recke:in - Das Magazin der Graf Recke Stiftung Ausgabe 1/2010
Die Netzwerker
Die Netzwerker
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10<br />
Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik<br />
Erziehung & Bildung 11<br />
Wenn Musik Tore öffnet<br />
Nicht immer melodiös, aber fast immer ausdrucksvoll und laut ist die Musik, die e<strong>in</strong>e Gruppe von<br />
Menschen mit geistiger Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung regelmäßig im Haus Haarbach Höfe <strong>in</strong> Rat<strong>in</strong>gen spielt.<br />
Ziel <strong>der</strong> regelmäßigen Übungen: Sich ausdrücken, Fähigkeiten entdecken – und Spaß haben.<br />
Kita-K<strong>in</strong><strong>der</strong> für Haiti<br />
<strong>Das</strong> schwere Erdbeben auf Haiti war auch für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>der</strong> Ev. K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätte <strong>in</strong> Düsseldorf-E<strong>in</strong>brungen<br />
e<strong>in</strong> Thema. Als sie darüber gesprochen hatten, war es aber für sie nicht erledigt.<br />
Auf Initiative des Elternbeirats machten sie sich ans Werk und bastelten Spendendosen.<br />
Mit Musik und Gitta geht es besser: Im Haus Haarbach Höfe wird mit Leidenschaft musiziert.<br />
Von Peter Reuter<br />
Ne<strong>in</strong>, melodiös ist das nicht, was es hier zu<br />
hören gibt. Wenn die Truppe Instrumente<br />
wie das Xylophon, die Triangel, die Flöte<br />
und die Trommel mit Herz und Seele spielt,<br />
geht es weniger darum, den Zuhörer zu<br />
bezaubern, als viel mehr um den therapeutischen<br />
Zweck für die Aktiven. Musik ist e<strong>in</strong><br />
Angebot, mithilfe dessen sich im Haus<br />
Haarbach Höfe elf geistig beh<strong>in</strong><strong>der</strong>te<br />
Bewohner ausdrücken können.<br />
Seit Oktober letzten Jahres arbeitet die<br />
Musiktherapeut<strong>in</strong> Gitta Alandt e<strong>in</strong>mal pro<br />
Woche e<strong>in</strong>e Stunde mit den musikbegeisterten<br />
Bewohnern. „<strong>Das</strong> Grundlegende ist es<br />
natürlich, erst e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Vertrauensbasis<br />
zu schaffen. Die Menschen müssen mich<br />
INFO<br />
Haarbach Höfe<br />
<strong>Das</strong> Wohnhaus Haarbach Höfe <strong>in</strong> Rat<strong>in</strong>gen<br />
ist e<strong>in</strong>e teilstationäre E<strong>in</strong>richtung<br />
des Heilpädagogischen Verbunds <strong>der</strong><br />
<strong>Graf</strong>-<strong>Recke</strong>-<strong>Stiftung</strong> für 32 Menschen<br />
mit geistigen und komplexen Mehrfachbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen.<br />
Der Heilpädagogische<br />
Verbund bietet Betreuung <strong>in</strong><br />
Wohnhäusern sowie ambulante<br />
Begleitung im Betreuten Wohnen für<br />
Menschen mit geistigen o<strong>der</strong> Mehrfachbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen<br />
an.<br />
Foto: Künstle<br />
kennen und akzeptieren lernen“, so Gitta<br />
Alandt. Sie kennt die Bedeutung <strong>der</strong> Musik:<br />
„Musik und Gefühl machen ke<strong>in</strong>en Unterschied<br />
zwischen beh<strong>in</strong><strong>der</strong>t und gesund, alt<br />
o<strong>der</strong> jung!“, schwärmt die Musiktherapeut<strong>in</strong>.<br />
„Musik kann dramatisieren und Spannungen<br />
abbauen, kann Menschen <strong>in</strong><br />
Euphorie o<strong>der</strong> Trance versetzen, kann entspannend<br />
o<strong>der</strong> heilend wirken, die Möglichkeiten<br />
s<strong>in</strong>d nahezu unbegrenzt. Sie öffnet<br />
Tore, die man bisher nicht kannte.“<br />
Auch Heidi, die fast ke<strong>in</strong>en Term<strong>in</strong> für die<br />
Musiktherapie im Haus auslässt, ist begeistert.<br />
„Mit Instrumenten umzugehen, macht sehr<br />
viel Spaß, das könnte ich viel öfter machen",<br />
freut sich die Bewohner<strong>in</strong>. Und auch Alandt<br />
me<strong>in</strong>t: „Ich würde gerne häufiger mit den<br />
Bewohnern arbeiten, aber auch so kann<br />
man schon Fortschritte erkennen.“<br />
Sie selbst kam über die mediz<strong>in</strong>ische Diagnostik<br />
zur Arbeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Alten- und Pflegeheim.<br />
Hier arbeitete sie für den Sozialen<br />
Dienst, <strong>in</strong> dem es auch e<strong>in</strong>e psychiatrische<br />
Abteilung gab. Im Verlaufe ihrer gerontopsychiatrischen<br />
Ausbildung hatte Alandt<br />
e<strong>in</strong> Schlüsselerlebnis: „Als mich e<strong>in</strong>e sonst<br />
stumme Dame fragte, warum ich sänge,<br />
jedoch nicht mit ihr, wurde mir bewusst,<br />
dass Musik <strong>der</strong> Weg se<strong>in</strong> würde.“ Danach<br />
entschloss sie sich zu e<strong>in</strong>er musiktherapeutischen<br />
Ausbildung und hat nun e<strong>in</strong>e eigene<br />
Praxis.<br />
Bei <strong>der</strong> Therapie mit den Bewohnern sei es<br />
vor allem wichtig, darauf zu achten, dass<br />
alle sich auf e<strong>in</strong>er Ebene fühlen. „Die<br />
Bewohner sollen mich als Teil von ihnen<br />
betrachten. Ich leite sie zwar an, aber ich<br />
gebe ihnen nicht das Gefühl, über ihnen zu<br />
stehen.“ Es ist also durchaus möglich, dass<br />
e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Teilnehmer etwas besser kann als<br />
sie o<strong>der</strong> dass je<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe mal <strong>der</strong><br />
Dirigent se<strong>in</strong> darf. Es gehe um die Frage,<br />
wor<strong>in</strong> die spezielle Bedeutung <strong>der</strong> Musik für<br />
beh<strong>in</strong><strong>der</strong>te Menschen liegt: Wie kann ihnen<br />
Musik zugänglich gemacht werden, wie<br />
können sie Musik <strong>in</strong>dividuell erleben und<br />
nutzen? „Wir haben mit <strong>der</strong> Zeit schon<br />
bestimmte Rituale entwickelt. Manchmal<br />
dürfen die Teilnehmer aber auch e<strong>in</strong>fach<br />
mal machen, was sie wollen. Man versucht<br />
immer, den besten Weg zu f<strong>in</strong>den, um<br />
etwas aus ihnen herauszukitzeln.“<br />
Nonverbale Kommunikation<br />
E<strong>in</strong>e wichtige Eigenschaft <strong>der</strong> Musik bestehe<br />
dar<strong>in</strong>, dass ihr Erleben nicht ausschließlich<br />
an e<strong>in</strong>e bestimmte körperliche Konstitution<br />
gebunden sei. Je<strong>der</strong> Mensch kann<br />
Musik erleben, ganz gleich, wie e<strong>in</strong>geschränkt<br />
er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Bewegungen und<br />
Artikulationsmöglichkeiten ist. „Bei unserer<br />
Gruppe geht es um nonverbale Kommunikation,<br />
je<strong>der</strong> unserer Teilnehmer soll versuchen,<br />
sich mit <strong>der</strong> Musik o<strong>der</strong> dem Gesang<br />
auszudrücken. Und wenn man ganz genau<br />
zuhört und h<strong>in</strong>sieht, kann man daran den<br />
momentanen Gefühlszustand feststellen“,<br />
erklärt Alandt.<br />
Musiktherapie, sagt Alandt, ist nicht dazu<br />
da, e<strong>in</strong> Orchester o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Musical auf die<br />
Be<strong>in</strong>e zu stellen, son<strong>der</strong>n Kontakt- und<br />
Kommunikationsschwierigkeiten zu überw<strong>in</strong>den,<br />
geistige Fähigkeiten wie<strong>der</strong>zuerwecken,<br />
zu bewahren und weiterzuentwickeln,<br />
den eigenen Spiel-Raum zu erweitern<br />
und Freude <strong>in</strong>s Leben zu br<strong>in</strong>gen. „Wir<br />
möchten ihre Ressourcen för<strong>der</strong>n und<br />
ihnen Würde und Achtung schenken.“<br />
Heidi kann die positive Wirkung <strong>der</strong> regelmäßigen<br />
Therapie bestätigen: „Mit <strong>der</strong><br />
Musik und Gitta geht es mir besser“, sagt sie<br />
mit großer Überzeugung.<br />
Von Sarah Lün<strong>in</strong>g<br />
„Guck mal hier, das b<strong>in</strong> ich!“, ruft Charlotte<br />
stolz und zeigt mit ihrem F<strong>in</strong>ger auf e<strong>in</strong>e<br />
<strong>der</strong> kle<strong>in</strong>en Figuren, die auf <strong>der</strong> Weltkugel<br />
aus Pappmachee aufgeklebt s<strong>in</strong>d. Alle K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
aus <strong>der</strong> Gelben Gruppe s<strong>in</strong>d hier mit<br />
e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en selbst gemalten Papierfigur<br />
wie<strong>der</strong>zuf<strong>in</strong>den, unter <strong>der</strong> ihr Name steht.<br />
Doch Charlotte weiß noch mehr und deutet<br />
auf e<strong>in</strong>e bestimmte Stelle auf dem mit<br />
blauem Papier verkleideten Ballon, den die<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> geme<strong>in</strong>sam mit ihrer Erzieher<strong>in</strong><br />
gebastelt haben: „Hier ist Haiti“, erklärt die<br />
Kle<strong>in</strong>e.<br />
Mit dieser Karibik<strong>in</strong>sel, auf <strong>der</strong> vor wenigen<br />
Wochen e<strong>in</strong> schreckliches Erdbeben<br />
geschehen ist, haben sich Charlotte und die<br />
an<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>der</strong> Evangelischen K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätte<br />
<strong>der</strong> <strong>Graf</strong> <strong>Recke</strong> Erziehung & Bildung<br />
ganz genau beschäftigt. Und deshalb<br />
handelt es sich bei <strong>der</strong> Weltkugel <strong>in</strong> den<br />
Händen des Mädchens auch nicht um e<strong>in</strong><br />
ganz alltägliches Bastelstück <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>,<br />
son<strong>der</strong>n um e<strong>in</strong>e Spendendose mit e<strong>in</strong>em<br />
kle<strong>in</strong>en Schlitz mitten auf dem Nordpol.<br />
„Unseren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n geht es so gut, da wollten<br />
wir etwas zurück geben,“ erklärt Christ<strong>in</strong>e<br />
Wilhelmi vom Elternbeirat. Der hatte die<br />
Idee, <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätte Spendendosen<br />
aufzustellen und für die Erdbebenopfer<br />
auf <strong>der</strong> Karibik-Insel zu sammeln. Auf die<br />
Idee kamen die Eltern durch das momentane<br />
Motto <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätte: „K<strong>in</strong><strong>der</strong> dieser<br />
Welt“. Und so wurde Anfang Februar <strong>in</strong><br />
den Räumen <strong>der</strong> Roten, <strong>der</strong> Gelben, <strong>der</strong><br />
Blauen und <strong>der</strong> Grünen Gruppe jeweils e<strong>in</strong>e<br />
Basteln für den guten Zweck <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätte <strong>in</strong> Wittlaer-E<strong>in</strong>brungen.<br />
Julia Rauh von <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>nothilfe nahm die gefüllten Spendenboxen persönlich entgegen.<br />
von den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n selbstgestaltete Spendendose<br />
aufgestellt. Dar<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sgesamt 940<br />
Euro zusammengekommen, die für K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
auf Haiti bestimmt s<strong>in</strong>d und zu denen nicht<br />
nur die Eltern und Erzieher ihren Teil beigetragen<br />
haben, son<strong>der</strong>n auch die K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />
„Manche K<strong>in</strong><strong>der</strong> haben ihre Spardosen<br />
geknackt o<strong>der</strong> ihr Taschengeld beigetragen,“<br />
berichtet die Leiter<strong>in</strong> <strong>der</strong> Blauen Gruppe<br />
Annemarie Ros<strong>in</strong>g und freut sich über<br />
die Hilfsbereitschaft ihrer Schützl<strong>in</strong>ge.<br />
Für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> war diese Woche e<strong>in</strong>e ganz<br />
beson<strong>der</strong>e. Sie haben <strong>in</strong> diesen Tagen nicht<br />
nur fleißig Geld für die Opfer des Erdbebens<br />
gesammelt, son<strong>der</strong>n auch e<strong>in</strong>e Menge über<br />
die Geschehnisse <strong>in</strong> Mittelamerika erfahren.<br />
Foto: Künstle<br />
Foto: Künstle<br />
Im täglichen Morgenkreis sprachen die<br />
Erzieher<strong>in</strong>nen mit den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n über die<br />
Ereignisse und erklärten nicht nur, was e<strong>in</strong><br />
Erdbeben ist, son<strong>der</strong>n auch, was die Katastrophe<br />
für die Menschen dort bedeutet.<br />
„Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> können stolz se<strong>in</strong>“<br />
Gefreut über die Anteilnahme und die Sammelaktion<br />
<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> hat sich auch Julia<br />
Rauh von <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>nothilfe <strong>in</strong> Duisburg.<br />
Sie ist am Ende <strong>der</strong> Sammelaktion <strong>in</strong> die<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätte nach Wittlaer gekommen,<br />
um den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und ihren Eltern persönlich<br />
für die Spendenaktion zu danken.<br />
„Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> können stolz se<strong>in</strong> auf die<br />
Summe, die da zusammengekommen ist,“<br />
betont Rauh, als sie von Ricarda, Ann-Christ<strong>in</strong><br />
und Johanna im Namen aller K<strong>in</strong><strong>der</strong>,<br />
Eltern und Erzieher e<strong>in</strong>en Umschlag mit <strong>der</strong><br />
gesammelten Summe überreicht bekommt.<br />
Mit dem Geld wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> haitianischen<br />
Hauptstadt Port-au-Pr<strong>in</strong>ce e<strong>in</strong> Zentrum, das<br />
die K<strong>in</strong><strong>der</strong>nothilfe errichtet hat, unterstützt.<br />
Dort bekommen täglich mehrere hun<strong>der</strong>t<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> Nahrung, Unterkunft und Schutz,<br />
berichtet Julia Rauh.<br />
„Uns war es beson<strong>der</strong>s wichtig, dass das<br />
Geld K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> Haiti zugutekommt,“ erklärt<br />
Christ<strong>in</strong>e Wilhelmi, denn schließlich sei es<br />
e<strong>in</strong>e Aktion von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n für K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />
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