WAHRNEHMUNGSBERICHT - Der Standard
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Wahrnehmungsbericht 2008/2009 Seite 12<br />
b) Defizitärer Grundrechtsschutz<br />
Im Bereich der Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung besteht nach wie vor ein<br />
eklatantes Ungleichgewicht zwischen dem Erlass repressiver Maßnahmen und<br />
rechtsstaatlicher Verfahrensgarantien. Die Europäische Union verpflichtet die<br />
Mitgliedstaaten zu zusätzlichen und umfassenden Straftatbeständen, zu höheren Strafen, zu<br />
neuen Eingriffsbefugnissen sowie zu schnellerer Zusammenarbeit der<br />
Verfolgungsbehörden in einfacheren Verfahren. Man versucht Gefahrenabwehr durch<br />
Vorverlegung der Strafbarkeit auf manifeste Vorhaben in Richtung Terrorismus und<br />
organisierte Kriminalität. Während das materielle Strafrecht und die polizeiliche und<br />
justizielle Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in den vergangenen Jahren in beachtlichem<br />
Ausmaß harmonisiert wurden, blieben zielführende Bemühungen im Zusammenhang mit<br />
den Verfahrensrechten und dem Grundrechtsschutz aus.<br />
Auch das Stockholm-Programm wird dem nicht abhelfen, enthält doch der Vorentwurf<br />
Repressionsmaßnahmen zur weiteren Stärkung der Sicherheit in Europa in derart großer<br />
Zahl, dass von einer Aufwertung der Grundrechte insgesamt betrachtet keine Rede sein<br />
kann. Schon der optische Vergleich verdeutlicht, worauf das Programm den Schwerpunkt<br />
legt: Während die Erwägungen, wie Terrorismus und alle möglichen Formen<br />
grenzüberschreitender Kriminalität zu bekämpfen sind, über mehrere Seiten sich<br />
erstrecken, spricht im ganzen Papier nur ein einziger Absatz von der Stärkung der<br />
Verteidigungsrechte und einer vagen Möglichkeit, den Grundsatz der Unschuldsvermutung<br />
und die Regeln für die Untersuchungshaft in die künftigen Arbeiten einzubeziehen. <strong>Der</strong><br />
Österreichische Rechtsanwaltskammertag fordert, dass diese Vorhaben rasch und ohne<br />
Abstriche konkretisiert werden.<br />
Die Europäische Menschenrechtskonvention normiert einen Mindestkonsens im Bereich<br />
der Grundrechte, wobei die Vertragsstaaten bei der konkreten Gewährleistung der<br />
Konventionsrechte über einen großen Ermessensspielraum verfügen. Obwohl die<br />
Europäische Menschenrechtskonvention eine solide Basis für den Grundrechtsschutz<br />
bildet, kann mit diesem Schutzmechanismus angesichts des Ausmaßes an möglichen<br />
Grundrechtsbeschneidungen in der Europäischen Union, die sich direkt und spürbar auf die<br />
Bürger auswirken können, nicht das Auslangen gefunden werden. Vielmehr erscheint die<br />
Schaffung von adäquaten Rechten und Verfahrensgarantien – in ebenso durchschlagender<br />
und einheitlicher Form wie die repressiven Maßnahmen – dringend geboten.