br />

An den Stadtstränden, wo man Europäer<br />

wohl allenfalls gegenüber, in Griechen-<br />

land, vermutete, waren wir Bleichgesich-<br />

ter die Attraktion – und stahlen dem coolen<br />

Beach-Fotografen Medhat Abdel Hafez, der<br />

aussah wie aus Rio de Janeiro herübergebeamt,<br />

die Schau.<br />

❊ ❊ ❊<br />

Am letzten Tag, abends, lagen wir ausgestreckt<br />

auf einer satt grünen, akkurat<br />

gestutzten Wiese im Al-Azhar-Park, mitten<br />

in Kairo. Hamed war wieder kaum zu bremsen.<br />

»Ohne Visum dürfen wir nur nach Sudan<br />

und Libyen. Schlimmer geht’s nicht!«<br />

Dabei gab es in dem Moment gar keinen<br />

Grund, mit Ägypten ins Gericht zu gehen.<br />

Der Park, eröff net 2005 von der Aga-Khan-<br />

Siftung, ein ehemaliger, selbstredend ko-<br />

lossaler Müllberg, ist heute die reine Idylle.<br />

Oben an den Laternen Musikboxen, aus<br />

denen an dem Abend Harfentöne klangen,<br />

dann Beethovens Mondscheinsonate, dann<br />

indisch-arabische Gitarrenvariationen.<br />

Großzügige Wege zum Promenieren. Res-<br />

taurants mit Böden aus Marmor, Alabaster<br />

und Granit. Und vor allem: ein grandio-<br />

ser Rundumblick, auf die Zitadelle, die<br />

Moscheen, die Millionen sandfarbener<br />

Bauten, zunehmend im Dunst verwischt.<br />

Wir betrachteten die Sonne, wie sie im<br />

Häusermeer versank, während um uns<br />

herum Teenie-Paare Händchen hielten<br />

und Frauen, schwarz verhüllt von Kopf bis<br />

Fuß, kichernd Handyfotos voneinander<br />

machten.<br />

Auf einmal stieg von überallher ein Röh-<br />

ren auf, als startete in ganz Kairo ein Motorradrennen:<br />

200 Moscheen, die zugleich<br />

zum Abendgebet riefen. Manche setzten<br />

später ein, dafür in doppelter Lautstärke.<br />

Wir waren wie gelähmt von dieser unerwarteten<br />

Symphonie. Und Hamed? Schüttelte<br />

nur den Kopf: »Da will wieder ein Muezzin<br />

den anderen übertrumpfen.«<br />

➾<br />

lossal mountain of trash. Now it is a<br />

pure idyll. Speakers hang from the streetlamps,<br />

emitting the gentle tones of harps<br />

in the evening, followed by Beethoven’s<br />

»Moonlight Sonata,« then Indian-Arabic<br />

guitar variations. Wide paths for strolling.<br />

Restaurants with marble fl oors, alabaster<br />

and granite. And most impressive of all: a<br />

grandiose 360-degree view of the citadel,<br />

the mosques, the millions of sand-colored<br />

buildings gradually disappearing in the<br />

mist. We watched the sun sink behind<br />

the sea of houses while nearby teenage<br />

couples held hands, and women, draped<br />

in black from head to toe, giggled as they<br />

photographed each other with their cell<br />

phones.<br />

Suddenly a roar rose up from all corners,<br />

as if a motorcycle race were revving<br />

up throughout Cairo: 200 mosques<br />

were announcing evening prayers. Some<br />

started up later, twice as loudly. We were<br />

practically numbed by this unexpected<br />

symphony. And Hamed? He just shook<br />

his head: »Th ose muezzins are trying to<br />

outdo each other again.«<br />

❊ ❊<br />

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travel 39<br />

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40 portrait<br />

Photo: Sebastian Pfütze


D ie<br />

Fensterläden im Kairoer Restaurant<br />

Abou El Sid sind zugeklappt, durch<br />

die Spalten fällt nur wenig Licht. In dem<br />

angenehmen Halbdunkel, ein Kontrast zur<br />

grellen Mittagshelligkeit draußen, treff en<br />

wir Faruq Shusha, einen der bekanntesten<br />

Dichter Ägyptens. Am Tisch sitzt auch ein<br />

Freund von ihm. Er sagt, er sei ebenfalls<br />

Dichter, hebt aber sofort beschwörend die<br />

Hände und nickt zu Shusha hinüber: »Aber<br />

keiner wie er. Er ist der größte von uns!«<br />

Shusha, Jahrgang 1936, ehemals Jour-<br />

nalist und Direktor des ägyptischen Rund-<br />

funks, heute Generalsekretär der Kairoer<br />

»Vereinigung für die arabische Sprache«, ist<br />

vor allem auch ein Mensch, der sich nicht<br />

an der rituellen Klage beteiligt, in Kairo sei<br />

The blinds are shut at the Cairo restaurant<br />

Abou El Sid; light slips in through<br />

the slats. In this pleasant semi-darkness, a<br />

contrast to the dazzling midday sun outside,<br />

we meet Faruq Shusha, one of Egypt’s most<br />

famous poets. A friend of his joins us at the<br />

table. He says he is a poet, too, but raises his<br />

hands in deference and nods over to Shusha:<br />

»But not like him. He is the biggest!«<br />

Shusha, born in 1936, former journalist<br />

and director of Egyptian Radio and now<br />

general secretary of the Cairo »Association<br />

for the Arabic Language,« is also fi rst and<br />

foremost a man who refrains from repeating<br />

the hackneyed complaint that everything<br />

Eine Frage der Liebe<br />

Ägypten (1): Faruq Shusha ist einer der bekanntesten Dichter des Landes. Sein neuestes<br />

Werk ist ausnahmsweise keiner Frau gewidmet<br />

früher alles besser gewesen, die Luft sauberer,<br />

die Häuser schöner, die Armut geringer.<br />

»Jede Zeit hat ihre eigene Sprache«, sagt er.<br />

»Wir haben mehr Glück als die Generationen<br />

vor uns. Zum Beispiel ist dank der neuen<br />

Medien die Kommunikation viel einfacher<br />

geworden. Ich kann jederzeit alle Dichter der<br />

Welt lesen – egal in welcher Sprache!«<br />

Bekannt geworden ist Shusha mit Gedichten<br />

über die Liebe, einen zentralen Platz<br />

in seinem Werk nehmen Frauen ein. »Ein<br />

Dichter, der <strong>ohne</strong> Frau lebt«, hat er einmal<br />

gesagt, »ist ein Dichter, der geschieden ist<br />

vom Universum.« Welche Rolle für ihn die<br />

in Ägypten weithin sichtbare Armut spielt?<br />

Der Umstand, dass laut Schätzungen jeder<br />

zweite Ägypter Analphabet ist? »Armut ist<br />

A Question of Love<br />

used to be better in Cairo—that the air was<br />

cleaner, houses were nicer, poverty was less<br />

intense. »Every age has its own language,«<br />

he says. »We are luckier than the generation<br />

that preceded ours. For example, new media<br />

has made communication much easier. I<br />

can read works by any poet in the world at<br />

any time—in any language I wish!« Shusha<br />

is famous for his love poems. Women play<br />

a central role in his work. »A poet who lives<br />

without a woman is a poet who is divorced<br />

from the universe,« he once said. Does<br />

Egypt’s widely visible poverty infl uence<br />

his thinking? What about the fact that an<br />

estimated one in two Egyptians is illiterate?<br />

die Regel, Reichtum die Ausnahme. Finanzielle<br />

Armut ist nicht das Problem. Die<br />

gefährlichste Armut ist die der Seele und<br />

die der Gedanken.«<br />

Momentan arbeitet er an einer neuen<br />

Dichtung. Sie handelt wieder einmal von<br />

der Liebe. Aber nicht zu einer Frau, sondern<br />

zum Nil. »Ich wurde am Ufer des Nils<br />

geboren. Mein ganzes Leben habe ich in<br />

seiner Nähe verbracht. Der Nil ist Zeuge der<br />

Geschichte Ägyptens. Er kann erzählen, was<br />

geschehen ist.« Faruq Shusha nimmt einen<br />

letzten Schluck Kaff ee und steht auf. Ende<br />

der Mittagspause, er möchte zurück ins<br />

Büro – 100 Meter vom Restaurant entfernt.<br />

Kaum zu glauben, dass in Kairo Wege so<br />

kurz sein können. lof<br />

Egypt (1): Faruq Shusha is one of the country’s most famous poets. For a change<br />

his latest book is not dedicated to a woman<br />

»Poverty is the rule, wealth the exception.<br />

Financial poverty is not the problem. Th e<br />

most dangerous poverty is that of the soul<br />

and of the mind.«<br />

Currently he is working on a new composition.<br />

Again, it is about love. But not for a<br />

woman; this time, it is love for the Nile. »I<br />

was born on the banks of the Nile. My entire<br />

life has been spent near its waters. Th e Nile is<br />

witness to the history of Egypt. It can tell us<br />

what has happened.« Faruq Shusha downs a<br />

last gulp of coff ee and rises. His break is over;<br />

time to get back to his offi ce—100 meters<br />

from the restaurant. Hard to believe that<br />

distances in Cairo can be so short. lof<br />

portrait 41


42 portrait<br />

Photo: Sebastian Pfütze


Mit ihrem Mann und den vier Kindern,<br />

zwei Mädchen und zwei Jungen, lebt<br />

Afaf Abdulmonem am Stadtrand von Kairo, in<br />

Gizeh, wo die Pyramiden stehen und 365 Tage<br />

im Jahr Touristenbusse. An diesem Tag hat<br />

sich die Familie zum Karun-See aufgemacht,<br />

eine Autostunde südlich der Metropole gele-<br />

gen; nur die Jungs blieben zu Hause. »Welch<br />

eine Stille«, schwärmt Afaf. Ihr Mann, ein<br />

Bauunternehmer, Besitzer mehrerer Immo-<br />

bilien, hat gerade mit den Töchtern zu einer<br />

Bootstour abgelegt. Nur ein einziges Geräusch<br />

liegt in der Luft: das Geschrei von Kindern,<br />

die sich in einiger Entfernung am Strand<br />

vergnügen und ins Wasser hüpfen.<br />

Afaf heißt übersetzt »Ehre«. Von Ehrge-<br />

fühl und Tradition handelt das Leben der<br />

A faf<br />

Abdulmonem lives with her hus-<br />

band and four children—two girls and<br />

two boys—on the outskirts of Cairo, in Giza,<br />

home of the pyramids and magnet for tour-<br />

ist buses 365 days a year. Today the family<br />

has headed off to Lake Qarun, an hour’s<br />

drive south of the city; only the boys are<br />

staying at home. »How quiet!« exclaims<br />

Afaf. Her husband, a building contractor,<br />

owner of several properties, has just taken<br />

off on a boat tour with their daughters. Only<br />

one sound lingers: the shouts of children<br />

in the distance, playing on the beach and<br />

jumping in the water.<br />

Afaf means »honor« in Arabic. A sense<br />

of honor and tradition mark the life of this<br />

Eine Frage der Ehre<br />

Ägypten (2): Afaf Abdulmonem wurde mit vier Jahren verlobt.<br />

40 Jahre später blickt sie auf ein glückliches Leben zurück<br />

44 Jahre alten Frau, die jünger wirkt mit<br />

ihrem faltenlosen Gesicht und dem off enen<br />

Lachen. Unumwunden erzählt sie, dass<br />

sie schon mit vier Jahren verlobt wurde –<br />

mit ihrem damals 35 Jahre alten Cousin.<br />

Bei der Hochzeit war sie 17. Es folgte eine<br />

Leidenszeit, denn Afaf wurde nicht schwan-<br />

ger, 16 Jahre lang nicht. »Und eine Frau<br />

<strong>ohne</strong> Kind wird bei uns wie eine Kranke<br />

behandelt. Ein normaler ägyptischer Mann<br />

nimmt sich in solch einem Fall eine zweite<br />

oder dritte Frau – meiner zum Glück nicht.«<br />

Nach einer Pause fügt sie an: »Wir sind noch<br />

immer sehr glücklich zusammen.«<br />

Der 31 Jahre ältere Ehemann ist nicht<br />

nur zugleich Cousin, sondern, seit Afafs<br />

Eltern gestorben sind, »auch mein Vater.<br />

A Question of Honor<br />

Egypt (2): Afaf Abdulmonem was betrothed at the age of four.<br />

Forty years later she looks back on a happy life<br />

44-year-old woman, who looks younger<br />

thanks to her smooth skin and open laugh.<br />

She speaks frankly about the fact that she<br />

was betrothed at four—with her then<br />

35-year-old cousin. At their wedding, she<br />

was 17. A long period of suff ering followed,<br />

because Afaf did not become pregnant—for<br />

16 years. »And a woman without a child is<br />

treated like an ill person in our society. A<br />

normal Egyptian man would take a second<br />

or third wife in such a case—but happily,<br />

mine did not.« Pausing, she then adds: »We<br />

are still very happy together.«<br />

Her husband, 31 years older than she,<br />

is not only her cousin, but—since Afaf’s<br />

parents died— he is »also my father. And<br />

Und Bruder. Ich stamme ja aus einer Familie<br />

mit sieben Töchtern.« Er erziehe alle Kinder<br />

nach islamischem Muster. »Er kann den<br />

Koran auswendig. Ich nicht.« Ob sie je in<br />

ihrem Leben einen Beruf ausgeübt habe?<br />

»Nein, ich kam gar nicht auf die Idee. Ich<br />

war viel zu sehr damit beschäftigt, Kinder<br />

bekommen zu wollen – und zu bewältigen,<br />

dass es lange nicht klappte.«<br />

Das kleine Boot legt an, die zwei Töchter,<br />

elf und neun, klettern heraus. Was sie einmal<br />

werden wollen? »Ärztin«, ruft die eine.<br />

»Ingenieurin«, die andere. Ob die beiden<br />

schon verlobt seien? Afaf lacht: »Oh nein!<br />

Meine Töchter sollen sich später aussuchen,<br />

wen sie heiraten.« Ihr Mann steht nun neben<br />

ihr, umarmt sie, lächelt und nickt. lof<br />

brother. After all, I come from a family<br />

with seven daughters.« He raises all the<br />

children in the Islamic way. »He knows the<br />

Koran by heart. Not me.« Did she ever have<br />

a job? »No, I never even considered it. I was<br />

much too busy trying to have children and<br />

dealing with the fact that it did not work<br />

for so long.«<br />

Th e little boat docks and the two daugh-<br />

ters, ages 11 and 9, climb out. What do they<br />

want to be when they grow up? »A doctor,«<br />

cries one. »Engineer,« says the other. Are<br />

they already betrothed? Afaf laughs: »Oh<br />

no! My daughters will decide later whom<br />

to marry.« Her husband, now at her side,<br />

hugs her, laughs, and nods. lof<br />

portrait 43


44 style<br />

Sind Sie ein Salon-Abenteurer?<br />

Are You an Armchair Adventurer?<br />

Fünf nahezu klassische Typen von Reisenden im Überblick<br />

Five near-classic types of travellers at a glance<br />

Pseudo-Reisender<br />

»Ich bin Vielfl ieger. Ich fl iege jedes Jahr nach Mallorca.« So klingt der<br />

Versuch des Pseudo-Reisenden, im Flugzeug das Kabinenpersonal<br />

zu beeindrucken. Er ist vor allem deshalb unterwegs, weil seine<br />

Nachbarn sonst denken, er sei verarmt. Das Ausland mag er nur<br />

dann, wenn er dort leben kann wie daheim. Fremdsprachen sind<br />

ihm ein Gräuel, von anderen Kulturen will er lieber nichts wissen. Zu<br />

Hause gibt er allerdings an, wie gut er sich mit den Einheimischen<br />

verstand. Dabei hatte er nur, auf dem Rückweg zum Flughafen, den<br />

Taxifahrer nach den Fußballergebnissen gefragt.<br />

Text: Emil Thraker<br />

Pseudo-traveller<br />

„I am a frequent fl yer. Every year I fl y to Mallorca.» Th at’s how it<br />

sounds when the pseudo-traveller tries to impress fl ight attendants<br />

en route. His main reason for travelling is because if he didn’t, his<br />

neighbors would think he is destitute. He only likes going abroad<br />

when the conditions are exactly like home. Foreign languages<br />

are torture for him; he’d rather not know anything about other<br />

cultures. But when he comes home, he blabbers about how well<br />

he got along with the locals—even though all he did was ask the<br />

taxi driver about the football score on the way to the airport.<br />

Salon-Abenteurer<br />

Im Flugzeug sitzt er immer<br />

auf Platz 1A. Er checkt stets<br />

in den besten Hotels ein,<br />

hat die Welt mehrfach umrundet<br />

und begleicht Rechnungen<br />

mit der schwarzen<br />

AmEx. Weil er dennoch kein<br />

Snob ist, wagt er sich tagsüber<br />

in die fi nsteren Gassen<br />

der afrikanischen Hafenstadt<br />

und schaut zu, wie jemand<br />

Aff enhirn verschlingt. Einmal<br />

hätte er fast schlagendes Kobraherz<br />

probiert. Auf Fotos sieht man ihn mit Safari-Weste,<br />

Fünftagebart und entschlossenem Gesichtsausdruck.<br />

Richtig glücklich ist er im Grunde aber erst dann, wenn er abends<br />

die Bilder des Tages Revue passieren lassen kann – im Spa-Bereich<br />

des Four Seasons.<br />

Armchair adventurer<br />

He always selects seat 1A. He checks into the best hotels, has circled<br />

the globe several times, and pays his bills with a black AmEx card.<br />

But because he is no snob, he spends his days venturing into the<br />

dark alleys of the African harbor city and watches as someone gulps<br />

down monkey brains. Once, he almost tasted a beating cobra heart.<br />

He shows off photos of himself in a safari vest, with a fi ve-day


eard and a determined look. His happiness really begins when he<br />

can go over the day’s photos—in the spa of the Four Seasons hotel.<br />

Entdecker<br />

Nie käme er auf die Idee,<br />

Alain de Bottons Buch »Kunst<br />

des Reisens« zu lesen und<br />

sich wie der Autor zu fragen,<br />

warum man eigentlich reist.<br />

Der Entdecker reist, weil er<br />

reist. Er ist bescheiden, neu-<br />

gierig und furchtlos. Als er<br />

im Tschad eintriff t, bricht<br />

ein Bürgerkrieg aus. In Ka-<br />

nada entkommt er mit Glück<br />

einem Grizzly. Einerseits ist er<br />

ein fantastischer Gesprächspartner:<br />

Er kann stundenlang Anekdoten erzählen<br />

und – sofern er eine intellektuelle Ader hat – von der unbedeutenden<br />

Rolle des Menschen im Universum. Andererseits ist die<br />

Fülle seines Lebens so einschüchternd, dass man sich in seiner<br />

Gegenwart möglicherweise mickrig vorkommt.<br />

Discoverer<br />

He never thought of reading Alain de Botton’s »Th e Art of Travel,«<br />

never thought to ask himself, as de Botton does, why one actually<br />

travels. Th e discoverer travels because he travels. He is humble,<br />

curious and fearless. When he arrives in Chad, civil war breaks<br />

out. In Canada, he barely escapes the clutches of a grizzly. On<br />

one hand, he is a great conversationalist: He can relate anecdotes<br />

for hours on end and— provided he has an intellectual bent—can<br />

talk about the triviality of human life in the bigger picture. On<br />

the other hand, the fullness of his life is so awesome that anyone<br />

else is likely to come across as puny in his presence.<br />

Bildungsreisender<br />

Wehe den Angehörigen des<br />

Bildungsreisenden, wenn<br />

er zur Diaschau bittet. In<br />

den vier Tagen Syrien – er<br />

knipst noch analog – hat<br />

er 37 Filme durchgezogen.<br />

Zu bestaunen sind: Steine.<br />

Oder wüste Orte, an denen<br />

mal Steine waren. Mit<br />

leuchtenden Augen berichtet<br />

er vom Zwischenstopp in Istanbul,<br />

kramt drei Fotoalben hervor<br />

und erläutert die Details diverser Minarette.<br />

Der Bildungsreisende ist nicht zu<br />

verwechseln mit dem Turboreisenden chinesischer Ausprägung,<br />

der sechs Länder in fünf Tagen abhakt und etwa 100 Mal so viel<br />

fotografi ert (digital), jedoch immer nur seine Sitznachbarn im<br />

Bus, wie sie vor irgendwas stehen.<br />

Educational traveller<br />

Pity the poor relatives of the educational traveller when he invites<br />

them to a slide show. In only four days in Syria, he went through<br />

37 rolls of fi lm (he still takes his snapshots with an analog camera).<br />

And what wonders did he capture? Stones. Or desert areas<br />

that once had stones in them. His eyes aglow, he describes the<br />

layover in Istanbul, digs out three photo albums and explains<br />

the details of various minarets. Th e educational traveller is not to<br />

be confused with the Chinese-style turbo-traveller who does six<br />

countries in fi ve days and takes about 100 times as many photos<br />

(digital)—exclusively of his bus partner standing in front of one<br />

thing or another.<br />

Öko-<strong>Urlaub</strong>er<br />

Öko-<strong>Urlaub</strong>er stehen<br />

in ähnlichem Ruf wie<br />

Vegetarier, die zwar<br />

grundsätzlich respektiert,<br />

aber häufig mit<br />

der Frage konfrontiert<br />

werden: »Vegetarisch ist<br />

ja ganz nett, aber könnt<br />

ihr Essen überhaupt richtig<br />

genießen?« Der Öko-<strong>Urlaub</strong>er<br />

besorgt sich Umweltzertifi kate bei<br />

»atmosfair«, würde für Strecken bis 700 Kilometer niemals ein<br />

Flugzeug besteigen und selbst in Tschernobyl nur Bio-Produkte<br />

aus heimischem Anbau essen. Das Gewissen meldet sich auf<br />

Schritt und Tritt und mahnt Updates der persönlichen CO2-Bilanz<br />

an. Konsequent wäre es natürlich, der Öko-<strong>Urlaub</strong>er würde überhaupt<br />

nicht mehr reisen. Aber wer soll dann die Riesengurken<br />

aus Tschernobyl kaufen?<br />

Eco-vacationer<br />

Eco-vacationers and vegetarians have a similar reputation. Th e<br />

latter basically are respected but often confronted with the ques-<br />

tion: »Vegetarian is perfectly OK, but can you really enjoy your<br />

food?« Th e eco-vacationer picks up environmental certifi cates at<br />

the »atmosfair«; he would never board an airplane for distances<br />

under 700 kilometers, and even in Chernobyl eats only locally<br />

grown bio-products. Gradually, his conscience makes itself heard,<br />

with a reminder that it’s time to update his personal CO2 balance.<br />

Of course, the consistent eco-vacationer would stop travelling<br />

all together. But then who would buy those monster cucumbers<br />

from Chernobyl?<br />

style 45


46 business<br />

Text: Britta Petersen<br />

D aba«<br />

Die Fehlerfreien Th e Faultless Ones<br />

Seit 116 Jahren liefern im indischen Mumbai die »Dabawalas« Mittagessen in<br />

die Büros. Westliche Unternehmen wollen nun von ihnen lernen<br />

For 116 years »dabbawalas« have been delivering lunch to offi ces in the Indian<br />

city of Mumbai. Now Western companies want to learn from them<br />

bedeutet Lunchbox. Die Daba ist der Behälter, in denen<br />

sich die Angestellten der indischen Finanzmetropole Mumbai<br />

das Essen ins Büro liefern lassen. Und die Dabawalas sind die Men-<br />

schen, die dafür sorgen, dass jede Mahlzeit jeden Tag zugestellt wird.<br />

170.000 Mahlzeiten am Tag, ausgetragen von 5.000 Dabawalas. An<br />

sich schon ein Vorbild an Koordination. In einer Stadt wie Mumbai<br />

mit ihren 14 Millionen Einw<strong>ohne</strong>rn: ein Wunder. Das Essen kommt<br />

pünktlich, zuverlässig, warm. Die Wahrscheinlichkeit einer exakten<br />

Zulieferung soll bei 99,9999 Prozent liegen.<br />

Nun schickt sich das Vertriebssystem an, Weltkarriere zu machen.<br />

In westlichen Führungsetagen sind die Dabawalas schon<br />

in aller Munde. »Es motiviert sehr, dass uns Persönlichkeiten wie<br />

der Virgin-Atlantic-Chef Richard Branson oder Abgesandte der<br />

Harvard Business School besuchen«, sagt Raghunath Medge, 48.<br />

»Unsere Arbeit wird zunehmend in der Welt gewürdigt.« Medge<br />

ist der Präsident des »Nutan Mumbai Tiffi n Box Suppliers Charity<br />

Trust«, der Organisation, in der jeder Dabawala registriert ist – und<br />

an der jeder von ihnen Anteile hält.<br />

Mehrere wissenschaftliche Studien sind inzwischen über das<br />

Liefersystem verfasst worden. Drei Mitarbeiter des Trusts reisen<br />

um den Globus, um Vorträge zu halten, vor Studenten in Hörsälen<br />

oder auch vor Vorstandchefs von Microsoft bis SAP. Dabei gibt es<br />

eigentlich kein großes Geheimnis zu verraten. Die Dabawalas<br />

markieren die Edelstahlbehälter mit verschiedenfarbigen Buchstaben,<br />

schieben die Mahlzeiten auf Holzkarren durch die Stadt und<br />

übergeben sie an bestimmten Stationen ihren Kollegen, bis das Ziel<br />

erreicht ist – allein mit diesen Hilfsmitteln wird garantiert, dass<br />

jeder Kunde das Essen erhält, das ihm seine Frau gekocht hat.<br />

Die verschwindend geringe Fehlerrate von 0,0001 Prozent gelingt<br />

<strong>ohne</strong> Hilfe von Computern. Die meisten Dabawalas sind Analphabeten.<br />

Statt an moderne Technik glauben sie an die Zuverlässigkeit<br />

ihrer Kollegen und setzen auf hundertprozentiges gegenseitiges<br />

Vertrauen. So funktioniert das System seit 116 Jahren tadellos – dank<br />

eiserner Disziplin und des engen Zusammenhalts der Mitarbeiter.<br />

Jeder erhält dasselbe Gehalt von etwa 100 Euro im Monat, und im<br />

Dienst trägt jeder eine weiße »Gandhi-Mütze«. Das Motto der Dabawalas:<br />

»Lebe zufrieden dort, wo Gott dich hingestellt hat.«<br />

Die meisten der Vorstände wollten wissen, wie die Logistik oder<br />

der Farbcode funktionierten. »Aber manchmal sollen wir bloß die<br />

Mitarbeiter motivieren und erklären, warum Streiks schädlich<br />

sind«, sagt der oberste Essensausfahrer. »Wir haben in 116 Jahren<br />

noch kein einziges Mal gestreikt!« Nun überlegen die Dabawalas,<br />

ob sie eine internationale Consulting-Firma gründen sollen.<br />

D abba«<br />

means lunch box. Th e dabba is a container that employees<br />

in the Indian fi nancial metropolis Mumbai use to<br />

have their food delivered to the offi ce. And the dabbawalas are<br />

the people who make sure that every meal is served on time every<br />

day—170,000 meals a day, transported by 5,000 dabbawalas. Th is<br />

in itself seems a model of coordination. In a city like Mumbai with<br />

its 14 million people, however, it’s a miracle. Th e food dependably<br />

arrives on time and still warm. Th e probability of an accurate<br />

delivery is said to be 99.9999 percent.<br />

Now the distribution system is preparing for an international<br />

career. Among Western executives the dabbawalas are already<br />

much talked about. »It’s a great motivator that people like Virgin<br />

Atlantic founder Richard Branson or representatives from Harvard<br />

Business School pay us visits,« says Raghunath Medge, 48.<br />

»Our work is increasingly appreciated all over the world.« Medge<br />

is president of the »Nutan Mumbai Tiffi n Box Suppliers Charity<br />

Trust,« the organization where every dabbawala is registered—<br />

and of which each of them owns shares.<br />

By now several scientifi c studies have been conducted about<br />

this system. Th ree members of the trust travel the globe to give<br />

lectures, to students in auditoriums as well as to chairmen from<br />

corporations like Microsoft and SAP. All this when there’s really<br />

no great secret to reveal. Th e dabbawalas mark the stainless steel<br />

containers with a system of diff erent colored letters, push the<br />

meals through the city on wooden carts and hand them from<br />

one colleague to the next until they reach their intended goal—<br />

these are all the tools necessary to guarantee that every customer<br />

receives the food prepared by his wife.<br />

Th e infi nitesimal margin of error is achieved without the aid<br />

of computers. Most of the dabbawalas are illiterate. Instead of<br />

modern technology, they trust the dependability of their colleagues<br />

and count on complete mutual reliance. Th at’s how the system<br />

has worked fl awlessly for 116 years—thanks to strict discipline<br />

and the employees’ strong solidarity. Everyone receives the same<br />

salary of about $150 a month, and at work everyone wears a white<br />

»Ghandi cap.« Th e motto of the dabbawalas is »Live happily in the<br />

place where God has put you.«<br />

Most corporate boards wanted to know how the logistics and<br />

color coding worked. »But sometimes we’re simply supposed to<br />

motivate the workers and explain why strikes are bad,« says the<br />

chief delivery man. »In 116 years we have not once gone on strike!«<br />

Now the dabbawalas wonder if they should start an international<br />

consulting fi rm.<br />

Photo: AFP/Gettyimages


Truman Capote<br />

Fahrt durch Spanien<br />

Keine Frage, der Zug war uralt. Die Sitze hingen durch wie Lefzen einer Bulldogge, die Fenster<br />

waren zum größten Teil herausgeschlagen, und wo es noch Scheiben gab, hielten sie nur<br />

noch mit Klebeband zusammen. Im Gang begab sich eine Katze auf die Pirsch, und es war<br />

anzunehmen, dass sie fette Beute machen würde.<br />

Langsam, als hätte man alte Kulis vor die Lokomotive gespannt, krochen wir aus dem Bahnhof von<br />

Granada. Der südliche Himmel war weiß und brannte wie eine Wüste. Nur eine einzige Wolke war zu<br />

sehen, und sie schwebte dahin wie die Fata Morgana einer Oase.<br />

Wir wollten nach Algeciras, einen spanischen Hafen an der Straße von Gibraltar. In unserem Abteil<br />

saß ein mittelalter Australier in einem schmuddligen Leinenanzug. Er hatte nikotinbraune Zähne, und<br />

seine Fingernägel sahen nicht gerade hygienisch aus. Er sagte uns, er sei Schiff sarzt, und es erschien<br />

mir merkwürdig, dass wir ausgerechnet in diesen trostlosen vertrockneten Weiten auf jemanden stoßen<br />

sollten, der sonst nur Wasser sah.<br />

47<br />

Neben ihm saßen zwei Frauen, off enbar Mutter und Tochter. Die Mutter war eine fette, verstaubte<br />

Frau mit trägen, alles missbilligenden Augen und leichtem Damenbart. Der Gegenstand ihrer Missbilligung<br />

wechselte. Erst blieb ihr strenger Blick an mir hängen, denn die Hitze blies wie ein heißer<br />

Föhn durch die kaputten Scheiben und ich hatte meine Jacke ausgezogen, was sie – vielleicht zu Recht<br />

– als unhöfl ich empfand. Später richtete sie ihr Missvergnügen auf den jungen Soldaten, der mit im


48<br />

Abteil saß. Der Soldat und die wenig zurückhaltende Tochter der Frau, ein strammes Mädchen mit<br />

den rustikalen Zügen eines Preisboxers, hatten sich nämlich zu einem kleinen Flirt entschlossen, der<br />

folgendermaßen ablief: Sobald die Katze an unserer Abteiltür erschien, schützte die Tochter Angst<br />

vor, was dem Soldaten Gelegenheit gab, das Tier todesmutig zu verscheuchen, und ihnen beiden die<br />

Möglichkeit, sich anzufassen.<br />

Der junge Mann war nicht der einzige Soldat im Zug. Die Troddelschiff chen verwegen schief auf<br />

dem Kopf, standen sie überall im Gang, rauchten ihre schwarzen, süßlichen Zigaretten und unterhielten<br />

sich leise. Sie schienen einfach das Leben zu genießen, was vielleicht schon ein Fehler war,<br />

denn sobald ein Offi zier auf der Bildfl äche erschien, starrten sie angestrengt aus dem Fenster, als sei<br />

der Anblick rotbrauner Schotterhalden, Olivenhaine und nackter Felsmassive etwas, von dem sie sich<br />

nicht losreißen konnten. Wie für eine Parade waren die Offi ziere mit allerlei Spangen und Kordeln<br />

dekoriert, einige trugen sogar blitzende, operettenhafte Degen. Sie mischten sich nicht unter die<br />

Mannschaft, sondern saßen im Erste-Klasse-Abteil zusammen und wirkten unendlich gelangweilt<br />

und ein bisschen so wie arbeitslose Schauspieler. Es war ein Segen, dass dann etwas passierte, was<br />

ihnen ein bisschen Säbelrasseln ermöglichte.<br />

In dem Abteil vor ihnen befand sich eine Familie. Ein sehr eleganter, schlanker Mann mit einer<br />

Trauerbinde am Arm und sechs gertenschlanke, sommerlich gekleidete Mädchen, vermutlich seine<br />

Töchter. Sowohl der Vater als auch die Töchter waren auf dieselbe Weise schön: schwarzglänzende<br />

Haare, pimentfarbene Lippen, Augen wie Sherry. Immer wieder riskierten die Soldaten einen Blick in<br />

dieses Abteil, sahen dann aber so schnell weg, als hätten sie direkt in die Sonne geschaut.<br />

Bei jedem Halt stiegen die beiden jüngsten Töchter aus und gingen im Schatten ihrer Sonnenschirme<br />

spazieren. Die Spaziergänge konnten gern auch länger dauern, denn die meiste Zeit stand der Zug.<br />

Aber niemand außer mir schien sich darüber aufzuregen. Einige Passagiere hatten Freunde an jedem<br />

Bahnhof, mit denen sie sich an den Brunnen setzten und lang und unaufgeregt plauderten. Eine alte<br />

Frau wurde in einem Dutzend Orten von ganzen Komitees empfangen und weinte dazwischen mit<br />

einer Hingabe, dass der Arzt sich irgendwann ernsthaft Sorgen machte. Aber nein, beruhigte sie ihn,<br />

sie sei nur so glücklich, all ihre Verwandten wiederzusehen.<br />

An jedem Bahnhof stürzten sich Schwärme von barfüßigen Frauen und abgerissenen Kindern<br />

auf den Zug. Sie trugen schwappende Tonkrüge heran und riefen Agua! Agua! Für zwei Peseten bekam<br />

man einen ganzen Korb klebrige Feigen. Dazu gab es eigenartige Doughnuts mit Zuckerguss, die<br />

aussahen, als seien sie in erster Linie für kleine Mädchen im Kommunionkleid gebacken worden.<br />

Gegen Mittag, nachdem wir uns mit einer Flasche Wein, Brot, einer Wurst und Käse versorgt hatten,<br />

stand einem deftigen Lunch nichts mehr entgegen. Auch unsere Abteilgenossen waren hungrig.<br />

Alle möglichen Fresspakete wurden hervorgeholt, Weinfl aschen entkorkt, und eine Zeit lang<br />

herrschte eine angenehme, beinahe festliche Stimmung. Der Soldat teilte sich mit dem Mädchen<br />

einen Granatapfel, der Australier erzählte eine lustige Geschichte, die Mutter mit dem bösen Blick


49<br />

förderte zwischen ihren Brüsten einen in Papier eingeschlagenen Fisch zutage und verzehrte ihn<br />

mit verdrießlichem Appetit.<br />

Danach waren alle müde. Der Doktor fi el in einen Tiefschlaf, aus dem ihn nicht einmal eine Fliege<br />

erwecken konnte, die rund um seinen off enen Mund spazieren ging. Stille betäubte den ganzen Zug.<br />

Die schönen Mädchen im nächsten Abteil neigten die Köpfe wie sechs erschöpfte Geranien. Sogar die<br />

Katze hatte genug von der Jagd und lag träumend im Gang. Der Zug hatte ein Hochplateau erklommen<br />

und schnaufte erst durch gelbe Weizenfelder, dann durch tiefe graue Felsschluchten, in denen Fallwinde<br />

an den dornigen Bäumen rüttelten. Plötzlich, durch eine Lücke in den Bäumen, geriet etwas in<br />

den Blick, das mich interessierte: eine Burg, die wie eine Krone auf einem Hügel saß.<br />

Die Landschaft war wie geschaff en für Banditen. Im selben Sommer war bereits ein junger Englän-<br />

der, der diesen Teil Spaniens mit dem Auto erkunden wollte, auf einer menschenleeren Bergstraße von<br />

dunkelhäutigen Halunken überfallen und ausgeraubt worden, wobei sie ihn an einen Baum gefesselt<br />

und seine Kehle mit einer Messerspitze gekitzelt hatten. Daran musste ich denken, als unversehens<br />

Gewehrfeuer die schläfrige Stille zerriss.<br />

Es war ein Maschinengewehr. Kugeln schlugen durch die Bäume und machten dabei ein Geräusch<br />

wie klappernde Kastagnetten. Mit einem lang gezogenen Quietschen kam der Zug zum Stehen. Einen<br />

Moment lang war bis auf das Husten des Maschinengewehrs alles still. Dann rief ich mit Panik in<br />

der Stimme: »Banditen!«<br />

»Bandidos!«, antwortete mir die Tochter.<br />

»Bandidos!«, echote die Mutter, und das Schreckenswort verbreitete sich durch den Zug wie ein<br />

unheilvolles Tamtam. Das Ergebnis war reiner Katastrophen-Slapstick. Wir alle warfen uns auf den<br />

Boden und verknäulten uns dort zu einem zitternden Haufen aus Armen und Beinen. Nur die Mutter<br />

bewahrte ihre Fassung. Seelenruhig stand sie auf, um ihre Wertsachen verschwinden zu lassen.<br />

Einen Ring steckte sie in ihren Dutt, und ein perlenbesetzter Kamm wanderte <strong>ohne</strong> Umstände in<br />

ihre Liebestöter. Wie Vogelgezwitscher im Morgengrauen drang aus dem Nachbarabteil das piepsige<br />

Entsetzen der schönen Mädchen. Und auf dem Gang brüllten die Offi ziere ihre Befehle und rannten<br />

ständig gegeneinander.<br />

Doch auf einmal Stille. Draußen nur das Murmeln des Windes in den Bäumen, dann Stimmen.<br />

Gerade als ich das Gewicht des Doktors kaum noch ertragen konnte, wurde die Abteiltür aufgerissen,<br />

und ein junger Mann stand da. Für einen Banditen sah er allerdings viel zu harmlos aus.<br />

»Hay un médico en el tren?«, fragte er grinsend.<br />

Der Australier nahm seinen Ellbogen aus meinem Bauch und stand auf. »Ich bin Arzt«, sagte er<br />

und klopfte sich den Staub vom Anzug. »Ist jemand verletzt?«<br />

»Si, Señor. Ein alter Mann. Er hat sich den Kopf aufge schlagen«, erklärte der Spanier, der defi nitiv<br />

kein Räuber war, sondern ein ganz normaler Fahrgast. Wir setzten uns wieder hin und hörten kleinlaut,<br />

was geschehen war. Anscheinend hatte sich ein alter Mann die Mitfahrt erschleichen wollen,


50<br />

indem er sich hinten an den letzten Waggon klammerte. Nach mehreren Stunden verlor er den Halt,<br />

und ein Soldat, der den Sturz sah, gab eine Maschinengewehrsalve ab, damit der Lokomotivführer<br />

den Zug anhielt.<br />

Ich hoff te inständig, dass niemand mehr wusste, wer als Erster falschen Alarm geschlagen hatte.<br />

Aber davon war keine Rede mehr. Nachdem der Arzt von mir ein sauberes Hemd erhalten hatte, das er<br />

als Verband verwenden wollte, verließ er das Abteil, um nach seinem Patienten zu sehen. Die Mutter<br />

hatte sich mit säuerlicher Prüderie abgewandt und grub ihren Kamm wieder aus. Ihre Tochter und der<br />

Soldat aber folgten uns nach draußen, wo sich unter den Bäumen schon eine große Menschenmenge<br />

versammelt hatte, um den Unfall zu diskutieren.<br />

Zwei Soldaten trugen den Alten herbei. Mein Hemd wurde ihm um den Kopf gewickelt. Dann setzten<br />

sie ihn gegen einen Baum, und alle Frauen wollten ihm ihren Rosenkranz aufnötigen. Irgendjemand<br />

kam auch mit einer Flasche Wein, was ihm schon besser gefi el. Er wirkte irgendwie erleichtert und<br />

stöhnte reichlich. Kichernd versammelten sich die Kinder um ihn.<br />

Wir waren in einem kleinen Wald, in dem es nach Orangen roch. Ein Pfad führte auf eine schattige<br />

Anhöhe und gewährte einen Blick über die sonnenverbrannte Graslandschaft, die in der fl irrenden<br />

Hitze zu beben schien. Auch die sechs Schwestern genossen die Aussicht über das Tal und die bewaldeten<br />

Höhenzüge. Eskortiert von der gepfl egten Erscheinung ihres Vaters hatten sie sich mit ihren<br />

Parasols in die Natur gesetzt wie eine Ausfl ugsgesellschaft auf einer fête champêtre. Die Soldaten umkreisten<br />

sie unschlüssig und in einigem Abstand. Mehr trauten sie sich nicht, obwohl ein Mutiger<br />

an die Felskante trat und ins Tal hinab rief: »Yo te quiere mucho.« Ihm antwortete der Geisterton eines<br />

perfekten Echos, und die Schwestern schauten errötend noch tiefer in das Tal.<br />

Eine Wolke, düster wie ein Felsmassiv, war aufgezogen, und das Gras war unruhig wie die See vor<br />

einem Sturm. Jemand äußerte die Meinung, dass es bald regnen würde, doch gehen wollte niemand,<br />

weder der Verletzte, der mittlerweile bei seiner zweiten Flasche Wein angelangt war, noch die Kinder,<br />

die ebenfalls das Echo entdeckt hatten und lustig ins Tal hinabkrähten. Der Halt auf freier Strecke<br />

war wie eine Party, die niemand als Erster verlassen wollte. Der alte Mann mit dem Hemdturban um<br />

den Kopf wurde in ein Erste-Klasse-Abteil gesetzt, und mehrere eifrige Damen kümmerten sich um<br />

ihn.<br />

In unserem eigenen Abteil saß die angestaubte Mutter noch immer so, wie wir sie verlassen hatten.<br />

Sie hatte es abgelehnt, an den Lustbarkeiten teilzunehmen, und schenkte mir einen anhaltenden,<br />

glitzernd bösen Blick. »Bandidos«, empörte sie sich mit unnötiger Schärfe.<br />

Der Zug setzte sich wieder in Bewegung, aber so langsam, dass Schmetterlinge mühelos durchs<br />

Fenster hineinfl iegen konnten und wieder hinaus.<br />

Aus: Truman Capote, Die Hunde bellen, © Kein & Aber Verlag, Zürich 2007


51<br />

Truman Capote<br />

A Ride Th rough Spain<br />

Certainly the train was old. The seats sagged like the jowls of a bulldog, windows were out<br />

and strips of adhesive held together those that were left; in the corridor a prowling cat appeared<br />

to be hunting mice, and it was not unreasonable to assume his search would be rewarded.<br />

Slowly, as though the engine were harnessed to elderly coolies, we crept out of Granada. Th e southern<br />

sky was as white and burning as a desert; there was one cloud, and it drifted like a traveling oasis.<br />

We were going to Algeciras, a Spanish seaport facing the coast of Africa. In our compartment there<br />

was a middle-aged Australian wearing a soiled linen suit; he had tobacco-colored teeth and his fi ngernails<br />

were unsanitary. Presently he informed us that he was a ship’s doctor. It seemed curious, there<br />

on the dry, dour plains of Spain, to meet someone connected with the sea. Seated next to him there<br />

were two women, a mother and daughter. Th e mother was an overstuff ed, dusty woman with sluggish,<br />

disapproving eyes and a faint mustache. Th e focus for her disapproval fl uctuated; fi rst, she eyed<br />

me rather strongly because as the sunlight fanned brighter, waves of heat blew through the broken<br />

windows and I had removed my jacket–which she considered, perhaps rightly, discourteous. Later<br />

on, she took a dislike to the young soldier who also occupied our compartment. Th e soldier and the<br />

woman’s not very discreet daughter, a buxom girl with the scrappy features of a prizefi ghter, seemed<br />

to have agreed to fl irt. Whenever the wandering cat appeared at our door, the daughter pretended to<br />

be frightened, and the soldier would gallantly shoo the cat into the corridor: this by-play gave them<br />

frequent opportunity to touch each other.


Th e young soldier was one of many on the train. With their tasseled caps set at snappy angles, they<br />

hung about in the corridors smoking sweet black cigarettes and laughing confi dentially. Th ey seemed<br />

to be enjoying themselves, which apparently was wrong of them, for whenever an offi cer appeared the<br />

soldiers would stare fi xedly out the windows, as though enraptured by the landslides of red rock, the<br />

olive fi elds and stern stone mountains. Th eir offi cers were dressed for a parade, many ribbons, much<br />

brass; and some wore gleaming, improbable swords strapped to their sides. Th ey did not mix with the<br />

soldiers, but sat together in a fi rst-class compartment, looking bored and rather like unemployed actors.<br />

It was a blessing, I suppose, that something fi nally happened to give them a chance at rattling<br />

their swords.<br />

Th e compartment directly ahead was taken over by one family: a delicate, attenuated, exceptionally<br />

elegant man with a mourning ribbon sewn around his sleeve, and traveling with him, six thin,<br />

summery girls, presumably his daughters. Th ey were beautiful, the father and his children, all of<br />

them, and in the same way: hair that had a dark shine, lips the color of pimientos, eyes like sherry.<br />

Th e soldiers would glance into their compartment, then look away. It was as if they had seen straight<br />

into the sun.<br />

Whenever the train stopped, the man’s two youngest daughters would descend from the carriage<br />

and stroll under the shade of parasols. Th ey enjoyed many lengthy promenades, for the train spent the<br />

greatest part of our journey standing still. No one appeared to be exasperated by this except myself. Sev-<br />

eral passengers seemed to have friends at every station with whom they could sit around a fountain and<br />

gossip long and lazily. One old woman was met by diff erent little groups in a dozen-odd towns–between<br />

these encounters she wept with such abandon that the Australian doctor became alarmed: why no, she<br />

said, there was nothing he could do, it was just that seeing all her relatives made her so happy.<br />

52<br />

At each stop cyclones of barefooted women and somewhat naked children ran beside the train sloshing<br />

earthen jars of water and furrily squalling Agua! Agua! For two pesetas you could buy a whole basket of<br />

dark runny fi gs, and there were trays of curious white-coated candy doughnuts that looked as though<br />

they should be eaten by young girls wearing Communion dresses. Toward noon, having collected a bot-<br />

tle of wine, a loaf of bread, a sausage and a cheese, we were prepared for lunch. Our companions in the<br />

compartment were hungry, too. Packages were produced, wine uncorked, and for a while there was a<br />

pleasant, almost graceful festiveness. Th e soldier shared a pomegranate with the girl, the Australian<br />

told an amusing story, the witch-eyed mother pulled a paperwrapped fi sh from between her bosoms<br />

and ate it with a glum relish.<br />

Afterward everyone was sleepy; the doctor went so solidly to sleep that a fl y meandered undisturbed<br />

over his open-mouthed face. Stillness etherized the whole train; in the next compartment the lovely<br />

girls leaned loosely, like six exhausted geraniums; even the cat had ceased to prowl, and lay dreaming<br />

in the corridor. We had climbed higher, the train moseyed across a plateau of rough yellow wheat, then<br />

between the granite walls of deep ravines where wind, moving down from the mountains, quivered in


53<br />

strange, thorny trees. Once, at a parting in the trees, there was something I’d wanted to see, a castle<br />

on a hill, and it sat there like a crown.<br />

It was a landscape for bandits. Earlier in the summer, a young Englishman I know (rather, know<br />

of) had been motoring through this part of Spain when, on the lonely side of a mountain, his car was<br />

surrounded by swarthy scoundrels. Th ey robbed him, then tied him to a tree and tickled his throat<br />

with the blade of a knife. I was thinking of this when without preface a spatter of bullet fi re strafed<br />

the dozy silence.<br />

It was a machine gun. Bullets rained in the trees like the rattle of castanets, and the train, with a<br />

wounded creak, slowed to a halt. For a moment there was no sound except the machine gun’s cough.<br />

Th en, »Bandits!« I said in a loud, dreadful voice.<br />

»Bandidos!« screamed the daughter.<br />

»Bandidos!« echoed her mother, and the terrible word swept through the train like something drummed<br />

on a tom-tom. Th e result was slapstick in a grim key. We collapsed on the fl oor, one cringing heap of<br />

arms and legs. Only the mother seemed to keep her head; standing up, she began systematically to<br />

stash away her treasures. She stuck a ring into the buns of her hair and without shame hiked up her<br />

skirts and dropped a pearl-studded comb into her bloomers. Like the cryings of birds at twilight, airy<br />

twitterings of distress came from the charming girls in the next compartment. In the corridor the offi<br />

cers bumped about yapping orders and knocking into each other.<br />

Suddenly, silence. Outside, there was the murmur of wind in leaves, of voices. Just as the weight<br />

of the doctor’s body was becoming too much for me, the outer door of our compartment swung open,<br />

and a young man stood there. He did not look clever enough to be a bandit.<br />

»Hay un medico en el tren?« he said, smiling.<br />

Th e Australian, removing the pressure of his elbow from my stomach, climbed to his feet. »I’m a<br />

doctor,« he admitted, dusting himself. »Has someone been wounded?«<br />

»Si, Senor. An old man. He is hurt in the head,« said the Spaniard, who was not a bandit: alas, merely<br />

another passenger. Settling back in our seats, we listened, expressionless with embarrassment, to what<br />

had happened. It seemed that for the last several hours an old man had been stealing a ride by clinging<br />

to the rear of the train. Just now he’d lost his hold, and a soldier, seeing him fall, had started fi ring a<br />

machine gun as a signal for the engineer to stop the train.<br />

My only hope was that no one remembered who had fi rst mentioned bandits. Th ey did not seem to.<br />

After acquiring a clean shirt of mine which he intended to use as a bandage, the doctor went off to his<br />

patient, and the mother, turning her back with sour prudery, reclaimed her pearl comb. Her daughter<br />

and the soldier followed after us as we got out of the carriage and strolled under the trees, where many<br />

passengers had gathered to discuss the incident.<br />

Two soldiers appeared carrying the old man. My shirt was wrapped around his head. Th ey propped<br />

him under a tree and all the women clustered about vying with each other to lend him their rosary;


someone brought a bottle of wine, which pleased him more. He seemed quite happy, and moaned a<br />

great deal. Th e children who had been on the train circled around him, giggling.<br />

We were in a small wood that smelled of oranges. Th ere was a path, and it led to a shaded promontory;<br />

from here, one looked across a valley where sweeping stretches of scorched golden grass shivered<br />

as though the earth were trembling. Admiring the valley, and the shadowy changes of light on the hills<br />

beyond, the six sisters, escorted by their elegant father, sat with their parasols raised above them like<br />

guests at a fête champêtre. Th e soldiers moved around them in a vague, ambitious manner; they did not<br />

quite dare to approach, though one brash, sassy fellow went to the edge of the promontory and called,<br />

»Yo te quiero mucho.« Th e words returned with the hollow sub-music of a perfect echo, and the sisters,<br />

blushing, looked more deeply into the valley.<br />

A cloud, somber as the rocky hills, had massed in the sky, and the grass below stirred like the sea<br />

before a storm. Someone said he thought it would rain. But no one wanted to go: not the injured man,<br />

who was well on his way through a second bottle of wine, nor the children, who, having discovered<br />

the echo, stood happily caroling into the valley. It was like a party, and we all drifted back to the train<br />

as though each of us wished to be the last to leave. Th e old man, with my shirt like a grand turban on<br />

his head, was put into a fi rst-class carriage and several eager ladies were left to attend him.<br />

In our compartment, the dark, dusty mother sat just as we had left her. She had not seen fi t to<br />

join the party. She gave me a long, glittering look.<br />

»Bandidos,« she said with a surly, unnecessary vigor.<br />

Th e train moved away so slowly butterfl ies blew in and out the windows.<br />

From: Truman Capote, Portraits and Observations. The Essays of Truman Capote, © Random House, New York 2007<br />

54


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56 pictures<br />

China!<br />

Welches China?<br />

China!<br />

Which China?<br />

Wie nie zuvor steht<br />

das Reich der Mitte<br />

im Zentrum der Aufmerksamkeit.<br />

Aber<br />

von welchem Land<br />

sprechen wir eigentlich?<br />

Der Fotograf<br />

Wolfgang Zurborn<br />

hat Peking und<br />

Schanghai bereist<br />

und sich ein Bild<br />

gemacht<br />

Th e Middle Kingdom<br />

is at the center<br />

of attention as never<br />

before. But which<br />

country are we actually<br />

talking about?<br />

Photographer<br />

Wolfgang Zurborn<br />

traveled to Beijing<br />

and Shanghai to get<br />

a better picture


pictures 57


58 pictures


pictures 59


60 pictures


pictures 61


62 pictures<br />

Die Bilder sind<br />

der Publikation<br />

»China! Which<br />

China?« entnommen<br />

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30 cm, 48 Euro).<br />

Sie ist erschienen<br />

bei Schaden.com.<br />

Wolfgang Zurborn<br />

lebt in Köln.<br />

wolfgangzurborn.de<br />

The photos are<br />

from the publication<br />

»China! Which<br />

China?« (16 color<br />

images, 39 x 30<br />

cm, 48 Euro).<br />

The publisher is<br />

Schaden.com.<br />

Wolfgang Zurborn<br />

lives in Cologne.<br />

wolfgangzurborn.de


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S


64 travel basics<br />

E s<br />

Reise-ABC, Lektion 3 ABCs of Travel, Part 3<br />

Nachtportier<br />

Night porter<br />

Text: Jan Kirsten Biener<br />

gibt eine Berufsgruppe, die unter einem Trend des neuen<br />

Jahrtausends besonders leidet: Die Rauchergesetze machen<br />

das Leben der Nachtportiers von Italien bis Norwegen, von Kanada<br />

bis Bhutan (Totalverbot!) ein wenig gesünder, aber leider – welch<br />

Treppenwitz der internationalen Gesundheitspolitik – auch langatmiger.<br />

Denn was kann man nun vor einer Schlüsselwand in einer<br />

verlassenen Hotellobby nachts um halb vier noch machen? Nicht<br />

viel. Ein Nickerchen vielleicht? Dumm nur, dass der häufi gste<br />

Kündigungsgrund für Nachtwächter unerlaubte Nickerchen in<br />

Hotellobbys sind. Bleibt festzuhalten: Das Arbeitsleben des Nacht-<br />

portiers hat eine weitere unglückliche Wendung genommen.<br />

Dabei waren sie einmal hoch geschätzte Ansprechpartner in<br />

der Fremde, selbst für Schriftsteller wie Joseph Roth viel mehr als<br />

bloß Türöff ner. »Es wird nur wenige geben, die sich erinnern, dass<br />

Roth einmal eine Wohnung gehabt hat«, schrieb Ludwig Marcuse<br />

später über seinen Freund. So seien für Roth die Angestellten seines<br />

Pariser Hotels wie Verwandte gewesen.<br />

Heute sind Nachtportiers alten Schlags kaum noch anzutreff en.<br />

Statt kantiger Knacker sitzen zunehmend junge Auszubildende<br />

an der Rezeption, die niemals ein unerlaubtes Nickerchen halten<br />

würden, stets akkurat gekleidet sind und dazu eine Höfl ichkeit<br />

an den späten Tag legen, als ginge es darum, das Erbe der Großmutter<br />

zu erschleimen. Gute, wahre Nachtwächter hingegen<br />

erkennt man an einer Ausdruckslosigkeit, die an Abfälligkeit<br />

grenzt – aber absolute Diskretion garantiert. Sie benutzen selbst<br />

Worte wie »Ja«, »Nein« oder »Guten Abend« nur in Notfällen. Und<br />

gute Nachtwächter sind mit ihrem Hotel alt geworden. Wie der<br />

Portier des Hotels in einer Seitenstraße West-Beiruts, der mittlerweile<br />

zum Interieur gehört wie die vergilbte Fototapete, vor der<br />

er tagein tagaus sitzt.<br />

Ein Trost bleibt: Der echte Nachtportier ist ein direkter Nachfahre<br />

einer Comeback-erprobten Berufsgruppe. Schon Mitte des<br />

19. Jahrhunderts war man in den europäischen Städten der Meinung,<br />

dass man die seit dem Mittelalter eingesetzten Nachtwächter<br />

nicht mehr bräuchte, die damals stündlich die Uhrzeit ausriefen<br />

und Störenfriede nach Hause geleiteten. Damals wurde der Nachtwächter<br />

wegrationalisiert – um kurz darauf, als das Zeitalter des<br />

Reisens begann, für Hotels neu erfunden zu werden.<br />

Hotelbesitzer dieser Welt: Lernt aus der Geschichte! Behaltet<br />

eure sturen, alten Nachtportiers, bis sie eines Tages vom Stuhl<br />

fallen – gerne auch mit brennender Zigarette im Mund.<br />

A certain profession is suff ering due to a 21st century trend:<br />

Anti-smoking laws may be making the lives of night porters<br />

a little healthier, from Italy to Norway, from Canada to Bhutan<br />

(total ban on smoking!). But unfortunately—in a »hindsight is 20-<br />

20« moment of international health policy—the laws make their<br />

lives more tedious, too. Because how does one wile away the time<br />

now, stuck in front of a wall of keys in a lonely hotel lobby at 3:30<br />

am? You can’t do much. Perhaps take a little nap? It’s just plain<br />

dumb that the most common reason for fi ring night porters is the<br />

forbidden naps they take in hotel lobbies. Th e fact remains: Th e<br />

working life of night porters has taken another unhappy turn.<br />

Th ey used to be highly valued contacts for travellers, much<br />

more than mere door openers, even for writers like Joseph Roth.<br />

»Few will recall that Roth once had an apartment,« wrote Ludwig<br />

Marcuse later about his friend. Th e employees at his Paris hotel<br />

became like relatives to Roth.<br />

Today, old-style night porters are few and far between. Instead<br />

of old codgers, you’re more likely to see young trainees at the reception<br />

desk who would never dream of taking a forbidden nap,<br />

are always perfectly attired, and on top of that display a certain<br />

courtesy, as if trying to polish their grandmother’s inheritance.<br />

However, you can tell truly good night porters by a certain lack<br />

of expression bordering on snideness—but absolute discretion is<br />

guaranteed. Th ey only use such words as »yes,« »no,« or »good<br />

evening« when absolutely essential. And good porters grow old<br />

with their hotels. Like the night guard at a hotel in a West Beirut<br />

side-street, who has become as much a part of the décor as the<br />

yellowed photomurals in front of which he sits day in and day<br />

out. Th ere is some comfort, even if what you see more and more<br />

these days are those freshly ironed chaps who always hold out the<br />

correct room key, unasked, even at the oddest hours of the night:<br />

Th e genuine night porter inherits a tried and true profession. As<br />

recently as the mid-19 th century, European cities considered doing<br />

away with night guards, a profession dating back to the Middle<br />

Ages when night watchmen called out the time each hour and<br />

escorted troublemakers home. Eventually, the night guards were<br />

rationalized away—only to be reinvented for hotels as the age of<br />

travel began.<br />

Hotel owners of the world: learn from history! Hang on to your<br />

stubborn old night porters till the day they fall off their chairs—<br />

and don’t forget the smoldering cigarettes.<br />

Photo: Corbis


Wege zum vollkommenen Genuss<br />

www.coppeneur.de


66 high life<br />

Gefundene Landschaft<br />

Found Landscape


Eine kaum bekannte Wildnis mitten in New York? Das kann nicht sein? Und ob. Nun wird aus<br />

der »High Line«, der stillgelegten, zugewucherten Zugstrecke auf Stelzen, ein Park – und ein<br />

Millionen-Geschäft<br />

An untouched, hardly known wilderness right in the middle of New York City? Not possible?<br />

Sure it is. Th e High Line, the abandoned, overgrown elevated rail route, is being turned into a<br />

park—and big business<br />

Text: Anika Weiss _ Photos: Joel Sternfeld<br />

high life 67


68 high life<br />

Mitten in New York gibt es einen Ort, der sich kilometerlang<br />

unter freiem Himmel erstreckt, den aber bislang – so unwahrscheinlich<br />

das klingen mag – nur wenige Menschen gesehen<br />

haben. Diejenigen freilich, denen es gelang, waren hingerissen:<br />

ein fl iegender Teppich! Eine Oase, ein Garten Eden! Eine Terra In-<br />

cognita, eine andere Welt! Diese andere Welt heißt High Line und<br />

war einmal eine Zugstrecke auf Stelzen. Erbaut in den dreißiger<br />

Jahren, wurde sie 1980 stillgelegt, als die Laster die Güterzüge<br />

verdrängten. Die High Line geriet in Vergessenheit – nun aber<br />

erlebt sie eine Renaissance: Sie wird zu einem Park umgebaut<br />

und bald Millionen von Menschen zugänglich sein. Noch ist der<br />

Zutritt verboten.<br />

Aus der Luft gleicht die High Line einer Straße, die sich im<br />

starren Raster Manhattans verirrt hat. Abrupt taucht sie zwischen<br />

den Fleischlagerhallen des Meatpacking Districts auf.<br />

Ihr eigenwilliger Kurs gen Norden, auf dem sie mehrmals von<br />

Gebäuden verschluckt und wieder ausgespuckt wird, endet in<br />

einer weitläufi gen Kurve im Eisenbahngelände am Hudson.<br />

Zweieinhalb Kilometer ist sie lang und verläuft ein, zwei,<br />

➾<br />

I n<br />

the middle of New York City there’s a place that stretches for<br />

a mile and a half under the open sky, yet so far—unlikely as it<br />

may sound—only a few people have seen it. Th ose who have, of<br />

course, are enchanted: A fl ying carpet! An oasis, an Eden! A terra<br />

incognita, another world! Th is other world is called the High Line<br />

and used to be an elevated rail route. Built in the 1930s, it was closed<br />

down in 1980 because trucks had replaced freight trains. Th e High<br />

Line fell into oblivion. Th ese days it’s undergoing a renaissance—<br />

it’s being turned into a park and will soon be open to millions of<br />

people. But for now there’s no trespassing.<br />

From the air the High Line looks like a street gone astray in<br />

Manhattan’s grid. It appears abruptly among the warehouses of<br />

the Meatpacking District. Snaking in a northerly direction, it is<br />

swallowed and spit out by several buildings along its way, only<br />

to end after a swooping curve over the rail yards on the Hudson.<br />

It’s a mile and a half long and runs one, two, three stories above<br />

the streets of Chelsea. Its underbelly is dark, hung with nets to<br />

keep pigeons away. So dark that the viaduct looks like the perfect<br />

portal to the once notorious district it crosses: Hell’s Kitchen. ➾


➾<br />

drei Stockwerke über den Straßen Chelseas. Ihre Bauchseite<br />

ist düster, verhangen mit Netzen, die vor Tauben schützen. So<br />

düster, dass das Viadukt wie eine Höllenküche aussieht – und<br />

so heißt auch der einst verruchte Bezirk, den die Linie ganz im<br />

Norden durchquert: Hell’s Kitchen. Weiter im Süden hingegen<br />

steht, auf Schildern nahe der High Line, heute schon »Park!«<br />

Allerdings nur, um für die Parkplätze unter der Trasse zu werben.<br />

Parkwärter Julian Trejos passt in seinem Häuschen auf, dass die<br />

Besitzer auch brav die Gebühren bezahlen, die im Vergleich zu<br />

den horrenden Mieten der angrenzenden Wohnungen fast bescheiden<br />

ausfallen: acht Dollar die Stunde. Hummer nur gegen<br />

Aufschlag. War Trejos schon mal oben? Er deutet hinauf in das<br />

undurchdringliche Gewirr aus Brettern und Metallverstrebungen:<br />

»Wie denn?«<br />

Die einzigartige Welt, die auf der High Line zu entdecken ist,<br />

zeigte als Erster Joel Sternfeld. Von April 2000 bis Juni 2001 durfte<br />

der New Yorker Fotograf mit einer Sondergenehmigung die High<br />

Line besteigen. Mit altmodischer Boxkamera und schwarzem<br />

Tuch verewigte er die wild auf den Gleisen wuchernde Natur. Eine<br />

»magische Landschaft«, fand er.<br />

Das sahen nicht immer alle so. Einen Schandfl eck schimpften<br />

die Besitzer der unterhalb der Trasse gelegenen Grundstücke die<br />

High Line – und versprachen sich von ihrem Abriss einen Reibach.<br />

Im Grunde konnten sie das Bauwerk nicht schnell genug loswerden.<br />

Vor Gericht traten sie einmal sogar mit einem Zementklotz<br />

auf. Dieses Bruchstück der Bahntrasse, so behaupteten sie, habe<br />

beinahe einen Passanten erschlagen!<br />

Lange Zeit fehlte für einen Abriss das Geld. 1999 dann fand die<br />

High Line auf einmal Freunde, die sich als Lebensretter erwiesen.<br />

Joshua David und Robert Hammond machten sich gegen den vom<br />

damaligen Bürgermeister Giuliani schon gebilligten Abbruch des<br />

Viadukts stark. Sie gründeten die Organisation »Friends of the<br />

High Line« – und gewannen als Unterstützer Prominente wie den<br />

Schauspieler Edward Norton. »Ich hatte so einen typischen New<br />

Yorker Traum, als ich in einer lausigen kleinen Wohnung<br />

➾<br />

➾<br />

Farther south, signs adjacent to the High Line already announce:<br />

»Park!« But only to advertise parking spots below the<br />

tracks. From his booth, parking attendant Julian Trejos makes<br />

sure that car owners pay their fees, which seem almost modest<br />

compared to the outrageous rents of neighboring apartments: $8<br />

an hour. Hummers cost extra. Has Trejos ever been up top? He<br />

motions upward at an impenetrable jumble of boards and metal<br />

scaff olding: »How?«<br />

Th e one-of-a kind world to be discovered on top of the High Line<br />

was fi rst shown by Joel Sternfeld. Between April 2000 and June<br />

2001, the New York photographer was given special permission to<br />

ascend the High Line. With an old-fashioned box camera and black<br />

cloth he immortalized nature as he found it wildly overgrowing<br />

the tracks. A »magical landscape,« he thought.<br />

Not everyone always shared that sentiment. Th e High Line<br />

was called an eyesore by the people who owned property below<br />

it—and hoped that its demolition would bring them big profi ts.<br />

Th ey wanted to be rid of the structure as quickly as possible. Once<br />

they showed up in court with a chunk of concrete. Th is fragment<br />

of the rail line, they claimed, had nearly killed a passerby!<br />

For the longest time there was no money to tear it down. In 1999,<br />

the High Line unexpectedly found supporters who would prove<br />

to be its lifesavers. Joshua David and Robert Hammond started a<br />

campaign against the viaduct’s demolition, which had already<br />

been approved by Mayor Giuliani. Th ey founded the organization<br />

»Friends of the High Line«—and garnered the support of celebrities<br />

such as actor Edward Norton. »I used to have this dream typical of<br />

New Yorkers when I lived in a lousy little apartment. In the dream<br />

I opened a closet, discovered a secret room on the other side—and<br />

suddenly my apartment was twice as big. Th e High Line embodies<br />

this dream,« says Joshua David.<br />

Th e dream of a quiet urban wilderness is over now. Th e fi rst<br />

columns have been freed of rust and painted. Th e fi rst section of<br />

the park is supposed to open this winter. Some residents, like Ellen<br />

Reilly, observe the construction skeptically. Reilly has a<br />

high life 69<br />


70 high life<br />

➾<br />

wohnte. In dem Traum machte ich einen Schrank auf, ent-<br />

deckte ein geheimes Zimmer auf der anderen Seite – und auf einmal<br />

war meine Wohnung doppelt so groß. Die High Line verkörpert<br />

diesen Traum«, sagt Joshua David.<br />

Mit dem Traum von einer ruhigen urbanen Wildnis ist es nun<br />

allerdings vorbei. Erste Pfeiler sind inzwischen vom Rost befreit<br />

und gestrichen. Ende dieses Jahres soll der erste Abschnitt des<br />

High-Line-Parks eröff net werden. Manche Anw<strong>ohne</strong>r verfolgen<br />

den Bau mit Skepsis. Etwa Ellen Reilly, die von ihrer Feuerleiter<br />

im fünften Stock alles genau im Blick hat. Sie zog an die Trasse,<br />

bevor sie wiederentdeckt wurde. »Damals konnte ich noch mit<br />

off enen Fenstern und <strong>ohne</strong> Ohrenstöpsel schlafen.« Dabei seien die<br />

Bauarbeiten an der High Line noch das kleinere Übel. In Sichtweite<br />

des künftigen Parks werden Luxusapartments hochgezogen. »Vor<br />

Kurzem standen dort hinten noch zwei schäbige Autowerkstätten«,<br />

sagt Reilly. »Heute ist da ein Turm aus Glas.«<br />

Die Ironien der Erschließung häufen sich. Ironie Nummer 1:<br />

Der geplante Park, der »einfach, wild und still« werden sollte, so<br />

seine Designer, hat einen hektischen Bauboom ausgelöst. Nummer<br />

2: Die Kritik der Grundbesitzer ist verstummt. Ihre Profi te haben<br />

sich, wie von allein, vervielfacht. Und die Stadt hat es ihnen<br />

ermöglicht, ihre »air rights«, sogenannte Luftrechte, an Bauunternehmer<br />

zu verkaufen. Nummer 3: Die gläsernen Fassaden der<br />

neuen, von Stararchitekten entworfenen Gebäude werden sich<br />

um die High Line regelrecht drängeln, teilweise über sie lehnen.<br />

Jeder will den besten Blick erhaschen auf das schmale Grün, dessen<br />

Zauber doch in seiner Abgeschiedenheit lag. Nummer 4: Der für<br />

seine Unberührtheit berühmte Ort wird vermutlich bald einer der<br />

meistbesuchten in New York sein.<br />

Den nostalgischen Bildern Sternfelds stehen neue Bilder gegenüber:<br />

die digitalen Zukunftsvisionen der Landschaftsdesigner<br />

Field Operations. Inhaber James Corner nennt die High Line eine<br />

gefundene Landschaft und will sie als solche neu erblühen lassen.<br />

In seinen Skizzen schlendern Menschen durch ein Essigbaumdickicht<br />

und über Metallroste, unter denen die ursprüngliche<br />

Wildnis wieder Fuß gefasst hat. Samen von Pfl anzen, die einst<br />

hier heimisch waren, wurden neu gesät. In Anlehnung an die<br />

ursprüngliche Struktur sind Betonplanken das wichtigste Bauele-<br />

ment, daraus geformt werden Wege und Bänke. Und mancherorts<br />

werden selbst die alten Schienen wieder installiert. Die Geschichte,<br />

soll das bedeuten, geht weiter.<br />

Die Freunde der High Line sind inzwischen vom eigenen Er-<br />

folg überwältigt. Die Eröff nung des Viaduktes im Winter, wenn<br />

keinerlei Grün lockt, kommt ihnen da ganz recht. Sonst würde<br />

ihr kleiner Park womöglich schon in den ersten Wochen »zu Tode<br />

geliebt«, fürchtet Hammond. Noch etwas Schonzeit, dann kann<br />

der Frühling also ruhig kommen.<br />

Neugierigen bleibt bis dahin nichts anderes übrig, als zum<br />

Bahnende zu pilgern. An der 34. Straße steigt die High Line von<br />

ihren Stelzen herab. Hier gibt sie sich so schön verwahrlost, wie<br />

sie vor zwei Jahren noch überall war. Üppiges Rosengestrüpp<br />

und ein Apfelbäumchen mit mickrigen Früchten überwuchern<br />

die Schienen. Am Rand ein efeuartiges Gewächs: Giftefeu. Stark<br />

giftig. »Finger weg!«, scheint es die Passanten zu warnen. Ob es<br />

auch für ihn, den Misanthropen der nordamerikanischen Flora,<br />

noch einen Platz geben wird auf der neuen High Line?<br />

➾<br />

good view of it all from her fi fth-fl oor fi re escape. She moved<br />

to the area before the High Line was rediscovered. »Back then<br />

I could still sleep with open windows and without earplugs.«<br />

Meanwhile the work on the High Line is still the lesser evil. New<br />

luxury residences are rising all along the future park. »Not very<br />

long ago, there were two dumpy garages over there,« says Reilly.<br />

»Now there’s a glass tower.«<br />

Th e ironies of development are many. Irony number 1: Th e park,<br />

intended to be kept »simple, wild, and quiet« by its designers, has<br />

triggered a hectic building boom. Number 2: Th e property own-<br />

ers’ opposition has dwindled. Th eir profi ts have single-handedly<br />

multiplied. And the city has enabled them to sell their »air rights«<br />

to developers. Number 3: Th e glass facades of the new buildings<br />

designed by star architects will practically crowd around the High<br />

Line, some even leaning into it. Everyone wants to catch the best<br />

glimpse of the narrow green, the magic of which, however, came<br />

from its seclusion. Number 4: Th e place famous for being completely<br />

unspoiled will soon be one of the most visited in New York.<br />

Th e nostalgic pictures by Sternfeld are now juxtaposed with new<br />

images—the digital renderings of the future by landscape designers<br />

Field Operations. Th e company’s owner, James Corner, calls the<br />

High Line a found landscape and wants to let it fl ower again as<br />

such. In his sketches, people stroll through a sumac thicket and<br />

over metal grates that cross the original wilderness as it has once<br />

more taken hold. Th e seeds of plants native to the High Line have<br />

been sown again. Evocative of the original structure, concrete<br />

planks are the most important design element. Th ey are shaped<br />

into paths and benches. And in certain places the old tracks will<br />

even be reinstalled. History—this suggests—continues.<br />

Th e »Friends of the High Line« have been overwhelmed by their<br />

own success. Th e viaduct’s opening in winter, when no greenery<br />

lures, suits them just fi ne. Otherwise, Hammond is afraid their<br />

little park may be loved to death in the fi rst few weeks. And after<br />

this honeymoon, they’ll be ready for spring.<br />

Until then the curious have to trek all the way to the end of the<br />

line. On 34th Street the High Line literally comes down to earth.<br />

Here it still boasts the beautiful neglect that characterized its entire<br />

length just two years ago. Th e brambles of wild roses and an<br />

apple tree with stunted fruit overgrow the tracks. An infamous<br />

plant thrives at the edge: poison ivy. »Hands off !,« it seems to<br />

warn passersby. Will this misanthrope of North American fl ora<br />

also have its place on the new High Line?<br />

❊ ❊


»Mein zweieinhalb Kilometer langer Garten«<br />

»My two-and-a-half-kilometer-long garden«<br />

Jahrelang hat Ken Robson, 59, unbemerkt auf der High Line gegärtnert. Drei Fragen an den<br />

Mann, der täglich durch sein Küchenfenster in die Wildnis stieg<br />

For years, Ken Robson, 59, secretly indulged in gardening on the High Line. Th ree questions for<br />

the man who steps out of his window into nature each day<br />

Mister Robson, vor vielen Jahren, als noch niemand von der High<br />

Line sprach, hatten Sie dort schon einen kleinen Baum gepfl anzt –<br />

mit einer Lichterkette versehen, die Sie jeden Abend anknipsten.<br />

Heute ist er in Joel Sternfelds Fotoband »Walking the High Line«<br />

verewigt. Was haben Sie damals sonst noch kultiviert? Sonnenblumen,<br />

die drei Meter hoch wuchsen. Krokusse und Osterglocken<br />

im Frühjahr. Tomaten auf dem Sims. Mein Garten fi el richtig auf.<br />

Er war immer grün, auch wenn alles drum herum braun wurde,<br />

weil es nicht regnete. Ich habe ihn mit einem Schlauch gegossen,<br />

aus dem Badezimmerfenster heraus. Als die Renovierung begann,<br />

scherzten die »Freunde der High Line«, dass sie diesen Teil so<br />

belassen wollten.<br />

Mr. Robson, many years ago, before anyone talked about the High<br />

Line, you had already planted a little tree there—furnished with<br />

a string of lights that you switched on each evening. It is now<br />

immortalized in Joel Sternfeld’s volume of photos, »Walking the<br />

High Line.« What else were you planting back then? Sunfl owers<br />

that grew to a height of three meters. Crocuses and daff odils in<br />

the spring, tomatoes on the sill. My garden really caught the eye.<br />

It was always green, even when everything around was brown<br />

because it hadn’t rained. I watered the garden with a hose from<br />

my bathroom window. When the renovation began, the »Friends<br />

of the High Line« joked that this section should be left as is.<br />

Hatten Sie nie Probleme wegen unbefugten Betretens der Trasse?<br />

Robson: Eines Sonntags arbeitete ich draußen in meinem Garten,<br />

als plötzlich drei Polizisten auftauchten. Ich dachte schon: Das<br />

war’s, jetzt ist es vorbei mit meinem zweieinhalb Kilometer langen<br />

Grundstück. Aber sie guckten mir nur zu, staunten und sagten:<br />

»Oh, echt toll!« Dann gingen sie weiter. Da habe ich noch einige<br />

Metallskulpturen und ein Vogelbad rangeschaff t. Und im Winter<br />

bekam der Baum rote Schleifen.<br />

Didn’t you have problems with unwanted visitors on the embankment?<br />

One Sunday I was working outside in my garden when three<br />

police suddenly showed up. I was already thinking: Th is is it, it’s all<br />

over now with my two-and-a-half-kilometer plot of land. But they just<br />

stared at me, astonished, and said: »Man, that’s awesome!« And they<br />

went on their way. I managed to scrounge up a few metal sculptures<br />

and a birdbath. And in the winter the tree got red bows.<br />

Nun gibt es Ihr Gärtchen nicht mehr. Freuen Sie sich auf den neuen<br />

Park? Robson: Der wird wunderschön. Ich hoff e, sie pfl anzen hier<br />

etwas, um das ich heimlich ein paar Lichter wickeln kann. Mal<br />

sehen, was passiert, wenn ich die dann anknipse.<br />

Your garden is gone now. Are you happy about the new park?<br />

Robson: It’s becoming quite beautiful. I hope they will plant<br />

something to which I can secretly attach a few lights. And let’s<br />

see what happens when I switch them on. aw<br />

All pictures © Joel Sternfeld, 2000<br />

high life 71


72 gallery<br />

V8 Galerie für zeitgenössische<br />

Reise- und Dokumentarfotografi e<br />

V8 Gallery for Contemporary Travel<br />

and Documentary Photography<br />

Machen Sie sich ein Bild von der Welt, indem Sie sich mit Bildern der Welt umgeben. Entdecken Sie die V8 Galerie für zeitgenössische<br />

Reise- und Dokumentarfotografi e. Wir freuen uns, Sie begrüßen zu dürfen in unseren Galerieräumen in der Mohrenstraße 2, D-50670<br />

Köln. Zu den üblichen Ladenöff nungszeiten, gerne auch nach Vereinbarung. Oder stöbern Sie online unter www.v8-galerie.de.<br />

Die Fotografi en in der V8 Galerie entstanden zum größten Teil im Auftrag von air und wurden darin erstveröff entlicht. Alle Fotos sind in<br />

limitierter Aufl age erhältlich – kaschiert auf Aluminium-Platten (Dibond), ungerahmt. Sie interessieren sich für einen oder mehrere<br />

der hochwertigen Prints? Sie haben Fragen zur Galerie? Besondere Wünsche? Dann freuen wir uns auf Ihre Nachricht an:<br />

info@v8-galerie.de oder telefonisch: +49(0)221.99 848 36/-37.<br />

Get a picture of the world – by surrounding yourself with pictures of the world. Discover the V8 Gallery for Contemporary Travel and<br />

Documentary Photography. We look forward to welcoming you at our gallery at Mohrenstrasse 2, D-50670 Cologne, Germany, during<br />

regular business hours or by appointment. Or you can browse online at www.v8-galerie.de.<br />

Most images at V8 Gallery were taken for air and fi rst published in this magazine. All photos can be bought in a limited edition – laminated<br />

on aluminum panels (Dibond), unframed. Interested in one or several of these high quality prints? Have questions about the<br />

gallery? Drop us a line at galerie@v8-verlag.de or call +49(0)221.99 848 36/-37.<br />

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4<br />

2<br />

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1 Espen Eichhöfer, Kuba 20 // Format format: 50 x 50 cm, 85 x 85 cm oder or 125 x 125 cm // Auflage: 20/20/5 20/20/5 print limited edition<br />

2 Sebastian Pfütze, Russland 13 // Format format: 60 x 80 cm oder or 80 x 100 cm // Auflage: jeweils 20 20 print limited edition<br />

3 Nina Poppe, Island 13 // Format format: 80 x 60 cm oder or 100 x 80 cm // Auflage: jeweils 20 20 print limited edition<br />

4 Carsten Behler, Skye Sunset // Format format 50 x 50 cm oder or 85 x 85 cm // Auflage: jeweils 20 20 print limited edition<br />

5 Dawin Meckel, Vietnam 4 // Format format: 50 x 60 cm oder or 120 x 150 cm // Auflage: 20/5 20/5 print limited edition<br />

6 Sebastian Pfütze, Russland 4 // Format format: 80 x 60 cm oder or 100 x 80 cm // Auflage: jeweils 20 20 print limited edition<br />

3<br />

6


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gängigen Reisefotografi e einen eigenen Zugang zu Menschen und Ländern fi nden. Dazu fundiert recherchierte Texte,<br />

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air 73


74 interview


»Piraten attackieren alles,<br />

was Gewinn verspricht«<br />

»Pirates will attack anything<br />

that might bring profi t«<br />

Noel Choong, Chef des Piracy Reporting Center in Kuala Lumpur, erklärt die moderne Seeräuberei<br />

Noel Choong, head of the Piracy Reporting Center in Kuala Lumpur, elucidates modern piracy<br />

Piratenattacken fi nden in westlichen Staaten nur im Karneval<br />

oder im Kino statt. Während sich Johnny Depp als Räuber mit<br />

Augenklappe über die Leinwand blödeln kann, sind die Überfälle<br />

für moderne Seefahrer hingegen bitterer Ernst. In den ersten sechs<br />

Monaten dieses Jahres gab es weltweit 114 Attacken auf hoher See<br />

– Tendenz steigend. Die Seeräuberei boomt.<br />

1992 hat die Internationale Handelskammer das Piracy Reporting<br />

Center (PRC) in Kuala Lumpur eingerichtet. Das Zentrum versorgt<br />

Schiff e auf allen Weltmeeren mit Warnungen vor Piraten und hat<br />

eine 24-Stunden-Hotline für Hilferufe eingerichtet. Ein Gespräch<br />

mit Noel Choong, Leiter des PRC und erfahrener Seemann, über<br />

die Methoden der modernen Piraten – und warum Seeräuberei nur<br />

in Filmen romantisch ist.<br />

Herr Choong, haben Sie den Kinofi lm »Fluch der Karibik« gesehen?<br />

Natürlich, das gehört ja quasi zu meinem Fach! Aber ganz ehrlich:<br />

Für mich ist der Film pure Unterhaltung, ich habe viel gelacht.<br />

Aber ich hatte ja auch selbst nie eine traumatische Erfahrung mit<br />

Piraten. Für Seeleute, die schon einmal bei einem Überfall um ihr<br />

Leben bangen mussten, gibt es da nicht viel zu schmunzeln. Wer<br />

gefesselt über Bord geworfen wird, kann nur im Film überleben,<br />

im realen Leben nicht.<br />

Wie muss man sich moderne Piraten vorstellen?<br />

Sicher nicht wie Johnny Depp! Es gibt drei Typen von Piraten:<br />

I n<br />

western lands, pirate attacks take place only at carnivals or<br />

cinemas. Johnny Depp may act the robbing buff oon with an eye<br />

patch, but real attacks are no laughing matter for today’s ocean<br />

travellers. In the fi rst six months of this year 114 acts of piracy on<br />

the high seas were reported worldwide—and the number is rising.<br />

Th ere’s a boom in seaway robbery.<br />

Th e International Chamber of Commerce established the Pi-<br />

racy Reporting Center (PRC) in Kuala Lumpur in 1992. Th e center<br />

provides piracy warnings to ships on all the world’s seas and has<br />

set up a 24-hour SOS hotline. A conversation with Noel Choong,<br />

head of the PRC and an experienced mariner, about how pirates<br />

operate these days—and why sea robbery is only romantic on the<br />

silver screen.<br />

Mr. Choong, have you seen the fi lm »Pirates of the Caribbean: Th e<br />

Curse of the Black Pearl«?<br />

Of course, it’s practically required viewing for my job! But seriously:<br />

For me, the fi lm was pure entertainment; it really made me<br />

laugh. But then I never had a traumatic experience with pirates<br />

myself. For mariners who’ve feared for their lives in an attack,<br />

there’s not much to chuckle about. Unlike in a movie, in real life<br />

no one who is bound and thrown overboard will survive.<br />

What are the pirates of today like? Defi nitely nothing like<br />

Johnny Depp! Th ere are three kinds of pirates: First of all, there<br />

are the occasional robbers. Th ey work in little gangs like burglars,<br />

interview 75


76 interview<br />

Nummer eins, das sind Gelegenheitsräuber. Die operieren wie<br />

Einbrecher in kleinen Gangs, nehmen, was sie bekommen, und<br />

hauen wieder ab. Der zweite Typ arbeitet in organisierten Syndikaten<br />

und ist ausschließlich an der Fracht interessiert, meist geht<br />

es um Öl und Gas. Sie halten die Mannschaft in Schach, bis sie<br />

ihre Beute auf ein anderes Schiff verladen oder gepumpt haben,<br />

mit dem sie dann verschwinden. Die dritte Gruppe hat es auf das<br />

ganze Schiff abgesehen: Nach dem Kapern wird es umgestrichen<br />

und erhält eine temporäre Neuregistrierung. Später fordern die<br />

Entführer Lösegeld für Fracht und Mannschaft.<br />

Wie laufen die Überfälle ab?<br />

Meist nähern sich die Piraten in der Dunkelheit mit kleinen<br />

Schnellbooten den viel größeren, unbeweglichen Schiff en. Sie klet-<br />

tern mit Seilen an Bord und bedrohen die Mannschaft mit Waff en.<br />

Sobald sie ihre Beute haben, fahren sie zurück zu einem größeren<br />

Mutterboot oder einer Operationsbasis an Land. Im Grunde hat<br />

sich die Taktik über die Jahrhunderte kaum geändert: ein Schiff<br />

auf hoher See entern und mit möglichst viel Beute verschwinden.<br />

Nur die Waff en sind moderner geworden.<br />

Welche benutzen Seeräuber heute?<br />

Das hängt von der Region ab. Piraten in der Straße von Singapur<br />

benutzen amerikanische M16-Maschinengewehre, ihre Kollegen<br />

am Horn von Afrika und in der nördlichen Straße von Malakka<br />

arbeiten mit russischen AK57-Gewehren und Granatwerfern.<br />

Vor allem in Somalia sind diese leicht zu bekommen und werden<br />

erschreckend oft eingesetzt. In anderen Gegenden, zum Beispiel<br />

an vielen Küsten Indonesiens oder in Bangladesh, sind die Piraten<br />

lediglich mit Pistolen und Macheten bewaff net. Aber selbst, wenn<br />

sie nur mit einem Messer angreifen: Die Überfallsituation an sich<br />

ist extrem gefährlich. Und jede Waff e kann tödlich sein.<br />

Piratenfi lme spielen eigentlich immer in der Karibik oder in<br />

der Südsee. Wo sind heute die gefährlichsten Regionen?<br />

Momentan Somalia und Nigeria. Die Zahl der Angriff e von Piraten<br />

in Afrika ist enorm gestiegen: In den letzten drei Monaten gab<br />

es allein im Golf von Aden 24 Überfälle von somalischen Piraten.<br />

Wir raten allen Schiff en, sich mindestens 200 Seemeilen von der<br />

somalischen Küste fernzuhalten. Aber mittlerweile wagen sich<br />

die Seeräuber immer weiter hinaus auf die off ene See.<br />

Könnten die Schiff e nicht einfach auf andere Strecken aus-<br />

weichen?<br />

In manchen Regionen ja. Aber an einigen Stellen gibt es einfach<br />

keine Alternative. Dazu gehört auch der Golf von Aden, die Meerenge<br />

ist maximal 1.000 Kilometer breit. Und es ist einfach die<br />

wichtigste Seeverbindung zwischen Europa und Asien. Gerade<br />

auch für Öltransporte von der Arabischen Halbinsel.<br />

Ist die Motivation der Piraten dort auch politisch?<br />

Nein, das einzige Interesse der Seeräuber – auf der ganzen Welt<br />

– ist Geld. Das sind weder Terroristen noch morden sie aus Spaß.<br />

Sie nutzen lediglich die chaotische politische Lage aus, um sich<br />

selbst zu bereichern. Dafür attackieren sie alles, was Gewinn verspricht:<br />

Öltanker oder Frachter wegen der Ladung, Segelboote oder<br />

Passagierschiff e, um Lösegeld zu erpressen. Die Piraten auf See<br />

sind jedoch nur Befehlsempfänger. Die eigentlichen Verbrecher,<br />

ihre Auftraggeber, sitzen an Land.<br />

take what they can get and move out fast. Th e second type works<br />

in organized syndicates and is only interested in freight—mostly<br />

oil and gas. Th ey hold a crew hostage until they have unloaded<br />

or pumped the booty onto another ship, in which they then take<br />

off . Th e third group is interested in the ship itself: After they seize<br />

a vessel, it is repainted and given a temporary new registration.<br />

Later, the abductors demand a ransom for ship and crew.<br />

What happens in an attack?<br />

Usually, pirates close in at night with small speedboats, surrounding<br />

the much larger and clumsier ship. Th ey climb aboard with<br />

ropes and threaten the crew with weapons. As soon as they have<br />

their loot, they take it back to a larger mother ship or to their base<br />

of operations on land. Basically, the tactic has hardly changed over<br />

the centuries: Board a ship on the high seas and take off with as<br />

much booty as possible. Only the weapons look diff erent today.<br />

What arms do sea robbers use now?<br />

It depends on the region. Pirates in the Straits of Singapore use<br />

American M16 machine guns; their colleagues on the Horn of Africa<br />

and in the northern Malacca Straits work with Russian AK57<br />

guns and grenade throwers. Th ese are easy to get, particularly in<br />

Somalia, and they are used appallingly often. In other regions,<br />

for example on the coasts of Indonesia or Bangladesh, pirates are<br />

armed only with pistols and machetes. But even if they attack<br />

with merely a knife—the situation is extremely dangerous. Any<br />

weapon can be deadly.<br />

Pirate fi lms always take place in the Caribbean or South Seas.<br />

What are the most dangerous areas today?<br />

Currently, it’s Somalia and Nigeria. Th e number of pirate attacks<br />

in Africa has increased enormously. In the last three months,<br />

Somalian pirates carried out 24 attacks in the Gulf of Aden alone.<br />

We advise all ships to keep at least 200 nautical miles away from<br />

the Somalian coast. But these days, pirates are venturing further<br />

out into the open sea.<br />

Couldn’t the ships simply take other routes?<br />

In some regions, yes. But in some areas there is simply no alternative.<br />

For example, in the Gulf of Aden, the narrows are at the<br />

most 1,000 kilometers wide. And it is simply the most important<br />

waterway between Europe and Asia—especially for the transport<br />

of oil from the Arabian Peninsula.<br />

Are the pirates there also motivated by politics? No. Th e only<br />

thing a pirate is interested in, anywhere in the world, is money.<br />

Th ey are neither terrorists nor bloodthirsty. Th ey take advantage<br />

of the chaotic political situation to get rich. So they will attack<br />

anything that might bring profi t: oil tankers or freighters because<br />

of the cargo, sailboats or passenger ships for the ransom money.<br />

But sea robbers are merely following orders. Th e real criminals,<br />

their bosses, are located on dry land.<br />

Can something be done about them?<br />

It is not exactly easy to deal with warlords in Somalia or armed<br />

militia in Nigeria. And if »businesspeople« in Dubai or Yemen<br />

fi gure out how easy it is to make money through piracy, things<br />

will get even worse. I am hoping for more international pressure.<br />

From the situation in the Strait of Malacca, we can see that it is<br />

more than possible to do something about it. In the formerly


Kann man gegen die vorgehen?<br />

Es ist nicht gerade einfach, mit Warlords in Somalia oder bewaff ne-<br />

ten Milizen in Nigeria zu verhandeln. Und wenn »Geschäftsleute«<br />

in Dubai oder Jemen erst einmal entdecken sollten, wie leicht man<br />

mit Seeräuberei Geld machen kann, wird es noch schwieriger.<br />

Ich hoff e hier auf mehr internationalen Druck. In der Malakka-<br />

Straße hat sich gezeigt, dass man durchaus etwas unternehmen<br />

kann. In dem einst berüchtigten Nadelöhr zwischen Indonesien<br />

und Malaysia gab es dieses Jahr nur zwei Zwischenfälle – 2004<br />

waren es noch 37. Die indonesische Regierung kooperiert auf<br />

internationalen Druck hin seit 2005 mit Malaysia, Singapur und<br />

Th ailand: Mehr als zwei Dutzend Kriegsschiff e, Patrouillenboote,<br />

Flugzeuge und Helikopter bewachen seitdem die 800 Kilometer<br />

lange Meerenge.<br />

Ist die Straße von Malakka mittlerweile sicher?<br />

Momentan scheint sie es zu sein. In Zukunft hängt die Situation<br />

davon ab, wie lange sich die indonesische Seite den Kraftstoff für<br />

die Patrouillenboote noch leisten kann – wenn der Ölpreis weiter<br />

steigt. Noch werden sie dabei von den USA unterstützt. Für die<br />

Indonesier ist es ein Verlustgeschäft, da die meisten Handelsschiff e<br />

in andere Länder fahren. Die Formel ist einfach: Viele Patrouillen<br />

– wenig Piraten. Wenig Patrouillen – viele Piraten.<br />

Was raten Sie Seeleuten, wie sie sich vor Piraten schützen<br />

können?<br />

Wir raten sehr davon ab, Schiff e zu bewaff nen. Der beste Schutz<br />

ist eine Wache rund um die Uhr. Für einen erfolgreichen Überfall<br />

benötigen die Piraten den Überraschungseff ekt. Wenn die<br />

See beobachtet wird, kann die Wache Alarm schlagen, bevor<br />

die Angreifer überhaupt an Bord gelangen. Die meisten Piraten<br />

werden in diesem Fall abhauen, schließlich wollen sie nicht von<br />

Patrouillenbooten festgenommen werden. Für eine eff ektive<br />

Anti-Piraten-Wache benötigt man allerdings mehr Personal. Viele<br />

Schiff seigner sparen aber und besetzen nur die absolut nötigen<br />

Posten. Da Seeleute eben auch irgendwann schlafen müssen,<br />

kommt die Wache oft zu kurz.<br />

Was tun, wenn die Angreifer schon an Bord sind?<br />

Wenn irgendwie möglich, einen Notruf absetzen. Ich war selbst<br />

Seefahrer und weiß, wie einsam man sich da draußen auf dem<br />

Meer fühlen kann. Bei einem Flugzeug passt jeder auf – auf hoher<br />

See ist das anders. Wenn wir einen Hilferuf bekommen, werden<br />

wir sofort alles in Bewegung setzen, um jemanden in der Nähe<br />

des Überfalls zu kontaktieren, der zur Strafverfolgung ermächtigt<br />

ist. So wissen die Seeleute immerhin, dass jemand nach ihnen<br />

sucht und sie nicht einfach so auf Nimmerwiedersehen ans Ende<br />

der Welt verschwinden werden.<br />

Haben Sie auch persönlich mit Piraten zu tun?<br />

Normalerweise arbeiten wir von unserer Zentrale aus und halten<br />

den Kontakt zu den verschiedenen Parteien vor Ort. Aber manchmal<br />

muss ich auch selbst in die Länder fahren, um mit Entführern zu<br />

verhandeln. Deswegen lasse ich mich auch nie fotografi eren: Es ist<br />

besser, dass die Gegenpartei mich nicht schon gleich am Gesicht<br />

erkennt, wenn ich ankomme.<br />

Interview: Christina Schott<br />

notorious bottleneck between Indonesia and Malaysia, there<br />

were only two cases this year—in 2004 there were 37. In 2005, the<br />

Indonesian government responded to international pressure and<br />

began cooperating with Malaysia, Singapore, and Th ailand. Since<br />

then, more than two dozen warships, patrol boats, planes and<br />

helicopters keep watch over the 800-kilometer strait.<br />

Is the Strait of Malacca secure now?<br />

For now it seems to be. In the future, the situation depends on<br />

how long the Indonesians can aff ord fuel for the patrol boats—if<br />

the price of oil continues to rise. Th e USA is still subsidizing them.<br />

For the Indonesians, it is a losing venture, because most cargo<br />

ships are going to other countries. Th e formula is clear: Many<br />

patrols—fewer pirates. Fewer patrols—many pirates.<br />

What do you tell mariners to do, to protect themselves from<br />

pirates?<br />

We defi nitely advise against arming ships. Th e best protection is<br />

a round-the-clock watch. Pirates take advantage of the element<br />

of surprise to pull off a successful attack. If the ocean is watched,<br />

an alarm can be rung before would-be attackers manage to make<br />

it on board. Most pirates will take off in such cases; they don’t<br />

want to be arrested by patrol boats. But extra crew is needed if a<br />

watch is to be eff ective. Many shipowners scrimp, and fi ll only the<br />

absolutely essential posts. And since mariners also have to sleep<br />

sometimes, their watch often is not long enough.<br />

And what if the attackers already are on board?<br />

Whenever possible, trigger an alarm. I used to be a sailor and<br />

know how lonesome one can feel out there on the sea. In a jet,<br />

everyone is attentive—but on the high seas, it’s diff erent. If we<br />

get a call for help, we will do everything in our power to contact<br />

someone near the location of the attack who is empowered to<br />

make arrests. So the sailors know that someone is looking after<br />

them, and they will not simply disappear into oblivion at the far<br />

corners of the earth.<br />

Do you have anything to do with pirates yourself?<br />

Normally we work from our own headquarters and with various<br />

parties on location. But sometimes I also have to travel abroad<br />

to negotiate with abductors. Th at’s why I never let myself be<br />

photographed: It’s better if the adversary doesn’t recognize me<br />

when I show up.<br />

Interview: Christina Schott<br />

interview 77


78 family<br />

Polen privat Poland, an Intimate Glimpse<br />

Photos: Przemysław Pokrycki<br />

Diese Reise ist nirgends zu buchen und nicht zu imitieren. Seit drei Jahren fährt der Warschauer Fotograf Przemysław Pokrycki kreuz und quer durch sein Land von<br />

einem Familienfest zum anderen. Momentan sind es insgesamt 78 Feierlichkeiten, die er besucht und bei denen er fotografi ert hat: Taufen, Kommunionsfeiern,<br />

Hochzeiten. Mal in altmodisch schlichten Vereinsheimen, wo man zur Sahnetorte Pepsi-Cola aus Pappbechern serviert, mal in prunkvollen Festsälen mit Stuckdecken<br />

und Schonbezügen. Eine Reise ins Innere der polnischen Volksseele. is<br />

You cannot book this trip, nor can you mimic it. For three years, Warsaw photographer Przemysław Pokrycki has crisscrossed his country, going from one family<br />

festival to another. By now he has attended and photographed 78 celebrations: baptisms, communion celebrations, weddings. Sometimes in old-fashioned, simple<br />

clubhouses, where cream tarts are served with Pepsi-Cola in paper cups, sometimes in ostentatious halls with molded stucco ceilings and slipcovers. A journey to the<br />

center of the Polish soul. is<br />

Taufe Baptism Kommunion Communion Hochzeit Wedding


family 79<br />

Courtesy ZPAF i S-ka Gallery, Krakow. www.pokrycki.com


80 check-out<br />

Nach Moskau fahren, um den Kreml zu sehen? Ist doch langweilig.<br />

Zum Glück gibt es die schönsten Sehenswürdigkeiten inzwischen auf der ganzen Welt – als<br />

Kopie. Ein kleiner Auszug aus der unendlichen Liste nachgebauter Attraktionen<br />

Going to Moscow to See the Kremlin? How boring. Luckily, by now the<br />

most beautiful sights can be seen around the world—as reproductions. A small excerpt from the<br />

endless list of replicated attractions<br />

Text: Emil Thraker<br />

Original Original Fälschung Fake<br />

Eiff elturm<br />

Paris<br />

Eiff el Tower<br />

Paris<br />

Kreml<br />

Moskau<br />

Kremlin<br />

Moscow<br />

Venedig<br />

Italien<br />

Venice<br />

Italy<br />

Christusstatue<br />

Rio de Janeiro<br />

Cristo Rei monument<br />

Rio de Janeiro<br />

Schloss Maisons-Laffi tte<br />

Yvelines, Frankreich<br />

Château de<br />

Maisons-Laffi tte<br />

Yvelines, France<br />

Freiheitsstatue<br />

New York<br />

Statue of Liberty<br />

New York<br />

Hotel Paris, Las Vegas: Die Eiff elturm-Kopie im Maßstab 1:2 ragt vor der 1999<br />

eröff neten 3000-Zimmer-Herberge empor. Der Turm trohnt über kleinen Nachbauten<br />

von Louvre und Pariser Oper.<br />

Hotel Paris, Las Vegas: A replica of the Eiff el Tower (on a scale of 1:2) rises above<br />

the 3,000-room hotel, which opened in 1999. By the way, you will fi nd models<br />

of the Louvre and Paris Opera beneath the tower.<br />

Petrin-Hügel, Prag: Hier steht ein Mini-Eiff elturm, 60 Meter hoch.<br />

Petrin Hill, Prague: Mini-Eiff el Tower (60 meters high).<br />

Hotel Kremlin Palace in Aksu, an der türkischen Riviera zwischen Antalya und<br />

Alanya: Nachbau von Rotem Platz, Basiliuskathedrale und Kreml unmittelbar<br />

am Strand. Mit Dönerstand auf dem Roten Platz.<br />

Hotel Kremlin Palace in Aksu, Turkish Riviera, between Antalya and Alanya:<br />

A model of Red Square, Saint Basil‘s Cathedral and the Kremlin—right on the<br />

beach. It‘s Red Square with kebab stands.<br />

Macau, Südchinesisches Meer: Rialto-Brücke, Gondoliere und Campanile geben<br />

eine hübsche Fassade ab für die eigentliche Attraktion im »Venetia Resort«:<br />

Glücksspiel. In angeblich weltgrößtem Ausmaß.<br />

Macau, South China Sea: Th e Rialto Bridge, gondoliers and campanile put a<br />

pretty face on the actual goings-on at the »Venetia Resort«: games of chance.<br />

Supposedly it’s the biggest such resort in the world.<br />

Hotel Venetian, Las Vegas: Leise plätschert der Canal Grande – in der Viertelmeilen-Version<br />

(402 Meter), wie die Amerikaner sie lieben.<br />

Hotel Venetian, Las Vegas: Th e gently lapping waters of the Grand Canal (in<br />

the typical U.S. quarter-mile version).<br />

Almada, ein Vorort von Lissabon: Die Portugiesen erbauten den Christo Rei<br />

nach Vorbild des brasilianischen Originals aus Dankbarkeit – weil Portugal<br />

nicht in den Zweiten Weltkrieg verwickelt wurde.<br />

Almada, a suburb of Lisbon: Th e Portuguese version of the Brazilian Cristo<br />

Rei monument, created in gratitude for the fact that Portugal was not drawn<br />

into World War II.<br />

30 Kilometer nördlich von Peking ließ der chinesische Baulöwe und Frankreich-<br />

Fan Zhang Yuchen einen detailgetreuen Nachbau des Barockschlosses von<br />

François Mansart errichten.<br />

Chinese real-estate magnate and Francophile Zhang Yuchen constructed an<br />

exact replica of François Mansart‘s masterful baroque palace, 30 kilometers<br />

north of Peking.<br />

Colmar, Frankreich: Geburtsort des Schöpfers der Statue, Auguste Bartholdi.<br />

2004, zu dessen 100. Todestag, weihte man in der Kleinstadt eine Zwölf-Meter-<br />

Replik ein.<br />

Colmar, France: Birthplace of the statue‘s creator, Auguste Bartholdi. In<br />

2004, on the 100th anniversary of his death, a 12-meter-high replica was<br />

unveiled.


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