BACKSPIN Magazin #117
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00117
#117
4 194891 205005
SOMMER 2015
„HATER,
DA HABT
IHR DEN
SALAT“(K.I.Z - 2015)
MOTRIP
MAMA
Ab 19. JUNI 2015
Erhältlich als Standard CD Album,
180g Doppel Vinyl (inkl. digitales Album),
Limited Deluxe Box und Download
TOUR 2015
13.10.15 München Backstage
15.10.15 Berlin SO36
16.10.15 Stuttgart Wizemann
17.10.15 Hamburg Übel & Gefährlich
18.10.15 Köln Underground
Tickets gibt es an allen bekannten
Vorverkaufsstellen und unter www.eventim.de
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EDITORIAL
#117
Der Sommer steht vor der Tür. Sogar in Hamburg
konnte man in den vergangenen Tagen ein wenig
Sonne abbekommen. Und Sommer bedeutet auch
jedes Jahr wieder, dass die Festivalsaison vor der Tür
steht. War es in der Vergangenheit eher seltener der
Fall, dass Rapper auf Festivals außerhalb ihres Genres
auftraten, so erobern sie heute fast jede Festivalbühne
Einen Blick auf die Werte der Kultur beziehungsweise der Gesellschaft haben
zweifelsohne auch die Jungs von K.I.Z. Und zum Jubiläum von „10 Jahre
Hurensohn” war es scheinbar Zeit für ein neues Album, um Rap-Deutschland
mal aufzuzeigen, wer den Sarkasmus salonfähig gemacht hat. Ehre, wem
Ehre gebührt. Doch wie hat alles angefangen? Eine Frage, die uns Nico, Maxim,
Tarek und Sil-Yan beantworteten.
Auch mit US-Westcoast-Rapper Ras Kass schwelgte unsere Autorin Frederike
Arns in Erinnerungen. Gestartet als eine der größten Rap-Hoffnungen
des Landes – genreübergreifend und vor beeindruckender Kulisse, nicht selten
zur Primetime. Ein Fakt, der zeigt, wie sehr Rap in der gesellschaftlichen der Westküste in den 90ern, schaffte der Kalifornier nie den wirklichen Durchbruch.
Und das, obwohl ihm nicht wenige erfolgreiche Kollegen bis heute
Mitte angekommen zu sein scheint.
Doch die Vorurteile gegenüber der Kultur und ihren Vertretern sind gerade in Talent und Qualität bescheinigen. Die Gründe dafür lieferte Ras Kass selbst in
den sogenannten Mainstream-Medien noch heute recht weit verbreitet. Das einem spannenden Gespräch.
ist soweit bekannt. Zu oft landen Rapper mit ihrem Handeln im Fokus und sorgen
so oft für die üblichen Vor-Verurteilungen. Kollege Falk Schacht ist einer heute nicht weniger aktuell. Im Sommer, bei gutem Wetter und guter Laune.
Geführt übrigens auf dem Hip Hop Kemp 2014, also auf einem Festival,
der Vorreiter im Kampf um die richtige Positionierung von Hip-Hop und Rap Ein Rahmen, der immer Nährboden für gute Geschichten ist. So auch dieses
im Mainstream. Kein Artikel mit schlecht recherchierten Inhalten und fadenscheinigen
Argumenten, der nicht vom Wahl-Hamburger an den Pranger und Novalja, um nur ein paar Orte des Hip-Hop-Festivalkalenders 2015 zu nennen.
Jahr wieder, egal, ob in Ferropolis, Stuttgart, Hünxe, Hradec Kravlove oder
am Ende richtiggestellt wird. Wie es sich für einen echten Nerd gehört. Ein Denn auch dieses Jahr sind wir wieder auf der Jagd für euch, nach Stories
Label zu gründen, war da ebenso nur die logische Konsequenz. Ein Projekt, und Bildern. Wir sehen uns. Aber erst mal: Viel Spaß beim Lesen!
das der Journalist und Moderator mit Hingabe führt und uns den Anstoß dazu
gab, mit ihm mal über seine Karriere, die Sicht auf die Kultur und eben das
neue Label zu sprechen.
Niko Hüls, Chefredakteur
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 3
HERAUSGEBER:
Niko Hüls / BACKSPIN Media
CHEFREDAKTEUR:
Niko Hüls
ART-DIREKTION:
Goran Tesanovic
LAYOUT:
Stephan „Gizmo“ Haramina
REDAKTION:
Valentin Alvarez Soto, Benjamin Auch, Martin Fischer, Stephan „Gizmo“ Haramina, Julia Henchen,
Tim Kinkel (Textchef), Shana Koch, Steffen Köster, Dennis Kraus (Chef vom Dienst),
Diana Swiadek, Dan Rosca, Mark Todt
AUTOREN DIESER AUSGABE:
Frederike Arns, Oliver Bartelds, Rene Gröger Fume, Peter Hagen,
Christian Luda, Janiv Koll, Phil Kühn, Rachel Sircar, Johann Voigt, Viktoria Weber, Marc „Sleepwalker“ Wichmann
FOTOS:
Afrika-Karibik Festival, Fifou Designs, Fresh Island, Phillip Gätz, Vitali Gelwich Photography Berlin,
Ice H2O, Hip Hop Kemp, HipHop Open, Niko Hüls, Florian Krause, Mafire Records Photography, Out4Fame, Ondro, Ninja Tune,
Sanjeev Velmurugan, Sleepwalker, Jan Grube Vids, Voy, Robert Winter, ZZTop
GRAFFITI-SEITEN:
Marten Dannenberg
GRAFFITI-KONTAKTE:
Tim Carstens & Tim Karger
E-Mail: Graffiti@backspin.de
REDAKTION TECHNICS:
Torben Bowm, Dan Rosca
E-Mail: Dan.Rosca@backspin.de
REDAKTION PERFORMANCE:
Benjamin Auch
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BACKSPIN sieht sich als Magazin, das die Entwicklung der internationalen Hip-Hop-Szene dokumentiert. Unser Anliegen ist es nicht, mit unseren bildlichen sowie textlichen Inhalten
die Leser dazu aufzurufen, strafbare Handlungen zu begehen. Mit Namen gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Für eingesandtes
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4 BACKSPIN #117 Sommer 2015
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BACKSPIN#117
06 ········································ Ohne Worte
10 ····································· Deutschstunde
12 ········································ Beatcorner
16 ··················· Wie war das noch mal? K.I.Z.
20 ··································· Hut Ab: Dr. Bootleg
22 ································ Musik: Falk Schacht
28 ··································· Musik: Raekwon
34 ························Die hohe 5 XXL: Celo & Abdi
37 ························Promotion: Original Penguin
38 ······································ Graffiti: ZZTop
44 ······························ Graffiti: Special– Raws
48 ····································· Graffiti: Walls
50 ··················· Graffiti: Back in the Days – Kone
52 ····································· Graffiti: Trains
56 ························ Tales From A Dirty Old Man
58 ····························· Art: Golden Green 179
62 ·········· Producer Spotlight: Hudson Mohawke
65 ································ Technics: Produkte
66 ·············· Technics: Sleepy‘s World of Music
69 ···································Promotion: Farah
70 ·································· Musik: Ras Kass
73 ··········································· Festivals
80 ··································· Musik: Fashawn
84 ··························· Die hohe 5 XXL: MoTrip
86 ························ Back in the Days: 3rd Bass
90 ································ Album der Ausgabe
92 ······································· Soundcheck
96 ········································ Verlosungen
98 ··············································· ABO
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 5
Foto:Mafire Records Photography
PSAIKO DINO,
deine Jubelpose, bitte!
6 BACKSPIN #117 Sommer 2015
Foto:Mafire Records Photography
CELO,
wie können wir uns dich als Trainer
an der Seitenlinie vorstellen?
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 7
Foto:Mafire Records Photography
WEEKEND,
du hast leider ein Eigentor geschossen, wie reagierst du?
8 BACKSPIN #117 Sommer 2015
Foto:Mafire Records Photography
FALK:
Wie stellst du dich in eine Mauer?
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 9
TEXT: STEFFEN KÖSTER
Sobald aus dem angrenzenden Stadtpark Barbecue-Rauchschwaden in die Nase dringen und es aus jeder Ecke nach exzessiv konsumiertem
Grünen zu riechen scheint, ist das ein eindeutiger Indikator für den Anbeginn einer angenehmen Jahreszeit. Pünktlich zum Sommer und damit
zur anstehenden Festivalsaison werden an dieser Stelle adäquate musikalische Neuerscheinungen aus Rapdeutschland präsentiert. Zeugt der
Geldbeutel von chronischer Leere und ist die Zeit knapp bemessen, eignen sich die vorgestellten Releases perfekt, um sie mit auf den Campingplatz
zu nehmen – schließlich gibt es sie ohne größere Umständlichkeiten zum Gratis-Download.
Das Free-Release der Ausgabe: Gratis, aber
nicht umsonst preist der Fürther MC Johnny
Rakete seine neue EP für einen ganzen Monat
an. Um „Das Leben Das Universum Und Der
Ganze Rest“ herunterladen zu können, muss
der geneigte Hörer zuvor ein Level des Kultspiels
„Space Invaders“ durchstehen. Die Belohnung
sind fünf Tracks, für deren sphärische musikalische
Untermalung HawkOne tatsächlich den
„The Legend of Zelda“-Soundtrack nach Samples
durchforstet hat. So bewegt sich „DLDUUD-
GR“ galant zwischen Nintendo-Nostalgie, klugen
Lebensreflexionen und einem sympathischen
Johnny Rakete, der die Kiffer-Mentalität für die
EP mal beiseite und den Fokus auf anderes gelegt
hat.
schießt. Auf den treibenden Instrumentalen funktioniert
das nur allzu gut. Für die zeichnet nämlich
Rooq aus dem Umfeld der Witten-Untouchable-
Clique verantwortlich. Reinhören!
Um mit Missverständnissen im Rahmen seiner
„Tourette-Syndrom EP“ aufzuräumen (man höre
„14.11.14“), meldet sich Edgar Wasser mit einer
frischen „Freetrack Collection“ – der vierten
mittlerweile – zum Gratis-Download zurück. Unter
den 16 Anspielstationen verbergen sich mehr
und weniger bekannte Edgar-Tracks und -Features,
gespickt mit allerlei intelligent-zynischer
Lyrik des Münchners, mit der dieser der Szene
seit Jahren ihren ganz eigenen Spiegel vorhält.
Die abgetippten Texte zum heimlichen Unter-der-
Dusche-Mitrappen gibt’s obendrein.
Tracks zählendes Machwerk, das auf den Namen
„Beats und Bratpfanne“ hört. Das bevorzugte
Medium der Wahl unterstreicht hier die Attitüde
von Nordin und Kauz, die sich ganz auf die altbewährte
Kombination aus atmosphärisch-knisternden
Vinyl-Loops und von Schnickschnack
befreitem Sprechgesang konzentriert. Die mittlerweile
ausverkaufte Kassette kann nun auch in
MP3-Form gratis bezogen werden. Glücklicherweise.
Für seinen neuesten Streich wandelt Adi Space
aus den Reihen der Cosmo Gang auf Solopfaden.
Unter dem programmatischen Pseudonym Bimbo
Beutlin berichtet dieser in reimender Weise
„Von Pfeifenkraut und leichten Frauen“. Größtenteils
platziert Bimbo seine dezent verstrahlten
und zurückgelehnten Raps auf jazzig-souligem
Klangteppich. Eine angenehm entspannte und
musikalisch gelungene Angelegenheit.
Als Dankeschön zum Charterfolg ihres Albums
„Boomshakkalakka“ veröffentlichen die 257ers
die neun Tracks starke EP „Schrottmusik“. Auf
gewohnt trashigen Electro-Beats und in probater
Woddi-Manier sind sich Shneezin, Mike und
Keule für keine Ekelhaftigkeiten zu schade. Nebst
den typisch-ausgefallenen Flow-Abfahrten rund
um ihre Lieblingsthemen Hip-Hop und bewusstseinserweiternde
Substanzen tüteten die 257ers
sogar Gastbeiträge von Eko Fresh und Selfmade-
Records-Labelkollege Favorite ein.
Dass Totenkopf-, Panda- und andere Masken
nicht mehr länger nur der männlichen Fraktion
vorenthalten sind, beweist Antifuchs, die ihre Hörer
„Willkommen im Fuxxxbau“ heißt. Hungrig,
wie man die Rapperin aus diversen Video-Battles
kennt, inszeniert sich Antifuchs, indem sie auf
technisch hohem Niveau gegen die Konkurrenz
„Wie der Hase läuft“ – das offenbart Haze auf
seiner gleichnamigen EP. Mit rotzigem Karlsruher
Straßenrap, düster-knarzendem Boom-Bap
und regelmäßigem Output hat Haze in den letzten
Jahren auf sich aufmerksam gemacht. Die
sieben Songs der EP führen die eingeschlagene
Linie konstant fort. Interessierte können sich die
in Schwarz-Weiß-Optik gehaltene Videoauskopplung
zu „Bunker“ zu Gemüte führen.
Ursprünglich auf Tape via Alles Geben Musik releaste
das Westberliner Rap-Duo Futschis sein elf
Ein Blick auf die nächste heranwachsende Generation
hiesiger Beatproduzenten lässt Großes erahnen.
Seinen Beitrag leistet Nugat, der im Alter
von 17 Jahren mit der Produzenten-EP „Beats x
Beer x Green“ für lau um die Ecke kommt. Die
Instrumentale aus der Nugatschen Beatschmiede
überzeugen mit organisch-warmem Sample-Gefrickel.
Gastbeiträge stammen von Gold Roger,
Füffi und Pray. So werden der Titel der EP sowie
ihr Sound der Jahreszeit mehr als gerecht. In audiovisueller
Hinsicht könnte eine Sichtung des
Videos zu „Lollyaggin“ lohnenswert sein. B
10 BACKSPIN #117 Sommer 2015
TEXT: PHONK RIBERY
Es ist spannend zu verfolgen, wie die Diskussionen unter DJs, in den Medien und zwischen Musikliebhabern regelmäßig wechseln. Da diskutierte man die Langlebigkeit der CD,
die Qualität der MP3, die Vorteile von Serato und Traktor – um nun wieder bei der alten Liebe zu landen: dem Vinyl. Klangheimlich hat sich das Medium 7inch wieder in den
Fokus der Plattenleger aus den Bereichen Funk, Soul, Breaks, Disco und Mash-up gerückt. Darauf reagieren natürlich auch die Labels. Schuld daran sind sicherlich Aktivisten
wie Soulbrother Suspekt, Marc Hype, Smoove, Andy Smith, DJ Format oder Boca 45, die ihrer „Single“-Liebe treu blieben und sie nun in den Mittelpunkt rücken. Deshalb soll
an dieser Stelle auch mal eine „Beatcorner“-Ausgabe den 45ern gewidmet sein:
BOCA 45
„Mr. Big Sun“
Label: Digga Please
Format: Vinyl/CD/MP3
man ganz genau auf den großen Native-Tongues-Hit und
rekonstruiert ihn mit neuem Gesang und einer anderen
Auslegung des Samples herrlich frisch. Sowieso ist das
alles sehr frisch und sehr golden. Mehr davon!
THE ALLERGIES
„Big Bird/Heartbreaker“
Label: Wack Records
Format: Vinyl/CD/MP3
teln. Somit passt die Bezeichnung „Groovy Retro Modern
Sound“ ganz gut. Mit der B-Seite auf seiner neuen Single
hat er noch eine Prise Latin verarbeitet. Peak-time-Tune!
Steve Moore aus Newcastle ist eine Institution im internationalen
DJ-Zirkus. Der sympathische Brite reist um
die Welt und propagiert nicht nur das Kulturgut Vinyl über
Hip-Hop, Funk und Soul, Moore ist auch ein großartiger
Produzent und Chef des Plattenlabels Wack Records. Hier
Scott „Boca 45“ Hendy dreht seit fast 20 Jahren die Plattenteller
und wer ihn schon mal gehört hat, weiß, dass er
ein unaufhaltsamer Wirbelwind der funkigen Breakbeats
ist. Dass er nicht auf digitale DJ-Programme wie Traktor
oder Serato umgestiegen ist, um seine Möglichkeiten zu
erweitern, erstaunt nicht wenige. Schließlich wäre man so
technisch und bezüglich der Trackauswahl klar im Vorteil.
Aber nein, Boca griff einfach weiterhin auf eine unglaubliche
Sammlung von 45ern zurück und blieb trotzdem im
Spiel. Der Global-DJ-Player bespielt nicht nur die halbe
Welt mit seinen imposanten Single-Sets, er produziert zudem
regelmäßig deftige Kost zwischen psychedelischem
Soul, harten Breaks und derbem Rap. So auch für seine
neueste Single „Mr. Big Sun“ mit Stephanie McKay.
MINIMATIC
„If This Is Love/Owner of
a Boogaloo Heart“
Label: Tour Eiffel Records
Format: Vinyl/CD/MP3
Der fleißige Franzose Minimatic ist ein lebendes Vintage-
Kunstwerk. Er ist DJ, Produzent und Musiker in einer
Person. Seine 7inches sind seit Jahren eine erfrischende
Mischung aus 60er-Soul, Electro Swing und ansteckender,
uniquer Funkyness. Dabei hat er ein starkes Branding aus
alten Instrumenten und modernen elektronischen Hilfsmit-
NAUGHTY NMX
„Jungle Mango/Name
& Number“
Label: Dusty Donuts
Format: Vinyl/CD/MP3
Während diese Zeilen entstehen, steht die dritte Veröffentlichung
des Berliner Labels Dusty Donuts an. Dahinter
stehen Marc Hype, Jim Sharp, Naughty NMX und Runex.
Dusty Donuts veröffentlicht ausschließlich auf Vinyl. Die
zweite 7inch kommt vom Naughty NMX mit seinen exquisiten
Edits der B-Boy-Klassiker mit all den Zutaten, die
dazugehören: afrikanische Drums, die fast schon zu hypnotisch-religiösen
Mantras werden, pointierte Bläsersätze
und ins Blut gehende Breakbeats. Auf der B-Seite schaut
gibt es neue Formen von funkiger Frischware und atemberaubende
Mash-ups. Mit seinem Partner Turrell hat er den
modernen Soul in den letzten Jahren maßgeblich geprägt,
und es ist mir immer noch ein großes Rätsel, warum dieses
Duo nicht so erfolgreich ist wie Amy Winehouse und
Mark Ronson. Nun gibt es eine massive Packung Rhythm
& Blues sowie Funk auf der neuen Wack-Single. Dancefloor-Alarm,
Baby! B
12 BACKSPIN #117 Sommer 2015
MOBB DEEP, JOEY BADASS,
GHOSTFACE KILLAH & RAEKWON,
PRHYME, GANG STARR FOUNDATION,
EVIDENCE, YELAWOLF, THE FOUR
OWLS, MEGALOH, UMSE, SYLABIL
SPILL, RETROGOTT & HULK HODN…
THIS YEAR AT HIP HOP KEMP
HRADEC KRALOVE
20.–22.8.2015
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ERHÄLTLICH AUF WWW.4TIX.DE
DIREKT-BUSTOUREN AUS DE/AT/CH AB 60 EURO
ENJOY YOUR LIFE IN LOVE AND PEACE
WIE WAR
DAS NOCH
MAL,
K.I.Z.,
Interview: Niko Hüls, Valentin Alvarez | Fotos: Voy
16 BACKSPIN #117 Sommer 2015
… als ihr euer Demotape Marcus Staiger auf
den Tisch gelegt habt? Könnt ihr euch erinnern?
Tarek: Ja, er hat’s nach drei Songs ausgemacht
und meinte, es ist scheiße.
Maxim: Und dann waren wir sauer – auf die gesamte
Industrie.
Tarek: Auf die Illuminati-Rap-Industrie.
DJ Craft: Und auf mich wart ihr auch sauer.
Maxim: Ja, weil du meintest, du seiest so dicke
mit Staiger. Das hat, glaube ich, auch gar nicht
gestimmt.
DJ Craft: Es hat zu der Zeit nicht gestimmt,
nein. Aber ich wollte unbedingt, dass wir da hingehen
und ihm diese CD auf den Tisch legen.
Dass das dann so nach hinten losgeht, damit
hatte ich nicht gerechnet. Weil ich natürlich sehr
überzeugt von der Platte war. Und dann sind wir
ziemlich geknickt wieder herausspaziert.
War das Demo denn rückblickend betrachtet
tatsächlich so scheiße?
Maxim: Das war schon scheiße, das hat er richtig
erkannt.
Maxim: Das bleibt unter uns.
Tarek: Ach ja, ich habe „Fick dich“ von Jonesmann
geremixt! Das war nicht gut.
Maxim: Nico und ich, oder vielleicht auch wir
alle drei, keine Ahnung, haben einen Song gegen
Amis, die ihre Features in Deutschland verkaufen,
gemacht, der auch echt doof ist.
Was hat euch damals angetrieben? Ging es
euch um Fame und Erfolg?
Tarek: Anfänglich war es mir eher wichtig, dass
die Leute, die ich damals als coole Rapper gesehen
habe, meinen Namen kennen und wissen,
was ich kann. Damals, als ich zwölf war, wollte
ich unbedingt wissen, was diese Hip-Hop-Szene
ist und wie man da reinkommt. Und wenn
du dann irgendwann drin bist, denkst du dir: Oh
mein Gott, Alter. Die sind ja alle voll hängen geblieben.
Wahrscheinlich ist man es selbst auch,
aber dann denkt man sich: Oh Gott, warum war
mir das so wichtig? Aber es macht auch Spaß.
Geld und Fame stehen da eher hinten an.
Maxim: Bei mir war das Gefühl eher so, dass
ich wollte, dass die Leute mich hassen. Das
Man hat das Gefühl gehabt, er versteht das Ganze
irgendwie und hat Bock auf Stress
Nico: Da haben wir neulich auch selbst noch
mal reingehört, weil wir so ein Mixtape für unsere
Special Edition gemacht haben, wo lauter
Oldschool-Songs von uns drauf sind. Und wir
haben wirklich nichts von dem Ding nehmen
können, das war alles wack.
Irgendwie müsst ihr Staigers Interesse dann
aber doch geweckt haben. Was habt ihr gemacht?
Maxim: Wir haben von dem Demo CDs gebrannt
und selbst vertickt.
Tarek: Und auch an unseren Skills haben wir
gefeilt.
Nico: Im Kerzenschein an den derbsten Reimen
gefeilt!
Maxim: Und dann kam Staiger auch irgendwann
auf uns zu. Aber das war dann auch wegen
neuerer Mucke. Wir haben ein bisschen
Zeit gehabt, um uns zu entwickeln.
Nico: So drei Jahre.
Maxim: Ja, drei Jahre später wurde das Ding
den Leuten vom Bunker aufgezwungen, bis es
dann zu Marcus Staiger gelangt ist. Und dann
fing die Legende an! Aber ich glaube, bis dahin
fanden wir den Bunker wieder so richtig uncool.
Maxim: Das waren ja nicht die Harten in Berlin.
Und wir wollten erst mal nicht zu denen gehören.
Aber dann haben wir mitbekommen, dass
Staiger doch ganz cool ist.
Was hat Staiger 2005 denn cool gemacht?
Tarek: Er hatte ein Studio? Ich habe keine Ahnung.
Was war eigentlich cool an Staiger?
Maxim: Keine Ahnung, ich weiß es auch nicht
so richtig.
Nico: Er war einfach gut. Er war gut im Gespräch
miteinander. Er hat halt gesagt, was an uns cool
und was eventuell noch verbesserungswürdig
ist. Der Typ war einfach sympathisch und nicht
gerade blöd.
Maxim: Man hat das Gefühl gehabt, er versteht
das Ganze irgendwie und hat Bock auf Stress und
auf was Neues. Ich weiß noch bei „Böhse Enkelz“
– da hatten wir noch zwei, drei Songs rumliegen.
Irgendwelche Remixe, die sehr dumm und
albern waren, und wo ich froh bin, dass er uns
davon abgeraten hat, indem er meinte: „Ey, überlegt
euch, dass ihr nicht zu viel von diesem albernen
Shit macht, sonst werdet ihr irgendwann
als Band auch nicht mehr ernst genommen.“ Da
hat er ein gutes Händchen bewiesen.
Heißt das, er hat schon merklich Einfluss genommen
auf eure Entwicklung?
Tarek: Was heißt merklich? Er hat auf jeden Fall
hervorgehoben, was uns besonders macht,
und uns darin unterstützt. Im Endeffekt genau
das, was Beat Gottwald, unser Manager, auch
gemacht hat. Was man einfach als guter Manager
oder Labelchef …
Maxim: … als guter Vater so tut!
Wie aufnahmefähig wart ihr denn damals für
Anregungen und Kritik?
Tarek: Das waren jetzt keine krassen Anregungen.
Im Endeffekt hat er nur gesagt: „Das
ist gut und da würde ich es mir noch mal überlegen.“
Ob wir es machen oder nicht, blieb uns
dann selbst überlassen. Meistens hat er recht
gehabt. Ich weiß jetzt aber auch gerade gar
nicht mehr, welche Remixe das waren.
war dann auch eine Art Abgrenzungsmusik, ein
Bedürfnis, den Leuten zu zeigen, dass man sie
nicht leiden kann.
Zu Zeiten des Kettensägen-Massakers und des
„Böhse Enkelz“-Tapes gab es in der BACKSPIN-
Redaktion einige, die das gefeiert und einige,
die es gehasst haben. Diese beiden Reaktionen
erntet ihr wahrscheinlich häufiger, oder?
Tarek: Ja, und das ist gut so. Wenn Musik nur
Achselzucken hervorruft und einen kalt lässt, ist
das für mich ein Zeichen dafür, dass sie Dreck
ist.
Legt ihr es darauf an, so zu polarisieren?
Maxim: Das war halt einfach unser Humor, den
wir im Freundeskreis und unserem Umfeld hatten
und geil fanden.
Tarek: Das war damals so eine verkrampfte Zeit.
Alles, was ein bisschen aus der Reihe getanzt ist
und etwas Humor hatte, hat ja direkt schockiert.
Das war jetzt nicht kalkuliert oder so, das war
einfach sehr simpel. Es war eben raptechnisch
eine sehr ernste Zeit.
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 17
Gab es bei euch, zum Beispiel in dem Moment,
als ihr euren Major-Deal unterschrieben habt,
die Erkenntnis, Musik auch als Job zu sehen?
Tarek: Das klingt irgendwie eklig.
Ja. Dennoch: Gab es dazu Überlegungen?
Tarek: Natürlich hast du dann einen Moment,
in dem du merkst, dass du viele Fans hast. Und
denen möchte man natürlich gute Musik liefern.
Das Wichtigste aber ist, dass man selbst
mit seiner Musik zufrieden ist. Dann sind es die
Fans meist auch, und daraus ergibt sich dann
dieses Business-mäßige. Aber das stand nicht
im Vordergrund.
Nico: Bei mir gab es da irgendwie solche Momente,
in denen man sich dachte: Okay, jetzt
gehe ich gar nicht mehr arbeiten. Danach war’s
so: Okay, jetzt verdienen wir sogar Geld damit.
Aber es war nie so, dass wir uns deswegen gedacht
haben, dass wir jetzt mehr Zeit investieren
sollten als vorher. Das war ein relativ fließender
Übergang.
Maxim: Das war schon geil, als man gemerkt
hat: Okay, ich muss jetzt nicht mehr arbeiten. Ich
kann jetzt noch mehr Zeit mit der Musik verbringen.
Und dass irgendeine Sache, die dir Spaß
macht, ab irgendeinem Punkt auch eine Arbeit
sein kann, widerspricht der Spaß-Theorie für
mich auch nicht.
DJ Craft: Für mich persönlich war es am Anfang,
als wir bei Royal Bunker unterschrieben haben,
noch eine Ausprobierphase. Man wusste noch
nicht, in welche Richtung es gehen wird, ob es
auf dem Level bleibt oder größer werden kann.
Aber als Beat Gottwald unser Manager wurde
und wir den Vertrag bei Universal unterschrieben
und „Hahnenkampf“ rauskam und das alles
auch viel mehr Zeit in Anspruch genommen hat
und es wirklich ein Fulltime-Job wurde, da hat
sich bei mir schon das Gefühl breitgemacht:
Okay, jetzt wird es ernst. Und wenn man jetzt
alles richtig macht, am Ball bleibt und gut abliefert,
kann man da oben mitspielen.
Einerseits seid ihr da mit ausgestreckten Mittelfingern
durch die Szene gelaufen und ihr
habt deutlich gemacht, dass euch egal ist, was
andere von euch denken. Andererseits haben
euch genau diese Leute dann auf die Schulter
geklopft. Dazu kam dann der Deal mit Universal
– wie habt ihr da eure Haltung bewahrt?
Maxim: Universal sucht ja gerade dieses Rebellische.
Damit machen die ihr Geld. Die haben
auch überhaupt kein Interesse daran, irgendwas
zu ändern. Deswegen ist es jedenfalls nicht
so, dass sich irgendwas verändert, abgesehen
davon, dass man sich mehr auf die Musik konzentrieren
kann.
Nico: Außerdem kann man sich darin ja auch
ein Stück weit ziemlich wohlfühlen. Ich denke,
es gibt viele Künstler, die mit so einem Künstlervertrag
viel mehr mit ihrem Label zu tun haben.
Und wenn du dann auch noch mit diesen
Leuten zusammen feiern gehst und so Sachen,
kann es sein, dass dich das vielleicht etwas beeinflusst.
Aber wir gehen halt ab und zu Abendessen
oder treffen mal irgendwen irgendwo
und ansonsten hängen wir mit denselben Leuten
ab wie vorher, von daher hat das auch nicht
so viel Einzug in unsere Kunst erhalten.
Maxim: Meist liegt es doch an den Künstlern
selbst, ob das Major für sie ein Dämon ist und
man da in die Pop-Hölle einzieht. Da wird keiner
zu gezwungen. Die denken ja irgendwann
selbst so marktwirtschaftlich und sagen sich:
Wir müssen mehr wie die und die Band sein
und mehr das und das machen. Die meisten
machen sich selbst zu solchen Produkten. Dahinter
steckt kein böser A&R.
Die BACKSPIN hat mal eine Titelgeschichte
über euch gedruckt, die euch nicht so sonderlich
glücklich gemacht hat. Erinnert ihr euch?
Maxim: Ach so, ja. Das war diese Fantasie-Geschichte
von …
Nico: … Bianca Ludewig.
Maxim: Genau. Was Humor angeht, bin ich
sehr anspruchsvoll. Da bin ich eine Instanz in
Deutschland. Auch was literarische Spielereien
angeht, sollte es halt dope sein. Dann bin ich
18 BACKSPIN #117 Sommer 2015
auch down damit, dass man sich über mich lustig
macht. Aber das soll dann auch gut sein.
Tarek: Ich glaube, sie hatte jetzt nicht den
Anspruch, eine gute Story zu schreiben. Sie
wollte uns eher zeigen, dass sie das, was wir
textlich machen, auch mit uns machen kann.
Das kann man natürlich machen – wenn man
es gut macht. Aber es war einfach nicht lustig.
Das habe ich ihr auch in einem feuchtfröhlichen
Suffabend im Trinkteufel mal persönlich sagen
müssen. Und dann war auch wieder gut. Das
war eigentlich ein nettes Gespräch. Und dann
waren da noch so Einzelinterviews, die waren
auch nicht so übel. Aber die Geschichte war
einfach doof und unnötig.
Im Vortext stand, dass die Leute nicht wüssten,
wo sie K.I.Z. einordnen sollten. Der Wortlaut
war: „Im wertkonservativen Hip-Hop, der zuweilen
klarer strukturiert ist als eine Ikea-Kommode,
fehlt eine Schublade für K.I.Z.“
Maxim: Wenn man Schubladen braucht, hat
man solche Art von Sorgen. Keine Ahnung. Wir
sind unsere eigene Schublade.
Tarek: Dieses Schubladendenken ist traurig.
heute. Aber wir haben mal laut.de ein Interview
gegeben, wo der Typ einfach reingeschrieben
hat, was er wollte. Im Spiegel-Online-Interview
auch, wo einfach so Sachen standen, die wir
gar nicht gesagt haben.
Maxim: Aber meistens ist es sehr positiv. Die
hatten immer eine Mischung aus Respekt und
etwas Angst vor uns, was ich sehr verwirrend
finde, weil wir einfach grundsympathische Typen
sind. Ich glaube, das Problem ist immer
nur entstanden, weil ein paar Journalisten, die
eine andere Auffassung ihres Jobs hatten, sich
selbst in den Mittelpunkt stellen wollten. Deren
Ziel war es nicht, einen guten Artikel oder eine
gute Sendung zu machen, sondern am Ende
selbst geil dazustehen. Und dadurch kommen
dann solche Sachen mit dem Motto: Ich versuche,
witziger und brutaler zu sein, ich versuche,
schlauer zu sein.
Tarek: Ich versuche, die zu entlarven!
Musstet ihr euch viel erklären?
Tarek: Das wollte man auf jeden Fall oft von
uns. Aber das haben wir dann auch nicht wirklich
gemacht. Warum sollte man das auch tun?
Maxim: Ja, das klingt heldenhaft, war aber
dumm. In dem Alter ist das ja nicht so dramatisch,
in Deutschland jedenfalls. Man wird ja
nicht erschossen. Es ist einfach nur verletzend.
Nico: In Deutschland gibt es ja kein Getto.
Maxim: Ja, in Deutschland gibt’s ja kein Getto!
Ganz offiziell.
Sagt wer?
Maxim: Das Bundesamt für Gettoforschung.
Tarek: Der Gettopräsident.
Auf euren Konzerten erlebt man oft eine große
Anzahl von Jungs, die offenbar große Freude
daran haben, eure Hooks bierselig in bester
Volksfestmanier mitzugröhlen. Stört euch
das?
Maxim: Nö, das ist klasse. Ein bisschen gerader
singen könnten sie manchmal. Das haben
wir bei den Frauenkonzerten gemerkt. Als nur
Frauen im Raum waren, klang das alles ein wenig
besser. Aber ansonsten ist das natürlich vorbildlich.
Eine der Qualitäten, die ein K.I.Z.-Fan
mitbringen sollte.
Aber meistens ist es sehr positiv. Die hatten immer eine
Mischung aus Respekt und etwas Angst vor uns
Ich denke nicht, dass jeder das braucht. Journalisten
brauchen das sicherlich oftmals, aber
ansonsten …
Maxim: Ich finde das gar nicht schlimm! Wenn
eine Schublade dem dient, dass du im Plattenladen
weißt, ich mag die Art von Musik, dann
gehe ich hier bei Black Music rein, egal wie lächerlich
man so eine Bezeichnung findet, dann
ist das völlig okay. Ich bin jetzt niemand, der
sagt, dass man mich nicht in eine Schublade
stecken kann. Aber dass man daran verzweifelt,
wenn man keine Schublade findet, ist ein selbst
gemachtes Problem.
Wie bewertet ihr allgemein eure Erfahrungen
mit Medien? Wie begegnen euch Journalisten?
Tarek: In der Zeit von 2005 bis 2010 haben die
Leute ja an Berliner Rap gezweifelt. Es wurde
immer gesagt, es gebe keine sozialen Brennpunkte
oder Gettos hier. Da wurden wir immer
ganz erleichtert als Gegenentwurf zu dieser
Musik gesehen, was uns extrem genervt hat.
Dementsprechend war das Feuilleton uns immer
sehr wohlgesonnen – und das ist es bis
Es ist viel lustiger, wenn man dem Menschen
nicht gibt, was er möchte.
Maxim: Das ist Rapmusik und keine Schrank-
Bauanleitung, das muss man nicht alles verstehen.
Es gibt Dinge, die verstehe ich auch nicht
unbedingt. Ich verstehe nicht, wie Leute Klavier
spielen können. Ist doch egal, es hört sich geil an.
Auf eurem neuen Album „Hurra die Welt geht
unter“ gibt es den Song „AMG Mercedes“ –
beschreibt ihr da eure eigene Vergangenheit?
Maxim: Ja, das ist Real Talk. Zweifelst du das
an? Wir erzählen da ja nicht, dass wir Leute erschießen
würden …
Nico: Das ist dann auch für die Leute interessanter,
weil es dadurch einen Reality-Fernseh-
Charakter bekommt, dass man dann sagen
kann: Okay, der hat das und das erlebt. Aber
ansonsten, wenn wir die uns ausgedacht hätten,
wären uns die Geschichten vielleicht ein
bisschen zu langweilig.
Maxim, du rappst da, dass du alleine zu einem
Einzelkampf gegangen bist …
Was ist denn da die Offenbarung, die man dort
für sich gewinnen kann?
Maxim: Das ist schwer zu beschreiben, du
musst da gewesen sein. Kauf dir die Special
Edition jetzt bei Amazon. Ist gerade ein bisschen
billiger geworden, 39 Euro.
Tarek: Nur noch 39? Mensch, da würde ich zuschlagen!
Maxim: Ja. Mit dem exklusiven Mixtape, ausschließlich
mit Songs von 2000 bis 2004.
Tarek: Alter Schwede. Und dann auch noch
eine Fahne!
Maxim: Und ein Kartenspiel! Und noch eine
DVD mit dem splash!-Auftritt.
Tarek: Das ist nicht nichts.
Maxim: Und das alles in der Form einer Atombombe.
Also ich meine, schlagt zu! B
INTERVIEW: Dennis Kraus
Jan Grube Vids
HUTFOTOS:
AB,
Dr. Bootleg, mit deinen Remixen hast du im Netz ordentlich
Staub aufgewirbelt. Was treibt dich an, Remixe von deutschen
Rapsongs mit vorzugsweise amerikanischen Instrumentals zu
machen?
Ich war mehrere Jahre im Ausland unterwegs, zum Beispiel in
Thailand, Südafrika und Venezuela. Und eine Sache ist mir da immer
wieder aufgefallen: Die Leute haben einen stärkeren Bezug
zu Musik in heimischer Sprache. Das ist mir besonders in Caracas
aufgefallen. Da hat der DJ, der vor mir aufgelegt hat, einen
Cumbia-Remix von Snoop Doggs „Drop It Like It’s Hot“ gespielt.
Die Leute sind komplett durchgedreht. Und wenn ich dann von
meinen Reisen zurück kam und hier in einen Klub ging, fehlte mir
immer etwas. Man kennt das ja aus manchen Klubs, wenn zum
Beispiel „Hammerhart“ gespielt wird und die Leute dann hammerhart
abgehen. Diese Energie fehlt mir einfach viel zu oft. Und
meine Vision ist es tatsächlich, dass in deutschen Klubs überwiegend
deutsche Musik gespielt wird.
DR.
Woran liegt es deiner Meinung nach, dass – abgesehen von den
Deutschrap-Partys – in den Klubs wenig Deutschrap läuft?
Wenn man versucht, einen Klub-Track zu machen, ist das eigentlich
schon zum Scheitern verurteilt. So ein Song muss einfach
ein gewisses Feeling haben. „Lean Back“ zum Beispiel ist ja kein
richtiger Klub-Track, was die Lyrics angeht, durch die Produktion
funktioniert der aber trotzdem überall. Mit Remixen kann man
das, denke ich, in diese Richtung lenken. Natürlich spielen die DJs
BOOTLEG
dabei eine wichtige Rolle. Und das war dann auch der Anlass für
mich, mir mal ein paar Songs vorzunehmen.
Von vielen Deutschrap-Songs, die du mit einem fremden Beat
versiehst, gibt es offiziell keine Acapellas. Woher bekommst du
die? Besorgst du dir von den Künstlern die Vocal-Spuren oder
arbeitest du mit Phasenauslöschung?
Mit Phasenauslöschung. Mittlerweile ist es für mich sogar
einfacher zu remixen, wenn ich das Acapella filtere. Wenn du
das Acapella filterst, weißt du direkt, wo die Vocals einsetzen,
20 BACKSPIN #117 Sommer 2015
und musst nur noch das Tempo anpassen. Bei
einigen Acapellas hat man dann ab und zu mit
Störfrequenzen zu kämpfen. Da muss man sich
dann zu helfen wissen.
Wie zum Beispiel?
Die Acapellas werden quasi durch Subtraktion
gefiltert. Die Formel wäre dann: Original minus
Instrumental gleich Acapella. Das Instrumental
bekommt man ja mittlerweile ziemlich häufig bei
den ganzen Premium-, Limited- und was es da
nicht noch alles für Versionen gibt mitgeliefert.
Das mache ich mir zunutze. Ich lege die beiden
Versionen als WAV auf jeweils eine Spur in mein
Default-Template, wobei auf der Instrumentalspur
die Phasen umgekehrt sind. Dann werden
die Spuren synchronisiert und das Tempo angepasst
– und schon kann es losgehen. Wichtig
ist, dass die Spuren exakt übereinander liegen.
Dafür arbeite ich fast ausschließlich mit Abelton
Live. Das Filtern dauert dann nur noch wenige
Minuten.
Ist es zwingend notwendig, WAV-Dateien zu
verwenden? Oder funktioniert das auch mit
MP3s?
Ich versuche, MP3s zu meiden. Bei einigen
Songs funktioniert das aber auch mit MP3s, unkomprimiert
ist aber qualitativ immer besser.
Hast du schon Feedback von Künstlern bekommen,
die du geremixt hast?
Ja, die 187 Strassenbande, SSIO, Favorite,
Olexesh, Hanybal, Freunde von Niemand, Marla
Blumenblatt, Zugezogen Maskulin und Edgar
Wasser haben mir Props gegeben und meine
Remixe auf Facebook und Twitter gepostet. Das
freut mich und dafür bin ich den Künstlern dankbar.
Was muss ein Deutschrap-Song haben, damit
du ihn remixen willst?
Ich höre mir fast alle aktuellen Alben an, und ein
oder zwei Songs bleiben meist hängen. Für die
Beatauswahl orientiere ich mich oft an den Inspirationen
des Künstlers. Das war zum Beispiel bei
Favorites „Europas wichtigster Mann“ der Fall.
Da hat sich dann „Slim Shady“ von Eminem ganz
gut gemacht.
In vielen Fällen kombinierst du aktuelle
Deutschrap-Songs mit etwas älteren US-Instrumentals.
Zufall?
Nein. Ich habe die meisten Songs als 12inch zu
Hause. Dadurch bekommt man auch einen ganz
anderen Bezug. Das ist halt die Musik, mit der
ich aufgewachsen bin. Ich verfolge da jetzt aber
kein gewisses Schema. Der Remix muss für mich
einfach Sinn ergeben. Das kann dann über den
Inhalt laufen, oder auf Basis des Flows und der
Rhythmik – im besten Fall beides. Das ist jedoch
komplett unterschiedlich. Ich könnte dir aber zu
jedem Remix eine kleine Geschichte erzählen,
warum genau der so gemacht wurde.
Wie bringst du Acapella und Instrumental auf
ein Tempo? Arbeitest du viel mit Time-Stretching
oder setzt du von vornherein auf die Kombination,
dass beide Songs in puncto Tempo
nah beieinander liegen?
Ich bin da recht flexibel. Bei den gefilterten Acapellas
ist das etwas schwieriger. Da kannst du
nicht einfach 10 BPM hoch- oder runtergehen.
Das würde sich soundmäßig bemerkbar machen.
Ich würde aber eher das Acapella in Richtung
Beat bringen als umgekehrt. Aber wenn etwas
von Anfang an überhaupt nicht passt, wird
es auch nicht passend gemacht. Das ist so meine
Bauernregel.
Auf Twitter schreibst du, Dr. Bootleg therapiere
Deutschrap. Hat Deutschrap eine Therapie nötig?
Definitiv, ja! Diagnose positiv! Zur angewandten
Therapie muss ich jedoch auf meine ärztliche
Schweigepflicht verweisen.
Hat sich durch deine Deutschrap-Remixe für
dich etwas geändert? Ist jemand auf dich zugekommen,
der mit dir zusammenarbeiten möchte?
Ja, der eine oder andere Künstler beziehungsweise
Manager hat sich bei mir bereits gemeldet,
woraus Zusammenarbeiten entstanden. Für
mich ist es jetzt einfacher, über das Internet mit
Künstlern und Labels in Kontakt zu treten.
Spielst du mit deinen Remixen eigentlich auch
auf die Remix-Kultur an, die es in den 90ern in
den USA gab?
Auf jeden Fall. Ich habe mir viele Maxis nur wegen
der Remixe gekauft. Das Original war da häufig
Nebensache. Deutschem Hip-Hop fehlt diese
Remix-Szene. Ähnlich sieht es mit der deutschen
Mixtape-Szene aus. Hier veröffentlicht ein Rapper
seine B-Tracks als Mixtape. Das hat ja mit
dem Werk eines DJs überhaupt nichts mehr zu
tun.
Wann hast du eigentlich mit DJing angefangen?
Das muss so um 2000 gewesen sein. Ich wollte
eigentlich immer ein Instrument lernen, aber das
war bei uns damals einfach nicht drin. Mein großer
Bruder kam dann irgendwann mit einem kopierten
VHS-Tape vom „Battle of the DJs“ (Hamburg,
1996, Anm. d. Red.) um die Ecke. Nachdem
ich mir dann günstig zwei gebrauchte Plattenspieler
und einen Mixer besorgt hatte, ging’s ab!
Ich habe damals auch an einer ITF-Meisterschaft
teilgenommen. Aber heute versuche ich, Turntablism
so einzubinden, dass das Gesamtprodukt
soundtechnisch für den Hörer verständlich und
leicht zu verdauen ist.
Wirst du mit deiner Remix-Geschichte noch
weitere Schritte gehen? Wohin soll sich das
entwickeln?
Dr. Bootleg wird ein Live-Act mit dem Fokus auf
Deutschrap. Da wird es Turntable-Action geben,
wie es sie so vorher noch nicht gab. Das wird
wild! Ich habe dafür auch schon ein paar Ansätze
fertig, aber das nimmt ein bisschen mehr
Zeit in Anspruch als ein Remix. Darüber hinaus
will ich eine Online-Plattform namens „Deutsch
Rap Bootlegs“ starten, auf der nicht nur meine
eigenen Remixe zu hören sein werden. Leute wie
Drunken Masters oder Symbiz Sound produzieren
ja bereits sehr gute Deutschrap-Remixe. Ich
möchte einfach einen Teil zur Remix-Szene in
Deutschland beitragen und deutschen Rap klubtauglicher
machen.
Wenn du die Acapella- und die Instrumental-
Spur aus Ableton exportierst, wirst du ja wahrscheinlich
einen gewissen Lautstärke-Verlust
haben. Besserst du da per Mastering noch mal
nach?
Obwohl das Material schon gemastert wurde,
benutzte ich, je nachdem, noch eine DJ-Master-
Software namens „Platinum Notes“ im A-B-Vergleich,
um die Remixe etwas lauter zu bekommen.
Heutzutage wird die Musik ja viel stärker
komprimiert als in den 90ern. Ein aktuelles Beispiel
sind die Beats von Xatar. Die sind einfach so
knackig produziert und komprimiert, dass sich im
A-B-Vergleich die Beats aus den 90ern dagegen
dünn anhören.
Welche Erfahrungen hast du bisher mit der Urheberrechtsthematik
gemacht?
Mir ist klar, dass dieses Urheberrechtsmassaker
jederzeit vorbei sein kann. Das geht nicht ewig so
weiter. SoundCloud räumt da gerade auf. Dazu
muss ich noch sagen: Ich möchte mit den Remixen
kein Geld verdienen. Ich kann ja nichts verkaufen,
das mir nicht gehört.
Machst du eigentlich auch selbst Beats?
Ja, aber das ist eher etwas für mich. Damit gehe
ich nicht raus.B
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 21
Ein Interview mit
FALK
SCHACHT
„Es war nie mein Plan, Journalist zu werden“
INTERVIEW: Niko Hüls, Dennis KrauS
FOTOS: Phillip Gätz c/o PAM // www.phillipgaetz.de
22 BACKSPIN #117 Sommer 2015
Dann und wann kommt Falk Schacht zum Mittagessen in der BACKSPIN-Redaktion vorbei. Selbstverständlich wird dann auch die allgemeine
Großwetterlage im Hip-Hop diskutiert. Für dieses Gespräch jedoch haben wir uns etwas zurückgenommen und vor allem Fragen gestellt.
Wie empfindet er es, von den großen Medien als Hip-Hop-Experte zurate gezogen zu werden? Was ist die Hip-Hop-Expertise wert? Wie
war das eigentlich mit „Mixery Raw Deluxe“? Und welche Richtungen wird Deutschlands bekanntester Hip-Hop-Nerd künftig einschlagen?
Falk, du wirst von den Mainstream-Medien gerne
als Experte zurate gezogen. Was muss in der Rap-
Welt passieren, damit dich Journalisten anrufen?
Wenn etwas hochkocht, werde ich von Kollegen
angerufen. Als zum Beispiel dieses B.S.H.-Cover
mit den sich küssenden Jungs veröffentlicht wurde,
begann eine Homophobie-Diskussion – und da
wurde ich angefragt.
Neben ein, zwei anderen Hip-Hop-Experten haben
viele Sendeanstalten offenbar dich als solchen in
ihrer Datenbank. Äußerst du dich gerne gegenüber
Mainstream-Medien zu Hip-Hop-Themen?
(Überlegt) Darüber denke ich nicht groß nach. Ich
nehme an, dass man mich deshalb fragt, weil man
mir zutraut, die Antwort zu wissen. Häufig sind das
Fragen, die ich mir schon mal selbst gestellt habe.
Hip-Hop hat bei mir so viele Fragen aufgeworfen,
und auf der Suche nach den Antworten habe ich
dann auch noch Antworten auf Fragen gefunden,
die ich mir selbst gar nicht gestellt hatte. Für mich
ist das spannend.
Hast du als Experte für größere Medien schon
mal schlechte Erfahrungen machen müssen?
Wurde zum Beispiel mal nur der eine Satz, der
eine Schnipsel benutzt, den die von dir haben
wollten, der aber aus dem Kontext gerissen wurde
und so eine andere Wirkung bekam?
Vor so etwas habe ich mich immer geschützt.
Ich frage vorher ziemlich genau, worum es geht
und was das Ziel ist. Und wenn ich merke, dass
auf der anderen Seite keine Sensibilität für das
Thema herrscht, halte ich es nicht für sinnvoll, da
mitzumachen. Außerdem dokumentiere ich die Interviews
immer, sodass ich hinterher einen Beleg
darüber habe, was gesprochen wurde.
Welchen Wert misst du deiner Expertise in diesem
Zusammenhang bei? Kann man den beziffern?
Du meinst den rein kapitalistischen Wert?
Am Ende ist ja auch das ein Job, oder?
Was den Respekt innerhalb der Szene angeht,
kann ich mich nicht beschweren. Und darauf basiert
ja auch, dass ich angefragt werde. Aber meist
ist es vielen egal, was ich die letzten Jahre gemacht
habe. Denen geht es dann eher um ein paar
schnelle Antworten. Die meisten Sachen sind ja so
kurze Geschichten. Da geht es nicht um etwas Finanzielles.
Längere Geschichten sind vergleichbar
mit dem Schreiben von Artikeln in Zeitschriften.
Das heißt, eine Expertise wie zum Beispiel deine
ist unter Umständen erst mal vollkommen
egal?
Ja. Es geht nicht darum, was man weiß oder kann,
sondern darum, dass man in eine Schablone
passt. Bei den Öffentlich-Rechtlichen kann man
sich genau anschauen, wie die gerade um das junge
Publikum buhlen. Die sehen den Erfolg einiger
YouTuber und fragen sich, wieso das funktioniert.
Trotzdem wirst du nur angefragt, wenn du eine
Marke bist. Erst dann kommt bei anderen das Interesse,
mit dir zu arbeiten. Ohne die jahrelange Vorarbeit
würde sich ja keiner für mich interessieren.
„Ich achte immer darauf, dass bei meinen Interviews die redaktionelle Freiheit
gewahrt ist und ich gewisse journalistische Standards einhalte“
Merkst du denn, dass du durch deine Experten-
Äußerungen deinen Marktwert steigerst?
Zumindest wird so meine Marke, mein Image verbreitet.
Und das Produkt deiner Marke bist du, der Moderator
und Journalist?
Natürlich, ich bin ja selbstständig. Jeder von
uns vermarktet sich ja im Grunde selbst. Wir alle
vermarkten unsere Arbeitskraft und unsere Fähigkeiten,
jeden Tag. Darauf basiert unser Gesellschaftssystem.
Natürlich gibt es Unterschiede,
was den Grad der Vermarktung betrifft. Es ist Teil
meines Berufs, in der Öffentlichkeit zu stehen,
und natürlich hat man dadurch ein Image. Aber
auch das ist eigentlich etwas, was jeder Berufstätige
auch hat. Dein Arzt hat auch ein Image, an
dem er arbeitet – auch wenn das nicht sein Primärziel
ist. Aber er muss darauf achten, dass er
ein gutes Image hat. Wer will schon zu dem Arzt
gehen, der keinen guten Ruf hat? Und so geht
mir das auch. So achte ich zum Beispiel immer
darauf, dass bei meinen Interviews die redaktio-
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 23
nelle Freiheit gewahrt ist und ich gewisse journalistische
Standards einhalte.
Das erste Mal Geld dafür bekommen, dass du
über Rap sprichst, hast du von Viva 2. Kannst du
dich an das Gefühl erinnern, als dein erstes so
verdientes Geld auf deinem Konto landete?
Ja. Es war nie mein Plan, Journalist zu werden, es
passierte einfach – wie so vieles in meinem Leben.
Aber du hast weiter „Supreme“ gemacht …
Natürlich. Aber ich überlegte auch, was eine Alternative
hätte sein können.
Zur Not hättest du wieder Pizza ausfahren müssen?
Theoretisch. Und dann ist da immer so ein Punkt:
Was ist privat, was ist Beruf? Das frage ich mich bis
heute. Wenn ich heute Abend im Netz etwas über
fragen mich und nennen mich einen Experten
oder geben mir komische Namen wie „Der Papst
des Hip-Hop“ oder „Der Günther Jauch des Hip-
Hop“ oder „Der Roger Willemsen des Hip-Hop“.
Hattest du dennoch auch das Gefühl, es geschafft
zu haben? Immerhin warst du beim
Fernsehen …
Nein, das ist in meiner Persönlichkeit nicht so angelegt.
Ich bin ein Getriebener, der die Dinge einfach
macht. Natürlich reflektiere ich auch viel, aber
das Tolle am Machen ist, dass dabei Dinge passieren,
die mir ständig neue Ideen ermöglichen.
Und man muss auch ehrlich sein, nicht alles, was
glänzt, ist Gold.
Meinst du damit die Geschichte von „Mixery Raw
Deluxe“ bei Viva?
Ja, das war eine andere Baustelle. Mein Vertrag
war noch nicht ausgelaufen. Als aber der von MC
Rene auslief, brauchten die einen neuen Host, also
setzten die mich da drauf. Als mein Vertrag dann
auch auslief, war ich da auch weg. Allerdings erweckte
man eine Zeit lang den Eindruck, dass die
Sendung weiterlaufen könnte, sie sollte nur mehr
„sexy“ sein. Es dauerte dann nicht mehr lange, bis
ich mit der Sendung ins Internet wechselte und sie
dort erfolgreich weiterführte.
Ich habe viele Jahre nebenher für verschiedene
Magazine geschrieben und Radio gemacht. Ich
habe damals das ganze Handwerk mit der Learning-by-Doing-Methode
erlernt, und wenn ich meine
ersten Texte lese, muss ich natürlich schmunzeln.
Ich musste in den acht Jahren aber auch
von irgendetwas leben. Ich habe jeden Scheißjob
gemacht, saß bei der Telekom im Callcenter, war
bei McDonald’s, habe Pizza ausgefahren etc. Da
war das Geld von Viva 2 natürlich ein Traum. Ich
habe mich damals so in die Arbeit gestürzt, dass
ich irgendwann einen Burn-out bekam, inklusive
Hörsturz und so weiter. Wobei ich nach zwei, drei
Jahren an einen Punkt kam, wo ich überlegt habe,
mich nicht mehr mit Hip-Hop zu beschäftigen. Das
hat ein halbes Jahr gedauert und hatte mit dem
Aufstieg von Aggro Berlin zu tun. Für mich war das
nicht der Hip-Hop, mit dem ich groß geworden bin.
Und das hat mich echt an meine Grenze gebracht.
Mir hat am Ende geholfen, mich intensiv mit der
Geschichte von Hip-Hop auseinanderzusetzen. Dabei
habe ich so viele Widersprüche entdeckt, dass
mir klar wurde: Wir alle haben ein zu starres Verständnis
der Hip-Hop-Kultur. Wir erdrücken Hip-
Hop mit unseren Forderungen, die eigentlich nur
Ausdruck unserer Persönlichkeit sind, und deshalb
nicht zwingend für andere gelten müssen.
Hip-Hop lese, ist das dann privat? Was ich da lese,
kann ich schließlich auch in meinem Job gebrauchen.
Privat- und Arbeitsleben sind für mich also
eigentlich eins.
Man kann es auch so sehen, dass du für die Ausübung
deines Hobbys bezahlt wirst. Das ist doch
auch Luxus, oder?
Total. Jeder Mensch in Deutschland sollte dafür
bezahlt werden, das zu tun, was er liebt.
Und du hast dafür auch eine Menge Props bekommen
…
Dafür bin ich auch dankbar. Obwohl ich aus Perfektionismus
heraus immer denke, dass ich es noch
besser machen kann.
Trotz der Selbstzweifel hast du dich aber weiter
vor die TV-Kameras gestellt und eine Hip-Hop-
Sendung moderiert. Da ist doch eigentlich kein
Platz für Selbstzweifel, oder?
Selbstzweifel habe ich, aber sie halten mich nicht
davon ab, das zu tun, was andere für gut erachten.
Ein wenig hat das auch etwas von einem Getriebenen.
So ist das auch mit diesem Experten-Ding.
Ich weiß, dass ich über bestimmte Dinge mehr
weiß als andere. Darum kommen andere zu mir,
So konntest du, wie nur einige sehr wenige andere
in Deutschland auch, dein Leben weiter mit
Hip-Hop-Journalismus bestreiten. Das war ein
Luxus. Eine goldene Ära für die Angestellten der
Juice, der BACKSPIN und für dich …
Insgesamt gab es damals trotzdem wenige Leute,
die von Hip-Hop relativ gut leben konnten.
Wobei wir hier schnell bei der Frage sind, wer
Hip-Hop ist und wer nicht. Einige von denen, die
gut von Hip-Hop leben konnten, waren vorher
Punks und sind nur dazugestoßen, indem sie sich
als Manager um Hip-Hopper gekümmert haben.
Das war damals der Zeitgeist – und das Business.
Die Hip-Hopper, die damals davon leben konnten,
waren also Privilegierte. Und heute gibt es
eben Tausende, die gerade mal so auf halb acht
davon leben können.
Und die beuten sich oftmals selbst dafür aus …
Absolut. Damals habe ich mir dann auch die Frage
gestellt: Ist das jetzt Glück? Ist das Können? Ist das
Schicksal? Schließlich kam ich zu dem Schluss,
dass du, wenn du etwas mit Herzblut machst,
am Ball bleibst und dich bewegst, immer vorankommst
und belohnt wirst.
Als du „Mixery Raw Deluxe“ gemacht hast, waren
die anderen, größeren Hip-Hop-Medien ja
schon ins Straucheln geraten. Die Medienkrise
24 BACKSPIN #117 Sommer 2015
war in vollem Gange. Hast du dich da als Privilegierten
gesehen? Ihr wart da ja durch euren
Sponsor außen vor …
Ich habe natürlich beobachtet, was da passierte.
Euch ging es nicht gut, dem splash! ging es nicht
gut. Das waren alles Indikatoren, die in meine Bewertung
mit eingeflossen sind. Natürlich machte
mir das etwas aus, ich bin ja Angehöriger dieser
Kultur und möchte, dass es ihr gut geht.
Wie bist du damit umgegangen?
Was sich für mich verändert hat, war zum Beispiel,
dass ich den Falk, der 2003/2004 von der Entwicklung
um Aggro Berlin abgeturnt war, dumm
fand. Irgendwann hatte ich begriffen, dass diese
Entwicklung Hip-Hop nicht töten würde, sondern
dass das einfach ein anderer Ansatz war.
Mit dem bin ich zwar nicht aufgewachsen, aber
ich lernte viel darüber und merkte, dass die Einseitigkeit
keinen Sinn hatte. Dann machte ich
mein erstes Interview mit zum Beispiel MC Bogy
– einfach auch, weil ich neugierig war, und um
mich selbst herauszufordern. Das brachte mir
Spaß und ich habe unglaublich viel gelernt dadurch,
auch fürs Leben.
Haben dich damals auch die Einschaltquoten
beeinflusst? Für „Mixery Raw Deluxe“ im Netz
konntet ihr die ja – im Gegensatz zu deiner Zeit
bei Viva – klar ermitteln …
Ja und nein. Bei Viva habe ich nie eine Quote unter
die Nase gehalten bekommen. Daher haben
wir auch einfach das gemacht, worauf wir Bock
hatten. Als es dann ins Netz ging, gab es natürlich
Wunschquoten. Allerdings habe ich die kleinen
Themen deswegen nicht vernachlässigt und platzierte
sie zwischen den großen Themen, von denen
ich wusste, dass die die Quote bringen. Das
habe ich mir nicht nehmen lassen.
Warum gab es „Mixery Raw Deluxe“ nicht auf
YouTube?
Das war eine hausinterne Entscheidung.
Nun liegt die Website seit Januar 2014 brach.
Wieso eigentlich?
Kein Kommentar.
So eine Antwort gibt man, wenn man in einem
Rechtsstreit liegt …
Kein Kommentar.
Schon gut. Dennoch kann man sagen, dass das
Hip-Hop-Publikum gerne wenigstens irgendetwas
von Falk Schacht möchte …
Das ist dasselbe wie mit dem Experten-Dasein.
Man kann sich das so vorstellen, dass ich ein
bisschen so wie eine Sicherheitsfirma bin. Da ich
das Image habe, derjenige zu sein, der weiß, wie
Hip-Hop funktioniert, kann man sich bei mir eine
Art Sicherheit einkaufen, sodass die Leute einem
vertrauen. Wenn also ein Kollege von Deutschlandradio
Kultur mich befragt, holt er sich die
Sicherheit, dass sein Beitrag als respektabel angesehen
wird.
„Privat- und Arbeitsleben sind
für mich eigentlich eins“
Ein Interview mit
FALK
SCHACHT
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 25
Aktuell ist Facebook die für dich beste Präsentationsfläche,
oder? Was treibt dich an, dort so aktiv
zu sein?
Früher hatte ich dafür so einen privaten Newsletter,
den bekamen zum Beispiel ihr beide, Dendemann,
Jan Delay, Kool Savas, Sido etc. Und dann sagte
mir Jan Delay: „Dicker, mach’ das doch mal auf
Facebook!“ Und er hatte recht. Der Austausch mit
den Leuten bringt mir Spaß. Zunächst hatte ich darauf
keinen Bock, ließ mich dann aber überzeugen
und merkte: Das ist cool. Wie viel und was ich da
poste, ist allerdings abhängig davon, wie viel Zeit
ich habe. Aktuell sind wir ja mitten im Release von
„Street Jazz“, sodass sich die meisten Facebook-
Aktivitäten darum drehen.
Du hast dein Label Catch The Beat gegründet –
wie sehr hängt der Erfolg des Labels davon ab,
dass die Person dahinter du bist?
Das weiß ich nicht. Meine Bekanntheit ist natürlich
von Vorteil. Aber am Ende bin ich überzeugt, dass
es immer die Musik ist, die zählt. Meine Bekanntheit
ist aber natürlich von einem gewissen Vorteil.
Dazu kommt, dass meine Fähigkeit als Journalist
darin besteht, mit einem Lichtstrahl Aufmerksamkeit
auf einen Punkt zu lenken. Ich bin dann sozusagen
der Leuchtturm. Und wenn ich das Licht auf
ein Goldstück richte, dann sagen die Leute: „Oh,
ein Goldstück!“ Und wenn ich es auf einen Haufen
Schrott richte, sagen sie: „Oh, ein Haufen Schrott!“
Dasselbe ist es mit meinem Label. Ich richte den
Lichtstrahl auf ein Projekt, das ich mir ausgedacht
habe, und das am Ende natürlich ein Stück Gold
sein muss. Letztlich aber entscheidet das Publikum.
Wenn man sich umschaut, haben sich einige Hip-
Hop-Journalisten zweite und dritte Standbeine
aufgebaut. Heißt das, als Hip-Hop-Journalist verdient
man zu wenig?
Natürlich verdienen wir Hip-Hop-Journalisten zu
wenig. Aber frag doch mal in der Medienbranche
allgemein, wie viele dort der Meinung sind, fair
bezahlt zu werden. Und wir sind eine Nische innerhalb
dieser Branche.
Angenommen, Hip-Hop bekommt noch mehr
gesellschaftliche Relevanz – könnte das etwas
daran ändern?
Dann würden jedenfalls die Protagonisten wichtiger
und es gebe ein gesteigertes Bedürfnis
nach Hip-Hop-Informationen. Inwieweit die Mainstream-Medien
darauf reagieren werden, ist aber
schwer zu sagen..
Auch wenn du sagst, dass du eigentlich nichts
planst: Wohin soll oder wird sich die Marke Falk
Schacht entwickeln?
Mein Name wird immer etwas mit Musik und Kultur
zu tun haben, egal in welcher Form.
Eigentlich müsstest du – um zum Schluss noch
mal einen Namen aus dem Hut zu zaubern – der
Jan Böhmermann des Rap werden, oder?
Nein, denn Jan Böhmermann ist schon der Jan
Böhmermann des Rap. Der ist Hip-Hop-affin. Und
er hat Dendemann und seine Band in die Sendung
geholt, das ist schwer zu toppen.
So eine Antwort gibt man, wenn man in einem
Rechtsstreit liegt …
Kein Kommentar.
Schon gut. Dennoch kann man sagen, dass das
Hip-Hop-Publikum gerne wenigstens irgendetwas
von Falk Schacht möchte …
Das ist dasselbe wie mit dem Experten-Dasein.
Man kann sich das so vorstellen, dass ich ein bisschen
so wie eine Sicherheitsfirma bin. Da ich das
Image habe, derjenige zu sein, der weiß, wie Hip-
Hop funktioniert, kann man sich bei mir eine Art
Sicherheit einkaufen, sodass die Leute einem vertrauen.
Wenn also ein Kollege von Deutschlandra-
„Ich bin sozusagen ein Leuchtturm. Wenn ich das Licht auf ein Goldstück
richte, sagen die Leute: ‚Oh, ein Goldstück!‘ Und wenn ich es auf
einen Haufen Schrott richte, sagen sie: ‚Oh, ein Haufen Schrott!‘“
Ein Interview mit
FALK
SCHACHT
26 BACKSPIN #117 Sommer 2015
dio Kultur mich befragt, holt er sich die Sicherheit,
dass sein Beitrag als respektabel angesehen wird.
Aktuell ist Facebook die für dich beste Präsentationsfläche,
oder? Was treibt dich an, dort so aktiv
zu sein?
Früher hatte ich dafür so einen privaten Newsletter,
den bekamen zum Beispiel ihr beide, Dendemann,
Jan Delay, Kool Savas, Sido etc. Und dann sagte
mir Jan Delay: „Dicker, mach’ das doch mal auf
Facebook!“ Und er hatte recht. Der Austausch mit
den Leuten bringt mir Spaß. Zunächst hatte ich darauf
keinen Bock, ließ mich dann aber überzeugen
und merkte: Das ist cool. Wie viel und was ich da
poste, ist allerdings abhängig davon, wie viel Zeit
ich habe. Aktuell sind wir ja mitten im Release von
„Street Jazz“, sodass sich die meisten Facebook-
Aktivitäten darum drehen.
Du hast dein Label Catch The Beat gegründet –
wie sehr hängt der Erfolg des Labels davon ab,
dass die Person dahinter du bist?
Das weiß ich nicht. Meine Bekanntheit ist natürlich
von Vorteil. Aber am Ende bin ich überzeugt, dass
es immer die Musik ist, die zählt. Meine Bekanntheit
ist aber natürlich von einem gewissen Vorteil.
Dazu kommt, dass meine Fähigkeit als Journalist
darin besteht, mit einem Lichtstrahl Aufmerksamkeit
auf einen Punkt zu lenken. Ich bin dann sozusagen
der Leuchtturm. Und wenn ich das Licht auf
ein Goldstück richte, dann sagen die Leute: „Oh,
ein Goldstück!“ Und wenn ich es auf einen Haufen
Schrott richte, sagen sie: „Oh, ein Haufen Schrott!“
Dasselbe ist es mit meinem Label. Ich richte den
Lichtstrahl auf ein Projekt, das ich mir ausgedacht
habe, und das am Ende natürlich ein Stück Gold
sein muss. Letztlich aber entscheidet das Publikum.
Wenn man sich umschaut, haben sich einige Hip-
Hop-Journalisten zweite und dritte Standbeine
aufgebaut. Heißt das, als Hip-Hop-Journalist verdient
man zu wenig?
Natürlich verdienen wir Hip-Hop-Journalisten zu
wenig. Aber frag doch mal in der Medienbranche
allgemein, wie viele dort der Meinung sind, fair
bezahlt zu werden. Und wir sind eine Nische innerhalb
dieser Branche.
Angenommen, Hip-Hop bekommt noch mehr
gesellschaftliche Relevanz – könnte das etwas
daran ändern?
Dann würden jedenfalls die Protagonisten wichtiger
und es gebe ein gesteigertes Bedürfnis
nach Hip-Hop-Informationen. Inwieweit die Mainstream-Medien
darauf reagieren werden, ist aber
schwer zu sagen..
Auch wenn du sagst, dass du eigentlich nichts
planst: Wohin soll oder wird sich die Marke Falk
Schacht entwickeln?
Mein Name wird immer etwas mit Musik und Kultur
zu tun haben, egal in welcher Form.
Eigentlich müsstest du – um zum Schluss noch
mal einen Namen aus dem Hut zu zaubern – der
Jan Böhmermann des Rap werden, oder?
Nein, denn Jan Böhmermann ist schon der Jan
Böhmermann des Rap. Der ist Hip-Hop-affin. Und
er hat Dendemann und seine Band in die Sendung
geholt, das ist schwer zu toppen.B
INTERVIEW: RENÉ GRÖGER
FOTOS: ICE H2O
verbal intercourse mit
RAEKWON
28 BACKSPIN #117 Sommer 2015
Seit nunmehr zwei Dekaden füttert Corey Woods aka Raekwon the Chef seine Fans mit feinster Rap-Kost. Als ranghohes Mitglied des Wu-Tang Clan
schrieb er in den 90ern Hip-Hop-Geschichte. Sein Solodebüt „Only Built 4 Cuban Linx...“ gilt als Meilenstein des Straßenrap. Während viele seiner
Kollegen an Relevanz verloren, erarbeitete sich der MC mit den mafiösen Lyrics einen Status als respektierter Rap-Veteran. BACKSPIN sprach mit
Raekwon über seine bewegte Karriere im Musikgeschäft und das neue Album „Fly International Luxurious Art“.
Raekwon, seit deinem ersten Soloalbum sind nun
ungefähr 20 Jahre vergangen …
Das ist total verrückt, Alter. Wenn ich darüber
nachdenke, kommt es mir gar nicht so lange vor.
Ich fühle mich nicht so, als würde ich das schon
20 Jahre lang machen. Versteh mich nicht falsch,
ich habe extrem viel Arbeit reingesteckt, um relevant
zu bleiben. Das Gefühl dabei ist aber noch so
frisch, als hätte ich erst vor zehn Jahren angefangen
mit dem Rappen.
Du bist in New York Ende der 70er- und Anfang
der 80er-Jahre aufgewachsen. Wie kamst du in
Kontakt mit der Hip-Hop-Kultur?
Hip-Hop war überall. Es war egal, ob du in der
Bronx warst oder so wie ich auf Staten Island.
gesagt, er solle nicht auf mich zielen. Wie gesagt,
es gab viele Schießereien in unseren Projects, da
lernst du schnell, dass du mit Waffen vorsichtig
sein musst. Er hat die Pistole auf das Zimmerfenster
gerichtet. Glaub mir, wir waren alle geschockt,
als das Fenster durch den Schuss zu Bruch ging.
Was hat euch damals motiviert, mit dem Rappen
anzufangen?
Künstler wie Rakim oder Big Daddy Kane haben
uns beeindruckt, weil sie bei den Hörern etwas
ausgelöst haben. Sie hatten Einfluss auf die Leute.
Wenn ich sie mit ihren Goldketten gesehen habe,
hatte das einfach Style. Das wollten wir auch. Mit
der Zeit haben wir die Sprache des Rap verstanden
und konnten uns darin ausdrücken. Ich bin dafür
„Wir wollten unsere Gegend repräsentieren und
der Welt zeigen, dass es uns gibt“
Die Kultur wuchs von Tag zu Tag. Es war eine Bewegung,
ein regelrechter Trend. Wir hörten den
ganzen Tag Musik von Run-DMC, Slick Rick oder
KRS-One. Das waren die Leute, die mich dazu
brachten, eigene Rap-Texte zu schreiben. Sie
sprachen über den Wahnsinn im Ghetto, damit
konnte ich mich identifizieren. Damals passierte
viel Scheiße in meiner Gegend. Es gab fast täglich
Schießereien. Ich habe versucht, das Beste daraus
zu machen. Hip-Hop gab mir die Möglichkeit, von
diesen Problemen zu erzählen. In den Texten konnte
ich das auf kreative Weise verarbeiten und so
für kurze Zeit dem Elend entfliehen. Ich hatte einfach
Spaß mit meinen Jungs. Das habe ich daran
geliebt.
Es heißt, dass du in dieser Zeit beinahe von U-
God angeschossen wurdest, als ihr mit Waffen
gespielt habt. Was war da los?
Wir haben als Teenager viel Scheiße gebaut,
musst du wissen. Wir hingen an dem Tag bei Cappadonna
ab. U-God hatte eine Knarre dabei und
hat damit herumgefuchtelt. Er tat so, als wäre sie
nicht geladen und wollte abdrücken. Ich habe ihm
einen harten Weg gegangen, habe jeden Tag geübt
und all meine Energie reingesteckt. Ich wollte gehört
werden und habe versucht, mir einen Namen
zu machen.
Wurde RZA so auf dich aufmerksam, als er den
Wu-Tang Clan gegründet hat?
Ich kannte RZA schon, als er anfing, seine ersten
Tapes zu produzieren. Wir kamen aus der gleichen
Nachbarschaft. Er wusste, dass ich Skills habe.
Meine Stimme und mein Flow stachen hervor. Es
gab noch mehr junge Rapper, die was drauf hatten.
RZA hat das erkannt und uns zusammengebracht.
Wir wollten unsere Gegend repräsentieren und
der Welt zeigen, dass es uns gibt. Wir liebten Rap.
Insofern war die Perspektive, selbst damit durchzustarten,
perfekt für uns. Wir hatten nichts anderes.
RZA hat uns die Türen geöffnet.
Stimmt es, dass RZA damals 100 Dollar von jedem
kassiert hat, der auf der ersten Single „Protect
Ya Neck“ sein wollte?
Das stimmt. Wir hatten damals keine richtigen
Jobs. Wir hingen am Block herum und haben dort
unser Ding gemacht. 100 Dollar waren für uns eine
Menge Kohle. Wir mussten beweisen, dass es uns
wirklich ernst ist. Es war aber weniger als Investition
gedacht, sondern vielmehr als Absicherung für
RZA, damit er nicht auf den Studiokosten sitzen
bleibt.
Das erste Wu-Tang-Album „Enter the Wu-Tang (36
Chambers)“ wird bis heute als eine der besten
Rap-LPs aller Zeiten gefeiert. War euch damals
bewusst, was für einen Einfluss eure Musik haben
würde?
Uns war klar, dass wir Einiges erreichen können,
wenn wir uns reinhängen. RZA wusste, dass wir
dope sind. Es ging nur noch darum, ins Studio zu
gehen und das zu beweisen. Er gab uns die gemeinsame
Vision, etwas, woran wir glauben konnten.
Wir haben uns mächtig ins Zeug gelegt. Rap
hat uns zwar viel bedeutet, ich habe es aber eher
realistisch gesehen. Es war eine Gelegenheit, den
Hustle in meiner Hood für kurze Zeit hinter mir zu
lassen. Ich wollte den Leuten zeigen, woher ich
komme und Staten Island repräsentieren. Darauf
kam es mir an.
Trotz des starken Bezugs zu deinem Viertel hast
du auf deinem Debütalbum als erster Wu-Tang-
Rapper mit Nas auch einen Feature-Gast, der
nicht zum Clan gehört …
Daran hat sich auch bis heute nichts geändert.
Auf meinem ersten Soloalbum „Only Built 4 Cuban
Linx...“ habe ich natürlich meine Jungs vom
Wu-Tang Clan gefeaturet. Gleichzeitig war ich aber
auch Fan von anderen Rappern. Ich meine, ich bin
immer Hip-Hop-Fan geblieben. In New York gab es
viele Talente, Nas zum Beispiel. Er hatte sich schon
ein Jahr vor uns einen Namen gemacht und neue
Maßstäbe gesetzt. Mir war klar, dass ich was mit
ihm machen möchte. Wir hingen viel miteinander
herum. Als ich dann an meinem Album gearbeitet
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 29
verbal intercourse mit
RAEKWON
habe, musste ich ihn mit draufholen. Ich habe ihn
ins Studio eingeladen und wir nahmen „Verbal Intercourse“
auf.
Nicht zuletzt wegen dieses Tracks gilt „Only Built
4 Cuban Linx...“ als Klassiker. Würdest du zustimmen,
wenn man sagt, dass du damit neue Maßstäbe
für Mafia-Rap gesetzt hast?
Definitiv. Als ich das Album 1995 über Loud Records
herausgebracht habe, gab es nicht allzu viele
Leute, die über diese Dinge gesprochen haben,
jedenfalls nicht so detailliert. Ich habe das Level
angehoben. Ich habe den Leuten erklärt, wo die
Drogen und die Gewalt in den Slums herkommen.
Ich habe die Realität in meinem Umfeld abgebildet.
Trotzdem konnte ich mich gleichzeitig künstlerisch
ausdrücken. Die Musik ist wie ein Soundtrack zu
dem Leben, das ich damals geführt habe.
1994 gab es eine Flut auf Staten Island, bei der
viele Tapes in eurem Studio zerstört wurden.
Wäre das Album fast nicht erschienen?
Alter, wir haben eine Menge Musik verloren, als
das Studio überschwemmt wurde. Es waren krasse
Songs dabei, die nie jemand hören wird. Ich
hatte zu dem Zeitpunkt aber noch nicht viel eingerappt.
Im Grunde genommen waren es Skizzen
und Rohversionen von Tracks, an denen wir noch
mal gründlich arbeiten wollten. Es waren nicht nur
Songs von „Cuban Linx“, sondern vor allem Beats.
Ich glaube, RZA hat viele Instrumentals verloren,
die er in der Zeit produziert hat.
Später bist du nach New Jersey gezogen und
hast gemeinsam mit dem Rest des Clans in
einem Haus gelebt, der Wu Mansion. Wie kam
das?
Als wir so richtig erfolgreich wurden, entstand
die Idee, eine Villa zu kaufen – die Wu Mansion.
Das war so um 1996. Dort nahmen wir „Wu-Tang
Forever“ auf. Wir wollten näher beieinander sein,
damit wir uns voll auf die Musik konzentrieren
konnten. Das haben wir gemacht. Wir hingen
miteinander herum, haben Ideen entwickelt und
konnten sie direkt umsetzen. Allerdings war es
zu weit weg von unserer Hood. Ein paar von uns
haben sich dort nicht so wohl gefühlt. Ich meine,
die Wu Mansion war nie mein Hauptwohnort
oder so. Ich hatte dort zwar ein eigenes Zimmer,
doch es war mehr so etwas wie ein Rückzugsort
für mich. Vor allem, wenn wir den ganzen Tag
Musik gemacht haben und ich völlig erschöpft
war.
Als 1999 dein zweites Soloalbum „Immobilarity“
erschien, gab es einen Bruch im Hinblick auf
die Produktion: Es gab darauf keine Beats von
RZA. Wieso?
Das ist so ähnlich wie auf meinem neuen Album
„F.I.L.A.“. Du musst verstehen, ich bin MC. Das
heißt, ich bin ein Künstler, der wächst und sich
weiterentwickelt. RZA und ich haben jahrelang zusammengearbeitet.
Ich war an einem Punkt angelangt,
an dem ich das Gefühl hatte, in einem Käfig
gefangen zu sein. Ich wollte da raus und meinen
Horizont erweitern. Wie gesagt, es war mir schon
immer wichtig, mit anderen Rappern und Produzenten
Musik zu machen. Natürlich hatte der Wu-
Tang Clan seinen eigenen Style, aber gleichzeitig
wusste ich, dass wir mehr können. Als Solokünstler
habe ich die Möglichkeit genutzt, das zu zeigen.
Ich wollte nicht in einer Schublade feststecken.
Kurz darauf hast du dich von Loud Records getrennt
und bist zu Universal gegangen. Bereust
30 BACKSPIN #117 Sommer 2015
18. Juni 2015
du diesen Schritt aus heutiger Sicht? Immerhin
hattest du da auch gute Zeiten …
Nein, das würde ich so nicht sagen. Ich meine,
Loud Records hat versagt. Ich bin mit meinem dritten
Album „The Lex Diamond Story“ dann zu verschiedenen
Labels gegangen. Ich wusste ja, dass
es Interessenten gibt. Universal hat mir dann den
besten Deal angeboten. Mit der Promo, die sie für
mich gemacht haben, bin ich aber sehr unzufrieden
gewesen.
Hast du aus der Enttäuschung darüber dann dein
eigenes Label IceH2O Records gegründet?
Yeah. Zu diesem Zeitpunkt stand IceH2O schon
in den Startlöchern. Die Strukturen waren aber
noch nicht vorhanden. Durch die Probleme mit
den Plattenlabels ist mir klar geworden, dass ich
es selbst machen muss. Der Punkt war erreicht,
wo ich komplett independent sein wollte. Es war
ein logischer Schritt, meine eigene Marke zu
etablieren. Du musst dich musikalisch weiterentwickeln,
aber genauso deine Fähigkeiten als Geschäftsmann.
Das habe ich 2009 mit „Only Built
4 Cuban Linx... Pt. II“ getan. Das Album habe ich
im Alleingang gestemmt. Der Weg war steinig
ambitioniert und hungrig. Wenn Leute sagen, dass
man mit dem Alter an Power verliert, dann ist das
totaler Bullshit. Ich vergleiche mich eher mit einem
guten Wein, der mit der Zeit reift und immer besser
schmeckt.
Wie hat sich deine Herangehensweise an Songs
für „F.I.L.A.“ verändert im Vergleich zu deinem
Debütalbum?
Heute ist es etwas bunter geworden. Wenn du in
einer Gruppe bist, dann kannst du oft nur einen
bestimmten Style fahren. Der Wu-Tang Clan steht
für einen dunklen, dreckigen Sound mit cineastischen
Lyrics. Versteh mich bitte nicht falsch,
ich liebe das. Auf meiner neuen Platte konnte ich
aber endlich meine Vielseitigkeit zeigen. Natürlich
wollte ich nicht zu sehr in eine völlig andere
Richtung gehen. Die Fans kennen ja meinen
Style und wollen den hören. Gleichzeitig bin ich
aber eben auch ein Künstler, der den Leuten zeigen
möchte, dass er sich immer noch weiterentwickelt.
Ich habe keinen Bock drauf, immer das
Gleiche zu machen. Deshalb hat das Album zwar
einen gewissen 90er-Flavour, aber es zeigt dir,
dass ich mit der Zeit gehe.
und ihnen eine Plattform zu geben. Mal sehen,
was da so geht. Im Moment habe ich aber ein
sehr gutes Team um mich.
Was hältst du von Rappern wie Joey Badass oder
Action Bronson, die den klassischen New-York-
Sound zurückbringen?
Ich denke, es ist so ähnlich wie bei mir damals. Ich
habe ja anfangs gesagt, dass Slick Rick und Rakim
die Vorväter waren, zu denen ich aufgeschaut
habe. Genauso hat die neue Rap-Generation den
Wu-Tang Clan studiert. Es ist ein Trend, der sich
wiederholt. Die Jungs können sich damit identifizieren
und versuchen, es auf ihre Weise noch besser
zu machen. Sie haben erkannt, dass es nicht
darum geht, wer am meisten Geld macht. Die
Skills sind das Entscheidende.
„F.I.L.A.“ kam am 27. April raus. Wie geht es jetzt
weiter, hast du schon Pläne? Vielleicht ein Kollabo-Album
mit Ghostface?
Ghostface und ich haben schon darüber gesprochen.
Wir planen den dritten Teil von „Cuban Linx“.
Aktuell arbeite ich aber gerade an „The Purple Tape
Files“, einer Dokumentation über meinen Klassiker
„Wir haben eine Menge Musik verloren, als das
Studio überschwemmt wurde“
und hart, aber ich bin froh darüber, dass ich ihn
gegangen bin. Das Album war ein großer Erfolg.
Finanziell hat es sich definitiv gelohnt, diesen
Schritt zu gehen.
Die letzten beiden Alben des Wu-Tang Clan haben
durchwachsene Kritiken bekommen. Du hast
selbst Kritik an den Produktionen von RZA geübt.
Habt ihr mittlerweile alles geklärt?
Die Sachen, die geklärt werden mussten, haben
wir geklärt. Wu-Tang ist meine Familie, weißt du. Da
gibt es hin und wieder Uneinigkeit. Wichtig ist, dass
darüber gesprochen wird. Das haben wir getan.
Man könnte auch den Eindruck bekommen, die
Kritik an den letzten Wu-Tang-LPs hat dich noch
mehr angespornt, deine Solokarriere voranzutreiben.
Woher nimmst du die Energie?
Ich habe das große Glück, das zu machen, was ich
liebe. Ich habe meine Leidenschaft für Hip-Hop nie
verloren. Es gibt so viele gute Musiker, mit denen
ich noch arbeiten möchte, um die Musik besser zu
machen. Ich stecke mir hohe Ziele, um das Bestmögliche
zu erreichen. Darum bin ich nach wie vor
Der Ansatz zeigt sich schon in der Auswahl deiner
Feature-Gäste. Du hast alte Weggefährten
wie Ghostface Killah und Busta Rhymes drauf.
Gleichzeitig sind mit French Montana und 2
Chainz Rapper der New School vertreten …
Genau darum ging es mir. „F.I.L.A.“ ist ein Meisterwerk
in meiner Diskografie und ich glaube,
die Fans werden das ähnlich sehen. Denn einerseits
bin ich mir selbst treu geblieben, gleichzeitig
habe ich mich aber zu einem Künstler gewandelt,
der verschiedene Stile beherrscht. Und
durch die Kontakte, die ich mir über all die Zeit
aufgebaut habe, bin ich in der Lage, mit vielen
coolen MCs zu rappen.
Mit welchen Musikern würdest du gerne ins
Studio gehen?
Es gibt viele Produzenten, mit denen ich gerne
Projekte starten möchte. Wenn ich an die krassesten
Produzenten zurzeit denke, dann muss
ich weltweit schauen. Denn auf der ganzen Welt
gibt es junge Talente, die neue Dinge ausprobieren,
vor allem in Großbritannien. Ich versuche, in
Zukunft noch mehr mit Newcomern zu machen
„Only Built 4 Cuban Linx...“. Ich erkläre, wie das
Album entstanden ist und was zu der Zeit in mir
vorging. Es gab damals einige Kontroversen um
die Platte. Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums
will ich den Leuten meinen Werdegang erklären.
Das Projekt steckt noch in den Kinderschuhen,
aber mein Team und ich arbeiten hart daran, dass
es noch dieses Jahr erscheint. Es kostet eine Menge
Arbeit, Zeit und Geld. Daher haben wir eine
Crowdfunding-Seite eingerichtet. Fans können
sich so daran beteiligen und direkt mit mir in Kontakt
treten. B
Wir verlosen 3x das aktuelle Raekwon-Album auf
CD. Um an der Verlosung teilzunehmen, beantworte
einfach folgende Frage: Wofür steht bei
Raekwons neuem Album das Kürzel „F.I.L.A.“?
Sende die Antwort per Mail an win@backspin.de
Einsendeschluss ist der 4. August 2015. Der
Rechtsweg ist ausgeschlossen.
32 BACKSPIN #117 Sommer 2015
Die Hohe Fünf XXL
Celo
mit
&
Abdi
INTERVIEW: Johann Voigt, Niko Hüls
FOTOS: Ondro
34 BACKSPIN #117 Sommer 2015
Als sich Celo & Abdi beim Broterwerb im Callcenter zum ersten Mal über den Weg liefen, war nicht vorauszusehen, welch große Wellen die
beiden noch schlagen würden. Nachdem ihr „Mietwagentape“ unerwartet zu einem Untergrundklassiker mutierte, folgte mit „Hinterhofjargon“
der endgültige Aufstieg in die Rap-Bundesliga. Nun ist unter erneuter Zusammenarbeit mit Haus- und Hofproduzent m3 das vermutlich
rundeste Album des Duos entstanden: „Bonchance“..
Nach „Hinterhofjargon“ folgt jetzt euer zweites
Album mit m3. Zwischendurch kam „Akkupunktur“,
auf dem eine Menge unterschiedlicher Produzenten
vertreten waren. Habt ihr danach gemerkt,
dass ihr als Trio am besten funktioniert?
m3: Nachdem wir ein Album zusammengemacht
hatten, war klar, dass die beiden auch mal mit anderen
Leuten arbeiten wollen. Viele Produzenten
sind in der Zeit erst auf sie aufmerksam geworden
und das haben sie ausgenutzt. Ich arbeite ja
auch nicht ausschließlich mit den Jungs.
Celo: Die Produzenten haben auf jeden Fall gute
Arbeit geleistet. Aber den berühmten roten Faden
kannst du nur mit einem festen Hausproduzenten
erreichen, mit dem du auch direkt Ideen
austauschst.
„Mietwagentape“ eigentlich keine Beatproduzenten
kannte. Wir haben uns dann auf Anhieb
verstanden. Er hat sich nicht verstellt und ist auch
heute noch genauso wie damals.
Celo: m3 ist sehr direkt, das gefällt mir an ihm. Er
sagt, was er denkt.
m3: Mittlerweile sind wir zusammen mit Syn und
Lex ein kleines Team geworden.
Wie hart äußert ihr Kritik aneinander?
Celo: Hart gibt es nicht. Wir sind einfach ehrlich.
(lacht)
m3: Wenn etwas nicht gut ist, dann sagt man das
und es wird geändert.
Abdi: Aber wenn jemand sagt, dass es ist nicht
gut ist, obwohl ich davon überzeugt bin, dann
lesen auch die Meinungen der Fans, die uns
wichtig sind. Die haben gefordert, dass es wieder
back to the roots gehen soll. Darum machen wir
es jetzt so wie früher.
Celo: Für uns ist es ja auch am einfachsten, diesen
Stil zu fahren.
m3: Das ist wie bei Michael Jordan: Erst hat er
Basketball gespielt, dann Baseball. Am Ende ist
er doch wieder zum Basketball zurückgekehrt. Es
ist eben das, was die Jungs am besten können.
Celo: Da stecken einfach nur 150 Prozent Celo &
Abdi drin. Das sind wir.
Abdi: Weder „MWT“ noch „HJ“ oder „Akkupunktur“
ist so. Das sind 200 Prozent „Bonchance“.
Aber wer „MWT“ gemocht hat, wird „Bonchance“
lieben.
„Auf einmal hat man einen Bauch und alle sagen,
dass es einem zu gut geht“ (Abdi)
m3: Mit den beiden hat es bei „HJ“ schon gepasst,
aber die Herangehensweise an dieses
Album war noch mal ganz anders. Auf „HJ“ waren
teilweise sechs Jahre alte Beats. Dieses Mal
haben wir von vornherein geplant und alles von
null gestartet. Ich habe mich auch nach ihren
Vorstellungen gerichtet. Es ist durchdachter und
dadurch ist der rote Faden auf diesem Album am
krassesten.
Wie kam damals überhaupt die Verbindung zustande?
m3: Mir gefiel „Franzaforta“ vom „Mietwagentape“.
Daraufhin habe ich Celo bei Facebook angeschrieben.
Syn hat sich dann bei mir gemeldet
und so ist der erste Kontakt entstanden. Danach
waren die beiden auf Tour in Hamburg und dort
haben wir uns richtig kennengelernt. Da ist eine
Freundschaft entstanden. Ich kannte die Frankfurter
Mentalität auch schon von Azad und kann
mich damit am besten identifizieren.
Abdi: Ich kannte m3 & Noyd aus dem Booklet
eines Azad-Albums. m3 ist mir wegen des BMW
M3 im Kopf geblieben, obwohl ich vor dem
behalte ich es bei. Trotzdem hat m3 ein Ohr für
gute Musik und deswegen hören wir auch auf
seine Kritik.
m3: Gerade haben wir im Auto mit Syn über eine
Hook diskutiert. Wenn drei Leute sagen, dass es
kacke ist, dann nehme ich es raus. Aber wenn die
beiden es mögen, dann behalten wir es schon
bei.
Greift ihr beiden in den musikalischen Bereich
ein?
Abdi: Je nachdem …
m3: Abdi sagt dann meistens, dass es ihm nicht
gefällt. „Was soll ich denn anders machen?“
„Mach anders.“ (lacht) Manchmal fuckt mich das
schon ab, weil dieses „Anders“ nicht klar definiert
ist.
Abdi: Das hättest du doch vorhin in der Whats-
App-Gruppe sagen können. (alle lachen)
Was hat euch dazu gebracht, sich wieder in
Richtung „Mietwagentape“ zu bewegen?
Abdi: Auf dem letzten Album haben wir ein bisschen
experimentiert. Wir bereuen nichts, aber
Läuft man dann nicht Gefahr, sich thematisch zu
wiederholen?
Celo: Es gibt so viele Sachen, die ich erlebt habe.
Darüber kann ich zehn Alben schreiben. Ich muss
mich nur daran erinnern, was passiert ist, und
dann beginnen, das in Reime und Flows zu verpacken.
Das Geilste ist, wenn du jemanden aus
alten Zeiten triffst. Dann kommt alles wieder.
Abdi: Dann kommt: „Alter, Abdi, hast du noch
den Zwanni, den ich dir damals gegeben habe?“
Celo: Von 1999. (lacht)
Kritisieren euch Leute oft dafür, dass ihr angeblich
den Kontakt zur Basis verloren habt?
Abdi: Auf einmal hat man einen Bauch und alle
sagen, dass es einem zu gut geht. Aus der Distanz
denken sich Leute dann: „Ah, der hat jeden
Tag neue Nike-Schuhe an.“ Verbringe mal fünf
Minuten mit mir und du wirst sehen, dass ich immer
noch der Alte bin.
Celo: Darüber braucht man gar nicht zu diskutieren.
Du kannst uns ja nicht übelnehmen, dass wir
Erfolg haben und Geld verdienen. Früher bist du
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 35
dafür morgens aufgestanden, um bei den Leuten
zu klingeln, die dir Geld geschuldet haben. Damit
sie es nicht irgendwo anders ausgeben.
In euren neuen Videos gibt es eine deutliche
Präsenz jeglicher Art von Drogen. Findet ihr es
cool, das die ganze Zeit so offensiv zu thematisieren?
Abdi: Natürlich sind Drogen nicht cool.
m3: Im Trailer sieht man ja auch, was für Folgen
das haben kann. Guck mal, wie der Typ drauf ist.
Abdi: Nüchtern hätte man ihm das Paket nicht
gerippt.
Celo: Auch die Toiletten-Story erzählt er jedem.
Freunde kamen daraufhin zu mir und haben gemeint,
dass sie genau so einen Typen kennen,
der sie ständig nervt. Celo & Abdi sind keine Medienwelt,
die dir irgendwas verkaufen will. Wir
zeigen dir einfach, wie das Leben ist. Natürlich
gibt es da Schattenseiten.
Wie politisch würdet ihr euch einschätzen?
Celo: Sobald ich einen Text schreibe, ist er politisch,
obwohl ich das gar nicht sein möchte. Zum
Beispiel, weil es eine autonome Gruppe für sich
interpretiert und feiert. Dadurch wird eine Parole
daraus. Lyriker werden gerne von Menschen mit
unterschiedlichen Ideologien interpretiert. Einige
können sich dann eben mit Celo & Abdi identifizieren.
Auf der anderen Seite gibt es immer primitive
Menschen, die für ihre Zwecke Propaganda
daraus schlagen.
Wenn dann mal zu etwas Stellung bezogen
wird, entwickeln sich die Kommentare auf Facebook
oder YouTube oft in eine radikale Richtung
…
m3: Ich finde es prinzipiell gut, wenn sich Musiker
zu einem politischen Thema äußern, da sie
oft eine hohe Reichweite haben. Aber sie sollten
dafür auch eine gewisse Bildung besitzen, denn
sonst wird nur Halbwissen vermittelt. Die oft sehr
jungen Hip-Hop-Hörer sind für so was leider relativ
empfänglich.
Celo: Man sollte sich bei einem politischen Thema
auf jeden Fall immer mit beiden Seiten beschäftigen.
Sonst wird es zu gefährlichem Halbwissen.
Auf die Kommentare lege ich allerdings
keinen großen Wert, denn die werden oft von
Zwölfjährigen geschrieben. Ich mache aber keine
Musik für Zwölfjährige, sondern für Erwachsene.
Oft sind es auch primitive Leute mit Halbwissen,
die mitreden wollen und dann irgendwelche
Pegida-Bewegungen unterstützen. Deren Einstellung
erinnert an das Mittelalter und ist meiner
Meinung nach ziemlich lächerlich. B
„Celo & Abdi sind keine Medienwelt, die dir
irgendwas verkaufen will“ (Celo)
Die Hohe Fünf
Celo
mit
&
Abdi
36 BACKSPIN #117 Sommer 2015
ORIGINAL
PENGUIN
Die Spring/ Summer 15 Kollektion von Original Penguin ist inspiriert durch die 1950er
Jahre in Miami Beach: Ikonischer Ocean Drive, leuchtende Motel Zeichen neben einsamer
Palme. Die Farbpalette verbindet chromatische Rot und lebendiges Grün mit
einem Schuss von Aqua und von weichen Rosa. Diese Kontraste erinnern an die satten
Farben der Strand Häuser die von den weichen Pastellfarben der Art-Deco–Straßen von
Miami Beach umgeben sind.
Weitere Infos und Bilder gibt es auf www.originalpenguin.co.uk
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 37
EINMAL KIEZ UND ZURÜCK
ZZTOP
MIT
Interview: Mark Todt
Fotos: ZZTop
38 BACKSPIN #117 Sommer 2015
ZZTop ist ein Writer, der einen Standpunkt vertritt, auch wenn das Stehen in manchen Momenten seiner Lebenszeit ins Schwanken gerät. Man
trifft ihn auf jeden Fall eher in der Kneipe als im Zugdepot. Er ist ein Bomber, wie er im Buche steht. In Hamburg kommt man selten umhin, seine
Spuren zu übersehen. Meist wurden sie in einem denkbar ungesunden Zustand hinterlassen, aber das ist ja sein Problem und im Nachhinein das der
Hausbesitzer, deren Häuser er in der Nacht geschändet hat.
Dein Name lässt einige Interpretationsmöglichkeiten
zu und dadurch stellen sich mir zu Anfang
gleich zwei Fragen: Hättest du gerne einen langen
Bart und hörst du die Musik der Band ZZ Top?
Liegt nahe, aber nee – weder muss ich den langen
grauen Bart haben noch die Musik hören.
Wie kam es überhaupt zu der Namensfindung?
Ich habe einen Namen gesucht und wollte irgendeinen
mit „Top“ am Ende. Von der Band hatte ich
natürlich schon gehört, aber der Name oder das
Wort war einfach geil. Ja, und so ist es der geworden.
Der ist einprägsam, ist ungewöhnlich, hat
harte Buchstaben, und ich war mir sicher, dass
sich so schnell keiner an die ZZT-Buchstabenfolge
rantraut, die dann noch mit einem P endet. Da kotzt
einfach jeder, mich eingeschlossen!
Du bist ziemlich viel in der Hansestadt Hamburg
unterwegs und treibst farblichen Unsinn. Hast du
noch Zeit für normale Sachen?
Wenn ich mit meiner 15-Stunden-Schicht Graffiti
fertig bin, sitze ich den Rest des Tages am Tresen
irgendeiner Kaschemme hier und trinke Frischgezapftes.
(lacht) Natürlich, Mann: Job, Frauen, Feiern
und so weiter. Das braucht doch jeder.
Wie sieht ein Tag im Leben des Sprayers ZZTop
aus?
Ich habe immer viel um die Ohren und eine lange
To-do-Liste.
Würdest du sagen, dass dein Leben unter deinem
Hobby leidet oder dass es eine Bereicherung erfahren
hat?
Im Großen und Ganzen ist Graffiti für mein Leben
definitiv eine Bereicherung. Ich habe damit eine
Sache für mich gefunden. Ich entscheide mich
doch dafür und mache es nur und immer in dem
Umfang, wie es Bock bringt. Geht es mir aufn Sack
oder stresst es mich, male ich mal einen Monat gar
nichts. Habe ich Bock, male ich auch mal sieben
Nächte die Woche. Da soll auch nichts drunter leiden.
Hamburg ist nicht bekannt dafür, ein entspanntes
Umfeld für Sprayer zu bieten. Wie gehst du mit
diesem Sachverhalt um?
Hamburg ist schon nervig, aber man kann sich ja
auf alles einstellen und lernt auch mit der Zeit. Fakt
ist: In Hamburg musst du beim Malen hellwach
und clever sein. Sollte man zumindest. Die Maler
unter sich verstehen sich im Großen und Ganzen.
Beef kommt und geht halt.
Wieso sprühst du überhaupt?
Graffiti heißt oder ist für mich Style, Leidenschaft,
Spaß, Ausdruck und Ausleben persönlicher Freiheit,
Abgrenzung vom Mainstream, Kontra geben
und laut sein, Flavour, zeigen, dass man da ist, Kur
und Therapie, Aggressionsbewältigung, Egotrip,
Adrenalin, Action, Entspannung, Spießern in die
Fresse pissen und wissen, dass sie Hass schieben
werden, wenn sie dein Piece oder Tag sehen, Ästhetik,
Wettkampf, Ruhm, Feeling, Abenteuer, ganz
einfach eine Freizeitbeschäftigung und in seinen
„Habe ich Bock, male ich auch mal
sieben Nächte die Woche“
vielen Facetten einfach nie langweilig.
Wie geht dein direktes Umfeld mit deiner Leidenschaft
um?
Größtenteils ganz entspannt und verständnisvoll.
Sind eh sehr viele Maler dabei. Ansonsten gehe
ich damit bei anderen Leuten eher verschlossen
um.
Graffiti ist ja nicht bekannt dafür, ein Hobby
zu sein, was man so mal eben zwischendurch
macht. Was nervt dich am meisten an Graffiti?
Und was liebst du am meisten daran?
Ich finde es geil, wenn man es aufs Purste reduziert:
Flächen in der Öffentlichkeit einfärben und
umgestalten. Das bringt einfach Spaß. Mit Style
oder ohne Style, mit künstlerischem Anspruch
oder ohne, mit Dose, Marker, Feuerlöscher, Farbbombe
oder was auch immer. Bang, da passiert
was – da bleibt was. Sinnvoll oder sinnfrei und
manchmal auch nur temporär. Man hinterlässt seinen
Namen überall in der Stadt und markiert Orte,
an denen man gewesen ist. Jedes Piece oder Tag
zieht dich ein Stückchen aus der grauen Masse,
macht auf dich aufmerksam und erinnert andere an
deine Person, konserviert das vergängliche Dasein
somit ein wenig länger. Ohne maßlos politisch zu
werden, ist Bombing auch immer ein Statement,
das ausdrückt, dass der öffentliche Raum nicht nur
dazu dienen darf, Gehör für finanzstarke Unternehmen
und ihre Werbebotschaften zu schaffen.
Man zeigt damit, dass man sich nicht durch das
etablierte Wertesystem und geltende Gesetze davon
abhalten lässt, sich Ausdruck zu verschaffen
und fühlt sich somit ein Stück weit freier. Bombing
ist gewaltloser ziviler Ungehorsam – und das ist
schon immer wichtig gewesen. Darüber hinaus
ist die Battle-Komponente geil. Man kann sich in
vielen Disziplinen mit anderen messen. Qualitativ
oder quantitativ – oder beides. Und dann kommt
man durch Graffiti einfach rum, lernt coole Leute
kennen und hat mit denen so gut wie immer eine
gute Zeit. Mich nervt, dass ich nie Skizzen zu Hause
haben kann, dass ich mein Hobby im Verborgenen
inkognito ausüben muss, was aber dann wiederum
auch den Reiz ausmacht, die paranoiden
Züge, die man annimmt, und dann nervt mich das
ganze Getratsche und der Graff-Gossip unter den
Malern. Aber irgendwie gewöhnt man sich auch
an das alles und lernt, damit gut umzugehen.
Bist du der Meinung, dass es zu viele oder zu wenige
Sprüher gibt?
Es gibt mittlerweile definitiv zu viele Sprüher. Zumindest
zu viele, die Graffiti einfach zu bequem
kennengelernt haben und es aus einer anderen
Motivation heraus betreiben, als ich es mache.
Früher war Graffiti einfach underground und hatte
somit mehr Magie und Flavour. Wie bei so vielen
Subkulturen meiner Zeit hat das Internet das leider
kaputtgemacht. Der leichte Zugang zu Material
und Wissen, das früher wirklich elitär vererbt wurde,
hat dem Ganzen eine Menge Reiz entzogen.
Umso mehr freue ich mich aber darüber, wenn ich
heutzutage Youngsters sehe und kennenlerne, die
Graffiti mit Begeisterung und Leidenschaft ausleben.
Für die Größe der Stadt könnte hier aber auf
jeden Fall mehr gebombt werden.
Das, was ich von dir kenne – Pieces, Tags, Throwups
– hat alles einen recht klassischen Ansatz und
scheint den Anspruch zu verfolgen, dass es gut
aussehen soll. Liege ich da richtig? Und wieso ist
das so?
Ja, da liegst du richtig. Mir gefällt das New Yorker
Graffiti der 80er und das, was in den 80ern in
Europa gemacht wurde, immer noch am besten.
Daran orientiere ich mich, das ist meine Basis. Zu
meinem Anspruch: Ich habe schon Bock, geile
Sachen zu machen, aber in manchen Situationen
oder unter bestimmten Umständen ist das letzten
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 39
EINMAL KIEZ UND ZURÜCK
ZZTOP
MIT
Endes dann auch nicht so wichtig. Da stehen dann
einfach Action und Flavour im Vordergrund.
Heutzutage geht Sprayen ja richtig ins Geld, früher
war es eher umsonst. Ist dir diese Entwicklung
egal oder stört sie dich?
Ob es ins Geld geht, liegt auch heute immer noch
am Maler. Es kommt darauf an, wie geschäftstüchtig
er ist, und wie und womit er malen will. Um
ein gutes Piece zu malen, musst du ja nicht die
besten oder teuersten Dosen haben, sondern nur
einen geilen Style. Was mich eher stört, ist die Effekthascherei
des heutigen Graffiti-Zeitgeists, der
knallbunt und witzig ist oder die gute Idee des Gesamtkonzepts
über die Gestaltung der eigentlichen
Buchstaben stellt. Das ist zwar oft auch cool, der
Fokus steht für mich aber immer auf den Letters.
Wenn du das Material zu einem geilen Piece dazu
noch ragst, kriegst du von mir auf jeden Fall die
volle Punktzahl. (lacht)
Wenn man deinen Namen googelt, findet man
gleich eine Menge Fotos von deinen Bildern.
Freut dich das oder bist du eher ein Internetfeind?
Beides. Es tauchen halt viele lieblose Fotos und
Videos von eigenen Sachen auf, die die eigene
Wahrnehmung und den Wert des eigenen Pieces
für einen selbst nicht rüberbringen. Dazu auch
Pieces, die man nicht unbedingt wiedersehen
wollte. Ab und zu wird man dann aber auch wieder
positiv überrascht und bekommt ein Foto von
einer Sache, die man gar nicht festgehalten oder in
geiler Qualität hatte. Da gibt es halt viele Vor- und
Nachteile. Das Internet hat Graffiti auf jeden Fall
stark verändert, das habe ich ja bereits in einer der
vorherigen Fragen erwähnt. Ob du aktiv sein willst
oder Graffiti einfach nur konsumierst, musst du für
dich selbst entscheiden. Respekt bekommst du für
deine Scheißfotos oder behinderten Kommentare
auf Instagram, Facebook oder sonst irgendeiner
Internetplattform von mir allerdings nicht. Ich persönlich
nutze das Internet bisher nur ganz sporadisch,
um meine Sachen zu zeigen.
Nutzt du die Vorteile des Internets auch für Graffiti?
Klar, ich suche mir vor dem Malen immer schon
gleich die nächstgelegene Bar zum Spot über Google
Maps raus, wo ich nach dem Malen dann meine
trockene Kehle mit kaltem Bier benetzen kann.
Das Internet ist auf jeden Fall eine große Hilfe und
ich nutze es so gut es geht natürlich.
Bist du eher der gesellige Sprayer oder ein Einzelkämpfer?
Beschreib bitte auch die jeweiligen
„Es gibt mittlerweile definitiv zu
viele Sprüher“
Vor- und Nachteile!
Ich male am liebsten mit wenigen regelmäßigen
Partnern und möchte auch gar nicht mit jedem malen.
Ich mag ein eingespieltes Team, wo man weiß,
woran man ist und wie der oder diejenigen ticken,
wo keiner sich unnötig aufspielt oder sich beweisen
muss und wo man sicher sein kann, dass sie,
40 BACKSPIN #117 Sommer 2015
wenn es hart auf hart kommt, die Fresse halten,
oder sich entsprechend gerade machen. Ich bin
aber auch sehr gerne und oft alleine unterwegs. So
bin ich flexibel, kann komplett auf ego abwaltern,
habe keine Diskussionen und keine geplatzten Verabredungen
auf die letzte Minute.
Die Graffitiszene wird zum Teil auch von diversen
anderen Szenen instrumentalisiert, zum
Beispiel von Fußballfans. Wie beurteilst du diese
Entwicklung?
Dies ist in meinen Augen eine natürliche Entwicklung,
und ich wundere mich im Übrigen, warum
es nicht weitaus mehr Szenen für sich nutzen. Bei
dem, wie es derzeit in Hamburg abgeht, wünscht
man sich natürlich die gute alte Zeit vor dem Fußball-Graffiti
zurück. (lacht)
Wie respektvoll gehst du mit anderen Graffitis
und Sprayern um?
Eigentlich immer respektvoll, wenn ich weiß, dass der
Maler länger als nur eine Saison gebombt hat oder
ich sehe oder höre, dass ein junger Maler die richtige
Einstellung hat. Richtig ernst kann ich sie allerdings
erst nehmen, wenn sie ein paar Jahre auf der Uhr
haben und immer noch bomben, auch wenn sie mal
Feindkontakt, einen Job oder eine Freundin hatten.
Würdest du dich als Allrounder bezeichnen oder
ist es dir wichtig, nur für eine bestimmte Disziplin
im Graffiti bekannt zu werden?
Ich bin eigentlich schon ein Allrounder, obwohl
mich Trains nie so wirklich gepackt haben. Ich konzentriere
mich aber phasenweise auf bestimmte
Disziplinen. Derzeit sind das Tags und Throw-ups.
Aber gute Stylepieces müssen schon sein, um mal
wieder zu zeigen, wo der Hammer hängt.
Wie wichtig ist es dir, viel zu machen?
Viel ist immer gut! Ich habe noch viele Ideen und
Sachen, die ich umsetzen möchte.
Was ist für dich eigentlich viel?
Ey, bei dem hohen Output von einigen Leuten frage
ich mich das auch immer wieder. Das ist von so
vielen Faktoren abhängig und letzten Endes dann
wieder subjektiv. Ein Familienvater, mit Frau und
Job, der dreimal die Woche nachts losgeht, macht
in meinen Augen sehr viel. Ohne Freundin beeindruckst
du mich erst, wenn du noch ein bisschen
häufiger losgehst. Dann hängt das ja auch immer
davon ab, was du machst und wo du es machst.
Lieber besoffen eine Nacht mit Marker durch die
Klubs ziehen oder die U-Bahnen der Welt jagen?
Lieber besoffen mit Marker durch die Klubs ziehen
und danach noch ‘ne geile Tante bumsen.
Was geht dir durch den Kopf, wenn du dir Graffiti-
„Fakt ist: In Hamburg musst du beim
Malen hellwach und clever sein“
Videos anschaust von Leuten, die anscheinend
jedes Risiko eingehen, um auch die abgelegenste
U-Bahn der Welt zu bomben?
Hut ab! Krasse Leute. Hardcore. Alter, warum filmen
und zeigen die blöden Affen jetzt ihren Trick,
wie sie in den Spot gekommen sind? Zu nerdig.
Graffiti-Opfer. Cool. Wär ja schon ganz geil, wa? Da
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 41
hätte ich jetzt auch Bock zu. Kack-Style und dafür
der Aufwand, Mann. Respekt!
Wer oder was könnte dich am ehesten dazu bringen,
aufzuhören?
Eine meckernde kleine süße Omi, die mir an den
Ohrläppchen zieht, ein Checker oder Beamter, der
schreiend angelaufen kommt, wenn die Dosen alle
sind und, und, und. Da gibt es schon viele Gründe.
Musst du kreativ sein oder wäre für dich auch
irgendeine andere Art der Kriminalität infrage
gekommen?
Ich bin gerne kreativ. Das Illegale ist nur wichtig,
um sich vom Mainstream krasser abzugrenzen,
um Normalo-Spackos davon abzuhalten. Da gibt
es definitiv noch viele andere Sachen, die vor diesem
Hintergrund interessant sind.
Denkst du, dass eine Entkriminalisierung der Szene
Sinn ergeben würde, oder wäre dass das Ende
von Graffiti?
Wie soll das denn gehen? Ich glaube, da ist mir die
Fragestellung unklar.
Was meinst du, wie lange machst du noch weiter?
Ich bin zu weit gegangen, um Graffiti komplett an
den Nagel hängen zu können. Auch wenn ich viele
andere Interessen habe, ist Graffiti schon ein wichtiger
Faktor in meinem Leben. Auf die eine oder andere
Weise werde ich es für mich immer ausleben,
weiterentwickeln und damit verbunden bleiben.
Nenn mir zum Ende fünf Gründe, warum man
dich liebt und fünf, warum man dich hasst!
Och nee, zum Schluss die Todesfrage oder wie?
Darauf gebe ich keine Antwort, das soll jeder selbst
entscheiden, der in Hamburg war und/oder mich
mal kennengelernt hat.
Obligatorische Shout-outs!
Meine DSF- und COS-Familie. Dann alle meine
Freunde, Feierferkel und Malpartner der letzten
Jahre, unter anderem aus den Klubs: 13ers, AMB,
BK, BTOPS, CAS, DSU, END, GBR, GG, HA, ID,
JBCB, KGZ, KN, LETS, LONS, NTDC, OBS, RMC,
SUK, THY, VRS, WB … Ihr wisst, wer ihr seid. Prost,
auf euch!B
EINMAL KIEZ UND ZURÜCK
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MIT
PHOTO BY FLORIAN KRAUSE
44 BACKSPIN #117 Sommer 2015
Raws
OFFICIALS CREW
Raws ist ein Graffitisprüher aus Berlin, der seit
2004 aktiv ist.
Nach den ersten Versuchen auf Papier und der folgenden
Zeit in der Illegalität, malt Raws seid 2010
ausschließlich legal. Er konzentriert sich seitdem
auf das Stylewriting. Für ihn stehen ausgewogene
Farbkombinationen, saubere Umsetzung und vor
allem das Weiterentwickeln seines Styles im Vordergrund.
Raws ist Mitglied in der Off Crew aus
Berlin und der internationalen Sbb Crew.
Check:
facebook.com/rawsone
instagram.com/kanslerberlin
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46 BACKSPIN #117 Sommer 2015
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48 BACKSPIN #117 Sommer 2015
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BACK IN THE DAYS!!!
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Sommer 2015 #117 BACKSPIN 51
52 BACKSPIN #117 Sommer 2015
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 53
54 BACKSPIN #117 Sommer 2015
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 55
TALES OF A
DIRTY OLD
MAN
Wie werde ich als Writer am besten bekannt?
Bekanntheitsgrad
mutieren. Na, wollt ihr wissen, wie es ti-Touristen in Asien, Lateinamerika und den USA
funktioniert? Einen Moment! Vorher sollte bereits zu spüren. Also, ein paar kleine Tipps am
ich euch noch ein paar Fragen stellen, um Rande, solltet ihr es dennoch nicht verhindern
sicherzugehen, dass ihr auch bereit seid, können, dass der Drang nach Ruhm euch dazu
diesen Weg einzuschlagen.
zwingt, in diesen Gegenden insbesondere Trains
zu bomben: Verschwindet so schnell wie mög-
Nun, dies ist wohl die häufigste Frage, die sich die
meisten Writer zu Anfang ihrer unsäglichen Karriere
stellen. Mir schwirrten auch viele Fragezeichen
um den Kopf, als ich anfing – und ich muss
sagen, dass ich für meine „Karriere“ irgendwie
immer noch keine Antwort gefunden habe. Es
gibt tatsächlich Sprüher auf diesem Planeten, die
mich immer noch nicht kennen oder gar schon
wieder vergessen haben. Unglaublich! Wie kann
das sein? Was habe ich falsch gemacht? Immerhin
male ich jetzt schon seit 31 Jahren. Hm, lasst
mich mal überlegen, was ich besser machen
könnte. Das Marketing bezüglich meiner Person
muss überdacht werden! Obwohl, ich möchte ja
nichts verkaufen, sondern „nur“ bekannt werden.
Wollte ich Geld damit verdienen, würde ich wunderhübsche
Murals im Street-Art-Stil malen und
mich in der Hipster-Welt feiern lassen, dann kurz
eine bis zehn Ausstellungen in den angesagten
Galerien organisieren und alles immer schön online
im eigenen Blog und bei Facebook posten.
Tätää, der neue Star wäre geboren. Bald könnte
ich dann wieder illegal losziehen und die Stadtväter
dieser Welt würden in den einzelnen Bezirken
meine Sprühereien mit Plexiglas veredeln. Hach,
ich wäre entzückt!
Hey, Leute, ich will euch ja jetzt nicht die Träume
kaputtmachen, aber es gibt noch viel bessere
Methoden, als Writer bekannt zu werden.
Ich habe da von einer ziemlich radikalen und
effektiven Variante gehört, die sich leider erst
sehr langsam durchzusetzen scheint. Aber hat
man diese Prozedur erst einmal hinter sich gebracht,
wird man fast binnen Sekunden weltweit
berühmt und selbst Leute, die noch nie mit Graffiti
zu tun hatten, unterhalten sich über einen. Ihr
müsst euch nicht in die Kunstwelt einschleimen
und ihr müsst auch nicht zum zweiten Banksy
1. Seid ihr bereit dazu, dass ihr eure Familie und
Freunde über einen längeren Zeitraum nicht zu
Gesicht bekommt?
2. Seid ihr bereit, eine Menge Geld für euer Lebensideal
auszugeben?
3. Mögt ihr es, fotografiert zu werden?
4. Steht ihr auf unerträglichen Schmerz?
5. Würdet ihr es durchstehen, dass die ganze
Graffiti-Welt dennoch über euch lacht?
Solltet ihr diese Fragen eher mit einem Nein
beantworten, dann lest jetzt nicht mehr weiter,
denn es hat eh keinen Sinn, dass ihr sprayt. Der
Tipp des Tages, nein, des Jahrzehnts ist: Fliegt
nach Singapur und lasst euch beim Bemalen
der U-Bahn erwischen! Dann kommt alles von
ganz alleine. Ihr seid in den Medien vertreten mit
Foto und müsst euch über nichts mehr Gedanken
machen. Jeder spricht über euch und jeder
kennt euch, sogar mit Gesicht. Ist das nicht toll?
Obwohl, jetzt, wenn ich es mir gerade überlege,
die zwei Jungs aus dem Osten unserer Republik,
die sich haben überführen lassen, sind
mir immer noch nicht geläufig. Ich habe nur die
verzweifelten Gesichter im Kopf, die sie hatten,
als ihnen durch das ganze Fotografiert-Werden
klar wurde, dass auch drei Stockhiebe auf den
Allerwertesten und eine völlig überzogene Haftstrafe
Teil des Spektakels sind. Sorry, Leute, ich
muss mal kurz eine Pause machen vor lauter hämischem
Lachen! Wer war noch mal der dämliche
Schweizer, der ungefähr die gleiche Strafe
erhielt? Spock? Captain Kirk? Ach ja, McKoy,
das war sein Pseudonym. Was für ein Anfänger!
Kennt den eigentlich noch jemand? Leider ist es
mittlerweile ein Fakt, dass gerade im außereuropäischen
Ausland die Behörden sehr akribisch
und schlagkräftig ermitteln. Dies bekamen Graffilich
aus besagten Ländern! Reist über Drittländer
an! Kontaktiert niemanden, der auch dieses Hobby
hat vor Ort! Versucht, im Vorfeld straffrei Graffiti
auszuüben, sodass niemand denken könnte,
dass ihr das gewesen seid, was da passiert ist!
Und vergesst nicht, ich habe euch das alles nicht
gesagt!
Wenn ich jetzt anfange, genauer über die Voraussetzungen
zum Berühmt-Werden mittels
Graffiti nachzudenken, fällt mir auf, dass ich alle
oben gestellten Fragen mit einem Ja beantworten
könnte. Ich sehe meine Familie zum Teil nur
ganz sporadisch, da die sich ja selten auf Bahngeländen
herumtreibt. Ich habe schon eine Unmenge
an Geld für dieses Hobby ausgegeben,
sei es für Dosen, Benzin oder weiß der Geier für
was sonst noch. Sowohl auf der Polizeiwache als
auch auf diversen Jams wurden Fotos von mir
gemacht und zwar auch dann, das ließ sich leider
äußerst selten vermeiden, wenn ich nicht fotografiert
werden wollte. Über Stacheldrahtzäune
zu klettern, ist auch heutzutage immer wieder
recht schmerzhaft. Und lachen tun irgendwie
immer noch eine Menge Leute über mich. Scheiße!
Und das Allerschlimmste: Mich kennt immer
noch nicht jeder!
Nun denn, in diesem Sinne: weitermachen!
Ich weiß doch auch nicht, wo das alles hinführen
soll.
Euer dreckiger alter F…B
56 BACKSPIN #117 Sommer 2015
Interview: Oliver bartelds
Fotos: Golden Green 179
58 BACKSPIN #117 Sommer 2015
„GASSENHAUER“
/ SIEBDRUCK + SPRÜHFARBE / 50 x 70cm / 2014
Golden Green, ein Pseudonym wie eine Verheißung,
die von glanzvollen Zeiten kündet. Golden Green
steht für eine Bilderwelt zwischen Graffiti-Ästhetik
und handgemachter Grafik. Für BACKSPIN öffnete
der Hamburger Künstler die Pforten in eine Welt
voller Realität gewordener Visionen.
GOLDEN
GREEN
und die Autonomie der Gegenwartskunst
Schön, dass du zwischen deinen Ausstellungen
und Projekten noch Zeit findest, ein paar Fragen
zu beantworten. Ich oute mich hiermit auch
gleich mal als Fan deiner Arbeiten! Was mir persönlich
an ihnen so gut gefällt, ist, wie du die
Kunst des Weglassens anwendest. Elemente wie
Blasen oder Sterne sitzen einfach auf den Punkt –
weniger ist mehr, oder?
Also, ich lasse nicht bewusst Dinge weg. Vielleicht
versuche ich, mich allgemein auf das Wesentliche
zu konzentrieren. Wie du schon sagst,
weniger ist meistens mehr. Man muss aber
wissen, was das Wenige ist, was den Kern beinhaltet.
Dazu muss man auch mal mehr gemacht
haben. Klassische Graffiti-Stilelemente wie Blasen,
Sterne, Tropfen etc. spielen in meinem gesamten
Oeuvre eine große Rolle. Aus all diesen
Elementen habe ich irgendwie meine eigene
Bildsprache zusammengewurstet. Das wird mir
zumindest häufig mitgeteilt. Ich hoffe wirklich,
dass es stimmt. Ich selbst kann meinen eigenen
Stil nämlich nicht so klar umreißen, da ich mich
sehr ungern festlege.
Deine letzte Soloausstellung in Hamburg in der
Affenfaust Galerie trug den Titel „Chimäre“.
Kannst du uns dazu etwas erzählen?
Ich habe meistens nur eine vage Vision von
dem, was ich produzieren möchte, und dann
kommt im Endeffekt etwas völlig anderes dabei
raus. Deswegen habe ich meine letzte Ausstellung
in der Affenfaust Galerie „Chimäre“
genannt. Ein Fremdwort für Hirngespinst oder
Trugbild. Was ich daran so faszinierend finde,
ist, dass ein Hirngespinst oder Trugbild normalerweise
keine Realität werden kann. Ich würde
aber sagen, meine Bilder sind Realität gewordene
Hirngespinste. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit.
Fantastisch!
Hast du unterschiedliche Herangehensweisen in
Bezug auf die Arbeit im öffentlichen Raum oder
für die Galerie?
Ja, klar. Im öffentlichen Raum arbeite ich ja eigentlich
nur großflächig und mit der Sprühdose.
Im Atelier probiere ich diverse Techniken
und meine Arbeiten sind meist auch eher Kleinformate
im Vergleich zu einer Wand oder einer
Fassade. Das eine schließt das andere nicht aus.
Die verschiedenen Arbeitsweisen ergänzen sich
vielmehr zu einem großen Ganzen.
Welchen Einfluss, speziell bei der Arbeit im Freien,
übt hier die Umgebung aus?
Die Umgebung hat immer einen Effekt auf das
Schaffen. Welchen genau, ist schwierig zu sagen.
Wenn ich in Spanien ein Bild male, wird das
jetzt nicht automatisch sonniger oder blumiger
oder so. Die Architektur hat natürlich Einfluss
auf das Bildformat oder die Farbigkeit, weil man
sich dem irgendwie anpassen muss. Überspitzt
gesagt, bleibt das Bild eigentlich gleich oder zumindest
ähnlich, nur die Umgebung ändert sich.
Das hat eher Einfluss auf den Betrachter als auf
meine Kunst. Die verschiedenen Umgebungen
lassen meine Werke und damit auch mich in
einem anderen Licht erscheinen.
Welche Rolle spielt dabei Hamburg für dich?
Hamburg hat mich zu einem großen Teil zu dem
gemacht, was ich bin. Die Stadt, die Menschen,
das Klima – man hört den Dialekt in meiner
Sprache. Sieht man die Erfahrungen, die ich in
dieser Stadt gemacht habe, auch in meiner Bildsprache?
Ich weiß es nicht. Heute, im digitalen
Zeitalter, spielen Lokalitäten auch nur noch eine
untergeordnete Rolle. Das war früher wirklich
anders. Da hatte man noch einen lokalen Style.
Das ist mit dem Internet verloren gegangen.
Wie war sie denn, die Hamburger Szene in den
goldenen 90ern?
Man hat irgendwie immer einen verklärten Blick
auf die Vergangenheit. Die Phasen, in denen
man jung ist und nicht darüber nachdenkt, was
man gerade macht, sind am Ende meistens
die guten alten Zeiten. Die goldene Ära. In den
90ern waren wir jung und haben auf die Kacke
gehauen. Für jemanden, der jetzt jung ist, waren
es die goldenen 2000er. Außer der Tatsache,
dass die Züge damals wesentlich besser aussahen,
weine ich der Vergangenheit keine Träne
hinterher. The Golden Error!
Aus dieser Zeit kenne ich noch einige Klassiker
von dir. Einige Flächen, wie etwa der Flora-Bunker,
werden seit 20 Jahren gemalt. Andere, wie
beispielsweise die Fischers Allee oder Motte, sind
verschwunden oder haben sich verändert. Wie
siehst du, als Hamburger Jung, auf diese Wände?
Hast du eventuell eine besondere Verbindung zu
einer von ihnen, oder eine aktuelle Lieblings-Hall?
Ich habe natürlich eine Verbindung zu den Plätzen,
an denen ich schon gemalt habe. Zu manchen
eine bessere, zu anderen eine schlechtere.
Aber die Dinge kommen und gehen. Was
soll’s? Meine Lieblings-Hall-of-Fame ist die, an
der noch nicht gemalt wurde. Ich liebe jungfräuliche
Wände. Ich fand Wände auch schon immer
attraktiver als Züge. Züge sind einfach keine
Leidenschaft von mir. Grandios ist es natürlich,
dass sie dein Bild durch die Gegend fahren. Ich
mag das Format von Wänden, aber finde das
Malen an Hall of Fames eigentlich total beschissen.
Das Gute daran ist der soziale Aspekt. Man
kann schön mit den Jungs einen an die Wand
kleben und Schwachsinn reden. Andere spielen
eine Partie Schach, wir malen eine Wand.
Welche Bedeutung hat das Reisen für dich?
Reisen erweitert den Horizont. Man kann seinen
Horizont aber nicht erweitern, wenn man dafür
nicht bereit ist. Wenn man offen für Neues ist,
muss man aber auch nicht unbedingt reisen, um
seinen Horizont zu erweitern. Ich meine Reisen
im Sinne von Ortswechsel. Man kann auch reisen,
wenn man ins Museum geht oder ein Buch
liest oder LSD einwirft. Wobei das dann wiederum
nur eine theoretische Reise ist. Es geht also
nichts über den guten alten Trip in die Ferne! Als
Hamburger hat man sowieso immer Fernweh.
Den Namen Golden Green verwendest du ja eigentlich
noch nicht so lange. Davor warst du
unter einem anderen Pseudonym im klassischen
Graffiti tätig. Was hat dich damals zum Namenswechsel
bewogen?
Das Pseudonym, unter dem ich vorher jahrelang
tätig war, hatte schlechtes Karma. Aids – was hat
man da für Assoziationen? Keine guten. Green
habe ich damals schon nebenher zur Abwechslung
gemalt. Irgendwann kam dann der Punkt,
wo es nicht mehr ging. Das ist wie das Beenden
einer Beziehung. Und dann habe ich nur noch
Green gemalt und das Golden davor gesetzt.
Golden Green. G. Green. GG179.
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 59
JEUX DE BOULE / PAPIERSCHNITT + SPRÜHFARBE / 50 x 70cm / 2014
„THE WALL“ / ACRYL AUF LEINWAND 140 x 140cm / 2014
60 BACKSPIN #117 Sommer 2015
6. „BILLARDSPIELER“ / „BLIND“ / „DER SCHREI 2015“ / „GRIMMIG“ / LACKSTIFT AUF PAPIER / 30 x 40cm / 2015
Ich assoziiere damit einen Namen, der von einer
glanzvollen Zukunft kündet. Welche Bedeutung
hat er für dich?
Das freut mich, wenn du das mit meinem Namen
in Verbindung bringst. Damit verbinde ich
ihn auch. (lacht) Ich finde es faszinierend, dass
die Menschen seit jeher Empfindungen an Farben
knüpfen. I’m feelin’ blue, ich sehe rot, der
graue Alltag etc. Die Maja wollten mit Gold die
Sonne darstellen. Und Grün steht in vielen Kulturen
für das blühende Leben. Sommer, Sonne,
Palmen. All das, was es in Hamburg im Überfluss
gibt.
Eines Tages deinen vollen bürgerlichen Namen zu
verwenden, ist das für dich ein Thema?
In bestimmten Kreisen wird ein Graffiti-Pseudonym
gering geschätzt oder einfach nicht verstanden.
Aus Ignoranz oder Unwissenheit – wie auch immer.
Ich habe kein Problem, auch meinen bürgerlichen
Namen zu verwenden oder eine Mischung
aus meinem bürgerlichen Namen und meinem
Pseudonym – Moritz G. Green. Es geht um mein
Werk, nicht um meinen Namen. Wenn die Leute
dazu meinen bürgerlichen Namen brauchen – bitte.
Ich habe viele Namen. Such dir einen aus!
Damals hast du ja eher den klassischen Stylewriting-Ansatz
mit Pfeilen und Verbindungen und
dem ganzen Gedöns verfolgt. Wie ist heute dein
Bezug zu diesen Stylepieces? Und wie stehst du
zu aktuellen Bildern dieser Art?
Ein geiles Piece ist ein geiles Piece. Von mir aus
mit Pfeilen, Verbindungen und Spezialeffekten.
Das macht Graffiti ja auch aus. Im Grunde male ich
ja auf eine Art auch immer noch Stylepieces. Nach
meinem Graffiti-Verständnis meint man doch mit
einem Stylepiece ein Buchstaben-Bild. Ich würde
mich aber nie als einen klassischen Stylewriter
bezeichnen. Das schränkt mich irgendwie ein.
Ich male ja auch gerne mal nur Character. Ehrlich
gesagt, graust es mir sowieso vor diesen ganzen
Schubladen – Character-Maler, Stylewriter, Street-
Art, Urban-Art, Spraycan-Art. What the fuck?
Stichwort Technik: Was hat dich dazu bewogen,
auch mit dem Scherenschnitt oder klassischen
Drucktechniken zu arbeiten?
Langeweile im Atelier. Über den Tellerrand gucken.
Neugierde. Ich weiß es nicht. Eine neue Technik
auszuprobieren ist damit vergleichbar, ein neues
Outfit anzuprobieren. Sie verleiht der alten Bildsprache
neuen Glanz. Die alte Form wird in einen
neuen Anzug gesteckt – und siehe da: Es entstehen
Bilderwelten, die einen zu einem zweiten Blick
geradezu auffordern.
Wie setzt du dich mit dem Prozess der Wirkung
zwischen Betrachter und Werk auseinander? Forcierst
du beispielsweise auf einer Vernissage den
Dialog mit den Besuchern, oder spielst du lieber
Mäuschen?
Weder noch. Ich spiele nicht das scheue Mäuschen
und forciere nicht unbedingt den Dialog. Ich
bin aber immer offen, wenn jemand den Dialog
mit mir sucht und freundlich auf mich zugeht. Natürlich
finde ich es interessant, was der Betrachter
oder die Betrachterin in meinen Bildern sieht. Das
eröffnet mir auch neue Sichtweisen auf mein Werk.
Meistens stimmen diese nämlich nicht mit meiner
Sichtweise überein. Darüber mache ich mir dann
Gedanken – meistens denke ich, entweder sind die
alle irre oder ich bin es.
Hast du ein aktuelles Lieblingsbild?
„The Wall“. Eine Leinwand, die ich 2014 gemalt
habe. Ich weiß nicht, warum, aber an diesem Bild
hänge ich.
Welche Bedeutung hat für dich überhaupt die
Resonanz anderer auf deine Werke? Spielen Facebook,
Instagram & Co. eine Rolle für dich?
Ist doch super, wenn Anerkennung auch über die
sozialen Netzwerke kommt. Warum nicht? Fame ist
seit jeher ein zentraler Antriebsmotor im Graffiti –
die verfluchte Eitelkeit. Wenn es mir wirklich alles
egal wäre, hätte ich keinen Account. So einfach ist
das. Aber ich lasse mich da auch nicht täuschen. In
den sozialen Netzwerken bekommt man ja eigentlich
nur Zucker in den Arsch geblasen. Und vielleicht
ist das auch besser so. Ich kritisiere keinen
Künstler, den ich nicht kenne. Und wenn ich den
Künstler kenne, kritisiere ich ihn nicht öffentlich bei
Facebook & Co. Die sozialen Netzwerke sind dafür
da, seine Sachen einer Welt zu präsentieren, die
einem sonst vielleicht verschlossen bleiben würde.
Ganz ehrlich, bei aller gerechtfertigten Kritik
an Facebook & Co. denke ich, dass sie für Künstler
das Beste sind, was ihnen passieren konnte. Jetzt
kennen Leute auf der ganzen Welt meinen Stuff
und können mich ganz leicht kontaktieren. Wie
hätte ich das denn bitte vor 20 Jahren angestellt?
Da wäre man auf die richtigen Leute angewiesen
gewesen. Ist man heute zwar irgendwie auch
noch, aber nicht mehr so extrem. Das Internet bietet
definitiv mehr Autonomie für den Künstler der
Gegenwart.
Als Teil der Ultra Boys arbeitest du zudem in einer
Künstlergruppe, deren Mitglieder international
aktiv sind. Wie würdest du hier den Kern eures
Zusammenschlusses beschreiben – was ist charakteristisch
für die Gruppe?
Ähnliche Ansichten auf Graffiti, Kunst und den
Lifestyle vielleicht. Im Grunde kommen wir alle
aus einem ähnlichen Background, aber mit einem
anderen Anstrich oder einer anderen Prägung. Andere
Sprache. Anderes Land. Das macht das Ganze
so spannend. Die Typen ticken genau wie man
selbst, aber sprechen eine andere Sprache und
kommen irgendwie aus einer ganz anderen Welt.
Und dann auch wieder nicht. Manchmal, wenn ich
Freunde aus anderen Ländern treffe und sie langsam
auch besser kenne, habe ich das Gefühl, ich
könnte jetzt einfach mit ihnen Deutsch reden. In
solchen Momenten ist die Sprache nur eine Barriere.
Ich weiß auch nicht, das ist alles Freakshit.
UBs sind alles Freaks. Wie bei „Star Wars“ in dieser
Bar-Szene …
Was planst du als nächstes?
Odd-A-Lot!B
www.goldengreen179.com
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 61
Interview: Janiv Koll
Fotos: Ninja Tune
Producer Spotlight:
HUDSON
MOHAWKE
Favourite break? Boah, das ist ja fast nicht zu beantworten! Ich
sage einfach mal ganz unkreativ „Funky Drummer“. Könnte aber
von Tag zu Tag wechseln …
Favourite current Hip-Hop song? Müsste Kanyes „All Day“ sein.
Favourite song you wish you had produced? Müsste ebenfalls
Kanyes „All Day“ sein. (lacht)
Favourite producer? Rick Rubin! Der Mann ist ein absolutes Idol,
nicht nur für mich.
62 BACKSPIN #117 Sommer 2015
Hast du denn schon einmal die Chance bekommen,
Rick Rubin dieses Lob von Angesicht zu
Hudson Mohawke, was geht ab?“ Und er nur so:
„Machst du Witze? Ich weiß doch, wer du bist:
Angesicht mitzuteilen?
Hudmo!“ Und ich dachte nur so im stillen Kämmerlein:
Du hast als kleiner Junge die Klassiker-
Habe ich tatsächlich, ja! Es gab da eine ganz bestimmte
Session in der Produktionsphase vom Alben von diesem Mann und seiner Gruppe im
neuen Kanye-Album. Da waren wir in einer Villa Kinderzimmer gehört, und jetzt steht der vor dir
auf Hawaii mit integriertem Studio eingemietet.
Alles ziemlich fancy. Und neben Kanye, DJ war schon ein wirklich stolzer Moment für mich.
und kennt sich mit deiner Musik aus. Irreal! Das
Khaled und Konsorten war tatsächlich auch Rick Kann man kaum beschreiben.
Rubin mit am Start. Ich glaube, Kim war sogar
auch dabei. (allgemeines Gelächter) Da ergab Abgesehen von solchen positiven Beispielen
sich dann tatsächlich mal die Gelegenheit für gibt es doch sicher auch die weniger positiven,
mich, mit Mister Rubin gemeinsam im Studio zu oder? Die, in denen du dich plötzlich mit Musikern
in einem Raum wiederfindest, wo die
sein und ein wenig zu plauschen. Trotz seiner
Chemie, vornehm ausgedrückt, nicht unbedingt
in Flaschen abgefüllt werden müsste?
echt ruhigen, freundlichen Art ist er einfach eine
krasse Respektsperson und ein waschechter
Boss! Wenn Rick Rubin etwas sagt, dann sind Du spielst sicher auf das Interview von Lunice
wirklich alle still und schreiben geistig mit. Der und mir zusammen mit Future an, oder? (erneutes
allgemeines Gelächter) Ja, das stimmt
Typ kann einfach im Sessel zurückgelehnt etwas
ganz leise nebenbei sagen, und trotzdem strahlt schon. Manchmal ist es wirklich nicht ganz
er dabei eine wahnsinnige Präsenz und Autorität leicht, gemeinsam auf eine Wellenlänge zu
und extrem viel Fachwissen aus. In der Anwesenheit
von so einer Legende zu sein, war wirk-
Welten kommt und sich überhaupt gar
kommen, wenn man aus völlig verschiedenen
nicht
anhört, was er in seinen Texten alles von sich
gibt, denkt man jetzt nicht unbedingt, dass er
besonders easy ist. Ist er aber tatsächlich! Pusha
T ist, ohne zu übertreiben, einer der nettesten
Rapper, mit denen ich bisher in diesem Business
zu tun hatte. Ein extrem auf dem Boden gebliebener,
talentierter und freundlicher Mensch.
Pusha T ist ja bekanntlich auch auf dem Remix
deines Megahits „Chimes“ vertreten. Warst du
vom Erfolg dieses Songs selbst verblüfft? Wie
war das denn so für dich, als plötzlich Apple
ankam und den Beat für die weltweite Mac-
Book-Kampagne haben wollte?
Das war krass! Ein Weltkonzern in der Größenordnung
von Apple klopft ja nicht jeden Tag an
deine Tür. Allerdings war ich jetzt nicht unbedingt
erstaunt über das Interesse per se, denn
der Song wurde davor schon für eine Handvoll
anderer Dinge kommerziell genutzt.
Und du hast jetzt ein lebenslanges MacBook-
Abo bekommen, oder wie dürfen wir uns das
genau vorstellen?
„Pusha T ist einer der nettesten Rapper, mit denen
ich bisher in diesem Business zu tun hatte“
lich ein verrückter Moment für mich. Manchmal
ist es wirklich krank, plötzlich mit den persönlichen
Idolen abzuhängen und eventuell sogar
arbeiten zu dürfen.
Genauso wie du deine persönlichen Idole
triffst, bist du ja trotz deiner Bescheidenheit
selbst ein Idol für eine ganze Armee von teilweise
recht namhaften SoundCloud-Fricklern
und Beat-Liebhabern. Gab es denn auch mal
einen Moment in deiner Karriere, an dem einer
deiner Helden plötzlich vor dir stand und dein
Fan war?
Naja, die SoundCloud-Fraktion ist ja größtenteils
etwa in meinem Alter und zählt eher zu
meinem Freundeskreis, als dass man sich auf
reiner Künstler-Ebene begegnet. Klar findet
man sich da gegenseitig gut, aber das ist eher
so ein Ding auf Augenhöhe. Aber außerhalb
dieses Kreises gab es diese Momente tatsächlich
schon. Teilweise sind sie sehr surreal. Mit
Q-Tip zum Beispiel war das wirklich ein lustiges
Erlebnis. Als ich ihn getroffen habe, habe ich
mich ihm sehr kleinlaut vorgestellt: „Hi, ich bin
kennt. Und speziell mit Future war es auch einfach
eine allgemein blöde Situation, weil wir am
Abend zuvor in New York noch wirklich fest auf
die Kacke gehauen haben. Wir saßen dann quasi
noch halb besoffen in diesem Studio herum
und hatten zu funktionieren, während wir praktisch
vor laufender Kamera ausnüchtern mussten.
Das war tough! Dazu kam dann noch, dass
Future wirklich so absurd high war, wie ich es
noch nie bei einem Menschen erlebt hatte. Ich
wusste bis dahin gar nicht, dass man überhaupt
so high sein kann. Wahnsinn! Also nichts gegen
Future. Ich finde ihn unterhaltsam und mag seine
Musik. Aber das war wirklich eine strange
Situation …
Gab es im Gegenteil denn auch überraschend
erfreuliche Zusammenkünfte, bei denen du einen
dir bis dato persönlich unbekannten Kollegen
aus dem Musikgeschäft vor dir stehen
hattest, der viel umgänglicher war, als du es im
Vorfeld erwartet hattest?
Ja, auf jeden Fall! Mit Pusha T war das eine echt
angenehme Überraschung. Wenn man sich so
Nicht ganz, nein. Allerdings habe ich von Apple
eine MacBook-Sonderanfertigung bekommen.
Ich habe denen praktisch gesagt, was ich so an
speziellen Wünschen und Ideen hätte und das
wurde dann extra für mich zusammengebaut.
Ich will jetzt aber nicht zu sehr ins Detail gehen,
sonst wird das wieder zu nerdig …
Nerdig ist ein gutes Stichwort: Dein Sound hat
sich ja bereits seit deinen ganz frühen Anfängen,
wie etwa deinem Tweet-Remix, durch einen
gewissen Hang zur Nerdigkeit ausgezeichnet.
Siehst du dich selbst als Nerd?
Schwer zu sagen. Das ist ja keine bewusste Entscheidung,
die man trifft. So nach dem Motto:
Yeah, ich bin jetzt ein Nerd. Cool! Ich experimentiere
halt einfach gerne beim Musizieren.
Ob das dann besonders nerdig ist oder nicht,
lasse ich andere entscheiden. Ich will einfach,
dass meine Produktionen mich am Ende des Tages
so sehr zufriedenstellen, wie es eben gerade
möglich ist. Klar steigere ich mich dann auch hin
und wieder mal in Kleinigkeiten eventuell mehr
rein als nötig. Wenn mich das dann zu einem
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 63
HUDSON
MOHAWKE
„Wenn Rick Rubin etwas sagt, dann sind wirklich
alle still und schreiben geistig mit“
Nerd macht, ist es eben so. Aber eigentlich habe
ich immer nur versucht, meine Lieblingsproduzenten
zu analysieren und ihre Arbeit auf meine
Art und Weise neu zu interpretieren. Quasi
die traditionelle Herangehensweise ins Jetzt zu
übersetzen. Auf diesem Weg ist dann über die
Jahre eben mein persönlicher, eventuell etwas
nerdiger Sound entstanden.
Das neueste Kapitel deiner musikalischen Entwicklung
ist nun dein aktuelles Album „Lantern“.
Eine Laterne führt durch das Dunkel. Sie
weist quasi den Weg. Hat der Titel einen metaphorischen
Anschlag, oder sollte man ihn nicht
überinterpretieren?
Jein. Einerseits will ich natürlich mit meinem
Sound ein Vorreiter sein. Allerdings will ich jetzt
auch nicht übertrieben auf Leader machen. Ich
will ja nicht so tun, als ob mir jetzt alle folgen
müssten, denn das wäre ja a) sehr langweilig
und b) will ich auch nicht rüberkommen wie ein
eingebildetes Arschloch. (lacht) Mein Hauptaugenmerk
lag eigentlich auf einem schlüssigen
Spannungsbogen. Das Album sollte ein
24-Stunden-Gefühl erzeugen. Wie ein musikalischer
Tagesablauf sozusagen. Von morgens
in Ruhe aufstehen bis abends ein wenig abdrehen
wollte ich alles abdecken. Die Laterne
sollte sozusagen den Anfang davon darstellen.
Den Hörer aus der Dunkelheit der Nacht in den
Morgen und somit in einen neuen Tag begleiten,
um dann nachts wieder in der Dunkelheit
zu münden.
Quasi wie ein Soundtrack zu einem konkreten
Tagesablauf?
So kann man das ausdrücken, ja.
„Lantern“ klingt tatsächlich sehr orchestral und
cineastisch. Fast wie der Soundtrack zu einem
ganz speziellen Film. Siehst du dich in der Zukunft
auch als Dienstleister in der Filmmusik?
Ja, auf jeden Fall! Allerdings sollte es, wenn
mein Name draufsteht, auch einen gewissen
künstlerischen Anspruch haben. Ich will damit
jetzt nicht sagen, dass für mich nur Arthouse-
Cinema-Produktionen infrage kommen. Aber in
die Welt der Jennifer-Aniston-Romantik-Comedy
passt mein Sound, denke ich, auch einfach
nicht so besonders gut hinein. Ich denke da
eher an Projekte wie „Rubber“ von Mr. Oizo zum
Beispiel. Der hat einen Film gedreht und selbst
vertont, in dem ein Reifen die Hauptrolle spielt.
Der rollt dann durch die Wüste und bringt mit
seiner Psycho-Power Dinge zum Explodieren
etc. Richtig abgedreht! So etwas reizt mich aus
künstlerischer Sicht natürlich immer. Ich habe
allerdings auch, abgesehen von solchen Komplett-Projekten,
schon das eine oder andere Mitwirken
an Soundtracks in Aussicht. Ist aber alles
noch zu geheim, um darüber zu reden.
Erzähl uns doch bitte zum Abschluss noch eine
kleine Anekdote: Was ist der mit Abstand eigenartigste
DJ-Auftrag, den du jemals erhalten
hast?
Da habe ich etwas Gutes: Am nächsten Donnerstag
lege ich bei einer Fitness-Veranstaltung
auf. Da werden ganz viele von diesen Bikes aus
dem Fitness-Studio nebeneinander aufgestellt.
Und die Leute schwitzen sich dann da einen
beim Strampeln ab, während ich auflege. Das
wird bestimmt sehr grotesk, aber auch sehr
lustig!B
64 BACKSPIN #117 Sommer 2015
TECHNICS
PRODUKTE
TEXT: Torben Bowm
IPAD EDITION
Produkte von Sugar Bytes sind auf der einen
Seite tolle Tools, die man über VSToder
AU-Einbindung in den Workflow seiner
DAW einbauen kann. Vielleicht hast
du ebenfalls den Bericht über den „Egoist“
gelesen, der vor ein paar Monaten auch als
„iPad Edition“ veröffentlicht wurde – meines
Erachtens nach der nächste Schritt nach
DJ-Programmen auf dem Tablet. Du kannst
einen Song aus deiner Musikbibliothek auswählen
oder per AudioPaste importieren,
wenn die mitgelieferte Library nicht mehr
mit Inspirationen aufwartet. Kurz die Startpunkte
für die einzelnen Slices, die du nutzen
willst, einstellen, vielleicht das Timing
und die Tonhöhe anpassen. Als nächstes
kannst du aus einer großen mitgelieferten
Auswahl an passenden Drums eben diese
hinzufügen. Auch hier besteht die Möglichkeit,
deine eigenen Sounds zu importieren.
Dann eine erst mal eher minimal gehaltene
Bassline erstellen und diese mit Effekten
oder was auch immer interessanter gestalten.
Am schnellsten und einfachsten werden
sicherlich Ergebnisse in Richtung minimaler
Musik zu erzeugen sein, aber wenn
man sich mit dem „Egoist“ ein wenig auseinandersetzt,
seine eigenen
Sounds einarbei-
EGOIST
tet und schließlich die
mitgelieferten Effekte
nutzt, kann auch mehr
als nur eine Skizze einer
neuen Songidee entstehen.
Für die interne
Weiterverarbeitung auf
dem iPad stehen Möglichkeiten
für die Anbindung
über Audiobus,
Mixdown oder iTunes-
Filesharing bereit. Auch
ist an die externe Steuerung
über Full Midi Support
gedacht worden..B
Allg.: www.sugar-bytes.de/content/products/Egoist/index.php?lang=de
iPad: www.sugar-bytes.de/content/products/EgoistIOS/index.php?lang=de
CYCLOP
IPAD EDITION
Dass es den Berlinern gelingen
würde, ihren genialen
Synthie „Cyclop“
auf eine iPad-freundliche
Version zu schrumpfen,
war natürlich nur eine Frage
der Zeit. Das Ergebnis
allerdings ist aller Ehren
wert. Nicht umsonst haben bereits mehrere Produzenten
verrückte Synthie-Klänge mit dem „Cyclop“
erzeugt und auf Releases verewigt. Über die
Verwendung von Inter-App-Audio und Audiobus
kann der gesamte Umfang der Desktop- beziehungsweise
Plug-in-Version nun auf dem iPad
genutzt werden. Sogar die Presets sind kompatibel.
Aus zwei Synthesizer-Engines können je
sechs Syntheseformen zum Einsatz kommen,
wobei die beiden Filter-Engines mit jeweils zehn
verschiedenen Filtern aufwarten. Der interne Signalverlauf
kann frei bestimmt werden und der
Effekt-Sequenzer bringt noch einmal ein Stück
mehr Wandelbarkeit in den Sound. So man die
Möglichkeit nutzt und Presets von der Desktop-
Version importiert, wird man sich über die Tag-
Wolke freuen, die einem die Suche nach den passenden
Presets von Seiten des gesuchten Klangs
vereinfacht. Auch können selbst erstellte Presets
durch ein gut durchdachtes Tagging in den schön
animierten File-Browser eingebunden werden.
Der Sound steht der Desktop-Version ebenfalls in
nichts nach, somit ist der Preis mit 24,99 Euro als
überaus fair zu bewerten. Noch Unentschlossenen
kann bei Fragen der Nutz- und Bedienbarkeit geraten
werden, die jeweils 30-Tage-Free-Trial-Version
der Desktop-Apps herunterzuladen und zu sehen,
ob es Produkte sind, die gebraucht werden..B
Allg.: www.sugar-bytes.de/content/products/Cyclop/index.php?lang=de
iPad: www.sugar-bytes.de/content/products/CyclopIOS/index.php?lang=de
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 65
SLEEPY‘S
WORLD
OF
MUSIC
@BACKSPIN
- FETTE BEATS
TEXT: Sleepwalker
FOTOS: Sleepwalker
Moin Moin, Freunde der Klangverformung. Ich freue mich, euch wieder begrüßen zu dürfen hier bei Sleepy’s World of Music. Heute
möchte ich mit euch mal ein bisschen in das Thema Produktion mit dem Schwerpunkt Drums eintauchen. Denn seien wir mal ehrlich:
Was ist, neben den Vocals, mit das Wichtigste in einer Hip-Hop-Produktion? Normal, Degga: der Beat! Wenn der Beat nicht fetzt,
hängst du schon mal mit der halben Miete im Rückstand. Das sieht nicht aus und niemand möchte gern irgendwo Schulden haben.
Man könnte jetzt hier zahlreiche Beispiele von Produzenten nennen, die regelmäßig fett abliefern. Aber meine
Favoriten in Sachen fetter Beat sind DJ Premier und Dr. Dre. Seit Jahrzehnten drücken ihre Beats in den Klubs
weltweit und setzen meiner Meinung nach Standards für eine richtig dicke Hip-Hop-Produktion. Gemeinsam
wollen wir heute dem Geheimnis näherkommen, wie man seine eigenen Drums vom Sound her aufwerten
kann und genauso fett abliefert wie unsere weltberühmten Vorbilder.
PHILOSOPHIE DER EIGENEN SAMPLE LIBRARY
Jetzt könnte ich natürlich dazu auffordern, einfach
ins Internet zu gehen und sich die aktuellsten
Sample-Pakete runterzuladen. Das macht
kaum Arbeit und man kann sofort loslegen. Aber
dann sollte man sich auch nicht wundern, wenn
die Musik vom Nachbarn fast genauso klingt wie
die eigene und man sich irgendwie nicht unterscheidet
vom Rest der Hip-Hop-Welt, weil es der
eigenen Musik klanglich an Charakter fehlt.
Hier möchte ich euch empfehlen, ab heute eine
eigene Klang-Bibliothek mit selbst gesampleten
Sounds und Loops aufzubauen, denn das Ziel
muss sein, eine eigene Sound-ID zu entwickeln.
Dafür muss man sich nur das Indiana-Jones-Kostüm
umwickeln und sich auf eine Reise durch
die verschiedensten Klang-Dimensionen begeben.
Ab heute samplen wir theoretisch alles,
was nicht bei drei aufm Baum ist! Jede Art von
Musik wird durchforstet und NSA-mäßig abgehört.
Denn überall in dieser Welt voller
Frequenz-Spektakel warten jede Menge
Kicks, Snares, Hi-Hats, Percussions,
Drum-Loops und sonstige Sounds darauf,
von uns gesampelt zu werden.
Die Indiana-Jones-Attitüde, so viel
sei angemerkt, gilt allerdings nicht
nur für Drum-Sounds, sondern für alle
zukünftigen Samples, die von uns entdeckt
werden wollen.
VINYL, CD ODER YOUTUBE?
Vor einiger Zeit meinte mal einer meiner
Level-1-Studenten, dass er seine Drum-
Samples alle von YouTube ziehe. Ich habe
ihn angeguckt und gefragt: Was soll der
Scheiß?!? Ich konnte es damals nicht
glauben, dass sich jemand freiwillig diese
mindere Qualität gibt und damit seine
Songs produziert. Aber woher sollte dieser
Junge es auch wissen?! Für ihn gab es
den Sound, den er suchte, mit ein, zwei
Klicks zum Download, und Zack konnte
er loslegen. Die Qualität konnte er in dem
Moment noch nicht wirklich beurteilen.
Warum ich ihm damals sowie heute davon
abrate, Samples von YouTube zu benutzen,
ist schnell erklärt:
1. Weiß man nie, in welcher Qualität das
Original aufgenommen und abgespeichert
wurde.
2. Durch die Konvertierung der Videodatei
beim Erstellen und dem späteren Up- sowie
Download von YouTube ist auf jeden Fall Audioqualität
verloren gegangen.
Wenn wir anfangen, einen Beat zu produzieren,
der sich später im Mix durchsetzen und mies auf
die Zwölf hämmern soll, dann müssen wir auf
qualitativ hochwertige Audioquellen beim Samplen
setzen. Ganz nach dem Motto: Umso besser
das Ausgangsmaterial, desto fetter wird unser
Beat. Deswegen ist mein Rat, sich Drum-Samples
auf Schallplatten oder CDs zu suchen, um sie
dann in einem verlustfreien Format abspeichern
zu können. CDs lesen wir dann in 16-Bit ein und
66 BACKSPIN #117 Sommer 2015
das Vinyl nehmen wir in 24-Bit in unsere DAW
auf. Arbeitet ihr mit Hardware-Samplern wie
zum Beispiel einer E-mu SP-1200 oder einem
Akai S900, empfehle ich euch, die gesampleten
Sounds später wieder in 24-Bit in die DAW zu
überspielen.
Ein Sample von einer Vinyl-Scheibe klingt
meist wärmer als das gleiche Sample von CD,
was einem Hip-Hop-Beat auf jeden Fall zugutekommen
kann. Welches Format für euch besser
klingt, ist dann eher eine Frage des Geschmacks
und kein Qualitätsnachteil. Das Gute an einer CD
ist, dass wir sie mit unserer DAW digital auslesen
können. Vom Ding her haben wir da keine
Verluste, weil das Signal nicht gewandelt werden
muss, und wir bekommen den Sound exakt so,
wie er auf CD gepresst wurde.
Schon mal den Satz „Diggin’ in the Crates“ gehört?
Früher bin ich oft losgegangen und habe
im Laden stundenlang Schallplatten durchgehört
auf der Suche nach dem goldenen Schnipsel,
wie mein alter Freund Gizmo sagen würde.
Falls ihr das noch nie gemacht habt, solltet ihr
es unbedingt nachholen! Aber Vorsicht bitte – es
könnte süchtig machen.
FIRST THERE WAS THE BEAT
Das Mischen vom Beat ist bei einem Hip-Hop-Mix
immer das Erste, was ich an den Start bringe. Ich
ordne meine Spuren in Cubase und Track eins ist
zu 99 Prozent der Kick. Dann kommen die Snare,
Hi-Hat, Percussion und Sonstiges an Sounds,
was zu meinem Beat gehört. Auf jeder Spur
achte ich genau darauf, dass ich intern auf keinen
Fall übersteuere und mir genug Headroom
lasse für spätere Änderungen an der Lautstärke.
Dafür benutze ich das VUMT-Plug-in von Klanghelm
oder den Channel Strip der Console 1 von
Softube, die mir beide erlauben, den Eingangslevel
zu kontrollieren. In letzter Zeit nutze ich aber
verstärkt die Console 1 wegen des kompletten
Channel Strips plus Transient Designer, den ich
hier benutzen kann. Ich fahre auf jedem Kanal einen
Low-cut, der von 20 bis 100 Hertz und mehr
raufgehen kann. Beim Kick muss man aufpassen,
dass man nicht zu viel abschneidet,
da der Kollege ja zusammen mit dem
Bass später für den Druck zuständig ist!
Diese Spuren mische ich erst mal grob
zusammen und route sie dann in eine
neue Gruppe (Bus) in Cubase. Als erstes
wird hier auch wieder die Console 1 insertiert,
um Pegel und EQ des gesamten
Beats einstellen zu können.
Ab hier kann man jetzt verschiedene
Wege gehen. Ich gebe euch einfach mal
ein paar Beispiele mit auf den Weg:
1. Ich insertiere in jedem Kanal
der Drums eine Bandmaschine
wie zum Beispiel die VTM von Slate Digital,
um meinen Beat-Sounds einen Hauch
von Wärme und Dicke zu verleihen. In der
Beat-Gruppe insertiere ich dann einen
Kompressor, um meine Drum-Sounds
vorsichtig ein wenig zusammenzuschweißen
und den Beat mehr als Einheit
dastehen zu lassen.
Hier bietet sich auch
ein Kompressor mit
Parallel-Funktion an, um
das komprimierte Signal
nur leicht zuzumischen. Den
kann man auch ruhig ein
wenig stärker in die Kompression
fahren, ohne dass
der Druck von Kick und Snare dabei verloren
geht. Entweder bockt das Ergebnis dann schon,
oder man insertiert vielleicht noch einen beliebigen
EQ und färbt das Signal ein bisschen in die
gewünschte Richtung.
2. Eine andere Methode wäre, an dieser Stelle
die Virtual Console Collection von Slate Digital
auf allen Drum-Sounds zu insertieren und mit
den verschiedenen Konsolen-Emulationen nach
einem geeigneten Klang zu suchen. Die Neve-
Emulation verleiht dem Sound immer etwas
Warmes und hebt im Bass-Bereich einiges an.
Kann aber auch zu viel sein, wenn eure gesampleten
Sounds schon super im Saft stehen und
kaum Fragen offen gelassen haben. Dann nimmt
man vielleicht eher die SSL- oder API-Konsolen,
die nicht so stark in den Bass-Bereich eingreifen.
In der Beat-Gruppe wird dann der VCC-Bus
insertiert, der alle anderen Spuren auf einer zu-
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 67
SLEEPY‘S
WORLD
OF
MUSIC
sammenfasst und auch gleichzeitig steuern kann.
Vom Ding her tun wir gerade so, als wenn wir
an einer teuren Vintage-Konsole mischen. Den
Drum-Bus kann man dann, wie oben, mit Kompressor
und EQ bei Bedarf weiter bearbeiten.
3. Das wäre so in etwa ein Mix aus dem ersten
und zweiten Beispiel, aber mit folgender Reihenfolge
auf jedem Kanal: Bandmaschine – Virtual
Console Collection – Console 1. Falls ihr keine
Console 1 habt, könnt ihr natürlich auch jeden anderen
Channel Strip eurer Wahl hier insertieren.
Da man heutzutage in vielen Studios wegen des
warmen druckvollen Sounds Drums noch auf
Bandmaschine aufnimmt, kann man sich mit dieser
Variante hier einbilden, man hätte das auch
so gemacht. Die Drum-Gruppe bearbeitet man
dann wie oben beschrieben.
Steht der Beat-Sound soweit, könnte man
hier anfangen, einen kleinen Drum-Hall ins Spiel
zu bringen. Dafür machen wir uns in der DAW
einen FX-Kanal auf und insertieren einen schönen
Hall wie zum Beispiel das EMT 140 von der
UAD-2-Karte. Low-cut bei 300 Hertz und High-cut
bei fünf Kilohertz, um den Effekt ein bisschen
zu verschleiern und nicht den Bass-Bereich verschwimmen
zu lassen. Jetzt drehen wir in den
einzelnen Kanälen einfach nach Belieben den
Send zum EMT auf und tauchen unsere Sounds
in ein wenig Hall. Mein schlauer Spruch des Tages
wäre hier: Weniger ist mehr.
Wenn alles richtig gelaufen ist, sollte der Beat
jetzt auf jeden Fall schon eine miese Peitsche
sein! Ansonsten haben wir irgendwas falsch
gemacht, nicht so gute Beat-Sounds gesamplet
oder vielleicht noch nicht das Ohr für das Wesentliche
entwickelt. Aber keine Panik Freunde,
Übung macht den Meister.
Schlusswort
So Freunde, ich
hoffe, ich konnte
euch mit diesem
Artikel ein paar
interessante Ansätze mit auf den Weg geben.
Alle Plugins, die ich hier genannt habe, können
natürlich mit ähnlichen ersetzt und durch andere
ergänzt werden. Eurer Kreativität sind da keine
Grenzen gesetzt. Am Ende des Tages gibt es kein
Richtig oder Falsch! Postet mir euer Feedback zu
diesem Artikel in das neue Hip-Hop-Musik-Forum
INFOKASTEN
Produktionscredits Samy Deluxe – „Weck mich auf“, Panjabi MC – „Jogi“,
Xavas – „Die Zukunft trägt meinen Namen“, Die Prinzen – „Ersatz“ u. v. a. m.
Mix-Credits Bass Sultan Hengzt – „Schmetterlingseffekt“, BOZ – „Ich brauch
dich nicht“, Die Profis – „Boom Bap“, Swiss – „Große Freiheit“ u. v. a. m.
auf www.audio-praxis.de im BACKSPIN-Bereich.
Überrascht mich mit eigenen Ansätzen oder verlinkt
dort eure Ergebnisse nachdem ihr meine
Tipps hier ausprobiert habt. Wenn wir uns dort
gemeinsam über unsere große Leidenschaft, das
Musikmachen, austauschen können, würde mich
das freuen!
Über welche Themen würdet ihr gerne in den
nächsten Ausgaben lesen? Schreibt mir eure
Anregungen gerne per Email an:
BACKSPIN@AUDIO-PRAXIS.DE.
SLEEPWALKER LINKS
www.sleepwalker.de // www.swom.tv
HERSTELLER INFOS
Mehr über die Console1
UAD-2 von Universal Audio
Plugins von Slate Digital
VU Metering von Klanghelm
www.softube.com
www.uaudio.com
www.slatedigital.com
www.klanghelm.com
68 BACKSPIN #117 Sommer 2015
„The Poetry of the Ordinary“
FARAH
Mit einer tief im britischen Menswear verwurzelten Philosophie bereitet das Menswear-
Label FARAH Klassiker modern auf und schafft so eine Balance zwischen funktionaler
Ästhetik und zeitlosem Design. Für Frühjahr/Sommer 2015 zelebriert FARAH „The Poetry
of the Ordinary“ – eine moderne und bequeme Kollektion mit klaren Linien und Einflüssen
von Street & Sport und lässigen Styles mit akzentuierenden Prints. Die Kollektion
interpretiert dafür Muster und Texturen unserer urban geprägten Umwelt.
Weitere Infos auf www.farah.co.uk
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 69
Starker Rapper, schwacher Geschäftsmann
RAS KASS
INTERVIEW: Frederike Arns
FOTO: Niko Hüls
70 BACKSPIN #117 Sommer 2015
In der Karriere von Ras Kass gibt es eindeutig mehr Tal- als Bergfahrten. Sie ist gezeichnet von Ärger mit Plattenfirmen, Gefängnisaufenthalten, privaten Problemen
und dem eigenen Jähzorn. Ras Kass hat gerade mit Apollo Brown das Album „Blasphemy“ draußen – es scheint so, als sei alles in trockenen Tüchern.
Unsere Autorin Frederike Arns hat den Mann mit der reibeisernen Stimme getroffen und sich seine verrückten Storys über Misserfolge und Unglück angehört.
Ras Kass, du bist am Anfang deiner Karriere bei
Priority Records gelandet. Wie kam das?
Andere Labels wie Def Jam waren interessiert an
mir. Aber ich habe mir Priority ausgesucht, weil
ich von der Westcoast komme. N.W.A, Ice Cube
und Snoop Dogg waren auch da. Ich wusste,
dass die mich machen lassen, was ich will. Jay Z
war da ja auch mal kurz. Das wird immer vergessen.
Sie wussten auch nicht, wie sie ihn vermarkten
sollten, das muss man sich mal vorstellen! Zu
der Zeit hatte er „Ain’t No Nigga“ mit Foxy Brown
gemacht. Sie sollte Def Jams Zugpferd werden,
deswegen kam der Song auf einen Soundtrack.
So ist Jay Z letztlich bei Def Jam gelandet. Was
passiert, passiert eben. Ich bin genau so ein guter
Rapper wie Jay Z. Überleg dir mal, er würde jetzt
hier sitzen und über seine Misserfolge reden.
Du warst ja trotzdem groß in den 90ern und
hast „Soul on Ice“ sowie „Rasassination“ veröffentlicht.
Du hast bei wichtigen All-Star-Songs
mitgemacht und mit großartigen Künstlern zusammengearbeitet.
Das muss doch ein Jay-Z-
Gefühl gewesen sein, oder?
Bereust du, dich mit den Mächtigen angelegt zu
haben?
Im Musik-Business musst du einfach wissen,
wann du die Fresse hältst. Ich habe sie nie gehalten,
mir damit selbst in den Fuß geschossen und
mir richtig Ärger mit einigen Leuten eingehandelt.
Aber wenn jemand lügt und ich ihm sage,
dass er ein Lügner ist, dann bin ich kein schlechter
Mensch. Es ist mir auch egal, wie viel Geld
jemand hat. Wir wachen alle morgens mit Mundgeruch
auf und gehen kacken. Trotzdem würde
ich nächstes Mal wohl die Fresse halten. (lacht)
Mit diesem herben Beigeschmack hast du versucht,
irgendwie weiterzumachen. Aus „Van
Gogh“ sollte ein neues Album namens „Goldyn
Chyld“ werden. Kann man da seine Kreativität
überhaupt noch frei entfalten?
Klar, du versuchst inmitten von Lügen zu arbeiten.
Zu der ganzen Sache passt die Van-Gogh-
Metapher ganz gut. Er galt zu Lebzeiten als Freak,
weil er sich ein Ohr abgeschnitten hatte. Bei ihm
lagen Verrücktheit und Brillanz ganz nah beieinander.
Von seinem Künstlerumfeld wurde er ge-
„Ich bin genau so ein guter Rapper wie Jay Z“
Nein, ich habe einfach nur meinen Job gemacht.
Klar, ich war dankbar, dass ich auf einmal mit
RZA oder Dr. Dre zu tun hatte. Ich bin vom Fan
zum echten Mitglied der Hip-Hop-Familie aufgestiegen.
Aber in dieser Familie kennt jeder jeden,
deswegen stellt sich nicht die Frage, ob man ein
Star ist. Man kann das mit Basketball vergleichen:
Kobe und Lebron kannten sich auch schon aus
dem Sommercamp, als sie noch jung, unbekannt
und nicht gedraftet waren. Das einzige Mal, dass
ich ein gewisses Star-Gefühl hatte, war beim
Videodreh mit Dr. Dre und Mack 10 zu „Ghetto
Fabulous“. Das war eine riesige Produktion, wofür
wir die Queen Mary gemietet hatten. Da hat
jeder Rapper vorbeigeschaut und auch MTV war
da. Aber ich hatte den Erfolg nie total im Fokus.
Vielleicht ist das auch der Knackpunkt, weshalb
bei mir so viel schiefgelaufen ist.
Ja, meistens war in deiner Karriere irgendwie
der Wurm drin …
Ja, im Musik-Business lief bei mir alles schief.
Niemand hätte jemals mein Rap-Können infrage
gestellt. Ich war wirklich einer der Größten, habe
alle MCs rasiert und kannte jeden – Guru, DJ Premier
und 2Pac. Das war aber nur die eine Seite
der Medaille. Auf der anderen Seite war ich ein
richtig schlechter Geschäftsmann. Priority wurde
irgendwann von Capitol Records geschluckt
– damit fing das ganze Unheil an. Meine jähzornige
Eigensinnigkeit hat mich unternehmerische
Strukturen nicht akzeptieren lassen. Stattdessen
habe ich mich immer mit allen angelegt. Wenn
du andauernd zu einem Plattenboss-Millionär
„Fick dich, Arschloch!“ sagst, dann kann das
nicht gutgehen. Ich habe da gegen arrogante,
aber auch kluge und einflussreiche Leute gekämpft.
Mein größter Feind war meine eigene
Plattenfirma, man glaubt es kaum. Von 2002 bis
2009 war ich mit Capitol Records im Rechtsstreit.
Ich wollte, dass sie mich aus meinem Vertrag
entlassen. Den Gefallen taten sie mir aber nicht.
Sie behielten mich und wollten mich schleichend
töten. Ich glaube, sie haben mehr Geld dafür
ausgegeben, mich an sie zu fesseln, als mich zu
promoten. Der Song „Nature of the Threat“ verbildlicht
meine Misere sehr gut: Das sind acht Minuten,
die von der Bedrohung durch den weißen
Mann handeln. Ich war mit dieser Bedrohung so
beschäftigt, dass ich nicht bemerkt habe, dass
mich auch meine eigenen Leute ausnehmen.
Mein großer Bruder und Freund hat mich quasi
bestohlen. Das ist meine Ironie des Schicksals.
Wie kam es denn dazu, dass dein drittes Album
„Van Gogh“ im Vorfeld gebootlegt wurde?
Meine Plattenfirma hasste mich einfach, deswegen
haben sie das gemacht. Ich bin sehr starrsinnig,
das können meine Familie und Freunde
bestätigen. Man kann da hin- und herreden, aber
letztlich kommt man zu dem Schluss: Ich bin ein
Arschloch. Ich akzeptiere das, es stimmt wirklich.
Xzibit nennt mich immer Napoleon. Ich bin der
Anführer und sage, was gemacht wird. So etwas
ist mit der Plattenfirma nicht zu vereinbaren, denn
sie ist dein Arbeitgeber und gibt die Anweisungen.
Aber was soll ich tun? Ich bin auch nur ein Mann
mit einem Schwanz. Ich kann pissen, so viel ich
will, die Plattenfirma hat den Feuerwehrschlauch.
Ich dehydriere und die haben Wasser für immer.
schätzt, aber die Populärkultur hat ihn gefickt. Er
war seiner Zeit voraus. Erst als er tot war, wurde
er in den Himmel gelobt. Bei mir ist das ähnlich.
Ich war schon immer anders. Die Plattenfirma
wusste nicht mit mir umzugehen.
Es gab auch eine Kontroverse um die erste Single.
DJ Premiers Remix zu „Goldyn Chyld“ stand
Dr. Dres „The Whoop“ gegenüber. Was war da
los?
Zu der Zeit hat Capitol Priority aufgekauft und
Künstler wie Snoop Dogg, die Dilated Peoples
und mich behalten. Aber eigentlich hatten sie
keine Ahnung von urbaner Musik. Capitol ist die
amerikanische Version der europäischen EMI.
Die sind die Beatles! Sie dachten sich wohl: „Los,
lasst uns ein paar Schwarze behalten!“ Man kann
das mit Plantagenarbeit vergleichen. Was die
erste Single betrifft: Eigentlich sollte das Premos
Version von „Goldyn Chyld“ werden. Die wussten
lange nicht, dass ich auch „The Whoop“ mit Dr.
Dre aufgenommen hatte. Das war auch vielmehr
ein Freundschaftsdienst – ich habe ihm dafür
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 71
nie Geld gezahlt. Irgendjemand hat das mit der
Aufnahme der Plattenfirma gesteckt. Die waren
solche Dre-Groupies! Ich wollte diese Single um
keinen Preis und sagte zu ihnen: „Ich habe dafür
nie etwas gezahlt, ich kann sie auch einfach Dr.
Dre zurückgeben!“ Dann antworteten sie: „Dann
bringen wir eben dein Album nicht heraus!“ Die
haben mich wirklich wie einen Affen behandelt.
So grausam kann ein Label sein. Kein „Van Gogh“
und kein „Goldyn Chyld“. Eigentlich waren fünf
Alben vertraglich festgelegt, aber ich schaffte
noch nicht mal das dritte. Sie haben mich für tot
erklärt. Dabei hatte ich eine Familie zu ernähren,
musste Miete und ein Auto zahlen. Zu meinen
Zwillingskindern und ihrer Mutter musste ich sagen:
„Wir müssen jetzt jeden Tag Bohnen essen.“
Plattenfirmen denken, sie besitzen Menschen
Also warst du quasi in zwei Gefängnissen.
Wann konntest du dem Plattenfirmen-Gefängnis
entfliehen?
Das war 2009. Zehn lange Jahre meines Lebens
waren vergangen, in denen ich nicht künstlerisch
produktiv sein konnte. Ich habe mit dem Doppelalbum
„A.D.I.D.A.S.“ wieder bei null anfangen
müssen. Es sollte eigentlich nur digital erscheinen.
Als Independent-Künstler ist alles schwieriger,
da weiß ich die Majorlabels bei allem Ärger
auch zu schätzen. Sie bezahlen alles – Artwork,
Studio, Mix, Mastering. Bei „A.D.I.D.A.S.“ konnte
ich mir einen physikalischen Tonträger eigentlich
gar nicht leisten. Die Fans wollten ihn aber. Deswegen
habe ich eine Kickstarter-Kampagne initiiert
und zum Schluss 5.000 CDs darüber verkauft.
In dieser Zeit hattest du also massive Geldprobleme?
Die hatte ich nicht nur in dieser Zeit, sondern
schon immer. Rap hat mich nie ausgezahlt. Ich
hatte schon immer andere Geschäfte laufen, über
die ich aber nicht sprechen kann. Nicht falsch ver-
„Mein gröSSter Feind war meine eigene Plattenfirma“
wie Sklavenhalter. Weil ich schwarz bin, dachten
sie wohl, dass ich dumm sei. Ich habe das aber
nicht mit mir machen lassen, ich bin ein intelligenter
Mensch. Ich mache keinen Cripwalk, nur
weil jemand anderes das will. Mein ganzer Ärger
hat sich irgendwann kreativ kanalisiert. Es gibt einen
Song namens „Fuck You Up“. Da spreche ich
die Plattenfirmen-Leute direkt an. Der Moment
war unbezahlbar, als ich ihnen den Song vorgespielt
habe. Sie fanden ihn erst richtig gut, bis sie
kapiert haben, dass es um sie geht. (lacht)
Wie ging es weiter?
Ich musste ins Gefängnis. Es drehte sich da um etwas,
was schon vor meiner Zeit als Rapper geschehen
war. Der böse Bube John Austin baut nämlich
Scheiße, seit er geboren ist. Deswegen habe ich
auch Ras Kass erfunden, damit es eine gute Version
von mir gibt. John Austin hat Probleme mit der
Polizei, trinkt zu viel, kommt mit seinem Vater nicht
zurecht und kämpft sein ganzes Leben gegen irgendetwas.
Nach den zwei Jahren Gefängnis habe
ich versucht, weiterzumachen, auch wenn Capitol
mich in der Zwischenzeit auf die schwarze Liste gesetzt
hatte. Wie es scheint, sind sie zu jedem Radiosender
gegangen und haben dafür gesorgt, dass
nie wieder Ras Kass gespielt wird.
stehen: Ich liebe Hip-Hop, wir sind eine Familie
und wir respektieren einander. Warum sitze ich
sonst hier und führe dieses Interview? Ich würde
mir wünschen, dass ich von Rap leben kann wie
Eminem oder Xzibit, aber das ist bei mir nie der
Fall gewesen.
Bist du neidisch?
Nein, ich gratuliere den Leuten gerne. Ich gehöre
nicht zu den neidischen Hatern. Mein Freund
Eminem ist sehr erfolgreich, ich gönne ihm das
von ganzem Herzen. Das Gleiche gilt für Jay Z.
Das Gute ist, dass die beiden eh nicht alle Frauen
ficken können. Für mich bleibt immer etwas übrig.
Ich bin der Mann neben dem Mann. (lacht)
Ich habe da mit Jay Z eine richtige Strategie entwickelt.
Im Klub greift er sich seine 20 Mädels
ab. Kurz vorm Gehen bleibt er noch mal bei mir
stehen und redet irgendeinen Mist mit mir. Alle
haben gesehen, dass er sich mit mir unterhalten
hat. Ich sehe in dem Moment natürlich crispy
aus, meine Haare sind gemacht und meine Klamotten
sitzen. Wenn er weg ist, werde ich dann
zum wichtigsten Mann! (lacht) Ganz leichte Methode.
Zurück zum Neid: Was er isst, bringt mich
nicht zum Kacken. Ich freue mich für die anderen,
die erfolgreicher sind. Sie verdienen es ja auch.
Festival auf der Hauptbühne spiele oder nicht. Ich
mache einfach meinen Job. Und es geht nicht
immer um Geld. Man kann auf verschiedene Weisen
reich sein. Ich habe einen erfahrungsreichen
Weg hinter mir. Ich habe ein gutes Leben. Klar,
wenn ich das ganze Geld auf diesem Planeten haben
könnte, würde ich es nehmen. Aber ich würde
niemals meinen Charakter und meine Seele
für Geld verkaufen. Dass alles „scheint“, ist nun
mal Teil des Entertainment-Geschäfts. Niemand
wollte mich auf MTV sehen, als ich im Gefängnis
war. Die Leute wollen die wunderschöne Beyonce
sehen. Wer weiß, vielleicht sieht sie ganz anders
aus, wenn sie nicht zurechtgemacht ist? Rap
ist nun mal Unterhaltung, Image und unechte Authentizität.
Guck dir Eminem an, der musste sich
auch erst die Haare blondieren und blaue Kontaktlinsen
tragen, um wie das weißeste Kind aller
Weißen auszusehen. Und schon war sein Image
erfunden. Damit hat er mehr Platten verkauft als
wir ganzen Niggas zusammen. Der ist Elvis!
Nun muss ich noch mal auf den Anfang des
Gesprächs zurückkommen: Es gab eine unbeschwerte
Zeit in deiner Karriere, in der es so
aussah, als würdest du der ganz große Wurf
werden. Vermisst du diese Zeit und dieses Gefühl?
Zu der Zeit hatte der böse John Austin vor, einen
Mord zu begehen. Also nein! Ich hatte mich
schon mit meinem Cousin informiert, wie man
so etwas macht. Zu der Zeit war richtig was im
Argen bei mir. Jeder, der sagt, seine besten Tage
seien lange vorbei, kann sich auch töten. Meine
besten Tage kommen noch, daran glaube ich. Ich
war im Gefängnis, hatte 1.000 Probleme, spielte
mit dem Gedanken, jemanden zu töten und hatte
Angst, selbst getötet zu werden. Danke Gott,
dass ich noch lebe und mich weiterentwickeln
kann. Man muss die Vergangenheit verstehen,
um die Gegenwart gut zu machen.
treten.B
Rapper haben immer Image, Status und Style.
Deswegen kommt bei den Fans oft an, dass sie
reich sind. Fühlt sich das nicht merkwürdig an?
In Wirklichkeit bist du es ja nicht …
Meine Freunde behandeln mich doch wie einen
Star! Das reicht mir. Mir ist egal, ob ich bei einem
72 BACKSPIN #117 Sommer 2015
FOTO: HIPHOP OPEN
HIPHOP OPEN
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Der Festival-Kalender wird immer voller: Warum sollte man sich dieses Jahr auf den Weg zu eurem Festival machen?
Weil wir natürlich ein super Line-up haben und dieses Jahr zusätzlich einige neue Aktionen am Festivaltag passieren werden. Zum ersten Mal wird es dieses
Jahr die Möglichkeit geben, nach dem regulären Programm auf dem Cannstatter Wasen in der Innenstadt noch einmal richtig Gas zu geben. In sechs Klubs
stehen die Türen für die Besucher des Festivals offen. Der Eintritt in die Klubs ist im Festivalticket bereits inbegriffen. Und in diesem Jahr werden erstmals
mit dem „Open Playground“ auch die Bereiche Street-Sports und Street-Art repräsentiert. Daher wird es 2015 eine Plattform für BMX, Skateboarding, Streetbasketball
und Slacklining geben. Die von Glacéau vitaminwater präsentierte Spielfläche bietet BMX-Obstacles, Rails und Flatlandspots, eine Skateboard-
Miniramp, sowie einen Streetbasketball-Court. Abseits des Open Playground wird an der Wiese des Reitstadions ein Gibbon Slackline Parcour aufgebaut.
Für Skateboarder und BMXer wird es im Skateshop Arrow & Beast sowie im BMX-Shop Kunstform ein limitiertes Kontingent an Einlassbändern geben, die
kostenlosen Zutritt zum Open Playground garantieren. Generell ist das Gute an unserem Festival-Standort, dass man nicht im Nirgendwo ist, sondern mitten
im Zentrum. Ein paar Stationen mit der Trambahn – und man ist umgeben von Bars, Restaurants und Klubs. Das macht auch die Anreise ziemlich komfortabel.
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 73
FOTO: AFRIKA-KARIBIK-FESTIVAL
AFRIKA KARIBIK
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Der Festival-Kalender wird immer voller: Warum sollte man sich dieses Jahr auf den Weg zu eurem Festival machen?
Diese Frage müssten eigentlich die Festival-Fans beantworten. Die Mischung in puncto Stimmung, Flair und Good Vibrations macht uns einzigartig.
Egal, ob auf der Bühne das vielseitige und erstklassige Line-up zum Beispiel mit OMI, Kwabs, Popcaan, Mark Forster, Gentleman und MC Fitti oder vor
der Bühne die unterschiedlichsten Besucher oder die Partys auf unseren Zeltplätzen. Außerdem versprüht unser Festival mit echten Freilandpalmen,
Liegestühlen und einem Beach-Bereich mit integrierter Cocktailbar ein einzigartiges afro-karibisches Flair – der perfekte Kurzurlaub am Main wartet
also auf euch! Die Festival-Fläche liegt zwischen einem großen Schwimmbadgelände und dem Main. Gegenüber und immer im Blick befindet sich
das beeindruckende Schloss Johannisburg. Außerdem gilt Aschaffenburg als das Bayerische Nizza und bietet nicht nur im Sommer zahlreiche Events,
Kultur, eine gastronomische Vielfalt und ein einzigartiges Shoppingerlebnis. Und auch das Nachtleben hat einiges im Angebot! B
74 BACKSPIN #117 Sommer 2015
FOTO: HIP HOP KEMP
HIP HOP KEMP
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Der Festival-Kalender wird immer voller: Warum sollte man sich dieses Jahr auf den Weg zu eurem Festival machen? Dazu kommt: Das Line-up
zusammenstellen ist immer eine schwierige und spannende Angelegenheit. Was war hier eure Idee für dieses Jahr?
Wir veranstalten das Kemp nun seit 14 Jahren. Und die Kontinuität in der Line-up-Style-Auswahl ist bei uns so geblieben, wie sie immer war. Wir
setzen also auf Altbewährtes. Und unsere Stammbesucher lieben das. Unser Hauptaugenmerk ist dabei nach wie vor bei 90er-Trueschool-Hip-Hop
wie Ghostface Killah & Raekwon, Mobb Deep, DJ Premier, Gang Starr Foundation, Evidence – flankiert von Newcomern wie Joey Badass, The Four
Owls und Dope D.O.D. sowie deutschen Acts wie Megaloh oder Retrogott & Hulk Hodn, um nur einige Namen zu nennen. Ein weiteres schlagkräftiges
Argument ist natürlich auch immer wieder unser Ticketpreis. Das Drei-Tage-Ticket (+ Warm-up-Tag) für 59 Euro bei diesem Line-up ist absolut
herausragend. B
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 75
FOTO: OUT4FAME FESTIVAL
OUT4FAME
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Der Festival-Kalender wird immer voller: Warum sollte man sich dieses Jahr auf den Weg zu eurem Festival machen?
Der Weg zu uns sollte über die Liebe zur Hip-Hop-Kultur kommen. Seit über 15 Jahren tourt Out4Fame quer durch Europa, um Künstler, die für More
Real Rap stehen wie zum Beispiel Busta Rhymes, Ice Cube, Method Man & Redman, Nas, Dead Prez uvm. in verschiedenen Städten auf die Bühne zu
bringen. Am Wochenende des 12. und 13. Juni freuen wir uns, Freunde aus ganz Europa bei uns im Ruhrpott in NRW willkommen zu heißen. Hierbei
gibt sich das Out4Fame-Team sehr viel Mühe, den Aufenthalt auf dem Festival für alle bestmöglich zu gestalten. Es ist eine Herzensangelegenheit,
Menschen zusammenzubringen und ein frohes und friedliches Fest miteinander feiern zu können. B
76 BACKSPIN #117 Sommer 2015
FOTO: SANJEEV VELMURUGAN
TOUCH THE AIR
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Der Festival-Kalender wird immer voller: Warum sollte man sich dieses Jahr auf den Weg zu eurem Festival machen?
Wir konzentrieren uns nicht nur auf eine Musikrichtung, sondern auf Urban und auf Elektro, womit wir das einzige Festival in der Schweiz sind, das
diesen Musikmix anbietet. Internationale Acts wie Steve Aoki, Wu-Tang Clan, Foxy Brown und The Avener spielen auf demselben Festival. Damit
möchten wir wie jedes Jahr unseren Festivalbesuchern einen guten Mix aus urbaner und elektronischer Musik anbieten. Ebenso eine gute Mischung
aus aktuellen Hitparaden-Künstlern sowie die „Classics“ von früher, zum Beispiel mit Foxy Brown oder dem Wu-Tang Clan. Das Besondere am Touch
The Air ist außerdem, dass die Location an einem Waldrand liegt, was das Festival daher sehr idyllisch und familiär macht. Zudem haben wir einen
eigenen Bahnhof direkt am Festivalplatz. Die Besucher sind innerhalb kürzester Zeit auf dem Gelände. B
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 77
FOTO: FRESH ISLAND FESTIVAL
FRESH ISLAND
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Neben dem Line-up kann auch die Region das Reiseziel sein. Was ist das Besondere an eurer Location und der Region drumherum?
Kroatien ist die Nummer eins der Sommer-Reiseziele in Europa. Zrce ist ein international bekanntes Urlaubsziel. Sonne, Strand, Meer, die Open-Air-
Spielstätten Papaya, Aquarius und Kalypso (Papaya ist laut DJ Mag unter den Top-20-Klubs weltweit). Extremsport am Strand, authentische mediterrane
Küche und der weltweit beste Käse runden das Angebot des Fresh Island Festivals ab. Wow! Du liebst es, vor den Stars im Bikini zu tanzen und
zu singen? Wir haben zwei Slogans: Europas Nummer-eins-Hip-Hop-Strand-Festival und dein perfekter Hip-Hop-Urlaub. Wir sind der Meinung, dass
das Reiseziel Zrce unser wichtigster Headliner ist, oder zumindest einer der wichtigsten.B
78 BACKSPIN #117 Sommer 2015
FOTO: ROBERT WINTER
SPLASH!
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Der Festival-Kalender wird immer voller: Warum sollte man sich dieses Jahr auf den Weg zu eurem Festival machen?
Wir haben noch heißere Newcomer – sowohl national als auch international – und außerdem mit der splash! Mag Stage eine Bühne, bei der die Jungs
vom Magazin ihre Ideen einbringen konnten. Und Ferropolis ist mit seiner Mischung aus Industrie-Charme und Natur vermutlich eines der schönsten
Festivalgelände Europas. Wir sind allerdings seit April ausverkauft – ohne Ticket ist es nicht sinnvoll, zu uns zu kommen. B
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 79
FASHAWN
und die Ökologie des Rap
INTERVIEW: Viktoria Weber
FOTOS: Fifou Designs
80 BACKSPIN #117 Sommer 2015
Auf seinem via Nas’ Mass Appeal Records veröffentlichten Album „The Ecology“ thematisiert Santiago Leyva aka Fashawn aktuell den
Einfluss der Umgebung auf das menschliche Verhalten. Aber inwiefern hat die „Ökologie“ eines Rappers Einfluss auf dessen lyrische Skills?
Sind womöglich sogar allein am Flow oder Inhalt die Herkunft und der Name des Erzählers zu erkennen? Wir zeigten dem für seine Qualitäten
als Lyricist bekannten Fashawn Zitate aus Rap-Texten, ohne Hinweis auf den Künstler oder Song, und fragten nach.
„Dark as the midnight hour, I’m bright as the
mornin’ sun/ Brown skinned, but your blue
eyes tell me your mama can’t run“ (Kendrick
Lamar – „Complexion (A Zulu Love)“)
Ich kenne diese Lyrics nicht, aber das ist Kendrick
Lamar. Das erkenne ich. Er spricht von
einem dunkelhäutigen Mädchen mit blauen Augen.
Und wenn er sagt, „your mama can’t run“,
impliziert er, dass dessen Mutter weiß ist. Das
hier kommt von einem Jungen, der in einem
sehr afroamerikanisch dominierten Teil von L.A.
aufwuchs. So, als ob er keine weiße Person gesehen
hätte, bis er 24 war. Ich bin ein großer Fan
von Kendrick Lamar. Ich bewundere seine Lyrik.
ionably Late“ arbeitete, und er meinte zu mir:
„Du solltest diese Line so und so spitten.“ Und
ich so: „Wer ist dieses Kind, das mir sagt, was
ich tun soll?“ Aber am Ende des Tages dachte
ich mir: „Das ist Earl. Er ist ein Genie.“
„Right before he pulled the trigger, and ended
her life/ He thought about the cocaine with
the platinum and ice” (Immortal Technique –
„Dance With the Devil”)
Wow. Ich weiß nicht, wer der Autor ist, aber die
Lyrics sagen mir, dass er sehr traumatisierende
Zeiten durchgemacht hat. Das ist ein Typ, der
die Straße gesehen hat. Sie ist für ihn Realität.
Und er kennt auch den Albtraum, den sie be-
te ich nicht allzu viel Berührung mit Künstlern
aus anderen Ländern. Die längste Zeit meines
Lebens habe ich nicht einmal Rap aus New York
oder von irgendwo anders gehört. Ganz einfach
aus dem Grund, dass ich aus Kalifornien
komme. Ich habe kein Biggie-Album gehört,
„Illmatic“ habe ich zum ersten Mal 2004 gehört.
Die Leute denken wahrscheinlich, dass ich seit
1994 Nas-Fan bin – das stimmt nicht. Weil ich
aus Kalifornien komme, wir sind sehr territorial.
Ich stamme aus einer Gang-Kultur. Du entscheidest
dich für eine Seite und vergisst alles andere.
Erst mit „Boy Meets World“ begann ich, mich
für die Welt zu öffnen.
„Wir sind eine Generation von Kids, die die
falschen Dinge oder Idole wertschätzt“
„To Pimp a Butterfly” erhielt sehr schnell ein
positives Feedback wie schon lange kein Album
zuvor. Ist das verdient oder vielleicht einfach
nur ein Hype?
Ich weiß nicht. Es könnte ein Hype sein, aber
das hier ist pures Talent. Ich kenne Kendrick
seit Jahren und weiß, dass das alles nicht über
Nacht passiert ist. Ich denke, es ist absolut verdient.
„I’m a hot and bothered astronaut crashing while/
Jacking off to buffering vids of Asher Roth
eating apple sauce” (Earl Sweatshirt – „Earl”)
Earl Sweatshirt. Das sehe ich am Muster. Daran,
wie er reimt. Und an der Dreistigkeit zu sagen,
dass er sich zu puffernden Asher-Roth-Videos
einen runterholt, während er Apfelmus isst.
(lacht) Nur Earl würde so einen verrückten Mist
von sich geben. Das hier kommt von einem Kid,
das mit verschiedenen Kulturen aufwuchs, das
sich anpassen kann. Auch wenn er ein Außenseiter
und schüchtern ist. Er ist ein Energiebündel,
ein Skater, ein sehr offenes Individuum. Er
war mit mir im Studio, während ich an „Po for
President“ für das Alchemist-Mixtape „FASH-
deuten kann. Ich weiß aber nicht, wer das ist.
[Auflösung: Immortal Technique] Okay, ich
kenne den Song. Vor allem, wie er im letzten
Vers den Spieß umgedreht hat. Von wegen, ich
war auch da und habe seine Mutter auch vergewaltigt.
So etwas habe ich nie zuvor gehört.
Immortal Technique ist einer meiner Lieblings-
Lyricists. Und das ist eine Line von einem meiner
Lieblingssongs.
„Blud take off the red gold and green/ Them
man are soft just like ice cream, seen?/ Start
moving correctly/ If you don’t wanna upset
me, you get me?” (Skepta – „Shutdown“)
Keine Ahnung. In Oakland sagen sie „blud“.
Oder ist die Gang in L.A. gemeint? Lass mich
ein wenig nachdenken. Es ist nicht Kardinal Offishall
… Keine Ahnung.
Das ist von Skepta, einem Grime-Rapper aus
London. Ich finde es interessant, dass du ausschließlich
an Rapper aus den USA gedacht
hast. Sagt dir Grime etwas?
Nein, nicht wirklich. Aber den Namen Skepta
habe ich schon gehört. Als ich aufwuchs, hat-
„Peace to da Berg for repping rawness to Hollis/
A mix of Phil Collins and Nasir Jones/ With
the best of both worlds contained in his palms”
(Cronite – „Journey”)
Wer zur Hölle ist das? Keine Ahnung. Ist er Albanier?
Queens? Warum Hollis? Dieser Typ
kommt entweder aus Queens oder „da Berg“.
Pittsburgh? Ich habe keinen blassen Schimmer,
wer dieser Typ ist, aber ich respektiere definitiv
seine Lyrik.
Das ist Cronite, ein deutsch-kroatischer Rapper
aus Nürnberg, Bayern. Er rappt auf Englisch,
was es in Deutschland nicht oft gibt. Es gibt
aber Leute, die sagen, deutscher Rap oder generell
jeder Rap, der nicht aus den USA kommt,
sei kein echter Rap, sondern eine Kopie …
Ich habe gerade einen Song aufgenommen,
der „Copycat“ heißt. Manchmal ist es eine Kopie.
Wenn ich als Amerikaner nach Deutschland
komme, dann will ich eure Geschichte hören,
wie ihr Musik und Sound versteht. Ich will keine
Imitation dessen hören, was wir zu Hause machen.
Aber andererseits ist es auch schwer, den
Erfinder nicht zu imitieren. Für mich ist es auch
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 81
schwer, Nas nicht zu imitieren. Beziehungsweise
ist es unmöglich für mich, mein Ding zu machen,
ohne den Einfluss zu merken.
„If skills sold, truth be told, I’d probably be/ Lyrically,
Talib Kweli/ Truthfully, I wanna rhyme
like Common Sense/ But I did five mill’ I ain‘t
been rhyming like Common since“ (Jay Z –
„Moment of Clarity“)
Sean Carter, Jay Z. Sehr einfach. Wir alle kennen
seine Ökologie. Aber hier gibt er zu, dass
er nicht auf dem Skill-Level eines Talib Kweli reimen
kann – doch kann Talib Kweli auf kommerzieller
Ebene keine fünf Millionen verkaufen. In
Wirklichkeit will Jay Z reimen wie Common Sense
und Talib Kweli. Er wäre gerne ein Conscious-
Rapper. Er ist es wahrscheinlich auch, aber damit
verkauft man eben nicht so viele Platten.
generation of ignorance bitches live for the
‘gram so they life ain’t got no significance”
(Tink – „Ratchet Commandments”)
Das könnte J. Cole sein. Nein? Ist er Amerikaner?
[Kleiner Tipp: Es ist kein Er]. Oh, okay …
Beginnt ihr Name mit Rap? Ich versuche gerade
herauszufinden, wer das ist. Brilliante Lyrics. Ich
stimme total mit ihr überein. Sag mir, wer das
ist! [Auflösung: Tink] Timbalands Künstlerin aus
Chicago? Sie ist dope, ich liebe Tink. Ich denke,
sie und ich könnten in einem vergangenen Leben
verheiratet gewesen sein. Hier wundert sie
sich, warum die Schwestern sich heutzutage
nicht respektieren. Wir verhalten uns aggressiv
und wir sind eine Generation von Kids, die die
falschen Dinge oder Idole wertschätzt.
„I let him hit it ‘cause he slang cocaine/ He toss
my salad like his name Romaine/ And when we
Während deiner Arbeit an „The Ecology“ warst
du quasi einer neuen Ökologie ausgesetzt,
denn du bist jetzt bei Nas’ Label Mass Appeal
Records gesignt. Welchen Einfluss hatte Nas
auf deine neue Musik?
Er ist der Grund, warum ich hier bin. Der Grund,
warum ich zurück bin, Interviews gebe und auftrete.
Ich wollte damit aufhören und etwas anderes
machen. Aber Nas meinte: „Du bist ein wirklich
talentierter Künstler. Ich will, dass du ein Teil von
Mass Appeal bist.“ Jetzt fühle ich mich bereit, den
Hip-Hop noch einmal anzugreifen. Jetzt, wo ich bei
„God’s Son“ höchstpersönlich gesignt bin. Meine
Leidenschaft wurde neu entfacht, mein Schwert
neu geschärft. Er tut viel für mich, ohne viel zu tun.
Und ich warte auf das Album von ihm.
„Hurry up with my damn massage/ Hurry up
with my damn ménage/ Get the Porsche out
„Von meiner Mutter kommt meine Ausdrucksweise,
wie ich Worte auswähle und sie verwende“
Wie stehst du zu Rappern, die, anstatt davon
zu erzählen, wo sie herkommen, lieber in eine
Rolle schlüpfen und über ihren neuen Bugatti
reden – nur um vielleicht mehr zu verkaufen?
Ich denke, die verstecken sich vor sich selbst
und ihrer Realität. Deswegen mache ich so etwas
nicht. Wenn ich reime, will ich dir mein Leben
auf einer Platte geben. Wenn ich nur reime, um
albern und witzig zu sein, nutze ich eine andere
Gehirnhälfte. Aber nicht jeder ist gleich. Musik ist
eine Art, die Welt auszublenden. Manche Künstler
nutzen Musik, um die Welt zu verändern. Es
kommt einfach darauf an, welchen Standpunkt
du einnimmst. Ich habe nichts gegen solche
Künstler, aber es gibt eine Alternative.
„Versace, Versace, Versace, Versace, Versace,
Versace, Versace, Versace“ (Migos – „Versace”/
Drake – „Versace”)
Ja, genau. Das ist eine sehr gebildete Person …
Ich habe den Track auf „The Ecology” adressiert:
„Prolly seen more Versace than Pac and Big Pun,
word to Migos, I move words by the kilos.” Der
Song ist ursprünglich von Migos, Drake hat ihn
später geremixt und groß rausgebracht. Das (Er
meint das Schild, Anm. d. Red.) ist großartig, ich
will ein Foto damit machen.
„I thought, I thought we had some young
queens, what you mean?/ We act belligerent,
done, I make him buy me Balmain” (Nicki Minaj
– „Anaconda”)
Das ist Nicki Minaj. (lacht) Hier ist sie auf jeden
Fall sexuell aufgeladen … Und bei dem Salat
geht es um Oralsex. Ich mag das Wortspiel mit
dem Romaine und Balmain. Das ist cool. Aber
auch sehr einfach.
Tink sagte in einem Interview: „Die Leute übersehen
weibliche Rapper oder sie nehmen uns
nicht so ernst wie männliche Künstler. Und ich
weiß warum – viele weibliche Rapper versuchen
einfach nur zu sein wie Nicki Minaj.“
Das hat sie gesagt? Deswegen liebe ich Tink. Es
gibt viele dope weibliche MCs da draußen, die
übersehen werden. Zum Beispiel Rapsody, die
aktuell auf Kendricks Album zu hören ist. Oder
Ill Camille aus Kalifornien. Eine der krassesten
Lyricists, die ich je gehört habe. Und Tink.
„Even though, we know somehow we all gotta
go/ But as long as we leaving thievin’ we’ll be
leavin’ with some kind of dough, so” (Nas feat.
AZ – „Life’s a Bitch“)
Das ist AZ. Einer meiner Lieblingssongs, einer
meiner Lieblings-Lyrics von „Life’s a Bitch“. Stell
dir vor: Ich habe mir ein AZ-Album gekauft, bevor
ich mir ein Nas-Album gekauft habe. Ich bin
ein großer AZ-Fan. Ich würde nicht reimen, wie
ich reime, würde er nicht reimen, wie er reimt.
the damn garage/ I am a god“ (Kanye West – „I
Am a God”)
Nur „I Am a God” hätte auch gereicht. (lacht)
Kanye West ist einer der Besten aller Zeiten. Ich
bin mir sicher, würdest du ihn fragen, würde er
sagen, er ist der Beste aller Zeiten. Das hier ist
einfach ein krasses Wortspiel. Die Line, die ich
von dem Song am meisten mag, ist die mit den
„damn croissants”. Ich bewundere Kanye Wests
Dreistigkeit genauso wie ich Earls bewundere.
Beide haben für mich dieselbe Dreistigkeit.
Es gibt Gerüchte, Kanye West hätte für seine
ersten Alben Ghostwriter engagiert. Würdest
du für jemanden ghostwriten und gab es schon
Angebote?
Es gibt viele Leute, die mich für sie ghostwriten
lassen sollten. Es gab auch schon Angebote. Ich
möchte keine Namen nennen, aber es gibt viele
Leute, deren Flow ich gerne verbessern würde.
Ich habe auch schon Songs für andere geschrieben.
Die wissen es wahrscheinlich nur nicht.
Letzte Woche habe ich einen Song für DMX geschrieben.
Ich würde mich freuen, wenn er den
Track eines Tages performen oder aufnehmen
würde. Aber womöglich würde er sich eher angegriffen
fühlen, wenn ich ihm das anbiete.
„Yeah I make pop music but I’m still king with
the flow/ This is what you should’ve been thin-
82 BACKSPIN #117 Sommer 2015
FASHAWN
und die Ökologie des Rap
kin’ about” (Kaytranada feat. Vic Mensa – „Drive Me Crazy”)
Schlecht. Wer ist das, T.I.? Ein Amerikaner? [Vic Mensa, gerade
schwer von Kanye West gehypt. Er wurde erstmals bekannt
durch den Popsong „Down on My Luck“] Ich kenne Vic,
ich mag seinen Vers auf dem Track „Pasadena“. Aber ich würde
mich noch nicht als Fan von ihm bezeichnen.
„Guess I’m at a crossroads, lost hope and I lost quotes/ My
heart smokes from the fire that ya’ll done provoked“ (Fashawn
feat. Aloe Blacc & Nas – „Something to Believe In“)
Das ist die erste Bar aus „Something to Believe In“ auf „The
Ecology“. Ich war einfach an einem Punkt, an dem ich meinen
Glauben an Gott verloren hatte. Ich spürte seine Anwesenheit
in meinem Leben nicht mehr. Alles fing an, zu vorhersehbar
zu werden, zu langweilig. Also verlor ich meine Hoffnung
und meine Worte. So viel Druck und der plötzliche Ruhm. Ich
wollte fliehen. Aber ich hatte das Gefühl, die Welt hätte das
provoziert, nicht ich. Ich war nur jemand, der den Stift nahm
und ins Studio ging. Das ist einer meiner Lieblingssongs. Ich
habe diesen Vers dreimal geschrieben. Als ich die erste Line
dann hatte, wusste ich, das ist sie. Die würde ich Nas zeigen
und hoffen, dass er darauf rappt. Ich könnte ewig über diesen
Song reden.
Wer oder was in deiner Ökologie beeinflusste deine Lyrik
am meisten?
Meine Mutter. Sie ist eine der eloquentesten Sprecherinnen
und eine der artikuliertesten Personen, die ich je getroffen
habe. Von ihr habe ich diesen Durst nach Wörtern und danach,
zu lernen. Von meiner Mutter kommt meine Ausdrucksweise,
wie ich Worte auswähle und sie verwende. Natürlich
könnte ich auch die obligatorischen Rapper aufzählen, aber
eigentlich kommt das alles von meiner Mutter.
Wer ist dein Lieblings-Lyricist oder die für dich beste Geschichte
im Storytelling?
„Fetus“ von Nas. Das ist ein Song, in dem er Storytelling, Poesie
und Personifizierung vorführt. Er bringt dich im Grunde
durch seine Geburt. Das Austreten aus dem Vater, das Eintreten
in die Mutter, die neun Monate im Bauch seiner Mutter
und wie er zum ersten Mal seine Augen öffnet. Du fühlst
dich, als ob du im Bauch seiner Mutter gewesen wärst. Er
nimmt dich mit dahin. Er verwendet die Personifikation wie
kein anderer Rapper. Oder „Last Words“. Da gibt es zu viele
Songs. Deswegen ist Nas mein Favorit untern den Lyricists
und Storytellern im Hip-Hop. Und aktuell mein Boss. Dame
Dash würde es nicht gefallen, jemand anderes Boss zu nennen.
Deswegen: Shout-out an meinen Partner Nas!
Kurze Schlussnotiz: Bei allem Respekt für versierte Lyrics,
Poesie und personifizierendes Storytelling – das „Versace“-
Schild war das Einzige, das Fashawn auf eigenen Wunsch
behalten hat.B
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 83
Interview: Shana Koch
Foto: Vitali Gelwich Photography Berlin
Die Hohe Fünf XXL mit
MoTrip
Sage und schreibe drei Jahre sind ins Land gezogen,
seit MoTrip mit seinem Debütalbum „Embryo“
den ersten Meilenstein seiner Karriere legte. Diese
vergangenen drei Jahre war es verdächtig ruhig um den
Aachener. Es waren drei Jahre voller Höhen und Tiefen,
wie sich später herausstellte. Alles, was er hin und
wieder durchscheinen ließ, waren vereinzelte Hinweise
auf ein neues Projekt. Im Sommer 2015 ist es nun so
weit, der Nachfolger steht in den Startlöchern. Zurück
zum Nullpunkt: Vorhang auf für „Mama“.
MoTrip, seit „Embryo“ sind drei Jahre vergangen.
Der Nachfolger „Mama“ steht in
den Startlöchern. Hast du je daran gezweifelt,
dass die Platte erscheinen würde?
Nein. Es gab Momente, in denen ich solche
Gedanken mit mir ausgefochten habe. Irgendwie
war mir aber immer bewusst, dass
ich das Projekt nicht abbrechen würde. Dazu
bin ich zu dankbar für die Songs, ich weiß
das alles zu sehr zu schätzen. Definitiv hatte
ich nicht immer Spaß an der Sache. Phasenweise
brauchte ich wirklich Aufbauhilfe von
außen. Leute, die an einen glauben.
Wer hat dir diese Aufbauhilfe geleistet?
Meine Familie, insbesondere meine Mutter
hat mir wieder auf die Beine geholfen. Die
stand komplett hinter mir. Genauso meine
Freundin und mein gesamter Freundeskreis
– die haben mir Kraft gespendet. Nicht zu
vergessen, wären da auch einige Labelkollegen:
Sido hat sich regelmäßig gemeldet,
gefragt, wie es mir geht und mich motiviert.
Es war schön zu sehen, dass sich andere
Gedanken machen. Noch ein Beispiel ist Ali
As: In meiner krassesten Krisenzeit telefonierten
wir und ich sagte ihm, ich bräuchte
84 BACKSPIN #117 Sommer 2015
einen Tapetenwechsel. Er war dann oft bei uns
im Studio in München. Ich bin sehr dankbar für
das alles.
Denkst du, die Fans gehen anders auf eine Platte
zu, die nach drei Jahren erscheint, als auf
eine, die nach einem halben Jahr erscheint?
Das ist schwer zu sagen. Man kann Fans nicht
jeder kennen. Es gibt viele Sparten – egal, ob
Musik oder Sport –, in denen man dazu nicht
stehen kann. Ich mache das dennoch nicht, um
ein Tabu zu brechen. Wer mich kennt, weiß,
Vergleicht man die beiden Platten: Findest du,
es hat eine Art Werteverschiebung in deiner
Musik stattgefunden?
Auch hier finde ich, dass jetzt kein Schalter umgelegt
oder eine neue Stufe erklommen wurde.
pauschalisieren. Doch behaupte ich, dass die
Hörer es im Endeffekt in der Hand haben. Wenn
die eben ein Album, das in einer Woche entsteht,
100.000 Mal kaufen, dann supporten die
das. Mir ist das recht egal, ich mache einfach.
dass das stimmt. Ich spreche auf dem Album
noch andere Themen an, die nicht geplant waren
und einfach aus mir herauskamen. Ein gutes
Beispiel ist der Song „Fan“. Ich habe mich im
Nachhinein gefragt, ob ich da nicht eventuell
Dennoch hört man die Veränderung. Meine Mir ist bewusst, dass der Hype sechs Monate mehr Angriffsfläche als nötig biete.
Musik klingt ernster. Nicht unbedingt ernster im
Sinne von traurig, sondern eher im Sinne von
aggressiver. In meiner früheren Musik habe ich
vieles einfach belächelt. Das ist aber nichts Bewusstes.
Jetzt wurde viel Frust abgebaut, ich
habe mir einiges von der Seele geschrieben.
nach „Embryo“ größer war als jetzt. Rein marketingtechnisch
gedacht hätten wir da irgendwas
raushauen müssen. Ich mache aber gerne Musik
und habe diesen Druck nicht gespürt.
Inwiefern, glaubst du, war der Hype damals
noch größer?
Wie viel Fan steckt denn noch in dir?
Mein Fan-Sein hat sich nicht geändert. Das ist
etwas, das ich oft beobachte. Leute reden im
Präteritum und sagen, sie waren Fan. Selten
hat das damit zu tun, dass der Künstler schlecht
wird, sondern eher, dass die Fans jetzt selbst erfolgreich
Das Album klingt sehr erwachsen …
Danke. Das war aber wirklich kein bewusst gewählter
Schritt. Ich habe es einfach gemacht
und das Endergebnis ist jetzt auch so gewor-
Was ich damit sagen möchte, ist, dass jeder normale
Mensch vermutlich viel schneller nachgelegt
hätte und nicht erst drei Jahre später. (lacht)
Ich kann mir vorstellen, dass es schlichtweg
sind. Als ich 16 war, hat Savas mich mit
auf Alben und Reisen genommen. Da war ich
so glücklich, dass ich Teil davon wurde. Vorhin
hast du mich nach meiner Werteverschiebung
den, wie ich es mir ungefähr gewünscht habe.
„Ich mache einfach“
Natürlich gibt es immer Punkte, die man noch
ändern könnte aus Künstlersicht.
Das klingt nach Hang zum Perfektionismus …
Der ist definitiv auch einer der Gründe, wieso es
normaler gewirkt hätte und direkt reibungsloser
abgegangen wäre, wenn die Platte direkt
gekommen wäre. Aber ehrlich gesagt, war das
noch nie meine Intention. Vielleicht bin ich dazu
zu wenig Business-Mann und zu sehr Musiker.
so lange gedauert hat. Ich gebe zu, ich bin nicht Die Vorfreude auf das Album dürfte durch die
der Allerleichteste. Ich arbeite sehr schnell. Teilweise
schreibe ich Sachen, die ich dann gar Die Platte ist jetzt quasi noch exklusiver …
lange Wartezeit nur noch weiter gestiegen sein.
nicht erst aufnehme oder ich lösche sie nach Wenn dem so ist, ist es cool. Aber auch hier
dem Aufnehmen sofort wieder. Ich glaube aber, muss ich sagen: Das war keine Berechnung. Wir
diese Arbeitsweise schadet dem Produkt im saßen auf keinen Fall vor einem Jahr da und haben
uns gedacht, dass es bestimmt noch cooler
Endeffekt nicht. Natürlich weiß ich, dass man
zu viel nachdenken kann. Jedoch weiß ich, wo würde, wenn wir noch ein Jahr warten. So was
die Sache ungefähr hin muss und denke sie wird gerne unterstellt, dass alles eiskalt geplant
nicht kaputt. Es gibt jedoch kein klares Muster. und kalkuliert ist. Wie gesagt: Ich mache einfach.
So ein Hype kommt und geht. Das ist aber
Manchmal sind Songs nach dem Aufnehmen
auch direkt fertig.
nicht das, wo ich hin möchte. Man sieht ja auch
wenig anderes von mir außer Musik. Wie selten
mache ich zum Beispiel irgendwelche Blogs,
Rap-Deutschland liefert aktuell unfassbar viel
Output. Sagt ein schneller Release-Rhythmus wie ich Minigolf spielen oder Enten füttern gehe.
etwas über die Qualität der Produkte aus?
Das ist alles nicht mein Ding. Ich mache meine
Nein, ich finde nicht, dass das etwas über Musik und bin froh, wenn ich genau dafür akzeptiert
werde – das ist für mich wertvoller als
Qualität aussagt. Ich finde es in keiner Hinsicht
schlimm, wenn man nur ein halbes Jahr alles andere.
an seiner Platte schreibt. Weder stört mich das
noch geht mich das irgendetwas an. Objektiv In deinem Song „Mathematik“ rappst du, dass
betrachtet man am Ende aber doch einen qualitativen
Unterschied, allein was die Produktionen trifft man jedoch immer wieder auf die Thema-
du die Eins bist. In anderen Songs von „Mama“
tik Selbstzweifel. Ist das nicht total konträr?
angeht. Gern erinnere ich mich jedoch genauso
an Alben, die am Wochenende entstanden sind Das ist vielleicht sogar schizophren! Es ist so:
und mich dennoch geprägt haben. Beides kann Ich bin keine Heulsuse. Ich weiß, was ich mache,
sehe, was die anderen machen und kann
gut oder schlecht sein, ich würde da nicht so
stark differenzieren.
es objektiv einschätzen. Allerdings gibt es Momente,
in denen man an sich zweifelt. Das wird
gefragt. Das ist heute nicht mehr, was mich
treibt. Damals war es mir wichtig, wie ich eingeordnet
und ob ich akzeptiert werde. Zurück zur
Frage: Ich bin immer Fan geblieben. Ich kaufe
Alben und besuche Konzerte. Ich habe die Musik
schon gehört, bevor ich selbst Rapper wurde
und das leugne ich nicht. In meiner Musik hört
man sogar, dass ich stark von deutschem Rap
geprägt bin. Das ist, was ich liebe und wofür ich
mich niemals verstellen werde.
Seit Beginn deiner Karriere hast du mit den
größten Namen zusammengearbeitet. Siehst
du dich selbst aus heutiger Sicht als einen der
besten Rapper der Szene?
Ich behaupte das oft in Songs, aber da ist das
natürlich etwas anderes. Sonst würde ich das
nie so großkotzig behaupten. Es gibt da draußen
überkrasse Rapper und ich feiere schon
viel anderes. Ich bin froh, behaupten zu können,
dass ich einer der Besten bin, ohne dass
es eingebildet klingt. Wenn es um richtigen Rap
geht, sehe ich noch eine Handvoll Leute, und
die möchte ich keineswegs diskreditieren. Natürlich
stehe ich zu meinem Talent und ich bin
stolz. Dennoch bin ich nicht eingebildet genug,
um zu sagen, ich allein bin der Krasseste. Das
wäre komisch und schlichtweg gelogen.B
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 85
TEXT: CHRISTIAN LUDA
BACK IN THE DAYS
3RD
BASS
INTERVIEW: Frederike Arns
FOTOS: ???
Weiße Rapper sind in den USA aktuell ebenso erfolgreich wie umstritten. Anders als heute kann man
sie in den 1980er-Jahren an einer Hand abzählen: Es gibt die Beastie Boys sowie MC Serch und Pete
Nice von 3rd Bass. Diese ebnen innerhalb der von Schwarzen und Latinos begründeten Hip-Hop-Kultur
nicht nur den Weg für heutige Stars wie Eminem und Action Bronson, sondern können jene kulturelle
Integrität vorweisen, die Künstlern wie Iggy Azalea und Macklemore von vielen abgesprochen wird.
Bevor das Trio 3rd Bass, bestehend aus MC Serch
(Michael Berrin) und Prime Minister Pete Nice
(Peter Nash) sowie DJ Richie Rich aka Daddy
Rich (Richard Lawson), 1989 seine erste Platte
veröffentlicht, sind die Mitglieder bereits jahrelang
in der New Yorker Hip-Hop-Szene aktiv.
Der aus Far Rockaway, Queens, stammende MC
Serch macht 1985 seinen Abschluss an der LaGuardia
High School of Music & Art and Performing
Arts mit Schwerpunkt Gesang und Stimme. Seit
Anfang der 80er von Hip-Hop infiziert, schlägt er
zum Entsetzen seiner Mutter ein Stipendium für
Italienische Oper aus, um stattdessen Rapper zu
werden. Produzent Tony D (Anthony Dick, nicht
zu verwechseln mit Tony Depula, siehe BACK-
SPIN MAG #112) verhilft ihm zu Ghostwriting-
Jobs für Whodini sowie zu einem Plattenvertrag
mit Warlock. Seine 1986 erscheinende Debütsingle
„Melissa“ erweist sich jedoch als Flop, sodass
Serch seinen Deal gleich wieder verliert.
Gemeinsam mit Tony D startet er anschließend
das Label Idlers und veröffentlicht 1987 die Single
„Hey Boy!“. Während Tony D ihn über den
Tisch zieht und tatsächlich alleiniger Eigentümer
des Labels ist, das später unter anderem die
Jungle Brothers hervorbringt, verschafft „Hey
Boy!“ MC Serch erste Aufmerksamkeit. Es folgen
Radio-Promos für Red Alert und ein Auftritt
beim New Music Seminar MC Battle 1988, der
ihm einen Deal bei Russell Simmons’ Rush Artist
Management einbringt. Einen Monat später unterschreibt
dort auch Pete Nice.
Dieser wächst in Brooklyn und Long Island auf und
kommt 1977 erstmals in Kontakt mit Hip-Hop.
Der zehnjährige Pete arbeitet als Balljunge für das
von seinem Vater trainierte Basketballteam und
wird von den Spielern mit frühen Hip-Hop-Tapes
versorgt. Während seiner Zeit an der Bishop
Ford Central Catholic High School in Brooklyn
ist er Mitglied der kurzlebigen Rap-Gruppe Sin
Qua Non, die, ebenso wie Stetsasonic, Just-Ice
und Positive K, von Lumumba Carson gemanagt
wird, der später als Professor X vom X-Clan bekannt
wird. Carson ist zudem Manager und Booker
vom Latin Quarter. In dem legendären Hip-
Hop-Klub kreuzen sich erstmals die Wege von
Serch und Pete Nice.
An der Columbia University gründet Pete gemeinsam
mit dem Graffiti-Writer und von einigen
als erster weißer Rapper überhaupt gehandelten
Lord Scotch (Blake Lethem, jüngerer Bruder von
Schriftsteller Jonathan Lethem) sowie dessen
Freund Shameek die Gruppe Servin’ Generals.
Außerdem hat Pete Nice gemeinsam mit DJ Clark
86 BACKSPIN #117 Sommer 2015
Kent von 1986 bis 1987 die erste Hip-
Hop-Sendung beim College-Sender
WKCR, auf dem ab 1990 Stretch Armstrong
und Bobbito Radiogeschichte
schreiben.
Die Servin’ Generals stehen kurz vor
einem Plattendeal bei Select, als Shameek
einen U-Bahn-Wagen überfällt
und Lord Scotch spurlos verschwindet.
Dante Ross, später einflussreicher
A&R bei Tommy Boy und Elektra, hört
deren Demo und stellt den Kontakt zu
Produzent Sam Sever her, den er kurz
zuvor bereits mit MC Serch zusammengebracht
hat. Ende 1987 lernen sich
so Serch und Pete Nice in den Chung
King Studios erstmals richtig kennen.
In derselben Nacht entsteht der erste
gemeinsame Song „Wordz of Wizdom“.
Mit Sam als DJ nehmen sie in der Folge
unter dem Namen 3 the Hard Way ein
Demotape auf, das unter anderem den
Song „Product of the Environment“
enthält.
Nachdem Russell Simmons und Lyor Cohen
sie erfolglos anderen Labels anbieten,
nehmen sie die Gruppe schließlich
bei Def Jam unter Vertrag. Während
der Albumaufnahmen äußert Sam Sever
den Wunsch, nicht länger offizieller
Teil der Gruppe zu sein, um sich voll auf
seine Produzententätigkeit konzentrieren
zu können. So wird letztlich Daddy
Rich von der Supermen Crew um Clark
Kent zum dritten Mitglied von 3rd Bass.
Der DJ aus Brooklyn hatte zuvor bereits
mit Pete Nice zusammengearbeitet und
nimmt 1989 am New Music Seminar
DJ Battle teil, das von Serch gehostet
wird. Als er zur Gruppe stößt, ist das
Album jedoch bereits fast fertiggestellt.
„The Cactus Album“ erscheint nach langer Wartezeit
im Oktober 1989 und gilt heute als eines
der besten Alben der Hip-Hop-Geschichte. Sam
Sever sorgt mit Unterstützung von Pete Nice für
den Großteil der Produktion, außerdem gibt es
Beiträge von zwei der größten Namen der Zeit:
The Bomb Squad sorgen für den Albumtrack
„Oval Office“ und die erste Single „Steppin’
to the A.M.“, während Prince Paul die Singles
„Brooklyn-Queens“ und „The Gas Face“ produziert.
Letztere ist der größte Hit des Albums
sowie das Debüt von K.M.D.s Zev Love X, heute
besser bekannt als MF Doom. Dieser ist auch
verantwortlich für den Titel, der als Beschreibung
eines ablehnenden Gesichtsausdrucks
mittlerweile zum gängigen US-Sprachgebrauch
gehört. Das Video bietet Cameos von Erick Sermon,
Flavor Flav, DMC, Jam Master Jay, Bobbito
und weiteren. Zu jenen, die in dem Song
ein „Gas Face“ bekommen, zählt MC Hammer,
der zudem auf dem Albumsong „The Cactus“
gedisst wird („The Cactus turned Hammer’s
mother out“). Als 3rd Bass für einen Promo-Gig
nach L.A. fliegen, erfährt man bei Def Jam, dass
Hammers Bruder bei den Crips ein Kopfgeld von
50.000 Dollar ausgesetzt hat. Die Gefahr wird in
letzter Sekunde gebannt, indem Crips-Gründer
Mike Concepcion seinen Lieutenant als Bodyguard
stellt und als Gegenleistung am selben
Abend bei den American Music Awards zwei
Sitzplätze direkt neben Michael Jackson erhält.
Außerdem helfen ihm Simmons und Cohen,
ein Label für seine Compilation „We’re All in the
Same Gang“ zu finden. Abseits von Hammer
wird das 3rd-Bass-Album auch an der Westküste
geschätzt. MC Eiht outet sich 1990 auf der
Comptons-Most-Wanted-Single „One Time Gaffled
‘Em Up“ als Fan („Loaded as fuck, pumpin’
The Cactus“), und als Ice Cube für sein Album
„AmeriKKKa’s Most Wanted“ nach New York
kommt, will er eigentlich mit Sam Sever arbeiten.
Da dieser nicht auftaucht, entscheidet sich
Cube für The Bomb Squad.
Die Beastie Boys, die auf dem Albumtrack „Sons
of 3rd Bass“ attackiert werden, revanchieren
sich lediglich musikalisch – und das erst drei
Jahre später auf dem „Check Your Head“-Song
„Professor Booty“: Die Line „Dancing around
like you think you’re Janet Jackson“ ist eine Anspielung
auf MC Serchs legendäre Tanzeinlagen,
die fester Bestandteil der guten Liveshows von
3rd Bass sind. Hiervon können sich im Frühling
1990 auch die deutschen Fans überzeugen, als
die Gruppe zusammen mit Public Enemy nach
Europa kommt. Die Tour wird überschattet vom
Skandal um Professor Griff. Nach mehrfachen
Interviews mit antisemitischen Äußerungen hat-
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 87
3RD
BASS
te dieser im Juni 1989 seine Position
als „Minister of Information“ bei Public
Enemy verloren, was im Outro von „The
Cactus“ folgendermaßen kommentiert
wurde: „Yo, we’re Professor Griff, that
means we’re outta here, sucka!“ Kurz
vor der Tour kommt es im Büro von Def
Jam zu einer Auseinandersetzung, bei
der Griff MC Serch bedroht und als „fucking
jew bastard“ beschimpft, woraufhin
er endgültig aus der Gruppe fliegt
und erst 1997 zurückkehrt.
1990 veröffentlichen 3rd Bass die EP
„The Cactus Revisited“. Neben sechs
Remixen, darunter der Marley-Marl-Remix
von „Product of the Environment“,
findet man hierauf den neuen Song „3
Strikes 5000“, der es auch auf das kommende
Album schafft. Auf der EP sind
erstmals Scratches von Daddy Rich zu
hören.
Das zweite 3rd-Bass-Album „Derelicts
of Dialect“ erscheint im Juni 1991, erreicht
wie der Vorgänger Goldstatus
und erweist sich auch musikalisch als
würdiger Nachfolger. Als Gäste vertreten
sind Nice & Smooth und Chubb
Rock sowie K.M.D., deren Debütalbum
„Mr. Hood“ einen Monat zuvor mit MC
Serch und Pete Nice als Executive Producers
herauskommt. Für die starken
Beats sorgen neben 3rd Bass und
Sam Sever erneut Prince Paul sowie
die Stimulated Dummies. Das Trio um
Dante Ross produziert unter anderem
die erste Single „Pop Goes the
Weasel“. Der Song richtet sich
gegen Pop-Rap, insbesondere
den von Vanilla Ice, und wird
dabei ironischerweise 3rd
Bass’ größter kommerzieller
Hit – ein ähnliches Schicksal, wie es
später „Crossover“ von EPMD widerfährt.
Mit „3rd Bass Theme“ aka „Portrait of
the Artist as a Hood“ wird eine weitere
Single aus dem Album ausgekoppelt,
das das letzte von 3rd Bass sein soll.
Nach der Albumtour und der Single
„Gladiator“ vom gleichnamigen Soundtrack
trennen sich 3rd Bass 1992 aufgrund persönlicher
Differenzen zwischen Pete Nice und MC
Serch. Noch im selben Jahr veröffentlicht MC
Serch auf Def Jam sein Soloalbum „Return of
the Product“. Als Produzenten verpflichtet er
das Duo Wolf & Epic sowie T-Ray, der auch mit
Cypress Hill, Lord Finesse und den Artifacts zusammenarbeitet
und Ende der 80er Mitglied der
White Boys, einer anderen frühen, wenngleich
wenig erfolgreichen weißen Rap-Gruppe war.
Rückblickend bleibt vom soliden „Return of the
Product“ insbesondere der Song „Back to the
Grill“ in Erinnerung: Neben Chubb Rock und
Red Hot Lover Tone ist auf dem Posse-Track Nas
zum zweiten Mal überhaupt zu hören. Auf der
Single findet man zudem einen Remix, bei dem
das Line-up um O.C. erweitert wird. Dieser erhält
kurz darauf einen Deal bei Wild Pitch, wo
Serch als A&R und Vice President arbeitet. Nas
unterschreibt einen Production Deal bei der neu
gegründeten Firma Serchlite und erhält einen
Plattenvertrag bei Columbia. Dort erscheint
1992 der von MC Serch betreute „Zebrahead“-
Soundtrack, auf dem sich MC Serchs Song „Puff
the Head“ und Nas’ Debütsingle „Halftime“ wiederfinden.
Im Jahr darauf veröffentlichen Prime Minister
Pete Nice & Daddy Rich bei Def Jam ihr Album
„Dust to Dust“ mit den Singles „Rat Bastard“
(gerichtet an Serch) und „Kick the Bobo“. Mit
Beats der beiden sowie von Sam Sever, The
Beatnuts und K.M.D. knüpft das Werk eher an
den 3rd-Bass-Sound an. Als Gäste zu hören sind
Psycho Les, Kurious und Cage, der hier sein De-
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büt feiert, sowie Benz von den Dredknotz. Das aus Brooklyn stammende
Duo hat im Jahr darauf mit der von Mentor Daddy Rich produzierten
Single „Causin a Menace“ einen kleinen Underground-Hit.
1994 geht als eines der besten Hip-Hop-Jahre in die Geschichte ein, und
sowohl MC Serch als auch Pete Nice haben bei prägenden Alben ihre
Finger im Spiel. Ersterer ist Executive Producer von Nas’ „Illmatic“ sowie
O.C.s „Word...Life“ und beaufsichtigt die Produktion des ebenfalls bei
Wild Pitch erscheinenden Albums „Genocide & Juice“ von The Coup.
Pete Nice hat unterdessen gemeinsam mit Bobbito das Columbia-Unterlabel
Hoppoh am Start, wo das starke Kurious-Album „A Constipated
Monkey“ mit der von Pete Nice und Daddy Rich produzierten Single „I’m
Kurious“ herauskommt. Bei Hoppoh erscheint 1995 noch „Pre-Life Crisis“,
das Debütalbum von Count Bass D. Nachdem Kurious sich weigert,
ein zweites Album aufzunehmen, verlieren Pete Nice und Bobbito ihren
Deal bei Columbia.
MC Serch fungiert 1996 auf „It Was Written“ nochmals als Executive Producer
und zieht sich danach aus der Karriere von Nas zurück. In der Zwischenzeit
agiert er als Mentor einer neuen vielversprechenden weißen
Rap-Gruppe: Non Phixion veröffentlichen 1996 und 1997 über Serchlite
Music ihre ersten Singles „Legacy“ und „5 Boros“. Danach kommt es zu
Geldstreitigkeiten zwischen Mentor und Gruppe, die kurz darauf einen
von Serch ausgehandelten Major-Deal bei Geffen verliert.
1998 erscheint bei Serchlite Music mit „Venom“ zudem die Debütsingle
der Arsonists, die anschließend zu Bobbitos Indie-Label Fondle ’Em
wechseln, wo auch Zev Love Xs Renaissance als MF Doom beginnt.
Im selben Jahr finden 3rd Bass wieder zusammen. Nach einem Auftritt
beim Woodstock-Festival 1999 erscheint im Folgejahr über Serchlite die
wenig beachtete Comeback-Single „Hail to the Chief“. Ein angekündigtes
Album wird nie in die Tat umgesetzt.
Pete Nice kehrt danach dem Musikgeschäft den Rücken, eröffnet die
Sportsbar „McGreevy’s 3rd Base Saloon“ in Boston und veröffentlicht
das Buch „Baseball Legends of Brooklyn’s Green-Wood Cemetery“.
Außerdem handelt er mit Baseball-Memorabilien, die jedoch nicht immer
echt sind: Wegen Betrugs wird er 2014 zu einer Strafzahlung von
260.000 Dollar an ein Auktionshaus verurteilt.
MC Serch wird 2003 der erste weiße Moderator beim Detroiter Radiosender
WJLB. Seine Show „Serch in the AM“ endet 2006. Im Jahr darauf ist
er Host der VH1-Serie „Ego Trip’s the (White) Rapper Show“ und bringt
das Album „M.any Y.oung L.ives A.go: The 1994 Sessions“ mit bisher
unveröffentlichten Aufnahmen heraus. 2009 ist er an der Seite von MF
Doom auf dem Song „Benetton“ von Kurious’ Comeback-Album „II“ zu
hören. Mit Serchlite ist er bis heute hinter den Kulissen aktiv und betreut
unter anderem eine Zeit lang Boldy James, der mittlerweile bei Nas’ Label
Mass Appeal unter Vertrag steht.
Daddy Rich lebt seit einigen Jahren mit seiner Familie in Arizona und ist
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eineweltsong
Song Contest
Die mit dem CARE-Paket
Protokoll: Rachel Sircar, Diana Swiadek, Valentin Alvarez
Marsimoto
„Ring der Nebelungen“ + Album – CD / 2LP + Four Music
Ein langer Arbeitstag geht dahin. Doch bevor
jeder tut, was er will, kommen Niko, Phil, Tim
und Dennis noch einmal zusammen, um „Ring
der Nebelungen“ zu hören. Niko: „Das neue
Marsimoto-Album – habt ihr da Bock drauf?“
Phil: „Ich bin total unvoreingenommen.“ Tim:
„Ich auch.“ Phil: „Ich habe die Marsi-Alben davor
nie wirklich ernsthaft gehört. Das wird jetzt
also das erste Mal sein.“ Niko: „Und du, Dennis?
Als großer Marteria-Fan?“ Dennis: „Auch wenn
man mich für einen Banausen halten mag: Ich
kann Marsimoto zwar hier und da einiges abgewinnen,
habe aber die Marteria-Alben viel öfter
und auch viel länger gehört. Daher bin ich zwar
neugierig, aber nicht euphorisch.“ Tim: „Ich
bin da ein bisschen bei Phil. Ich habe die Alben
schon alle mitbekommen und auch immer irgendwie
meinen Spaß mit den Platten gehabt,
aber langfristig hängen geblieben sind die bei
mir nicht. Dennoch erwarte ich hier nun qualitativ
hochwertige Musik.“
Es geht los. „La Saga“. Schweigen. Niko:
„Und?“ Tim: „Die Produktion fand ich richtig
gut!“ Niko: „Das war ja vorher klar.“ Tim: „Ja,
aber irgendwie fand ich es auch etwas anstrengend.“
Phil: „Ich höre mir auch sein amerikanisches
Pendant nicht an. Da ist es ähnlich,
die Beats finde ich geil …“ Tim: „Da finde ich
Marsi fast noch zugänglicher. Als hier eben
dieser Reggae-Part eingesetzt hat, ging es für
mich schon ab. Ich habe nun jedenfalls Bock
auf mehr.“
Also weiter mit „Tijuana Flow“. Niko: „Der
knüpft doch direkt an den ersten Song an,
oder?“ Phil: „Ich finde den geiler.“ Tim: „Ich
nicht.“ Phil: „Doch, der ist raptechnisch geiler,
der Sprachschatz im ersten Part ist ziemlich gut.
Für mich klang das eben, als könne sich Marteria
als Marsimoto mehr austoben.“ Dennis:
„Ich fand, dass das raptechnisch im Vergleich zu
‚Grüner Samt‘ noch mal eine Weiterentwicklung
war. Er flowt für mich noch besser. Dazu gefällt
mir auch, wie der Charakter Marsimoto mit Leben
und Haltung gefüllt wird.“ Niko: „Der Vergleich
Marteria/Marsimoto kommt ja irgendwie
automatisch. Und ich erwarte von Marteria mehr
Boom, während es bei Marsi für mich irgendwie
gechillter abgeht. Dazu kommt hier dieser Wortwitz,
für den am Ende aber auch irgendwie beide
stehen.“ Tim: „Vielleicht kenne ich die anderen
Platten doch nicht gut genug, aber für mich verwischt
hier ein wenig die Grenze zwischen Marteria
und Marsimoto.“ Niko: „Das habe ich auch
schon gedacht. Aber am Ende geht das schon
weit auseinander.“
Es folgt „Anarchie“. Tim: „Den fand ich auch
wieder anstrengend und zu voll.“ Dennis: „Echt?
Ich fand den derbe, auch wenn der Song natürlich
verdammt langsam war.“ Niko: „Ist das für
Kiffer eigentlich zu anstrengend?“ Tim: „Weiß
nicht. Aber ich fand es jetzt schon anstrengend,
und wenn ich stoned bin, liegt meine Toleranzgrenze
wahrscheinlich noch ein bisschen tiefer.
Oder der Song hat dann noch mal eine andere
Wirkung.“ Niko: „Muss man sich hier eigentlich
inhaltliche Fragen stellen? Um was geht es hier?“
Dennis: „Um Parolen auf weißen Wänden, groß
gesprüht mit grünem Blut an den Händen.“ Gelächter.
Phil: „Viel hängen geblieben ist demnach
nicht?“ Dennis: „Für den Augenblick gab es doch
einige ziemlich geile Sätze.“ Niko: „An denen
hangele ich mich entlang.“ Dennis: „Geil fand ich
eben auch, wie er ‚A.N.N.A.‘ zitiert hat. So etwas
machen ja auch noch einige andere gerne, aber
so, wie das Zitat hier eingebaut wurde, hört man
das nicht so häufig.“
Nun kommt „An der Tischtennisplatte“. Niko:
„Wenn du dich fragst, worum es in diesem Song
geht, dann hast du Hip-Hop nicht verstanden.
Worum ging es noch gleich?“ Gelächter. Phil:
„Das kam wie eine Charakterstudie der Kernzielgruppe,
oder?“ Dennis: „Da waren schon wieder
so spektakuläre Formulierungen zu hören. Sehr
90 BACKSPIN #117 Sommer 2015
gut! Aber es wird langsam mal Zeit für etwas
Schnelleres.“ Niko: „Aber für Kiffer darf es doch
gerne etwas langsamer sein, oder?“ Dennis:
„Ach, dass ist doch Klischee-Scheiße. Ich habe
schon genügend Kiffer gesehen, die auf Techno
unterwegs waren.“ Niko: „Vielleicht haben
die sich aber auch in halber Geschwindigkeit
bewegt.“ Dennis: „Niemals!“ Gelächter. Niko:
„Okay, wir halten fest: Bisher waren die Songs
ziemlich langsam.“ Dennis: „Und jedes Mal stand
man einer großen Soundwand mit tiefem Bass
und schleppenden Grooves gegenüber.“ Tim:
„Irgendwie ist es aber auch schwierig. Wir haben
es nach 18 Uhr, der Tag ist schon rum und dann
kommt etwas so Großes. Wenn ich so etwas am
Morgen höre, bin ich vielleicht offener.“ Dennis:
„Für dich ist das Früh-morgens-Mucke? Den Arbeitstag
möchte ich nicht als dein Kollege erleben!“
Tim: „Soundtechnisch nimmt einen das
jedenfalls schon ganz schön ein.“
Weiter geht’s mit „Meisterwerk“. Niko: „Und? Ist
das ein Meisterwerk?“ Dennis: „In der Hook wurde
der Wahnsinn, unter dem Meisterwerke gerne
mal entstehen, ziemlich geil auf den Punkt gebracht.
Dazu hängt man in den Strophen voll am
Text und wartet auf das nächste Wortspiel oder
den nächsten Vergleich.“ Phil: „Hat man eigentlich
eine Chance, das inhaltlich zu erfassen, wenn man
sich nicht konzentriert?“ Tim: „Vielleicht ist das
gar nicht so wichtig.“ Niko: „Das Kendrick-Lamar-
Album hat das doch auch gezeigt: Der Einstieg in
ein Album kann schwer sein, aber wenn man sich
darauf einlässt, wird man belohnt, oder?“ Dennis:
„Magisches Theater – nur für Verrückte. Eintritt kostet
den Verstand.“
Jetzt kommt „Illegalize It“. Dennis: „Ich kann
das zwar alles nachvollziehen, und ein ‚Illegalize
It‘-Song macht sicherlich auch mehr Spaß als ein
‚Legalize It‘-Song. Aber in puncto Meinung bin
ich nicht dabei. Ansonsten finde ich die Nummer
großartig! Hat nicht irgendwer gerade noch so
einen Song gemacht?“ Niko: „Genetikk“. Tim:
„Für mich bisher das absolute Highlight. Der
Song ist voll auf den Punkt gebracht. Wie er damit
spielt, dafür bekannt zu sein, Kiffer-Mucke zu
machen und den Spieß noch mal umdreht, weil
er lieber Randfigur bleiben möchte, anstatt dass
alle so werden wie er. Cool!“ Dennis: „Mit der
Illegalität von Weed verbinden viele ja auch lustige
Jugenderinnerungen.“ Phil: „Und es wäre
schlimm, wenn die nachfolgenden Generationen
diese Erfahrungen nicht mehr machen könnten.
Abgesehen davon: Der Song war bisher am
kompatibelsten für die Bühne.“
Nun kommt „Ring der Nebelungen“. Dennis:
„Der Song hat mich an ganz viele alte Marsi-
Tracks denken lassen. Gleich am Anfang kam mir
dieses ‚Keine isst‘ in den Sinn. Dazu kommt, dass
wahrscheinlich kein Rapper in Deutschland cooler
Sätze sagen kann wie ‚Ich mache Guacamole
in Guatemala klar‘.“ Niko: „Genau dafür mag ich
Marsimoto. Diese Stimmungen nehmen mich
einfach mit. Ich wüsste auch nicht, ob ich hier die
schnelleren oder die langsameren Songs besser
finde.“ Phil: „Zu dem Track vorher war der hier
schon ein ziemlicher Kontrast.“ Dennis: „Geil ist
auch, wie die zum Ende hin immer noch schön
im Instrumental abgehen und mal zeigen, wie
sie ihre LFOs bedienen können.“ Tim: „Mich hat
der auch mitgenommen. Da gibt es nichts zu meckern.
Insgesamt denke ich außerdem, dass das
hier ein Album ist, das wächst.“ Niko: „Läuft man
bei all dem Hype eigentlich Gefahr, erst mal alles
von Marteria/Marsimoto geil zu finden?“ Dennis:
„Nein. Gut, ich bin ein großer Marteria-Fan, aber
wie ich vorhin meinte, kann ich Marteria mehr
abgewinnen als Marsimoto.“ Phil: „Obwohl wir
überall einen Haken hinter machen. Woran liegt
das also?“ Kollektives Achselzucken. Tim: „Ich
habe in jedem Fall schon Bock bekommen, mir
das Album noch mal in Ruhe reinzupfeifen. Jedenfalls
habe ich das Gefühl, dass hier an alles
gedacht wurde.“
Weiter geht’s mit „Green Pangea“. Dennis:
„Schon vorbei? Den höre ich noch 20.000 Mal!“
Niko: „Warum das?“ Dennis: „Der nimmt mich
am meisten mit bisher. Der Drive, das Tempo,
hier hat mir sofort alles gefallen. Der ist genau
mein Ding!“ Niko: „Der Song dürfte jeden dahindarbenden
Kiffer dazu motivieren, aufzustehen
und zum Kühlschrank zu gehen.“ Tim: „Das
kann er besonders gut – Kiffer mit auf Reisen
nehmen. Marsi kann das alles sehr gut erzählen,
wahrscheinlich, weil er schon selbst da war. Auch
wenn sich das thematisch etwas wiederholt.“
Phil: „Das lässt sich doch gar nicht verhindern.“
Tim: „Was mir grundsätzlich noch aufgefallen ist:
Bei Marsi wird mehr mit Atmosphären gearbeitet
als mit Melodien. Darum hat man auch im Nachhinein
weniger die Beats im Kopf als die Texte.“
Nun kommt „7 Leben“. Dennis: „Großartige
Textidee!“ Tim: „Hier ist der Sound im Vergleich
zu den Vocals irgendwie zurückhaltender. Der ist
irgendwie etwas mehr Hip-Hop.“ Phil: „Mit dem
Song kann man noch eine Menge Spaß haben.“
Track Nummer zehn: „Flywithme“. Niko: „Alter
Schwede, was war denn da am Ende los?“ Phil:
„Ich fand das anstrengend.“ Dennis: „Ich habe
mich gefragt, ob hier der Beat mit dem Vocal-
Sample zuerst da war und man dann wegen
dieses ‚Fly With Me‘ da einen Text drumherum
geschrieben hat, oder ob es andersherum war.“
Tim: „Für mich war das der Madlib-mäßigste
Song bisher.“ Dennis: „Jetzt gib uns mal wieder
einen Muntermacher!“
„Usain Bolt“. Dennis: „Ja, da war er, der Muntermacher!“
Niko: „Ich bin begeistert.“ Tim:
„Mich hat der jetzt nicht so wach gemacht, wenn
ich da mal reingrätschen darf. Textlich war das
schon unterhaltsam, aber die Hook fand ich jetzt
nicht so …“ Niko: „Du suchst jetzt aber auch das
Haar in der Suppe, oder?“
Weiter geht es mit „Zecken raus“. Dennis:
„Was für ein Text! So etwas hat ja auch Tradition
bei Marsimoto. Großartig!“ Niko: „Ich fand den
auch geil. Eine Zecke, die nicht als linksradikal
beschimpft werden will, von den Rechtsradikalen
aber auch nicht wahrgenommen wird … herrlich.“
Tim: „Für mich ist das der Muntermacher,
den ihr eben schon hattet. Der Beat ist ein Brett.“
Und dann kommt „Trippin“. Dennis: „Der klingt
noch Hip-Hop-mäßiger als der eine vorhin – mit
den Scratches und diesen Sounds, die klingen
wie ein geschnittenes Sample.“ Tim: „Der Song
bringt noch mal eine andere Facette mit rein, dieses
fast schon liebliche Soundbild habe ich auf
dem Album bisher noch nicht gehört.“ Phil: „Für
mich passt der Song gar nicht so sehr zu den
anderen, obwohl ich den angenehm zu hören
fand.“ Tim: „Okay, der fällt schon etwas raus.“
Und schließlich „Back 2 Green“. Niko: „Ich fand
den etwas anstrengend.“ Dennis: „Ja, aber der
schließt das Album sehr gut ab.“ Niko: „Auf mich
wirkt das hier oft wie so eine Art Experiment.“
Dennis: „Für mich ist die Figur Marsimoto mit
dieser Platte noch mal ein ganzes Stück gewachsen.“
Niko: „Aber sie war zwischendurch auch
schon mal eingängiger, als sie hier zu hören war.
Auf den beiden Marsi-Alben davor waren die
Songs nicht so verspielt und nicht so schwer.“
Dennis: „Wenn ich mir überlege, wie viel Spaß
mir einige Marsi-Songs gemacht haben, dann hat
der allein schon mehr Lieblingssongs gemacht
als viele andere.“ Niko: „Ja, und dagegen ist das
hier schon schwerere Kost.“ Tim: „Für mich war
das teilweise auch schwere Kost. Aber ich muss
mir das Album noch ein paarmal anhören, denn
ich habe das Gefühl, dass es mir immer mehr gefallen
wird, je öfter ich es höre.“B
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 91
SOUND
CHECK
2.0
DEUTSCH
Deichkind
„Niveau Weshalb
Warum“
Xatar
„Baba aller Babas“
Zugezogen Maskulin
„Alles brennt“
Denyo
„Derbe“
Die Orsons
„What‘s Goes“
Genetikk
„Achter Tag“
Credibil
„Molokopf“
92 BACKSPIN #117 Sommer 2015
26
25
25
25
24
24
23
NIKO PHIL RIKE
Wow! Sie schaffen es, Satire, Kritik,
Politik und Party auf ein einziges Album
zu bringen. Und das auch noch
unfassbar gut. Daumen (sehr) hoch!
Starkes Album. Kaum einer versteht
es so, diesen authentischen Vibe
der 90er in die Neuzeit zu bringen.
Rundes Ding.
Überragend. Diese Jungs versprühen
mit dem Album genau das,
was ich damals bei den Beginnern
gefühlt habe. Jetzt schon auf einem
so guten Niveau. Wo soll das nur
hinführen?
Einfach nur „Derbe“. Ein mitnehmender
Blick auf den musikalischen
Zeitgeist, gepaart mit vielschichtig
gedachten Rap-Parts, die
hier Spaß machen und Lust auf das
Beginner-Album bereiten.
Das mit Abstand beste Album der
Vier. Und das nicht nur dank der
Soundkünste von Tua. Alle vier im
Orsons-Zenit. Was soll da noch
kommen?
Schwer, so ein Album wie den Vorgänger
zu toppen. Und hiermit auch
nicht geschafft. Das Album klingt
anders, nicht so treibend, noch mehr
etwas zum Zuhören.
Dass Credibil die Zukunft gehört,
zeigt auch diese EP mehr als deutlich.
Starke Lyrics und ein, zwei
echte Knaller überdecken dann auch
die Songs, denen noch ein wenig
Würze fehlt. Aber das ist wohl nur
die Vorspeise.
Darüber, ob das Album noch hier in
die Liste gehört, lässt sich streiten.
Darüber, dass die Deichkinder mittlerweile
in einer eigenen Liga spielen,
nicht.
9 9
Reinstes Entertainment!
Viele schlaue Botschaften und Kalendersprüche,
aber ich kann mir
das nicht öfter anhören.
Großartige Produktionen, große
Ideen und ein etwas zu kleiner
Wortschatz für meinen Geschmack.
Weniger albern als die vorherigen
Alben und für mich daher das hörbarste
Orsons-Album bis dato.
Schon cool, dass solche Art von Rapmusik
heutzutage so erfolgreich sein
kann. Wenn es nicht einige wenige
Ausreißer nach unten geben würde,
hätte es auch eine noch höhere Bewertung
gegeben.
Abgeliefert!
Ein phänomenales Gesamtkunstwerk
eines avantgardistischen
Kollektivs. Ursprünglich haben sie
sich sicher nichts dabei gedacht.
Zeitgeist-Selbstgänger.
„Original“ und das Video dazu waren
ein Flash. Habe mir einen Mantel
gekauft, würde für Xatar die Schuhe
ausziehen und in letzter Zeit wackele
ich auch so komisch mit den Händen
… Der Rest des Albums flasht
ein kleines Bisschen weniger.
9 8
8
Eloquente Erhabenheit, die neue
Standards setzt. Ob zugezogen
maskulin, zugezogen feminin, letztlich
sind wir alle Hochstapler mit
Achillesferse. Beruhigend, oder?
10 6 9
Denyo-lo hat sich mit Würde weiterentwickelt,
ein Zurück in die 90er
gibt es nicht und das ist auch gut so.
Symbiz Sound sind live unschlagbar,
muss man erlebt haben.
10 7 8
Unheimlich sympathische und lustige
Leute, aber mit ihrer Musik
konnte ich nie besonders viel anfangen.
10 7 7
8 8
7
8
Solide und für Fans eine Freude, aber
nicht so stark wie „D.N.A.“.
Seine Geschichten treffen ins Herz,
ohne pathetisch zu sein. Er hat einen
schönen Dialekt und die Videos sind
ganz großes Kino.
8
8
8
Kontra K
„Aus dem Schatten
ins Licht”
Lance Butters
„Blaow“
Schwesta Ewa
„Kurwa“
187 Strassenbande
„Der Sampler 3“
Audio88 & Yassin
„Normaler Samt“
Bushido
„Carlo Cokxxx
Nutten“
Prinz Porno
„pp = mc2“
Farid Bang
„Asphalt Massaka 3“
23
23
23
22
22
22
21
22
NIKO PHIL RIKE
Der Weg, den er geht, ist klar und
deutlich. Ohne dabei seine Werte zu
verlieren. Ich lege mich fest: Kontra
K wird noch ganz groß. Im Moment
fehlt noch ein wenig Vielfalt.
Diese Fickt-euch-alle-Attitüde auf
Albumlänge ist schon schwer
verdaulich, vor allem gepaart mit
dieser Stimme und Betonung. Aber
um es nicht zu mögen, ist textlich
zu vieles zu gut gesehen.
Real Talk in der Grund-Definition des
Wortes. Ich höre ihr und ihren Geschichten
gerne zu, auch wenn es
sicherlich stärkere Rapper gibt.
Synthie-Bretter und Straßenrap auf
technisch hohem Niveau. Tolles Hörvergnügen.
Witzig, intelligent, stark. Ein Album,
wie man es sich gewünscht hat.
Aber auf Länge braucht es mehrere
Durchgänge, um ganz anzukommen.
Ein „CCN“ kann man schwer wiederholen.
Aber dieser dritte Teil ist
zornig genug, um den Vibe zu transportieren.
Es ist unmöglich, den Porno-Vibe
von vor zehn Jahren wieder genauso
hinzubekommen, aber der
Prinz schafft es, ihn in die Neuzeit
zu bringen.
Ein bitterböses Album. Gefühlte
100 Gegner beleidigt und dabei
immer breit grinsen. Auf Dauer mir
aber zu wenig Abwechslung.
Hier und da merkt man schon, dass
durch den Deal produktionstechnisch
neue Welten erschlossen wurden. An
der sympathischen Art, pathetische
Geschichten zu erzählen, hat sich hingegen
wenig geändert – was nichts
Schlechtes bedeutet.
9 7
8
Kann man sich gut nebenbei geben,
hab‘ ich ehrlicherweise so nicht erwartet.
Schwesta Ewa schafft es, dass man
während des Hörens des Albums
überhaupt nicht über die Rapperinnen/Rapper-Thematik
nachdenkt.
Die Konsequenz, mit der die Bande
seit Jahren ihren Weg geht, muss
man einfach anerkennen – Platz
zwei in den Albumcharts ist die verdiente
Belohnung.
Viele der Gedanken, die hier transportiert
werden, heben sich angenehm
von dem ab, was man sonst
auf Rap-Alben findet und verdienen
es, dass man sich mit ihnen auseinandersetzt.
Wie erwartet, das schwächste
Album aus der „CCN“-Reihe, aber
durchaus unterhaltsam.
Ich gehöre nicht zu den alteingesessenen
Prinz-Porno-Fans, daher
catcht mich das nicht zu 100 Prozent.
Allerdings macht alleine der
„Dschungelabenteuer“-Epos das
Album zu einem guten Album.
Man kriegt das, was man erwartet:
gutes Entertainment!
7
Breite, manchmal zu runde Produktionen
mit guten, manchmal zu pathetischen
Texten.
Der Beweis dafür, dass man sich
vom VBT erheben kann – auf einem
Major, auf Albumlänge, mit gefühlt
noch länger gezogenen Silben.
Sie ist klug, weiß sich zu vermarkten
und ist in vielen Situationen immer
noch schüchtern. Sie hat mehr erlebt
als wir alle, erzählt unglaubliche
Geschichten, kann rappen und steht
auf 90er-Beats und Jacky-Cola. Man
muss sie einfach mögen.
7 8 8
Hamburg, Zusammenhalt, Familien -
ersatz. So hat Straßenrap zu sein.
7 7 8
Mag sein, dass Samt einfach mal
normal anstatt irgendwie bunt sein
sollte. Mir ist diese ständige kommentierende
Metaebene dennoch
auf Dauer zu nervig.
8 7 7
8 7
8
8
6
7
Zu viel anstrengendes Drumherum,
zu wenig Fokus auf Rap.
Porno ist > als Pi.
Auch bei „Asphalt Massaka 10“
werde ich noch sagen: Farid ist süß.
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 93
7
8
7
7
7
SOUND
CHECK
2.0
Kendrick Lamar
„To Pimp a Butterfly“
D‘Angelo
„Black Messiah“
Joey Badass
„B4.Da.$$”
Fashawn
„The Ecology”
Mellow Music Group
„Persona“
Action Bronson
„Mr. Wonderful”
Big Sean
„Dark Sky Paradise”
INT.
94 BACKSPIN #117 Sommer 2015
28
28
27
26
26
24
24
NIKO PHIL RIKE
Puh. Schwere Kost. Nicht so eingängig
wie der Vorgänger. Aber
dafür mit noch viel mehr Message.
Und weil es so sperrig ist, braucht
es auch einfach seine Zeit, um zu
wirken.
Der Typ ist einfach der Größte. In
all seinem Wahnsinn. Aber bei all
den New Kidz am Block, die vielleicht
so sein wollen wir er, scheitern
sie an der Ausstrahlung dieses
Mannes – auf jedem Song.
Wow. Krasses Album. Wie erwartet?
Vielleicht, aber auf jeden Fall
jetzt schon eines der stärksten
Dinger des Jahres.
Sechs Jahre sind eine lange Zeit
für ein neues Album. Braucht es
wohl auch, nach dem Vorgänger.
Das Warten hat sich gelohnt. Unheimlich
stimmig das Ganze.
Klasse. Und eine klare MMG-
Ansage an den Rest der Rap-Welt.
Mag dem Typen eigentlich nicht
so gerne zuhören. Hat aber hier
ein Album am Start, das wie ein
Etappenziel seiner Reise durch die
Rap-Landschaft klingt. Abzüge in
der B-Note.
Schon ein verdammt rundes Ding.
Auch wenn man die Perfektion in
den Produktionen kritisieren kann,
geht mir das voll rein.
Wurde ein Rap-Album jemals so
einsilbig von der Kritik gefeiert wie
dieses? Wenn man die daraus erwachsene
Skepsis ablegt und sich
aufs Hören konzentriert, bleibt einem
wohl nichts anderes übrig, als in den
Chor einzustimmen.
9 10
Sich „etwas“ länger Zeit zu nehmen
und dafür dann so ein Produkt abzuliefern,
ist durchaus zur Nachahmung
empfohlen – Classic!
Fokussierte Beschränkung auf das
Wesentliche und trotzdem – oder
gerade deshalb – ein zeitloses
Album.
„Boy Meets World“ ist ein Klassiker,
an den Fashawn mit „The
Ecology“ nicht ganz herankommt.
Es reicht aber locker, um eines der
besten Alben der ersten Jahreshälfte
abzuliefern.
Die Ansammlung an hochkarätigen
Produzenten und Rappern,
die etwas Substanzielles zu sagen
haben, erinnert ein wenig an gute
alte „Soundbombing“-Zeiten.
Klingt ähnlich hungrig, aber einen
Tick souveräner als die Vorgängerwerke:
„All I do is eat oysters/
And speak six languages in three
voices“.
Mir haben die beiden vorherigen
Alben besser gefallen, aber vielleicht
ist die leichte Enttäuschung
auch das Ergebnis zu hoher Erwartungen.
Das Album ist so vielschichtig und
rätselhaft, dass man bei jedem
Hören etwas Neues entdeckt. Das
Gegenteil von Langeweile.
Einer der letzten wahren und begnadeten
Künstler. Er und The
Vanguard haben mir mein Konzert
des Jahres/Jahrzehnts beschert.
9 9
10
Dieser junge Typ flasht einen regelmäßig
– mit diesem Album und
bei Fernsehauftritten in amerikanischen
Late-Night-Shows. An seiner
Konzert-Präsenz muss er aber
noch ein wenig arbeiten.
9 10 8
Santiago Leyva hat viel erlebt, man
hört seinen Geschichten auf angenehmen
Beats von Exile & Co. sehr
gerne zu – „To Be Young“ ist ein
Paradebeispiel. Bis zum nächsten
Album aber bitte nicht wieder so
eine lange Pause!
9 8 9
Steht „Mello Music Group“ drauf,
steckt Qualität drin.
9 8 9
8 8
9
7
Der verrückte Rap-Koch hat hier eine
leckere Buchstaben-Suppe zubereitet,
die nach guten Worten und
souligen Beats schmeckt.
Breite Produktion und Features am
Zahn der Zeit – vorprogrammierter,
kalkulierter Erfolg.
9
8
8
Ghostface Killah &
BadBadNotGood
„Soul Soul“
Red Phil
„Look What This
World Did to Us”
Snop Dogg
„BUSH”
Earl Sweatshirt
„I Don‘t Like Shit, I
Don‘t Go Outside”
Oddisee
„The Good Fight“
Sadat X
„Never Left“
Raekwon
„Fly International
Luxurious Art“
Rapper Big Pooh
„World Paint Pictures“
24
24
24
23
23
23
22
22
NIKO PHIL RIKE
Krasser Output von dem Mann. Wu-
Tang im Gebäude. Mir aber nicht
mehr genug am Puls der Zeit.
Überraschung. Gelungenes Album.
Aber eigentlich klar, wenn
Mello Music Group draufsteht.
Die Leute da haben gerade ein
gutes Gespür für meinen Geschmack.
Ich weiß, viel zu poppig und viel
zu cheesy. Aber irgendwie ist
die Combo Broadus/Williams so
krass eingängig, dass es eine
Freude ist. Und Rick Ross als Kirsche
auf dem Sahneeis.
Ich komme irgendwie nicht rauf auf
die Welle, die alle Releases der Odd
Future Gang auf die Menschheit in
Jubelstürmen loslässt. Aber muss ja
auch nicht sein …
Gutes Ding, aber auf Länge ist mir
das zu langweilig.
Ehre, wem Ehre gebührt. Aber
irgendwie nicht mehr so meine
Sache.
Schöne, runde Sache. Mit ein
paar echt eingängigen Highlights.
Nicht mehr und nicht weniger.
Und sicher besser als das Crew-
Album ...
Sieht ein wenig nach Absprache
aus. Aber auch Pooh überrrascht
und überzeugt. Für seine Labelwahl
kann ich ja nix. Go MMG.
7
8
Gefühlt haben wir in jeder Ausgabe
ein Ghostface-Album!? In der Regel
bekommt man das, was man
erwartet – für das gewisse Etwas
sorgt diesmal der Support der Torontoner
Jazz-Band.
Ein angenehm unaufgeregtes Album,
das sich mit alltäglichen
Dingen und der Sichtweise des Protagonisten
hierauf befasst. Mellow-
Music-Group-Sound!
Objektiv betrachtet sicherlich
eine 9, aber hier zählt ja mein
Geschmack – und für den ist das
Ganze an zu vielen Stellen zu anstrengend.
Für mich das beste Album, das ich
je aus dem Odd-Future-Camp gehört
habe!
Mellow!
Schon etwas anachronistisch an
der einen oder anderen Stelle –
aber als Original darf man das auch
sein!
Das Cover ist schon ziemlich skurril,
auf dem Album selbst liefert Rae
aber wie gewohnt ab – nicht ganz
auf „OBFCL2“-Niveau, aber nah
dran.
Das vierte MMG-Release in den
Top 15! Little-Brother-Flow und
Apollo-Brown-Beats: Hätte von mir
9 Punkte bekommen, wenn es nicht
so wenige Tracks wären.
8
8
Dieses Clan-Mitglied hat gerade
die musikalische Poleposition inne.
Erst „36 Seasons“ und jetzt dieses
Monster aus Soul und Jazz? Ghostface
Killah ain‘t nuthin‘ ta fuck wit‘.
Genau die richtige Musik, um sich
seiner selbst gewählten Einsamkeit,
seinen Gedanken und der
einen Liebe hinzugeben.
Snoop singt, Pharrell produziert,
Stevie featuret – was soll da schon
passieren?
9 7 8
Für mich hat er damit seinen Creator
Tyler überholt.
7 8 8
7
7 7
8
8
8
7
Vom ewig Reisenden ist man
sehr gute Alben gewöhnt. Auf
dem Albumcover (und auch auf
Instagram) schleicht sich das
Hipsterhafte ein wenig zu sehr ein.
8 8
Diese Beats, diese Stimme, dieser
Typ! Da kann das alte Liebhaber-
Herz nur lachen.
Ein alter Held, der auf Biegen und
Brechen versucht, im musikalischen
Hier und Jetzt anzukommen.
Geschichten zwischen Hoffnung und
Desillusionierung. Auch als absoluter
Fan von Apollo Browns Beats
bin ich langsam der Meinung, dass
er seine Produktivität einen Gang herunterschalten
sollte, sonst hört man
ihn bald an jeder Ecke.
Sommer 2015 #117 BACKSPIN 95
9
8
9
6
7
AUDIO
TECHNICA
Der neue ATH-M50xDG von Audio Technica verfügt über die gleichen,
herausragenden klanglichen Eigenschaften, nun mit überarbeiteten
Ohrpolstern und abnehmbaren Kabeln. Von Treibern mit
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96 BACKSPIN #117 Sommer 2015
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Sommer 2015 #117 BACKSPIN 97
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98 BACKSPIN #117 Sommer 2015
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100 BACKSPIN #117 Sommer 2015