Urlaub ohne Grenzen! - Nansen & Piccard
Urlaub ohne Grenzen! - Nansen & Piccard
Urlaub ohne Grenzen! - Nansen & Piccard
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14 DESTINATIONEN, EIN ZIEL:<br />
<strong>Urlaub</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Grenzen</strong>!<br />
Sonnengöttlich!<br />
Ägypten & Türkei jetzt im neuen<br />
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Ägypten<br />
wie man es nicht erwartet<br />
Egypt<br />
As You Least Expect It<br />
Gemütlich: Shetland in<br />
sechs Schritten<br />
Cozy: Th e Shetland<br />
Islands in Six Easy Steps<br />
Gefährlich: Truman Capotes<br />
Fahrt durch Spanien<br />
Dangerous: Truman Capote’s<br />
Ride through Spain<br />
Grün: New Yorks neuer<br />
Wunderpark<br />
Green: New York’s New<br />
Miracle Park<br />
TRAVEL, FLY, DISCOVER | NO 13�2008, 5.90 EUR
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Liebe Leser, hätte Hamed unsere beiden Reporter<br />
bei ihrer Reise durch Kairo und Umgebung nicht begleitet – wir wis-<br />
sen nicht, was aus ihnen geworden wäre. Der groß gewachsene, kräftige<br />
Ägypter faltete den Taxichauff eur zusammen, der während der Fahrt auf<br />
die Idee kam, den Preis zu verdoppeln. Den Polizisten, der im Oasen-Dorf<br />
Fayoum Ausweise, Genehmigungen und Geld verlangte, brüllte er in die<br />
Flucht. Nur beim Betreten der Cheops-Pyramide ließ Hamed das Duo<br />
sitzen. Beziehungsweise, er blieb sitzen – vor dem Eingang. Nachdem die<br />
Reporter das Innere des Baus erkundet hatten, verstanden sie, warum.<br />
– Angenehme Reise, wo immer Sie gerade unterwegs sind!<br />
Dear Reader, If Hamed hadn’t guided our<br />
two reporters through Cairo and environs, they might not have made it.<br />
Th is mighty Egyptian stared down the taxi driver who tried to double the<br />
price en route. When a police offi cer in the Fayoum oasis village demanded<br />
identifi cation, authorization and money, Hamed sent him running.<br />
Hamed only sat out the visit to the Cheops pyramid. More specifi cally, he<br />
remained seated at the entrance. After the reporters had investigated the<br />
structure’s interior, they understood why.—Happy travels, wherever you<br />
may roam!<br />
Cover: Medhat Abdel Hafez, Strandfotograf in Alexandria, aufgenommen von Sebastian Pfütze<br />
Medhat Abdel Hafez, beach photographer in Alexandria, photographed by Sebastian Pfütze<br />
Besonderen Dank an … die Jury Special thanks to … the jury<br />
Eine Jury hat etwas Respektgebietendes. Sie spricht Urteile aus und richtet über Erfolg und<br />
Misserfolg. Wir mögen Jurys. Beim diesjährigen BCP-Award in München entschieden die<br />
Preisrichter, air – wie schon 2007 – mit der Goldmedaille in der Kategorie Tourismus/Reisen<br />
auszuzeichnen. In der Lobrede hieß es, air berichte am ehrlichsten aus der Welt des Reisens.<br />
Das können wir nur bestätigen, ehrlich. Eine weitere Jury beschäftigte sich mit dem Aussehen<br />
dieses Magazins. Ergebnis: air ist nominiert für den in Frankfurt verliehenen Designpreis der<br />
Bundesrepublik Deutschland 2009. So schön kann das Verhältnis zu Jurys sein.<br />
There is something awe-inspiring about a jury. It delivers verdicts and determines success or<br />
failure. We’re fond of juries. At this year’s »Best of Corporate Publishing« Award ceremony in<br />
Munich, judges awarded air a gold medal in the travel/tourism category—just as they had in<br />
2007. Explaining their choice, they said air provides the most honest reports from the world<br />
of travel. And honestly, we can only confirm this. A second jury focused on the magazine’s<br />
appearance. The verdict: air has been nominated for the 2009 Design Award of the Federal<br />
Republic of Germany. Oh, the splendor of juries!<br />
check-in 01
02 content<br />
16 travel<br />
In Kairo ist das wahre Ägypten zu erleben. Eine Entdeckungstour durch die größte Stadt Afrikas (Bild: Busparkplatz an den Pyramiden<br />
von Gizeh) Th e real Egypt is to be found in Cairo. A journey of discovery through Africa’s largest city (Photo:Bus parking lot at the site<br />
of the Pyramids at Giza)<br />
56 pictures<br />
China! Welches China? Der Fotograf Wolfgang<br />
Zurborn porträtiert das Reich der Mitte<br />
China! Which China? Photographer Wolfgang<br />
Zurborn presents the Middle Kingdom
Photos: Sebastian Pfütze, Wolfgang Zurborn, Roderick Aichinger, Przemysław Pokrycki, Joel Sternfeld<br />
12 compact travel<br />
Auf den Shetland-Inseln fühlt man sich<br />
schnell wie zu Hause. Eine Reiseanleitung<br />
in sechs Schritten It is easy to feel at home<br />
on the Shetland Islands. A traveller’s guide,<br />
in six steps<br />
04 diary<br />
Benedikt Sarreiter schildert seine ersten<br />
fünf Tage in Rio de Janeiro und wie er versuchte,<br />
das Strandleben zu genießen Benedikt<br />
Sarreiter describes his fi rst fi ve days<br />
in Rio de Janeiro and his eff orts to enjoy<br />
the beach scene<br />
08 questions & answers<br />
Der Russe Alexander Begak erklärt, warum<br />
Autos auch fl iegen können sollten. David<br />
Frogier lüftet das Geheimnis, weshalb die<br />
vietnamesische Regierung Hamstern den<br />
Krieg erklärt hat. Der Franzose Guy Burgel<br />
erläutert den Niedergang von Paris Russian<br />
Alexander Begak explains why cars should be<br />
able to fl y as well as drive. David Frogier re-<br />
veals the truth about Vietnam’s war against<br />
hamsters. And Frenchman Guy Burgel la-<br />
ments the downfall of Paris<br />
14 column<br />
Tillmann Prüfer staunt über die wechselhaf-<br />
te Geschichte des Alkoholkonsums in Flug-<br />
zeugen Tillmann Prüfer marvels at the erratic<br />
history of airborne alcohol consumption<br />
40 portrait<br />
Aus dem Leben zweier Ägypter: Faruq Shu-<br />
sha, einer der bekanntesten Dichter des<br />
78 family<br />
Przemysław Pokrycki reist ins Innere der<br />
polnischen Volksseele Przemysław Pokrycki<br />
journeys to the center of the Polish soul<br />
Landes, feiert die Liebe. Afaf Abdulmonem<br />
wurde mit vier Jahren verlobt und führt eine<br />
glückliche Ehe – mit ihrem Cousin A glimpse<br />
into the lives of two Egyptians: Faruq Shusha,<br />
one of the country’s most famous poets,<br />
celebrates love. Afaf Abdulmonem was<br />
betrothed at the age of four and enjoys a<br />
happy marriage—with her cousin<br />
44 style<br />
Salon-Abenteurer, Entdecker oder Öko-Tourist<br />
– welcher Reisetyp sind Sie? Armchair<br />
adventurer, discoverer or eco-vacationer—<br />
what type of traveller are you?<br />
46 business<br />
Seit Jahrzehnten beliefern in Indien die<br />
»Dabawalas« Büros mit Mahlzeiten – und<br />
machen nie Fehler. Weltkonzerne wollen<br />
nun aus dem Phänomen lernen For decades,<br />
»dabbawalas« have been delivering meals to<br />
offi ces in India—and never make a mistake.<br />
Now, international companies want to learn<br />
from this phenomenon<br />
47 short story<br />
Truman Capote fährt mit dem Zug durch<br />
Spanien und wird fast Opfer von Banditen<br />
Truman Capote takes a train through Spain,<br />
and nearly loses everything to bandits<br />
66 high life<br />
Die New Yorker »High Line« – eine stillgeleg-<br />
te Hochbahn – wird in einen Park umgewan-<br />
delt. Geschäftsleute reiben sich die Hände<br />
New York’s »High Line«—an abandoned el-<br />
evated railway—is turned into a park. Busi-<br />
nesspeople are rubbing their palms<br />
64 travel basics<br />
Das Reise-ABC, Lektion 3: Nachtportier<br />
ABCs of Travel, Part 3: Night porter<br />
74 interview<br />
Die Seeräuberei boomt. Neil Choong, Direktor<br />
des Piracy Reporting Center in Kuala<br />
Lumpur, erläutert die Methoden moderner<br />
Piraten Th ere’s a boom in piracy. Noel<br />
Choong, director of the Piracy Reporting<br />
Center in Kuala Lumpur, unveils the meth-<br />
ods of modern pirates<br />
80 check-out<br />
Original und Fälschung: ein Auszug aus<br />
der unendlichen Liste nachgebauter Se-<br />
henswürdigkeiten Original and fake: An<br />
excerpt of the endless list of replicas of the<br />
world’s man-made wonders<br />
01 check-in<br />
06 world of air & imprint<br />
72 gallery & air<br />
content 03
04 diary<br />
Meine ersten fünf Tage in …<br />
My First Five Days in …<br />
Erster Tag<br />
Kurz nachdem ich am Flughafen ins<br />
Taxi gestiegen bin, geht die Sonne auf.<br />
Sie blitzt durch das Gerippe eines riesi-<br />
gen, halb entkernten Gebäudes. »Was<br />
ist das?« – »Ein Krankenhaus, wird aber<br />
nur zur Hälfte benutzt.« – »Aha.« – »Da<br />
vorn, schauen Sie, der Zuckerhut.« Der<br />
Taxifahrer will mich ablenken. Zu spät.<br />
Auf der rechten Seite breiten sich Favelas<br />
aus, auf der linken schwimmt Müll in<br />
einem stinkenden Tümpel, die Klima-<br />
anlage bläst, mich fröstelt. Willkom-<br />
men in Rio. Dann wird es dunkel, wir<br />
rasen durch den Reboucas-Tunnel. Auf<br />
der anderen Seite öff net Christus seine<br />
Arme und empfängt mich im reichen<br />
Teil der Stadt. Ipanema, Leblon, Gavea.<br />
Eine halbe Stunde Fahrt, Hässlichkeit,<br />
Schönheit, eine Stadt, alles drin.<br />
Day One<br />
Just after I climb into a taxi at the airport,<br />
the sun rises. It fl ickers through the frame<br />
of a huge, half-gutted building. »What‘s<br />
that?«—»A hospital, but only half of it is in<br />
use.«—»Hmm.«—»Look at that, straight<br />
ahead: it‘s Sugar Loaf Mountain.« Th e taxi<br />
driver wants to distract me. Too late. On<br />
my right. Rio‘s shanty towns sprawl, and<br />
on the left rises a stinking trash heap; the<br />
air conditioner is on full blast and I am<br />
shivering. Welcome to Rio. And then eve-<br />
rything goes dark: we are dashing through<br />
the Reboucas Tunnel. When we emerge<br />
from the other side, Christ the Redeemer<br />
is waiting to receive us with open arms,<br />
welcoming us to the posh side of town.<br />
Ipanema, Leblon, Gavea. A half-hour drive<br />
through ugliness and beauty; it’s a city<br />
that has it all.<br />
Zweiter Tag<br />
Zum Frühstück esse ich ein »Joelho«, ein<br />
»Knie« – eine Hefeteigtasche mit Käse-<br />
Rio de Janeiro<br />
Selige Caipirinha-Nächte an der Copacabana.<br />
Gespräche über Frauen und Fußball. Am Ende<br />
muss der Autor eingestehen: Vielleicht hat er den<br />
Besuch etwas übers »Knie« gebrochen<br />
Blissful caipirinha nights at the Copacabana.<br />
Talk about women and soccer. In the end, the<br />
author has to admit: Perhaps he pushed things<br />
a bit too far this time<br />
Text: Benedikt Sarreiter<br />
Schinken-Füllung. Köstlich! Kalorien!<br />
Mein Reiseführer sagt, Rio könne man nur<br />
verstehen, wenn man die Strände besucht.<br />
Deshalb will ich sie mir alle vornehmen.<br />
Ich beginne mit dem Strand von Ipanema.<br />
Und passiere: die Jeunesse dorée Rios, die<br />
kaum bekleidet den Strandabschnitt vor<br />
dem Country-Club Leblon besetzt; amerikanische<br />
und französische Touristen rund<br />
um die Rettungsschwimmer am Posto 9,<br />
dann kiff ende Dreadlock-Hippies, ein<br />
Stück weiter Schwule, die sich über ihre<br />
aufgepumpten Körper streicheln. Lektion<br />
Ipanema: Tiefb raun ist die Farbe der Sai-<br />
son, Silikon ein Grundnahrungsmittel,<br />
den besten Caipirinha gibt es bei Vincenzo,<br />
die Strandabschnitte sind ordentlich nach<br />
sozialen Gruppen getrennt.<br />
Day Two<br />
My breakfast consists of a »joelho«—<br />
»knee«—a yeast-dough pocket fi lled with<br />
ham and cheese. Tasty! Fattening! My<br />
Ipanema. And I stroll past Rio’s jeunesse<br />
dorée, who—practically naked—occupy<br />
the stretch of sand in front of the Country<br />
Club Leblon; past American and French<br />
tourists surrounding the lifeguard at Posto<br />
9; then a bunch of dreadlock hippies tok-<br />
ing away; a bit further on are the gay men,<br />
preening their pumped-up bodies. Th e<br />
lesson of Ipanema: Deep brown is the new<br />
»in« colour; silicon is a staple in the diet;<br />
the best caipirinhas are made by Vincenzo;<br />
and the beaches are neatly portioned according<br />
to social groups.<br />
Dritter Tag<br />
Zum Frühstück esse ich zwei »Knie«. Hefe-<br />
schock! Aber ich brauche Kraft zum Wan-<br />
dern, denn heute steht die Copacabana an,<br />
vier Kilometer heißer Atlantiksand. Ich<br />
gehe an der Wasserkante und werde alle<br />
zehn Meter von Händlern angesprochen.<br />
»Ein Sandwich?« … »Ein Henna-Tattoo?«<br />
… »Einen Hut?« … »Einen Bikini?« – »Was<br />
guidebook says that to understand Rio you<br />
Heeb/laif<br />
have to visit the beaches. So that‘s what<br />
I plan to do. I start out on the beach of Photo:<br />
soll ich denn mit einem Bikini?« – »Für
deine Frau!« – »Siehst du eine Frau?« –<br />
»Nein!« – »Gut, dann ... Tschauuu!« Nach<br />
einer Stunde habe ich immer noch nicht<br />
den Mittelpunkt der Copa-Halbkurve er-<br />
reicht. Die Sonne knallt, färbt mein Ge-<br />
sicht rot, wie die Bäuche der in der Sonne<br />
brutzelnden Schotten, über die ich fast<br />
stolpere, als mein Blick auf den Beinen<br />
einer Strand-Schönheit haften bleibt.<br />
Day Th ree<br />
My breakfast consists of two »knees.«<br />
Yeast shock! But I need energy for my<br />
wanderings, because today I have to take<br />
on the Copacabana, four kilometres of<br />
hot Atlantic sand. I walk along the beach<br />
and am accosted by hawkers every ten<br />
meters. »Want a sandwich?« »A henna<br />
tattoo?« »A hat?« »A bikini?«—«Why on<br />
earth would I want a bikini?«—«For your<br />
wife!«—«Do you see one here?«—«No!«—<br />
«Good—then...Ciao!« After one hour, I<br />
still haven’t reached the half-way point<br />
along the Copa crescent. Th e sun is ra-<br />
diating relentlessly, turning my face as<br />
red as the bellies of a bunch of sizzling<br />
Scotsmen over whom I nearly stumble,<br />
distracted as I am by the legs of a bathing<br />
beauty.<br />
Vierter Tag<br />
Beim Frühstück schaff e ich zweieinhalb<br />
Joelhos. Katerfrühstück! War noch lange<br />
an der Copa. »Tudo bem?«, sagte der<br />
Caipirinha-Verkäufer zu mir. »Tudo!«,<br />
sagte ich. Und schon hatte ich den ersten<br />
Drink in der Hand. Es folgten einige<br />
mehr und Gespräche über Frauen und<br />
Fußball. Wunderbares Rio! Aber heute<br />
nehme ich Abstand von den Stränden<br />
– Sonnenbrand. Ich will ins Centro, ins<br />
Café Colombo, dem angeblich schönsten<br />
Café der Stadt, dem Treff punkt der Litera-<br />
ten und Denker. Doch kein Mensch ist in<br />
den engen Gassen und Häuserschluchten<br />
des Zentrums zu sehen. Das Colombo<br />
ist geschlossen. Habe ich die Apoka-<br />
lypse verpasst? Nein, es ist Sonntag. In<br />
Rio: Strandtag. Ich warte darauf, dass<br />
rollende Büsche meinen Weg kreuzen,<br />
Gary Cooper auftaucht und die deutsche<br />
Rothaut zum Duell fordert. Aber nicht<br />
einmal das passiert. Es geht nicht anders:<br />
Ich muss an den Strand.<br />
Zu Fuß auf den Zuckerhut<br />
Climbing Sugarloaf<br />
Rio de Janeiros Wahrzeichen ist ein imposanter<br />
Berg, 396 Meter hoch, felsenfester Granit,<br />
ein Paradies für anspruchsvolle Kletterer – auf der einen Seite. Auf der anderen, auf Fotos selten<br />
abgebildeten Seite, ist der Zuckerhut deutlich flacher, so dass man den Gipfel mit ein wenig alpiner<br />
Erfahrung besteigen kann. »Noch ein Stück weiter, und ihr findet einen Wanderpfad, der euch geradewegs<br />
nach oben führt. Kletterseile braucht ihr nicht. Kein Problem!«, sagen die Sportkletterer, die<br />
ihre Ausrüstung am Fuß des Bergs vorbereiten. 30 Minuten später relativiert sich das »Kein Problem!«.<br />
Ein kurzes Stück verschwindet der Pfad in einer Steilwand. 20 Meter geht es fast senkrecht empor.<br />
Man wartet besser auf die nächste Bergsteigergruppe mit Seil – und sichert sich ab. Die Belohnung<br />
oben: eine unglaubliche Aussicht – und eine Gratis-Talfahrt mit der Seilbahn zurück auf den Boden<br />
der Tatsachen.<br />
Rio de Janeiro’s landmark is an imposing mountain, 396 meters high, impenetrable granite, a paradise<br />
for ambitious rock climbers on one side. Sugarloaf’s other side, which is seldom seen in photos, is<br />
much flatter, so one can reach the peak with a bit of alpine-climbing experience. »Just a bit further<br />
on and you’ll find a trail that leads you straight to the top. You don’t need any ropes. No problem!«<br />
say the sport climbers, preparing their gear at the foot of the mountain. Thirty minutes later that<br />
»no problem« gets put into perspective. For a short distance the path turns into a steep wall. It goes<br />
virtually straight up for about 20 meters. Let’s wait for the next mountain-climbing group with a<br />
rope—and tie up. The reward is at the top: an unbelievable view—and a free ride with the cable car<br />
back to the facts on the ground.<br />
Day Four<br />
For breakfast I manage to consume two<br />
and a half joelhos. Cure for a hangover!<br />
Again, I had stayed out late at the Copa.<br />
»Tudo bem?« asked the caipirinha hawker.<br />
»Tudo!« I said. And I was already holding<br />
the fi rst drink of the day in my hand.<br />
Several more followed, and talk about<br />
women and soccer. Oh fabulous Rio! But<br />
today I am keeping my distance from the<br />
beaches—sunburn. I want to go down-<br />
town, to Café Colombo, reportedly the<br />
most beautiful café in town, where literati<br />
and intellectuals meet. But the narrow<br />
streets with rows of tall buildings in the<br />
centre of town seem empty. Did I miss the<br />
apocalypse? No—it’s Sunday. In Rio: beach<br />
day. I wait expectantly for a tumbleweed<br />
to roll across my path, for Gary Cooper to<br />
appear and challenge a German »redskin«<br />
to a duel. But no such luck. Th ere’s no<br />
choice—I have to go to the beach.<br />
Fünft er Tag<br />
Zum Frühstück trinke ich Kamillentee. Ich<br />
habe das Gefühl, die Joelhos der letzten<br />
Tage haben sich mit den Caipirinhas der<br />
letzten Nächte zu einer unseligen Magenmischung<br />
verbunden – Rio-Beton. Nichts<br />
geht mehr. Meine Haut brennt, mein Kopf<br />
ist eine leuchtend rote Boje. Vielleicht mor-<br />
gen wieder: Tudo beleza! Alles bestens!<br />
Day Five<br />
For breakfast, I drink camomile tea. I have<br />
the feeling that all those joelhos I’ve con-<br />
sumed over the past few days have com-<br />
bined with the caipirinhas of the past few<br />
nights to form an unholy union in my gut:<br />
Rio-concrete. Nothing is working right.<br />
My skin is burning, my head is a glowing<br />
red buoy. Maybe tomorrow. Tudo beleza!<br />
All the best!<br />
diary 05
06 world of air<br />
Auf einen Blick: die Länder, aus denen<br />
air in dieser Ausgabe berichtet<br />
At a Glance: Th e Countries air Visited in<br />
Th is Issue<br />
5<br />
Impressum Imprint<br />
Herausgeber // Publisher<br />
1<br />
Blue Wings AG, Th eodor-Heuss-Ring 4, D-46397 Bocholt<br />
(www.bluewings.com), air erscheint im V8 Verlag // air<br />
is published by V8 Verlag<br />
Chefredaktion // Editor-in-Chief<br />
(verantwortlich // executive) Frank Lorentz, Antonia Loick<br />
Textchef // Copy Editor<br />
Jan Kirsten Biener<br />
Autoren dieser Ausgabe // Contributors to this edition<br />
Claudio Gutteck, Barbara Höfl er, Britta Petersen,<br />
Tillmann Prüfer, Isabel Quell, Benedikt Sarreiter, Inga<br />
Schneider, Christina Schott, Emil Th raker, Anika Weiss<br />
Gestaltung // Design<br />
Jürgen und ich, www.juergenundich.de<br />
Übersetzung // Translation<br />
Anika Weiss, Toby Axelrod<br />
Lektorat // Proofreading<br />
Sebnem Yavuz (deutsch), Holly Crawford (english)<br />
3<br />
6<br />
2<br />
8<br />
10<br />
4<br />
Fotos // Photos<br />
7<br />
11<br />
Roderick Aichinger, Guy Burgel, Corbis, Gettyimages,<br />
laif, Sebastian Pfütze, Przemyslaw Pokrycki, Joel<br />
Sternfeld, Wolfgang Zurborn<br />
Herausgeber und Redaktion haben sich bis Produktionsschluss<br />
intensiv bemüht, alle Inhaber von<br />
Abbildungsrechten ausfi ndig zu machen. Personen<br />
und Institutionen, die möglicherweise nicht erreicht<br />
wurden und Rechte an verwendeten Abbildungen<br />
beanspruchen, werden gebeten, sich nachträglich mit<br />
der Redaktion in Verbindung zu setzen.<br />
Th e publishers and editors have made every eff ort to locate<br />
copyright owners before going to press. People and<br />
institutions who were not approached and claim rights<br />
to images utilized, should contact the editors.<br />
12<br />
Illustrationen // Illustrations<br />
Jürgen und ich, www.juergenundich.de<br />
Litho // Lithography<br />
Zebramedia, Köln, www.zebramedia-koeln.de<br />
9<br />
01 Brasilien Brazil (Zahl der offiziell registrierten<br />
Fußballvereine Number of<br />
officially registered football clubs: 29.208)<br />
02 Frankreich France (20.062)<br />
03 Spanien Spain (18.190)<br />
04 Russland Russia (14.329)<br />
05 USA USA (9.000)<br />
06 Schottland Scotland (6.727)<br />
07 Indien India (6.540)<br />
08 Polen Poland (5.891)<br />
09 China China (2.221)<br />
10 Ägypten Egypt (608)<br />
11 Malaysia Malaysia (110)<br />
12 Vietnam Vietnam (35)<br />
Die meisten Clubs gibt es in England: 42.490<br />
England has the most clubs: 42,490<br />
Quelle Source: Weltfußballverband FIFA FIFA<br />
World Soccer Association<br />
Anzeigen // Advertising sales<br />
LuxxMedien, Th omas Brumloop, Ellerstraße 32,<br />
53119 Bonn, Tel.: +49 (0) 228.68831411,<br />
Fax: +49 (0) 228.68831429, brumloop@luxxmedien.de,<br />
www.luxx-medien.de<br />
Druck // Printing<br />
Buersche Druckerei Neufang KG, Gelsenkirchen<br />
Vertrieb // Distribution<br />
IPS Pressevertrieb GmbH, Meckenheim<br />
Redaktionsanschrift // Editorial offi ce<br />
V8 Verlag GmbH, Mohrenstraße 2, D-50670 Köln,<br />
Tel. +49 (0)221.9984836/-37, info@v8-verlag.de,<br />
www.v8-verlag.de<br />
© V8 Verlag<br />
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08 questions & answers<br />
auf dem Schirm: Russland,<br />
Vietnam, Frankreich<br />
On the screen this time: Russia,<br />
RADARDiesmal<br />
Vietnam, France<br />
Russland Russia<br />
Wer braucht ein Auto, das fl iegen kann, Herr Begak?<br />
Who needs a car that can fl y, Mr. Begak?<br />
Alexander Begak, 35, ist Absolvent des Moskauer<br />
»Aviation Institute« und Gründer von<br />
»Scarab Aviation Labs« mit Sitz im südrussischen<br />
Pyatigorsk. Seit 2000 arbeitet Begak<br />
– Flug-Fan von Kindesbeinen an – an der<br />
Entwicklung eines fliegenden Autos. 2007<br />
präsentierte er das Modell »Evolution«. Die<br />
Nachfrage wächst.<br />
Alexander Begak, 35, is a graduate of the<br />
Moscow Aviation Institute and founder of<br />
Scarab Aviation Labs, based in the southern-Russian<br />
city of Pyatigorsk. Since 2000,<br />
Begak—a fan of flying from an early age—has<br />
been working on the design of a flying car.<br />
He presented his »Evolution« model in 2007.<br />
Demand is growing.<br />
Herr Begak, wie kommt man dazu, ein fl ie-<br />
gendes Auto zu bauen? Ich liebe Paraglei-<br />
ter und war diese hässlichen, dreirädrigen<br />
Paramotoren – also Gleiter mit Motoren<br />
– leid. Ich dachte: Warum können das keine<br />
ästhetisch ansprechenden, sicheren Fahrzeuge<br />
sein?<br />
Mr. Begak, what prompted you to create a<br />
fl ying automobile? I love paragliders and<br />
couldn’t stand those ugly three-wheeled<br />
paramotors—gliders with motors. I asked<br />
myself, why couldn’t this kind of vehicle be<br />
both aesthetically pleasing and safe?<br />
Ihre Mobile – »Begalets« genannt – sehen<br />
tatsächlich schick aus. Wie steuert man<br />
die? Wie einen Paragleiter. Für den Antrieb<br />
sorgen Benzinmotoren, die PS-Zahl hängt<br />
vom Gewicht des Fahrers ab.<br />
Your vehicles—called »Begalets«—really do<br />
look classy. How do you steer them? Just<br />
like a paraglider. Th e motor runs on gasoline;<br />
output depends on the weight of the<br />
driver.<br />
Gibt es ein Gewicht, das der Pilot nicht überschreiten<br />
sollte? Sie sollten vielleicht nicht<br />
mehr als 120 Kilo wiegen. Aber letztlich ist<br />
das nicht wirklich ein Problem. Wir haben<br />
verschiedene Kabinengrößen im Angebot.<br />
Is there a maximum weight for a pilot? Th at<br />
would be about 120 kilograms. But actually<br />
it’s not really a problem. We off er cockpits<br />
of diff erent sizes.<br />
Das Begalet kann fl iegen, fahren – auch<br />
auf Schnee – und sogar schwimmen. Wer<br />
braucht so etwas?<br />
Leute, die alle diese Eigenschaften in einem<br />
haben wollen. Es ist billiger, als Flieger,<br />
Skidoo und so weiter separat zu kaufen.<br />
The Begalet can fly, drive—also on the<br />
snow—and even fl oat. But who would need<br />
all that? People who want everything in<br />
one. It’s cheaper than buying an aircraft,<br />
a Skidoo and so on.<br />
Sie bieten verschiedene Modelle an. Wie<br />
viele haben Sie schon verkauft? Der Anfang<br />
ist hart. Aber die Reaktionen der Öff entlich-<br />
keit, als wir Evolution auf der MAKS-Luft-<br />
fahrtshow in Moskau präsentierten, haben<br />
gezeigt, dass unsere Entwicklung einiges<br />
Verkaufspotenzial hat. Wir haben inzwi-<br />
schen Anfragen aus der ganzen Welt.<br />
You are off ering several models. How many<br />
have you sold by now? Th e beginning is<br />
tough. But the public reaction to the Evolution<br />
when we introduced it at Moscow’s<br />
MAKS Airshow convinced us that our invention<br />
had some sales potential. And since<br />
then we’ve had international inquiries—<br />
from Brazil to Taiwan.<br />
Braucht man eine Pilotenlizenz? Im<br />
Allgemeinen ja. Zurzeit gilt: Man<br />
darf nicht höher als 300 Meter<br />
fl iegen und muss gesperrte<br />
Lufträume meiden.<br />
Do you need a pilot’s<br />
license to fly one?<br />
Generally speaking,<br />
yes. Currently,<br />
you<br />
can’t go higher than 300 meters and you<br />
have to avoid restricted airspace.<br />
Ihr spektakulärster Trip? In der Regel entfernen<br />
wir uns nicht weit von der Region meines<br />
Heimatorts Pyatigorsk und den Yutza-Bergen,<br />
dem Mekka für russische Paragleiter. Der<br />
Versuch, von St. Petersburg nach Moskau zu<br />
fl iegen, war nur ein halber Erfolg: Damals<br />
hatten wir nicht genug Geld für einen neuen<br />
Motor, und die gebrauchte Maschine, die wir<br />
erworben hatten, gab nach der Hälfte der Stre-<br />
cke den Geist auf – ungefähr 460 Kilometer<br />
vom Startpunkt entfernt.<br />
Your own most spectacular journey? We<br />
don’t usually go far from the region of my<br />
homeland, Pyatigorsk, and the Yutza Mountains—the<br />
Mecca for Russian paragliders.<br />
Our attempt to fl y from St. Petersburg to<br />
Moscow was only partly successful. We<br />
didn’t have enough money at the time for<br />
a new motor, and the used engine that we‘d<br />
procured gave up the ghost after half the<br />
trip—about 460 kilometers into the jour-<br />
ney.<br />
Benutzen Sie das Begalet auch privat, etwa<br />
um einkaufen zu fahren? Ja, manchmal, ob-<br />
wohl ich auch ein normales Auto habe. Ich<br />
fahre mit Evo zum nächsten Supermarkt,<br />
um Verpfl egung für unsere Mitarbeiter zu<br />
holen. Das erregt immer großes<br />
Aufsehen.<br />
Do you use the Begalet your-<br />
self, for example, to go shop-<br />
ping? Yes, sometimes, but<br />
I also have a normal car. I<br />
take the Evo to the nearest<br />
supermarket when our staff<br />
needs supplies. And it always<br />
causes a stir.<br />
http://aerolab.ru/eng<br />
Interview: Antonia Loick<br />
Photos: Scarab Aviation Labs, Corbis
Vietnam Vietnam<br />
Warum darf man in Vietnam seinen Hamster nur<br />
noch heimlich streicheln, Herr Frogier? Why do<br />
you have to pet your hamster secretly in Vietnam,<br />
Mr. Frogier?<br />
Das chinesische Jahr der Ratte hat einen<br />
Hamsterboom in Vietnam ausgelöst – zum Ärger<br />
der Regierung, die den Besitz und Verkauf<br />
von Hamstern seit März mit einer Geldstrafe<br />
von 30 Millionen Dong (1.200 Euro) ahndet,<br />
fast das Doppelte des durchschnittlichen Jahreseinkommens<br />
in Vietnam. Was geht da vor?<br />
Ein Gespräch mit David Frogier de Ponlevoy,<br />
31, Mitarbeiter beim Radiosender »Voice of<br />
Vietnam« in Hanoi.<br />
The Chinese year of the rat has triggered a<br />
hamster boom in Vietnam—to the consternation<br />
of the government, which initiated a fine<br />
of 30 million Dong (1,200 Euro) for possession<br />
and sale of hamsters. This is almost twice<br />
the average annual income. What’s going<br />
on? air talked to David Frogier de Ponlevoy,<br />
31, who works at the radio station »Voice of<br />
Vietnam« in Hanoi.<br />
Herr Frogier, haben Sie Ihren Hamster<br />
schon entsorgt? Nein, ich habe zum Glück<br />
keinen. In der Tat hat man in Hanoi bis<br />
zum Verbot aber viele junge Leute gesehen,<br />
die kleine Hamsterkörbe mit sich<br />
herumtrugen. So eine Art der Haustierhaltung<br />
hat in Vietnam eigentlich gar keine<br />
Tradition. Viele Leute haben Singvögel in<br />
Volièren vor dem Haus, aber vierbeinige<br />
Wuscheltiere sind wirklich eine neumodische<br />
Erscheinung.<br />
Mr. Frogier, have you disposed of your<br />
hamster yet? No, luckily I don’t have one.<br />
Before the ban you did, in fact, see a lot<br />
of young people carrying small hamster<br />
cages. Th at way of keeping pets isn’t re-<br />
ally traditional in Vietnam. Many people<br />
keep songbirds in aviaries in front of their<br />
houses, but four-legged cuddle animals are<br />
truly a new fad.<br />
Wieso schenkt man sich zum Jahr der Ratte<br />
Hamster – und keine Ratten? Ratten haben<br />
wir hier genug. Die laufen einem auf der<br />
Straße entgegen und sind auch längst nicht<br />
so süß wie Hamster. Außerdem sind Ratten,<br />
Mäuse und Hamster im Vietnamesischen<br />
<strong>ohne</strong>hin eine Soße – alle drei haben den<br />
gleichen Wortstamm, also werden sie in<br />
einen Topf geschmissen. Und so hat sich<br />
eben der Hamster eingebürgert, vor allem<br />
als Valentinsgeschenk. Statt Ameisen.<br />
How come people give each other hamsters<br />
in the year of the rat—why not rats? We<br />
have plenty of rats here. Th ey cross your<br />
path in the street and aren’t nearly as cute<br />
as hamsters. Besides, in Vietnamese, rats,<br />
mice, and hamsters are pretty much the<br />
same thing—all three words have the same<br />
root, so they’re interchangeable. Th at’s why<br />
the hamster became popular, especially as a<br />
Valentine’s Day gift. Instead of ants.<br />
Ameisen? Ja. In kleinen Glasröhrchen.<br />
Aber fragen Sie mich bitte nicht nach dem<br />
Grund.<br />
Ants? Yes. In small glass tubes. But please<br />
don’t ask me why.<br />
In Vietnam gibt es inzwischen so viele<br />
Hamster-Fanclubs wie in Deutschland<br />
»Tokio Hotel«-Fanclubs. Was hat die Regierung<br />
gegen die süßen Tierchen? Es geht<br />
ja vor allem um die illegalen Hamster. Wo<br />
auch immer hier einer ein Geschäft wittert,<br />
blüht schon der Handel. Hamster wurden<br />
zu Tausenden <strong>ohne</strong> veterinäramtliche Kontrolle<br />
importiert, wahrscheinlich aus China.<br />
Die Regierung hatte wohl Angst, dass sie<br />
irgendwann ausgesetzt werden und sich<br />
verbreiten und die Ernte fressen.<br />
In Vietnam there are as many hamster fan<br />
clubs by now as »Tokio Hotel« fan clubs<br />
in Germany. What does the government<br />
have against these sweet creatures?<br />
Th is mostly concerns<br />
the illegal hamsters because<br />
Vietnam is an emerging<br />
market that lacks fully<br />
formed retail structures.<br />
Wherever<br />
someone senses a<br />
business opportunity,<br />
commerce<br />
booms instantly.<br />
Hamsters were im-<br />
ported by the thousands without any veterinary<br />
inspections, probably from China.<br />
And the government must have been afraid<br />
that at some point they will be abandoned,<br />
are going to multiply, and could eat the<br />
harvest.<br />
Gab es Hamsterdemos oder Proteste wütender<br />
Teenager? Aber bitte, Proteste gibt<br />
es in Vietnam nicht. Es sei denn, sie sind<br />
erwünscht.<br />
Were there any hamster sit-ins or protests<br />
mounted by angry teenagers? Come on,<br />
there are no protests in Vietnam. Unless<br />
they’re offi cially desired.<br />
Bringen die Leute ihre Hamster nun tat-<br />
sächlich um? Die Vietnamesen machen es<br />
wie immer, wenn ein neues Gesetz kommt:<br />
Man schaut es sich an, überlegt, ob es Sinn<br />
macht, und wenn nicht, dann versucht<br />
man es zu umgehen. Wer seinen Hamster<br />
behalten will, fi ndet einen Weg. Es gibt<br />
sie zu Schwarzmarktpreisen sogar noch zu<br />
kaufen, in den Seitengassen der Märkte.<br />
Do people really kill their hamsters? Th e<br />
Vietnamese do what they always do when<br />
there’s a new law: Th ey check it out, they<br />
see if it makes any sense, and if it doesn’t,<br />
they try to bypass it. Th ose who want to<br />
keep their hamsters fi nd a way. You can<br />
even still buy them at black market prices<br />
in the side alleys of markets.<br />
Interview: Barbara Höfler<br />
questions & answers 09
10 questions & answers<br />
Frankreich France<br />
Warum stirbt Paris, Monsieur Burgel?<br />
Why is Paris dying, Monsieur Burgel?<br />
Die französische Hauptstadt hat ihre beste<br />
Zeit hinter sich, meint der Pariser Geografie-<br />
Professor Guy Burgel. Der Niedergang der<br />
ehemaligen Weltmetropole des schönen Lebens<br />
scheint unausweichlich – und ein Retter<br />
nicht in Sicht.<br />
The French capital is over the hill, says Parisian<br />
geography professor Guy Burgel. The<br />
decline of this former world metropolis of the<br />
beautiful life seems inevitable—and there’s<br />
no knight in shining armor in sight.<br />
Monsieur Burgel, Baudelaire hat gesagt:<br />
»Das alte Paris ist nicht mehr.« Sie sagen<br />
nun: Das Paris der Zukunft wird nicht sein.<br />
Naja, der Titel meines neuen Buches »Stirbt<br />
Paris?« ist ein bisschen provokant. Aber Paris<br />
hat wirklich große Probleme. In krassem<br />
Gegensatz dazu steht das Bild, das alle Welt<br />
von Paris hat: schicke und aufregende Stadt<br />
der Kunst, der Feste, der Tradition und der<br />
Lebensqualität ...<br />
Monsieur Burgel, Baudelaire once said: »Th e<br />
good old Paris is gone.« Now you’re saying:<br />
Th ere will be no Paris in the future. I admit,<br />
the title of my new book, Is Paris Dying?, is a<br />
bit provocative. But Paris really does have<br />
some major problems. Th e image of Paris<br />
around the world stands in sharp contrast<br />
to reality: People still see it as the chic and<br />
exciting city of art, revelry, tradition, and<br />
savoir vivre ...<br />
Laut einer UN-Erhebung immerhin die<br />
zweitbeste Lebensqualität weltweit. Lassen<br />
Sie sich doch nicht täuschen von ein paar<br />
hübschen Haussmann-Fassaden!<br />
According to a UN survey, it still has the<br />
second-best quality of life in the world.<br />
Don’t let yourself be fooled by a few pretty<br />
Haussmann facades!<br />
So wenige sind das doch gar nicht. Sehen Sie,<br />
genau das ist der Punkt: Von außen wird immer<br />
nur das Zentrum von Paris wahrgenommen.<br />
Zwanzig kleine Arrondissements, in denen<br />
aber nur zwei Millionen Menschen leben.<br />
Acht Millionen Pariser leben jedoch jenseits<br />
der Périphérique, der Ringautobahn.<br />
But it’s really not just a few. You see, that’s<br />
my point: From a distance, people only<br />
register the center of Paris. Twenty little<br />
arrondissements, home to only about two<br />
million people. But eight million Parisians<br />
live outside the périphérique, the highway<br />
that loops around the city.<br />
Hat Paris also einfach noch nicht gemerkt,<br />
wie groß es wirklich ist? Genau.<br />
Die Verkehrsplanung ist ungefähr 30 Jahre<br />
im Verzug. Und die Innenstadt nur noch<br />
Bling-Bling. Mit schicken Vorzeigeprojekten:<br />
»Paris de la Fête«, »Paris Plage« und<br />
Fahrrädern, mit denen man die Innenstadt<br />
erkunden kann – während man mit der U-<br />
Bahn nicht einmal von den Banlieues ins<br />
Zentrum kommt. Paris hat den Anspruch,<br />
mit London oder New York zu konkurrieren<br />
– aber niemand hat etwas gemacht.<br />
Die Stadt hat immer gedacht, wenn sie<br />
national unangefochten ist, ist sie es auch<br />
weltweit.<br />
So has Paris never noticed how big it really<br />
is? Exactly. Traffi c planning is about 30 years<br />
behind the times. And the downtown is<br />
one big bling-bling, with chic showcase<br />
projects: »Paris de la Fête,« »Paris Plage,«<br />
and bicycles you can use to explore downtown—when<br />
you can’t even get there by<br />
metro from the suburbs. Paris pretends to<br />
compete with London or New York—but no<br />
one has done anything to live up to this.<br />
Th e city always thought that if no one chal-<br />
lenged this belief at home, no one would do<br />
so abroad, either.<br />
Aber immerhin gibt es jetzt einen groß an-<br />
gelegten Ideenwettbewerb für Architekten<br />
und Stadtplaner. Man löst die Probleme von<br />
Paris nicht durch schicke Gebäude. Über-<br />
haupt sind die meisten Aktionen nur punk-<br />
tuell gezündete Leuchtraketen. In Paris<br />
gibt es keine Konzepte. Man setzt sich<br />
lieber ein Denkmal: Mitterand eine<br />
Bibliothek, Chirac ein Museum...<br />
But anyway, there is now a major idea<br />
contest for architects and urban plan-<br />
ners. You’re not going to solve Paris’s<br />
problems with sexy buildings. Most of<br />
these eff orts are just selectively lit<br />
rocket fl ares. Paris has no<br />
concept. Its planners<br />
prefer to build monu-<br />
ments: for Mitterand a library, for Chirac<br />
a museum...<br />
Immerhin wird Neues gebaut! In Wirklichkeit<br />
hat Paris ein Problem mit Modernität.<br />
Man ist hin und her gerissen zwischen der<br />
Heiligkeit des Alten und den Lockungen des<br />
Neuen. So kommt es zu Endlosstreitereien,<br />
ob hier oder dort jetzt ein Wolkenkratzer<br />
gebaut werden darf oder nicht. Das eigentliche<br />
Problem, dass Paris aus allen Nähten<br />
platzt, bleibt indes ungelöst.<br />
Still, new buildings are going up! Actually,<br />
Paris has a problem with modernity. It is<br />
torn between the sanctity of the old and<br />
the allure of the new, which leads to endless<br />
quarreling about whether a skyscraper<br />
should be permitted to go up here or there.<br />
Th is doesn’t solve the real problem—that<br />
Paris is bursting at the seams.<br />
Sie führen die Probleme in Ihrem Buch ja<br />
zum Glück detailgenau auf. Wird Paris also<br />
vielleicht doch nicht sterben? Wer sollte<br />
Paris denn retten? Wir leben in einem ad-<br />
ministrativen Chaos: ein Bürgermeister<br />
mit einem winzigen Einfl ussgebiet, aber<br />
60 Nachbargemeinden, 1.300 Bürgermeis-<br />
ter im Gebiet der Île-de-France – und ein<br />
nur an einem Glitzer-Paris interessierter<br />
Präsident.<br />
Fortunately, you describe the problem to<br />
a tee in your book. So do you think there’s<br />
a chance to save Paris? Well, who should<br />
rescue her? We’re living in an administra-<br />
tive chaos: Our mayor has infl uence over<br />
a tiny area, but there are 60 neighboring<br />
communities and 1,300 may-<br />
ors in the region of the<br />
Ile-de-France—and<br />
our president is only<br />
interested in a glitzy<br />
Paris.<br />
Interview:<br />
Claudio Gutteck<br />
Photo: Burgel
12 compact travel<br />
Chris und Penny, Bernhardinerzüchter<br />
Chris and Penny, who raise Saint Bernards<br />
1 Zum Haus<br />
In der Bucht von Lerwick ankern drei Öltanker. Hinter ihnen<br />
erheben sich grüne Hügel mit weißen Punkten – Schafe, mehr<br />
als 300.000 gibt es auf Shetland. Links liegt Lerwick, 9.500 Ein-<br />
w<strong>ohne</strong>r, die Hauptstadt. Vom Seafarm-Guesthouse der Andersons<br />
aus kann man sie überblicken. Es gibt keine schönere Aussicht im<br />
nördlichen Großbritannien. Brian Anderson ist der Schafpatron<br />
hier, kennt alles und jeden, kann immer weiterhelfen.<br />
1 At home<br />
Th ree oil tankers are anchored off the Bay of Lerwick. Behind<br />
them rise green hills dotted with white. Th e dots are sheep: Th ere<br />
are more than 300,000 of them on the Shetland Islands. To the<br />
left is Lerwick, the capital, 9,500 residents. You can see it from<br />
the Andersons’ Seafarm-Guesthouse. Th ere is no lovelier view in<br />
northern Great Britain. Brian Anderson is the shepherd here—he<br />
knows everything and everyone, and is always ready to help.<br />
2 An den Tisch<br />
Die Einkaufsstraße von Lerwick mündet in die Hafenstraße. Ir-<br />
gendwann steht man vor dem Tall-Clock-Einkaufszentrum, einem<br />
Siebziger-Jahre-Bau, der einen Schatz birgt – das nördlichste Biobistro<br />
Großbritanniens. Nette Kellnerinnen bringen die besten Alternativen<br />
zu Fish & Chips, dem Grundnahrungsmittel der Shetlands. Durch<br />
die Fenster sind kahle Hügel zu sehen. Gibt es hier Bäume?<br />
Shetland in sechs<br />
Schritten<br />
Th e Shetland<br />
Islands in Six Easy<br />
Steps<br />
Ankommen, unterkommen, runterkommen –<br />
nirgendwo geht das so einfach wie auf den Inseln<br />
im Norden Schottlands. Eine Reiseanleitung<br />
Come, stay, chill out—nowhere better to do this<br />
than on the islands in northern Scotland. Some<br />
tips for travelers<br />
Text: Benedikt Sarreiter _ Photos: Roderick Aichinger<br />
2 At the table<br />
Lerwick’s shopping street empties out into Harbour Street. At<br />
some point you will be standing in front of the Tall Clock shopping<br />
center, a structure from the 1970s that contains a little treasure—<br />
Great Britain’s northernmost bio bistro. Friendly waitresses serve<br />
the best alternatives to fi sh and chips (staple of the Shetlander’s<br />
diet), and through the windows you see bare, green hills. Are<br />
there any trees at all here?<br />
3 Ein Wald!<br />
Eine halbe Stunde von Lerwick entfernt kauert eine Ansamm-<br />
lung von Nadelbäumen im Wind: einer von zwei Wäldern auf<br />
den Inseln – und natürlich: die nördlichsten Großbritanniens.<br />
Drei Förster kümmern sich abwechselnd um die rund 200 Bäume.<br />
Die Stämme sind krumm, die Äste hängen tief, der Wind<br />
bringt sie in Schwingung. Hier könnte man Märchen drehen.<br />
Wo sind die Feen?<br />
3 A forest!<br />
A half hour from Lerwick, a cluster of fi r trees squats in the wind.<br />
It is one of the island’s two forests, naturally the northernmost<br />
in Great Britain. Th ree foresters take turns looking after some 200<br />
trees. Th eir trunks are bent, the branches hang low, and the wind<br />
sends them swinging. A good movie set for a fairytale. Where are<br />
the fairies?
Auf Shetland leben 300.000 Schafe<br />
There are 300,000 sheep living on the Shetland Islands<br />
4 Die Grenzüberschreitung<br />
Immerhin gibt es einen verwunschenen Kapitän. Stuart Hill erlitt<br />
vor sieben Jahren Schiffb ruch vor den Shetlands und wohnt seitdem<br />
allein auf der kleinen Insel Forvik. Captain Calamity, so wird er<br />
genannt, rief vor Kurzem sein eigenes Königreich Forvik aus – es<br />
ist das kleinste Europas. Neue Bürger sind willkommen.<br />
4 Crossing borders<br />
Maybe not fairies, but at least there is an enchanted captain. Seven<br />
years ago, Stuart Hill was shipwrecked off the Shetlands, and since<br />
then has lived alone on the small island of Forvik. Captain Calam-<br />
ity, as he’s called, recently claimed Forvik as his own personal<br />
kingdom—the smallest in Europe. New subjects are welcome.<br />
5 Begleiter fi nden<br />
Ein ständiger Begleiter wäre gut. Aber nicht den hier üblichen<br />
Shetland Shepard, sondern etwas Extravagantes, einen Bern-<br />
hardiner. Chris und Penny haben seit 1994 eine Zucht auf der<br />
Insel Yell. Sie heißt Vikingstar Saint Bernhard’s. Wikinger mit<br />
Bernhardinern – eine abenteuerliche Mischung.<br />
5 Finding a guide<br />
A permanent guide would be good. Not the usual Shetland shep-<br />
herd, but something rather more extravagant: a Saint Bernard<br />
Since 1994, Chris and Penny have had a breeding center on the<br />
compact travel 13<br />
Island of Yell. It is called Vikingstar Saint Bernard’s. Vikings with<br />
Saint Bernards—an adventurous mixture.<br />
6 Hängen bleiben<br />
Viele Shetlander glauben, sie seien norwegischer Abstammung,<br />
im Grunde also Wikinger. Vor ein paar Jahren lag tatsächlich<br />
wieder ein Drachenboot vor Unst. Darauf ein paar Norweger, die<br />
nach Amerika segeln wollten. Die Shetlander freuten sich so über<br />
den Besuch, dass sie mit den Gästen zu trinken begannen. Nach<br />
ein paar Tagen hatten die Norweger ihre Reisekasse versoff en. Sie<br />
mussten heimkehren, das Boot blieb. Man kann es heute in der<br />
Nähe von Baltasound besichtigen.<br />
6 Tripped up<br />
Many Shetlanders believe they are of Norwegian origin—in other<br />
words, descended from Vikings. A few years ago, a Viking ship<br />
actually anchored at Unst. On board were a couple of Norwegians<br />
who hoped to sail for America. Th e Shetlanders were so thrilled<br />
by the visit that they started drinking with their guests. After a<br />
few days, the Norwegians had drunk their entire travel budget.<br />
Th ey had to go home, leaving their boat behind. One can visit it<br />
today near Baltasound.
14 column<br />
Flugversuche (11) Taking Flight (11)<br />
Tillmann Prüfer denkt an frühere Gelage in Flugzeugen und staunt, dass heute viele Passagiere<br />
schon vor dem Start gut gelaunt sind Tillmann Prüfer remembers past revelries on airplanes and<br />
marvels how many passengers today board already in high spirits<br />
A lkohol<br />
im Flieger scheint ein heikles Th ema zu sein. Immer<br />
wieder hört man von schlimmen Ausfällen. In Russland<br />
soll neulich ein Passagier so betrunken gewesen sein, dass er in<br />
10.000 Metern Höhe aussteigen wollte. Ein anderer versuchte, eine<br />
Massenschlägerei anzuzetteln und musste in der Flugzeugtoilette<br />
eingesperrt werden. Nun beschweren sich die Fluglinien – aber<br />
ich muss dazu anmerken: Nirgends wurde ich so zum Trinken<br />
animiert wie in der Flugzeugkabine. Die Tatsache, dass ich heute<br />
kein vom Schnaps zerrüttetes Wesen bin, verdanke ich jedenfalls<br />
nicht der Luftfahrtbranche.<br />
An die Langstreckenfl üge meiner Adoleszenz kann ich mich nur<br />
bruchstückhaft erinnern – weil ich die meiste Flugzeit betrunken<br />
war. Die Fluggesellschaften schenkten zwar keine Cocktails mehr<br />
aus – abfüllen wollten sie einen umso mehr. Schon nach dem Start<br />
sollte ich mehrere Becher Wein zu mir nehmen, dann wurde ich<br />
befragt, ob es auch härtere Spirituosen sein dürften. Das Kalkül war<br />
klar: Ein trunkener Fluggast ist ein müder Fluggast. Und ein müder<br />
Fluggast ist nicht unzufrieden, weil er in den engen Sitzen nicht<br />
schlafen kann. Er schnarcht zufrieden vor sich hin. Der Passagier<br />
nahm das gerne hin, schließlich gehörte Trunkenheit zum <strong>Urlaub</strong><br />
dazu. Und der <strong>Urlaub</strong> konnte nicht früh genug beginnen.<br />
Früher waren Fluggesellschaften geradezu erpicht darauf, ihren<br />
Namen mit Alkohol zu verbinden. Neulich fi el mir an Bord einer<br />
deutschen Airline ein kleines Fläschchen im Getränkewagen der<br />
Stewardess auf. Ein Likör, der den Namen eben dieser Airline trug.<br />
Ich ließ mir erklären, dass es ein Retro-Likör sei, ein Remake eines<br />
Getränkes, das in den sechziger Jahren begehrt war. Damals hatte<br />
die Fluglinie jenen Likör – mit Sekt gemischt – ausgeschenkt. Bald<br />
war er auch im Spirituosenhandel auf dem Boden ein Verkaufs-Hit.<br />
Die Leute über den Wolken galten ja als Jet Set. Und ihren Likör<br />
zu konsumieren bedeutete: trinken wie die Reichen.<br />
Mittlerweile haben sich die Fluglinien darauf verlegt, bequemere<br />
Sitze zu installieren, in denen man besser einschlafen kann.<br />
Dafür gibt es den Alkohol nur noch in geringen Dosen – oder gar<br />
nicht mehr. Das hätte nun das Ende der Bordtrunkenheit sein<br />
können. Leider kam es nicht so. Der Passagier von heute lötet<br />
vor. Mittlerweile sitze ich im Flieger immer wieder neben völlig<br />
besoff enen Passagieren, die schon vor dem Abheben eine halbe<br />
Flasche Jägermeister ihrem Organismus zugeführt haben.<br />
Früher kauften also die armen Alkoholiker im Schnapsladen<br />
Luftfahrt-Likör, um auf die gleiche Weise betrunken zu werden<br />
wie Flugzeugpassagiere. Heute gehen Flugzeugpassagiere in den<br />
Schnapsladen, um auf die gleiche Weise betrunken zu werden<br />
wie arme Alkoholiker. Das muss irgendetwas über unsere Gesellschaft<br />
aussagen. Aber das herauszufi nden, ist nun wirklich<br />
nicht mein Job.<br />
Tillmann Prüfer ist Stil-Chef beim »Zeit«-Magazin »Leben«<br />
I n-fl<br />
ight alcohol consumption appears to be a hot topic. Time<br />
and again, we hear about extreme cases. Recently, a passenger<br />
in Russia apparently was so drunk that he tried to disembark at<br />
10,000 meters. Another tried to incite a riot and had to be locked<br />
in the onboard lavatory. Th e airlines are complaining—but I really<br />
feel obliged to comment that there is no place in the world where<br />
one is so encouraged to drink as on board a jet. Th e fact that my<br />
own character remains unscathed by drink is no thanks to the<br />
airline industry.<br />
I only have fragmentary memories of the long-haul fl ights of<br />
my youth—because I was inebriated most of the way. True, airlines<br />
were no longer doling out free cocktails—but they were even more<br />
dedicated to getting their passengers sloshed. Right after takeoff ,<br />
I was urged to have a few glasses of wine; then I was asked if I<br />
wouldn’t like something harder. I think this was the only way<br />
the cognac industry could survive. Th ey pumped hundreds of<br />
litres of the stuff into the bellies of jets. For travellers who were<br />
not yet sedated, there was a small tray next to the lavatory where<br />
one could choose among various little bottles of hard liquor. Th e<br />
plan was clear: A drunken passenger is a groggy passenger. And<br />
a groggy passenger doesn’t complain about having to sleep in his<br />
narrow seat. He simply snores away. Passengers were only too glad<br />
to oblige. After all, being on holiday also meant heavy drinking.<br />
And holidays could not begin too soon.<br />
Airlines even used to be keen on linking their names with alcoholic<br />
drinks. Recently, while travelling on a German airline, I<br />
noticed a little bottle in the fl ight attendant’s drink cart: It was a<br />
bottle of liquor that actually bore the airline‘s name. Th e explana-<br />
tion? Th is was a retro-liquor, a remake of a drink popular in the<br />
60s. Back then, the airline served it mixed with sparkling wine.<br />
It then became a big hit in liquor stores on the ground. After all,<br />
those people above the clouds were considered the »Jet Set.« And<br />
why not drink like the rich?<br />
Today, airlines have taken to installing more comfortable seats<br />
to promote easier sleeping. On top of that, there is very little alcohol<br />
available—sometimes none at all. All that could have signalled<br />
the end of on-board drunkenness. But unfortunately this was not<br />
the case. Today’s passenger checks into the bar beforehand. Th ese<br />
days, I fi nd the person seated next to me to be completely drunk,<br />
probably having downed half a bottle of Jägermeister before takeoff ,<br />
as if afraid to experience a fl ight sober.<br />
Once upon a time, destitute alcoholics used to pick up airplane<br />
alcohol in liquor stores, just to get drunk the way airline passengers<br />
did. Now, airline passengers head for the liquor stores to get drunk<br />
just like down-and-out alcoholics. Th at must say something about<br />
our society. But it’s really not my job to fi nd out what that is.<br />
Tillmann Prüfer is style editor for Zeit’s magazine, »Leben«
�����������������������<br />
www.dw-world.de
16 travel
Mitten hindurch strömt der Nil:<br />
Kairo, Zentrum<br />
The Nile meanders through the city:<br />
Downtown Cairo<br />
Die monumentale Stadt<br />
Th e Monumental City<br />
Eine Entdeckungstour durch Kairo A journey of discovery through Cairo<br />
travel 17
18 travel<br />
Kairo beeindruckt in jeder Hinsicht. Am Rand von Ägyptens Hauptstadt entstehen Siedlungen<br />
für Hunderttausende. Millionen von Menschen leben auf Friedhöfen. Die Pyramiden sind so<br />
groß, dass sie auf kein Bild passen. Die Oase und das berühmte Alexandria sind ganz nah. Nur<br />
Hamed, der Reiseleiter, hat an allem etwas auszusetzen<br />
Cairo is impressive from every angle. At the edge of Egypt’s capital, one fi nds settlements with<br />
hundreds of thousands of inhabitants. Millions of people live in cemeteries. Th e pyramids are<br />
so large that a camera lens cannot frame them all. Th e oasis and famous city of Alexandria are<br />
close by. Only Hamed, the tour guide, complains about everything<br />
Text: Frank Lorentz _ Photos: Sebastian Pfütze<br />
Es ist ein Wunder, dass wir noch leben«,<br />
rief Hamed, unser ägyptischer Führer.<br />
Gerade waren wir zur Mittagszeit im Basar<br />
in Alt-Kairo an einem Stand mit schwarzen<br />
Oliven vorbeigekommen. »Das sind grüne<br />
Oliven, mit Schuhcreme eingeschmiert«,<br />
behauptete er. »Schwarze verkaufen sich<br />
besser – und wer keine hat, färbt sich welche.<br />
Ob die Leute davon krank werden,<br />
ist dem Verkäufer egal. So ist Kairo!« Am<br />
Nachbarstand lagen auf einem schlichten<br />
Brett rohes Fleisch und Fisch in der prallen<br />
Sonne, wie lange schon, wollte man lieber<br />
nicht wissen. Es war so heiß, dass man<br />
eine Wurst, wenn man sie hätte grillen<br />
wollen, einfach nur in die Luft hätte halten<br />
brauchen.<br />
Hamed, 48, wischte sich den Schweiß<br />
von der Stirn. Und fl uchte weiter, jetzt über<br />
die Korruption in Ägypten. »Du kannst dir<br />
als Deutscher eine amtliche Bescheinigung<br />
ausstellen lassen, dass du der Sohn von Hos-<br />
ni Mubarak bist – wenn du nur genug Geld<br />
I t<br />
is a miracle we’re still alive,« Hamed,<br />
our Egyptian guide, wonders aloud. It<br />
was midday, and we had just passed a stand<br />
with black olives at the bazaar in Cairo’s<br />
old city. »Th ose are green olives covered<br />
in shoe polish,« he contended. »Th e black<br />
ones sell better—and the stands that have<br />
none, invent some. Th e seller doesn’t give<br />
a hoot if people get ill from eating them.<br />
Th at’s Cairo!« At the next stand, raw meat<br />
and fi sh are spread out on a wooden board<br />
under the beating sun; don’t ask for how<br />
long already. It was so hot that you could<br />
grill a sausage in the open air.<br />
Hamed, 48, mopped the sweat from his<br />
brow. And cursed again. Th is time about<br />
the corruption in Egypt. »Even as a German<br />
you can have an offi cial certifi cate produced<br />
stating you are a son of Hosni Mubarak—if<br />
you have enough cash!« Oh, and the noise.<br />
Th e most important car part in Cairo: the<br />
horn! And then there’s the air: You can’t<br />
help thinking that you’re inhaling mas-<br />
fogs up the entire district. »It’s for wiping<br />
out the swarms of mosquitoes and fl ies,«<br />
said Hamed. But we’d never noticed any<br />
mosquitoes or fl ies in all our days here.<br />
»Yeah, but there’s funding designated for<br />
this,« he quipped, removing his perfume<br />
bottle from his pocket again and rubbing<br />
some drops into his hands, as if to disinfect<br />
them. Or maybe to counteract the stink of<br />
exhaust fumes and insecticide. Finally we<br />
arrived at a café. Hamed (»for an Egyptian,<br />
48 is old«) sank exhausted onto a wooden<br />
stool, ordered a water pipe and for the next<br />
quarter hour produced clouds of sweet apple<br />
smoke. And suddenly looked happy<br />
again.<br />
Cairo, Africa’s largest city, is the perfect<br />
vacation spot for someone who feels unchallenged<br />
by the comfortable life of moderation<br />
common in western, developed areas. And<br />
for someone who is looking for monumentality.<br />
Here, 18 million people live in close<br />
proximity and they all have to get along;<br />
hast!« Ach, und der Lärm. Das wichtigste sive amounts of poison with every breath. not just one out of two, but everyone: the<br />
Autoteil in Kairo: die Hupe! Und dann die As if the stink from the old patchwork cars allegedly deceptive olive merchant; the boy<br />
Luft: Bei jedem Atemzug wurde man das were not unpleasant enough, municipal who lazes the day away in the café with<br />
Gefühl nicht los, sich massiv zu vergiften. transport vehicles drive around with odd tea and cigarettes, just like his father and<br />
Als wäre der Gestank der zusammengefl ick- equipment on the loading fl oor, relentlessly grandfather, and who staves off his hunger<br />
ten Altautos noch nicht unangenehm ➾ belching out dense, white smoke, which by gobbling up the local dish of Koshary, ➾
Basar in Alt-Kairo<br />
Bazaar in Old Cairo<br />
travel 19
20 travel
Die Bahn in Kairo hat nur wenige Stationen. Das bevorzugte<br />
Verkehrsmittel ist das Auto<br />
Cairo has very few train stations. Automobiles are the preferred<br />
means of transportation<br />
➾<br />
genug, fuhren städtische Transport-<br />
wagen mit seltsamen Geräten auf der La-<br />
defl äche umher, die unablässig dichten<br />
weißen Rauch ausstießen, der ganze Viertel<br />
komplett einnebelte. »Ein Mittel gegen die<br />
Mücken- und Fliegenplage«, sagte Hamed.<br />
Mücken oder Fliegen hatten wir allerdings<br />
in all den Tagen überhaupt nicht regis-<br />
triert. »Ja, dafür ist Geld da«, spottete er,<br />
zog erneut sein Parfüm-Fläschchen aus der<br />
Tasche und rieb sich die Hände ein, wie um<br />
sie zu desinfi zieren. Vielleicht auch, um<br />
dem Abgas- und Antimückengestank einen<br />
Duft entgegenzusetzen. Schließlich erreich-<br />
ten wir ein Café. Hamed (»mit 48 ist man<br />
als Ägypter alt«) sank erschöpft auf einen<br />
Holzstuhl, bestellte sich eine Wasserpfeife<br />
und produzierte die nächste Viertelstunde<br />
Wolken von apfelsüßem Rauch. Und wirkte<br />
auf einmal froh.<br />
Kairo, die größte Stadt Afrikas, ist der<br />
perfekte Aufenthaltsort für jeden, der das<br />
Monumentale sucht und den das gemäßigte,<br />
bequeme Leben, wie es in westlich<br />
entwickelten Gegenden nicht selten ist,<br />
unterfordert. 18 Millionen Menschen eng<br />
beieinander, und alle müssen klarkommen,<br />
nicht nur jeder zweite, nein, jeder.<br />
Der angeblich betrügerische Oliven-<br />
➾<br />
➾<br />
Bauer in einem ländlichen Bezirk am Stadtrand<br />
Farmer in a rural district at Cairo’s fringes<br />
rice with noodles, lentils and tomato<br />
sauce, from a plastic bowl; the drink seller<br />
who fi lls earthenware jugs with water and<br />
then strings them up under the sun so as<br />
to purify the water; the woman who wears<br />
a head scarf not for religious reasons but to<br />
hide the fact that she is too poor to do her<br />
hair (and, they say, modest-looking women<br />
have better luck with men); the mother who<br />
lives with her daughter in front of the basement<br />
window of a little house in old Cairo<br />
that once was home to a sheikh, whose ghost<br />
reportedly still lives there. Cairo has many<br />
such holy sites for pilgrims and it is a ritual<br />
to ask the sheikh for help, if your daughter<br />
is still without a husband, if you are ill or if<br />
your apartment has become too cramped.<br />
❊ ❊ ❊<br />
And a little intervention would be good for<br />
Cairo. During our attempt to talk with the<br />
two owners of »Café Riche« about ways of<br />
living and surviving in the big city, all we<br />
heard was: »Th at’s how Cairo was, once<br />
upon a time. Today you can only fi nd it here,<br />
in our café! If you go out, you are in Saudi<br />
Arabia. Investors from the Gulf States rule<br />
the street, putting up their ugly buildings<br />
everywhere!« Th e café celebrates its 100th<br />
anniversary in 2008 and for decades has been<br />
considered the meeting place for artists,<br />
politicians and intellectuals. Nobel Prize-<br />
winning writer Nagib Mahfuz of Cairo,<br />
who died in 2006, sat here every morning<br />
from 8:30 to 9 for 40 years, ordering two<br />
espressos and drinking only half of each,<br />
the owners recall.<br />
Some escape into nostalgia. Others are<br />
satisfi ed with a place to stay at the cemetery.<br />
Like Ezath, one of two million people who<br />
actually live in the Bab El Gafi er cemetery,<br />
south of Cairo on a hillside citadel. For ten<br />
kilometers in each direction, one sees only<br />
sand-colored sepulchers that the relatives<br />
of the dead have turned into apartments,<br />
sometimes even with more than one fl oor<br />
neatly added on. Illegal structures, of course,<br />
but the cemetery is like a developed city. It<br />
is crisscrossed with asphalt streets and bus<br />
stops; there is running water and electricity.<br />
Th e city sighs and closes its eyes. Reportedly,<br />
no one pays rent.<br />
Ezath, 38, married with four children,<br />
was born at the cemetery and will never<br />
leave it, not in life and certainly not in death.<br />
»My family has lived here for 80 years,« he<br />
said. »In the morgue under our house are<br />
30 relatives.« We sat in a silent garden<br />
travel 21<br />
➾
22 travel<br />
➾<br />
verkäufer. Der Junge, der den Tag im<br />
Café vertrödelt mit Tee und Zigaretten,<br />
genau wie der Vater und Großvater, und<br />
gegen den Hunger aus einer Plastikschale<br />
das landestypische Koschary futtert, Reis<br />
mit Nudeln, Linsen und Tomatensoße. Der<br />
Getränkehändler, der Wasser in Tonkrüge<br />
füllt, die er dann in der Sonne aufreiht, weil<br />
so das Wasser gereinigt wird. Die Frau, die<br />
ihr Kopftuch nicht aus religiösen Gründen<br />
trägt, sondern um zu verschleiern, dass<br />
sie zu arm ist, um sich die Haare zu pfl egen<br />
(außerdem, sagt man, hätten züchtig<br />
aussehende Frauen bessere Chancen bei<br />
den Männern). Die Mutter, die sich mit<br />
ihrer Tochter vor dem Souterrainfenster<br />
eines Häuschens in Alt-Kairo niederlässt,<br />
in dem einst ein Scheich wohnte, dessen<br />
Geist immer noch dort leben soll. Es gibt in<br />
Kairo viele solcher Pilgerstätten, und es ist<br />
ein Ritual, den Scheich um Hilfe zu bitten,<br />
wenn die Tochter immer noch keinen Mann<br />
gefunden hat, wenn man krank oder die<br />
Wohnung zu eng geworden ist.<br />
❊ ❊ ❊<br />
Beistand kann auch Kairo gebrauchen. Bei<br />
unserem Versuch, mit den beiden Betreibern<br />
des »Café Riche« über die Möglichkeiten des<br />
20 Kilometer von Kairo entfernt hat ein<br />
ägyptischer Geschä� smann die Luxus-Stadt<br />
»Dreamland« gebaut. Funkmasten sind hier<br />
als Palmen verkleidet<br />
20 kilometers from Cairo, an Egyptian<br />
businessman created a luxury city—<br />
»Dreamland.« Radio towers here are<br />
disguised as palm trees<br />
Lebens und Überlebens in der Megastadt<br />
zu sprechen, bekamen wir nur zu hören:<br />
»Kairo, das war einmal. Das gibt es nur<br />
noch hier, in unserem Café! Wenn du rausgehst,<br />
bist du in Saudi-Arabien. Draußen<br />
regieren die Investoren aus den Golf-Staaten<br />
und stellen überall ihre hässlichen Bauten<br />
hin!« Das Café feiert 2008 hundertjähriges<br />
Bestehen und gilt seit Jahrzehnten als der<br />
Treff punkt von Künstlern, Politikern und<br />
Intellektuellen. Nagib Mahfuz, der 2006 ver-<br />
storbene Kairoer Literaturnobelpreisträger,<br />
saß hier 40 Jahre lang jeden Morgen von<br />
halb acht bis neun, bestellte zwei Espressos<br />
und trank aber, wie sich die Betreiber<br />
erinnern, jeden nur halb.<br />
Die einen fl üchten sich in Nostalgie. An-<br />
dere sind schon zufrieden, auf dem Friedhof<br />
eine Bleibe zu haben. Ezath zum Beispiel,<br />
einer von tatsächlich zwei Millionen Bewoh-<br />
nern des Friedhofs Bab El Gafi er, unterhalb<br />
von Kairos auf einer Anhöhe gelegenen Zi-<br />
tadelle. Zehn Kilometer in jede Richtung<br />
nichts anderes als sandfarbene Grabstät-<br />
ten, die sich die Angehörigen der Toten zu<br />
Wohnhäusern, teils sogar mehrstöckigen,<br />
zurechtgezimmert haben. Illegale Bauten,<br />
sicher, dennoch ist der Friedhof erschlossen<br />
wie eine Stadt. Asphaltstraßen mit<br />
➾<br />
➾<br />
with high walls, among palm, mango,<br />
date and olive trees. Th e garden was part of<br />
an imposing mausoleum built in 1930 for a<br />
pasha. Ezath guarded the gravesite. He also<br />
watched over adjacent, much more modest<br />
resting places. He had inherited the job from<br />
his father.<br />
»What exactly do you watch for?«<br />
»You have to make sure that no strangers<br />
sneak in and bury their dead. Th ere is no more<br />
room in Cairo, not even for the dead.«<br />
He took a drag from the stump of a ciga-<br />
rette, let it drop, stepped on it with his<br />
slippers and lit another. His ten-year-old<br />
daughter, Dunia, ran over, off ered some<br />
grapes and looked skyward: a jet was approaching<br />
the runway.<br />
»Do you know what you want to be when<br />
you grow up, Dunia?,« we asked.<br />
»A stewardess!«<br />
»Th e children want to move out,« said<br />
Ezath softly, taking another drag. »At night<br />
they are afraid of evil spirits. But basically life<br />
here is not bad. In the city, people live much<br />
too closely together and become aggressive.«<br />
❊ ❊ ❊<br />
About 75 million people live in Egypt;<br />
another million are added every ten<br />
➾
Straßenszene in einer der neuen Wohnsiedlungen am Stadtrand<br />
Street scene in one of the new housing settlements on the edge of Cairo<br />
travel 23
24 travel<br />
➾<br />
Bushaltestellen führen mitten hin-<br />
durch, es gibt fl ießendes Wasser und Strom.<br />
Der Staat drückt resigniert die Augen zu.<br />
Miete, heißt es, zahlt niemand.<br />
Ezath, 38, verheiratet, vier Kinder, wur-<br />
de auf dem Friedhof geboren und wird ihn<br />
wohl nie verlassen, im Leben nicht und im<br />
Tod auch nicht. »Meine Familie lebt hier seit<br />
80 Jahren«, sagte er. »In der Totenkammer<br />
unter unserem Haus liegen 30 Verwandte.«<br />
Wir saßen in einem stillen, hoch ummau-<br />
erten Garten, in dem Palmen, Mango-,<br />
Dattel- und Olivenbäume wuchsen. Der<br />
Garten gehörte zu dem imposanten, 1930<br />
erbauten Grabhaus eines Paschas. Ezath<br />
war der Wächter dieses Grabs. Er bewachte<br />
auch die anliegenden, weitaus schlichteren<br />
Ruhestätten. Den Beruf hatte er von seinem<br />
Vater übernommen.<br />
»Was genau bewachst du?«<br />
»Man muss aufpassen, dass keine Fremden<br />
eindringen und Leichen begraben. Es<br />
gibt keinen Platz in Kairo, nicht mal für<br />
die Toten.«<br />
Er zog am Stummel seiner Zigarette, ließ<br />
sie fallen, trat sie mit dem Badeschlappen<br />
aus und steckte sich eine neue an. Seine<br />
Ezath, 38, Friedhofsbew<strong>ohne</strong>r, mit einem seiner Söhne<br />
Cemetery dweller Ezath, 38, with one of his sons<br />
zehnjährige Tochter Dunia trat herbei,<br />
reichte Weintrauben und schaute zum<br />
Himmel: ein Flugzeug im Landeanfl ug.<br />
»Weißt du schon, was du einmal werden<br />
willst, Dunia?«, fragten wir.<br />
»Stewardess!«<br />
»Die Kinder möchten fort«, sagte Ezath<br />
leise und zog an der Zigarette. »In der Nacht<br />
haben sie Angst vor bösen Geistern. Aber im<br />
Grunde ist das Leben nicht schlecht hier. In<br />
der Stadt hocken die Menschen viel zu eng<br />
zusammen und werden aggressiv.«<br />
❊ ❊ ❊<br />
Rund 75 Millionen Menschen leben in<br />
Ägypten, alle zehn Monate soll eine Million<br />
hinzukommen. Das verlangt nach<br />
alternativen Wohnformen, wie sie – in<br />
wiederum kolossaler Dimension – auch<br />
am Stadtrand von Kairo und etwas außerhalb<br />
anschaulich werden. Dort entstehen<br />
Dutzende neuer Ortschaften, teils mitten<br />
in der Wüste, die kleinsten für 5.000, die<br />
größten für 200.000 Menschen. Häuserfl<br />
uchten zumeist, so dicht aneinanderge-<br />
quetscht, dass sich die Bew<strong>ohne</strong>r durch die<br />
Fenster die Hände schütteln können.<br />
➾<br />
➾<br />
months. So alternative homes are in<br />
demand, as can be seen—once again in co-<br />
lossal dimensions—on the fringes of Cairo<br />
and somewhat outside the city. Dozens of<br />
new communities are rising, some right in<br />
the middle of the desert; the smallest has<br />
5,000 people and the largest 200,000. Mostly<br />
rows of houses, built so close together that<br />
neighbors can shake each others’ hands<br />
through their windows. One of these towns<br />
is called »New Cairo.« But there are also<br />
new ghettos for the super-rich popping<br />
up. Like »Dreamland,« across from New<br />
Cairo, a kind of private luxury city built<br />
by businessman Ahmed Bahgat, with a<br />
golf course, amusement park, a »Dream<br />
Studio,« »Dream Club,« and »Dream TV«<br />
as well as signs with a red x over a horn<br />
(they might at some point be seen throughout<br />
downtown Cairo). Radio towers on the<br />
edge of the community are disguised as<br />
palm trees. Supposedly, Bahgat has not sold<br />
many properties as of yet. By comparison,<br />
Bab El Gafi er is bustling with life.<br />
We met architect Amira El-Rafei at her<br />
offi ce in Zamalek, Cairo’s most coveted dis-<br />
trict. Grand houses, nice restaurants<br />
➾
Basiswissen Kairo<br />
Fortbewegen: Das ideale Fortbewegungsmittel ist das Taxi. Für 50<br />
Ägyptische Pfund (LE), ungefähr 7 Euro, wird man quer durch die Stadt<br />
gefahren und auch bis an die Peripherie.<br />
Essen und trinken: Das Restaurant Abou El Sid – eine in mehreren Vierteln<br />
vertretene Kette – bietet exzellente ägyptische Küche in nettem Ambiente zu<br />
fairen Preisen (z. B. in Zamalek, 157, Straße des 26. Juli, www.deyafa.net).<br />
Das berühmte Café Riche (17, Talaat-Harb-Straße) ist im Sommer 2008<br />
zu einem Restaurant umgebaut worden. Der Treffpunkt für Künstler und<br />
Intellektuelle lohnt allein wegen der Geschichte des Cafés. In den Räumen<br />
wurden viele politische Entscheidungen vorbereitet. Heute ist es wie ein<br />
Museum eingerichtet, an den Wänden hängen Porträts berühmter Gäste.<br />
Im Keller – hinter einer versteckten Drehtür – arbeiteten während der<br />
französischen Besatzungszeit Oppositionelle. Ebenfalls außergewöhnlich<br />
– und besonders beliebt bei jungen Leuten: das »Greek Center«. Einfaches,<br />
sauberes, günstiges Essen auf einer Dachterrasse mitten in Kairo. Nicht-<br />
Mitglieder des Zentrums zahlen geringen Eintritt (The Greek Center of<br />
Cairo, 21, Mahmoud-Bassiouni-Straße, Talaat-Harb-Platz).<br />
Die drei Pyramiden: Das Betreten der größten, der Cheops-Pyrami-<br />
de kostet gesonderten Eintritt (120 LE, 16 Euro; Besichtigungen bis<br />
10 Uhr, dann wieder ab 14 Uhr). Auf das Gelände und in die anderen zwei<br />
Pyramiden darf man für 50 LE (7 Euro). Nicht abschrecken lassen von<br />
Bediensteten, die gerne im Befehlston nach der Eintrittskarte fragen – ein<br />
Trick, um Touristen zusätzliche, unnötige Tickets aufzuschwatzen. Die Kameltreiber,<br />
die Ritte über das Areal anbieten, sind zuweilen schamlos frech<br />
in ihren Honorarvorstellungen. Der Preis für den (an sich schönen) Ritt sollte<br />
30 LE (5 Euro) nicht überschreiten. Manche verlangen 400 LE und spulen die<br />
übliche Tirade ab (Vater gestorben, Kinder krank usw.). Ignorieren!<br />
Ausflüge machen: Mit dem Zug binnen zwei Stunden nach Alexand-<br />
ria. Zugfahren ist günstig, hin und zurück kostet pro Person ca. 50 LE<br />
(7 Euro). Tickets unbedingt einen Tag vorher kaufen. Für Ausflüge etwa zur<br />
Oase Fayoum (den Ort Fayoum meiden, gleich den Karun-See aufsuchen)<br />
empfiehlt sich ein Taxi. Tagespreis ungefähr 600 LE (80 Euro).<br />
Kleine Fakten: Flugzeit nach Kairo: knapp vier Stunden (ab Frankfurt).<br />
Zeitverschiebung: plus eine Stunde (gegenüber MEZ). Unterkunft: Die<br />
großen Hotelketten haben Häuser am Nilufer. Gut und günstig (EZ ab<br />
40 Euro): Hotel Longchamps (21, Ismail-Mohamed-Straße, Zamalek,<br />
www.hotellongchamps.com).<br />
Libya<br />
Mediterranian Sea<br />
Egypt<br />
Alexandria<br />
Al-Fayoum<br />
Oasis<br />
Cairo<br />
Nile<br />
Mt.<br />
Sinai<br />
Israel<br />
Lebanon<br />
Jordan<br />
Saudi Arabia<br />
Cairo: Basic Facts<br />
Getting around: The ideal means of transportation is the taxi. For 50<br />
Egyptian pounds (LE), about 7 Euro, you’ll be driven clear across Cairo,<br />
and even up to the suburbs.<br />
Food: The restaurant »Abou El Sid«—a chain found in several districts<br />
of Cairo—offers excellent Egyptian cuisine in a nice atmosphere at a fair<br />
price (for example, »Zamalek,« 157, at 26 July Street, www.deyafa.net). The<br />
famous »Café Riche« (17, Talaat Harb Street) was turned into a restaurant<br />
in the summer of 2008. This meeting point for artists and intellectuals is<br />
worth visiting just for its history. Many political decisions reportedly were<br />
prepared in its rooms. Today it is decorated like a museum; portraits of<br />
famous guests hang on the walls. In the cellar—behind a hidden revolving<br />
door—members of the Resistance gathered during the period of French<br />
occupation. Also unusual—and particularly beloved by the younger set:<br />
the »Greek Center.« It is simple, spotless, and with reasonably priced<br />
food served on a rooftop terrace in the middle of Cairo. Non-members<br />
pay a minimal entrance fee (»The Greek Center of Cairo,« 21, Mahmoud<br />
Bassiouni Street, Talaat Harb Square).<br />
The three pyramids: There is a separate entrance fee (120 LE, 16<br />
Euro) for Cheops, the largest of the pyramids (open until 10 a.m. and<br />
again after 2 p.m.). Access to the site and the other two pyramids costs<br />
50 LE (7 Euro). Don’t be discouraged by attendants who may ask gruffly<br />
to see your tickets—it’s a trick to get tourists to purchase additional<br />
unnecessary tickets. The camel drivers who offer rides through the site<br />
are sometimes downright brazen in the fees they demand. Such a ride<br />
(which is quite an experience) should not cost more than 30 LE (5 Euro).<br />
Some demand 400 LE and give you the usual sob story (father just died,<br />
children ill, etc.). Ignore them!<br />
Day trips: By train, you are two hours from Alexandria. Rail travel is<br />
cheap—a round trip ticket costs 50 LE (7 Euro). Definitely buy your tickets<br />
a day ahead of time. A taxi is best for trips to such places as the Fayoum<br />
oasis (skip the town of Fayoum and head straight to Lake Qarun). A day<br />
price for a taxi is about 600 LE (80 Euro).<br />
Details: Flight time to Cairo: about four hours (from Frankfurt). Time<br />
difference: add an hour (to Central European Time). Accommodation: The<br />
major hotel chains have branches on the banks of the Nile. A good budget<br />
accommodation is Hotel Longchamps (single rooms start at 40 Euro; 21<br />
Ismail Mohamed Street, Zamalek, www.hotellongchamps.com).<br />
Syria<br />
Iraq<br />
travel 25
26 travel<br />
Junge Ägypterin im Al-Azhar-Park<br />
Young Egyptian woman in Al-Azhar Park<br />
Eudosia Maura Barrios, genannt Cocuyo, vor ihrem Häuschen in der Nähe von Viñales, im Landesinneren<br />
Eudosia Mauro Barrios, known as Cocuyo, in front of her small house close to Viñales in rural Cuba
➾<br />
Einer dieser Orte heißt »New Cairo«.<br />
Aus dem Boden schießen aber auch Ghettos<br />
für Superreiche. Etwa, gegenüber von<br />
Neu-Kairo, »Dreamland«, eine Art private<br />
Luxusstadt des Geschäftsmanns Ahmed<br />
Bahgat, mit Golfplatz, Vergnügungspark,<br />
»Dream Studio«, »Dream Club«, »Dream<br />
TV« sowie Schildern, auf denen zwei rote<br />
Balken eine Hupe durchkreuzen (die sollten<br />
mal fl ächendeckend in Kairos Innenstadt<br />
aufgestellt werden). Die Funkmasten am<br />
Siedlungsrand sind als Palmen verkleidet.<br />
Sonderlich viele Objekte verkauft haben soll<br />
Bahgat bisher nicht. Auf dem Friedhof Bab<br />
El-Gafi er tobte im Vergleich das Leben.<br />
Wir trafen die Architektin Amira El-Rafei<br />
in ihrem Büro in Zamalek, dem begehrtesten<br />
Viertel von Kairo. Herrschaftliche Häuser,<br />
nette Restaurants, und um die Ecke, wo die<br />
vielen Polizisten wachen, residiert Gamal Mu-<br />
barak, Sohn des Präsidenten und wohl auch<br />
dessen Nachfolger. El-Rafei, spezialisiert auf<br />
Interior Design für Luxusanwesen, lebte zwei<br />
Jahrzehnte im Ausland, in Tunesien, Bahrein<br />
und Paris. Dann sei das Heimweh zu groß<br />
geworden. »Ich habe den Blick auf den Nil<br />
vermisst, wie ich ihn hier im Büro habe.«<br />
»Frau El-Rafei, was bedeutet Luxus in<br />
Kairo?«<br />
Polizist in Kairos berühmtem Café El Fishawy<br />
Policeman in Cairo’s famous Café El Fishawy<br />
»Wir arbeiten vor allem für Geschäfts-<br />
leute. Die kennen alle das Four Seasons – und<br />
möchten genauso w<strong>ohne</strong>n. Sie wünschen<br />
Marmor und Mahagoni. Man kann sagen:<br />
Je mehr sie reisen, umso besser wird ihr<br />
Geschmack. Allmählich wird er sophisti-<br />
cated.«<br />
»Tut es Ihnen weh, zu sehen, wie eng –<br />
mitten in der Wüste, wo Platz genug wäre<br />
– die neuen Häuser für die weniger Wohlhabenden<br />
gebaut werden?«<br />
»Ja, das tut weh. Man versucht, auf wenig<br />
Raum maximalen Profi t zu machen.«<br />
Sie legte einen Stapel Skizzen auf den<br />
Tisch. Zuoberst der Bauplan des Anwesens<br />
eines Herrn Farouk: drei Etagen, Billard-<br />
zimmer, Swimmingpool, und in der Garage<br />
hatte der Zeichner schon mal drei Autos<br />
geparkt. Darunter die Villa eines Herrn<br />
Shawky – mit vier abgestellten Wagen.<br />
»Die Tendenz«, sagte Frau El-Rafei, »ist<br />
klar: Live big.«<br />
❊ ❊ ❊<br />
Erschlagen von der städtebaulichen Monu-<br />
mentalität, wendeten wir uns der Freizeit-<br />
gestaltung zu – die allerdings zu weiteren<br />
Begegnungen mit Monumentalität führte.<br />
Die Pyramiden von Gizeh, am Rand<br />
➾<br />
➾<br />
and, around the corner, where a bevy<br />
of police congregates, the home of Gamal<br />
Mubarak, son of the president and doubtless<br />
also his successor. El-Rafei, who has<br />
specialized in luxury interior design, spent<br />
two decades living abroad: in Tunisia, Bahrain<br />
and Paris. But then her homesickness<br />
got the better of her. »I missed the view of<br />
the Nile River from my offi ce window.«<br />
»Ms. El-Rafei, how do you defi ne luxury<br />
in Cairo?«<br />
»Our clients are primarily businesspeople.<br />
Th ey all know the Four Seasons—and<br />
want to live that way themselves. Th ey<br />
want marble and mahogany. You might<br />
say that the more they travel, the better<br />
their taste becomes. Gradually they become<br />
sophisticated.«<br />
»Does it bother you to see how closely<br />
together the new houses for the few well-<br />
to-do clients are built—in the middle of the<br />
desert, where there could be more room?«<br />
»Yes, it’s upsetting. Th ey are trying to<br />
make the most profi t they can with the<br />
smallest use of property.«<br />
She puts a pile of sketches on the table.<br />
On top is the fl oor plan for the estate of a<br />
Mr. Farouk: three levels, a billiard room,<br />
a swimming pool, and the garage, in<br />
travel 27<br />
➾
28 travel<br />
Auf einem brach liegenden Gelände etwas außerhalb der südvietnamesischen Metropole treff en sich Familien und junge Paare zum Drachensteigenlassen<br />
On fallow terrain just outside the southern Vietnamese metropolis, families and young couples meet to fl y kites.<br />
Fischer auf dem Karun-See, eine Autostunde südlich der Metropole<br />
Fisherman on Lake Qarun, a one-hour’s drive south from Cairo
Abends am Flussufer in Kairos Innenstadt<br />
Evenings on the riverbank, in downtown Cairo<br />
travel 29
30 travel<br />
Mitten auf dem Nil liegt die »Goldene Insel«. Im Hintergrund die für Kairos Randbezirke typische Wohnhaus-Architektur<br />
The »Golden Island« is situated in the center of the Nile. In the background are apartment buildings in a style typical for Cairo’s outer fringes
travel 31
32 travel
Immer herausgeputzt für Touristen: die Pyramiden von Gizeh<br />
Always dolled up for tourists: the Pyramids of Giza<br />
travel 33
34 travel<br />
In die Wüste gesetzte neue Wohnsiedlung für tausende Menschen<br />
New settlements for thousands of people are popping up in the desert<br />
➾<br />
von Kairo, sind einer der raren Orte,<br />
an denen selbst Scharen von Bustouristen<br />
winzig wirken. Rührend ihr Versuch, die<br />
ungeheuren Bauwerke in Digitalkame-<br />
ras zu zwängen. Bei Außentemperaturen<br />
jenseits der 40 Grad kraxelten wir in die<br />
größte, die Cheops-Pyramide. (Hamed,<br />
der schlaue Fuchs, tat sich das nicht an.)<br />
Erst gebückt durch den Stollen und dann,<br />
auf allen vieren, durch die stickige Röhre<br />
mit 217 Trittleisten, die im 45-Grad-Winkel<br />
hinauff ührt. Sie mündet in einen qua-<br />
derförmigen, anthrazitfarbenen, saunamäßig<br />
temperierten Raum, der auch als<br />
Biennale-Kunstwerk durchginge und in<br />
dem nur ein off enes, steinernes, leeres<br />
Grab steht. Völlig durchgeschwitzt hockten<br />
wir uns anschließend in die Sonne, zum<br />
Abkühlen.<br />
Anderntags schipperten wir mit einem<br />
kleinen Holzboot über den Nil. Null Abgase,<br />
kein Gehupe, nur das Gluckern, wenn<br />
der Steuermann sein Paddel ins Wasser<br />
tunkte. Herrlich. Zur weiteren Entspannung<br />
ließen wir uns im Taxi eine Stunde<br />
lang auf schnurgerader Piste durch die<br />
Wüste kutschieren, zur nächstgelegenen<br />
Oase (Fayoum). An dem riesigen See dort<br />
wären wir sicher länger geblieben –<br />
➾<br />
➾<br />
which the artist already has parked<br />
three cars. Under that fl oor plan is one for<br />
the villa of a Mr. Shawky—with four cars<br />
parked in the drive. »Th e tendency is clear,«<br />
said Ms. El-Rafei: »Live big.«<br />
❊ ❊ ❊<br />
Fed up with urban monumentality, we<br />
turned toward leisure activities—which ulti-<br />
mately led us to further encounters with the<br />
enormous. Th e pyramids of Giza, at the edge<br />
of Cairo, are among the rare monuments<br />
that dwarf even herds of tourists in buses.<br />
It is pathetic how these tourists attempt to<br />
capture these colossal structures in their<br />
digital cameras. With an outdoor temperature<br />
above 40 degrees celsius, we scrambled<br />
into the largest pyramid—Cheops. (Hamed,<br />
the sly fox, did not join us.) First crouching<br />
through the entrance and then on all fours<br />
through the sticky tunnel, we climbed along<br />
a ladder with 217 steps leading up to a 45-degree<br />
corner. It opens up into a rectangular,<br />
anthracite-colored room maintained at a<br />
sauna-like temperature, ready to be perused<br />
like a work of art at a biennial, and containing<br />
only an empty stone grave, lying open.<br />
Completely drenched in sweat, we ended up<br />
squatting in the sun to cool off .<br />
Th e next day, we sailed in a little wooden<br />
boat on the Nile. No car exhaust, no honking<br />
horns; just the gentle splashing as the<br />
helmsman dipped his paddle in the water.<br />
Delightful. For more relaxation still, we<br />
indulged in an hour-long taxi ride straight<br />
through the desert to the next oasis (Fayoum).<br />
We surely would have liked to stay<br />
longer on the great lake there—if we were<br />
writers researching a book on water, sand and<br />
stagnant air. And about how heat can take<br />
the life out of you. By contrast, a refreshing<br />
wind blew in Alexandria (two hours by train<br />
from Cairo). On the beaches, where locals<br />
apparently assumed most Europeans were<br />
hanging out on the other side, in Greece,<br />
we palefaces were the attraction—and stole<br />
the show from the cool beach photographer<br />
Medhat Abdel Hafez, who looked like he had<br />
beamed over from Rio de Janeiro.<br />
On the evening of our last day, we lay<br />
stretched on a luscious, green, well-mown<br />
lawn in Al-Azhar Park, in the center of Cairo.<br />
Hamed was going on, as usual: »Without<br />
a visa we can only go to Sudan and Libya.<br />
It couldn’t be worse!« But at that particular<br />
moment there was no reason to put Egypt<br />
on trial. Th e park, opened in 2005 by the<br />
Aga-Khan Foundation, used to be a co-<br />
➾
Moharam El-Ragheb, General Manager<br />
Moharam El-Ragheb, general manager<br />
Sportlich, sportlich: Ein Besuch im<br />
Jahrhundertclub Al Ahly<br />
Auf dem Schreibtisch von Moharam El-Ragheb, General Manager des<br />
Kairoer Sportvereins Al Ahly, stapeln sich Aktenordner und Papiere.<br />
Zwei Mitarbeiter hocken an dem niedrigen Tisch davor und blättern eilig<br />
Zeitungen durch. Im Regal an der Wand ein Pokal neben dem anderen:<br />
Einer erinnert an ein Fußballspiel aus dem Jahr 2007, Al Ahly gegen CF<br />
Barcelona, den europäischen Renommierclub, Endstand 1:0. Daneben die<br />
Auszeichnung »Afrikanischer Fußballclub des 20. Jahrhunderts«, erhalten<br />
im Jahr 2000 vom Afrikanischen Fußballverband. In einer Ecke, unter dem<br />
Ventilator, die kreisrunde Trophäe des aktuellen Fußballmeisters.<br />
»Bei mir laufen alle Fäden zusammen«, sagt Moharam El-Ragheb, 65,<br />
ehemaliger ägyptischer Meister im Schwimmen über 100 Meter Freistil.<br />
Es sind nicht wenige Fäden. Al Ahly, gegründet 1907, ist nicht nur der<br />
größte Fußballverein Ägyptens (32-facher Meister), sondern einer der<br />
größten Sportvereine Afrikas. Die Mitgliederzahl? »Ungefähr 90.000«,<br />
sagt El-Ragheb. »Zu jedem Mitglied gehört aber im Grunde eine ganze<br />
Familie, so dass wir auf 500.000 kommen.« Eine halbe Million Menschen,<br />
die nicht nur Fußball spielen, sondern sich auf 18 Sportarten verteilen,<br />
darunter Handball und Basketball – auch in diesen Disziplinen ist Al Ahly<br />
ägyptischer Serienmeister.<br />
Vor allem aber für ambitionierte Fußballer ist »Al Ahly Club«, so der<br />
offizielle Name, die Traumadresse. Hier kickte bis 1988 Mahmoud El<br />
Khatib, der Franz Beckenbauer Ägyptens, heute Vorstandsvorsitzender<br />
von Al Ahly. Derzeitiger Star: Mohamed Abo Treka, Torschütze zum<br />
1:0-Endstand im Afrika-Cup-Finale 2008 gegen Kamerun. Wie ein einzelner<br />
Verein derartig erfolgreich sein kann? »Das liegt an den tollen<br />
Sportlern«, sagt El-Ragheb. »Und auch an den Politikern, die helfen, wenn<br />
wir zum Beispiel kurzfristig ein Flugzeug benötigen.« Fußball sei eben<br />
Sportart Nummer eins in Ägypten. Und Ägypten ist die Nummer eins im<br />
afrikanischen Fußball (sechsfacher Afrika-Cup-Sieger).<br />
Aber warum bleiben die afrikanischen Mannschaften bei internationalen<br />
Turnieren regelmäßig hinter den Erwartungen zurück? »Afrika hat tolle<br />
Einzelspieler – aber keine kompakten Mannschaften«, sagt El-Ragheb. »Das<br />
wird sich auch bis zur WM 2010 nicht geändert haben.« Ein Manko sei zudem<br />
die fehlende internationale Bekanntheit. »In Afrika kennt man alle europäischen<br />
Clubs. Aber kennen Europäer einen einzigen Club in Afrika?« lof<br />
Athletic, athletic: A visit to Al Ahly,<br />
club of the century<br />
Files and papers are piling up on the desk of Moharam El-Ragheb, general<br />
manager of Cairo’s Al Ahly sport club. Two staffers crouch at the low<br />
table and hurriedly scan newspapers. Trophies are lined up on shelves<br />
against the wall. One is from a soccer game from 2007: Al Ahly against<br />
CF Barcelona, the European prestige club, final score 1:0. Next to it is<br />
the award to the »African Soccer Club of the 20th Century,« presented in<br />
2000 by the Confederation of African Football. In a corner under a fan is<br />
the circular trophy of the current soccer champions.<br />
»All the threads come together in me,« says Moharam El-Ragheb, 65,<br />
former Egyptian free-style swimming champion in the 100-meter category.<br />
And there are many threads. Al Ahly, founded in 1907, is not only Egypt’s<br />
largest soccer club (32-time winner), but also one of Africa’s largest sport<br />
clubs. How many members does it have? »About 90,000,« says El-Ragheb.<br />
»But every membership also brings an entire family with it, so we estimate<br />
about 500,000.« That’s half a million people who play not only soccer but<br />
also 18 other sports, including handball and basketball—and Al Ahly is<br />
the Egyptian series champion in those two disciplines.<br />
But the »Al Ahly Club,« as it is officially known, is primarily a dream<br />
address for ambitious soccer players. Mahmoud El Khatib, the Franz<br />
Beckenbauer of Egypt, practiced here through 1988; today he is chief<br />
executive officer of Al Ahly. The hottest star nowadays is Mohamed Abo<br />
Treka, goal scorer for the 1:0 end score in the 2008 Africa Cup Final<br />
against Cameroon. How does one club get to be so successful? »It’s all<br />
due to our superb athletes,« says El-Ragheb. »And the politicians who<br />
help out when, for example, we need a jet for a short-notice trip.« After<br />
all, soccer is Egypt’s most popular sport. And Egypt is top in African<br />
soccer (six-time Africa Cup winner).<br />
But why then do African teams regularly fail to match expectations at<br />
international tournaments? »Africa has many terrific individual players—<br />
but no solid teams. And that is unlikely to change by the World Cup games<br />
in 2010,« says El-Ragheb. Another deficit is the lack of international<br />
renown. »In Africa, we know all the European clubs. But do Europeans<br />
know a single club in Africa?« lof<br />
travel 35
36 travel<br />
Einer der fünf Mönche im Armen-Hospital: Thich Tam Chau, 32<br />
One of the fi ve monks at the hospital for the poor: Thich Tam Chau, 32
Gleich ist die Sonne versunken, dann rufen die Muezzine zum Abendgebet:<br />
im Al-Azhar-Park, einer ehemaligen Mülldeponie<br />
No sooner does the sun set, than the muezzins issue their call to evening prayer:<br />
in Al-Azhar Park, which used to be a trash landfi ll<br />
travel 37
38 travel<br />
Strand in Alexandria<br />
Beach in Alexandria
➾<br />
wären wir Schriftsteller gewesen, die<br />
für ein Buch über Wasser, Sand und stehen-<br />
de Luft recherchiert hätten. Und darüber,<br />
wie Hitze eine Existenz bis zur vollkomme-<br />
nen Sorglosigkeit herunterdimmen kann.<br />
In Alexandria (zwei Zugstunden ab Kairo)<br />
wehte dagegen ein erfrischender Wind.<br />
An den Stadtstränden, wo man Europäer<br />
wohl allenfalls gegenüber, in Griechen-<br />
land, vermutete, waren wir Bleichgesich-<br />
ter die Attraktion – und stahlen dem coolen<br />
Beach-Fotografen Medhat Abdel Hafez, der<br />
aussah wie aus Rio de Janeiro herübergebeamt,<br />
die Schau.<br />
❊ ❊ ❊<br />
Am letzten Tag, abends, lagen wir ausgestreckt<br />
auf einer satt grünen, akkurat<br />
gestutzten Wiese im Al-Azhar-Park, mitten<br />
in Kairo. Hamed war wieder kaum zu bremsen.<br />
»Ohne Visum dürfen wir nur nach Sudan<br />
und Libyen. Schlimmer geht’s nicht!«<br />
Dabei gab es in dem Moment gar keinen<br />
Grund, mit Ägypten ins Gericht zu gehen.<br />
Der Park, eröff net 2005 von der Aga-Khan-<br />
Siftung, ein ehemaliger, selbstredend ko-<br />
lossaler Müllberg, ist heute die reine Idylle.<br />
Oben an den Laternen Musikboxen, aus<br />
denen an dem Abend Harfentöne klangen,<br />
dann Beethovens Mondscheinsonate, dann<br />
indisch-arabische Gitarrenvariationen.<br />
Großzügige Wege zum Promenieren. Res-<br />
taurants mit Böden aus Marmor, Alabaster<br />
und Granit. Und vor allem: ein grandio-<br />
ser Rundumblick, auf die Zitadelle, die<br />
Moscheen, die Millionen sandfarbener<br />
Bauten, zunehmend im Dunst verwischt.<br />
Wir betrachteten die Sonne, wie sie im<br />
Häusermeer versank, während um uns<br />
herum Teenie-Paare Händchen hielten<br />
und Frauen, schwarz verhüllt von Kopf bis<br />
Fuß, kichernd Handyfotos voneinander<br />
machten.<br />
Auf einmal stieg von überallher ein Röh-<br />
ren auf, als startete in ganz Kairo ein Motorradrennen:<br />
200 Moscheen, die zugleich<br />
zum Abendgebet riefen. Manche setzten<br />
später ein, dafür in doppelter Lautstärke.<br />
Wir waren wie gelähmt von dieser unerwarteten<br />
Symphonie. Und Hamed? Schüttelte<br />
nur den Kopf: »Da will wieder ein Muezzin<br />
den anderen übertrumpfen.«<br />
➾<br />
lossal mountain of trash. Now it is a<br />
pure idyll. Speakers hang from the streetlamps,<br />
emitting the gentle tones of harps<br />
in the evening, followed by Beethoven’s<br />
»Moonlight Sonata,« then Indian-Arabic<br />
guitar variations. Wide paths for strolling.<br />
Restaurants with marble fl oors, alabaster<br />
and granite. And most impressive of all: a<br />
grandiose 360-degree view of the citadel,<br />
the mosques, the millions of sand-colored<br />
buildings gradually disappearing in the<br />
mist. We watched the sun sink behind<br />
the sea of houses while nearby teenage<br />
couples held hands, and women, draped<br />
in black from head to toe, giggled as they<br />
photographed each other with their cell<br />
phones.<br />
Suddenly a roar rose up from all corners,<br />
as if a motorcycle race were revving<br />
up throughout Cairo: 200 mosques<br />
were announcing evening prayers. Some<br />
started up later, twice as loudly. We were<br />
practically numbed by this unexpected<br />
symphony. And Hamed? He just shook<br />
his head: »Th ose muezzins are trying to<br />
outdo each other again.«<br />
❊ ❊<br />
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travel 39<br />
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40 portrait<br />
Photo: Sebastian Pfütze
D ie<br />
Fensterläden im Kairoer Restaurant<br />
Abou El Sid sind zugeklappt, durch<br />
die Spalten fällt nur wenig Licht. In dem<br />
angenehmen Halbdunkel, ein Kontrast zur<br />
grellen Mittagshelligkeit draußen, treff en<br />
wir Faruq Shusha, einen der bekanntesten<br />
Dichter Ägyptens. Am Tisch sitzt auch ein<br />
Freund von ihm. Er sagt, er sei ebenfalls<br />
Dichter, hebt aber sofort beschwörend die<br />
Hände und nickt zu Shusha hinüber: »Aber<br />
keiner wie er. Er ist der größte von uns!«<br />
Shusha, Jahrgang 1936, ehemals Jour-<br />
nalist und Direktor des ägyptischen Rund-<br />
funks, heute Generalsekretär der Kairoer<br />
»Vereinigung für die arabische Sprache«, ist<br />
vor allem auch ein Mensch, der sich nicht<br />
an der rituellen Klage beteiligt, in Kairo sei<br />
The blinds are shut at the Cairo restaurant<br />
Abou El Sid; light slips in through<br />
the slats. In this pleasant semi-darkness, a<br />
contrast to the dazzling midday sun outside,<br />
we meet Faruq Shusha, one of Egypt’s most<br />
famous poets. A friend of his joins us at the<br />
table. He says he is a poet, too, but raises his<br />
hands in deference and nods over to Shusha:<br />
»But not like him. He is the biggest!«<br />
Shusha, born in 1936, former journalist<br />
and director of Egyptian Radio and now<br />
general secretary of the Cairo »Association<br />
for the Arabic Language,« is also fi rst and<br />
foremost a man who refrains from repeating<br />
the hackneyed complaint that everything<br />
Eine Frage der Liebe<br />
Ägypten (1): Faruq Shusha ist einer der bekanntesten Dichter des Landes. Sein neuestes<br />
Werk ist ausnahmsweise keiner Frau gewidmet<br />
früher alles besser gewesen, die Luft sauberer,<br />
die Häuser schöner, die Armut geringer.<br />
»Jede Zeit hat ihre eigene Sprache«, sagt er.<br />
»Wir haben mehr Glück als die Generationen<br />
vor uns. Zum Beispiel ist dank der neuen<br />
Medien die Kommunikation viel einfacher<br />
geworden. Ich kann jederzeit alle Dichter der<br />
Welt lesen – egal in welcher Sprache!«<br />
Bekannt geworden ist Shusha mit Gedichten<br />
über die Liebe, einen zentralen Platz<br />
in seinem Werk nehmen Frauen ein. »Ein<br />
Dichter, der <strong>ohne</strong> Frau lebt«, hat er einmal<br />
gesagt, »ist ein Dichter, der geschieden ist<br />
vom Universum.« Welche Rolle für ihn die<br />
in Ägypten weithin sichtbare Armut spielt?<br />
Der Umstand, dass laut Schätzungen jeder<br />
zweite Ägypter Analphabet ist? »Armut ist<br />
A Question of Love<br />
used to be better in Cairo—that the air was<br />
cleaner, houses were nicer, poverty was less<br />
intense. »Every age has its own language,«<br />
he says. »We are luckier than the generation<br />
that preceded ours. For example, new media<br />
has made communication much easier. I<br />
can read works by any poet in the world at<br />
any time—in any language I wish!« Shusha<br />
is famous for his love poems. Women play<br />
a central role in his work. »A poet who lives<br />
without a woman is a poet who is divorced<br />
from the universe,« he once said. Does<br />
Egypt’s widely visible poverty infl uence<br />
his thinking? What about the fact that an<br />
estimated one in two Egyptians is illiterate?<br />
die Regel, Reichtum die Ausnahme. Finanzielle<br />
Armut ist nicht das Problem. Die<br />
gefährlichste Armut ist die der Seele und<br />
die der Gedanken.«<br />
Momentan arbeitet er an einer neuen<br />
Dichtung. Sie handelt wieder einmal von<br />
der Liebe. Aber nicht zu einer Frau, sondern<br />
zum Nil. »Ich wurde am Ufer des Nils<br />
geboren. Mein ganzes Leben habe ich in<br />
seiner Nähe verbracht. Der Nil ist Zeuge der<br />
Geschichte Ägyptens. Er kann erzählen, was<br />
geschehen ist.« Faruq Shusha nimmt einen<br />
letzten Schluck Kaff ee und steht auf. Ende<br />
der Mittagspause, er möchte zurück ins<br />
Büro – 100 Meter vom Restaurant entfernt.<br />
Kaum zu glauben, dass in Kairo Wege so<br />
kurz sein können. lof<br />
Egypt (1): Faruq Shusha is one of the country’s most famous poets. For a change<br />
his latest book is not dedicated to a woman<br />
»Poverty is the rule, wealth the exception.<br />
Financial poverty is not the problem. Th e<br />
most dangerous poverty is that of the soul<br />
and of the mind.«<br />
Currently he is working on a new composition.<br />
Again, it is about love. But not for a<br />
woman; this time, it is love for the Nile. »I<br />
was born on the banks of the Nile. My entire<br />
life has been spent near its waters. Th e Nile is<br />
witness to the history of Egypt. It can tell us<br />
what has happened.« Faruq Shusha downs a<br />
last gulp of coff ee and rises. His break is over;<br />
time to get back to his offi ce—100 meters<br />
from the restaurant. Hard to believe that<br />
distances in Cairo can be so short. lof<br />
portrait 41
42 portrait<br />
Photo: Sebastian Pfütze
Mit ihrem Mann und den vier Kindern,<br />
zwei Mädchen und zwei Jungen, lebt<br />
Afaf Abdulmonem am Stadtrand von Kairo, in<br />
Gizeh, wo die Pyramiden stehen und 365 Tage<br />
im Jahr Touristenbusse. An diesem Tag hat<br />
sich die Familie zum Karun-See aufgemacht,<br />
eine Autostunde südlich der Metropole gele-<br />
gen; nur die Jungs blieben zu Hause. »Welch<br />
eine Stille«, schwärmt Afaf. Ihr Mann, ein<br />
Bauunternehmer, Besitzer mehrerer Immo-<br />
bilien, hat gerade mit den Töchtern zu einer<br />
Bootstour abgelegt. Nur ein einziges Geräusch<br />
liegt in der Luft: das Geschrei von Kindern,<br />
die sich in einiger Entfernung am Strand<br />
vergnügen und ins Wasser hüpfen.<br />
Afaf heißt übersetzt »Ehre«. Von Ehrge-<br />
fühl und Tradition handelt das Leben der<br />
A faf<br />
Abdulmonem lives with her hus-<br />
band and four children—two girls and<br />
two boys—on the outskirts of Cairo, in Giza,<br />
home of the pyramids and magnet for tour-<br />
ist buses 365 days a year. Today the family<br />
has headed off to Lake Qarun, an hour’s<br />
drive south of the city; only the boys are<br />
staying at home. »How quiet!« exclaims<br />
Afaf. Her husband, a building contractor,<br />
owner of several properties, has just taken<br />
off on a boat tour with their daughters. Only<br />
one sound lingers: the shouts of children<br />
in the distance, playing on the beach and<br />
jumping in the water.<br />
Afaf means »honor« in Arabic. A sense<br />
of honor and tradition mark the life of this<br />
Eine Frage der Ehre<br />
Ägypten (2): Afaf Abdulmonem wurde mit vier Jahren verlobt.<br />
40 Jahre später blickt sie auf ein glückliches Leben zurück<br />
44 Jahre alten Frau, die jünger wirkt mit<br />
ihrem faltenlosen Gesicht und dem off enen<br />
Lachen. Unumwunden erzählt sie, dass<br />
sie schon mit vier Jahren verlobt wurde –<br />
mit ihrem damals 35 Jahre alten Cousin.<br />
Bei der Hochzeit war sie 17. Es folgte eine<br />
Leidenszeit, denn Afaf wurde nicht schwan-<br />
ger, 16 Jahre lang nicht. »Und eine Frau<br />
<strong>ohne</strong> Kind wird bei uns wie eine Kranke<br />
behandelt. Ein normaler ägyptischer Mann<br />
nimmt sich in solch einem Fall eine zweite<br />
oder dritte Frau – meiner zum Glück nicht.«<br />
Nach einer Pause fügt sie an: »Wir sind noch<br />
immer sehr glücklich zusammen.«<br />
Der 31 Jahre ältere Ehemann ist nicht<br />
nur zugleich Cousin, sondern, seit Afafs<br />
Eltern gestorben sind, »auch mein Vater.<br />
A Question of Honor<br />
Egypt (2): Afaf Abdulmonem was betrothed at the age of four.<br />
Forty years later she looks back on a happy life<br />
44-year-old woman, who looks younger<br />
thanks to her smooth skin and open laugh.<br />
She speaks frankly about the fact that she<br />
was betrothed at four—with her then<br />
35-year-old cousin. At their wedding, she<br />
was 17. A long period of suff ering followed,<br />
because Afaf did not become pregnant—for<br />
16 years. »And a woman without a child is<br />
treated like an ill person in our society. A<br />
normal Egyptian man would take a second<br />
or third wife in such a case—but happily,<br />
mine did not.« Pausing, she then adds: »We<br />
are still very happy together.«<br />
Her husband, 31 years older than she,<br />
is not only her cousin, but—since Afaf’s<br />
parents died— he is »also my father. And<br />
Und Bruder. Ich stamme ja aus einer Familie<br />
mit sieben Töchtern.« Er erziehe alle Kinder<br />
nach islamischem Muster. »Er kann den<br />
Koran auswendig. Ich nicht.« Ob sie je in<br />
ihrem Leben einen Beruf ausgeübt habe?<br />
»Nein, ich kam gar nicht auf die Idee. Ich<br />
war viel zu sehr damit beschäftigt, Kinder<br />
bekommen zu wollen – und zu bewältigen,<br />
dass es lange nicht klappte.«<br />
Das kleine Boot legt an, die zwei Töchter,<br />
elf und neun, klettern heraus. Was sie einmal<br />
werden wollen? »Ärztin«, ruft die eine.<br />
»Ingenieurin«, die andere. Ob die beiden<br />
schon verlobt seien? Afaf lacht: »Oh nein!<br />
Meine Töchter sollen sich später aussuchen,<br />
wen sie heiraten.« Ihr Mann steht nun neben<br />
ihr, umarmt sie, lächelt und nickt. lof<br />
brother. After all, I come from a family<br />
with seven daughters.« He raises all the<br />
children in the Islamic way. »He knows the<br />
Koran by heart. Not me.« Did she ever have<br />
a job? »No, I never even considered it. I was<br />
much too busy trying to have children and<br />
dealing with the fact that it did not work<br />
for so long.«<br />
Th e little boat docks and the two daugh-<br />
ters, ages 11 and 9, climb out. What do they<br />
want to be when they grow up? »A doctor,«<br />
cries one. »Engineer,« says the other. Are<br />
they already betrothed? Afaf laughs: »Oh<br />
no! My daughters will decide later whom<br />
to marry.« Her husband, now at her side,<br />
hugs her, laughs, and nods. lof<br />
portrait 43
44 style<br />
Sind Sie ein Salon-Abenteurer?<br />
Are You an Armchair Adventurer?<br />
Fünf nahezu klassische Typen von Reisenden im Überblick<br />
Five near-classic types of travellers at a glance<br />
Pseudo-Reisender<br />
»Ich bin Vielfl ieger. Ich fl iege jedes Jahr nach Mallorca.« So klingt der<br />
Versuch des Pseudo-Reisenden, im Flugzeug das Kabinenpersonal<br />
zu beeindrucken. Er ist vor allem deshalb unterwegs, weil seine<br />
Nachbarn sonst denken, er sei verarmt. Das Ausland mag er nur<br />
dann, wenn er dort leben kann wie daheim. Fremdsprachen sind<br />
ihm ein Gräuel, von anderen Kulturen will er lieber nichts wissen. Zu<br />
Hause gibt er allerdings an, wie gut er sich mit den Einheimischen<br />
verstand. Dabei hatte er nur, auf dem Rückweg zum Flughafen, den<br />
Taxifahrer nach den Fußballergebnissen gefragt.<br />
Text: Emil Thraker<br />
Pseudo-traveller<br />
„I am a frequent fl yer. Every year I fl y to Mallorca.» Th at’s how it<br />
sounds when the pseudo-traveller tries to impress fl ight attendants<br />
en route. His main reason for travelling is because if he didn’t, his<br />
neighbors would think he is destitute. He only likes going abroad<br />
when the conditions are exactly like home. Foreign languages<br />
are torture for him; he’d rather not know anything about other<br />
cultures. But when he comes home, he blabbers about how well<br />
he got along with the locals—even though all he did was ask the<br />
taxi driver about the football score on the way to the airport.<br />
Salon-Abenteurer<br />
Im Flugzeug sitzt er immer<br />
auf Platz 1A. Er checkt stets<br />
in den besten Hotels ein,<br />
hat die Welt mehrfach umrundet<br />
und begleicht Rechnungen<br />
mit der schwarzen<br />
AmEx. Weil er dennoch kein<br />
Snob ist, wagt er sich tagsüber<br />
in die fi nsteren Gassen<br />
der afrikanischen Hafenstadt<br />
und schaut zu, wie jemand<br />
Aff enhirn verschlingt. Einmal<br />
hätte er fast schlagendes Kobraherz<br />
probiert. Auf Fotos sieht man ihn mit Safari-Weste,<br />
Fünftagebart und entschlossenem Gesichtsausdruck.<br />
Richtig glücklich ist er im Grunde aber erst dann, wenn er abends<br />
die Bilder des Tages Revue passieren lassen kann – im Spa-Bereich<br />
des Four Seasons.<br />
Armchair adventurer<br />
He always selects seat 1A. He checks into the best hotels, has circled<br />
the globe several times, and pays his bills with a black AmEx card.<br />
But because he is no snob, he spends his days venturing into the<br />
dark alleys of the African harbor city and watches as someone gulps<br />
down monkey brains. Once, he almost tasted a beating cobra heart.<br />
He shows off photos of himself in a safari vest, with a fi ve-day
eard and a determined look. His happiness really begins when he<br />
can go over the day’s photos—in the spa of the Four Seasons hotel.<br />
Entdecker<br />
Nie käme er auf die Idee,<br />
Alain de Bottons Buch »Kunst<br />
des Reisens« zu lesen und<br />
sich wie der Autor zu fragen,<br />
warum man eigentlich reist.<br />
Der Entdecker reist, weil er<br />
reist. Er ist bescheiden, neu-<br />
gierig und furchtlos. Als er<br />
im Tschad eintriff t, bricht<br />
ein Bürgerkrieg aus. In Ka-<br />
nada entkommt er mit Glück<br />
einem Grizzly. Einerseits ist er<br />
ein fantastischer Gesprächspartner:<br />
Er kann stundenlang Anekdoten erzählen<br />
und – sofern er eine intellektuelle Ader hat – von der unbedeutenden<br />
Rolle des Menschen im Universum. Andererseits ist die<br />
Fülle seines Lebens so einschüchternd, dass man sich in seiner<br />
Gegenwart möglicherweise mickrig vorkommt.<br />
Discoverer<br />
He never thought of reading Alain de Botton’s »Th e Art of Travel,«<br />
never thought to ask himself, as de Botton does, why one actually<br />
travels. Th e discoverer travels because he travels. He is humble,<br />
curious and fearless. When he arrives in Chad, civil war breaks<br />
out. In Canada, he barely escapes the clutches of a grizzly. On<br />
one hand, he is a great conversationalist: He can relate anecdotes<br />
for hours on end and— provided he has an intellectual bent—can<br />
talk about the triviality of human life in the bigger picture. On<br />
the other hand, the fullness of his life is so awesome that anyone<br />
else is likely to come across as puny in his presence.<br />
Bildungsreisender<br />
Wehe den Angehörigen des<br />
Bildungsreisenden, wenn<br />
er zur Diaschau bittet. In<br />
den vier Tagen Syrien – er<br />
knipst noch analog – hat<br />
er 37 Filme durchgezogen.<br />
Zu bestaunen sind: Steine.<br />
Oder wüste Orte, an denen<br />
mal Steine waren. Mit<br />
leuchtenden Augen berichtet<br />
er vom Zwischenstopp in Istanbul,<br />
kramt drei Fotoalben hervor<br />
und erläutert die Details diverser Minarette.<br />
Der Bildungsreisende ist nicht zu<br />
verwechseln mit dem Turboreisenden chinesischer Ausprägung,<br />
der sechs Länder in fünf Tagen abhakt und etwa 100 Mal so viel<br />
fotografi ert (digital), jedoch immer nur seine Sitznachbarn im<br />
Bus, wie sie vor irgendwas stehen.<br />
Educational traveller<br />
Pity the poor relatives of the educational traveller when he invites<br />
them to a slide show. In only four days in Syria, he went through<br />
37 rolls of fi lm (he still takes his snapshots with an analog camera).<br />
And what wonders did he capture? Stones. Or desert areas<br />
that once had stones in them. His eyes aglow, he describes the<br />
layover in Istanbul, digs out three photo albums and explains<br />
the details of various minarets. Th e educational traveller is not to<br />
be confused with the Chinese-style turbo-traveller who does six<br />
countries in fi ve days and takes about 100 times as many photos<br />
(digital)—exclusively of his bus partner standing in front of one<br />
thing or another.<br />
Öko-<strong>Urlaub</strong>er<br />
Öko-<strong>Urlaub</strong>er stehen<br />
in ähnlichem Ruf wie<br />
Vegetarier, die zwar<br />
grundsätzlich respektiert,<br />
aber häufig mit<br />
der Frage konfrontiert<br />
werden: »Vegetarisch ist<br />
ja ganz nett, aber könnt<br />
ihr Essen überhaupt richtig<br />
genießen?« Der Öko-<strong>Urlaub</strong>er<br />
besorgt sich Umweltzertifi kate bei<br />
»atmosfair«, würde für Strecken bis 700 Kilometer niemals ein<br />
Flugzeug besteigen und selbst in Tschernobyl nur Bio-Produkte<br />
aus heimischem Anbau essen. Das Gewissen meldet sich auf<br />
Schritt und Tritt und mahnt Updates der persönlichen CO2-Bilanz<br />
an. Konsequent wäre es natürlich, der Öko-<strong>Urlaub</strong>er würde überhaupt<br />
nicht mehr reisen. Aber wer soll dann die Riesengurken<br />
aus Tschernobyl kaufen?<br />
Eco-vacationer<br />
Eco-vacationers and vegetarians have a similar reputation. Th e<br />
latter basically are respected but often confronted with the ques-<br />
tion: »Vegetarian is perfectly OK, but can you really enjoy your<br />
food?« Th e eco-vacationer picks up environmental certifi cates at<br />
the »atmosfair«; he would never board an airplane for distances<br />
under 700 kilometers, and even in Chernobyl eats only locally<br />
grown bio-products. Gradually, his conscience makes itself heard,<br />
with a reminder that it’s time to update his personal CO2 balance.<br />
Of course, the consistent eco-vacationer would stop travelling<br />
all together. But then who would buy those monster cucumbers<br />
from Chernobyl?<br />
style 45
46 business<br />
Text: Britta Petersen<br />
D aba«<br />
Die Fehlerfreien Th e Faultless Ones<br />
Seit 116 Jahren liefern im indischen Mumbai die »Dabawalas« Mittagessen in<br />
die Büros. Westliche Unternehmen wollen nun von ihnen lernen<br />
For 116 years »dabbawalas« have been delivering lunch to offi ces in the Indian<br />
city of Mumbai. Now Western companies want to learn from them<br />
bedeutet Lunchbox. Die Daba ist der Behälter, in denen<br />
sich die Angestellten der indischen Finanzmetropole Mumbai<br />
das Essen ins Büro liefern lassen. Und die Dabawalas sind die Men-<br />
schen, die dafür sorgen, dass jede Mahlzeit jeden Tag zugestellt wird.<br />
170.000 Mahlzeiten am Tag, ausgetragen von 5.000 Dabawalas. An<br />
sich schon ein Vorbild an Koordination. In einer Stadt wie Mumbai<br />
mit ihren 14 Millionen Einw<strong>ohne</strong>rn: ein Wunder. Das Essen kommt<br />
pünktlich, zuverlässig, warm. Die Wahrscheinlichkeit einer exakten<br />
Zulieferung soll bei 99,9999 Prozent liegen.<br />
Nun schickt sich das Vertriebssystem an, Weltkarriere zu machen.<br />
In westlichen Führungsetagen sind die Dabawalas schon<br />
in aller Munde. »Es motiviert sehr, dass uns Persönlichkeiten wie<br />
der Virgin-Atlantic-Chef Richard Branson oder Abgesandte der<br />
Harvard Business School besuchen«, sagt Raghunath Medge, 48.<br />
»Unsere Arbeit wird zunehmend in der Welt gewürdigt.« Medge<br />
ist der Präsident des »Nutan Mumbai Tiffi n Box Suppliers Charity<br />
Trust«, der Organisation, in der jeder Dabawala registriert ist – und<br />
an der jeder von ihnen Anteile hält.<br />
Mehrere wissenschaftliche Studien sind inzwischen über das<br />
Liefersystem verfasst worden. Drei Mitarbeiter des Trusts reisen<br />
um den Globus, um Vorträge zu halten, vor Studenten in Hörsälen<br />
oder auch vor Vorstandchefs von Microsoft bis SAP. Dabei gibt es<br />
eigentlich kein großes Geheimnis zu verraten. Die Dabawalas<br />
markieren die Edelstahlbehälter mit verschiedenfarbigen Buchstaben,<br />
schieben die Mahlzeiten auf Holzkarren durch die Stadt und<br />
übergeben sie an bestimmten Stationen ihren Kollegen, bis das Ziel<br />
erreicht ist – allein mit diesen Hilfsmitteln wird garantiert, dass<br />
jeder Kunde das Essen erhält, das ihm seine Frau gekocht hat.<br />
Die verschwindend geringe Fehlerrate von 0,0001 Prozent gelingt<br />
<strong>ohne</strong> Hilfe von Computern. Die meisten Dabawalas sind Analphabeten.<br />
Statt an moderne Technik glauben sie an die Zuverlässigkeit<br />
ihrer Kollegen und setzen auf hundertprozentiges gegenseitiges<br />
Vertrauen. So funktioniert das System seit 116 Jahren tadellos – dank<br />
eiserner Disziplin und des engen Zusammenhalts der Mitarbeiter.<br />
Jeder erhält dasselbe Gehalt von etwa 100 Euro im Monat, und im<br />
Dienst trägt jeder eine weiße »Gandhi-Mütze«. Das Motto der Dabawalas:<br />
»Lebe zufrieden dort, wo Gott dich hingestellt hat.«<br />
Die meisten der Vorstände wollten wissen, wie die Logistik oder<br />
der Farbcode funktionierten. »Aber manchmal sollen wir bloß die<br />
Mitarbeiter motivieren und erklären, warum Streiks schädlich<br />
sind«, sagt der oberste Essensausfahrer. »Wir haben in 116 Jahren<br />
noch kein einziges Mal gestreikt!« Nun überlegen die Dabawalas,<br />
ob sie eine internationale Consulting-Firma gründen sollen.<br />
D abba«<br />
means lunch box. Th e dabba is a container that employees<br />
in the Indian fi nancial metropolis Mumbai use to<br />
have their food delivered to the offi ce. And the dabbawalas are<br />
the people who make sure that every meal is served on time every<br />
day—170,000 meals a day, transported by 5,000 dabbawalas. Th is<br />
in itself seems a model of coordination. In a city like Mumbai with<br />
its 14 million people, however, it’s a miracle. Th e food dependably<br />
arrives on time and still warm. Th e probability of an accurate<br />
delivery is said to be 99.9999 percent.<br />
Now the distribution system is preparing for an international<br />
career. Among Western executives the dabbawalas are already<br />
much talked about. »It’s a great motivator that people like Virgin<br />
Atlantic founder Richard Branson or representatives from Harvard<br />
Business School pay us visits,« says Raghunath Medge, 48.<br />
»Our work is increasingly appreciated all over the world.« Medge<br />
is president of the »Nutan Mumbai Tiffi n Box Suppliers Charity<br />
Trust,« the organization where every dabbawala is registered—<br />
and of which each of them owns shares.<br />
By now several scientifi c studies have been conducted about<br />
this system. Th ree members of the trust travel the globe to give<br />
lectures, to students in auditoriums as well as to chairmen from<br />
corporations like Microsoft and SAP. All this when there’s really<br />
no great secret to reveal. Th e dabbawalas mark the stainless steel<br />
containers with a system of diff erent colored letters, push the<br />
meals through the city on wooden carts and hand them from<br />
one colleague to the next until they reach their intended goal—<br />
these are all the tools necessary to guarantee that every customer<br />
receives the food prepared by his wife.<br />
Th e infi nitesimal margin of error is achieved without the aid<br />
of computers. Most of the dabbawalas are illiterate. Instead of<br />
modern technology, they trust the dependability of their colleagues<br />
and count on complete mutual reliance. Th at’s how the system<br />
has worked fl awlessly for 116 years—thanks to strict discipline<br />
and the employees’ strong solidarity. Everyone receives the same<br />
salary of about $150 a month, and at work everyone wears a white<br />
»Ghandi cap.« Th e motto of the dabbawalas is »Live happily in the<br />
place where God has put you.«<br />
Most corporate boards wanted to know how the logistics and<br />
color coding worked. »But sometimes we’re simply supposed to<br />
motivate the workers and explain why strikes are bad,« says the<br />
chief delivery man. »In 116 years we have not once gone on strike!«<br />
Now the dabbawalas wonder if they should start an international<br />
consulting fi rm.<br />
Photo: AFP/Gettyimages
Truman Capote<br />
Fahrt durch Spanien<br />
Keine Frage, der Zug war uralt. Die Sitze hingen durch wie Lefzen einer Bulldogge, die Fenster<br />
waren zum größten Teil herausgeschlagen, und wo es noch Scheiben gab, hielten sie nur<br />
noch mit Klebeband zusammen. Im Gang begab sich eine Katze auf die Pirsch, und es war<br />
anzunehmen, dass sie fette Beute machen würde.<br />
Langsam, als hätte man alte Kulis vor die Lokomotive gespannt, krochen wir aus dem Bahnhof von<br />
Granada. Der südliche Himmel war weiß und brannte wie eine Wüste. Nur eine einzige Wolke war zu<br />
sehen, und sie schwebte dahin wie die Fata Morgana einer Oase.<br />
Wir wollten nach Algeciras, einen spanischen Hafen an der Straße von Gibraltar. In unserem Abteil<br />
saß ein mittelalter Australier in einem schmuddligen Leinenanzug. Er hatte nikotinbraune Zähne, und<br />
seine Fingernägel sahen nicht gerade hygienisch aus. Er sagte uns, er sei Schiff sarzt, und es erschien<br />
mir merkwürdig, dass wir ausgerechnet in diesen trostlosen vertrockneten Weiten auf jemanden stoßen<br />
sollten, der sonst nur Wasser sah.<br />
47<br />
Neben ihm saßen zwei Frauen, off enbar Mutter und Tochter. Die Mutter war eine fette, verstaubte<br />
Frau mit trägen, alles missbilligenden Augen und leichtem Damenbart. Der Gegenstand ihrer Missbilligung<br />
wechselte. Erst blieb ihr strenger Blick an mir hängen, denn die Hitze blies wie ein heißer<br />
Föhn durch die kaputten Scheiben und ich hatte meine Jacke ausgezogen, was sie – vielleicht zu Recht<br />
– als unhöfl ich empfand. Später richtete sie ihr Missvergnügen auf den jungen Soldaten, der mit im
48<br />
Abteil saß. Der Soldat und die wenig zurückhaltende Tochter der Frau, ein strammes Mädchen mit<br />
den rustikalen Zügen eines Preisboxers, hatten sich nämlich zu einem kleinen Flirt entschlossen, der<br />
folgendermaßen ablief: Sobald die Katze an unserer Abteiltür erschien, schützte die Tochter Angst<br />
vor, was dem Soldaten Gelegenheit gab, das Tier todesmutig zu verscheuchen, und ihnen beiden die<br />
Möglichkeit, sich anzufassen.<br />
Der junge Mann war nicht der einzige Soldat im Zug. Die Troddelschiff chen verwegen schief auf<br />
dem Kopf, standen sie überall im Gang, rauchten ihre schwarzen, süßlichen Zigaretten und unterhielten<br />
sich leise. Sie schienen einfach das Leben zu genießen, was vielleicht schon ein Fehler war,<br />
denn sobald ein Offi zier auf der Bildfl äche erschien, starrten sie angestrengt aus dem Fenster, als sei<br />
der Anblick rotbrauner Schotterhalden, Olivenhaine und nackter Felsmassive etwas, von dem sie sich<br />
nicht losreißen konnten. Wie für eine Parade waren die Offi ziere mit allerlei Spangen und Kordeln<br />
dekoriert, einige trugen sogar blitzende, operettenhafte Degen. Sie mischten sich nicht unter die<br />
Mannschaft, sondern saßen im Erste-Klasse-Abteil zusammen und wirkten unendlich gelangweilt<br />
und ein bisschen so wie arbeitslose Schauspieler. Es war ein Segen, dass dann etwas passierte, was<br />
ihnen ein bisschen Säbelrasseln ermöglichte.<br />
In dem Abteil vor ihnen befand sich eine Familie. Ein sehr eleganter, schlanker Mann mit einer<br />
Trauerbinde am Arm und sechs gertenschlanke, sommerlich gekleidete Mädchen, vermutlich seine<br />
Töchter. Sowohl der Vater als auch die Töchter waren auf dieselbe Weise schön: schwarzglänzende<br />
Haare, pimentfarbene Lippen, Augen wie Sherry. Immer wieder riskierten die Soldaten einen Blick in<br />
dieses Abteil, sahen dann aber so schnell weg, als hätten sie direkt in die Sonne geschaut.<br />
Bei jedem Halt stiegen die beiden jüngsten Töchter aus und gingen im Schatten ihrer Sonnenschirme<br />
spazieren. Die Spaziergänge konnten gern auch länger dauern, denn die meiste Zeit stand der Zug.<br />
Aber niemand außer mir schien sich darüber aufzuregen. Einige Passagiere hatten Freunde an jedem<br />
Bahnhof, mit denen sie sich an den Brunnen setzten und lang und unaufgeregt plauderten. Eine alte<br />
Frau wurde in einem Dutzend Orten von ganzen Komitees empfangen und weinte dazwischen mit<br />
einer Hingabe, dass der Arzt sich irgendwann ernsthaft Sorgen machte. Aber nein, beruhigte sie ihn,<br />
sie sei nur so glücklich, all ihre Verwandten wiederzusehen.<br />
An jedem Bahnhof stürzten sich Schwärme von barfüßigen Frauen und abgerissenen Kindern<br />
auf den Zug. Sie trugen schwappende Tonkrüge heran und riefen Agua! Agua! Für zwei Peseten bekam<br />
man einen ganzen Korb klebrige Feigen. Dazu gab es eigenartige Doughnuts mit Zuckerguss, die<br />
aussahen, als seien sie in erster Linie für kleine Mädchen im Kommunionkleid gebacken worden.<br />
Gegen Mittag, nachdem wir uns mit einer Flasche Wein, Brot, einer Wurst und Käse versorgt hatten,<br />
stand einem deftigen Lunch nichts mehr entgegen. Auch unsere Abteilgenossen waren hungrig.<br />
Alle möglichen Fresspakete wurden hervorgeholt, Weinfl aschen entkorkt, und eine Zeit lang<br />
herrschte eine angenehme, beinahe festliche Stimmung. Der Soldat teilte sich mit dem Mädchen<br />
einen Granatapfel, der Australier erzählte eine lustige Geschichte, die Mutter mit dem bösen Blick
49<br />
förderte zwischen ihren Brüsten einen in Papier eingeschlagenen Fisch zutage und verzehrte ihn<br />
mit verdrießlichem Appetit.<br />
Danach waren alle müde. Der Doktor fi el in einen Tiefschlaf, aus dem ihn nicht einmal eine Fliege<br />
erwecken konnte, die rund um seinen off enen Mund spazieren ging. Stille betäubte den ganzen Zug.<br />
Die schönen Mädchen im nächsten Abteil neigten die Köpfe wie sechs erschöpfte Geranien. Sogar die<br />
Katze hatte genug von der Jagd und lag träumend im Gang. Der Zug hatte ein Hochplateau erklommen<br />
und schnaufte erst durch gelbe Weizenfelder, dann durch tiefe graue Felsschluchten, in denen Fallwinde<br />
an den dornigen Bäumen rüttelten. Plötzlich, durch eine Lücke in den Bäumen, geriet etwas in<br />
den Blick, das mich interessierte: eine Burg, die wie eine Krone auf einem Hügel saß.<br />
Die Landschaft war wie geschaff en für Banditen. Im selben Sommer war bereits ein junger Englän-<br />
der, der diesen Teil Spaniens mit dem Auto erkunden wollte, auf einer menschenleeren Bergstraße von<br />
dunkelhäutigen Halunken überfallen und ausgeraubt worden, wobei sie ihn an einen Baum gefesselt<br />
und seine Kehle mit einer Messerspitze gekitzelt hatten. Daran musste ich denken, als unversehens<br />
Gewehrfeuer die schläfrige Stille zerriss.<br />
Es war ein Maschinengewehr. Kugeln schlugen durch die Bäume und machten dabei ein Geräusch<br />
wie klappernde Kastagnetten. Mit einem lang gezogenen Quietschen kam der Zug zum Stehen. Einen<br />
Moment lang war bis auf das Husten des Maschinengewehrs alles still. Dann rief ich mit Panik in<br />
der Stimme: »Banditen!«<br />
»Bandidos!«, antwortete mir die Tochter.<br />
»Bandidos!«, echote die Mutter, und das Schreckenswort verbreitete sich durch den Zug wie ein<br />
unheilvolles Tamtam. Das Ergebnis war reiner Katastrophen-Slapstick. Wir alle warfen uns auf den<br />
Boden und verknäulten uns dort zu einem zitternden Haufen aus Armen und Beinen. Nur die Mutter<br />
bewahrte ihre Fassung. Seelenruhig stand sie auf, um ihre Wertsachen verschwinden zu lassen.<br />
Einen Ring steckte sie in ihren Dutt, und ein perlenbesetzter Kamm wanderte <strong>ohne</strong> Umstände in<br />
ihre Liebestöter. Wie Vogelgezwitscher im Morgengrauen drang aus dem Nachbarabteil das piepsige<br />
Entsetzen der schönen Mädchen. Und auf dem Gang brüllten die Offi ziere ihre Befehle und rannten<br />
ständig gegeneinander.<br />
Doch auf einmal Stille. Draußen nur das Murmeln des Windes in den Bäumen, dann Stimmen.<br />
Gerade als ich das Gewicht des Doktors kaum noch ertragen konnte, wurde die Abteiltür aufgerissen,<br />
und ein junger Mann stand da. Für einen Banditen sah er allerdings viel zu harmlos aus.<br />
»Hay un médico en el tren?«, fragte er grinsend.<br />
Der Australier nahm seinen Ellbogen aus meinem Bauch und stand auf. »Ich bin Arzt«, sagte er<br />
und klopfte sich den Staub vom Anzug. »Ist jemand verletzt?«<br />
»Si, Señor. Ein alter Mann. Er hat sich den Kopf aufge schlagen«, erklärte der Spanier, der defi nitiv<br />
kein Räuber war, sondern ein ganz normaler Fahrgast. Wir setzten uns wieder hin und hörten kleinlaut,<br />
was geschehen war. Anscheinend hatte sich ein alter Mann die Mitfahrt erschleichen wollen,
50<br />
indem er sich hinten an den letzten Waggon klammerte. Nach mehreren Stunden verlor er den Halt,<br />
und ein Soldat, der den Sturz sah, gab eine Maschinengewehrsalve ab, damit der Lokomotivführer<br />
den Zug anhielt.<br />
Ich hoff te inständig, dass niemand mehr wusste, wer als Erster falschen Alarm geschlagen hatte.<br />
Aber davon war keine Rede mehr. Nachdem der Arzt von mir ein sauberes Hemd erhalten hatte, das er<br />
als Verband verwenden wollte, verließ er das Abteil, um nach seinem Patienten zu sehen. Die Mutter<br />
hatte sich mit säuerlicher Prüderie abgewandt und grub ihren Kamm wieder aus. Ihre Tochter und der<br />
Soldat aber folgten uns nach draußen, wo sich unter den Bäumen schon eine große Menschenmenge<br />
versammelt hatte, um den Unfall zu diskutieren.<br />
Zwei Soldaten trugen den Alten herbei. Mein Hemd wurde ihm um den Kopf gewickelt. Dann setzten<br />
sie ihn gegen einen Baum, und alle Frauen wollten ihm ihren Rosenkranz aufnötigen. Irgendjemand<br />
kam auch mit einer Flasche Wein, was ihm schon besser gefi el. Er wirkte irgendwie erleichtert und<br />
stöhnte reichlich. Kichernd versammelten sich die Kinder um ihn.<br />
Wir waren in einem kleinen Wald, in dem es nach Orangen roch. Ein Pfad führte auf eine schattige<br />
Anhöhe und gewährte einen Blick über die sonnenverbrannte Graslandschaft, die in der fl irrenden<br />
Hitze zu beben schien. Auch die sechs Schwestern genossen die Aussicht über das Tal und die bewaldeten<br />
Höhenzüge. Eskortiert von der gepfl egten Erscheinung ihres Vaters hatten sie sich mit ihren<br />
Parasols in die Natur gesetzt wie eine Ausfl ugsgesellschaft auf einer fête champêtre. Die Soldaten umkreisten<br />
sie unschlüssig und in einigem Abstand. Mehr trauten sie sich nicht, obwohl ein Mutiger<br />
an die Felskante trat und ins Tal hinab rief: »Yo te quiere mucho.« Ihm antwortete der Geisterton eines<br />
perfekten Echos, und die Schwestern schauten errötend noch tiefer in das Tal.<br />
Eine Wolke, düster wie ein Felsmassiv, war aufgezogen, und das Gras war unruhig wie die See vor<br />
einem Sturm. Jemand äußerte die Meinung, dass es bald regnen würde, doch gehen wollte niemand,<br />
weder der Verletzte, der mittlerweile bei seiner zweiten Flasche Wein angelangt war, noch die Kinder,<br />
die ebenfalls das Echo entdeckt hatten und lustig ins Tal hinabkrähten. Der Halt auf freier Strecke<br />
war wie eine Party, die niemand als Erster verlassen wollte. Der alte Mann mit dem Hemdturban um<br />
den Kopf wurde in ein Erste-Klasse-Abteil gesetzt, und mehrere eifrige Damen kümmerten sich um<br />
ihn.<br />
In unserem eigenen Abteil saß die angestaubte Mutter noch immer so, wie wir sie verlassen hatten.<br />
Sie hatte es abgelehnt, an den Lustbarkeiten teilzunehmen, und schenkte mir einen anhaltenden,<br />
glitzernd bösen Blick. »Bandidos«, empörte sie sich mit unnötiger Schärfe.<br />
Der Zug setzte sich wieder in Bewegung, aber so langsam, dass Schmetterlinge mühelos durchs<br />
Fenster hineinfl iegen konnten und wieder hinaus.<br />
Aus: Truman Capote, Die Hunde bellen, © Kein & Aber Verlag, Zürich 2007
51<br />
Truman Capote<br />
A Ride Th rough Spain<br />
Certainly the train was old. The seats sagged like the jowls of a bulldog, windows were out<br />
and strips of adhesive held together those that were left; in the corridor a prowling cat appeared<br />
to be hunting mice, and it was not unreasonable to assume his search would be rewarded.<br />
Slowly, as though the engine were harnessed to elderly coolies, we crept out of Granada. Th e southern<br />
sky was as white and burning as a desert; there was one cloud, and it drifted like a traveling oasis.<br />
We were going to Algeciras, a Spanish seaport facing the coast of Africa. In our compartment there<br />
was a middle-aged Australian wearing a soiled linen suit; he had tobacco-colored teeth and his fi ngernails<br />
were unsanitary. Presently he informed us that he was a ship’s doctor. It seemed curious, there<br />
on the dry, dour plains of Spain, to meet someone connected with the sea. Seated next to him there<br />
were two women, a mother and daughter. Th e mother was an overstuff ed, dusty woman with sluggish,<br />
disapproving eyes and a faint mustache. Th e focus for her disapproval fl uctuated; fi rst, she eyed<br />
me rather strongly because as the sunlight fanned brighter, waves of heat blew through the broken<br />
windows and I had removed my jacket–which she considered, perhaps rightly, discourteous. Later<br />
on, she took a dislike to the young soldier who also occupied our compartment. Th e soldier and the<br />
woman’s not very discreet daughter, a buxom girl with the scrappy features of a prizefi ghter, seemed<br />
to have agreed to fl irt. Whenever the wandering cat appeared at our door, the daughter pretended to<br />
be frightened, and the soldier would gallantly shoo the cat into the corridor: this by-play gave them<br />
frequent opportunity to touch each other.
Th e young soldier was one of many on the train. With their tasseled caps set at snappy angles, they<br />
hung about in the corridors smoking sweet black cigarettes and laughing confi dentially. Th ey seemed<br />
to be enjoying themselves, which apparently was wrong of them, for whenever an offi cer appeared the<br />
soldiers would stare fi xedly out the windows, as though enraptured by the landslides of red rock, the<br />
olive fi elds and stern stone mountains. Th eir offi cers were dressed for a parade, many ribbons, much<br />
brass; and some wore gleaming, improbable swords strapped to their sides. Th ey did not mix with the<br />
soldiers, but sat together in a fi rst-class compartment, looking bored and rather like unemployed actors.<br />
It was a blessing, I suppose, that something fi nally happened to give them a chance at rattling<br />
their swords.<br />
Th e compartment directly ahead was taken over by one family: a delicate, attenuated, exceptionally<br />
elegant man with a mourning ribbon sewn around his sleeve, and traveling with him, six thin,<br />
summery girls, presumably his daughters. Th ey were beautiful, the father and his children, all of<br />
them, and in the same way: hair that had a dark shine, lips the color of pimientos, eyes like sherry.<br />
Th e soldiers would glance into their compartment, then look away. It was as if they had seen straight<br />
into the sun.<br />
Whenever the train stopped, the man’s two youngest daughters would descend from the carriage<br />
and stroll under the shade of parasols. Th ey enjoyed many lengthy promenades, for the train spent the<br />
greatest part of our journey standing still. No one appeared to be exasperated by this except myself. Sev-<br />
eral passengers seemed to have friends at every station with whom they could sit around a fountain and<br />
gossip long and lazily. One old woman was met by diff erent little groups in a dozen-odd towns–between<br />
these encounters she wept with such abandon that the Australian doctor became alarmed: why no, she<br />
said, there was nothing he could do, it was just that seeing all her relatives made her so happy.<br />
52<br />
At each stop cyclones of barefooted women and somewhat naked children ran beside the train sloshing<br />
earthen jars of water and furrily squalling Agua! Agua! For two pesetas you could buy a whole basket of<br />
dark runny fi gs, and there were trays of curious white-coated candy doughnuts that looked as though<br />
they should be eaten by young girls wearing Communion dresses. Toward noon, having collected a bot-<br />
tle of wine, a loaf of bread, a sausage and a cheese, we were prepared for lunch. Our companions in the<br />
compartment were hungry, too. Packages were produced, wine uncorked, and for a while there was a<br />
pleasant, almost graceful festiveness. Th e soldier shared a pomegranate with the girl, the Australian<br />
told an amusing story, the witch-eyed mother pulled a paperwrapped fi sh from between her bosoms<br />
and ate it with a glum relish.<br />
Afterward everyone was sleepy; the doctor went so solidly to sleep that a fl y meandered undisturbed<br />
over his open-mouthed face. Stillness etherized the whole train; in the next compartment the lovely<br />
girls leaned loosely, like six exhausted geraniums; even the cat had ceased to prowl, and lay dreaming<br />
in the corridor. We had climbed higher, the train moseyed across a plateau of rough yellow wheat, then<br />
between the granite walls of deep ravines where wind, moving down from the mountains, quivered in
53<br />
strange, thorny trees. Once, at a parting in the trees, there was something I’d wanted to see, a castle<br />
on a hill, and it sat there like a crown.<br />
It was a landscape for bandits. Earlier in the summer, a young Englishman I know (rather, know<br />
of) had been motoring through this part of Spain when, on the lonely side of a mountain, his car was<br />
surrounded by swarthy scoundrels. Th ey robbed him, then tied him to a tree and tickled his throat<br />
with the blade of a knife. I was thinking of this when without preface a spatter of bullet fi re strafed<br />
the dozy silence.<br />
It was a machine gun. Bullets rained in the trees like the rattle of castanets, and the train, with a<br />
wounded creak, slowed to a halt. For a moment there was no sound except the machine gun’s cough.<br />
Th en, »Bandits!« I said in a loud, dreadful voice.<br />
»Bandidos!« screamed the daughter.<br />
»Bandidos!« echoed her mother, and the terrible word swept through the train like something drummed<br />
on a tom-tom. Th e result was slapstick in a grim key. We collapsed on the fl oor, one cringing heap of<br />
arms and legs. Only the mother seemed to keep her head; standing up, she began systematically to<br />
stash away her treasures. She stuck a ring into the buns of her hair and without shame hiked up her<br />
skirts and dropped a pearl-studded comb into her bloomers. Like the cryings of birds at twilight, airy<br />
twitterings of distress came from the charming girls in the next compartment. In the corridor the offi<br />
cers bumped about yapping orders and knocking into each other.<br />
Suddenly, silence. Outside, there was the murmur of wind in leaves, of voices. Just as the weight<br />
of the doctor’s body was becoming too much for me, the outer door of our compartment swung open,<br />
and a young man stood there. He did not look clever enough to be a bandit.<br />
»Hay un medico en el tren?« he said, smiling.<br />
Th e Australian, removing the pressure of his elbow from my stomach, climbed to his feet. »I’m a<br />
doctor,« he admitted, dusting himself. »Has someone been wounded?«<br />
»Si, Senor. An old man. He is hurt in the head,« said the Spaniard, who was not a bandit: alas, merely<br />
another passenger. Settling back in our seats, we listened, expressionless with embarrassment, to what<br />
had happened. It seemed that for the last several hours an old man had been stealing a ride by clinging<br />
to the rear of the train. Just now he’d lost his hold, and a soldier, seeing him fall, had started fi ring a<br />
machine gun as a signal for the engineer to stop the train.<br />
My only hope was that no one remembered who had fi rst mentioned bandits. Th ey did not seem to.<br />
After acquiring a clean shirt of mine which he intended to use as a bandage, the doctor went off to his<br />
patient, and the mother, turning her back with sour prudery, reclaimed her pearl comb. Her daughter<br />
and the soldier followed after us as we got out of the carriage and strolled under the trees, where many<br />
passengers had gathered to discuss the incident.<br />
Two soldiers appeared carrying the old man. My shirt was wrapped around his head. Th ey propped<br />
him under a tree and all the women clustered about vying with each other to lend him their rosary;
someone brought a bottle of wine, which pleased him more. He seemed quite happy, and moaned a<br />
great deal. Th e children who had been on the train circled around him, giggling.<br />
We were in a small wood that smelled of oranges. Th ere was a path, and it led to a shaded promontory;<br />
from here, one looked across a valley where sweeping stretches of scorched golden grass shivered<br />
as though the earth were trembling. Admiring the valley, and the shadowy changes of light on the hills<br />
beyond, the six sisters, escorted by their elegant father, sat with their parasols raised above them like<br />
guests at a fête champêtre. Th e soldiers moved around them in a vague, ambitious manner; they did not<br />
quite dare to approach, though one brash, sassy fellow went to the edge of the promontory and called,<br />
»Yo te quiero mucho.« Th e words returned with the hollow sub-music of a perfect echo, and the sisters,<br />
blushing, looked more deeply into the valley.<br />
A cloud, somber as the rocky hills, had massed in the sky, and the grass below stirred like the sea<br />
before a storm. Someone said he thought it would rain. But no one wanted to go: not the injured man,<br />
who was well on his way through a second bottle of wine, nor the children, who, having discovered<br />
the echo, stood happily caroling into the valley. It was like a party, and we all drifted back to the train<br />
as though each of us wished to be the last to leave. Th e old man, with my shirt like a grand turban on<br />
his head, was put into a fi rst-class carriage and several eager ladies were left to attend him.<br />
In our compartment, the dark, dusty mother sat just as we had left her. She had not seen fi t to<br />
join the party. She gave me a long, glittering look.<br />
»Bandidos,« she said with a surly, unnecessary vigor.<br />
Th e train moved away so slowly butterfl ies blew in and out the windows.<br />
From: Truman Capote, Portraits and Observations. The Essays of Truman Capote, © Random House, New York 2007<br />
54
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56 pictures<br />
China!<br />
Welches China?<br />
China!<br />
Which China?<br />
Wie nie zuvor steht<br />
das Reich der Mitte<br />
im Zentrum der Aufmerksamkeit.<br />
Aber<br />
von welchem Land<br />
sprechen wir eigentlich?<br />
Der Fotograf<br />
Wolfgang Zurborn<br />
hat Peking und<br />
Schanghai bereist<br />
und sich ein Bild<br />
gemacht<br />
Th e Middle Kingdom<br />
is at the center<br />
of attention as never<br />
before. But which<br />
country are we actually<br />
talking about?<br />
Photographer<br />
Wolfgang Zurborn<br />
traveled to Beijing<br />
and Shanghai to get<br />
a better picture
pictures 57
58 pictures
pictures 59
60 pictures
pictures 61
62 pictures<br />
Die Bilder sind<br />
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»China! Which<br />
China?« entnommen<br />
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bei Schaden.com.<br />
Wolfgang Zurborn<br />
lebt in Köln.<br />
wolfgangzurborn.de<br />
The photos are<br />
from the publication<br />
»China! Which<br />
China?« (16 color<br />
images, 39 x 30<br />
cm, 48 Euro).<br />
The publisher is<br />
Schaden.com.<br />
Wolfgang Zurborn<br />
lives in Cologne.<br />
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S
64 travel basics<br />
E s<br />
Reise-ABC, Lektion 3 ABCs of Travel, Part 3<br />
Nachtportier<br />
Night porter<br />
Text: Jan Kirsten Biener<br />
gibt eine Berufsgruppe, die unter einem Trend des neuen<br />
Jahrtausends besonders leidet: Die Rauchergesetze machen<br />
das Leben der Nachtportiers von Italien bis Norwegen, von Kanada<br />
bis Bhutan (Totalverbot!) ein wenig gesünder, aber leider – welch<br />
Treppenwitz der internationalen Gesundheitspolitik – auch langatmiger.<br />
Denn was kann man nun vor einer Schlüsselwand in einer<br />
verlassenen Hotellobby nachts um halb vier noch machen? Nicht<br />
viel. Ein Nickerchen vielleicht? Dumm nur, dass der häufi gste<br />
Kündigungsgrund für Nachtwächter unerlaubte Nickerchen in<br />
Hotellobbys sind. Bleibt festzuhalten: Das Arbeitsleben des Nacht-<br />
portiers hat eine weitere unglückliche Wendung genommen.<br />
Dabei waren sie einmal hoch geschätzte Ansprechpartner in<br />
der Fremde, selbst für Schriftsteller wie Joseph Roth viel mehr als<br />
bloß Türöff ner. »Es wird nur wenige geben, die sich erinnern, dass<br />
Roth einmal eine Wohnung gehabt hat«, schrieb Ludwig Marcuse<br />
später über seinen Freund. So seien für Roth die Angestellten seines<br />
Pariser Hotels wie Verwandte gewesen.<br />
Heute sind Nachtportiers alten Schlags kaum noch anzutreff en.<br />
Statt kantiger Knacker sitzen zunehmend junge Auszubildende<br />
an der Rezeption, die niemals ein unerlaubtes Nickerchen halten<br />
würden, stets akkurat gekleidet sind und dazu eine Höfl ichkeit<br />
an den späten Tag legen, als ginge es darum, das Erbe der Großmutter<br />
zu erschleimen. Gute, wahre Nachtwächter hingegen<br />
erkennt man an einer Ausdruckslosigkeit, die an Abfälligkeit<br />
grenzt – aber absolute Diskretion garantiert. Sie benutzen selbst<br />
Worte wie »Ja«, »Nein« oder »Guten Abend« nur in Notfällen. Und<br />
gute Nachtwächter sind mit ihrem Hotel alt geworden. Wie der<br />
Portier des Hotels in einer Seitenstraße West-Beiruts, der mittlerweile<br />
zum Interieur gehört wie die vergilbte Fototapete, vor der<br />
er tagein tagaus sitzt.<br />
Ein Trost bleibt: Der echte Nachtportier ist ein direkter Nachfahre<br />
einer Comeback-erprobten Berufsgruppe. Schon Mitte des<br />
19. Jahrhunderts war man in den europäischen Städten der Meinung,<br />
dass man die seit dem Mittelalter eingesetzten Nachtwächter<br />
nicht mehr bräuchte, die damals stündlich die Uhrzeit ausriefen<br />
und Störenfriede nach Hause geleiteten. Damals wurde der Nachtwächter<br />
wegrationalisiert – um kurz darauf, als das Zeitalter des<br />
Reisens begann, für Hotels neu erfunden zu werden.<br />
Hotelbesitzer dieser Welt: Lernt aus der Geschichte! Behaltet<br />
eure sturen, alten Nachtportiers, bis sie eines Tages vom Stuhl<br />
fallen – gerne auch mit brennender Zigarette im Mund.<br />
A certain profession is suff ering due to a 21st century trend:<br />
Anti-smoking laws may be making the lives of night porters<br />
a little healthier, from Italy to Norway, from Canada to Bhutan<br />
(total ban on smoking!). But unfortunately—in a »hindsight is 20-<br />
20« moment of international health policy—the laws make their<br />
lives more tedious, too. Because how does one wile away the time<br />
now, stuck in front of a wall of keys in a lonely hotel lobby at 3:30<br />
am? You can’t do much. Perhaps take a little nap? It’s just plain<br />
dumb that the most common reason for fi ring night porters is the<br />
forbidden naps they take in hotel lobbies. Th e fact remains: Th e<br />
working life of night porters has taken another unhappy turn.<br />
Th ey used to be highly valued contacts for travellers, much<br />
more than mere door openers, even for writers like Joseph Roth.<br />
»Few will recall that Roth once had an apartment,« wrote Ludwig<br />
Marcuse later about his friend. Th e employees at his Paris hotel<br />
became like relatives to Roth.<br />
Today, old-style night porters are few and far between. Instead<br />
of old codgers, you’re more likely to see young trainees at the reception<br />
desk who would never dream of taking a forbidden nap,<br />
are always perfectly attired, and on top of that display a certain<br />
courtesy, as if trying to polish their grandmother’s inheritance.<br />
However, you can tell truly good night porters by a certain lack<br />
of expression bordering on snideness—but absolute discretion is<br />
guaranteed. Th ey only use such words as »yes,« »no,« or »good<br />
evening« when absolutely essential. And good porters grow old<br />
with their hotels. Like the night guard at a hotel in a West Beirut<br />
side-street, who has become as much a part of the décor as the<br />
yellowed photomurals in front of which he sits day in and day<br />
out. Th ere is some comfort, even if what you see more and more<br />
these days are those freshly ironed chaps who always hold out the<br />
correct room key, unasked, even at the oddest hours of the night:<br />
Th e genuine night porter inherits a tried and true profession. As<br />
recently as the mid-19 th century, European cities considered doing<br />
away with night guards, a profession dating back to the Middle<br />
Ages when night watchmen called out the time each hour and<br />
escorted troublemakers home. Eventually, the night guards were<br />
rationalized away—only to be reinvented for hotels as the age of<br />
travel began.<br />
Hotel owners of the world: learn from history! Hang on to your<br />
stubborn old night porters till the day they fall off their chairs—<br />
and don’t forget the smoldering cigarettes.<br />
Photo: Corbis
Wege zum vollkommenen Genuss<br />
www.coppeneur.de
66 high life<br />
Gefundene Landschaft<br />
Found Landscape
Eine kaum bekannte Wildnis mitten in New York? Das kann nicht sein? Und ob. Nun wird aus<br />
der »High Line«, der stillgelegten, zugewucherten Zugstrecke auf Stelzen, ein Park – und ein<br />
Millionen-Geschäft<br />
An untouched, hardly known wilderness right in the middle of New York City? Not possible?<br />
Sure it is. Th e High Line, the abandoned, overgrown elevated rail route, is being turned into a<br />
park—and big business<br />
Text: Anika Weiss _ Photos: Joel Sternfeld<br />
high life 67
68 high life<br />
Mitten in New York gibt es einen Ort, der sich kilometerlang<br />
unter freiem Himmel erstreckt, den aber bislang – so unwahrscheinlich<br />
das klingen mag – nur wenige Menschen gesehen<br />
haben. Diejenigen freilich, denen es gelang, waren hingerissen:<br />
ein fl iegender Teppich! Eine Oase, ein Garten Eden! Eine Terra In-<br />
cognita, eine andere Welt! Diese andere Welt heißt High Line und<br />
war einmal eine Zugstrecke auf Stelzen. Erbaut in den dreißiger<br />
Jahren, wurde sie 1980 stillgelegt, als die Laster die Güterzüge<br />
verdrängten. Die High Line geriet in Vergessenheit – nun aber<br />
erlebt sie eine Renaissance: Sie wird zu einem Park umgebaut<br />
und bald Millionen von Menschen zugänglich sein. Noch ist der<br />
Zutritt verboten.<br />
Aus der Luft gleicht die High Line einer Straße, die sich im<br />
starren Raster Manhattans verirrt hat. Abrupt taucht sie zwischen<br />
den Fleischlagerhallen des Meatpacking Districts auf.<br />
Ihr eigenwilliger Kurs gen Norden, auf dem sie mehrmals von<br />
Gebäuden verschluckt und wieder ausgespuckt wird, endet in<br />
einer weitläufi gen Kurve im Eisenbahngelände am Hudson.<br />
Zweieinhalb Kilometer ist sie lang und verläuft ein, zwei,<br />
➾<br />
I n<br />
the middle of New York City there’s a place that stretches for<br />
a mile and a half under the open sky, yet so far—unlikely as it<br />
may sound—only a few people have seen it. Th ose who have, of<br />
course, are enchanted: A fl ying carpet! An oasis, an Eden! A terra<br />
incognita, another world! Th is other world is called the High Line<br />
and used to be an elevated rail route. Built in the 1930s, it was closed<br />
down in 1980 because trucks had replaced freight trains. Th e High<br />
Line fell into oblivion. Th ese days it’s undergoing a renaissance—<br />
it’s being turned into a park and will soon be open to millions of<br />
people. But for now there’s no trespassing.<br />
From the air the High Line looks like a street gone astray in<br />
Manhattan’s grid. It appears abruptly among the warehouses of<br />
the Meatpacking District. Snaking in a northerly direction, it is<br />
swallowed and spit out by several buildings along its way, only<br />
to end after a swooping curve over the rail yards on the Hudson.<br />
It’s a mile and a half long and runs one, two, three stories above<br />
the streets of Chelsea. Its underbelly is dark, hung with nets to<br />
keep pigeons away. So dark that the viaduct looks like the perfect<br />
portal to the once notorious district it crosses: Hell’s Kitchen. ➾
➾<br />
drei Stockwerke über den Straßen Chelseas. Ihre Bauchseite<br />
ist düster, verhangen mit Netzen, die vor Tauben schützen. So<br />
düster, dass das Viadukt wie eine Höllenküche aussieht – und<br />
so heißt auch der einst verruchte Bezirk, den die Linie ganz im<br />
Norden durchquert: Hell’s Kitchen. Weiter im Süden hingegen<br />
steht, auf Schildern nahe der High Line, heute schon »Park!«<br />
Allerdings nur, um für die Parkplätze unter der Trasse zu werben.<br />
Parkwärter Julian Trejos passt in seinem Häuschen auf, dass die<br />
Besitzer auch brav die Gebühren bezahlen, die im Vergleich zu<br />
den horrenden Mieten der angrenzenden Wohnungen fast bescheiden<br />
ausfallen: acht Dollar die Stunde. Hummer nur gegen<br />
Aufschlag. War Trejos schon mal oben? Er deutet hinauf in das<br />
undurchdringliche Gewirr aus Brettern und Metallverstrebungen:<br />
»Wie denn?«<br />
Die einzigartige Welt, die auf der High Line zu entdecken ist,<br />
zeigte als Erster Joel Sternfeld. Von April 2000 bis Juni 2001 durfte<br />
der New Yorker Fotograf mit einer Sondergenehmigung die High<br />
Line besteigen. Mit altmodischer Boxkamera und schwarzem<br />
Tuch verewigte er die wild auf den Gleisen wuchernde Natur. Eine<br />
»magische Landschaft«, fand er.<br />
Das sahen nicht immer alle so. Einen Schandfl eck schimpften<br />
die Besitzer der unterhalb der Trasse gelegenen Grundstücke die<br />
High Line – und versprachen sich von ihrem Abriss einen Reibach.<br />
Im Grunde konnten sie das Bauwerk nicht schnell genug loswerden.<br />
Vor Gericht traten sie einmal sogar mit einem Zementklotz<br />
auf. Dieses Bruchstück der Bahntrasse, so behaupteten sie, habe<br />
beinahe einen Passanten erschlagen!<br />
Lange Zeit fehlte für einen Abriss das Geld. 1999 dann fand die<br />
High Line auf einmal Freunde, die sich als Lebensretter erwiesen.<br />
Joshua David und Robert Hammond machten sich gegen den vom<br />
damaligen Bürgermeister Giuliani schon gebilligten Abbruch des<br />
Viadukts stark. Sie gründeten die Organisation »Friends of the<br />
High Line« – und gewannen als Unterstützer Prominente wie den<br />
Schauspieler Edward Norton. »Ich hatte so einen typischen New<br />
Yorker Traum, als ich in einer lausigen kleinen Wohnung<br />
➾<br />
➾<br />
Farther south, signs adjacent to the High Line already announce:<br />
»Park!« But only to advertise parking spots below the<br />
tracks. From his booth, parking attendant Julian Trejos makes<br />
sure that car owners pay their fees, which seem almost modest<br />
compared to the outrageous rents of neighboring apartments: $8<br />
an hour. Hummers cost extra. Has Trejos ever been up top? He<br />
motions upward at an impenetrable jumble of boards and metal<br />
scaff olding: »How?«<br />
Th e one-of-a kind world to be discovered on top of the High Line<br />
was fi rst shown by Joel Sternfeld. Between April 2000 and June<br />
2001, the New York photographer was given special permission to<br />
ascend the High Line. With an old-fashioned box camera and black<br />
cloth he immortalized nature as he found it wildly overgrowing<br />
the tracks. A »magical landscape,« he thought.<br />
Not everyone always shared that sentiment. Th e High Line<br />
was called an eyesore by the people who owned property below<br />
it—and hoped that its demolition would bring them big profi ts.<br />
Th ey wanted to be rid of the structure as quickly as possible. Once<br />
they showed up in court with a chunk of concrete. Th is fragment<br />
of the rail line, they claimed, had nearly killed a passerby!<br />
For the longest time there was no money to tear it down. In 1999,<br />
the High Line unexpectedly found supporters who would prove<br />
to be its lifesavers. Joshua David and Robert Hammond started a<br />
campaign against the viaduct’s demolition, which had already<br />
been approved by Mayor Giuliani. Th ey founded the organization<br />
»Friends of the High Line«—and garnered the support of celebrities<br />
such as actor Edward Norton. »I used to have this dream typical of<br />
New Yorkers when I lived in a lousy little apartment. In the dream<br />
I opened a closet, discovered a secret room on the other side—and<br />
suddenly my apartment was twice as big. Th e High Line embodies<br />
this dream,« says Joshua David.<br />
Th e dream of a quiet urban wilderness is over now. Th e fi rst<br />
columns have been freed of rust and painted. Th e fi rst section of<br />
the park is supposed to open this winter. Some residents, like Ellen<br />
Reilly, observe the construction skeptically. Reilly has a<br />
high life 69<br />
➾
70 high life<br />
➾<br />
wohnte. In dem Traum machte ich einen Schrank auf, ent-<br />
deckte ein geheimes Zimmer auf der anderen Seite – und auf einmal<br />
war meine Wohnung doppelt so groß. Die High Line verkörpert<br />
diesen Traum«, sagt Joshua David.<br />
Mit dem Traum von einer ruhigen urbanen Wildnis ist es nun<br />
allerdings vorbei. Erste Pfeiler sind inzwischen vom Rost befreit<br />
und gestrichen. Ende dieses Jahres soll der erste Abschnitt des<br />
High-Line-Parks eröff net werden. Manche Anw<strong>ohne</strong>r verfolgen<br />
den Bau mit Skepsis. Etwa Ellen Reilly, die von ihrer Feuerleiter<br />
im fünften Stock alles genau im Blick hat. Sie zog an die Trasse,<br />
bevor sie wiederentdeckt wurde. »Damals konnte ich noch mit<br />
off enen Fenstern und <strong>ohne</strong> Ohrenstöpsel schlafen.« Dabei seien die<br />
Bauarbeiten an der High Line noch das kleinere Übel. In Sichtweite<br />
des künftigen Parks werden Luxusapartments hochgezogen. »Vor<br />
Kurzem standen dort hinten noch zwei schäbige Autowerkstätten«,<br />
sagt Reilly. »Heute ist da ein Turm aus Glas.«<br />
Die Ironien der Erschließung häufen sich. Ironie Nummer 1:<br />
Der geplante Park, der »einfach, wild und still« werden sollte, so<br />
seine Designer, hat einen hektischen Bauboom ausgelöst. Nummer<br />
2: Die Kritik der Grundbesitzer ist verstummt. Ihre Profi te haben<br />
sich, wie von allein, vervielfacht. Und die Stadt hat es ihnen<br />
ermöglicht, ihre »air rights«, sogenannte Luftrechte, an Bauunternehmer<br />
zu verkaufen. Nummer 3: Die gläsernen Fassaden der<br />
neuen, von Stararchitekten entworfenen Gebäude werden sich<br />
um die High Line regelrecht drängeln, teilweise über sie lehnen.<br />
Jeder will den besten Blick erhaschen auf das schmale Grün, dessen<br />
Zauber doch in seiner Abgeschiedenheit lag. Nummer 4: Der für<br />
seine Unberührtheit berühmte Ort wird vermutlich bald einer der<br />
meistbesuchten in New York sein.<br />
Den nostalgischen Bildern Sternfelds stehen neue Bilder gegenüber:<br />
die digitalen Zukunftsvisionen der Landschaftsdesigner<br />
Field Operations. Inhaber James Corner nennt die High Line eine<br />
gefundene Landschaft und will sie als solche neu erblühen lassen.<br />
In seinen Skizzen schlendern Menschen durch ein Essigbaumdickicht<br />
und über Metallroste, unter denen die ursprüngliche<br />
Wildnis wieder Fuß gefasst hat. Samen von Pfl anzen, die einst<br />
hier heimisch waren, wurden neu gesät. In Anlehnung an die<br />
ursprüngliche Struktur sind Betonplanken das wichtigste Bauele-<br />
ment, daraus geformt werden Wege und Bänke. Und mancherorts<br />
werden selbst die alten Schienen wieder installiert. Die Geschichte,<br />
soll das bedeuten, geht weiter.<br />
Die Freunde der High Line sind inzwischen vom eigenen Er-<br />
folg überwältigt. Die Eröff nung des Viaduktes im Winter, wenn<br />
keinerlei Grün lockt, kommt ihnen da ganz recht. Sonst würde<br />
ihr kleiner Park womöglich schon in den ersten Wochen »zu Tode<br />
geliebt«, fürchtet Hammond. Noch etwas Schonzeit, dann kann<br />
der Frühling also ruhig kommen.<br />
Neugierigen bleibt bis dahin nichts anderes übrig, als zum<br />
Bahnende zu pilgern. An der 34. Straße steigt die High Line von<br />
ihren Stelzen herab. Hier gibt sie sich so schön verwahrlost, wie<br />
sie vor zwei Jahren noch überall war. Üppiges Rosengestrüpp<br />
und ein Apfelbäumchen mit mickrigen Früchten überwuchern<br />
die Schienen. Am Rand ein efeuartiges Gewächs: Giftefeu. Stark<br />
giftig. »Finger weg!«, scheint es die Passanten zu warnen. Ob es<br />
auch für ihn, den Misanthropen der nordamerikanischen Flora,<br />
noch einen Platz geben wird auf der neuen High Line?<br />
➾<br />
good view of it all from her fi fth-fl oor fi re escape. She moved<br />
to the area before the High Line was rediscovered. »Back then<br />
I could still sleep with open windows and without earplugs.«<br />
Meanwhile the work on the High Line is still the lesser evil. New<br />
luxury residences are rising all along the future park. »Not very<br />
long ago, there were two dumpy garages over there,« says Reilly.<br />
»Now there’s a glass tower.«<br />
Th e ironies of development are many. Irony number 1: Th e park,<br />
intended to be kept »simple, wild, and quiet« by its designers, has<br />
triggered a hectic building boom. Number 2: Th e property own-<br />
ers’ opposition has dwindled. Th eir profi ts have single-handedly<br />
multiplied. And the city has enabled them to sell their »air rights«<br />
to developers. Number 3: Th e glass facades of the new buildings<br />
designed by star architects will practically crowd around the High<br />
Line, some even leaning into it. Everyone wants to catch the best<br />
glimpse of the narrow green, the magic of which, however, came<br />
from its seclusion. Number 4: Th e place famous for being completely<br />
unspoiled will soon be one of the most visited in New York.<br />
Th e nostalgic pictures by Sternfeld are now juxtaposed with new<br />
images—the digital renderings of the future by landscape designers<br />
Field Operations. Th e company’s owner, James Corner, calls the<br />
High Line a found landscape and wants to let it fl ower again as<br />
such. In his sketches, people stroll through a sumac thicket and<br />
over metal grates that cross the original wilderness as it has once<br />
more taken hold. Th e seeds of plants native to the High Line have<br />
been sown again. Evocative of the original structure, concrete<br />
planks are the most important design element. Th ey are shaped<br />
into paths and benches. And in certain places the old tracks will<br />
even be reinstalled. History—this suggests—continues.<br />
Th e »Friends of the High Line« have been overwhelmed by their<br />
own success. Th e viaduct’s opening in winter, when no greenery<br />
lures, suits them just fi ne. Otherwise, Hammond is afraid their<br />
little park may be loved to death in the fi rst few weeks. And after<br />
this honeymoon, they’ll be ready for spring.<br />
Until then the curious have to trek all the way to the end of the<br />
line. On 34th Street the High Line literally comes down to earth.<br />
Here it still boasts the beautiful neglect that characterized its entire<br />
length just two years ago. Th e brambles of wild roses and an<br />
apple tree with stunted fruit overgrow the tracks. An infamous<br />
plant thrives at the edge: poison ivy. »Hands off !,« it seems to<br />
warn passersby. Will this misanthrope of North American fl ora<br />
also have its place on the new High Line?<br />
❊ ❊
»Mein zweieinhalb Kilometer langer Garten«<br />
»My two-and-a-half-kilometer-long garden«<br />
Jahrelang hat Ken Robson, 59, unbemerkt auf der High Line gegärtnert. Drei Fragen an den<br />
Mann, der täglich durch sein Küchenfenster in die Wildnis stieg<br />
For years, Ken Robson, 59, secretly indulged in gardening on the High Line. Th ree questions for<br />
the man who steps out of his window into nature each day<br />
Mister Robson, vor vielen Jahren, als noch niemand von der High<br />
Line sprach, hatten Sie dort schon einen kleinen Baum gepfl anzt –<br />
mit einer Lichterkette versehen, die Sie jeden Abend anknipsten.<br />
Heute ist er in Joel Sternfelds Fotoband »Walking the High Line«<br />
verewigt. Was haben Sie damals sonst noch kultiviert? Sonnenblumen,<br />
die drei Meter hoch wuchsen. Krokusse und Osterglocken<br />
im Frühjahr. Tomaten auf dem Sims. Mein Garten fi el richtig auf.<br />
Er war immer grün, auch wenn alles drum herum braun wurde,<br />
weil es nicht regnete. Ich habe ihn mit einem Schlauch gegossen,<br />
aus dem Badezimmerfenster heraus. Als die Renovierung begann,<br />
scherzten die »Freunde der High Line«, dass sie diesen Teil so<br />
belassen wollten.<br />
Mr. Robson, many years ago, before anyone talked about the High<br />
Line, you had already planted a little tree there—furnished with<br />
a string of lights that you switched on each evening. It is now<br />
immortalized in Joel Sternfeld’s volume of photos, »Walking the<br />
High Line.« What else were you planting back then? Sunfl owers<br />
that grew to a height of three meters. Crocuses and daff odils in<br />
the spring, tomatoes on the sill. My garden really caught the eye.<br />
It was always green, even when everything around was brown<br />
because it hadn’t rained. I watered the garden with a hose from<br />
my bathroom window. When the renovation began, the »Friends<br />
of the High Line« joked that this section should be left as is.<br />
Hatten Sie nie Probleme wegen unbefugten Betretens der Trasse?<br />
Robson: Eines Sonntags arbeitete ich draußen in meinem Garten,<br />
als plötzlich drei Polizisten auftauchten. Ich dachte schon: Das<br />
war’s, jetzt ist es vorbei mit meinem zweieinhalb Kilometer langen<br />
Grundstück. Aber sie guckten mir nur zu, staunten und sagten:<br />
»Oh, echt toll!« Dann gingen sie weiter. Da habe ich noch einige<br />
Metallskulpturen und ein Vogelbad rangeschaff t. Und im Winter<br />
bekam der Baum rote Schleifen.<br />
Didn’t you have problems with unwanted visitors on the embankment?<br />
One Sunday I was working outside in my garden when three<br />
police suddenly showed up. I was already thinking: Th is is it, it’s all<br />
over now with my two-and-a-half-kilometer plot of land. But they just<br />
stared at me, astonished, and said: »Man, that’s awesome!« And they<br />
went on their way. I managed to scrounge up a few metal sculptures<br />
and a birdbath. And in the winter the tree got red bows.<br />
Nun gibt es Ihr Gärtchen nicht mehr. Freuen Sie sich auf den neuen<br />
Park? Robson: Der wird wunderschön. Ich hoff e, sie pfl anzen hier<br />
etwas, um das ich heimlich ein paar Lichter wickeln kann. Mal<br />
sehen, was passiert, wenn ich die dann anknipse.<br />
Your garden is gone now. Are you happy about the new park?<br />
Robson: It’s becoming quite beautiful. I hope they will plant<br />
something to which I can secretly attach a few lights. And let’s<br />
see what happens when I switch them on. aw<br />
All pictures © Joel Sternfeld, 2000<br />
high life 71
72 gallery<br />
V8 Galerie für zeitgenössische<br />
Reise- und Dokumentarfotografi e<br />
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air 73
74 interview
»Piraten attackieren alles,<br />
was Gewinn verspricht«<br />
»Pirates will attack anything<br />
that might bring profi t«<br />
Noel Choong, Chef des Piracy Reporting Center in Kuala Lumpur, erklärt die moderne Seeräuberei<br />
Noel Choong, head of the Piracy Reporting Center in Kuala Lumpur, elucidates modern piracy<br />
Piratenattacken fi nden in westlichen Staaten nur im Karneval<br />
oder im Kino statt. Während sich Johnny Depp als Räuber mit<br />
Augenklappe über die Leinwand blödeln kann, sind die Überfälle<br />
für moderne Seefahrer hingegen bitterer Ernst. In den ersten sechs<br />
Monaten dieses Jahres gab es weltweit 114 Attacken auf hoher See<br />
– Tendenz steigend. Die Seeräuberei boomt.<br />
1992 hat die Internationale Handelskammer das Piracy Reporting<br />
Center (PRC) in Kuala Lumpur eingerichtet. Das Zentrum versorgt<br />
Schiff e auf allen Weltmeeren mit Warnungen vor Piraten und hat<br />
eine 24-Stunden-Hotline für Hilferufe eingerichtet. Ein Gespräch<br />
mit Noel Choong, Leiter des PRC und erfahrener Seemann, über<br />
die Methoden der modernen Piraten – und warum Seeräuberei nur<br />
in Filmen romantisch ist.<br />
Herr Choong, haben Sie den Kinofi lm »Fluch der Karibik« gesehen?<br />
Natürlich, das gehört ja quasi zu meinem Fach! Aber ganz ehrlich:<br />
Für mich ist der Film pure Unterhaltung, ich habe viel gelacht.<br />
Aber ich hatte ja auch selbst nie eine traumatische Erfahrung mit<br />
Piraten. Für Seeleute, die schon einmal bei einem Überfall um ihr<br />
Leben bangen mussten, gibt es da nicht viel zu schmunzeln. Wer<br />
gefesselt über Bord geworfen wird, kann nur im Film überleben,<br />
im realen Leben nicht.<br />
Wie muss man sich moderne Piraten vorstellen?<br />
Sicher nicht wie Johnny Depp! Es gibt drei Typen von Piraten:<br />
I n<br />
western lands, pirate attacks take place only at carnivals or<br />
cinemas. Johnny Depp may act the robbing buff oon with an eye<br />
patch, but real attacks are no laughing matter for today’s ocean<br />
travellers. In the fi rst six months of this year 114 acts of piracy on<br />
the high seas were reported worldwide—and the number is rising.<br />
Th ere’s a boom in seaway robbery.<br />
Th e International Chamber of Commerce established the Pi-<br />
racy Reporting Center (PRC) in Kuala Lumpur in 1992. Th e center<br />
provides piracy warnings to ships on all the world’s seas and has<br />
set up a 24-hour SOS hotline. A conversation with Noel Choong,<br />
head of the PRC and an experienced mariner, about how pirates<br />
operate these days—and why sea robbery is only romantic on the<br />
silver screen.<br />
Mr. Choong, have you seen the fi lm »Pirates of the Caribbean: Th e<br />
Curse of the Black Pearl«?<br />
Of course, it’s practically required viewing for my job! But seriously:<br />
For me, the fi lm was pure entertainment; it really made me<br />
laugh. But then I never had a traumatic experience with pirates<br />
myself. For mariners who’ve feared for their lives in an attack,<br />
there’s not much to chuckle about. Unlike in a movie, in real life<br />
no one who is bound and thrown overboard will survive.<br />
What are the pirates of today like? Defi nitely nothing like<br />
Johnny Depp! Th ere are three kinds of pirates: First of all, there<br />
are the occasional robbers. Th ey work in little gangs like burglars,<br />
interview 75
76 interview<br />
Nummer eins, das sind Gelegenheitsräuber. Die operieren wie<br />
Einbrecher in kleinen Gangs, nehmen, was sie bekommen, und<br />
hauen wieder ab. Der zweite Typ arbeitet in organisierten Syndikaten<br />
und ist ausschließlich an der Fracht interessiert, meist geht<br />
es um Öl und Gas. Sie halten die Mannschaft in Schach, bis sie<br />
ihre Beute auf ein anderes Schiff verladen oder gepumpt haben,<br />
mit dem sie dann verschwinden. Die dritte Gruppe hat es auf das<br />
ganze Schiff abgesehen: Nach dem Kapern wird es umgestrichen<br />
und erhält eine temporäre Neuregistrierung. Später fordern die<br />
Entführer Lösegeld für Fracht und Mannschaft.<br />
Wie laufen die Überfälle ab?<br />
Meist nähern sich die Piraten in der Dunkelheit mit kleinen<br />
Schnellbooten den viel größeren, unbeweglichen Schiff en. Sie klet-<br />
tern mit Seilen an Bord und bedrohen die Mannschaft mit Waff en.<br />
Sobald sie ihre Beute haben, fahren sie zurück zu einem größeren<br />
Mutterboot oder einer Operationsbasis an Land. Im Grunde hat<br />
sich die Taktik über die Jahrhunderte kaum geändert: ein Schiff<br />
auf hoher See entern und mit möglichst viel Beute verschwinden.<br />
Nur die Waff en sind moderner geworden.<br />
Welche benutzen Seeräuber heute?<br />
Das hängt von der Region ab. Piraten in der Straße von Singapur<br />
benutzen amerikanische M16-Maschinengewehre, ihre Kollegen<br />
am Horn von Afrika und in der nördlichen Straße von Malakka<br />
arbeiten mit russischen AK57-Gewehren und Granatwerfern.<br />
Vor allem in Somalia sind diese leicht zu bekommen und werden<br />
erschreckend oft eingesetzt. In anderen Gegenden, zum Beispiel<br />
an vielen Küsten Indonesiens oder in Bangladesh, sind die Piraten<br />
lediglich mit Pistolen und Macheten bewaff net. Aber selbst, wenn<br />
sie nur mit einem Messer angreifen: Die Überfallsituation an sich<br />
ist extrem gefährlich. Und jede Waff e kann tödlich sein.<br />
Piratenfi lme spielen eigentlich immer in der Karibik oder in<br />
der Südsee. Wo sind heute die gefährlichsten Regionen?<br />
Momentan Somalia und Nigeria. Die Zahl der Angriff e von Piraten<br />
in Afrika ist enorm gestiegen: In den letzten drei Monaten gab<br />
es allein im Golf von Aden 24 Überfälle von somalischen Piraten.<br />
Wir raten allen Schiff en, sich mindestens 200 Seemeilen von der<br />
somalischen Küste fernzuhalten. Aber mittlerweile wagen sich<br />
die Seeräuber immer weiter hinaus auf die off ene See.<br />
Könnten die Schiff e nicht einfach auf andere Strecken aus-<br />
weichen?<br />
In manchen Regionen ja. Aber an einigen Stellen gibt es einfach<br />
keine Alternative. Dazu gehört auch der Golf von Aden, die Meerenge<br />
ist maximal 1.000 Kilometer breit. Und es ist einfach die<br />
wichtigste Seeverbindung zwischen Europa und Asien. Gerade<br />
auch für Öltransporte von der Arabischen Halbinsel.<br />
Ist die Motivation der Piraten dort auch politisch?<br />
Nein, das einzige Interesse der Seeräuber – auf der ganzen Welt<br />
– ist Geld. Das sind weder Terroristen noch morden sie aus Spaß.<br />
Sie nutzen lediglich die chaotische politische Lage aus, um sich<br />
selbst zu bereichern. Dafür attackieren sie alles, was Gewinn verspricht:<br />
Öltanker oder Frachter wegen der Ladung, Segelboote oder<br />
Passagierschiff e, um Lösegeld zu erpressen. Die Piraten auf See<br />
sind jedoch nur Befehlsempfänger. Die eigentlichen Verbrecher,<br />
ihre Auftraggeber, sitzen an Land.<br />
take what they can get and move out fast. Th e second type works<br />
in organized syndicates and is only interested in freight—mostly<br />
oil and gas. Th ey hold a crew hostage until they have unloaded<br />
or pumped the booty onto another ship, in which they then take<br />
off . Th e third group is interested in the ship itself: After they seize<br />
a vessel, it is repainted and given a temporary new registration.<br />
Later, the abductors demand a ransom for ship and crew.<br />
What happens in an attack?<br />
Usually, pirates close in at night with small speedboats, surrounding<br />
the much larger and clumsier ship. Th ey climb aboard with<br />
ropes and threaten the crew with weapons. As soon as they have<br />
their loot, they take it back to a larger mother ship or to their base<br />
of operations on land. Basically, the tactic has hardly changed over<br />
the centuries: Board a ship on the high seas and take off with as<br />
much booty as possible. Only the weapons look diff erent today.<br />
What arms do sea robbers use now?<br />
It depends on the region. Pirates in the Straits of Singapore use<br />
American M16 machine guns; their colleagues on the Horn of Africa<br />
and in the northern Malacca Straits work with Russian AK57<br />
guns and grenade throwers. Th ese are easy to get, particularly in<br />
Somalia, and they are used appallingly often. In other regions,<br />
for example on the coasts of Indonesia or Bangladesh, pirates are<br />
armed only with pistols and machetes. But even if they attack<br />
with merely a knife—the situation is extremely dangerous. Any<br />
weapon can be deadly.<br />
Pirate fi lms always take place in the Caribbean or South Seas.<br />
What are the most dangerous areas today?<br />
Currently, it’s Somalia and Nigeria. Th e number of pirate attacks<br />
in Africa has increased enormously. In the last three months,<br />
Somalian pirates carried out 24 attacks in the Gulf of Aden alone.<br />
We advise all ships to keep at least 200 nautical miles away from<br />
the Somalian coast. But these days, pirates are venturing further<br />
out into the open sea.<br />
Couldn’t the ships simply take other routes?<br />
In some regions, yes. But in some areas there is simply no alternative.<br />
For example, in the Gulf of Aden, the narrows are at the<br />
most 1,000 kilometers wide. And it is simply the most important<br />
waterway between Europe and Asia—especially for the transport<br />
of oil from the Arabian Peninsula.<br />
Are the pirates there also motivated by politics? No. Th e only<br />
thing a pirate is interested in, anywhere in the world, is money.<br />
Th ey are neither terrorists nor bloodthirsty. Th ey take advantage<br />
of the chaotic political situation to get rich. So they will attack<br />
anything that might bring profi t: oil tankers or freighters because<br />
of the cargo, sailboats or passenger ships for the ransom money.<br />
But sea robbers are merely following orders. Th e real criminals,<br />
their bosses, are located on dry land.<br />
Can something be done about them?<br />
It is not exactly easy to deal with warlords in Somalia or armed<br />
militia in Nigeria. And if »businesspeople« in Dubai or Yemen<br />
fi gure out how easy it is to make money through piracy, things<br />
will get even worse. I am hoping for more international pressure.<br />
From the situation in the Strait of Malacca, we can see that it is<br />
more than possible to do something about it. In the formerly
Kann man gegen die vorgehen?<br />
Es ist nicht gerade einfach, mit Warlords in Somalia oder bewaff ne-<br />
ten Milizen in Nigeria zu verhandeln. Und wenn »Geschäftsleute«<br />
in Dubai oder Jemen erst einmal entdecken sollten, wie leicht man<br />
mit Seeräuberei Geld machen kann, wird es noch schwieriger.<br />
Ich hoff e hier auf mehr internationalen Druck. In der Malakka-<br />
Straße hat sich gezeigt, dass man durchaus etwas unternehmen<br />
kann. In dem einst berüchtigten Nadelöhr zwischen Indonesien<br />
und Malaysia gab es dieses Jahr nur zwei Zwischenfälle – 2004<br />
waren es noch 37. Die indonesische Regierung kooperiert auf<br />
internationalen Druck hin seit 2005 mit Malaysia, Singapur und<br />
Th ailand: Mehr als zwei Dutzend Kriegsschiff e, Patrouillenboote,<br />
Flugzeuge und Helikopter bewachen seitdem die 800 Kilometer<br />
lange Meerenge.<br />
Ist die Straße von Malakka mittlerweile sicher?<br />
Momentan scheint sie es zu sein. In Zukunft hängt die Situation<br />
davon ab, wie lange sich die indonesische Seite den Kraftstoff für<br />
die Patrouillenboote noch leisten kann – wenn der Ölpreis weiter<br />
steigt. Noch werden sie dabei von den USA unterstützt. Für die<br />
Indonesier ist es ein Verlustgeschäft, da die meisten Handelsschiff e<br />
in andere Länder fahren. Die Formel ist einfach: Viele Patrouillen<br />
– wenig Piraten. Wenig Patrouillen – viele Piraten.<br />
Was raten Sie Seeleuten, wie sie sich vor Piraten schützen<br />
können?<br />
Wir raten sehr davon ab, Schiff e zu bewaff nen. Der beste Schutz<br />
ist eine Wache rund um die Uhr. Für einen erfolgreichen Überfall<br />
benötigen die Piraten den Überraschungseff ekt. Wenn die<br />
See beobachtet wird, kann die Wache Alarm schlagen, bevor<br />
die Angreifer überhaupt an Bord gelangen. Die meisten Piraten<br />
werden in diesem Fall abhauen, schließlich wollen sie nicht von<br />
Patrouillenbooten festgenommen werden. Für eine eff ektive<br />
Anti-Piraten-Wache benötigt man allerdings mehr Personal. Viele<br />
Schiff seigner sparen aber und besetzen nur die absolut nötigen<br />
Posten. Da Seeleute eben auch irgendwann schlafen müssen,<br />
kommt die Wache oft zu kurz.<br />
Was tun, wenn die Angreifer schon an Bord sind?<br />
Wenn irgendwie möglich, einen Notruf absetzen. Ich war selbst<br />
Seefahrer und weiß, wie einsam man sich da draußen auf dem<br />
Meer fühlen kann. Bei einem Flugzeug passt jeder auf – auf hoher<br />
See ist das anders. Wenn wir einen Hilferuf bekommen, werden<br />
wir sofort alles in Bewegung setzen, um jemanden in der Nähe<br />
des Überfalls zu kontaktieren, der zur Strafverfolgung ermächtigt<br />
ist. So wissen die Seeleute immerhin, dass jemand nach ihnen<br />
sucht und sie nicht einfach so auf Nimmerwiedersehen ans Ende<br />
der Welt verschwinden werden.<br />
Haben Sie auch persönlich mit Piraten zu tun?<br />
Normalerweise arbeiten wir von unserer Zentrale aus und halten<br />
den Kontakt zu den verschiedenen Parteien vor Ort. Aber manchmal<br />
muss ich auch selbst in die Länder fahren, um mit Entführern zu<br />
verhandeln. Deswegen lasse ich mich auch nie fotografi eren: Es ist<br />
besser, dass die Gegenpartei mich nicht schon gleich am Gesicht<br />
erkennt, wenn ich ankomme.<br />
Interview: Christina Schott<br />
notorious bottleneck between Indonesia and Malaysia, there<br />
were only two cases this year—in 2004 there were 37. In 2005, the<br />
Indonesian government responded to international pressure and<br />
began cooperating with Malaysia, Singapore, and Th ailand. Since<br />
then, more than two dozen warships, patrol boats, planes and<br />
helicopters keep watch over the 800-kilometer strait.<br />
Is the Strait of Malacca secure now?<br />
For now it seems to be. In the future, the situation depends on<br />
how long the Indonesians can aff ord fuel for the patrol boats—if<br />
the price of oil continues to rise. Th e USA is still subsidizing them.<br />
For the Indonesians, it is a losing venture, because most cargo<br />
ships are going to other countries. Th e formula is clear: Many<br />
patrols—fewer pirates. Fewer patrols—many pirates.<br />
What do you tell mariners to do, to protect themselves from<br />
pirates?<br />
We defi nitely advise against arming ships. Th e best protection is<br />
a round-the-clock watch. Pirates take advantage of the element<br />
of surprise to pull off a successful attack. If the ocean is watched,<br />
an alarm can be rung before would-be attackers manage to make<br />
it on board. Most pirates will take off in such cases; they don’t<br />
want to be arrested by patrol boats. But extra crew is needed if a<br />
watch is to be eff ective. Many shipowners scrimp, and fi ll only the<br />
absolutely essential posts. And since mariners also have to sleep<br />
sometimes, their watch often is not long enough.<br />
And what if the attackers already are on board?<br />
Whenever possible, trigger an alarm. I used to be a sailor and<br />
know how lonesome one can feel out there on the sea. In a jet,<br />
everyone is attentive—but on the high seas, it’s diff erent. If we<br />
get a call for help, we will do everything in our power to contact<br />
someone near the location of the attack who is empowered to<br />
make arrests. So the sailors know that someone is looking after<br />
them, and they will not simply disappear into oblivion at the far<br />
corners of the earth.<br />
Do you have anything to do with pirates yourself?<br />
Normally we work from our own headquarters and with various<br />
parties on location. But sometimes I also have to travel abroad<br />
to negotiate with abductors. Th at’s why I never let myself be<br />
photographed: It’s better if the adversary doesn’t recognize me<br />
when I show up.<br />
Interview: Christina Schott<br />
interview 77
78 family<br />
Polen privat Poland, an Intimate Glimpse<br />
Photos: Przemysław Pokrycki<br />
Diese Reise ist nirgends zu buchen und nicht zu imitieren. Seit drei Jahren fährt der Warschauer Fotograf Przemysław Pokrycki kreuz und quer durch sein Land von<br />
einem Familienfest zum anderen. Momentan sind es insgesamt 78 Feierlichkeiten, die er besucht und bei denen er fotografi ert hat: Taufen, Kommunionsfeiern,<br />
Hochzeiten. Mal in altmodisch schlichten Vereinsheimen, wo man zur Sahnetorte Pepsi-Cola aus Pappbechern serviert, mal in prunkvollen Festsälen mit Stuckdecken<br />
und Schonbezügen. Eine Reise ins Innere der polnischen Volksseele. is<br />
You cannot book this trip, nor can you mimic it. For three years, Warsaw photographer Przemysław Pokrycki has crisscrossed his country, going from one family<br />
festival to another. By now he has attended and photographed 78 celebrations: baptisms, communion celebrations, weddings. Sometimes in old-fashioned, simple<br />
clubhouses, where cream tarts are served with Pepsi-Cola in paper cups, sometimes in ostentatious halls with molded stucco ceilings and slipcovers. A journey to the<br />
center of the Polish soul. is<br />
Taufe Baptism Kommunion Communion Hochzeit Wedding
family 79<br />
Courtesy ZPAF i S-ka Gallery, Krakow. www.pokrycki.com
80 check-out<br />
Nach Moskau fahren, um den Kreml zu sehen? Ist doch langweilig.<br />
Zum Glück gibt es die schönsten Sehenswürdigkeiten inzwischen auf der ganzen Welt – als<br />
Kopie. Ein kleiner Auszug aus der unendlichen Liste nachgebauter Attraktionen<br />
Going to Moscow to See the Kremlin? How boring. Luckily, by now the<br />
most beautiful sights can be seen around the world—as reproductions. A small excerpt from the<br />
endless list of replicated attractions<br />
Text: Emil Thraker<br />
Original Original Fälschung Fake<br />
Eiff elturm<br />
Paris<br />
Eiff el Tower<br />
Paris<br />
Kreml<br />
Moskau<br />
Kremlin<br />
Moscow<br />
Venedig<br />
Italien<br />
Venice<br />
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Christusstatue<br />
Rio de Janeiro<br />
Cristo Rei monument<br />
Rio de Janeiro<br />
Schloss Maisons-Laffi tte<br />
Yvelines, Frankreich<br />
Château de<br />
Maisons-Laffi tte<br />
Yvelines, France<br />
Freiheitsstatue<br />
New York<br />
Statue of Liberty<br />
New York<br />
Hotel Paris, Las Vegas: Die Eiff elturm-Kopie im Maßstab 1:2 ragt vor der 1999<br />
eröff neten 3000-Zimmer-Herberge empor. Der Turm trohnt über kleinen Nachbauten<br />
von Louvre und Pariser Oper.<br />
Hotel Paris, Las Vegas: A replica of the Eiff el Tower (on a scale of 1:2) rises above<br />
the 3,000-room hotel, which opened in 1999. By the way, you will fi nd models<br />
of the Louvre and Paris Opera beneath the tower.<br />
Petrin-Hügel, Prag: Hier steht ein Mini-Eiff elturm, 60 Meter hoch.<br />
Petrin Hill, Prague: Mini-Eiff el Tower (60 meters high).<br />
Hotel Kremlin Palace in Aksu, an der türkischen Riviera zwischen Antalya und<br />
Alanya: Nachbau von Rotem Platz, Basiliuskathedrale und Kreml unmittelbar<br />
am Strand. Mit Dönerstand auf dem Roten Platz.<br />
Hotel Kremlin Palace in Aksu, Turkish Riviera, between Antalya and Alanya:<br />
A model of Red Square, Saint Basil‘s Cathedral and the Kremlin—right on the<br />
beach. It‘s Red Square with kebab stands.<br />
Macau, Südchinesisches Meer: Rialto-Brücke, Gondoliere und Campanile geben<br />
eine hübsche Fassade ab für die eigentliche Attraktion im »Venetia Resort«:<br />
Glücksspiel. In angeblich weltgrößtem Ausmaß.<br />
Macau, South China Sea: Th e Rialto Bridge, gondoliers and campanile put a<br />
pretty face on the actual goings-on at the »Venetia Resort«: games of chance.<br />
Supposedly it’s the biggest such resort in the world.<br />
Hotel Venetian, Las Vegas: Leise plätschert der Canal Grande – in der Viertelmeilen-Version<br />
(402 Meter), wie die Amerikaner sie lieben.<br />
Hotel Venetian, Las Vegas: Th e gently lapping waters of the Grand Canal (in<br />
the typical U.S. quarter-mile version).<br />
Almada, ein Vorort von Lissabon: Die Portugiesen erbauten den Christo Rei<br />
nach Vorbild des brasilianischen Originals aus Dankbarkeit – weil Portugal<br />
nicht in den Zweiten Weltkrieg verwickelt wurde.<br />
Almada, a suburb of Lisbon: Th e Portuguese version of the Brazilian Cristo<br />
Rei monument, created in gratitude for the fact that Portugal was not drawn<br />
into World War II.<br />
30 Kilometer nördlich von Peking ließ der chinesische Baulöwe und Frankreich-<br />
Fan Zhang Yuchen einen detailgetreuen Nachbau des Barockschlosses von<br />
François Mansart errichten.<br />
Chinese real-estate magnate and Francophile Zhang Yuchen constructed an<br />
exact replica of François Mansart‘s masterful baroque palace, 30 kilometers<br />
north of Peking.<br />
Colmar, Frankreich: Geburtsort des Schöpfers der Statue, Auguste Bartholdi.<br />
2004, zu dessen 100. Todestag, weihte man in der Kleinstadt eine Zwölf-Meter-<br />
Replik ein.<br />
Colmar, France: Birthplace of the statue‘s creator, Auguste Bartholdi. In<br />
2004, on the 100th anniversary of his death, a 12-meter-high replica was<br />
unveiled.
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