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BACKSPIN Magazin #115

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#115

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SOMMER 2014

ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ

Wäre es das Ende der

Rap-Kultur,

ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ

wenn es nur noch brave,

politisch korrekte Texte

geben würde?



EDITO-

RIAL

#115

Es ist jedes Mal ein langer Weg, bis so ein

BACKSPIN Mag fertig ist. Auch für diese

aktuelle Ausgabe #115 waren wir viel

unterwegs, wir haben Ideen aufgenommen

und uns für diese, euch vorliegende

Auswahl an Themen entschieden.

Als Moderator Tobi Schlegl im ZDF in der

„aspekte“-Sendung vom 28. März 2014 seinen

Gast zum Thema „Schwulenfeindlichkeit“ im

deutschen Rap befragte, das Thema aber nur kurz

angeschnitten wurde, ging Kollege Falk Schacht

vorm heimischen Fernseher die Hutschnur hoch.

Sein postwendend veröffentlichter Kommentar

führte zu einem öffentlichen Austausch der beiden

zum besagten Thema und der generellen Problematik

von Rap in öffentlichen Medien. Wir wollten

einen Schritt weiter gehen und luden die beiden

zusammen mit dem Berliner Fler, als Vertreter der

Zunft, an einen Tisch, um das Thema noch einmal

grundsätzlich zu bearbeiten. Heraus kam der

„BACKSPIN Stammtisch“ der aktuellen Ausgabe,

der mit durchaus überraschenden Statements die

Diskussion fortführt.

Ebenfalls fortführen werden Die Fantastischen

Vier ihre Musik-Karriere. Wie viel ihr Schaffen mit

Hip-Hop noch gemein hat, wurde hinreichend diskutiert.

Doch dass sie mit „Jetzt geht’s ab“ 1991

Pionierarbeit geleistet haben, bleibt Fakt. Umso

schöner, wenn dann And.Ypsilon seine heiligen

Hallen aufschließt und sich ein wenig zu den Anfängen

seines Weges als Teil der Vier äußert. Das

mussten wir ausnutzen und trafen dabei auf echte

Schätze.

Havoc und Prodigy von Mobb Deep haben der

Hip-Hop-Gemeinde weltweit so einige Hits geliefert,

die sie auch heute noch zu gern gesehenen

Gästen im Club um die Ecke oder auf Festivalbühnen

machen. Wir nutzten einen Hamburg-Stopp

der Jungs, um sie mit unseren 50 Fragen zu konfrontieren.

Eine schwierige Sache, wie unsere Autorin

Frederike Arns anfänglich befand, aber am

Ende wurde alles gut.

Auch bei uns wird alles gut. Denn: Die BACKSPIN

wird es in Zukunft auch im App Store von Apple

für iOS-Systeme sowie für Android im Android-

Store geben. Das heißt die aktuelle BACKSPIN auf

dem iPhone oder iPad – inklusive dem gesamten

Backstock-Katalog. Genau das richtige Geschenk,

das wir uns und euch zu 20 Jahren Heft-Geschichte

machen konnten. Details findet ihr dazu auf unserer

Website.

Jetzt erst einmal viel Spaß beim Lesen. B

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 3


HERAUSGEBER:

Niko Hüls / BACKSPIN Media

CHEFREDAKTEUR:

Niko Hüls

ART-DIREKTION:

Goran Tesanovic

LAYOUT:

Stephan „Gizmo“ Haramina

REDAKTION:

Benjamin Auch, Lukas Ehemann, Martin Fischer, Stephan „Gizmo“ Haramina, Niclas Hummitzsch,

Steffen Köster, Tim Kinkel (Textchef), Dennis Kraus (Chef vom Dienst), Andreas Mehring

Dan Rosca , Mark Todt, Niels Wendt

AUTOREN DIESER AUSGABE:

Frederike Arns, Sticky Dojah, Fume, Peter Hagen, Denis Ignativ, Christian Luda, Shana Koch,

Phil Kühn, Falk Schacht, Sascha Weigelt

FOTOS:

Eric Anders, Sandrine Appel, Marie Chatard, Chelsey Croucher, Dems, Sticky Dojah, Hip Hop Kemp, Walter Glöckle,

Denis Ignatov, Jonas Kaltenkirchen, Karl Kani, KWE, Laion, Merlin, Mobile Mondays, Daniel Schneider,

splash!, Christopher Voy, Ole Westermann, And. Ypsilon

GRAFFITI-SEITEN:

Tobias Maier-Beck

GRAFFITI-KONTAKTE:

Tim Carstens & Tim Karger

E-Mail: Graffiti@backspin.de

REDAKTION TECHNICS:

Torben Bowm, Dan Rosca

E-Mail: Torben.Bowm@backspin.de

REDAKTION PERFORMANCE:

Benjamin Auch

E-Mail: Benjamin.Auch@backspin.de

ANZEIGENLEITUNG:

Benjamin Jäger

Fon: +49 (0)40 45 00 02 94

E-Mail: Benjamin.Jaeger@backspin.de

VERTRIEB PRESSEGROSSHANDEL:

DPV Network GmbH, Düsternstraße 1 – 3, D-20355 Hamburg

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Niko Hüls

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BACKSPIN sieht sich als Magazin, das die Entwicklung der internationalen Hip-Hop-Szene dokumentiert.

Unser Anliegen ist es nicht, mit unseren bildlichen sowie textlichen Inhalten die Leser dazu aufzurufen, strafbare Handlungen zu begehen.

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Alle Rechte vorbehalten.

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Nachdruck nur mit ausdrücklicher

Genehmigung des Herausgebers.

4 BACKSPIN #115 Sommer 2014


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58 76 80

BACKSPIN#115

06 ····························· Fotograf: Denis Ignatov

08 ········································· Ohne Worte

12 ········································ Blog Report

14 ···············Fundstücke: Diggin‘ in Brooklyn

16 ·································· Hut Ab, Kollegah

18 ·············· Wie war das noch mal, And. Ypsilon?

22 ·······Stammtisch: Niko, Falk, Fler und Tobi Schlegl

········································unterhalten sich

28 ······················ Der BACKSPIN-Festival Guide

31 ······································ Music: Jabee

32 ············ Music: Mobile Mondays in New York City

35 ····················· Music: Stubenhacker / Ferhat C.

36 ·································· Festivals: splash!

40 ····································· Graffiti: Dems

44 ···································· Graffiti: Trains

48 ··································· Graffiti: Mr. Koso

50 ····································· Graffiti: Walls

52 ··························· Writer‘s Sepical: Slider

56 ························ Tales From A Dirty Old Man

58 ···························· Performance: Floorwars

62 ···························· Festivals: Hip Hop Kemp

64 ······ Promotion: G-Shock feat. Hardy Blechmann

67 ························ Music: Tom Thaler & Basil

68 ······················· Technics: Vintage Equipment

71 ································· Technics: Produkte

72 ··················· Technics: Review: Bitwig Studio

74 ························· Producer Spotlight: Exile

76 ······························· 10 Thesen mit: Cro

78 ·············· Die LP meines Lebens mit: Ahzumjot

80 ······························· Music: DJ Scientist

82 ························· 50 Fragen an: Mobb Deep

86 ······················ Back in the Days: JVC Force

88 ································ Album der Ausgabe

90 ······································· Soundcheck

94 ········································ Beatcorner

95 ································· Deutschstunde 3.0

96 ······································· Verlosungen

98 ··············································· ABO

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 5


aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa

Seit Jahren arbeite ich schon mit vielen deutschen Musikern und Rappern zusammen.

Das Out4Fame Festival war wieder eine gute Gelegenheit, alte Gesichter wiederzutreffen

und sich auszutauschen (Savas, Kollegah, Farid Bang, Manuellsen etc.).

Eigentlich habe ich nichts mit der „Clique“ Megaloh, Afrob, Max Herre, Samy Deluxe

am Hut. Mir hat aber die Sympathie und der energetische Auftritt von Megaloh so

gut gefallen, dass ich ihn nach seinem Bühnenauftritt sofort angesprochen habe.

Die richtige Wellenlänge war sofort da. Megaloh sagte: „Eigentlich bin ich privat

hier und gebe keine Interviews, Pressetermine oder Shootings.“ Ich: „Ich auch!“

Nach einem netten Gespräch haben wir dann doch noch einige Fotos geschossen.

Korrekter Typ, gerne wieder!

Text & Foto: Denis Ignatov

6 BACKSPIN #115 Sommer 2014


aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa MUSIC

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 7


Foto: Karl Kani

WAKA

FLOCKA

FLAME

Sag mal, Waka Flocka Flame, wer

macht eigentlich am derbsten Party?

8 BACKSPIN #115 Sommer 2014


Foto: Eric Anders

B-REAL

B-Real, bevor du nach Hamburg

gekommen bist, warst du in den

Niederlanden. Wie hat dir dein

Aufenthalt gefallen?

Sommer 2014 #115 BACKSPIN 9


Foto: Eric Anders

BIG

DADDY

KANE

Big Daddy Kane, zeig uns deinen

liebsten Kung-Fu-Move!

10 BACKSPIN #115 Sommer 2014


Foto: Eric Anders

RA THE

RUGGED MAN

RA The Rugged Man, warum sind Skinny

Jeans nichts für dich?

Sommer 2014 #115 BACKSPIN 11


Text: Christian Luda

Rap ist Religion. Wer Gott sucht, findet

ihn heutzutage mitunter auf YouTube. So

geschehen im Fall von God aus Chicago

– einem mysteriösen Rapper, der an Pusha T in

seinen düstersten Momenten erinnert. Im Januar

sorgten erste Videos wie „God Vs. Devil“ und

„Judgement Day“ für Aufsehen. Nach der EP

„Before the Bible“ ist nun das Free-Album „The

Bible“ erschienen. Auf zehn Songs, zusammengehalten

von Interludes mit Gewaltnachrichten

aus Chicago, bereichert God das Chiraq-Movement

mit teilweise bemerkenswertem Storytelling

um eine weitere interessante Facette.

Alle, die jetzt laut „Blasphemie!“ rufen, weil der

einzig wahre Gott Rakim und der letzte Prophet

Nas heißt, sollten den wie God aus dem Nichts

aufgetauchten New Yorker Rapper Your Old

Droog checken. Dessen gleichnamige EP, produziert

von El RTNC und DJ Skizz, bietet Grown-

Man-Rap à la Ka und Roc Marciano. Droog erinnert

dabei so sehr an Nas, dass einige Blogs

zunächst spekulierten, „God’s Son“ höchstpersönlich

stecke hinter den Songs.

In eine ähnliche Kerbe schlägt Rast RFC von

der berüchtigten New Yorker RFC Crew mit

seinem Mixtape „Across West 3rd Street“.

Der Graffiti-Writer im Ruhestand sagt über sich

selbst: „I founded a street gang, lived a life of

crime, drugs and adventure, and now I rap about

it.“ Im Ergebnis klingt das wie ein älterer 50 Cent,

der ausschließlich über dreckige Boom-Bap-

Beats rappt.

D.I.T.C.-Jünger kamen sich im Mai vor wie an

Weihnachten: A.G. verschenkte mit „Return to

1999“ die unveröffentlichte LP seiner Protegés

Ghetto Dwellas alias Party Arty (R.I.P.) und D-

Flow. Neben Bekanntem wie „God Made Dirt“

und „Get It Dusty“ findet man hier viele bis dato

ungehörte Songs, produziert von Showbiz und

Amed – einziger Wehrmutstropfen: Nach zwei

Minuten ist bei jedem Titel Schluss. Gnädiger

zeigte sich die Crew, als sie das „D.I.T.C. – The

Remix Project“ – auf Vinyl beim Label Slice of

Spice erhältlich – kurzerhand komplett zum kostenfreien

Download bereitstellte. Unter anderen

DJ Premier, Alchemist, Lord Finesse, Diamond

D, Showbiz und Buckwild liefern auf dem Album

zeitgemäße Überarbeitungen diverser D.I.T.C.-

Klassiker ab.

„Rap God“ Eminem plant, 2014 das dritte Album

seiner Schützlinge Slaughterhouse zu veröffentlichen.

Als Teaser gibt es vorab das Mixtape

„House Rules“. Auf zehn Songs mit Beats von

u. a. Nottz, Illmind, AraabMuzik und Harry Fraud

bieten die vier, was ihre Fans erwarten: Lyrics.

Colorado assoziiert man hierzulande mit Thomas

Gottschalk, in den USA seit 2014 mit Marihuana-Legalisierung

– 28 Gramm pro Kauf sind

erlaubt. Wiz Khalifa konnte daher nicht anders,

als sein Mixtape „28 Grams“ zu nennen. Soundmäßig

schielt der Dauerkiffer dabei nach Atlanta

– die passenden Beats stammen u. a. von Metro

Boomin, 808 Mafia und Sonny Digital. Auf „Word

on the Town“ mit Juicy J ist zudem ein posthumer

Verse von Pimp C zu hören – Chuuuch!

Drake ist der CR7 des Rap – oft verteufelt,

aber stets treffsicher. Mit „0 to 100“ hat er mal

wieder jenen Beat, von dem keiner die Finger

lassen kann. Aus der großen Masse an Freestyles

stechen die von Joell Ortiz, Papoose,

Meek Mill, Vado, Fat Trel und der wiedervereinten

G-Unit heraus.

Mit der Bekanntgabe seines „Freshmen Covers“

sorgt das XXL Magazine stets für ähnlich hitzige

Diskussionen wie Jogis WM-Kader. 2014 sind sich

die Stammtische einig: Es gab schon schlimmere

Nominierungen. Nach der kurzfristigen Absage

von Young Thug wurden Chance the Rapper, Isaiah

Rashad, Ty Dolla Sign, Rich Homie Quan, Vic

Mensa, August Alsina, Troy Ave, Kevin Gates, Lil

Bibby, Jon Connor, Lil Durk und Jarren Benton

ins Team berufen. Exclusives von allen zwölf gibt

es auf DJ Dramas „XXL 2014 Freshmen Mixtape“.

Hintergründe liefert die Folge „Inside the XXL

Freshmen Cover“ des ohnehin empfehlenswerten

Podcasts „NPR: Microphone Check“ mit Host Ali

Shaheed Muhammad – oh my god!

12 BACKSPIN #115 Sommer 2014


tom thaler

& Basil

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Text und Fotos: Sticky Dojah

DIGGIN´IN

BROOKLYN

Auf www.backspin.de berichtet unser Autor Sticky Dojah derzeit

von seinem Aufenthalt in New York. In unregelmäßigen

Abständen erzählt der Aachener DJ von Erlebnissen, die

sich rund um Hip-Hop im Big Apple drehen. Diese kleine Geschichte

hier fanden wir schließlich so gut, dass wir sie auch

gedruckt sehen wollen. Aber lest selbst.

Samstagmorgen in Brooklyn.

Es wird mal wieder Zeit zum

Platten-Diggen. Schnell mit

meinem Kumpel Jonathan

aus London kurzgeschlossen,

und wir machen uns

auf den Weg zu „The Thing“,

einem legendärer Secondhandladen

in Greenpoint,

Nordbrooklyn. Der Keller hat es in sich: zigtausende

Platten stehen hier in Kisten und Schränken

wahllos aufeinander. Die Luft ist staubig, man

braucht vor allem im Sommer eine Atemschutzmaske

und Handschuhe, um da unten zu überleben.

Während ich durch die Singles stöbere,

findet Jonathan eine zugetaggte Platte, die seine

Aufmerksamkeit auf sich zieht. Bei genauerem

Hinsehen finden wir zwei beschriebene Seiten. Ich

erkenne den Tag-Style sofort: Lee Quinones. Was

wir hier gefunden haben, ist Hip-Hop-Geschichte.

Zwei Aufzeichnungen über ihn in den Trainyards

und seine unglückliche Liebe zu einem Mädchen.

Dazu eine bemalte Platteninnenhülle mit einem

„Fabulous Five“-Style und Tags von der ganzen

Crew. Das ganze original von 1979. Es musste einfach

gefunden werden. Only in New York! B

14 BACKSPIN #115 Sommer 2014



„So eine Aufmerksamkeitsspanne

über eine lange Zeit zu

halten, ist gar nicht so einfach.

Dafür muss man viel arbeiten.“

INTERVIEW: NIKO HÜLS / FOTO: LAION

HUT AB,

KOLLEGAH,

von deinem aktuellen Album „King“ sind am ersten Verkaufstag über

100.000 Einheiten abgesetzt worden.

Am Ende der ersten Woche waren es über 160.000.

So gut soll sich während der letzten zehn Jahre kein

anderes Album in Deutschland verkauft haben. Mal

ehrlich: Wie hast du das alles aufgenommen?

Das in dem Moment direkt zu verarbeiten, ist

schwer. Ich war noch mitten im Arbeitswahn. Natürlich

habe ich gecheckt, dass das krass ist. Aber

realisieren, was wir da erreicht haben, konnte ich

erst mit einem gewissen Abstand. Natürlich freue

ich mich sehr und möchte auch noch mal wirklich

jedem da draußen danken. Insgesamt haben

wir in der ersten Woche übrigens, wenn man Österreich

und die Schweiz mitzählt, knapp 180.000

Alben verkauft. Das ist der Wahnsinn.

Wo warst du, als du die Information bekommen

hast?

Thomas von Selfmade Records hatte die Zahlen

immer im Blick und hat mich auf dem Laufenden

gehalten. Als er mir die finalen Zahlen der ersten

Woche schickte, machte sich natürlich Euphorie

breit. In dem Moment war ich gerade in einem

16 BACKSPIN #115 Sommer 2014


Gespräch mit einem Mitarbeiter von mir. Ich hatte

ihn angepflaumt, weil ich im Stress und auch etwas

abgefuckt war. Als die SMS kam, war ich mit

einem Mal wieder der freundlichste Mensch der

Welt.

Seit fast zehn Jahren bist du als Rapper im Spiel.

Hast du damit gerechnet, dass du mit deinem

vierten Album so einen Erfolg feiern würdest?

Letztes Jahr im Sommer habe ich mit der Arbeit

am Album begonnen. Da war ich gerade in der

Massephase. Zu diesem Zeitpunkt war mir das natürlich

überhaupt nicht klar. Im Verlauf der Promophase

im September konnte man das dann langsam

abschätzen. Als schließlich der Hype immer

größer wurde, war mir plötzlich klar, dass einiges

gehen könne. Also habe ich Vollgas gegeben. Mit

solchen Zahlen hätte ich letztendlich aber niemals

gerechnet.

Erfährst du durch diesen kommerziellen Erfolg

nun auch von den Nicht-Hip-Hop-Medien merklich

mehr Wertschätzung?

Erfreulicherweise ja. Viele Medien hatten mich

vorher überhaupt nicht auf dem Schirm, oder

sie steckten mich in irgendeine Schublade, in

die ich nicht so richtig reingehöre. Daher kommt

das für mich doch recht überraschend. Meinem

Album hört man von Track 1 bis 20 an, dass es

nicht darauf ausgelegt ist, von den Massenmedien

akzeptiert zu werden. Es ist reiner Battle-Rap,

bei dem die Punchline-Dichte so hoch ist wie nie

zuvor. Ich habe ohne Kompromisse ein straightes

Rap-Album gemacht. Doch durch die Kaufbereitschaft

meiner Hörer muss sich das Radio nun mit

mir auseinandersetzen. Das war für die dann der

Anlass, sich das Album anzuhören und der Sache

frei von Vorurteilen eine Chance zu geben. Und so

bekam ich von 90 Prozent aller Medien, großen

Radio- wie Fernsehsendern, absolut positive Resonanz.

Die befinden das für gute Musik und checken

auch, dass es nicht dieser stumpfe Gangsta-Rap

ist, dem die mich vorher vielleicht noch zugeordnet

hatten. Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung.

Ich denke sogar, dass dadurch die Vorurteile

gegenüber Deutschrap im Allgemeinen etwas abgebaut

werden. Ich pöbele auf dem Album ja nicht

herum. Auch wenn ich auf der einen Seite Battle-

Rapper bin, habe ich noch andere Facetten, die,

objektiv gesehen, einfach positiv sind. Sei das nun

mein Einfluss auf die Jugend, wenn es um Moral,

Prinzipien und den Sport geht, oder die lyrische

Komponente. Die beginnen die Leute immer mehr

zu verstehen. Darauf bin ich stolz.

Während der Promophase hast du, neben den

klassischen Mitteln, auch stark auf deine Entertainer-

und Moderatoren-Qualitäten gesetzt. Denkst

du, dass darin einer der Schlüssel für den Erfolg

liegt?

Sicherlich waren die eine Art Türöffner. So konnte

ich Fans hinzugewinnen, die, genau wie die eben

angesprochenen Medienvertreter, ein falsches Bild

von mir hatten und meiner Musik sonst nie eine

Chance gegeben hätten. Auch wenn teilweise sehr

alberne Songs wie „Wat is’ denn los mit dir?“ und

„Vom Salat schrumpft der Bizeps“ dazugehörten,

hat das Gesamtpaket viele Leute erst dazu gebracht,

sich mit meiner Musik auseinanderzusetzen

und diese dann sogar zu feiern. Als 80 Prozent

der Songs fertig waren, wusste ich schon, dass

das mein stärkstes Album wird. Deswegen auch

diese intensive Promophase, die ja über acht Monate

ging. Ich musste diesen starken Release einfach

so stark wie möglich pushen.

Und dann habt ihr euch bei Selfmade zusammengesetzt

und überlegt, was man machen kann?

Nein. In puncto Promo habe ich freie Hand und

auch niemanden, der mich groß berät. Das ist alles

auf meinem Mist gewachsen. Den YouTube-Kanal

zum Beispiel habe ich einfach aus dem Bauch heraus

gemacht. Diesen gezielten Höhepunkt der

Promo kurz vor Release gab es bei mir ja auch

nicht. Es hat sich einfach dahin entwickelt. Wobei

ich natürlich auch psychologische Überlegungen

angestellt habe, um ein bestimmtes Klima zu erzeugen.

So war das Überthema „Du bist Boss“,

dazu habe ich dann eine schöne Late-Night-Show

gemacht und ein bisschen was Lustiges zwischendurch.

So eine Aufmerksamkeitsspanne über eine

lange Zeit zu halten, ist aber gar nicht so einfach.

Dafür muss man viel arbeiten.

Gab es Anfragen vom Fernsehen, nachdem du mit

deiner Late-Night-Show deine Moderatoren-Qualitäten

gezeigt hast?

Es kamen tatsächlich einige Anfragen vom Fernsehen.

Ich habe denen gesagt, dass ich es mir überlegen

werde. Allerdings tendiere ich eher dazu, es

nicht zu machen. Mir gefällt es viel mehr, eigene

Formate zu gründen und die zu pushen. Deshalb

würde ich mich beispielsweise auch nie in die Jury

einer Gesangsshow setzen. Dann mache ich doch

lieber meine eigene. Auf meinem YouTube-Kanal

habe ich zu 100 Prozent freie Hand. Für den arbeite

ich auch nur mit einem einzigen Mann zusammen,

dem Alexander. Vielleicht ist das auch das Geheimnis,

warum der so gut funktioniert.

Es ist demnach also denkbar, dass man auch abseits

der Musik mehr von dir hören wird?

Ja. Natürlich verrate ich noch nichts. Aber du

kannst dir sicher sein, dass da einiges kommen

wird, was nicht allein mit der Musik zu tun hat.

Du bietest auch ein Fitness-Programm an, die

„Bosstransformation“. Wie läuft dein neuer Geschäftszweig?

Unglaublich gut. Anfangs war ich noch sehr skeptisch.

Für die, die von Fitness keine Ahnung haben,

sieht das ja erst mal nach Abzocke aus. Dabei ist es

durchaus sinnvoll, sich durch diesen komplexen

Bereich der Fitness führen zu lassen. Und für die

„Bosstransformation“ zahlt man nur einmal, hat

das Wissen aber ein Leben lang. Das Programm

läuft nun seit fast vier Monaten (das Interview

wurde Ende Mai geführt, Anm. d. Red.) und inzwischen

gibt es über 2.000 Teilnehmer, die alle sehr

gute Ergebnisse erzielt haben. Ich stehe ja auch

mit meinem Namen dafür. Und ich werde niemals

irgendeinen Abzockscheiß machen. Zumal ich ja,

Gott sei dank, mit Rap ganz gutes Geld verdiene.

Bei der „Bosstransformation“ war es eher mein

Anliegen, der Jugend mal richtig Fitness beizubringen.

Du hast mit „King“ auch bei Spotify Platz 1 der globalen

Albumcharts belegt …

Die Nachricht war insofern interessant, als dass bei

Spotify erst mal alle Songs kostenlos hörbar sind.

Ich glaube, mein Album wurde in den ersten Tagen

um die elf Millionen Mal angehört – und trotzdem

habe ich die übelsten Verkaufsrekorde aufgestellt.

Das zeigt doch sehr schön den Wandel, dass wieder

eine größere Kaufbereitschaft bei den Hörern

vorhanden ist. Bis vor vier oder fünf Jahren war

das nicht so. Da hat zwar jeder die Mucke gehört

und gefeiert – aber nicht für sie bezahlt. Langsam

scheinen die Leute verstanden zu haben, dass man

ihnen, je mehr sie supporten, auch umso mehr zurückgeben

kann. Das wollte ich auch in der Promophase

vermitteln.

Wird es nun, da dein Album draußen ist, auf deinem

YouTube-Kanal wieder etwas ruhiger?

Ich werde den Kanal sicherlich weiter pflegen.

Aber erst mal trete ich da etwas kürzer. Erstens

brauche ich eine Pause und zweitens will ich den

Leuten auch eine Pause von mir gönnen.

Nachdem die Leute bei deinem splash!-Auftritt

2006 noch mit dem Finger auf dich gezeigt haben,

schließt sich mit deinem Slot als Headliner dieses

Jahr der Kreis. Wie fühlt sich das für dich an?

Das fühlt sich natürlich schön an. Im Grunde genommen

zeigt es, dass es etwas bringt, wenn man

am Ball bleibt und nicht den Kopf in den Sand

steckt, wenn man Dinge auf Anhieb nicht gemeistert

bekommt. Man muss hier und da Dinge halt

mal verkacken. Ich bin aber jetzt auch nicht so,

dass ich sage: Hey, ich habe euch alle gefickt. Aber

natürlich ist es für mich eine innere Befriedigung,

weil ich lange darauf hingearbeitet habe. B

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 17


„Wir haben innerhalb eines

Jahres 15.000 Alben verkauft.

Von unserem zweiten Album

haben wir pro Tag 15.000

verkauft.“

Interview: Niko Hüls

Fotos: Niko Hüls, And. Ypsilon

WIE WAR DAS

NOCH MAL, AND. Ypsilon,

als ihr „Jetzt geht’s ab“ aufgenommen habt? Die Platte gilt als erstes

deutschsprachiges Rap-Album. Erinnerst du dich?

Na klar. Das Album war die erste Studioproduktion

von Die Fantastischen Vier. Zuvor hatten wir

alles mit zwei Tapedecks in meinem Kinderzimmer

aufgenommen. Die Tapedecks stehen heute hier

im Studio. Jedenfalls hatten wir mit denen sozusagen

im Pingpong-Verfahren die frühen Fanta4-

Produktionen gemacht. Im Studio hatten wir dann

eine 24-Spur-Digital-Maschine, ein analoges Pult,

Boxen, Effektgeräte und – vor allem – einen S1000-

Sampler (Akai S1000, Anm. d. Red.). Der war damals

so etwas wie der heilige Gral der Sampling-

Technologie.

In welches Studio hattet ihr euch für die Albumproduktion

eingemietet?

18 BACKSPIN #115 Sommer 2014


In das damalige Basement Studio von Klaus

Scharff, unserem heutigen Live-Engineer. Bis zum

„Lauschgift“-Album haben wir dort alle unsere

Aufnahmen gemacht. Erst das „4:99“-Album ist

dann wieder woanders entstanden, nämlich im

Studio Y. Jedenfalls hatte mir Klaus Scharff damals

sogar seinen S1000 ausgeliehen. Der Sampler hatte

seinerzeit einen Wert von 15.000 Mark. Als ich

mit dem heimgegangen bin, dachte ich mir: Oha,

ich habe hier ein Auto in der Hand. Ich hatte damals

ja keine Kohle.

Aber für „Jetzt geht’s ab“ gab es schon einen Produktionsvorschuss,

oder?

Das ja. Bevor es zur Produktion gekommen war,

hatten wir unseren Manager Andreas „Bär“ Läsker

getroffen. Der betrieb damals einen Import-

Schallplattenladen und entwarf für uns dann einen

Masterplan, den ich bis heute noch propagieren

würde. Der sah vor, dass wir uns zunächst einen

Verlagsvertrag sichern sollten. Mit dem Vorschuss

sollten wir dann Demos in einem Studio aufnehmen

und mit denen schließlich zu einer Plattenfirma

gehen, die uns dann einen Vertrag geben würde.

Genau so lief es tatsächlich ab.

Wie viele Songs von „Jetzt geht’s ab“ hattet ihr damals

auf deinen Tapedecks schon in Rohversionen

aufgenommen?

Ungefähr zwei Drittel. Aber natürlich sind während

der Produktion im Studio noch neue entstanden.

Mit dem S1000 konnte man besser samplen als

mit allem, was ich bis dahin hatte. Ich benutzte

damals ein S10-Keyboard, mit dem man ungefähr

vier Sekunden samplen konnte. Für Loops reichte

das. Dazu hatte ich noch einen selbst gebauten

Drumcomputer, die sogenannte Bronx-Box oder

BBox. Die konnte 8-Bit-Sounds abspielen und meinen

ersten Drumcomputer (Boss DR-110) triggern

und war lange sozusagen unser Hauptinstrument.

Die Sequenzersoftware dazu hatte ich auf einem

VC 20, dann auf einem C610 und zuletzt auf einem

C64 selbst geschrieben. In der letzten Ausbaustufe

konnte dann auch der S10-Sampler über MIDI

getriggert werden. Das war wirklich komfortabel.

Ich trauere dem System bis heute nach. Es war

wie maßgeschneidert für mich, sodass ich es sehr

schnell bedienen konnte. Ich machte damit ein

komplettes Beat-Programming in fünf Minuten.

In Deutschland Ende der 80er-, Anfang der 90er-

Jahre Hip-Hop-Produktionen zu machen, muss ein

ziemliches McGyver-Feeling gewesen sein …

Das waren Pionierzeiten. Man brauchte Unmengen

an Geld, um sich professionelle Möglichkeiten

leisten zu können.

Wer war alles in die Produktion involviert? Gab es

jemanden, der euch half?

Das waren eigentlich nur wir vier. Michi hatte

als DJ natürlich eine zentrale Rolle. Wenn es um

Sample-Loops ging, hatten er und Smudo einen

guten Riecher und wussten auch, was schon mal

benutzt worden war. Schließlich kam es dabei

ja auf die Originalität an. In diesem Zusammenhang

das Wort „recyclen“ zu benutzen, finde ich

übrigens nicht so passend. Ich sehe das eher als

eine Art Überlieferung von altem Musikwissen.

Wir haben dadurch zumindest eine Menge über

Musik gelernt. Jedenfalls besorgten Michi und

Smudo die Samples und ich habe dazu die Beats

programmiert. Das war damals, zu der Kinderzimmer-Zeit,

natürlich alles noch sehr einfach,

aber es kamen einige recht geile Stücke dabei

heraus.

Wie blickst du heute auf eure Arbeit in dem Studio?

Haben euch die besseren Möglichkeiten

merklich nach vorne gebracht?

Auch wenn dort viel hochwertiges Equipment

stand, bedeutete das nicht automatisch, dass auf

einmal alles geiler klang. Mein Schrott-Sampler

klang für mich jedenfalls irgendwie rougher. Und

auch das digitale Aufnehmen hat dem Sound

nicht unbedingt weitergeholfen. Das hört man

der Platte auch an. Das war alles wie ein Sprung

ins kalte Wasser. Zumal ich das Album ja auch

gemischt habe. Klaus hatte mich einfach machen

lassen, was ich auch super fand. Er passte lediglich

auf, dass ich keine grobe Scheiße baue. Nur

die Vocals habe ich ihn mischen lassen, das überstieg

damals meine Fähigkeiten. Von Kompressoren

ließ ich ebenfalls meine Finger, ich wusste

damals nicht mal, was man damit macht.

Also habt ihr das professionelle Studio mit all

seinen Möglichkeiten gar nicht voll ausnutzen

können?

Ausgenutzt haben wir das schon. Wir wussten

manche Dinge zu dem Zeitpunkt einfach nur

noch nicht. Andere Dinge aber habe ich sehr

schnell gelernt. Ich bin ohnehin Autodidakt. Wie

man einen Drumcomputer baut, hatte ich mir

einfach aus ein paar Elektronikzeitschriften zusammengelesen.

Auch das Programmieren habe

ich mir selber beigebracht.

Es gab auf „Jetzt geht’s ab“ auch einige Vocal-

Cuts aus „Star Wars“. Einer von euch muss demnach

die Hörspielplatten gehabt haben …

„Star Wars“ war für unsere Generation ein prägendes

Film- und Hörspielerlebnis. Michi hat die

Hörspielplatten gehabt, ich die Kassetten. Ich

kannte das alles auswendig. Er genauso. Das

waren Momente, die wir witzig fanden und auch

zitieren wollten.

Jemanden, der euch im Studio helfen konnte, hat

es damals in Deutschland wahrscheinlich noch

nicht geben, oder?

Richtig. Klaus Scharff, der gefühlt eher aus dem

Punk-Rock-Lager kam, wusste auch nicht, was bei

uns gefragt war. Ich genauso wenig. Jedoch habe

ich schon damals schnell gelernt. Innerhalb eines

Tages wusste ich, wie man den S1000 programmiert.

Mit dem und Cubase haben wir damals viel

gearbeitet.

Woher hast du zu dieser Zeit deinen Antrieb bekommen?

Ich hatte so etwas wie eine Mission: Ich wollte,

dass die Leute aus meinem Kulturkreis diese geile

Hip-Hop-Musik hören und verstehen. In meiner

Klasse war ich damals der einzige, der Hip-Hop gehört

hat. Wenn ich wem mal was vorspielte, bekam

ich Sätze zu hören wie: „Wann kommt denn die

Musik?“ Wenn man in den 80ern Rap hörte, war

man irgendwie schon ganz schön weit draußen.

Aber diese Pionierarbeit war schon immer mein

Ding. Ich war ja auch nicht der klassische Instrument-Spieler.

Mein MS-20 (Synthesizer von Korg,

Anm. d. Red.) ist das einzige Gerät, das ich hatte,

und das ich als mein Instrument bezeichnen würde.

Den habe ich, seit ich zwölf bin. Zwei Jahre hatte

ich damals dafür gespart. Elektronische Musik

hat mich einfach magisch angezogen. Als Achtjähriger

hörte ich bereits Kraftwerk. Das in der Musik

hörbar zu machen, was vorher noch niemals gehört

wurde, hat mich gereizt. Mit Computern war

das übrigens ähnlich. Mit 14 habe ich mir meinen

ersten Computer-Bausatz, einen Sinclair ZX81 mit

1 KB RAM gekauft. Ich wusste zwar nicht, was das

ist, aber ich musste es ausprobieren.

Welche frühen Rap-Songs haben dich damals geprägt?

UTFO, Afrika Bambaataa, „Planet Rock“, „Looking

for the Perfect Beat“ – das war mein Einstieg.

„Jetzt geht’s ab“ ist 1991 auf Platz 22 der Albumcharts

gelandet. Für das erste deutschsprachige

Rap-Album ist das nicht übel gewesen, oder? Wie

habt ihr das damals aufgefasst?

Das weiß ich heute nicht mehr so genau. Aber um

eine Größenordnung zu geben: Wir haben innerhalb

eines Jahres 15.000 Alben verkauft. Das war

in den Zeiten damals nicht gerade berauschend

viel, für einen Newcomer aber in Ordnung. Interessanter

wurde es dann mit „Die da!?!“. Von unserem

zweiten Album haben wir pro Tag 15.000

verkauft.

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 19


„Ich bin Autodidakt. Wie man

einen Drumcomputer baut, hatte

ich mir einfach aus ein paar

Elektronikzeitschriften

zusammengelesen.“

20 BACKSPIN #115 Sommer 2014


Lass uns bitte noch bei „Jetzt geht’s ab“ bleiben.

Das Album erschien auf Columbia, also einem

Major-Label. Welche Erfahrungen habt ihr mit der

Plattenfirma damals gemacht? Wurdet ihr nur mit

spitzem Finger angefasst?

Das habe ich gar nicht so miterlebt, da kann der

Bär sicher mehr zu erzählen. Was ich aber weiß, ist,

dass wir einen sehr ambitionierten A&R hatten, der

uns ja auch entdeckt hatte: Fitz Braum.

In der damaligen Hip-Hop-Szene hattet ihr in euren

frühen Jahren einen schweren Stand. Man warf

euch Sell-out vor und dass ihr euch zu Hampelmännern

gemacht hättet. Wie hast du das erlebt?

So viele Szenekontakte hatten wir gar nicht. Außerdem

gab es ja kaum Informationsfluss. Wenn

man mal wen traf, dann auf einer Jam. Ich erinnere

mich da an eine, auf der auch Torch war. Der

spielte damals mit Advanced Chemistry hauptsächlich

noch englischsprachige Songs, wir schon

deutschsprachige. Die deutschsprachigen Stücke,

die die brachten, waren mehr eine Persiflage, die

englischsprachigen hingegen waren sehr ernst.

Aber wie auch immer, es war okay. Aber auf den

klassischen Hip-Hop-Jams wurden wir schon sehr

kritisch beäugt.

Wie hat es sich angefühlt, ein Feindbild der Hip-

Hop-Szene gewesen zu sein?

Ich habe immer versucht, das nicht an mich heranzulassen.

Es hat uns auf jeden Fall noch stärker

gemacht. „Sell-out“ heißt ja wörtlich „Ausverkauf“.

Nur kann man eben nicht ausverkaufen, was noch

gar nicht groß ist. Wir waren ja erst dabei, es groß

zu machen. Das hatten viele aus der Szene nicht

verstanden. Die haben sich schon damals in ihrem

Miniuniversum der Jams groß gefühlt und sich

da totgelaufen. Dem habe ich für mich persönlich

dann auch die Relevanz abgesprochen.

Du hattest vorhin gesagt, dass der Plan, den euch

euer Manager aufgestellt hatte, exakt aufgegangen

ist. Demnach habt ihr euren kompletten Verlagsvorschuss

in die Produktion eurer Demos gesteckt?

Drei Songs haben wir von dem Geld produziert.

Finanziell kam ich damals gerade so über die Runden.

Durch ein Praxissemester während meines

Studiums hatte ich einiges an Kohle verdient. Damit

konnte ich die brotlose Fanta4-Zeit überstehen.

Durch Konzerte kam dann auch immer mal was

rein. Der nächste große Vorschuss kam damals mit

der „4 gewinnt“-Platte. Da bekamen wir alle vorweg

mal Geld, damit wir auch leben konnten. Und

dafür haben wir das Geld auch verwendet.

Wart ihr damals in der Situation, dass ihr bald von

der Musik leben musstet?

Als wir „Jetzt geht’s ab“ produzierten, nahm ich

mir ein Urlaubssemester. Danach hatte ich die

Wahl: Zurück ins Technische-Informatik-Studium

oder abbrechen. Ich brach ab. Zu dem Zeitpunkt

war allerdings noch absolut unklar, ob wir davon

werden leben können. Umso klarer waren wir

uns darüber, dass man Vollgas geben muss. Wir

wohnten damals alle noch bei unseren Eltern, das

half sicherlich. Denn professionell Musik zu machen

und nebenher noch einem Beruf nachzugehen,

ist ziemlich schwer. Diese Situation mussten

wir also vermeiden.

Und mit „Die da!?!“ habt ihr darauf eine Antwort zu

geben versucht?

„Die da!?!“ war absichtlich so gehalten, dass der

Song im Radio gespielt werden kann. Man muss

dazu wissen, dass die deutsche Radiolandschaft

extrem vom Scheitern der Neuen Deutschen Welle

geprägt war. Die wollten überhaupt keine deutschen

Texte mehr haben und Rap noch weniger.

Hip-Hop war für das Radio gar kein Thema. Und

dann kommen wir mit gleich zwei No-gos. Aber

wir wollten es schaffen, im Radio stattzufinden.

Der Drang, gehört zu werden, war einfach sehr

groß in uns. Dass wir dafür auch belächelt wurden,

haben wir natürlich gespürt, wir sind ja nicht doof.

Wie würdest du heute die Entwicklung beschreiben,

die ihr zwischen eurem ersten und eurem

zweiten Album genommen habt?

Technisch hat sich nicht so viel verändert. Ich habe

weiter mit dem S1000 gearbeitet, nun allerdings

mit zwei Geräten, und ein paar Synthesizer kamen

noch dazu. Und wir hatten natürlich mehr knowledge.

Die Arbeitsabläufe waren erst mal auch dieselben

geblieben. Die Jungs texteten in meinem

Kinderzimmer und ich schraubte währenddessen

an der Musik. Heute ist das leider nicht mehr so.

Dabei funktioniere ich so am besten, weil da ein

Vibe entsteht, den ich brauche, um zu wissen,

wo es lang geht. Wir sind halt eine Crew. Dieses

Grundverständnis ist auch noch heute da.

Wie macht ihr es denn heute, wo ihr alle in anderen

Städten wohnt? Schafft ihr es noch, diesen

Vibe zu erzeugen, den du brauchst?

Wir kennen uns ja länger als jeden anderen Menschen,

mit dem wir intensiv zu tun hatten. Das

ist wie eine Ehe. Natürlich liebt man sich – und

trotzdem gibt es schwierige Momente. Das ist

eine große Herausforderung. Ich kann durchaus

verstehen, wenn Bands das 25-jährige Jubiläum

nicht erreichen. Aber wir waren diese Woche zusammen

in der Eifel. Die drei Jungs haben Texte

geschrieben und ich habe Songs arrangiert, die ich

noch in Bearbeitung hatte. Das hat mir gutgetan. In

dieser Konstellation zu arbeiten, macht mich viel

zielgerichteter.

Die Fantastischen Vier feiern in diesem Jahr ihr

25-jähriges Bandjubiläum. Wie habt ihr all die Jahre

euer Feuer am brennen gehalten?

Die Albumproduktion war früher wichtiger als heute.

Heute sind für mich die Auftritte das eigentliche

Ding. Das kommt daher, dass die Stücke, die dort

gespielt werden, die besten der besten sind. Da

haben sich zeitlose Stücke versammelt. Natürlich

ist eine Weiterentwicklung mit neuen Songs auch

wichtig. Aber letzten Endes haben wir nur noch die

Bühne, um wirklich etwas zusammen zu machen.

Wie siehst du eigentlich die heutige deutsche

Hip-Hop-Szene? Inzwischen sieht man ja vieles

weitaus lockerer als zum Beispiel während eurer

Anfangszeit …

Diese Definitionsfrage wurde mir irgendwann vollkommen

egal. Musikalisch geht mein Geschmack

ohnehin weit über Hip-Hop hinaus. Meiner Meinung

nach macht aber genau das Hip-Hop aus:

Er war immer die ideale Spielweise, um all diese

unterschiedlichen Geschmäcker zusammenzubringen.

Das fand ich spannend – aus zwei Welten

eine neue Welt zu bauen. Das war für mich die Herausforderung.

Auch wenn du sagst, dass dich die Definitionsfrage

nicht mehr schert: Ist euer neues Album „Rekord“

in deinen Augen ein Hip-Hop-Album?

„Rekord“ ist ein Album, das sehr modern klingt.

Darauf hört man moderne Musik, die abgeht,

manchmal mit einer Prise Old School. Erst wollten

wir ein reines Old-School-Album machen. Das

können wir zwar sehr gut, aber es hat uns einfach

nicht so gekickt. Also haben wir versucht, unseren

Modernitätsgedanken beizubehalten.

Was denkst du, wie lange werdet ihr das noch machen?

Ist es heute für dich denkbar, dass die Fantas

auch mal ihr 50-jähriges Bandjubiläum feiern

werden?

Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Aber wer,

wenn nicht wir, sollte das überhaupt erreichen

können? B

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 21


Protokoll: Niels Wendt, Andreas Mehring

Foto: Eric Anders, Jonas Kaltenkirchen,

Ole Westermann

Gibt es keine kreativeren Beleidigungen?

Eine Talkrunde mit

Tobi Schlegl, Falk

Schacht und Fler

Am 28. März hat sich die Sendung „aspekte“ im ZDF dem Thema Homophobie in Rap-Texten

angenommen. Es wurde ein kurzer Film mit Said, BSH und Prinz Pi gezeigt, anschließend

kamen Sookee und Marteria als Studiogäste zu Wort. Falk Schacht kritisierte die Sendung in

einem offenen Brief, „aspekte“-Moderator Tobi Schlegl anwortete ebenfalls mit einem offenen

Brief. Wir haben die beiden zu einem Gespräch eingeladen. Als dritten Talkgast luden wir Fler

dazu, einen Rapper, der bekanntermaßen Erfahrung damit hat, auch von Mainstream-Medien

für seine Texte kritisiert zu werden.

22 BACKSPIN #115 Sommer 2014


Niko: Tobi, in deinem offenen Brief als Antwort

auf Falks Kritik hast du sinngemäß geschrieben,

dass sich die Gesellschaft, und damit auch die

Hip-Hop-Szene, mit dem Thema Homophobie

auseinandersetzen müsse. Bereitet dir die Wortwahl

gewisser Künstler Probleme?

Tobi: Zunächst: Hip-Hop muss gar nichts. Die Gesellschaft

sollte sich immer wieder hinterfragen.

Gerade wenn es um Themen wie Homophobie

und Frauenfeindlichkeit geht. Und zu dieser Gesellschaft

gehört auch Hip-Hop.

Niko: Falk, du hast die Sendung mit einem

offenen Brief kommentiert. Was hat dich dazu

veranlasst?

Falk: Der Grund, warum ich Journalist bin, ist,

dass ich immer unzufrieden mit der Berichterstattung

der Mainstream-Medien über Hip-Hop

war. Ich reagiere da als Medienkonsument. Und

mir wurde dieses kritische Thema, das für mich

sehr komplex ist, schlicht zu kurz besprochen.

Homophobie oder Frauenfeindlichkeit in Hip-

Hop-Texten kann man nicht in 120 oder 180

Sekunden klären.

entstand der Eindruck, dass man es nur aus

Alibi-Gründen getan hat.

Tobi: Es war echt ein Kampf, dass wir ein Stück

über Hip-Hop machen konnten, dass wir ein Gespräch

machen, dass wir zwei Hip-Hop-Künstler

dahaben. Der ZDF-Durchschnittszuschauer ist

50 Jahre alt, dem muss man Hip-Hop erklären.

15 Minuten für eine Art Hip-Hop-Block zu haben,

ist totaler Luxus – das gibt es viel zu selten.

Wir haben nicht gesagt: „Dieser Hip-Hop ist ja

so schwulenfeindlich.“ Wir haben Marteria gefragt,

warum ihm in „OMG“ die Zeile „Gay okay“

wichtig war. Wenn Falk für dieses Thema mehr

Wenn man einen Mann in der Competition beleidigen will,

dann versucht man erst mal, ihn in seiner Männlichkeit einzuschränken.

Zum Beispiel: „Du fickst nicht so viele Frauen,

du bist kein breiter Typ.“ (Fler)

Niko: Deshalb wurde das Thema von der

„aspekte“-Redaktion aufgegriffen?

Tobi: Wir hatten das ehrliche Bedürfnis, uns mit

Hip-Hop auseinanderzusetzen. Wir hatten einen

Film mit Said, Bass Sultan Hengzt und Prinz Pi,

die wir interviewt haben. Die Überschrift des

Films war: „Wie authentisch ist Hip-Hop und was

macht den Hip-Hop aus?“ Dazu waren Sookee,

die für eine gewisse Haltung steht und gegen

das Testosteron im Hip-Hop kämpft, und Marteria

im Studio. Wir wollen mit unserer Sendung die

Kunst ernst nehmen, aber nicht nur Hofberichterstattung

machen. Wenn du dich als Journalist

mit Dingen auseinandersetzt, suchst du natürlich

auch einen Kritikpunkt. Zudem zeigen die Moderatoren

von „aspekte“ Haltung. Und für mich war

ein Kritikpunkt, dass es 2014 immer noch Homophobie

und Frauenfeindlichkeit in Songtexten

gibt.

Niko: Würde Hip-Hop eigentlich einen Teil seiner

Spannung verlieren, wenn man aus Rücksichtnahme

eine Art Selbstzensur betreibt?

Tobi: Total! Wir sind die Letzten, die sagen,

dass Hip-Hop irgendwelchen Regeln folgen

soll. Hip-Hop, Kunst und Satire dürfen einfach

alles, und so muss es auch bleiben. Der Punkt,

wo Falk gebissen hat, war nur, dass er gemerkt

hat, dass die Medien plötzlich den Zeigefinger

gehoben haben. Aber so war es nicht gemeint.

Die Redaktion von „aspekte“ weiß, dass Hip-

Hop Straße und Jugendkultur ist. Die einzige

Sache, die Falk gestört hatte, war meine überspitzte

Frage, warum es mit den Texten so sein

muss.

Falk: Nein, was mich störte, war der Fakt, dass

man eigentlich keine Zeit hatte, die empfindliche

Seite des Themas aufzuarbeiten, dadurch

Zeit bei uns einfordert, dann kann ich nur sagen:

Drei Minuten im TV sind schon verdammt viel.

Und egal, welches Thema man behandelt, man

muss auch auf die Punkte zu sprechen kommen,

die man kritisieren kann. Das ist meine journalistische

Auffassung. Ich weiß selber, dass das

sehr knapp ist, aber mir war wichtig zu sagen,

dass wir auch in dieser Sendung für die Künstler

da sein wollen. Wir wollen dafür kämpfen, dass

Hip-Hop auch in den großen Medien einen Platz

findet. Und da habe ich mich an der Ehre gepackt

gefühlt. Wir kämpfen dafür, dass wir hier

Live-Fernsehen machen können, eben nicht nur

für die 50-Jährigen, und dann wird man trotzdem

noch angefahren.

Falk: Wenn man mehr Zeit gehabt hätte, wäre

man an den Punkt gekommen, dass Schwulenfeindlichkeit

Teil der Gesellschaft ist, und diese

Feindlichkeit wird in den Hip-Hop mitgebracht,

Sommer 2014 #115 BACKSPIN 23


die Gesellschaft ist ja nicht böse, weil Hip-Hop

böse ist, sondern andersrum.

Tobi: Es geht ja gar nicht um die Diskussion, dass

die bösen Medien die Straße aus dem Hip-Hop

kriegen wollen.

Fler (zu Tobi): Vielleicht willst du das nicht, aber

viele Medien wollen das.

Tobi: Ich kann nicht für die Medien sprechen, sondern

nur für mich. Ich bin mit Grunge, aber auch

mit Hip-Hop aufgewachsen. Ich habe „Fremd im

eigenen Land“ gehört. Ich habe das Rödelheim

Hartreim Projekt dafür geschätzt, wie es die Fanta4

gedisst hat. Mit Samy und den Beginnern bin

ich ebenfalls groß geworden. Deshalb berührt

machen würden. Und es kam nie jemand, der, so

wie du, sagt: „Ich verstehe, dass ihr nicht frauenfeindlich

seid, aber muss das denn sein?“ Dann

hätte es ja auch eine Diskussion gegeben.

Falk: Das Thema ist schwierig. Zumal es sicherlich

viele Rapper gibt, die Homosexualität für sich

selbst problematisch finden.

Fler: Das ist aber auch deren Recht.

Falk: Absolut. Aber wenn man beginnt, andere zu

diskriminieren, entsteht ein Problem.

Fler: Okay. Aber die Mainstream-Medien verhalten

sich so, als würden sie Street-Rap anstößig

oder sogar scheiße finden.

Tobi: Mir ging es darum, mal nachzufragen.

Fler: Das ist cool. Aber es gibt so viele Rapper da

draußen, bei denen nie nachgefragt wird. Daher

musste sich der Straßenrap in Deutschland auch

ein Stück weit aufgeben, weil die Medien einfach

nichts mehr zugelassen haben.

Tobi: Aber nun gibt es doch das Internet, also

musst du dich nicht mehr verstellen.

Fler: Ich sowieso nicht. Seitdem die Mainstream-

Medien nicht mehr die Meinungsmacher sein

können, weil es das Internet gibt, liegt es ja an

jedem Einzelnen, zu sagen: „Pass‘ auf, ich mache

mein Ding, ich mache das, was ich wirklich

bin.“ Und wenn ich damit Erfolg habe, dann liegt

Wir kämpfen dafür, dass wir hier Live-Fernsehen machen

können, eben nicht nur für die 50-Jährigen, und dann wird

man trotzdem noch angefahren. (Tobi Schlegl)

mich das auch, und deshalb schaue ich bei Hip-

Hop genauer hin. Aber ich will Hip-Hop nicht moralisch

säubern. Es geht hier nur um meinen subjektiven

Standpunkt. Warum jetzt noch immer?

Fler: Rapper, die eine große Fanbase haben

und solche Wörter benutzen – da bekommt die

schwule Community natürlich Angst. Das kann

ich nachvollziehen.

Tobi: Kannst du auch verstehen, dass es da welche

gibt, die sich dadurch diffamiert fühlen?

Fler: Ja, kann ich.

Tobi: Aber du würdest es nicht ändern?

Fler: Nein. Berliner Rap hat sich immer darüber

definiert, dass er straighten Rap nach vorne gebracht

hat. Uns wurde von Tag eins immer angekreidet,

dass wir das aus speziellen Gründen

Tobi: Ich habe zum Beispiel vor ein, zwei Monaten

ein super Interview mit Samy Deluxe in der

Süddeutschen gelesen.

Fler: Samy ist ein politisch Korrekter geworden.

Ich denke auch, dass das am Ende der einzige

Weg ist: auf nett und politisch korrekt machen.

Tobi: In die Charts kommt man aber auch so.

Fler: Erst das Internet hat diese freie Meinungsäußerung

möglich gemacht. Und noch etwas:

Glaubst du nicht, wenn so harte Typen wie wir,

ich übertreibe jetzt, wirklich schwulen- und

frauenfeindlich wären, dass wir dann nicht

darauf scheißen und es einfach so behaupten

würden?

Tobi: Ja.

Fler: Aber ich tue das nicht, weil ich das nicht bin.

es an mir selbst, weil ich mein Business auf die

Reihe kriege. Und wenn Farid Bang und Kollegah

100.000 Platten verkaufen, dann hat keiner in deinem

oder einem anderen Sender dazu beigetragen.

Das haben die Jungs alles alleine gemacht.

Tobi: Dann lass uns zur Gesellschaft zurückkommen.

Die Frage ist ja, ob es so bleiben muss mit

der Homophobie. Ich glaube, dass sich in den

letzten Jahren viel getan hat, gerade was Respekt

gegenüber Schwulen und Frauen angeht. Wenn

Hip-Hop ein Spiegelbild der Gesellschaft ist, dann

müsste Hip-Hop auch liberaler werden. Und das

heißt, dass „schwul“ nicht als Schimpfwort gebraucht

wird.

Fler: Wo sind wir denn nicht liberal? Genauso wie

ein Typ sagt, er steigt gerne mit einem Typen in

die Kiste, will ich sagen: Ich stehe auf Blondinen.

Tobi: Das ist ja okay.

24 BACKSPIN #115 Sommer 2014


Fler: Nein. Jedes Mal, wenn ich einen Song mache

und sage „Ey, du geile Blondine, zieh‘ dich mal

aus“, sagen alle: „Der ist frauenfeindlich.“

Tobi: Andersherum: Glaubst du, dass es Frauen

gibt, die das nicht gut finden?

Fler: Ja, das ist dann deren Meinung. Aber ich

mache es trotzdem. Es gibt ja auch Sachen, die

Frauen machen, die ich nicht gut finde.

Tobi: Solange du sagst, dass es deine Meinung ist,

ist das ja alles cool. Wenn du sagst, dass du nur

das widerspiegelst, was die Gesellschaft sagt …

Fler: … Leute wie ihr sagt, ich würde die Gesellschaft

widerspiegeln. Die Gesellschaft gibt einen

Niko: Die Homophobie ist ja nur eines der Themen,

mit denen deutscher Rap in den Mainstream-Medien

für Aufsehen gesorgt hat. Daneben

gab es Debatten über die Verherrlichung

von Drogenkonsum, Sexismus, Gewalt oder die

N-Wort-Debatte. Falk: Wie wurde damit denn umgegangen?

Falk: Du meinst die N-Wort-Ausmerzung vor

zwölf, 13 Jahren? Das Wort wurde damals von

schwarzen und nicht-schwarzen Berliner Rappern

intensiv benutzt. Dann kamen Rapper wie Afrob,

Dean Dawson, Samy Deluxe oder auch D-Flame,

die die Rapper damit konfrontiert und denen klargemacht

haben, dass sie das scheiße finden. So

kam es zu einer Art Selbstreinigung. Vor etwa ein,

zwei Jahren gab es im Battle-Rap wieder Weiße,

benutzt, weil sie Rassisten sind. Im Gegenteil.

Die wären doch auch gerne schwarz gewesen,

einfach weil sie schwarze Vorbilder haben. Die

meisten meiner Vorbilder sind auch schwarz.

Und somit ist es ein Hip-Hop-Ding, was auch

unter Hip-Hoppern geklärt werden muss.

Falk: Okay, hier gibt es schwarze Rapper, die

zu weißen Rappern sagen, dass sie das Wort

„Nigger“ nicht verwenden sollen. Aber es gibt

hier keine offen schwulen Rapper. Ich fände es

super, wenn die sich outen würden, kann aber

verstehen, warum sie das nicht tun. Nur gibt es

dadurch im Rap keine Schwulen-Lobby, die auf

die Rapper zugehen und sagen könnte, dass sie

Wörter wie „Schwuchtel“ nicht mehr benutzen

sollen.

Hier gibt es schwarze Rapper, die zu weißen Rappern sagen,

dass sie das N-Wort nicht verwenden sollen. Aber es gibt

hier keine offen schwulen Rapper – und darum gibt es im

Rap auch keine Schwulen-Lobby. (Falk)

Fick auf mich. Warum soll ich für die Gesellschaft

hier sitzen? Die Gesellschaft formt mich nicht. Sie

gibt mir bestimmte Sachen, und mit denen muss

ich arbeiten. Aber ich bin nicht der Meinung, dass

es so und so viele Kriminelle und Arbeitslose in

Deutschland gibt, weil die Gesellschaft sie dazu

macht. Ich bin der Meinung, dass jeder morgens

aufstehen und sein Ding machen muss.

Falk: Ich glaube, wenn sich in diesem Land politisch

etwas ändert, und wenn Homosexuelle

zu 100 Prozent gleichberechtigt sind, wird sich

das auch in der Hip-Hop-Szene widerspiegeln.

Da aber bis heute von Konservativen und christlichen

Gruppen immer noch verhindert wird,

dass Homosexuelle gleichberechtigt sind, existiert

auch die Diskussion darüber. Das Aberwitzige

daran ist, das genau in diesem Punkt Rapper

das aussprechen, was viele Konservative denken.

Es ist ein langer Prozess, das zu verändern.

die das Wort eingesetzt haben. Also ging die

Diskussion wieder los – und auch diese Rapper

hörten auf, das Wort „Nigger“ zu verwenden. Dabei

gab es aus dem Publikum viel Gegenwehr.

Viele meinten, sie würden Schwarze kennen, die

kein Problem damit hätten und dass das Wort

doch bloß ein Füllwort sei. Ich habe aber seitdem

das Wort nicht mehr benutzt gehört. Also hat die

Diskussion etwas gebracht.

Fler: Das hat seinen Ursprung darin, dass amerikanische

Rapper das Wort benutzt haben –

und die Deutschen es dann als cooles Wort benutzen

wollten. Das heißt, ein deutscher Rapper

wollte das Wort benutzen, weil er es bei seinem

Idol gehört hatte. Und wenn dann ein Afrob und

ein D-Flame oder Brothers Keepers sagen, dass

sie das nicht in Ordnung finden, dann haben

sie das Recht dazu, weil sie einen ganz anderen

Bezug haben. Dann einigt sich die Rap-Szene.

Trotzdem haben die Rapper dieses Wort nicht

Fler: Für mich ist das kein Hip-Hop-Thema, die

Sexualität hat mit Hip-Hop nichts zu tun.

Falk: Wenn es um Frauenfeindlichkeit und Homosexualität

geht, scheint die Nutzung von Begriffen

wie „Schwuchtel“ als weniger schlimm

empfunden zu werden, als wenn das Wort

„Nigger“ benutzt wird. Eventuell liegt es daran,

dass Deutschland aus dem historischen Kontext

des Zweiten Weltkriegs und des Dritten Reichs

heraus eher eine Sensibilisierung besitzt, was

Rassismus betrifft. Auch hier ist Hip-Hop wieder

ein Spiegelbild, an dem man sieht, was gesamtgesellschaftlich

als problematisch empfunden

wird und was eher nicht.

Niko: Tobi, siehst du in den Texten einiger Rapper

eine Gefahr für die Jugend?

Tobi: Quatsch! Das ist nicht der Punkt. Da bist du

Sommer 2014 #115 BACKSPIN 25


dann auch wieder bei der Debatte, ob Computerspiele

Amokläufe auslösen können.

Fler: Ich als Rapper sage dir, die Songs und die

Videospiele und die Filme ficken die Köpfe der

Kinder.

Tobi: Wenn die Kinder schon so veranlagt sind,

kann das natürlich noch ein Auslöser sein.

Fler: Wenn der Jugendliche keinen Back-up von

der Familie hat, dann ist er ganz schnell in diesem

Film drin.

Falk: Aber der Film macht nicht den Jungen kaputt.

Ich habe neulich einen Artikel gelesen, in dem

berichtet wurde, dass Jugendliche, die in einem

schwierigen Umfeld aufwachsen, eine Tendenz

aufweisen, sich mit Inhalten zu beschäftigen, die

Fler: Es wird hier eben auch zu wenig gefeiert,

wenn jemand von unten nach oben kommt.

Falk: Die meisten der Journalisten der Massenmedien

stammen aus gebildeten Familien, haben

studiert usw. – und genau das führt für mich dazu,

dass ich bei Journalisten häufig denke, dass sie

keine ausreichende Empathie empfinden, um

sich in soziale Schichten zu versetzen, die schwächer

sind als ihre eigene. Ich kenne das von mir

selber, ich konnte das auch nicht, als Aggro Berlin,

Sido, Bushido und Fler aufgetaucht sind. Ich

komme zwar selber aus der Unterschicht, aber

ich habe die Aggro Berliner nicht verstanden.

Was reden die von Ghettos, es gibt keine Ghettos.

So habe ich 2004 gedacht, und ich musste

das erst lernen zu verstehen, dass ich nicht recht

habe.

Tobi: Du hast vorhin gesagt, dass du Begriffe in

deinen Texten hast, die Schwule falsch verstehen

könnten. Mein Ansatz war nur, zu fragen, was

wäre, wenn du darauf verzichten würdest. Du

kannst die Leute beleidigen wie du willst, aber du

beleidigst sie nicht als Schwuchtel oder schwul.

Fler: Um eines klarzustellen: Ich mache den harten

Content nicht nur, weil ich eine so harte Kindheit

hatte. Für mich ist das auch der Inbegriff von

Rap-Egotrippin’. Wenn ich einen Song schreibe,

trete ich da mein Ego breit und mache Machogehabe,

weil es für mich eine Kunstform ist. Das ist

für mich Rap. Alles andere ist für mich kein Rap.

Für mich ist das, was ich mache, der richtige Rap,

und am Ende des Tages mache ich das auch, weil

eben darauf Battle-Rap basiert – dass der eine

Rapper dem anderen eine Ansage macht.

Wir sind die Letzten, die sagen, dass Hip-Hop irgendwelchen

Regeln folgen soll. Hip-Hop, Kunst und Satire dürfen einfach

alles, und so muss es auch bleiben. (Tobi Schlegl)

von der Gesellschaft als kritisch angesehen werden.

Das bedeutet also, die Umstände produzieren

den Charakter, der sich mit solchen Inhalten umgibt,

und nicht andersrum. Auf der anderen Seite:

Ich war N.W.A-Fan und bringe dennoch niemanden

um. Daher regt es mich immer auf, wenn Hip-Hop

kritisiert wird. Hip-Hop hilft doch auch den Kids.

Wenn du (zu Fler) keinen Hip-Hop gehabt hättest,

was würdest du heute machen? Auf der Straße

versuchen, dein Geld zu machen, oder?

Fler: Wahrscheinlich.

Falk: Das heißt: Alle Kids, die in der Lage sind, sich

mit Hip-Hop zu beschäftigen, sind erst mal von der

Straße abgelenkt. Und wenn sie dann noch Erfolg

haben und sogar Geld damit verdienen, können

wir uns doch nur bedanken.

Tobi: Total.

Falk: Diese Sichtweise wird aber zu selten dargestellt

und kommuniziert.

Fler: Du hast die Wut nicht verstanden.

Falk: Die Wut habe ich verstanden. Ihr habt aber

von Ghettos geredet, da habe ich mir gesagt: Was

denn für Ghettos? Gangsta-Rap gibt es in Amerika,

warum reden die hier davon? Aber dann hab’

ich mich beschäftigt mit dem Thema. Und das

ist genau der Punkt. Das muss man tun, wenn

man darüber reden will. Und ihr hattet recht mit

vielen Dingen, von denen ihr erzählt habt. Es gibt

Ghettos, es gibt diese sozial benachteiligten Menschen,

aber die hatten nie ein Forum – und dafür

ist Hip-Hop super. Ich finde auch, dass Hip-Hop

wahnsinnig viel zur Integration beiträgt. Wo hattest

du denn in Deutschland jemals Künstler mit

Migrationshintergrund, die Helden von Jugendlichen

waren? Das gibt es erst, seit Hip-Hop da ist.

Fler: Mich stört immer noch das Missverständnis

zwischen der Straße und den Leuten, die nicht

von der Straße sind. Wenn Leute, die nicht von

der Straße sind, versuchen zu erklären, warum

die von der Straße so und so sind.

Tobi: Meine Frage ist auch eher eine Art Denkspiel.

Was würdest du denn zum Beispiel sagen,

wenn du einen Disstrack gegen Falk machen würdest?

Fler: Ich würde ihn erst mal ’ne Pussy nennen.

Tobi: Wenn du ihn als Pussy bezeichnest und

nicht als Schwuchtel, wäre das doch okay.

Fler: Gut, aber da gibt es noch tausend andere

Worte.

Niko (zu Tobi): Vielleicht hältst du dich zu sehr an

diesem einen Wort fest?

Tobi: Das tue ich nicht. Die Frage ist nur, ob es

nicht kreativere Beleidigungen gibt.

Fler: Natürlich gibt es kreativere Beleidigungen.

Aber wenn man einen Mann in der Competition

beleidigen will, dann versucht man erst mal,

ihn in seiner Männlichkeit einzuschränken. Zum

26 BACKSPIN #115 Sommer 2014


Beispiel: „Du fickst nicht so viele Frauen, du bist

kein breiter Typ.“ Diese ganzen Klischees, damit

arbeiten wir. Aber genauso kommen auch andere

Leute und sagen: „Guck’ dir mal die dummen

Proleten an, die denken, die sind toll, weil sie so

breit sind, so aufgepumpt und jeden Tag eine andere

Frau flachlegen.“ Das gleicht sich doch aus.

Tobi: Ich würde es dennoch schade finden,

wenn 2050 das Wort „schwul“ noch immer ein

Schimpfwort wäre.

Falk: Wenn wir das Wort „schwul“ durch ein anderes

Wort ersetzen, dann ist doch immer noch

jemand diskriminiert, nur eben anders ausgedrückt.

Der Punkt ist, dass Hip-Hop auf einer

Battle-Kultur basiert. Ich bin mir ziemlich sicher,

dass es ein menschlicher Urinstinkt ist, sich auch

in Zweikämpfen auszudrücken. Jeden Tag wird

Fler: Im Grunde geht es doch darum, Ereignisse

zu schaffen. Rosenstolz sollen einen Track mit

Bushido machen. Damit bringen die dieses Land

voran und verbinden Menschen.

Tobi: Habt ihr denn das Gefühl, dass sich textlich

schon etwas getan hat? Wird in den Texten heute

mehr auf Schwulenfeindlichkeit verzichtet?

Niko: Mir ist aufgefallen, dass es inzwischen

mehr, sagen wir, FSK-6-Musik gibt.

Tobi: Denkst du, dass das daran liegt, dass die

Rapper sich damit mehr in Richtung Mainstream

bewegen wollen?

Niko: Vielleicht, vielleicht ist es aber auch so,

dass die Rapper älter werden. Ein bisschen Verstellen

gehört aber auch immer dazu. Denkst du,

bist, kriegst du das vom Musikchef vorgesetzt.

Und der ist abhängig von Marktforschungen.

Man will ja in den Umfragen und in der Quote gut

dastehen. Deswegen bin ich dankbar, dass es das

Internet gibt.

Fler: Trotz der Marktforschung sind viele Medien

heute nicht mehr so relevant. Am Ende des Tages

verkaufen wir mehr Platten, wenn wir im Internet

ein Video hochladen, anstatt uns in eine Sendung

zu setzen, die eh keinen interessiert. Der einzige,

der da einiges richtig gemacht hat, ist Stefan

Raab. Er ist der einzige, der sich die ganzen Rüpel-

Rapper in seine Sendung geholt hat.

Niko: Zum Abschluss noch einmal die Frage:

Wäre es das Ende der Rap-Kultur, wenn es nur

noch brave, politisch korrekte Texte geben würde?

Wo sind wir denn nicht liberal? Genauso wie ein Typ sagt, er

steigt gerne mit einem Typen in die Kiste, will ich sagen: Ich

stehe auf Blondinen. (Fler)

auf der Erde Krieg geführt, der Mensch ist ein

aggressives Wesen. Der Battle-Rap ist für mich

immerhin eine künstlerische Auseinandersetzung

mit diesem Problem, anstatt es mit physischer

Gewalt umzusetzen. Damit ist der Gedanke von

Battle-Rap für mich schon die Lösung des Problems.

Tobi: Natürlich besteht Hip-Hop aus Battle-Rap,

das habe ich voll akzeptiert. Aber muss das denn

auch schwulenfeindlich sein?

Fler: Wenn du nicht möchtest, dass die Allgemeinheit

denkt, dass Rapper schwulenfeindlich

sind, dann mach’ eine Sendung, hole einen Rapper,

der angeblich dafür steht, setze ihn mit einem

Schwulen an einen Tisch, und die beiden sollen

reden. Dann hast du das Problem gelöst.

Tobi: Was würdest du sagen, wenn ein Mitglied

von Rosenstolz oder Sookee dir gegenübersitzen

und sagen würde: „Ich komme mit deinen Texten

nicht klar, die beleidigen mich.“

dass die großen Medien vielleicht einfach nicht

so geübt sind im Umgang mit Rap?

Tobi: Ja, aber das kannst du auf viele Kulturen

beziehen. Mit Blick auf Rap ist es jedoch sicher

so, dass zu wenig passiert. Man hat als Rapper

in den großen öffentlichen Programmen kein Forum.

Und das prangere ich genauso an. Wenn wir

sagen, dass wir etwas zu Hip-Hop machen wollen,

dann könnte das darauf hinauslaufen, dass

wir eventuell nur jedes halbe Jahr was machen,

da wir uns ja auch um alle anderen Kunst- und

Kulturformen kümmern wollen.

Falk: Wer ist eigentlich „wir“?

Tobi: Die Sendung, die Redaktion. Was ich aber

sagen kann, ist, dass in den Redaktionen, in denen

ich bisher gearbeitet habe, sei es Viva, 1Live

oder jetzt „aspekte“, Rap immer bedeutsam war.

Ich war allerdings nie Musikchef. Ich konnte bei

einem Radiosender nie entscheiden, was gespielt

wird. Wenn du Moderator bei einem Radiosender

Falk: Nein. Wir müssen da auch unterscheiden.

Es gibt Rapmusik, in der man darauf verzichten

kann. Es gibt aber auch welche, die nicht darauf

verzichten will, auch weil es ein Publikum dafür

gibt. Das ist beides legitim. Ich glaube, dass

sich das immer mal wieder verschieben wird. Je

nach gesellschaftlicher Akzeptanz. Aber einen

100-prozentig politisch korrekten Rap wird es

niemals geben, zumindest nicht, solange es keine

100-prozentig politisch korrekte Gesellschaft

gibt. Und Battle-Rap im Speziellen, ich spreche

jetzt von Battle-Rap-Veranstaltungen – da basiert

eben alles auf der kunstvollen Beleidigung. Deine

Frage (zu Tobi) war ja, ob man auf Beleidigungen

gegen Minoritäten verzichten kann. Es geht aber

beim Battle-Rap gerade darum, die kleinste Minorität

zu beleidigen, nämlich die Einzelperson dir

gegenüber. Das geht nicht anders. B

Sommer 2014 #115 BACKSPIN 27


aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa

BACKSPIN

FESTIVAL GUIDE 2014

Text: Frederike Arns | Fotos: Hip Hop Kemp, Fresh Island Festival

Mein lieber Leser und Freund des Hip-Hop-Festivals,

auf den Rock-Festivals schreien sie überall lauthals „HELGA!“ über den

Campingplatz. Was das genau soll, weiß keiner so recht. Nur warum haben

wir nicht längst schon so ein Ritual auf unseren Hip-Hop-Festivals?

Man weiß es nicht. Anbieten würden sich Rapperinnen-Namen wie Lauryn,

Kim, Missy oder Queen Latifah … MC Lyte und Sister Souljah sind

entsprechende Old-School- beziehungsweise Conscious-Varianten. „Bonita

Applebum“ wäre auch eine Möglichkeit. Agnes, Agatha, Germaine und

Jack auch. Mal ehrlich, wir würden uns bei all diesen Namen ziemlich verhaspeln.

Deswegen schlage ich vor, wir rufen einfach „ERIKA!“, denn das

lehnt an Erykah Badu an und sie ist schließlich „The Light“.

28 BACKSPIN #115 Sommer 2014


aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa MUSIC

In diesem Sinne: ERIKA! Denn es ist wieder so

weit, der Sommer steht vor der Tür und du hast

Bock auf Festivals, Sonnenbrand, Bier, Staub,

dreckige Air Max und natürlich Live-Hip-Hop-

Momente in „The Light’scher“ Manier. Hier liest du

alles, was du über die Hip-Hop-Festivals Europas

wissen musst. Ob du wohl alle zwölf Festivals aus

unserem ultimativen Festival Guide 2014 schaffst?

1. Touch The Air | 20. – 22. Juni:

Los geht es mit dem Touch The Air in Wohlen in

der Schweiz. Nehmen wir an, du legst wie wir von

BACKSPIN in Hamburg los. Dann musst du nämlich

erst einmal 878 Kilometer fahren, um dort überhaupt

anzukommen. Außerdem zahlst du stolze

114 Euro. Aber dann kannst du loslegen, mit Busta

Rhymes Reime sprengen, mit DMX bellen oder mit

den Funkdoobiest funky der alten Zeit huldigen.

Ein Highlight für dich ist es sicherlich, mit M.O.P.

bei „Ante Up“ herumzuspringen – da wird ja keiner

müde, obwohl er oder sie es schon so oft getan

hat. Wenn du eher zur pathetischen Sorte gehörst,

kannst du sogar Lieder von Xavier Naidoo mitsingen,

denn der gehört auch zum Line-up. Und wenn

du als Hip-Hop-Liebhaber eine Tendenz zum Electro

entwickelt hast, bist du hier erst recht richtig, denn

das Festival bedient neben Hip-Hop mindestens genauso

viele Electro-Acts. Bedenke aber immer, dass

die Schweiz sehr teuer ist und eine Mahlzeit mal 20

und ein Bier acht Euro kosten kann.

2. Mixery HipHop Open | 5. Juli:

Sollte dir die Schweiz zu teuer sein, hast du wenig

später die Möglichkeit, 655 Kilometer nach Stuttgart

zu fahren. Auf dem Canstatter Wasen, wo man

sonst Dirndl und Lederhosen antrifft und der Breakdancer

ein Karussell ist, findet die eintägige Mixery

HipHop Open für 65 Euro statt. Das Line-up ist den

Preis in jedem Fall wert. Nas präsentiert sein Meisterwerk

„Illmatic“ (hoffentlich nicht mit Teleprompter

wie beim Coachella), die Dilated Peoples weiten

deine Pupillen, die Hilltop Hoods kommen extra

aus Down Under und der musikalische Stuttgarter

Lokalkolorit lässt sich mit Afrob, den Orsons und

DaJuan natürlich auch blicken. Vielleicht ist es auf

dem Festival auch an der Zeit, detektivisch der Frage

auf den Grund zu gehen, was aus Mixery Raw

Deluxe geworden ist. Du kannst Falk ja fragen, falls

du Mischbier magst.

3. Openair Frauenfeld | 10. – 12. Juli:

Das Wochenende darauf musst du dich wieder in

die Schweiz aufmachen, denn das Openair Frauenfeld

steht an. Das sind satte 849 Kilometer von

Hamburg aus. Auch der Preis ist mit 155 Euro ganz

schön hoch, aber das Line-up bietet dir auch so ei-

Zwölf Festivals,

8.000 Kilometer

Strecke, 1.000

Euro Eintritt

6 7

10

4

8

9 11

2

12 1

3

5

niges: OutKast, Macklemore & Ryan Lewis, Pharrell sind das unglaubliche 1.419 Kilometer, aber du

Williams, Nas, T.I., Wiz Khalifa, M.I.A., Mobb Deep, wirst mit einer riesigen Strandparty und vielen

Schoolboy Q, Marteria, YG, Genetikk, die Hilltop schönen Menschen im Strandoutfit belohnt. Die

Hoods, Joey Badass, Danny Brown, Asap Ferg, die internationalen Acts sind bis jetzt Rick Ross, DMX,

Boot Camp Clik und viele weitere deutsche und internationale

Acts. Da rappt nicht nur die Clik „Here europäische Acts. Für 79 Euro geht das ziemlich

Pusha T, Method Man & Redman sowie viele ost-

We Come“!

klar.

4. splash! Festival | 11. – 13. Juli:

6. Spektrum | 2. August:

Wenn dir das Feld mit den Frauen zu weit weg ist, Juhu, unser erster Heim-Termin. Zum Spektrum

kannst du am gleichen Wochenende auch nach Ferropolis

zum splash! (386 Kilometer von Hamburg auf dem Festival mit dem interessantesten Line-

müssen wir nur die S-Bahn nehmen und landen

entfernt, circa 120 Euro, aber schon längst ausverkauft)

fahren. Trennte das Festival letztes Jahr noch da Künstler wie Neneh Cherry, Stalley, Haftbefehl,

up und dem besten Preis. Für nur 25 Euro treffen

die Gangster von den Hipstern und Conscious-Rappern,

mischt sich das Ganze dieses Jahr das erste tere aufeinander. Allein die Vorstellung, wie Neneh

SSIO, die Betty Ford Boys, Rejjie Snow und wei-

Mal so richtig durch. Das Reimemonster trifft auf Cherry mit Hafti (vielleicht zieht er ja mal wieder

den Kanalreiniger trifft auf den Panda trifft auf den seinen hippen Joy-Division-Pullover an) und den

Boss trifft auf „Die Leude“ trifft auf das Azzlackz- Betty Ford Boys backstage ein paar Gin Tonics und

Imperium trifft auf die beiden Mr. Jacksons. Gut so, Jack Daniels trinkt, amüsiert ausreichend.

denn schon letztes Jahr störten sich etwa viele daran,

dass das Azzlackz-Umfeld nicht gebucht wurde. 7. Mazury Hip-Hop Festiwal | 7. – 9. August:

Jetzt wird es abenteuerlich, denn es geht nach

5. Fresh Island | 23. – 26. Juli:

Giżycko in Polen, wo das Mazury Hip-Hop Festiwal

Jetzt geht es nach Kroatien, genauer gesagt zum stattfindet. Von Hamburg aus sind es stolze 1.027

Zrće Beach auf der Pag-Insel. Von Hamburg aus Kilometer, aber wenn du erst mal da bist, wirst du

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 29


aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa

aaaaaaaaaaaaaaaa MUSIC

von der Gegend begeistert sein. Giżycko liegt auf

der herrlichen masurischen Seenplatte und das

Festival findet in einer echten Festung statt. Vom

Line-up kennen wir nichts, Namen wie Sokół i Marysia

Starosta, Kękę, Małpa, Bezczel kommen eher

wie polnische Hieroglyphen daher. Aber vom Hip

Hop Kemp (s. u.) wissen wir zu gut, dass die Osteuropäer

es können. 100 Sloty sind gerade mal 25

Euro Eintritt. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!

8. Spack! Festival | 15. – 16. August:

Nun geht es zum Spack! – was ein spackiger

Name. Lasse dich davon nicht beirren, das Lineup

ist mit Samy Deluxe, Genetikk, Alligatoah,

Megaloh, MC Fitti, OK Kid, Chefket und weiteren

ganz ordentlich. Auch der VBT-splash!-Gewinner

Persteasy wird mit seinem Homegirl Naya Isso

aus der Federballklikke dabei sein. Man fragt sich

nur, was die Punkband mit dem unglaublich lächerlichen

Namen Itchy Poopzkid im Line-up soll.

Naja, etwas spackig eben. Das 60 Euro günstige

Festival findet übrigens in Wirges statt, das ist

505 Kilometer von Hamburg City entfernt – das

geht ja noch.

9. Afrika-Karibik-Festival | 14. – 17. August:

Am gleichen Wochenende können die Klänge

in Aschaffenburg (513 Kilometer) optional auch

eher afrikanisch-karibisch werden. Unter dem

Motto „One Race Human“ machen Afrob, Gentleman,

Mellow Mark, Moop Mama, Samy Deluxe

und Wyclef Jean zusammen Mucke. Schade,

dass der gute Snoop alias Snoop Lion nicht am

Start ist, der hätte auch gut reingepasst. Persteasy

muss sich übrigens ganz schön beeilen, denn

er ist auch hier vorgesehen. Bloß nicht im Stau

stehen! Kostenfaktor: 55 Euro.

10. MS Dockville | 15. – 17. August:

Wieder am gleichen Wochenende (was ein Stress!)

gibt es für uns auch ein Hamburger Heimspiel,

nämlich die große Schwester vom Spektrum.

Wie nicht anders erwartet, punktet das Dockville

ebenfalls mit einem sehr interessanten und durchmischten

Line-up. Samy Deluxe, Alligatoah, OK

Kid, Retrogott & Hulk Hodn, Megaloh, Kaytranada,

Flume, Shlohmo, Feine Sahne Fischfilet (guter

Name und noch dazu lecker!) und viele mehr lassen

hip-hoppig-elektronisch-punkige Indie-Töne

erklingen. Das „MS Artville“ bietet noch dazu

künstlerische Abwechslung. Vor ein paar Jahren

gab es dort sogar Unterhosen mit Michael Jackson

auf dem Po zu kaufen. Kaum zu fassen! Ein wertvolles

Gesamtkunstwerk namens Dockville eben.

Es lässt sich aber auch circa 100 Euro kosten.

11. Hip Hop Kemp | 21. – 23. August:

Das Wochenende darauf geht es 740 Kilometer

nach Hradec Králové in Tschechien, wo unser

aller Lieblingsfestival stattfindet – das legendäre

Hip Hop Kemp. Was haben wir dort schon gehustlet

– Interviews mit Diamond D und De La Soul

bekommen und mit Kendrick Lamar und Baauer

wiederum nicht. Das Line-up ist dieses Jahr für

59 Euro einfach unschlagbar: CeeLo Green, die

Dilated Peoples, KRS-One, The Pharcyde, Onyx &

Snowgoons, Action Bronson, Torch & Toni L, Black

Moon, Black Milk, CunninLynguists, Dynasty, Dillon

Cooper, Witten Untouchable und weitere. Ich

kann dir dieses Festival wirklich ans Herz legen

– wie kein anderes schätzt es alle Elemente des

Hip-Hop wert. Ich rate dir nur: Versuche nie, den

Spargel von deiner Pizza beim Mexikaner in Hradecs

Innenstadt abzubestellen. Oder möchtest du

am Tisch über dein Pipi reden?

12. Royal Arena Festival | 22. – 23. August:

Einer geht noch! Am gleichen Wochenende findet

auch noch das Royal Arena im 896 Kilometer

entfernten Orpund in der Schweiz statt. Ob du dir

die 93 Euro für The Roots, Mobb Deep, Pusha T,

Action Bronson, die Dilated Peoples, SSIO, Dillon

Cooper, Black Milk (hier sogar mit Liveband!) noch

leisten kannst? Du weißt ja, die Schweiz ist teuer.

Dir bleibt wohl nichts anderes übrig bei dem Lineup

und wenn du mit den Roots proceeden und das

Mic rocken willst.

Wenn deine Basis wie für uns auch in Hamburg ist,

hast du knapp 8.000 Kilometer für diesen zweimonatigen

Festival-Marathon hinter dich gebracht

und etwa 1.000 Euro allein für deine Tickets hingelegt.

Für dein außerordentliches Durchhaltevermögen

wirst du deswegen auf den Zweitnamen Erika

getauft, sodass du dich immer an unseren neuen

Hip-Hop-Festival-Schlachtruf „ERIKA!“ erinnerst

und dich wieder auf den nächsten Festival-Sommer

freuen kannst. Aber bis dahin ruhe dich erst

mal schön aus! B

30 BACKSPIN #115 Sommer 2014


Text: Sascha Weigelt

JABEE

Hip-Hop hat sich schon lange einem Alter genähert, in welchem die Eltern

nicht mehr die Beatles oder Stones hören. Whodini und N.W.A heißen die

Soundtracks, und wenn das Gras einmal alle ist, fragt man die eigenen

Kinder. „Ich stamme aus einem Haushalt, in welchem beide Elternteile

Hip-Hop hörten“, erzählt Jabee. „Hip-Hop steckt in uns, und wir werden

ihn nicht mehr los.“ Bei Hipstern und Trendsettern ist er sich dann auch

gar nicht mehr sicher, ob sie im Privaten überhaupt Rapmusik hören: „Ihr

Auftreten wirkt gekünstelt.“

Es muss die Originalität von Jabee gewesen sein, welche Murs veranlasst

hat, ihn unter seine Fittiche zu nehmen. Dass er damit einen Stempel

aufgedrückt bekommt, stört ihn nicht: „Ich bin seit Jahren aktiv, und nun

erfüllt sich ein Traum. Murs ist ein echter Fachmann. Ich kann meine Erfahrungen

mit seinem Fachwissen abgleichen.“

Erfahrungen hat Jabee genug. Auf seinem letzten Album „Everything

Was Beautiful and Nothing Hurt“ erscheint El-P, als wäre das die normalste

Sache der Welt. „Das war einfach ein Titel, von welchem ich dachte, er

könne gut auf mein Album passen“, sagt er selbstbewusst.

Bei seiner Beatauswahl ist er wiederum wählerisch: „Ich höre regelmäßig

großartige Produktionen. Diese bewegen mich aber nicht gleich dazu,

etwas aufzunehmen.“ Wenn nicht gerade die Berliner Messengers bei ihm

als Sample herausstechen („Funky She“), folgen seine Produktionen dem

großen Strom der Veröffentlichungen.

Seine besondere Note ist seine Herkunft, Oklahoma City. „Wir haben

keinen großen Anführer in der Rap-Industrie, wie das in anderen Staaten

der Fall ist. Also mussten wir uns vieles selbst beibringen.“ Das hat nicht

automatisch zu einer eigenen regionalen Stilistik und Reimtechnik geführt.

Achtet man auf die Texte, „findet man darin Wörter und Formulierungen,

welche typisch für Oklahoma sind und welche nirgendwo anders auftauchen“,

erklärt Jabee. „Ich verwende die Wörter und erzähle die Geschichten,

mit welchen sich die Menschen in Oklahoma identifizieren. Schließlich

mussten wir uns selbst entwickeln und haben auf dem Weg auch

andere Kulturen aufgesogen, um dort anzukommen, wo wir heute sind:

in einer eigenen, in sich geschlossenen Kultur. Darin möchte ich wachsen

und derjenige sein, auf den die Leute stolz sein können.“ B

ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ

BEREITS IM SOMMER:

20.07. BRAUNSCHWEIG

VOLKSBANK BRAWO BÜHNE

22.11. ULM - RATIOPHARM ARENA

23.11. MÜNCHEN - ZENITH

26.11. FRANKFURT - JAHRHUNDERTHALLE

28.11. DORTMUND - WESTFALENHALLE 1

29.11. MANNHEIM - SAP ARENA

30.11. LEIPZIG - HAUS AUENSEE

05.12. SAARBRÜCKEN - E-WERK

06.12. NÜRNBERG - ARENA

HOODS

UK/EUROPE TOUR 2014

SPECIAL GUESTS: (AUS) & ELJOT QUENT (GER)

06.07. KÖLN - BAHNHOF EHRENFELD

07.07. MÜNCHEN - AMPERE

14.07. BERLIN - LIDO

15.07. HAMBURG - UEBEL & GEFÄHRLICH

MORE INFO WWW.HILLTOPHOODS.COM

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02.11. KÖLN • 03.11. HAMBURG

09.11. BERLIN • 10.11. MÜNCHEN

11.11. FRANKFURT

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Jonwayne

09.09. MÜNCHEN

10.09. KÖLN

11.09. MÜNSTER

12.09. BERLIN

13.09. HAMBURG

14.09. WIESBADEN

19.11. KÖLN - GLORIA

20.11. MÜNCHEN - BACKSTAGE

21.11. HAMBURG - UE & G

22.11. BREMEN - MODERNES

23.11. BERLIN - LIDO


Text: Sticky Dojah | Fotos: Mobile Mondays

MOBILE MONDAYS

On Some New York Ish

„Mich hat es inspiriert, das

Früher zurückzubringen.

Denn das ist das New York,

das ich am meisten liebe.“

32 BACKSPIN #115 Sommer 2014


Seit März 2011 lockt der Club Bowery Electric Vinyl- und Musikliebhaber Montag

für Montag in Manhattan, New York City, zu einem ganz besonderen Abend. Auf

den „Mobile Mondays“-Partys werden primär 45s gespielt, Serato oder Traktor

Scratch gibt es hier nicht. Ob es allein daran liegt, dass man hier eine äußerst

sympathische Party-Crowd antrifft? Unser Autor Sticky Dojah hat mitgefeiert …

NYC. Die Lower East Side an einem milden Montagabend

im Frühjahr. Wir sind gerade in New York

angekommen, noch etwas geschlaucht von der

langen Reise. Die Kumpels machen schlapp, doch

ich ziehe los. Mein Ziel liegt zehn Blocks entfernt in

südwestlicher Richtung. Dann dummerweise mal

wieder den klassischen Touri-Fehler gemacht und

den Ausweis im Hotel vergessen. Doch Carlos, der

Türsteher, zeigt Verständnis. Nach einem kurzen Gespräch

mit dem deutschstämmigen Manager wird

mir Einlass gewährt. Der Club heißt Bowery Electric,

die Party „Mobile Mondays“ – eine Party, auf der nur

Vinyl-Singles gespielt werden.

Das Bowery Electric steht in der Tradition von

Lokalitäten wie dem CBGB und dem Negril, einem

der ersten Hip-Hop-Clubs in New York in den frühen

Achtzigern. Schon beim ersten Schlendern

entlang der Bar fällt mir die besondere Mischung

der Gäste auf. Links ein paar Typen in Anzügen, in

der Mitte eine Gruppe von flamboyant gekleideten

New Yorker Mädchen, die es so nur in dieser Stadt

gibt. Rechts in der Ecke entdecke ich Psycho Les

von den Beatnuts, der lässig an einem Cocktail

schlürft und mit seinen Kumpels abhängt. Dahinter

Evil Dee von den Beatminerz, der angeregt im Gespräch

ist mit BreakBeat Lou, dem Begründer der

„Ultimate Breaks & Beats“-Serie, die in den späteren

1980er-Jahren mitbestimmend für den damaligen

Sample-Sound war. Meine romantische Vorstellung

von Hip-Hop-Clubs in den Anfangstagen der Kultur

findet hier ihre Entsprechung. Ich bin angekommen.

An den Plattenspielern legt gerade der Begründer

der „Mobile Mondays“ auf: Michael „Operator

Emz“ Greene. Er ist eine dieser unknown legends

im großen Apfel. Aufgewachsen in Harlem und

der Bronx, begann er unter dem Namen Emz One

als Writer. Schon als Teenager verdiente er sich

seine Sporen bei diversen College-Radios an der

Ost- und Westküste. Zudem arbeitete er für Labels

wie etwa Interscope (wo er an der Promotion von

„The Chronic“ beteiligt war) und Loud Records.

Nach Jahren in der Musikindustrie fokussierte er

sich dann auf das Produzieren und das Organisieren

von Veranstaltungen. Er produzierte beispielsweise

für Cyndi Lauper, Joell Ortiz und M.I.A. Auch

Adidas zeigte sich an ihm interessiert und lud ihn

nach Herzogenaurach ein, wo er eine limitierte

Ausgabe des Pro Models mitgestaltete („Operator

Emz Edition“). Mehr Hip-Hop geht kaum.

Nachdem er gekonnt seine Disco-Singles ineinander

mischt, übernimmt Joey Carvello an den

Plattenspielern. Joey ist ebenfalls eine Legende im

New Yorker Nachtleben. Bereits Mitte der 1970er-

Jahre startete er als Disco-DJ, er schrieb ein Buch

darüber („That’s Disco Before Travolta“) und war

etwa der Entdecker von Lil Jon, dessen frühe

Hits er promotete. Der Mitsechziger ist ein absoluter

Impresario, der gerne gute Geschichten aus

der Industrie erzählt. Als nächstes steht Natasha

Diggs bereit. Die aparte New Yorkerin rockt einmal

im Monat den Club Sankeys zusammen mit

Q-Tip und zählt zur Speerspitze der Frauen unter

den New Yorker DJs. Kurz nach ihr übernimmt

Mike Cobbs, der im legendären Plattenladen A-1

Records arbeitet und sich spezialisiert hat auf

New Yorker Dance-Klassiker. Wenig später geht

die Tür auf und Just Blaze hat seinen Auftritt: Mit

einem Daft-Punk-Helm unter dem Arm stürmt er

mit zwei Kisten voller Singles in die DJ-Booth und

verdeutlicht einmal mehr, warum er neben seinen

Produzentenkünsten zu den besten 45-Single-

DJs gehört. Vom „Psycho“-Soundtrack über rare

Pressungen von aktuellen Nas-Hits spielt er sich

durch bis zu seltenen Electro-Scheiben. Viele davon

rockt er als Doubles und es bildet sich eine

kleine Menschentraube vor der Booth, die ihm

beim Auflegen zusieht. Keine Frage, seine Sammlung

gehört zu den größten und bestsortiertesten

der Welt, und es macht ihm sichtliche Freude, die

raren Scheiben auszupacken. In den frühen Morgenstunden

taucht dann noch Misbehaviour auf,

eine DJane aus London, die sich auf Reggae spezialisiert

hat und mit Foundation-Tunes die Party

ausklingen lässt. Das Team ist vollzählig, die Party

zur closing hour vorbei. Ein ganz normaler Montag

in New York City.

In der darauffolgenden Woche treffe ich Operator

Emz und die Promoterin Miss Rebecca in den

Räumlichkeiten des lokalen Radios von Miss Lily’s,

wo sie mir Rede und Antwort stehen über die Beweggründe

hinter „Mobile Mondays“.Wann habt

ihr mit „Mobile Mondays“ angefangen?

Operator Emz: Wir haben im März 2011 angefangen.

Wir haben ein Team von sechs DJs und

zwei Promotern. Und einen Brand Manager.

(lacht)

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 33


„Ich wollte eine Party

haben, auf der ich

endlich wieder Vinyl

spielen konnte. Ich

war es leid, immer

nur den Computer zu

benutzen.“

Wie ist das Team entstanden?

Operator Emz: Ich wollte eine Party haben, auf

der ich endlich wieder Vinyl spielen konnte. Ich

war es leid, immer nur den Computer zu benutzen.

Ich musste einen Weg finden, wieder zurück

ins Nachtleben einzutauchen mit meinen

Platten, da ich das sehr vermisst habe. Ich dachte,

ein guter Weg wäre es, spezifischer zu sein,

als jetzt nur eine Vinyl-Party zu etablieren. So

kam der Gedanke auf, eine 45-Party daraus zu

machen. Ich hatte das immer im Hinterkopf und

es gibt nicht viele, die das mitmachen können.

Ich konnte an zwei Händen abzählen, wie viele

Leute da infrage kommen. Joey Carvello war jemand,

von dem ich wusste, dass er unglaublich

gute 45s hatte. Er war der erste, den ich kontaktierte.

Wie in meinem Fall, hatte er all diese 45s

im Schrank, die dort versauerten. Miss Rebecca

und ich kannten uns bereits seit einem Jahr, wir

gingen zusammen auf Partys und hörten dieselbe

Art von Musik. Ich wusste, dass sie das

Nachtleben liebt, und ich fragte sie, ob sie mir

helfen will – und sie erschlich sich ihren Boss-

Status. (lacht)

Wie würdest du den Vibe auf euren Partys beschreiben

an einem Montagabend in NYC?

Operator Emz: „Mobile Mondays“ ist eine Community

geworden. Ich würde sagen, dass 90

Prozent der Leute, wenn nicht sogar 110 Prozent,

Musikliebhaber sind. Die Leute stehen

nicht nur auf Vinyl, nicht nur auf Hip-Hop, nicht

nur auf Disco: Sie stehen auf Musik! Viele davon

sind selber kreativ, sei es als Künstler, als

MOBILE MONDAYS

On Some New York Ish

Fotograf, als DJ oder Musiker. Sie kreieren Dinge,

um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Das

gibt einen speziellen Vibe, da es einer bestimmten

Hingabe bedarf, wenn man so lebt. Das sind

wirklich die Leute, die wir dahaben.

Ein nicht unwesentlicher Fokus liegt auf dem

Tanzen. Das ist auch etwas, was ihr bewusst

wieder zurückbringen wolltet, oder?

Miss Rebecca: New York City war früher berühmt

für das großartige Nachtleben und die

großartige Musik, bis in die frühen Neunziger.

Heute ist das anders. Früher machten alle zusammen

Party, aus allen Bereichen des Lebens,

auch aus verschiedensten sozioökonomischen

Schichten. Es ging nur um die Liebe zu New

York City, diese Stadt, die niemals schläft. Leute

gingen jeden Tag in der Woche aus, in den

krassesten Outfits, um die Zeit ihres Lebens zu

haben. Das hat sich verändert, viele New Yorker

sind weggezogen, alles ist sehr unterteilt. Die

Gay-Community hat ihr Nachtleben. Die Hip-

Hop-Community hat ihr Nachtleben. Als Emz

mit der Party anfing, hat es mich inspiriert, das

Früher wieder zurückzubringen. Denn das ist

das New York, das ich am meisten liebe. In kleinen

Schritten kommt das jetzt wieder. Wir sind

auch die einzige Party – soweit ich weiß – die jedes

Genre auf 45-Singles spielt. Das hat es so in

New York vorher noch nicht gegeben. Im Sommer

liebt es auch jeder hier, zu tanzen – in Parks,

überall, Tag und Nacht. Wir wollen das zurückbringen.

Wir haben die Dance-Community jetzt

wieder auf unserer Party, man kann Whackers,

Voguers, B-Boys und Lockers sehen. Gleichzeitig

kann man mit Rappern abhängen. Es kommt

so langsam wieder alles zusammen. Wir werden

auch im August eine „Mobile Mondays“-Live-

Party veranstalten, in Zusammenarbeit mit Salsoul

Records. Viele der alten Salsoul-Künstler

werden auftreten: Joe Bataan, First Choice, Carol

Williams, Instant Funk. Viele wissen ja nicht

mehr, wie wichtig das Label war und wie viele

Classics sich auf dem Label befinden. Wir wollen

das den Leuten wieder näher bringen.

Viele Berühmtheiten kommen bei den „Mobile

Mondays“ vorbei, Biz Markie oder Cut Chemist

haben hier schon ihre Platten gespielt. Es gibt

auch das Gerücht, dass eure Party Pharrell Williams

dazu inspirierte, seinen Song „Happy“ auf

7 Inch zu veröffentlichen. Ist da was dran?

Miss Rebecca: Ja, bei einer unserer größten

Nächte war Biz Markie da, um aufzulegen. Wir

hatten auch einen Auftritt von Super Lover Cee

und Casanova Rud. Pharrell war in der Stadt, er

ist mit Biz Markie befreundet. Er kam vorbei und

war wirklich erstaunt, dass so etwas jeden Montag

in NYC passiert. Er liebte es, und einen Monat

später kam „Happy“ auf 7 Inch raus. Und wir

alle glauben, dass lag daran, weil er zu „Mobile

Mondays“ gekommen ist. (lacht)

Was habt ihr für die Zukunft geplant?

Miss Rebecca: Wir wollen diesen Sommer ein

paar Rooftop-Events machen, einmal im Monat

in Brooklyn. Wir planen auch gerade Veranstaltungen

an einem anderen Tag, da viele an einem

Montag nicht Party machen können. Das Konzept

wird dann auch ein wenig gelockert und es

werden nicht nur Singles gespielt. Es wird mehr

Live-Events geben mit Künstlern, die gerade

hochkommen. Wir wollen ihnen eine Plattform

bieten, da sich viele Labels nicht mehr um neue

Künstler kümmern und nur noch aufs Geld aus

sind. Wir expandieren auch in andere Städte,

gerade hatten wir unsere erste Party in Miami.

Es gibt auf jeden Fall Bedarf, und wir wollen diesen

Teil der New Yorker Kultur in die ganze Welt

bringen, denn wir waren nun mal die Hauptstadt

des Nachtlebens und sind es immer noch. Jeder

aus der ganzen Welt kommt hierher. Erlebt, was

New Yorker Nachtkultur wirklich ist! B

34 BACKSPIN #115 Sommer 2014


Text: Shana Koch

Ferhat C.

Die richtigen Kontakte sind das A und O im Game. Jeder, der auch nur

die leiseste Ahnung von dieser Musikindustrie hat, weiß diese goldene

Grundregel zu schätzen und bestenfalls auch zu nutzen.

Für eben diese Kontakte scheint Ferhat C. den richtigen Riecher zu haben.

Die Feature-Liste seines Debütalbums, das den denkwürdigen Titel

„Zieht ihn rein“ trägt, kann sich sehen lassen: Kürzlich erst den Vertrag

beim Berliner Label Phonector Records unterschrieben, aber schon mit

Massiv und Toni der Assi um die Ecke kommen. Zugegeben: Auf den ersten

Blick nicht übel für das erste Lebenszeichen eines Künstlers.

Ursprünglich sollte außerdem Prince Kay One zu dieser illustren Runde

dazustoßen und seinen Part zu „Zieht ihn rein“ beisteuern. Leider Gottes

platzte dieser Deal jedoch, sodass das geplante Duett sich im Endeffekt

zum Disstrack „Kenneth“ wandelte. Dass das eine Art Erfolgsgarant ist,

wissen wir spätestens, seit „Leben und Tod des Kenneth Glöckler“ vertont

wurde.

So ist auch Ferhat nun um eine Erfahrung und um eine erste Single-Auskopplung

mit über 300.000 Klicks auf YouTube reicher. Hätte schlimmer

kommen können, wenn wir ehrlich sind. Der Hang zur Selbstüberschätzung

ist ja bekanntlich ein weitverbreitetes Phänomen in Rap-Deutschland

– so darf man sich gut und gerne das Recht vorbehalten, anzuzweifeln,

ob Ferhat C. denn nun tatsächlich so einzigartig klingt, wie er es versteht,

sich anzupreisen.

Ursprünglich aus der türkischen Provinz Konya stammend, spricht (und

rappt) er mit pfälzischem Dialekt. In der Tat noch nicht oft gehört, doch

noch steht in den Sternen, ob das Fluch oder Segen darstellen wird. Die

Vorschau der Themenauswahl, die Ferhat für sein Debütwerk getroffen

hat, lassen die Hoffnung auf Individualität und kreative Meisterleistungen

jedenfalls rasch in den Keller sinken: Liebe, Ghetto, Party.

Man darf sich dennoch überraschen lassen, was genau Ferhat C. dann

ab September auf den Musikmarkt loslässt, bisher ist schließlich noch alles

offen. Außerdem hat ja bekanntermaßen auch jeder mindestens eine

Chance verdient, er muss sie nur zu nutzen wissen. In diesem Sinne: September

2014 – „Zieht ihn rein“. B

ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ

Text: Lukas Ehemann

Stubenhacker

Ein unbekanntes Objekt ist auf dem BACKSPIN-Radar aufgetaucht, ein mysteriöses

Wesen mit einem Telefon anstelle eines Gesichts. Es agiert in den

tiefen Sphären des deutschen Hip-Hop, verdeckt im Untergrund, wo ihn nur

Eingeweihte finden können. Doch wie ist diese Gestalt einzuordnen? Sind

ihre Absichten friedlich?

Es stellte sich heraus, dass der sogenannte Stubenhacker in einem Geheimlabor

in Hamburg erschaffen wurde. Er ist ein Hybridwesen, halb Mensch,

halb Maschine, das sich zum Ziel gemacht hat, durch seine unkonventionellen

Reimschemata die Menschheit mit einer audiovisuellen Party von

deutschem Soul zu befreien. Er lebte lange unter der Gefangenschaft eines

Zweigs der Major-Plattenindustrie. Jahrelang wurde er gepeinigt und musste

Torturen an Mensch und Musik mitanhören.

Während dieser Zeit lernte er seine zukünftige Kompanie kennen. In seiner

Nachbarzelle befand sich der außerirdische Bobby Maniac, der zuvor

ein unbescholtenes Leben als singender Pizzafahrer in Winsen an der Luhe

genießen konnte. Der rappende Hirnschaden Jim Pressing war ein weiteres

Versuchskaninchen dieser ethikfreien Forschertruppe. Er hatte sein Leben bereits

hinter sich, wurde aber mithilfe der fortschrittlichen Medizin wieder zum

Leben erweckt. Und zuletzt ist da noch der zeitreisende Routing von Sends.

Ihn wollten sie mithilfe rechter Wahlkampflieder dazu bringen, sein Wissen

über die Technologie der Zukunft zu verraten. Er ist im ganzen Universum für

seine Technik-Skills und sein außerordentliches Können an der Basspauke

bekannt.

Eines Nachts gelang es dem Quintett, aus dem akustischen Folterkeller

auszubrechen. Nun sucht es Schutz in der undurchsichtigen deutschen Rap-

Szene. Dort erschuf es die „Telefonterror“-EP. Und da diese Geschichte ohnehin

wie ein Groschenroman klingt, hat sich der Cyborg den Kinder- und

Jugendbuchillustrator Joachim Knappe ins Boot geholt, um die EP optisch

wie ein John-Sinclair-Hörspielcover aussehen zu lassen. Einige sehenswerte

Videos haben die Jungs ebenfalls schon zusammengeschraubt. Der Fäkalienrapsong

„Spiel mir das Lied vom Kot“, in dem der Rezipient Zeuge eines

wahren Kot-Kunst-Projekts wird, ist ein beschissenes Beispiel dafür. Stubenhacker

wurde auf Kreativität programmiert, er macht Sachen anders als andere.

Deshalb sind seine Stücke wie „Was Anderes“ auch etwas Besonderes. B

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 35


aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa

SPLASH!

JULI

Mittwoch nach splash!:

Treffen mit dem Team

zur Besprechung. Was

lief gut und was nicht

so gut? Feedback aller

Beteiligten.

AUGUST

SEPTEMBER

BERLIN FESTIVAL

RÜCKT IN DEN

VORDERGRUND.

Der Terminplaner

der Veranstalter

Für die Besucher ist das splash! in der Regel einfach ein langes Wochenende. Für die Veranstalter hingegen ist so ein Festival ein Fulltime-Job. Wie

die Arbeit hinter den Kulissen von Deutschlands größten Hip-Hop-Festival aussieht, das verraten hier der splash!-Chef-Booker Julian Gupta sowie

Technik-Chef Benedikt Zillich. Die beiden haben nämlich für uns mal ihren Terminkalender aufgeschlagen …

Vollständigkeit und

Verschleiß der Technik

geklärt. Verursacher

kommt für Schäden

auf.

Woche nach splash!: Alles Finanzielle geregelt.

Gagen bezahlt. Gelände muss aufgeräumt werden.

Technik zusammensortieren (Großteil der

Technik bleibt eingebaut). Veränderungen für das

Melt! (Bühnen, die beim splash! nicht genutzt werden,

fertiggestellt).

Nachbereitung. Ein paar mediale Geschichten. Wie

läuft die Ausstrahlung auf ZDFkultur? Was passiert

mit Arte? Abklären von Sponsoring-Geschichten

fürs kommende Jahr.

PR-Beginn. Welches Image? Wie

veröffentlichen wir es? Kreative

Ideen sammeln. Wie kündigen wir

Künstler an? (Prinz-Pi-Geschichte).

Erste Innenfestivals werden

vorbereitet.

Langsam mit Line-up beschäftigen. Beschäftigung

mit Booking. Anfragen bei Partnern und Agenten.

OKTOBER

NOVEMBER

Kreative Arbeit für Kampagne, Early Ticket, Promophasen

und Sondertools durch. Gelände geklärt. Art Director hat

sich mit Artwork fürs nächste Jahr beschäftigt.

PR-Ausrichtung und -orientierung

(WM, Rap und Fußball). Besuche

ins Ausland. Agenten in England/

Holland treffen. Wer ist verfügbar?

Direkter Austausch. Intensive

Gespräche mit Sponsoring und

Catering (kreative Ideen, mehr “

als

bloß Banner“). Rahmen vertreten.

Künstler gebucht. Künstler

und Agenten treffen. Kontakte

knüpfen.

Erste feste

Bookings.

36 BACKSPIN #115 Sommer 2014


aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa MUSIC

DEZEMBER

JANUAR

FEBRUAR

MÄRZ

Budgetplanungen für

Ton, Licht und Produktion

des Folgejahres.

Markt sondieren. Welche Medienpartner könnten interessant

werden? Premium-Medienpartner anfragen. Reservierungen

und Buchungen der Stagehands und Stage Manager.

Mitten im Booking-Prozess. Gespräche mit

Agenten. (Wunsch-)Running-Order verschicken.

Füllen der Slots. Verschiedene Angebote der

Technikfirmen eingeholt. Verhandlungen mit

Technikfirma (können sich bis in den Mai ziehen).

Ausgestaltung des Geländes. Was kann man machen, damit

das Gelände besonders aussieht? Freizeitgestaltung abgesehen

von Acts. Moderatoren.

Kurze Ruhezeit. Technik

klärt nach Bestätigung von

Headlinern, ob Vorstellungen

umsetzbar sind. Sind große

Videoproduktionen und Kulissen

erforderlich?

Anfrage

OutKast.

APRIL

MAI

JUNI

OutKast

bestätigt.

Künstler werden angeschrieben

und mit Input über Technik

versorgt.

Finale Planung der Technik.

Teamplanung. Nachbuchen von

Acts. Änderungen und zusätzliche

Buchungen der Technik.

Finale Absprache mit Sponsoring über Platzierungen.

Geländeplanung. Letzte Acts

bestätigt. Hauptkommunikationsgeschichten

(Secret Headliner). Soundclash. splash!-App-

Endplanung. Endplanung des Festivalguides.

Verträge prüfen. Finale Deals bestätigen. Intensive

Hotelplanung. Vorproduktionen. Zweite

Verhandlungsphase. Gästelistenplätze.

Anfragen bei Ausfall. Übersicht über Technik

auf den einzelnen Bühnen.

Besprechung mit

den Technikern

vor Ort.

Sommer 2014 #115 BACKSPIN 37


21.-23. AUG

festivalpark hradec

3-TAGESTICKETS AB 59 EURO (VIP: 110

SOWIE IN ALLEN CHILLHOUSE FILIALEN IN BERLIN/

HIP HOP KEMP DIREKT-BUSTOUR

mehr infos: WWW.HIPHOPKEMP.DE


FESTIVAL WITH ATMOSPHERE!

CEELO GREEN, KRS-ONE

DILATED PEOPLES, BIZARRE RIDE 2 THE PHARCYDE,

SAMY DELUXE, ONYX & SNOWGOONS, ACTION BRONSON,

360° RECORDS 20TH ANNIVERSARY feat. TORCH,

TONI L & GUESTS, MADCHILD, BLACK MOON,

BLACK MILK & Live Band, DILLON COOPER, SNAK THE RIPPER,

UGLY HEROES (Apollo Brown, Verbal Kent, Red Pill),

RAPSODY & 9TH WONDER, BARREL BROTHERS (Torae & Skyzoo),

DJ STATIC & DENMARK ALLSTARS feat. Nat Ill, J-Spliff, Temu,

Peaceful James, Nappion UND VIELE WEITERE...!

UST 2014

kralove TSCHECHIEN

EURO) ERHÄLTLICH AUF www.4TIX.DE

THÜRINGEN/SACHSEN UND www.cHILLHOUSE.DE

EN AUS DE/AT/CH AB 51 EURO

www.facebook.de/hiphopkemp.DE


Interview: Mark Todt

Fotos: Dems

DEMS

Ekstatischer Punk

ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ

Wie es mit den Mittelmeerstaaten Europas während der Finanzkrise

aussieht, bekommt man tagtäglich in den Nachrichten zu

sehen. Italien, als eines dieser Länder, hat dennoch viele Vorzüge

zu bieten – und sei es neben gutem Essen und ansehnlicher

Mode nur Graffiti. Von Letzterem gibt es dort eine Menge. Dems

ist ein Writer, der hauptsächlich die nördlichste Millionenstadt

des Stiefels bemalt. In Mailand gibt er richtig Gas, vor seinem unverwechselbaren

Style ist kein Train sicher. Er ist jemand, der gerne

gibt, aber auch er hat unter der jetzigen Krise zu leiden und

kann nicht ständig so, wie er gerne wollte. Warum? Lest selbst!

40 BACKSPIN #115 Sommer 2014


Hast du einen Job?

Momentan habe ich keinen festen Job. Den letzten

habe ich wegen der italienischen Krise verloren.

Allerdings arbeite ich als Künstler und freier

Grafiker und versuche, mich damit über Wasser zu

halten.

Wie schlecht ist die ökonomische Situation in

Italien?

Hier läuft alles richtig scheiße zurzeit. Wenn man

Glück hat, leben ganze Familien mit 1.000 Euro im

Monat. Jobs sind nicht sicher. Mieten und gutes

Essen sind teuer. Die Lebensqualität nimmt stetig

ab. Leider nehmen uns die Politiker nur das Geld,

anstatt es den Armen zu geben.

Macht es diese Situation einfacher, zu malen?

Das hängt ganz davon ab. Manchmal ist es einfach,

da die Orte, an denen du malst, ziemlich runtergekommen

sind und kein Geld für Wachschutz

da ist. Andererseits ist es jedoch so, dass manche

Yards verschwinden, da kein Geld für mehr Züge

vorhanden ist. Es ist ein ewiges Hin und Her.

Wie wichtig ist Graffiti in deinem Leben?

Zu wichtig. Dank Graffiti habe ich eine Menge wahrer

Freunde gefunden. Graffiti hat meine Mentalität

geformt und mich gelehrt, wer ich auf dieser Welt

bin.

Gibt es irgendetwas, was dich dazu bringen

könnte, aufzuhören?

Momentan nicht, schließlich bin ich noch jung.

(lacht)

Warum hast du überhaupt mit Graffiti angefangen

und warum machst du es heute noch?

Als ich elf Jahre alt war, lebte ich in einem kleinen

Dorf in der Nähe von Mailand, dort gab es vor meiner

Schule eine Hall of Fame. Immer wenn Schulschluss

war, ging ich dorthin und redete mit den

älteren Writern, die dort malten. Ich wurde zu einer

Art Maskottchen. Ich fing an, Skizzen zu machen

und meine ersten Wände zu bemalen. Das jedoch,

was mein Leben total veränderte, war mein erster

Zug. Da kann ich mich immer noch dran erinnern.

Ich brauchte einen ganzen Monat, bis ich die Dosen

für diese Aktion zusammen hatte. Ich war so

klein, dass es echt schwer für mich war, überhaupt

über die Mauer des Depots zu klettern. Als ich das

Yard verließ, verstand ich, was es bedeutet, Graffiti

zu machen. In mir ist ein Feuer entfacht worden,

was heute noch brennt.

Im Moment bist du für eine Weile in Deutschland.

Versuche doch mal, die Unterschiede zwischen

Deutschland und Italien zu beschreiben, wenn es

um Graffiti und das Leben an sich geht!

Meiner Meinung nach besteht der größte Unterschied

darin, dass ihr in Deutschland diese doppelte

Persönlichkeit lebt. In Italien, und hier spreche

ich natürlich nur für mich und meine Jungs,

sind wir gastfreundlich und relaxt. Wir versuchen,

so wenig wie möglich paranoid zu werden. Ein

großer Unterschied ist auch die Kleidung. In Italien

sind wir eher obdachlose Zigeuner, hier scheint jeder

in einer Bank zu arbeiten. In Deutschland gibt

es schon sehr lange einen Vandal Squad, der genau

weiß, was er zu tun hat. Hinzu kommt, dass

die meisten Deutschen denken, dass Graffiti ein

schweres Verbrechen ist und es kaum erwarten

können, dich zu diffamieren. Zurzeit versuchen die

italienischen Medien, die gleiche Mentalität in die

Köpfe der Leute zu pflanzen.

Magst du deutsches Essen? Pizza oder Bratwurst?

„Dank Graffiti habe

ich eine Menge wahrer

Freunde gefunden. Graffiti

hat meine Mentalität

geformt und mich gelehrt,

wer ich auf dieser

Welt bin.“

Ich esse eigentlich alles, aber ich vergesse meine

Wurzeln nicht und bevorzuge echte italienische

Pizza. Ach ja, Smiley’s Pizza ist keine Pizza, das ist

Blasphemie.

Wenn du nicht zu Hause bist, was vermisst du am

meisten?

Meine Freundin, das Essen, meine Mutter und

meine Haustiere.

Stimmst du mir zu, wenn ich sage, dass Italien

das versprochene Land ist, wenn es um Graffiti

auf Zügen geht?

Ich denke, dass eine Menge Länder so genannt

werden könnten. Vielleicht ist Italien das faszinierendste

mit der größten Geschichte, aber oft ist

nicht alles Gold, was glänzt.

Bevorzugst du Züge oder Wände?

Züge, ich liebe den Geruch der Schienen und die

ganze Atmosphäre.

Wann und warum musstest du das letzte Mal

rennen?

Das letzte Mal war mit meinem Kollegen Rud. Wir

malten eine U-Bahn auf Mailands Linie 2, als acht

Securitys und zwei Polizeiautos auftauchten. Einer

der athletischeren Checker fing sofort an, hinter

uns herzurennen, musste allerdings nach der Hälfte

der Strecke schon kotzen. Die anderen halfen

ihm. Wir spielten auf einem Feld mehr als zwei

Stunden Katz und Maus mit den Bullen. Leider

wurde bei diesem Chase einer von uns erwischt.

Der Kollege erzählte mir am nächsten Tag, dass der

Security, der gekotzt hatte, ins Krankenhaus musste,

da er Steroide genommen hatte.

Was war bisher die bizarrste Situation, in die dich

Graffiti gebracht hat?

Einmal wurden Viper und ich von den Securitys

geschnappt. Während die die Polizei riefen, kamen

wir mit der Idee rüber, dass wir Schwule wären,

die lediglich ein ruhiges Plätzchen gesucht hatten.

Als dann die Polizei kam, blieben wir bei der Story

und wir kamen davon, da uns alle glaubten. Vorher

hatten wir jedoch die Autoschlüssel verloren,

also mussten wir zurück und danach suchen. Zum

Glück fanden wir diese und konnten sogar noch in

Ruhe Fotos von unseren Pieces machen.

Gibt es in Italien überhaupt einen Vandal Squad?

Vor zwei Jahren wurde in Mailand einer gegründet,

aber aufgrund von Geldmangel haben die ihren

Job nicht gemacht. Die letzten Monate wurde es

schlechter und der Vandal Squad versuchte, in die

Szene einzudringen. Es gibt Mitarbeiter, die gerade

mal 20 bis 22 Jahre alt sind und alles wissen. Bei

der U-Bahn wurden 40 neue Securitys angeheuert.

Hausdurchsuchungen sind nun an der Tagesordnung

und eine Menge Leute wurden festgenommen.

Jetzt haben wir den europäischen Standard

erreicht.

Gehst du lieber alleine oder mit Kollegen los zum

Malen?

Ich gehe am liebsten mit meinen Partnern oder

korrekten Leuten los, da man dann mehr Spaß hat

und danach noch ein wenig Party machen kann.

(lacht)

In welchen Crews bist du und was bedeuten dir

diese?

Meine Crews sind meine Familie. Egal, was passiert,

sie sind für mich und ich bin für sie da. Die

Leute aus der Bicale-Crew kenne ich schon seit

meiner Kindheit, mit denen habe ich alles in und

außerhalb der Graffiti-Szene geteilt. Mit den T.R.B-

Jungs habe ich meinen ersten Zug bemalt und

Sommer 2014 #115 BACKSPIN 41


42 BACKSPIN #115 Sommer 2014


deswegen bleiben sie immer in meinem Gedächtnis.

Mit denen bin ich auch für immer verbunden.

Last but not least bin ich Mitglied der CSC. Diese

Crew ist in Italien und ganz Europa verteilt. Es ist

einfach ein tolles Gefühl zu wissen, dass du, wo

du auch hinfährst, mit offenen Armen empfangen

wirst. Man hat immer einen Platz zum Pennen und

bekommt etwas zum Essen. Dadurch bekomme

ich Kraft.

Wie stehst du zu den Graffiti-Touristen, die immer

wieder nach Italien kommen?

Ich denke, die können sich glücklich schätzen,

denn hier gibt es nicht nur Graffiti, sondern auch

gutes Essen und wunderschöne Frauen. Ich habe

nichts gegen Touristen, denn wir sind doch alle

Zigeuner. Das einzige Problem ist, dass die meisten

einfach keinen Respekt gegenüber den lokalen

Writern und Spots besitzen. Es ist einfach, ein

Yard zu zerstören und alles in Schutt und Asche

zu legen, wenn man am nächsten Tag wieder im

Flugzeug sitzt.

Hattest du jemals Ärger mit anderen Writern?

Leider habe ich eine Menge Beef, insbesondere

mit den jüngeren Generationen, aber ich rede nicht

darüber. Die einzige Botschaft, die ich für diese Ärsche

habe, ist: Ihr habt keinen Stolz und nichts im

Kopf!

Was bevorzugst du, eine Nacht mit deiner Freundin

oder eine Nacht bomben?

(lacht) Das hängt davon ab, was heißer ist. Allerdings

denke ich, dass der Ladytunnel der beste Ort

der Welt ist.

Gibt es etwas, was du niemals bemalen würdest,

sei es aus moralischen oder ethischen Gründen?

Ich übermale keine Kunst und insbesondere keine

Old-School-Pieces.

Wie viel Vandale steckt in dir? Bevorzugst du es,

ein Piece zu malen, oder gehst du lieber raus, um

alles vollzutaggen?

Ich bevorzuge es, ein Panel zu malen, da ich es

lieber habe, wenn etwas längere Zeit fährt. Wenn

die Chance besteht, liebe ich es aber auch, etwas

richtig zu zerstören. Ich bin richtig glücklich, wenn

ein Zug aussieht, als wenn man ihn gleich ins Klo

stecken könnte. (lacht)

Wie siehst du deine Zukunft und die von Graffiti

in Italien?

Ich bin ein Pessimist. Alles wird mehr und mehr

den Bach runtergehen. Viele der Old Schooler

„Wenn ich reise, dann

bin ich immer mit meinen

Freunden unterwegs

und Graffiti steht eher im

Hintergrund.“

werden aufhören und wenige der New School

sind es wert, überhaupt wahrgenommen zu werden.

Heutzutage ist es trendy, Graffiti zu machen

und dank des Internets weiß die ganze Welt, was

du tust. Also auch wenn du gerade mal zehn U-

Bahnen gemacht hast, bist du für einen Moment

der King. Was mich betrifft, hoffe ich, noch so viele

positive Momente wie nur irgendwie möglich zu

erleben, und dass der Lebensabend noch lange

auf sich warten lässt.

Wo auf diesem Planeten hast du eigentlich schon

alles gemalt?

In allen Regionen Italiens habe ich etwas gemacht.

Das mag ich auch am liebsten. Das entspricht auch

am ehesten meinem Lebensstil. In Europa war ich

bisher in Belgien, Holland, Spanien, Frankreich, in

der Schweiz und in Deutschland.

Was war bisher der erfolgreichste Trip, wenn es

um Graffiti geht?

Wenn ich reise, dann bin ich immer mit meinen

Freunden unterwegs und Graffiti steht eher im

Hintergrund. Allerdings fahre ich immer gerne

nach Neapel, dort gibt es Züge ohne Ende, in der

Stadt herrscht Anarchie und man erlebt immer lustige

Geschichten.

Gibt es Orte, die du noch gerne bomben möchtest?

Mein Traum ist es, mal nach Chile zu fliegen und in

Santiago de Chile und Valparaíso zu malen.

Beschreibe mal kurz deinen Style!

Eine Art moderner Punk-Stil. Vor einiger Zeit sagte

ich immer, der sieht aus wie ein Punk, der auf Ecstasy

ist.

Wie hast du diesen Stil entwickelt?

Ich fand schon immer Punk-Styles und Ignorant-

Styles toll. Wenn ich die Trains von Muco und Shérif

sah, wurde ich ganz verrückt. Damit fing alles

an. Hinzu kommt, dass ich nicht zu denen gehöre,

die Skizzen machen. Ich gehe los und male, was

mir gerade in den Kopf kommt. Man muss Graffiti

mit dem Herzen machen.

Irgendwelche Tipps für die neuen Generationen?

Benutzt nicht das Internet und respektiert die Old

School! Denkt immer daran: Ohne die Old School

gäbe es euch nicht. Wenn ihr von den Alten respektiert

werden wollt, dann lernt Respekt und

versucht, ihn euch zu verdienen!

Shout-outs?

T.R.B, CSC, Bicale, meine Freundin Lalla, mit der

ich schon ewig zusammen bin, alle meine Freunde,

mit denen ich Abenteuer erlebt habe. Rud und die

WCA-Crew, Desk und die ADN- sowie CLZ-Crews,

Xeno, Kaos, Rambo, Tasso und die SIF-Crew,

Weeno und HDP, Sabo, Jador, Chaos, ROK, Fume,

Fra 32, Samson, Caros, Nilem, Boogie, Cupo,

Sparo, Seat, Grape, Slove und alle, mit denen ich

eine gute Zeit hatte. Ihr seid meine Stärke! B

Sommer 2014 #115 BACKSPIN 43


44 BACKSPIN #115 Sommer 2014


GRAFFITI

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 45


46 BACKSPIN #115 Sommer 2014


GRAFFITI TRAINS

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 47


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48 BACKSPIN #115 Sommer 2014


aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa

GRAFFITI MR. KOSO FROM NAPOLI

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 49


50 BACKSPIN #115 Sommer 2014


GRAFFITI WALLS

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 51


52 BACKSPIN #115 Sommer 2014


GRAFFITI SPECIAL SLIDER BANDITS

Foto: Daniel Schneider

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 53


54 BACKSPIN #115 Sommer 2014

Foto: Sandrine Appel


GRAFFITI SPECIAL SLIDER BANDITS

Foto: Sandrine Appel

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 55


aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa ART

TALES OF

A DIRTY

OLD MAN

Die Welt steht vor dem Abgrund! Wusstet ihr

das noch nicht? Nein? Also dann solltet ihr euch

mal ernsthaft Gedanken machen. Okay, die Welt

steht seit Menschengedenken an eben jenem

Abgrund, aber das macht auch keinen Unterschied.

Sind es nicht so oder so die Menschen,

die die Welt so weit nach vorne schieben, dass

sie aus ihrer ursprünglich sicheren Position an

den Rand des Abgrunds geraten ist? Wieso stehen

wir nicht alle persönlich an dieser lebensbedrohlichen

Stelle und schauen mal, was kommt?

Ehrlich gesagt, tun wir das doch eh schon die

ganze Zeit, seit unserer Geburt. Wir nehmen

uns alle so dermaßen wichtig, dass manche

sogar zur Sprühflasche greifen und überall ihre

Pseudonyme hinterlassen und dabei auch noch

denken, sie wären etwas Besonderes auf diesem

Planeten. Oh mein Gott, wie arm.

Auch wenn ich zu eben jener Spezies gehöre,

bin ich mir dennoch bewusst, wie unwichtig wir

doch alle sind. Manche Writer wissen das nicht.

Das sind dann die, die sich durch dummes Crossen

oder unnötige andere Stress verursachende

Dinge in den völlig überbewerteten Vordergrund

stellen wollen. Davon gibt es hier in Düsseldorf

viel zu viele. Ich nenne bewusst keine Namen,

da diese sich ja sonst noch irgendwie gebauchpinselt

fühlen könnten. Langsam bekomme

ich Zweifel an dieser Szene und an den gesellschaftlichen

Strukturen im großen Ganzen, ist die

Szene ja ein jämmerliches Spiegelbildchen vom

Rest der Welt. Da wären wir wieder bei der Welt.

Sie hat sich nach den paar Textzeilen nicht vom

Rande des Abgrunds entfernt, dessen seid euch

sicher. Eher wurde sie mal wieder Zentimeter für

Zentimeter näher an diesen gerückt. Auch wenn

wir Menschen gerade alles daran tun, die Welt

zu zerstören, müsste uns doch eines klar sein:

Wir, und damit meine ich natürlich uns alle hier

auf dem Planeten Erde, sind nur temporär eingeplant.

Vergänglichkeit ist nicht nur ein Wort, das

so mancher größenwahnsinnige Writer nicht versteht,

da seine Bilder ja für immer halten sollen,

sondern es ist ein Fakt, mit dem äußerst wenige

umgehen können. Ich gehörte auch mal zu denen,

die der Meinung waren, dass sich die am

Abgrund stehende Welt nur um mich dreht. Jetzt

bin ich allerdings ein wenig reflektierter und habe

erkannt, dass dieses Graffiti nicht alles ist, was

mein kleines Herzchen benötigt oder gar von irgendeinem

Wert für die Ewigkeit ist. Es besteht

ein stetiges Kommen und Gehen. Manche kommen

schneller (das ist jetzt nicht so gemeint, wie

manche es sich hier in ihren verruchten Gehirnen

ausmalen. Bah! Pfui! Zurück mit euch auf die

Pornoseiten des Internets!) und manche gehen

schneller, als ihnen lieb ist.

Das, was uns Writern eigentlich komplett fehlt,

ist Ruhe und Reflexion. Ruhe zum Malen, denn

wir müssen ja ständig unter Zeitdruck bomben

und finden legalen Shit eben scheiße. Ruhe danach,

denn wir müssen ja ständig die Bilder jagen,

sofern wir sie auf fahrbaren Materialien aufgetragen

haben. Ruhe zwischen den Aktionen,

denn wir denken ständig ans nächste Piece und

wie wir den anderen einen Schritt voraus sein

können – seien es nun die örtlichen Behörden

oder die anderen Mitsprüher. Hätten wir all diese

Ruhe, dann könnten wir auch endlich etwas friedlicher

an die Sache gehen, reflektieren und oben

genannte Vollpfosten – wie gesagt, mich vor einigen

Jahren mit eingeschlossen – würden nicht

ständig das kaputt machen, was andere geschaffen

haben, denn im Endeffekt ziehen wir alle am

gleichen Seil. Wir wollen Anerkennung, und das

nicht zu knapp. Also lest euch diesen Text immer

und immer wieder durch, findet mich toll und nur

mich, und dann geht raus und malt – immer mit

dem Hintergedanken, was in diesem Text steht

und denkt daran: Fume ist der Tollste, Allerbeste,

Superererererste usw. Ihr wisst schon, was ich

meine. Falls nicht, dann fangt einfach wieder von

vorne an und hört nicht auf, bis ihr nicht mehr

könnt. Dann ist ganz natürlich Schluss und keiner

wird sich an euch erinnern, denn mittlerweile

ist alles gebufft, ihr seid tot und die Welt steht

immer noch am Abgrund, hat euch allerdings

überlebt. B

In diesem Sinne

Euer dreckiger, alter F…

56 BACKSPIN #115 Sommer 2014



Interview & Text: Benjamin Auch | Fotos: Merlin

FLOOR WARS

Germany/Benelux und das Finale in Kopenhagen

Es ist uns eine besondere Freude,

eines der interessantesten B-

Boy-Events der Welt vorzustellen:

Floor Wars. Eine weitere besondere

Freude ist es uns, euch mit

Nico bekannt zu machen, einem

alten Hasen der B-Boy-Szene und

Veranstalter des Floor-Wars-Qualifiers

in Hannover. Gleich zum

Anfang des Jahres war das Event

ein absolutes Muss für jeden B-

Boy und jedes B-Girl. Es wurde gecyphert,

gegeneinander angetreten,

geschwitzt – aber vor allem

getanzt! Über die Hintergründe

spricht hier nun: Nico.

58 BACKSPIN #115 Sommer 2014


Hey Nico, stelle dich doch kurz einmal unseren

Lesern vor!

Mein Name ist Nico oder auch NicoRoc, und ich

repesente die Master Plan Crew/Floorever Family.

Ich wurde 1978 in Osnabrück geboren und habe

dort 1994 mit Rap, Graffiti und Breaking angefangen.

2002 zog ich zum Kommunikationsdesignstudium

nach Hannover. 2005/2006 durfte ich einen

Zwischenstopp in New York einlegen, seitdem

lebe ich wieder gerne in Hannover und bin hier

mit einem Motion-Design- und Animationsstudio

selbstständig.

Wann bist du auf die Veranstaltung aufmerksam

geworden und wie kam es zum Kontakt mit dem

Veranstalter?

Das ist mir gar nicht so bewusst. Meine Crew war

2008 am Start und ich bin dann das erste Mal 2009

dabei gewesen. Die Jungs in Köln haben damals

eine super Arbeit geleistet. Nicht zuletzt die Tatsache,

dass es zu diesem Zeitpunkt in Deutschland,

bis auf das Battle of the Year, kaum einen Qualifier

gab, der den Sieger ins Ausland schickte, war

ein Garant für ein volles Haus und die richtige

Atmosphäre. Außerdem bin ich in Hannover auf

Ready to Rock gestoßen – eine Crew, die schon

seit Mitte der Neunziger am Start ist. Die Jungs

waren gut vernetzt und schon mit Sune, dem Veranstalter

des Floor Wars International, befreundet.

So hat zum Beispiel Merlin schon länger bei der

Kommunikation geholfen und die offiziellen Fotos

gemacht. Mit den Jungs bin ich dann auch nach

Kopenhagen gereist und habe dort Sune und Isti

vom Team Floor Wars International kennenlernen

dürfen. Schnell haben auch wir eine freundschaftliche

Ebene gefunden und blieben im regen Kontakt.

Von da an habe ich nur wenige Besuche zum

internationalen Finale ausgelassen.

Wie ist das Prinzip des Battles aufgebaut? Es ist ja

ein internationales Event mit vielen Vorausscheidungen,

ähnlich dem Battle of the Year, richtig?

Zunächst handelte es sich um ein Drei-gegen-drei-

Crew-Battle. Das Ziel von Sune ist es, am Ende

der Qualifier die „Great 8“ zu stellen. Das heißt:

die acht besten Crews aus den Vorentscheiden

im internationalen Vergleich. Dieses Jahr wurden

zu den sechs qualifizierten Crews aus Spanien,

UK, Russland, Frankreich, Italien und Deutschland

beziehungsweise Benelux zusätzlich die Hunters

Crew (Weißrussland) und die Renegade Rockers

(USA) eingeladen. Ein fettes Line-up, wie ich finde.

Zu den Great 8 werden dann weitere acht Crews

vor Ort ausgewählt, um am Ende die Finals mit den

Top-16-Crews im Knock-out-System zu starten.

Diese weiteren acht Crews werden aus allen angemeldeten

Crews über ein Punktesystem gewählt.

Auf diese Weise wurden auch beim Floor Wars

Germany und Benelux die Finals ausgewählt, nur

dass es keine gesetzten Great 8 gab, sondern alle

Top 16 aus dem gesamten Feld der angemeldeten

Crews kamen.

Warum gab es die Jahre davor keine regelmäßigen

Vorausscheidungen in Deutschland?

Genaue Gründe kenne ich leider auch nicht. Ich

kann nur aus eigener Erfahrung sagen, dass es

nicht einfach ist, in Deutschland ein solches Event

auf die Beine zu stellen. Ich denke, am Ende sind

dem Team in Köln die Unterstützer weggebrochen.

Bei der Suche nach Sponsoren ist man leider immer

auf die aktuelle Ausrichtung von Marketingabteilungen

angewiesen – und Breaking war nicht

immer in. Gerade mit der Verantwortung, ein Plus

zu generieren, um den Siegern die Reise nach Kopenhagen

gewährleisten zu können, ist es ein gewisses

Risiko, das man eingeht.

Wie viele Gruppen hatten sich angemeldet und

wie viele kamen aus den Benelux-Ländern?

Mike von Ready to Rock, mit dem ich hauptsächlich

den Vorentscheid geplant habe, hat einen

super Job gemacht und unter anderem die Anmeldung

betreut. Wir hatten am Ende 51 Crews,

davon aber nur circa sechs aus Holland und Belgien.

Da Holland eine starke Szene hat, sind dort

eigene Kanäle und Netzwerke entstanden, und wir

hatten das Gefühl, dass es schwer war, in diese

einzudringen. Außerdem gibt es speziell in Holland

viele internationale Events wie etwa das IBE. Es ist

also offensichtlich nicht so attraktiv für die Crews

aus den Benelux-Ländern, nach Deutschland zu

kommen, um hier am Qualifier für ein internationales

Event teilzunehmen.

Mir ist aufgefallen, dass das Level der Gruppen relativ

hoch war – und das bei so vielen Gruppen.

Wie beurteilst du das?

Auf jeden Fall war es hoch. Das hat auch bei der

Jury zu Diskussionen geführt. Ich denke, zum einen

begünstigt das Drei-gegen-drei-System, dass

sich die Leistungsträger aus einer Crew zusammenfinden

können. Zum anderen ist das Niveau in

Deutschland flächendeckend gestiegen, und Floor

Wars hat endlich mal wieder bundesweit alle aus

den Löchern geholt. Sonst passierte das oft nur

regional im Norden, Süden, Westen und Osten.

Persönlich denke ich auch, dass die Einflüsse von

außen stärker geworden sind und alle Bock haben,

sich zu entwickeln. So laden die Jungs von den

Def Style Rockers schon seit Jahren die Legende

Poe One von der Style Elements Crew zu gut besuchten

Workshops ein. True Rokin Soul schaffen

es ebenfalls, foundationrelevante Workshop-Leiter

ranzuholen, und auch die starke Generation aus

dem Ende der Neunziger gibt ihre Werte an die

junge Generation weiter, die geschlossen beim

Floor Wars Germany und Benelux vertreten war.

Each One Teach One!

Wie seid ihr auf die internationale Jury gekommen,

wer hat die Jury ausgewählt und was war

entscheidend für eure Auswahl?

Die Jury ist in Abstimmung mit dem gesamten

Team zustande gekommen. Ich war allerdings in

der Verantwortung, Vorschläge zu machen. Grundsätzlich

waren wir der Meinung, eine internationale

Jury an den Start zu bringen, um eine gewisse

Neutralität zu bieten. Selbstverständlich klappt das

niemals, da sich immer jemand benachteiligt und

nur selten bevorteilt fühlt. Wichtig war uns, eine

Jury zusammenzustellen, die Raum für verschiedene

Fokusse bietet wie zum Beispiel Power oder

Foundation. Wir wollten Floor Wars nicht dazu

missbrauchen, unsere eigene Vorstellung vom

Tanz über die Jury abzubilden, sondern eher die

Realität der Bewegungen in der Szene. Allerdings

muss ich sagen, dass auch wir aus dieser Veranstaltung

gelernt haben und in diesem Punkt noch

einige Fragen offen bleiben. Generell finde ich,

dass sich die Leute locker machen müssen. Es ist

immer hart, eine lange Anreise in Kauf genommen

zu haben, um dann nicht in die Battles zu kommen

oder in den Battles früh auszuscheiden. Ich wünsche

mir für die Zukunft, dass Crews weder wegen

der Judges kommen noch wegbleiben. Sie sollten

kommen, um das Ding an sich zu feiern, zu cyphern

und alte Bekannte zu treffen.

Was persönlich ist dir wichtig bei einem Event dieser

Größe?

Wir haben das Event in diesem Jahr zum ersten

Mal ausgerichtet und uns zunächst auf das Wesentliche

konzentriert. Das sind Kleinigkeiten, die

für uns aber wichtig erscheinen. Es sollte genug

Raum zum Austausch geben – also Platz für Cyphers,

um die Energie aufrecht zu halten. Wir

haben allen Tänzern ein Lunch-Paket und Wasser

ausgehändigt. Wenn man sich gute Leistungen

erhofft, muss man sich um eine gute Infrastruktur

kümmern. Hier mal kurz ein Shout-out an das

ganze Team für die intensive Unterstützung! Nicht

zuletzt war uns Timing superwichtig! Bei einer so

großen Anzahl von Crews geht viel Zeit für die

Vorauswahl verloren. Wenn dann der Organisator

nicht auf Trab ist, nervt das schnell.

War es dieses Jahr schwer, an Sponsoren ranzukommen?

Es gab keine Sponsoren! Das ist ein Sache, die

wir für das nächste Jahr noch optimieren müssen.

Ich denke, das generelle Problem mit Sponsoren

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 59


„Wichtig war uns, eine Jury zusammenzustellen,

die Raum für

verschiedene Fokusse bietet wie

zum Beispiel Power oder

Foundation.“

60 BACKSPIN #115 Sommer 2014


ist, dass man trotz des Anspruchs auf Realness

am Ende die Power unserer Kultur verkaufen

muss. Wir versuchen, das jetzt langsam über

das Sammeln von medienwirksamen Daten wie

YouTube-Klicks etc. attraktiv zu gestalten und

Sponsoren zu finden, denen nicht klar ist, dass

man mit diesem Event eventuell die richtige

Zielgruppe findet. Auf der anderen Seite gibt

es Sponsoren, die schon lange unsere Szene

nutzen, die wir aber aus Prinzip nicht angefragt

haben. Wenn man genau hinschaut, hat ein

Energydrink zum Beispiel nichts mit gesunder

Ernährung und einem leistungsstarken Körper

zu tun, somit auch nichts mit unserem Lifestyle.

Auch hier ist ein Shout-out angebracht! Der Jugendbeirat

der Stadt Hannover kann über Gelder

verfügen und diese verschiedenen Projekten

zukommen lassen. Wir waren sehr glücklich,

diese Förderung bekommen zu haben.

The Ruggeds aus Holland haben in Hannover

gewonnen und so die Einladung zum internationalen

Floor Wars mit nach Hause genommen.

Was meinst du als Veranstalter und B-Boy war

ihre Strategie bei so vielen Gruppen, es bis ins

Finale zu schaffen?

Das ist schwer zu sagen. The Ruggeds sind halt

’ne starke Truppe. Ich glaube, im Top-16-Battle

hatte sich einer der Jungs den Arm verletzt,

konnte danach nichts mehr richtig mit dem

rechten Arm und hat trotzdem bis ins Finale

durchgezogen. Ich denke, das war wohl ihre

Strategie: durchziehen.

Was wünscht du dir für die Zukunft des Events?

Für die Zukunft wünschen wir uns, dass wir

auch für das kommende Floor Wars 2015 wieder

den Qualifier ausrichten können. Die Resonanz

aus der Szene war bisher durchweg positiv

und man hat gemerkt, dass die Tänzer nur darauf

gewartet haben, dass Floor Wars Germany

endlich wieder zurück ist. Ansonsten natürlich

Gesundheit usw. B

FLOOR

WARS

2014

Finale in Kopenhagen

Nach einer spannenden Floor-Wars-Vorausscheidung

Deutschland/Benelux in Hannover reiste ich

am 14. März 2014 zum internationalen Finale nach

Kopenhagen. In diesem Jahr wurde dort nicht nur

das Finale ausgetragen, sondern auch der zehnte

Geburtstag der Veranstaltung gefeiert.

Das Floor Wars ist für mich eine ganz spezielle

Veranstaltung: Besonders interessant finde ich

die verschiedenen Kategorien der Battles neben

dem Drei-gegen-drei-Hauptbattle. Angefangen mit

einem Toprock-zwei-gegen-zwei-Battle, das wirklich

sehr spannend war, und mit einer tollen Jury

bestehend aus dem B-Girl Groovy aus Dänemark

und vielen anderen bekannten Tänzern. Gewonnen

hat es übrigens die legendäre Rock Steady Crew.

Dann gab es noch ein Footwork-Battle, das ebenfalls

auf hohem Niveau stattfand. Dort gewann B-

Boy Jay aus Frankreich, der mit viel Groove und

einem tollen Style punktete.

Die Vorausscheidungen für das Drei-gegen-drei-

Hauptbattle fanden in Spanien, England, Russland,

Frankreich, Italien und Deutschland statt. In den

Great-8-Crews waren Shake Styles aus Spanien,

Soul Mavericks aus England, Comix Zone aus Russland,

Inesteam aus Frankreich, Funkobotz aus Italien,

The Ruggeds aus Holland, Renegades aus den

USA und die Hunters aus Weißrussland. Bereits

das Line-up versprach sehr viel, und meine Erwartungen

wurden voll erfüllt.

Der Abend hielt dann aber doch wieder einige

Überraschungen bereit. Es waren viele neue Talente

am Start, die problemlos mit dem hohen

Level der alten Hasen mithalten konnten. Ich bin

mir sicher, dass wir zukünftig noch einiges hören

werden und freue mich, dass wir einen so starken

Nachwuchs haben.

Die Jury war besetzt mit Swift Rock aus Deutschland,

Kadoer aus Spanien und B-Girl AT aus Finnland.

Meiner Meinung nach eine top Jury-Besetzung.

Für die gute Musik an diesem Abend sorgten

die DJs Skeme Richards von der Rock Steady Crew

aus New York, Uragun aus Italien und DJ Deilf aus

Frankreich. Trotz des internationalen Flairs und der

schönen Location, dem Vega, einem tollen Veranstaltungsort

direkt im Zentrum von Kopenhagen,

war die Atmosphäre sehr familiär und vertraut. Das

Event mit mehr als 60 Crews aus der ganzen Welt

war meiner Meinung nach ein absolutes Highlight

des Jahres. Durch das mehrstöckige Gebäude hat

man auch von oben die Möglichkeit, direkt auf die

Tänzer zu schauen – es ist fast ein wenig Arena-

Atmosphäre.

Im Finale trafen die Ruggeds aus Holland und die

Soul Mavericks aus England aufeinander. Die beiden

Crews schenkten sich mal wieder nichts. Es

war wirklich schön anzusehen, wie strategisch es

die beiden Crews ins Finale geschafft hatten, und

wie sehr beide Crews das Ding mit nach Hause

nehmen wollten. Der Saal kochte vor Anspannung

und es wurde gleich um gefühlte 20 Grad wärmer.

Das Publikum feuerte beide Crews an, die Stimmung

war kaum noch zu übertreffen. Sowohl die

Ruggeds als auch die Soul Mavericks waren wirklich

super vorbereitet, zum Glück saß ich nicht in

der Jury. Letztendlich gewannen die Soul Mavericks

das Battle. Sicher sind auch der Jury die Entscheidungen

nicht immer ganz leicht gefallen, da

sich die Crews durchgehend ein starkes Battle lieferten.

Direkt nach dem Finale gab es eine großartige

After-Show-Party, auf der alle zusammen noch

mal gerockt haben. Bombenstimmung und super

Leute! Im Großen und Ganzen war das Wochenende

in Kopenhagen für mich ein absolutes Highlight,

und ich kann es jedem Tanzinteressierten nur empfehlen,

im nächsten Jahr mal vorbeizuschauen. In

diesem Sinne: Peace! B

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 61


Interview: Niko Hüls | Fotos: KWE

HIP HOP KEMP

One Upon a Time

Jeder hat ihn in sich, diesen einen Moment in seinem Hip-Hop-Leben,

der den Unterschied macht. Der der Grund dafür ist, warum man bis

heute so viel Liebe und Energie in eine Kultur steckt, für die man auch

mal belächelt wurde. Wir wollen mit den Leuten sprechen, die Dinge

geschaffen haben, die bis heute Pfeiler der Kultur sind, um ihre Empfindungen

zu verstehen. Den Anfang macht Affro, Gründer und Macher

vom Hip Hop Kemp in Tschechien.

62 BACKSPIN #115 Sommer 2014

Damals noch auf kleiner Bühne: Das Hip Hop Kemp im Jahre 2002.


Affro, wenn du auf deine persönliche Hip-Hop-

Historie zurückblickst: Was war für dich dieser

eine Moment, die Situation, die dich am meisten

geprägt hat?

Es war im Jahre 2002. Die beiden besten Freunde

Babs und Affro, die sich seit Kindergarten-Zeiten

kennen, hatten einen gemeinsamen Traum: ein

dreitägiges Hip-Hop-Festival auf die Beine zu stellen.

Im Alter von 24 Jahren standen zunächst nur

die Leidenschaft für die Musik und eine klare Vision.

Mit wenig bis gar keiner Erfahrung standen sie

gleichzeitig aber auch quasi mit dem Rücken zur

Wand. Es gab keine großen Sponsoren oder reiche

Eltern. Auch einen Plan B gab es nicht. Es musste

also funktionieren. Ansonsten wären sie richtig gefickt

gewesen.

Und dann kam das Unwetter …

Richtig, es kam zu den schlimmsten Überflutungen

seit 200 Jahren. Im ganzen Land verloren Menschen

ihr Zuhause und ihr Hab und Gut. Pardubice

war einer der wenigen Orte, die nicht von den Unwettern

betroffen waren – der Ort für das Hip Hop

Kemp. Wir knieten uns also weiter rein, während

wir von allen möglichen gebuchten Künstlern Anrufe

bekamen, ob das Festival denn nun überhaupt

stattfinden würde oder nicht. Die schweren Unwetter

waren ja überall in den Nachrichten, selbst

CNN hat berichtet. Wir waren insgesamt etwa 20

Leute, die sich jeden Tag den Arsch dafür aufrissen,

dass alles klappt. Aber wir haben ja die Sonne in

unserem Logo, damit müssen wir in puncto Wetter

ja immer Glück haben. (lacht) Das Event wurde

atemberaubend. 3.500 Leute waren gekommen,

alle im Geiste von „Peace, Unity, Love and Having

Fun“. 3.500 Leute, alle auf der Suche nach dem

perfekten Beat. Damit war eine Legende geboren.

Als der letzte Auftritt des Festivals über die Bühne

gegangen war, waren wir alle den Tränen nahe. Wir

konnten kaum noch aufrecht stehen, geschweige

denn gehen, so müde waren wir. Aber wir hatten es

geschafft. Unser Traum war wahr geworden. Und

wir wussten, dass das keine einmalige Sache bleiben

sollte. Es war vielmehr der Anfang einer Saga,

die sich hoffentlich noch lange fortsetzen wird.

Heute, 13 Jahre später, habe ich immer noch das

Gefühl, dass wir alles richtig gemacht haben. Wir

sind der lebende Beweis dafür, dass alles möglich

ist. Schließlich hatten wir eines der größten Hip-

Hop-Festivals Europas ins Leben gerufen, und zwar

in einem kleinen, ehemals kommunistischen Land.

Kannst du dich an das Gefühl erinnern, das du hattest,

als der erste Headliner auf dem allerersten

Hip Hop Kemp auf der Bühne stand?

Wie könnte ich das je vergessen!? Phi-Life Cypher

enterten die Stage. Sie gingen nicht einfach da rauf,

sie stürmten einfach die Bühne, sie übernahmen

sie. Life machte einen Kopfstand und freestylte und

das Publikum flippte vollkommen aus. Ich bekam

eine Gänsehaut und fühlte mich, als hätten wir gerade

den Madison Square Garden ausverkauft. In

dem Moment war ich sozusagen auf Wolke sieben.

Du fühlst, wie die Magie des Moments dir durch die

Finger gleitet, aber du willst ihn noch nicht mal festhalten.

Vielleicht kann man das am ehesten damit

vergleichen, Schmetterlinge zu beobachten – man

will sie nicht fangen und mit nach Hause nehmen,

man freut sich einfach, ihnen beim Fliegen zuzusehen.

Würdest du sagen, dieser Moment hat dein Leben

beeinflusst?

Danach war nichts mehr, wie es vorher war. Ich

hatte mit einem Mal viele Musiker getroffen, die ich

davor einfach nur bewundert hatte.

Und das hat dich noch hungriger gemacht?

Absolut. So ein Erlebnis beflügelt einen darin, jedes

Jahr noch besser zu werden. Dafür habe ich auch

die Fehler anderer studiert, um daraus zu lernen

und sie nicht selbst erst machen zu müssen. Außerdem

wussten wir natürlich, dass die Popularität

eines Musik-Genres mal groß und dann auch mal

wieder kleiner ist. Das hieß für uns, dass wir nicht

immer nur wachsen konnten. Wir können nicht

jedes Jahr noch mehr Besucher haben, eventuell

verlieren wir im Vergleich zum Vorjahr sogar mal

welche. Daraus folgt, dass sich Besser-Werden

nicht zwangsläufig daran festmachen lässt, wie

viele zahlende Gäste man hat. Dennoch denke ich,

dass es uns gelungen ist, besser zu werden. Jedes

Jahr, wenn die Vorbereitungen beginnen, frage ich

mich auch, ob das, was wir gerade aufziehen, im

Jahr darauf überhaupt noch zu toppen sein wird.

Und?

Bisher hielt ich das Vorjahr immer noch für übertreffbar.

Sollte ich mal an den Punkt kommen, an

dem ich denke, dass die besten Momente bereits

in der Vergangenheit liegen, dann ist es für mich an

der Zeit, aufzuhören. Dann muss ich die Fackel an

den nächsten übergeben, der über mehr Hunger

verfügt, als ich es dann tue. Aber keine Sorge, der

Funke, den wir 2002 entfacht haben, hält das Feuer

in mir nach wie vor am Brennen.

Würdest du sagen, dass der Spirit des Hip Hop

Kemp das Festival für die Fans so spannend

macht?

Als wir anfingen, wollten wir zu niemandem in

Konkurrenz treten. Am Ende waren wir dann einfach

glücklich, dass wir ein wenig Geld übrig hatten

– schließlich hatten wir nicht vor, das Festival rein

geschäftsmäßig aufzuziehen. Vielmehr wollten wir

ein Festival veranstalten, das wir selber gerne besuchen

würden. Und da das niemand tat, mussten wir

es selbst in die Hand nehmen. Daran halten wir fest.

Wir hatten ohnehin nie die ganz großen Budgets,

also mussten wir einfach smarter sein als die anderen

und Dinge anders und besser machen. So geht

es uns auch nach wie vor darum, ein Zusammentreffen

von Hip-Hop-Heads auf die Beine zu stellen.

Dazu dachten wir von Anfang an, dass wir etwas

Besonderes hier drüben haben, nämlich die Atmosphäre

– und die wollen wir mit unseren Besuchern

teilen. Wir wollten erreichen, dass jeder, der einmal

auf dem Hip Hop Kemp war, gerne wiederkommen

möchte. Normalerweise haben Festivals ja im Lineup

einige lokale Acts und dazu ein paar größere US-

Künstler. Nur bringen die Amerikaner nicht unbedingt

mehr Besucher aufs Festival. Wenn man aber

Gruppen bucht, die aus den umliegenden Ländern

kommen, dann bringen diese in der Regel einen

Teil ihrer Anhängerschaft mit. Und wenn es denen

dann auch noch gefallen hat, erzählen die das ihren

Freunden und bringen beim nächsten Mal noch

mehr Leute mit. So haben wir es geschafft, hier in

Tschechien ein Festival mit rund 20.000 Besuchern

auf die Beine zu stellen – und mehr als die Hälfte

der Besucher kommen aus dem Ausland. Natürlich

gibt es da immer Länder, aus denen mehr Besucher

kommt als aus anderen. Allerdings sorgt das dann

auch wieder dafür, dass sich die Leute untereinander

connecten und ihre Vorurteile gegenüber den

anderen vergessen. So sieht man bei uns auch

mal einen polnischen MC mit einem aus Australien

zusammen freestylen, während ein dänischer DJ

ihnen dazu einen Beat jugglet. Man darf das aber

auch nicht falsch verstehen. Natürlich sind wir gut

organisiert, nur wirkt das Hip Hop Kemp deswegen

nicht gleich wie eine unpersönliche, cleane Veranstaltung.

Wir lieben einfach diesen funky Vibe des

Hip Hop Kemp, wo die Grenze zwischen Künstlern

und Publikum irgendwann zu verschwinden beginnt

und man sich zusammen einen einschenkt, wo

man auch hinter der Bühne beobachten kann, wie

da 30 Leute durchdrehen, weil sie den Auftritt, der

gerade auf der Bühne stattfindet, so abfeiern. All

diese Dinge sorgen am Ende dafür, dass das Publikum

das Hip Hop Kemp so sehr liebt und warum

wir als Veranstalter es auch so sehr lieben. Wir sind

schon stolz auf unser Baby. B

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 63


64 BACKSPIN #115 Sommer 2014

Text: Falk Schacht | Fotos: G-Shock

G-SHOCK

Sido, Preppers und Atomuhren


Vor einiger Zeit war ich in London,

um Maharishi-Designer

Hardy Blechman zu treffen und

mit ihm über seine G-Shock-

Kollaboration „Lunar Bonsai“

zu sprechen. Das Spannende

an der Person Blechman ist,

dass er als einer der Experten für Tarnfarben gilt

die Sido überhaupt nicht teilt, da er gerade den

Aspekt der Selbstverteidigung in einer postapokalyptischen

Welt besonders spannend findet. In

Blechmans Vision sollten Prepper am besten jetzt

schon Saatbanken anlegen, damit ausreichend

Saatgut vorhanden ist, um die Felder wieder neu

zu bestellen. Und damit der pazifistische Prepper

das immer pünktlich gewuppt bekommt, braucht

Zehn Jahre Laufzeit – G-Shock und Hardy Blechman

verleihen der „Lunar Bonsai“ Ausdauer

und sein oberstes Ziel darin besteht, diese vom

Image des Militärischen zu befreien.

Diese schon leicht spleenige Fachexpertise erweitert

Blechman aber noch durch eine Komponente,

die er mit Sido gemeinsam hat. Beide

sind fasziniert von der sogenannten „Prepper“-

Kultur. Prepper sind Menschen, die sich auf das

Ende der Zivilisation vorbereiten. Varianten, wie

die Menschheit zugrunde gehen könnte, gibt es

tausende: Atomkriege, Meteoriteneinschläge,

biochemische Ausrottung usw. In der Popkultur

wurden diese Endzeit- und postapokalyptischen

Szenarien immer gerne aufgegriffen in Filmen wie

„Mad Max“, „Terminator“, „Planet der Affen“, „12

Monkeys“, „Die Klapperschlange“, „I Am Legend“

oder auch „Wall-E – Der Letzte räumt die Erde auf“.

Außer bei „Wall-E“ sind diese Szenarien eigentlich

immer sehr gewalttätig. Was angesichts des totalen

Zusammenbruchs aller industriellen, technologischen

und sozialen Infrastrukturen auch relativ

logisch erscheint. Das ist der Grund, weshalb alle

Preppers neben den Kidneybohnen im Bunker

auch blaue Bohnen für Kanonen haben.

Genau das findet Hardy Blechman schrecklich.

In seinen Visionen sollten alle Menschen pazifistische

Prepper sein. Recht nachvollziehbar. Wer

hat schon Bock, für sein Essen Leute töten zu müssen?

Das ist allerdings eine Seite des Szenarios,

er eine Uhr – und genau da hat Blechman bei seinem

Design der „Lunar Bonsai“ angesetzt.

Das Besondere ist nämlich, dass die G-Shock-

Uhren Batterien haben, die zehn Jahre halten sollen.

Da diese Uhren allerdings ihre zeitgenauen

Signale von einer Atomuhr erhalten, könnte es zu

Problemen kommen, wenn der einzige Atomuhr-

Funkturm in Mainflingen bei Frankfurt getroffen

wird. Hoffen wir, dass wir diese Szenarien nicht

werden erleben müssen.

Interview: Falk Schacht

Fotos: Niko Hüls

G-Shock und Maharishi veröffentlichen

mit der „Lunar Bonsai“-Uhr eine neue

Kollabo der beiden Firmen. Der Maharishi-Designer

Hardy Blechman, führender

Experte in Sachen Tarnfarben, stand

uns für ein Interview zur Verfügung.

Dabei geht es um seinen philosophischkonzeptionellen

Ansatz und seine Faszination

für die „Prepper“.

Herr Blechman, was ist der Unterschied zwischen

der aktuellen Kollabo von G-Shock und

Maharishi sowie den vorherigen Zusammenarbeiten?

Wir haben bisher drei Kollabos mit G-Shock

gemacht, und jede Kollabo war unterschiedlich,

aber diese ist bis jetzt die beste. G-Shock

hat eine neue Drucktechnik entwickelt, mit der

man jetzt alle Teile einer Uhr bedrucken kann.

Wir haben diese Technik nun zum ersten Mal

Partners in Time

G-SHOCK

& MAHARISHI

anwenden können. Wir können nun endlich genau

dasselbe machen, was wir sonst auf Stoff

umsetzen.

Sie interessieren sich für „Prepper“, also Menschen,

die sich für den Weltuntergang „präparieren“.

Was fasziniert Sie so daran?

Es sind vor allem die übergeordneten Dinge,

die es für mich relevant und interessant ma-

Sommer 2014 #115 BACKSPIN 65


chen. Ich bin aber vor allem von den pazifistischen

Preppern fasziniert. Die Old-School-

Prepper, die ihr Essen in einen Bunker packen

und dann Waffen kaufen, um die Bunker zu

beschützen – das klingt nicht nach dem richtigen

Weg. Ich möchte nicht der einzige Nachbar

im Dorf sein, der Essen hat, um dann den

anderen beim Sterben zuzuschauen, wenn sie

versuchen, in mein Haus einzudringen. Ich finde

es spannender, in Saatbanken und Essensbanken

zu investieren. Wir brauchen gute Saat

für gutes Essen. Es müssen auch Informationen

bereitgestellt werden, wie man vernünftig

selber anpflanzt und wie man Selbstversorger

wird, sollte es zu einem Umwelt- oder

Wirtschaftskollaps kommen. Oder wenn eine

Sonneneruption die Erde trifft und all unsere

Stromnetze zerstört. Wenn irgendwas davon

passiert, wäre es besser, wenn die Menschen

nicht mit Waffen, sondern mit Informationen

darüber ausgestattet sind, wie sie sich selber

ernähren können. So wie wir es vor einigen

tausend Jahren auch gemacht haben. Das interessiert

mich. Solche Informationen zu teilen,

wäre positiv. Selbst wenn die Gesellschaft nicht

zusammenbricht, wäre so etwas immer noch

gut. Geh’ in den Garten, geh’ spazieren oder

in den Wald und pflück’ ein paar Früchte. Wir

haben diesen Park in London, wo Beeren und

Brennnesseln wachsen, die man essen kann.

Und ich denke, dass der Großteil der Leute,

die da durchlaufen, niemals etwas davon essen

würden. Die laufen lieber zum Supermarkt

und bezahlen drei Pfund für einen Korb Beeren,

anstatt sich zu bücken und die aus der Natur

zu pflücken. Das ist seltsam. Es scheint so, als

wären wir überhaupt nicht mehr mit der Natur

verbunden. Wir reden nicht darüber, die Schulen

fokussieren sich nicht darauf, und deshalb

scheint das für mich notwendiges Wissen zu

sein, das es zu vermitteln gilt. Ich verbinde mit

Preppern keine gewalttätigen Dinge. Die alten

Prepper sind zwar bis an die Zähne bewaffnet

und vermitteln den Eindruck, dass man sich

auf die Zukunft mit Waffen vorbereiten muss,

aber ich denke nicht so. Ein pazifistischer Prepper

ist nicht daran interessiert, sich selber zu

bewaffnen.

Was glauben Sie ist der Grund dafür, dass die

Gesellschaft heute so ein oberflächliches Verhältnis

zur Natur hat?

Ich versuche, in meinem Leben eine engere

Verbindung mit der Natur zu haben. Ich denke,

ich habe eine Art Pflicht, mit meiner Arbeit für

Maharishi diese Informationen zu verbreiten.

Ich gehöre zu dem Teil der Bevölkerung, der

daran interessiert ist, das Volk zu ermutigen,

sich wieder mit der Natur in Verbindung zu

setzen. Während der andere Teil immer noch

dabei ist, alles auszubeuten. Es ist so, als würden

die Leute denken, dass sie niemals sterben

müssen. Als hätte das, was wir unseren Körpern

antun, keinen Effekt auf uns. Ich bin damit

aufgewachsen, womit alle aufgewachsen sind.

Ich sehe die Leute auch rauchen und trinken

und Drogen nehmen. Ich bin denselben Versuchungen

ausgesetzt wie alle anderen auch.

Aber je länger ich mir das anschaue, desto

mehr fällt mir auf, dass die Leute den Planeten

so behandeln, wie sie ihren eigenen Körper behandeln.

Ich fände es gut, wenn ich es schaffen

würde, dass es nicht mehr uncool ist, im

Streetwear-Sektor über die Umwelt, einen gesunden

Körper oder einen heilen Planeten zu

sprechen.

Denken Sie, dass es mit solchen Kollabos wie

zwischen Streetwear-Marken und G-Shock

möglich ist, den Leuten dies bewusster zu

machen?

Weiß ich nicht. Ich wache nicht morgens auf

und denke, das ist jetzt meine Lebensaufgabe.

Aber ich sehe, dass ich die Pflicht habe, jede

Möglichkeit zu nutzen, dieses den Leuten mitzuteilen.

Wir reden ja auch gerade miteinander

darüber.

Zum Abschluss: Ihr Profilbild auf Facebook

zeigt den Künstler Joseph Beuys, warum?

Für mich ist er deshalb bekannt, weil Andy

Warhol einen Druck seines Bildes in Tarnfarben

gemacht hat. Und das ist wahrscheinlich einer

meiner Lieblings-Warhol-Drucke. Einer hängt

in meinem Büro, einer in meinem Studio und

einer in meinem Haus. Ich mag die Arbeit von

Beuys, ich weiß nicht wirklich, ob er selber die

Tarnfarben erforscht hat, aber Warhol hat ihn

auf immer mit Tarnfarben verbunden. B

66 BACKSPIN #115 Sommer 2014


Text: Peter Parker / Foto: Walter Glöckle

Tom Thaler

& Basil

Immer wieder gab es in den letzten Jahren Hip-Hop-Künstler, die neue Wege

gingen und sich über eine neue Soundästhetik, neue Songwriter-Ansätze

und Open-mindedness definierten. Die immer wieder angeführten Casper

und Marteria eroberten die Speerspitze des hiesigen Erneuerungsprozesses

und haben sich für nacheifernde Künstler wie Cro oder Gerard über viele

Grenzen hinausbewegt. Und wie beide Galionsfiguren zugeben mussten,

war das anfangs nicht immer von Erfolg und positiven Reaktionen gekrönt.

Der Weg ist das Ziel, und weitere Rap-Acts werden folgen. Die Newcomer

Tom Thaler & Basil könnten hier relevant werden. Ihr Album steht vor der Tür

und die bisherigen drei Singles lassen einiges an Erwartungen hochkochen.

Man würde ihnen jedoch unrecht tun, sie auf Neo-Hipster-Rap zu reduzieren!

Analogie zu den erfolgreichen Vorläufern gibt es zur Genüge. Wie bei

Casper darf man gerne ihre tiefer gehenden Gedankengänge nachvollziehen

und die poppige Leichtigkeit des Pandas schwingt ebenfalls mit. Der

Hamburger Tom Thaler und der Stuttgarter Basil sind deshalb alles andere

als Copycats, sondern einfach bereit für eine weitere, sehr wahrscheinlich

erfolgreiche Stufe ihres Schaffens. „Horizont“, „Perfekt“ und „Treat Me

Like“ haben mit Selbstironie, Hedonismus und Melancholie die passenden

lyrischen Zutaten, die das frische Soundmenü aus Balearic und Bass Music

braucht. Vor dem Album erschien jetzt noch ein Tua-Remix von „Horizont“,

der nicht nur in Insiderkreisen vielsagend als „unfassbares Brett“

abgefeiert und wegweisend für das Album sein wird. Hörbar ist sofort, dass

Beatschmied Basil nicht nur ein Ohr am Puls des aktuellen Sounds zwischen

Kaytranada, KRTS und Left Boy hat, sondern durchaus Ambitionen, hier

mitzumischen. Warner Music scheint ein heißes Eisen zu schmieden. Das

Album wird es zeigen. Am 8. August 2014 kommt erst einmal die richtungsweisende

„Hier mit dir“-EP! B

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Vintage Equipment

KORG MonoPoly

Text: Dennis Kraus

Fotos: Eric Anders

Verkaufsflop trotz Top-Preis:

der Korg MonoPoly

Dieser Synthesizer hatte es aus gleich zwei Gründen

schwer, sich am Markt durchzusetzen. So

wollte man bei Korg mit dem MonoPoly einen

Nachfolger des legendären Minimoogs (siehe

BACKSPIN #111) ins Rennen schicken, was man

sicherlich als mutig bezeichnen kann. Zum anderen

band Korg dem MonoPoly mit dem legendären

Polysix auch noch eine hausinterne Konkurrenz

ans Bein. Aber alles der Reihe nach.

Als der MonoPoly 1981/82 auf den Markt kam,

war er mit einem Preis von etwa 2.400 Mark ein

vergleichsweise erschwinglicher Synthesizer.

Konkurrenzprodukte wie der Roland Jupiter-8, der

Oberheim OB-8 oder der Memorymoog waren

aufgrund der verbauten Technik weitaus kostspieliger.

Und doch entwickelte sich dieser an sich gute

Synthesizer nie zu einem Verkaufsschlager. Dabei

bot er mit seinen 4 VCOs, also Klangerzeugern,

und seinen vielfältigen Klang-Modulationsmöglichkeiten

einiges, was das Herz damals wie heute

begehrte. Jeder der vier Oszillatoren verfügt über

einen eigenen Lautstärke-, Tuning-, Stufen- und

Waveform-Schalter. Darüber hinaus kann man

dem Signal White Noise beimischen. Der Tiefpassfilter

kommt mit 24 Dezibel pro Oktave und

verfügt, neben den typischen Parametern, auch

über einen inversen Verlauf und Keytrack. Die Modulationsmöglichkeiten

kann man entweder synchronisiert

und/oder als Crossmodulation einzeln

für alle Oszillatoren anfahren. Die Geschwindigkeit

des Arpeggiators freilich lässt sich ebenfalls

regeln. Linker Hand neben den 44 Tasten stehen

zwei Handräder zur Verfügung, davon eins für das

Pitchbending mit Mittenrastung, das andere, für

Modulationen gedachte, kommt ohne Rastung daher.

Diese Räder lassen sich beim MonoPoly ma-

68 BACKSPIN #115 Sommer 2014


nuell auf verschiedene Filter etc. anwenden. Eine

Besonderheit ist außerdem, dass man ihn, obwohl

der MonoPoly eigentlich ein monofoner Synthesizer

ist, dank des sogenannten „Key Assign Mode“

dennoch mehrstimmig spielen kann.

Das große Manko des MonoPolys ist schließlich

der fehlende Speicher. Im Gegensatz zum Polysix,

der über 64 Speicherplätze für selbst geschraubte

Sounds bietet, verfügt diese Kiste nicht über einen

einzigen Speicherplatz. Stattdessen gab es damals

ein Frontplatten-Layout auf Papier, auf dem man

die Einstellungen der einzelnen Potis einzeichnen

konnte. Und auch mit MIDI-Anschlüssen wartete

der MonoPoly nicht auf. Über die Klinkenbuchsen

ließ er sich allerdings dann doch per MIDI-CV-Konverter

über MIDI ansteuern. Einige Firmen boten

deswegen an, den MonoPoly mit einem MIDI-Interface

auszustatten.

In der Summe trugen all diese Punkte dazu bei,

dass sich vom Korg MonoPoly nur etwa 10.000

Einheiten verkauft haben sollen. 1984 sei die Produktion

eingestellt worden, heißt es. Und so ist er

über all die Jahre nie dem Status des Geheimtipps

für zornige Lead- und Bass-Sounds entwachsen.

Wer heute einen MonoPoly sein Eigen nennen will,

der wird um die 1.100 Euro zahlen müssen. Wem

eine Version für den Rechner reicht, der wird mit

der Korg Legacy Collection eine Menge Freude

haben. Für 199 Dollar bekommt man direkt beim

Hersteller das komplette Bundle, inklusive Mono-

Poly, MS-20, M1, Wavestation, MDE-X und natürlich

dem Polysix.

Vintage Equipment

CELESTA

Um suoni dolci, süße Klänge, ging es den Erfindern der Celesta. Der

Name des Instruments entstammt jedoch nicht dem Italienischen, sondern

dem Französischen und bedeutet so viel wie „die Himmlische“.

Entwickelt wurde das Instrument einst, um Töne zu erzeugen, die süß

und weich klingen, gleichzeitig aber auch ein ordentliches Klangvolumen

haben. Einen ersten Versuch hierzu gab es Mitte des 18. Jahrhunderts

in Irland. Über einen Prototypen hinaus kam das damals noch Aiuton

genannte Instrument jedoch nicht. Erst Ende des 19. Jahrhunderts,

Sieht aus wie ein Klavier, klingt

wie ein Märchen: die Celesta

Sommer 2014 #115 BACKSPIN 69


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Vintage Equipment

CELESTA

im Jahre 1886, hatte der Harmoniumbauer Victor

Mustel in Paris das Instrument gebaut, das bis

heute als Celesta bekannt ist – genannt hatte es

Mustel damals bereits genau so: Celesta.

Klanglich ist die Celesta nicht allzu weit vom Glockenspiel,

vom Rhodes (siehe BACKSPIN #114)

und auch vom Klavier entfernt. Im Gegensatz zum

Glockenspiel etwa bietet sie wegen ihres großen

Resonanzkörpers jedoch einen größeren Tonumfang

im Bereich der Tieftöne. Zudem verfügt die

Celesta, anders als das Glockenspiel, über weiche

Filzhämmerchen im Anschlagmechanismus, sodass

der Ton sanfter klingt als der des Glockenspiels.

Von außen betrachtet sieht die Celesta aus wie

ein Klavier, sie verfügt über eine Tastatur, ein Pedal

und ein großes Gehäuse. Innen befinden sich

Stahlplatten, Resonatoren sowie die Anschlagmechanik.

Die entscheidenden Klangerzeuger sind

stählerne Klangplatten, die auf Filzleisten über den

hohlen Resonatoren aus Holz liegen. Diese Stahlplatten

werden von mit Filz bezogenen Hämmerchen,

die man über die Klaviatur spielt, angeschlagen.

So spielt man die Celesta dann auch wie ein

Klavier, greift Akkorde oder Einzeltöne, und tritt

man das Pedal, wird die Dämpfung aufgehoben

und die Töne klingen nach. So gehört die Celesta

eher zur Instrumentenfamilie der Tasteninstrumente,

obwohl man sie aufgrund der Tonerzeugung

über den Anschlagmechanismus auch zu

den Schlaginstrumenten zählen kann.

Verwendung findet die Celesta primär im Orchester,

wo sie sich schnell etablieren konnte. So verwendeten

sie Komponisten wie Richard Strauss

oder Pjotr Tschaikowski in Werken wie „Der Rosenkavalier“

oder „Der Nussknacker“. Gemeinhin

steht der Klang der Celesta für etwas Märchenhaftes,

Verschleiertes, Glitzerndes, Traumhaftes.

Daher findet die Celesta auch in Kompositionen

für Filmmusiken immer wieder Verwendung. Besonders

durchsetzungsfähig im Gesamtklangbild

ist die Celesta im Übrigen nicht. Daher wird sie

gerne in Verbindung mit hohen Streichern, Harfen

und Holzbläsern gespielt.

Auch in Rap-Beats findet die Celesta immer wieder

mal Verwendung. Mit ihrem weichen Klang

kann man sie wunderbar als Stellvertreterin für

ein Rhodes, Klavier oder Glockenspiel einsetzen.

Ein solches Exemplar wie das auf unserem Foto,

das die schwäbische Schiedmayer Pianofabrik

(damals Stuttgart, heute Wendlingen) Anfang des

20. Jahrhunderts gebaut hat, braucht man jedoch

nicht zwingend. Allseits bekannte Librarys wie

die des Vienna-Symphonic-Orchesters oder von

Native Instruments bieten eine sehr gut klingende

Alternative für den Rechner. Allein den klackenden

Klang der Tasten, der aufkommt, wenn man etwas

härter auf einer richtigen Celesta spielt, bleibt dem

Library-Nutzer dann doch vorenthalten. B


FabFilter Pro

MB Multiband

Compressor

In der Welt der Plug-ins gibt es immer wieder Tools, die einen guten Sound oder eine gute Handhabbarkeit

zeigen. Dass FabFilter ein verstärktes Augenmerk auf die Kombination beider Attribute legt, zeigt

der Multiband-Kompressor Pro-MB. Bis zu sechs Frequenzbänder/Frequenzbereiche können in ihrer

Ausdehnung und ihrer Verteilung über die Frequenzbereiche frei platziert werden. So in einem Frequenzbereich

weder komprimiert noch expandiert wird, ist kein Unterschied zum Eingangssignal hörbar. Es

kann allerdings auch bis zu den bekannten pumpenden Effekten auf den Sound komprimiert werden.

Und das für jeden der Frequenzabschnitte unabhängig voneinander hinsichtlich Threshold, Range, Attack,

Release, Output Gain oder variablen Kurven, die zugeordnet werden können. Dazu kommt auch

die Fähigkeit, diese Variablen wiederum nur mid oder side only prozessieren zu lassen und für jedes

Frequenzband auch noch einen eigenen externen Input für das Sidechaining zu wählen. Die Übergänge

zwischen den einzelnen Frequenzbereichen können stufenlos von „harten“ 48 db/oct bis zu „weichen“

6 db/oct gewählt werden. Wie immer bei FabFilter sind die Mapping-Möglichkeiten für alle denkbaren

MIDI-Controller denkbar einfach. Und mit dem „Dynamic Phase Processing“ werden die Einflüsse auf

die Frequenzen, die man vom Multiband-Prozessieren kennt, ohne die nervende Latenz oder das sogenannte

„Pre-Ringing“ möglich.

Wer bis dato das Vergnügen hatte, mit iZotope-Produkten zu arbeiten und die Art

von Musik macht, die von Effekten profitiert, der wird über den neuesten Streich

„BreakTweaker“ sicherlich mehr als erfreut sein. Hier wird versucht, den Brückenschlag

zwischen Effekten, Beat-Sequencing und Drum-Bearbeitung zu erreichen. Mit

dem Synth Generator erstellte Drumsounds können über den Sequencer in den Mix/

Song eingebunden werden, und die Micro-Edit-Engine kommt danach ins Spiel, um

die programmierten Drums noch dynamischer wirken zu lassen. Der Generator bietet

die Möglichkeit, im Sinne eines Wavetable-Synthesizers ohne großen Aufwand

vollkommen neue Drums entstehen zu lassen. Und schon hier sind die Möglichkeiten

schier unbegrenzt, indem man mit einem Sample beginnt und die Oszillatoren/LFOs/

Effekte ihrer Arbeit nachgehen lässt. Der Sequencer bietet 32 Steps mit bis zu 24 verschiedenen

Patterns. Jede einzelne Spur kann einer eigenen Step-Länge und einem

eigenen Tempo zugewiesen werden, wobei ein Sync mit der Host-Software problemlos

möglich ist. Ebenfalls kann über die Multi-Out-Funktion jede Spur zur weiteren

Bearbeitung separat in die DAW eingeschleift werden. Die mitgelieferte Sound-Bibliothek

kommt gerade zu Beginn mehr als gelegen, um sich schnell einen Überblick über

die unzähligen Möglichkeiten der Bearbeitung zu verschaffen. Zehn Tage kostenloses

Testen ist wie immer möglich.

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iZotope

BreakTweaker

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Eventide

UltraChannel

Im Gegensatz zu den vielen reinen Software-Schmieden, die sich in den letzten Jahren mit

vielen spannenden Produkten ins Gespräch gebracht haben, ist die Firma Eventide Inc. schon

beinahe so etwas wie ein Oldtimer. 1971 gegründet, machten die Amerikaner bald vor allem

mit ihrem legendären Harmonizer „Eventide H910“ von sich reden. Kaum ein großes Studio

mit Geschichte, das nicht mindestens einen Harmonizer von Eventide – gerne auch den etwas

neueren H8000FW – im Rack stecken hat. Erfreulicherweise hat man bei Eventide den Zug ins

Computerzeitalter nicht verpasst. Und so gibt es inzwischen viele Plug-in-Versionen der renommierten

Eventide-Effektgeräte. Aktuell etwa wird der UltraChannel beworben. Noch bis zum

8. Juli dieses Jahres kostenlos herunterzuladen, wird der Channel Strip danach 249 $ kosten.

Erhältlich als AU, VST und AAX für Mac und PC bietet der UltraChannel alles, was man von

einem guten Kanalzug erwartet. Fünf-Band-EQ, zwei Kompressoren, Limiter, Gate, Stereo Delays

(vom H8000!) sowie einige Dynamik-Prozessoren. Eine Übertrager-Emulation soll zudem dafür

sorgen, dass man etwa die tiefen Frequenzbereiche des Signals mit Obertönen anreichern und

es so anwärmen kann, ohne dass die Transparenz all zu arg beeinträchtigt wird. Dazu kommen

eine Transformer-Emulation und noch einige andere spannende Features. Wer nicht lange

schrauben möchte, kann auf die Factory Presets zurückgreifen, die anderen legen selbst Hand

an. Der Sound wird es einem danken.

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 71


Text: Torben Bowm

BITWIG

Fotos: Bitwig

STUDIO

Ein schlankes Programm mit viel Raum

für den Ressourcen-Hunger von Plug-ins

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72 BACKSPIN #115 Sommer 2014


Der hart umkämpfte Markt der DAWs wird

bekanntlich von ein paar wenigen Platzhirschen

besetzt. Jedoch kommen immer

mal wieder vermeintlich kleinere Firmen um die

Ecke, die versuchen, mit innovativen Ideen und

Konzepten ihren Teil vom Kuchen für sich zu sichern.

Wie es öfter mal mit innovativen Ideen und Konzepten

ist, braucht es eine gewisse Eingewöhnungsphase.

Dann und wann aber, und das ist hier

der Fall, offenbart sich jedoch, dass, neben dem

obligatorischen Anspruch, einen guten Sound zu

liefern, eben jene innovativen Ideen und Konzepte

auch Verbesserungen im Workflow mit sich bringen

können.

So ist der Berliner Software-Schmiede Bitwig mit

„Bitwig Studio“ eine Cross-Platform-Lösung (Windows/OS

X/Linux) gelungen, die nicht nur schon

länger angekündigt war, sondern die auch viele

Leute aufhorchen ließ. Allein die schon länger angekündigte

„Sandbox“-Funktion kann man hier als

Beweis nehmen, dass sich massiv Gedanken gemacht

wurden, was man mit an den Tisch bringen

möchte. Wer immer mal wieder das Vergnügen

hatte, durch einen Plug-in-Absturz mehrere Stunden

Arbeit zu verlieren, weiß, was ich meine. Ganz

zu schweigen davon, dass Bitwig Studio sowohl

32-Bit- als auch 64-Bit-Plug-ins nebeneinander zu

nutzen im Stande ist.

Für alle, denen Macro Controls ein Begriff sind,

geht Bitwig mit dem „Unified Modulation System“

mindestens einen Schritt weiter. Für einen einzigen

Macro-Knopf kann man problemlos verschiedenen

Parametern gänzlich unabhängige Ranges

zuweisen, sodass der Macro-Knopf über seinen

gesamten Bereich nur den sogenannten „Sweet

Spot“ der verschiedenen hinterlegten Controls

bearbeitet. Dies gilt übrigens sowohl für die mitgelieferten

Effekte als auch für jedes Plug-in, das

man in Bitwig Studio nutzt. Dieser extreme Zugewinn

in Sachen Bedienbarkeit wird aktuell noch

davon getrübt, dass es noch nicht allzu viele von

vornherein angelegte und gemappte Controller

gibt, jedoch ist mit der „Open Controller API“ die

Möglichkeit gegeben, seinen eigenen Controller

den Wünschen entsprechend zugänglich zu machen.

Man darf allerdings davon ausgehen, dass

viele der Controller-Hersteller in absehbarer Zeit

native Unterstützung ermöglichen werden, oder in

der wachsenden User-Community Mappings zur

Verfügung und/oder Veränderung bereitgestellt

werden.

Der Detail-Editor erlaubt die nicht-destruktive

Veränderung von Audioaufnahmen hinsichtlich

des Pitches, Pans, Splits, Reverses oder Re-Arrangierens.

Ebenfalls ist es möglich, über eine Time-

Stretch-Funktion, die auf einem eigenen Algorithmus

basiert, die Dateien zu verändern.

Um den Start in ein neues Projekt mit einem

Sample oder einer kurzen Notenfolge zu vereinfachen,

kann man im „Dynamic Object Inspector“

mehrere MIDI-Noten oder Audiodateien markieren

und gemeinsam über ein Histogramm bearbeiten,

wobei es auch hier gilt, dass die Möglichkeiten der

Bearbeitung ausgelotet werden müssen, da es

eine neue Möglichkeit ist, um Aufnahmen zu bearbeiten.

Die Browser-Funktion zeigt sich ebenfalls sehr

gut aufgestellt mit der Möglichkeit, Samples tempoadaptiert

vorzuhören, verschiedene Metadaten

der Files mit in die Erstellung der Datenbank aufzunehmen

oder nach unterschiedlichen Gesichtspunkten

die Vorauswahl zu treffen, ob man nach

Geräten, Samples, Multi-Samples (quasi Sampler-

Dateien), Musik oder anderen Dateien ordnen

möchte. Die unterstützten Formate sind WAV,

MP3, AAC, WMA, FLAC und OGG VORBIS.

Natürlich gibt Bitwig Studio dem Nutzer die Möglichkeit,

eine unbegrenzte Anzahl an Spuren, sei es

für MIDI- oder Audiodaten, zu erzeugen, ebenso

wie für Effekte. Hier kommt Bitwig Studio zugute,

dass es selbst ein eher schlankes Programm ist

und somit vermeintlich mehr Raum für den Ressourcen-Hunger

von Effekten oder Plug-ins lässt.

Der Multi-Core- und Multi-Prozessor-Support ist

heutzutage natürlich von vornherein zu erwarten,

was allerdings Bitwig Studio eigen ist, scheint zurzeit

die Möglichkeit zu sein, die verschiedenen Ansichten

eines Projekts (Arrange/Mix/Edit) auf bis zu

drei Monitore visuell zu verteilen und miteinander

verlinkt zu bearbeiten. Ebenfalls bietet Bitwig Studio

die Möglichkeit, mehrere Projekte parallel zu

öffnen und alle Files per Drag-and-drop zwischen

Projekten hin und her zu schieben.

Was neben einer Menge an Details, wie sie für

eine neue Software normal sind, ebenfalls mehr

als nur ein wenig Interesse weckt, ist der Ausblick

auf angekündigte, kommende Veränderungen

in den nächsten Versionen der Software. Bitwig

Studio basiert unter der Haube schon auf einem

modularen System, welches in 2.0 für die User

geöffnet wird und ihnen ermöglicht, vollkommen

neue Devices zu erstellen oder sogar bestehende

in ihren Funktionen zu verändern. Wem das zu viel

potenzielle Coderei ist und wer lieber mit ein paar

Freunden Musik machen möchte, wird sich um

die Möglichkeit des „Network Sync“ freuen, wobei

ein Rechner mit Bitwig Studio als Master fungiert

und ein weiterer Rechner, der über das Netzwerk

verbunden ist, das gleiche Projekt in Echtzeit mitbearbeitet.

Hierbei wird der Inhalt des jeweilig gerade

bearbeiteten Projekts immer wieder auf den

neuesten Stand gebracht, vergleichbar mit dem

„syncen“ von Handydaten über Clouds oder der

iCloud-Funktion für Dokumente. Die gleiche Idee,

nur weiter gedacht, ist der Grundstein für das

kommende Online-Collaboration-Feature, bei dem

mehrere Nutzer gleichzeitig über das Internet an

einem einzigen Projekt arbeiten können und Bitwig

Studio dafür sorgt, dass es alles „synced“ abläuft.

Die Zukunft des Gaming hat bereits mit solchen

Möglichkeiten begonnen, die Zukunft des Jammens

könnte mit genannten Features von Bitwig

Studio eingeläutet werden.

Alles in allem sind die Ausstattung und die Möglichkeiten,

die Bitwig Studio in der Version 1.0 bietet,

bereits der Ausblick darauf, was möglich ist,

wenn man gegebene Umstände weiterentwickelt

und sich fragt, wie die Zukunft des DAW-Markts

aussehen könnte, mehr als nur aller Ehren wert.

Hier sind Profis am Werk, die eine lange bestehende

Idee auf eine innovative Art und Weise umgesetzt

haben und zeigen, wie viel Potenzial sie selber

noch sehen in dem Baby, das sich so unscheinbar

Bitwig Studio nennt.

Für einen ersten Eindruck über die Möglichkeiten

sei verwiesen auf: https://www.bitwig.com/en/

bitwig-studio/overview.html B

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 73


PRODUCER SPOTLIGHT

EXILE

Interview: Lukas Ehemann

Fotos: Chelsey Croucher

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Name: Aleksander Manfredi

Age: 37

Residence: Los Angeles

Produced since: 1995

Equipment: MPC2000

Favorite Breaks: „Gangster Boogie“

Favorite Hip-Hop Songs: Arabian

Prince – „She Gotta a Big Posse“, DJ

Battery Brain – „8 Volt Mix“, Maggotron

Crushing Crew – „Fresh Beets“,

Fat Boys – „Jail House Rap“

Favorite Hip-Hop Producers:

Maggotron

Favorite Non Hip-Hop Songs:

Weird Al Yankovic – „Eat It“

Favorite Non Hip-Hop Producers:

Roger Troutman

Latest Productions: Snoop Doog

& Wiz Khalifa – „You Can Put It in

a Zag, But I’mma Put It in a Blunt“,

Dag Savage – „E&J“, Choosey –

„Moon“

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Exile, wie bist du zum Produzieren gekommen?

Wer oder was hat dich dazu gebracht?

Als ich klein war, zeigte mir mein Großvater,

wie man Akkordeon spielt. Das waren meine

ersten Erfahrungen mit Musik. Das Interesse

für Hip-Hop zündete LL Cool J. Dann hörte

ich die Autos die Straßen runterfahren und

aus ihren Boxen dröhnte es: „Boom! Boom!

Boom!“ Ich hatte solchen Sound vorher noch

nie gehört. Dann erfuhr ich, dass das Hip-Hop

war, und so lernte ich Too Short und die 2 Live

Crew kennen. Die 2 Live Crew war für mich

definitiv eine große Inspiration. Als ich in der

sechsten Klasse war, begann es mit diesem

Nasty-Rap, und ich dachte nur „Oh Shit“ und

war angefixt. Ich hörte außerdem Sachen von

Mister Mix, ich liebte seine DJ-Songs und den

Bass in seiner Musik. Ich fing gerade mit dem

Scratchen an, als Rodney-O & Joe Cooley

mit ihren Synthesizer-Scratches ankamen.

74 BACKSPIN #115 Sommer 2014


Damals war mein Tapedeck die Basis, ein Radio

stand daneben und oben drauf so etwas Ähnliches

wie ein Turntable. Ich hielt den „Tape“-Button gedrückt

und betätigte zudem den „Phono“-Button.

Die Scratches, die dabei entstanden, klangen ungefähr

so: „Ahh ahh ahh ahhhhh.“ So lernte ich

das Scratchen. Ab diesem Zeitpunkt fing ich an,

Tapes zu erstellen, Loops mit zwei Tapedecks und

einem Turntable zu kreieren und ich besorgte mir

eine Vierspur-Maschine. Naja, inspiriert wurde ich

demnach von der 2 Live Crew, Rodney-O & Joe

Cooley, Madlib, J Dilla. Die Inspiration wächst auch

mit neuen Künstlern und meinem immer weiter

wachsenden Musikgeschmack.

Wie würdest du deinen Style beschreiben, und hat

er sich über die Jahre verändert?

Meine Musik ist definitiv raw, aber ich gehe auch

in andere Richtungen. Ich war Teil der Rap-Crew

Emanon, wir produzierten neben dem Raw-Shit

auch Soulful-Shit. Dann fing ich an, meine Musik

professionell im Studio zu produzieren und performte

live mit meiner MPC. Ich experimentierte

viel. So auch auf meinem „Radio“-Album, wo ich

einen Haufen Krams aus dem Radio hier in Los

Angeles sampelte. Von dem puren Rauschen über

die Frequenzgeräusche bis hin zu den Snares und

den Basslines – es war alles dabei. Ich machte

Musik mit Fashawn, recordete zusammen mit Dag

Savage und machte das Album mit Blu. All diese

Rapper, mit denen ich zusammengearbeitet habe,

halfen mir, meinen Sound zu verbessern. Ich liebe

zwar immer noch diesen Raw-Sound und bleibe

ihm treu, aber ich mag es auch, zu experimentieren.

Ich experimentiere live schon mal mit Trap

oder elektronischer Musik, aber ich weiß immer,

was meine Leute hören wollen, und das will ich

ihnen auch bieten.

Wie wichtig ist das Equipment bei deiner Beatproduktion?

Das Equipment ist überhaupt nicht wichtig! Es

kommt nicht darauf an, was du an Geräten hast,

sondern auf das, was du selber drauf hast. Heutzutage

gibt es so viele verschiedene Geräte, doch die

Hauptsache ist, wie du sie bedienst! Es gibt Bands,

die machen den tightesten Shit in ihrer Garage und

wenn du etwas live machst, machst du es live, verstehst

du, was ich meine?

Wie haben sich deine Produktionen im Laufe der

Zeit weiterentwickelt? Gibt es bestimmte Routinen,

die du einhältst, wenn du einen Beat baust?

Alles hat mit diesem Electro-Zeug angefangen und

mit dem exakten Quantisieren von Beats – mal

schneller, mal langsamer. Dann kamen die Drum-

Kits ins Spiel, die Layer, Samples und schlussendlich

die Drum-Breaks, die den Sound noch deutlicher

quantisieren, sodass die Drums richtig hart

klingen. Dann nimmst du die Drums, entfernst

die Quantisierung und erschaffst deine eigenen

Breaks aus diesen Drums und lässt sie organischer

klingen. Das Programmieren ist verrückter geworden,

auch mit dieser Trap-Mucke und dem ganzen

Scheiß. Eigentlich liebe ich Trap auch wegen diesen

Crazy-Ass-Drum-Patterns und dem anderen

verrückten Zeug, was da passiert. Es ist einfach

witzig, wie es jetzt alles dazugehört und wie es in

meine Arbeit mit einfließt. Ich glaube, die Hörer

wollen mehr Live-MPC-Aktion und generell mehr

Musik live hören.

Wie wichtig ist es dir eigentlich, was ein Rapper

oder Sänger auf deinen Beats sagt?

Es ist mir sehr wichtig! Ich bin äußerst empfindlich,

was Worte betrifft. Ein Rapper kann ohne einen

Beat nichts erzählen, von daher finde ich es

nicht verwerflich, wenn ein Produzent seine Ideen

auch mit einbringt.

„Ein Rapper kann ohne

einen Beat nichts erzählen,

von daher finde ich es

nicht verwerflich, wenn

ein Produzent seine Ideen

auch mit einbringt.“

Wie siehst du den Hip-Hop heutzutage?

Ich finde den Hip-Hop zurzeit ziemlich vielfältig.

Die Frage ist, ob er die Anerkennung bekommt,

die er verdient. Diese Frage muss ich leider mit

nein beantworten, denn es gibt eine Menge dopen

Scheiß, den man da draußen finden kann. Es sei

denn, ihr habt ein wackes Ohr, ihr solltet kein wackes

Ohr haben!

Woran arbeitest du gerade? Was kommt Neues

von dir?

Ich habe gerade das Dag-Savage-Album veröffentlicht.

Bei dem „Cult Classic“-Album von Denmark

Vessey & Scud One habe ich ein bisschen

Vorproduktion geleistet. Ich steuerte ein Paar 808s

und Scratches dazu. Zudem habe ich gerade das

Mixtape mit Aloe Blacc von Emanon fertiggestellt.

Aloe Blacc rappt verflucht hart. Mein Homie

Choosey alias Ch zu dem Oosey und ich sind dabei,

unser Mixtape „The Leftfield“ klarzumachen,

und Denmark Vessey arbeitet mit mir an einem

weiteren Tonträger. Blu und ich sind mit dem „Dirty

Science“-Album fertig geworden. Also eigentlich

mache ich mein Ding und lasse die Eier baumeln.

Dingalingaling.

Wenn du heute einen Remix machen dürftest, ob

Hip-Hop oder nicht, welchen Titel würdest du wählen?

Ich würde „Rappin’ Duke“ remixen. Biggie hat eine

Line über „Rappin’ Duke“ in „Juicy“: „Remember

Rappin’ Duke? Duh-ha, duh-ha, you never thought

that Hip-Hop would take it this far.“

Ist Rap in deinen Augen eine eher limitierte Musikrichtung?

Die Leute, die Hip-Hop machen, schränken sich

vielleicht selber ein, denn Hip-Hop kennt eigentlich

keine Grenzen. Du hast im Prinzip die Freiheit, alles

zu machen, und ich bin das beste Beispiel dafür

mit meinem MPC-Krams. Ich höre alles Mögliche.

Ich mag New Wave, Jazz, Folk, House und fucking

Reggae. Es ist gar nicht so leicht, sich für eine Richtung

zu entscheiden, aber wenn ich müsste, würde

ich Folk sagen. Im Grunde genommen ist Folk die

Basis für Hip-Hop. Im Hip-Hop sprichst du über

dein Leben und darüber, wie hart alles ist. Oder

du rappst einfach über fette Bräute. Genauso ist es

in der Folk-Musik, du kannst einen Song darüber

machen, wie dein Leben verläuft, oder du singst

über ein Hühnchen, das die Straße runterläuft. Es

kann witzig oder sogar politisch sein. Du sitzt auf

deiner Veranda und singst, jemand kickt einen Rap

und freestylet die ganze Nacht über Government

Cheese. Ich würde gerade gerne Government

Cheese essen, deshalb an dieser Stelle ein Shoutout

an Government Cheese.

Wir würdest du den Style auf „E&J“, dem aktuellen

Album von dir und Johaz alias Dag Savage, beschreiben?

Es ist Soulful-Hip-Hop, gleichzeitig aber auch

Raw-Hip-Hop. Ich denke, das, was den Sound so

besonders macht, sind die Raps von Johaz und

die Energie, die er reinbringt. Blu ist ein smoother

Rapper und Johaz eher der In-your-Face-Rapper.

Im Prinzip mache ich nur mein Ding mit meinen

Beats, insbesondere auf diesem Album. Es ist traditioneller

Hip-Hop, in dem ich versuche, den passenden

Sound zu Johaz Charakter und seiner Seele

zu kreieren, damit er über sein Leben und seine

Ansichten vom Leben sprechen kann und damit

sein Talent optimal zum Vorschein kommt. So kann

er am Mic ausflippen und seinen Headbanger-Shit

am besten zum Ausdruck bringen. Blu ist der Shit,

aber Johaz könnte einem schlechten Erzähler den

Kopf abbeißen, so wie der verfluchte Ozzy Osbourne.

Gleichzeitig kann er aber auch gefühlvoll wie

eine Katze sein, das macht ihn so besonders.

Was war dein bisher größter Erfolg für dich persönlich?

Mehr als nur ein Album zusammen mit meinen

Freunden recordet zu haben, und zudem noch

erfolgreich gewesen zu sein. Dass wir gemeinsam

aufgetreten sind und die Leute unsere Texte

kannten und mitgerappt haben. Diese Menschen

fröhlich gemacht und inspiriert zu haben, war mein

größter Erfolg. Das war das ultimative Highlight. B

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 75


„Dieses Mal war es so, dass ich

einfach gemacht habe, worauf

ich Bock hatte – und da kamen

eher so Rap-Dinger raus.“

INTERVIEW: NIKO HÜLS

FOTO: DENIS IGNATOV

10 THESEN

MIT: CRO

Einen Aufstieg wie den seinen hatte man im deutschen Rap vorher noch nicht gesehen. Mit seinem zweiten

Album „Melodie“ schickt sich Cro nun an, seine Erfolgsgeschichte weiterzuschreiben. Wir haben zehn Thesen

über den Chimperator-Schützling aufgestellt und ihn mit diesen konfrontiert. Ob er uns widersprochen

oder zugestimmt hat, das könnt ihr hier nun nachlesen.

76 BACKSPIN #115 Sommer 2014


These: Ohne Chimperator wäre Cro nicht da, wo

er jetzt ist.

Stimmt. Aber das geht Hand in Hand. Hätte ich

das Team nicht gehabt, wäre ich nicht da, wo

ich jetzt bin. Hätte das Team mich nicht gehabt,

wüsste ich heute nicht, ob Chimperator einen solchen

Erfolg hätte. Wir sind einfach ein perfektes

Team. Die sind ein bisschen älter, ich bin etwas

jünger, aber trotzdem sind wir alle gefühlt gleich

alt und Kumpels. Das ist mir wichtig. Auch die

Idee, zu einem Major zu gehen, war von Anfang

an raus. Alles, was wir gemacht haben, war, mal

ein paar Angebote einzuholen, um zu checken,

was geht.

These: Cro ist mehr Pop als Rap.

Stimmt nicht! Michael Jackson ist für mich zwar

der König, aber in meinem Herzen schlagen trotzdem

die Souls of Mischief und Biggie. Ich bin

durch und durch ein Rap-Kind. Auf meinem neuen

Album geht es zurück zu meinen Wurzeln, zu

meiner Kindheit 1996. Bei „Raop“ war es so, dass

ich in die Hitkiste greifen und Dinger rauszaubern

musste, die ins Ohr gehen. Dieses Mal war es so,

dass ich einfach gemacht habe, worauf ich Bock

hatte – und da kamen eher so Rap-Dinger raus.

These: Ohne die Maske wäre Carlo ein anderer

Mensch geworden.

Hätte ich die Maske nicht gehabt, könnte das echt

sein. Wenn ich ständig und überall erkannt werden

würde, wäre ich zu Menschen wahrscheinlich

nicht so nett, wie ich es jetzt bin. Weißt du, was ich

meine? Das war echt gut für meine Charakterbildung,

dass ich einfach immer noch der normale

Typ war, der die Maske abnimmt und chillt. Ein

weiterer Punkt ist, dass mir die Maske vielleicht

auch einen Bonus eingebracht hat. Wobei viele

auch meinen, dass es genauso gut ohne die Maske

funktioniert hätte. Die Musik wäre da gewesen

– und alles andere wäre auch cool, aber ich glaube,

die Maske war schon sehr wichtig.

These: „Melodie“ ist ein „Raop 2“.

Das stimmt nicht. Dass man bei einigen Songs

denken kann, die wären für die Mädchen gemacht,

das werde ich wohl nicht mehr wegkriegen. Aber

meine Musik war schon immer so. Vom ersten

Mixtape bis jetzt klingt sie ähnlich. Trotzdem ist es

ist nicht „Raop 2“. Es ist anders. Es ist eben „Melodie“.

Ich bin zwei Jahre älter als bei „Raop“ und

die Beats sind noch ein bisschen cooler.

These: Cro ist zu unpolitisch für seine Stellung in

der Gesellschaft.

Das stimmt. Ich habe auch gar keinen Bock, irgendeine

Moralapostel-Figur zu sein, die irgendwem

seine Meinung aufdrückt. Ich habe meine

Meinung, und ich weiß auch so hier und da Bescheid

über Dinge. Aber ich werde auf jeden Fall

nicht anfangen, Lieder über irgendwas zu schreiben

und Stellung beziehen. Ich bin eher ein Wegbegleiter.

Die Jugend soll machen, was sie will –

und ich begleite sie dabei.

These: „#hangster“ hat Deutschrap verändert.

Deutschrap nicht. Aber dafür wurden ein paar

Freundschaften geschlossen. Vor allem Psaiko

kennt nun jeden. Auf der Party war alles friedlich,

alles cool, und das war schon ein Man-wusste-

nicht-freue-ich-mich-oder-finde-ich-es-komisch-

Moment. Die Bösen und die Schwulen zusammen,

das war auf jeden Fall lustig anzuschauen. Ich finde

auch den ganzen Quatsch mit „Der kann den nicht

leiden“ und Menschen, die irgendwelche bösen

Cover machen, voll beschissen. Hört doch auf mit

dem Scheiß. Macht doch einfach Frieden. Ich meine,

ich häng mit Hafti ab und trink mit ihm Wodka

an dem Abend. Ich verstehe nicht, warum man

sich streitet – ist doch voll beschissen.

These: Cro wird nie erwachsen.

Wäre ich jetzt 80 und würde die Maske aufsetzen,

würde ich genauso aussehen wie heute. Das ist

perfekt! Ich werde nie erwachsen! Nein, ich bin

in den letzten zwei Jahren echt abgecheckter geworden

und bin nicht mehr ganz so verplant. Daher

denke ich, die Themen, die ich aufgreife, sind

schon ein bisschen älter. Die müssten eigentlich

vor zwei Jahren schon passiert sein. Aber ich bin

trotzdem immer noch ein Quatschkopf, der macht,

was er will. Dass ich das neue Album wieder zu

Hause im Keller produziert habe, liegt daran, dass

ich noch keinen neuen Raum habe, in dem ich

mich wohlfühle. Es ist ein bisschen so wie beim

Pinkeln. Wenn man mir zuschaut, geht’s nicht.

Vor allem nicht so auf Knopfdruck. Ich muss einfach

ungestört sein, ich muss wissen, mich hört

niemand und zu Hause ist halt Mum ständig am

arbeiten. Ich habe das Haus ganz für mich alleine,

ich kann aufdrehen bis zum Anschlag – und das

ist richtig gut. Da habe ich alles, was ich momentan

brauche. Das wird sich schon noch ändern, ich

werde wohl raus fürs nächste Ding, mir irgendwo

was aufbauen, ’ne neue Heimat.

These: Mit H&M und McDonald’s verkauft Cro seine

Seele.

Was soll ich dazu sagen. Ich meine, jeder Mensch

mag McDonald’s und der, der McDonald’s nicht

mag, der mag Burger King. Ich finde es überhaupt

nicht schlimm – ich stehe dazu. Und das mit der

H&M-Kollabo war auch für uns sehr hilfreich.

These: Cro ist ein Einzelgänger.

Ein bisschen. Wenn es um Dinge wie Beats geht,

dann mache ich das schon selber und lass da

niemanden ran, außer jetzt gerade Shuko ein

bisschen. Ich kriege eine Million Beats geschickt,

und ich habe, glaube ich, keinen davon gepickt,

obwohl ich den Rechner voll hatte. Ich mache

generell viel selber. Auch die Videos würde ich

am liebsten selber machen, aber so was gebe ich

dann schon noch ab.

These: Wenn die Maske fällt, geht Carlo in Rente.

Andersrum! Bevor die Maske fällt, geht Carlo in

Rente. Sie wird nicht fallen, solange es mich gibt.

In nächster Zeit werde ich die Dinge aber schon

etwas lässiger angehen. Ich werde die anderen

Standbeine weiter ausbauen und vielleicht nebenher

Mucke für andere produzieren. Dabei picke ich

mir dann die Perlen für mein Album raus, das in

zehn Jahren kommt. B

„Wenn ich ständig und

überall erkannt werden

würde, wäre ich zu

Menschen wahrscheinlich

nicht so nett, wie ich es

jetzt bin.“

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 77


DIE LP MEINES LEBENS MIT:

AHZUMJOT

„Eminem war

damals mein

Punk“

Am 22. August erscheint

das neue Album von

Ahzumjot. Wir haben

ihn vorab mal nach

der LP seines Lebens

gefragt, jenem Album,

das ihn am längsten

begleitet und am meisten

beeinflusst hat.

Zwei Alben kamen für

ihn als Antwort infrage.

Für welches er sich

entschieden und gegen

welches es sich bei ihm

durchgesetzt hat, das

erzählt der in Berlin lebende

Hamburger hier.

Interview: Niko Hüls | Fotos: Christopher Voy

Ahzumjot, welches Album ist die LP deines Lebens?

Das ist „The Marshall Mathers LP“ von Eminem.

Das ist das erste Album, das ich gekauft habe. Das

war 2000, da war ich elf. Mein damaliger bester

Freund war großer Eminem-Fan. Der hatte die

„Slim Shady LP“ rauf und runter gepumpt. Irgendwann

kratzte ich dann mein Erspartes zusammen,

um mir wenigstens die „The Real Slim Shady“-

Maxi zu kaufen. An meinem Geburtstag gab

mein Vater mir schließlich 50 Mark und ich bin ins

Schauland in Hamburg gegangen. Dort kaufte ich

mir gleich drei CDs: „The Marshall Mathers LP“,

„The Writing’s on the Wall“ von Destiny’s Child

und „Unleash the Dragon“ von Sisqó, weil ich ein

großer Fan vom „Thong Song“ war. (lacht)

Also nicht einfach drei Rap-Alben?

Nein, meine erste gekaufte Maxi-CD war übrigens

von Pink. Da ist sie aber noch mehr die R&B-

Schiene gefahren, „There You Go“ hieß der Song.

Als ich dann das Eminem-Album in den Händen

hielt, ging ich mega stolz nach Hause, rief meinen

Kumpel an und meinte: „Ey, ich habe die ‚Marshall

Mathers LP‘, lass uns die anhören.“ Dann haben

wir die rauf und runter gehört, bestimmt dreimal

hintereinander. Damals war man noch so richtig

stolz auf eine Platte und hat die monatelang den

ganzen Tag gepumpt. Ich weiß noch genau, wie

geil sie damals mit „Kill You“ anfing. Auf „Bitch

Please II“ sind wir damals auch mega abgefahren.

Und dann kam „Kim“ – wie schockiert wir bei dem

Song waren. Der war schon krass.

War es dieses „Krasse“, was dich an Eminem fasziniert

hat?

Ich glaube, das war einfach die Art, wie er gerappt

hat. Für mich war er einer der ersten, die auch thematisch

richtig krass waren. Wenn man sich auf

„The Real Slim Shady“ anhört, wie er davon erzählt,

wie er zu den MTV Music Awards geht und

gleich neben Carsten Daily und Christina Aguilera

sitzt und die einfach nur beleidigt und bespuckt –

das fand ich lustig, trotz meiner Plattenkäufe von

78 BACKSPIN #115 Sommer 2014


Sisqó und Destiny’s Child. Auf Dr. Dre kam ich übrigens

erst im Nachhinein. Wir waren große Fans

von „Forget About Dre“. Über den Beat haben wir

früher immer versucht zu rappen – natürlich auf

Englisch, was für einen Elfjährigen dementsprechend

klang. Auf jeden Fall habe ich dann auch

N.W.A, die alten Snoop-Dogg-Sachen, Ice Cube

und den ganzen Kram retrospektiv für mich entdeckt.

Im Gegensatz zu den anderen war Eminem

für mich dann aber doch die ganze Zeit wie eine

Art Schauspieler. Das fand ich interessant. Abgesehen

von den Beastie Boys war er auch so

ziemlich einer der ersten weißen Rapper, die im

Vordergrund standen. Erinnerst du dich an das Interview,

in dem Missy Elliott sagte, dass sie dachte,

er wäre schwarz, nachdem sie ihn das erste

Mal gehört hatte? Für mich war Eminem damals

schon so eine Art Ikone. Der hat diese ganze jugendliche

Wut in sich gehabt, das fand ich inspirierend

– diese Antihaltung. Eminem war damals

irgendwie mein Punk.

Wie viel hast du damals von den Texten verstanden?

Nicht so viel, wie man sollte. Vieles habe ich nachgelesen.

Ich hatte mir die Lyrics besorgt und ging

die mit meinem acht Jahre älteren Bruder durch.

Beim Hören sind natürlich überwiegend Dinge

wie „Kill you“ und „Fuck you“ hängen geblieben.

Man hat verstanden, dass er wütend war. Das

fand ich gut. Dann bekam ich heraus, wieso der

wütend war, und fand das noch geiler. Später, als

ich jedes Wort verstand, hat es das natürlich noch

mal getoppt. Aber wie er gerappt hat und wie es

klang, das war schon damals sehr außergewöhnlich.

Einen so krassen Flow haben viele Rapper

nicht mal heute.

Die „The Marshall Mathers LP“ gilt mit Diamant-

Status als Eminems kommerziell erfolgreichste.

Gleichzeitig hast du ihn als wütend und ernst

wahrgenommen. Meinst du, dass diese beiden

Punkte für den Erfolg des Albums maßgeblich

waren?

Definitiv. Dieses Zusammenspiel von Message

und Wut war sicherlich einer der Gründe. Popmusik

im eigentlichen Sinne ist das Album ja

nicht, es gab nur kleine Gesangspassagen.

Mittlerweile gibt es die ja leider sehr viel mehr.

„Stan“ hat das Ganze auch kommerziell auf ein

sehr hohes Level gebracht. Was Eminem wiederum

inhaltlich gesagt hat, war jedoch nicht

unbedingt fundiert. Er war einfach jung, wütend

und wahrscheinlich komplett auf Droge. Deswegen

konnten sich wohl viele Kids darin wiederfinden.

Hat das Album dir deinen Weg als Rapper gezeigt?

Eminem war der Grund, warum ich mich noch

mehr für Hip-Hop interessiert habe. Natürlich

habe ich vorher schon ein bisschen was von

Nas mitbekommen und auch die Fugees haben

mir gut gefallen. Eminem war aber schnell so

etwas wie meine Ikone. Ich schrieb dann auch

bald meine ersten Texte – auf Englisch. Natürlich

merkte man schnell, dass ich der Sprache

nicht wirklich mächtig war. Mit 14, 15 fing ich

ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ

„Eminem war der Grund,

warum ich mich noch

mehr für Hip-Hop interessiert

habe.“

schließlich an, ernsthaft Texte auf Deutsch zu

schreiben.

Hörst du das Album heute noch? Wie textsicher

bist du, wenn eine der Nummern im Radio

läuft?

Das Album höre ich heute eher selten. Mitrappen

könnte ich aber noch immer sehr viel.

„Criminal“ fand ich damals zum Beispiel sehr

geil, später habe ich den jedoch nicht mehr

so gepumpt. Wenn ich den Song heute höre,

merke ich übrigens, dass ich mir als Kind da einige

Worte falsch ausgemalt hatte. Als du mich

fragtest, welche Platte die LP meines Lebens

ist, habe ich auch überlegt, „Hell Hath No Fury“

von Clipse zu nennen. Das ist so ziemlich eines

meiner Lieblings-Hip-Hop-Alben. Jeder Song

darauf ist krass, die Beats sind bombe. Dieses

Album hat mich also auch sehr beeinflusst. Die

„The Marshall Mathers LP“ hat mich aber vielmehr

als Musikhörer und Mensch geprägt. Meine

Mutter hingegen fand Eminem furchtbar. Für

sie war das keine richtige Musik.

Warst du vom Nachfolger „The MMLP2“ enttäuscht?

Ich fand das furchtbar. Auf dem Weg zu einem

Festival habe ich das einmal durchgehört. Ab

„Encore“ ging es aber sowieso für mich bergab

mit ihm. „Relapse“ fand ich okay, „Recovery“ fand

ich dann schon scheiße. Da ging es dann ja auch

los mit Rihanna-Features und so. Da bin ich ausgestiegen.

Bei „Berzerk“ dachte ich noch: Okay,

der versucht jetzt, noch mal cool zu sein und diese

Beastie-Boys-Schiene zu fahren. Diese Wut kam

für mich aber einfach nicht mehr authentisch rüber.

Danach kam „Rap God“: Das ist ja wohl der

schlimmste Rap-Beat aller Zeiten. Da dachte ich

mir: Das kann doch nicht dein Ernst sein! Wobei

er für mich schon immer nicht den glücklichsten

Beat-Geschmack hatte.

Wenn man als Künstler einmal so ein Holy-Grail-

Album gemacht hat, wird es anschließend erst

mal sehr schwer, oder wie stellst du dir das vor?

Das Los hat er sich ja selbst gegeben. Ist „The

Marshall Mathers LP“ nicht sogar das erfolgreichste

Hip-Hop-Album aller Zeiten? Wie kann

man danach dann so ein Album machen? Das

ist wohl dieses Alte-Herren-wollen-es-noch-malwissen-Phänomen.

Warum treten Leute nicht einfach

ab, wenn es am besten ist? Wobei bei „The

MMLP2“ die Enttäuschung nicht so riesig war, ich

hatte Eminem sowieso schon lange nicht mehr

so gehört wie früher. Meine weiße Mutter hat damals

ausschließlich schwarze Musik gehört, mein

schwarzer Vater hingegen nur weiße. Sie hat ihm

damals Michael Jackson, Bob Marley und Prince

eingeimpft. Zu mir hat sie dann immer gesagt:

„Der rappt wie ein Weißer. Das kann man sich ja

nicht anhören.“ Meine Mutter hatte also mehr Ahnung

als Missy Elliott. (lacht)

Wie viel steckt von „The Marshall Mathers LP“ in

deinem kommenden Album?

Da ich Texte auf Emotionen basierend schreibe,

schwingt auf meinem Album bestimmt etwas von

dieser Wut mit, wenn auch eher unterbewusst.

Das sieht man ja schon an dem Albumtitel: „Nix

mehr egal“. Ich bin halt jetzt an einen Punkt geraten,

an dem ich Dinge selbst in die Hand nehmen

und entscheiden will. Das Album geht auch mit

einem Song los, der „Wann bin ich dran?“ heißt.

Da stelle ich mir die essenzielle Frage des Albums.

Das zieht sich sozusagen durch die gesamte LP.

Dieses „Jetzt bin ich am Zug“ ist quasi die „Wut“,

die mich schon durch Eminem geprägt hat. B

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 79


Selektion und Transformation

DJ SCIENTIST

über den kulturellen Kontext von Hip-Hop

Hip-Hop hat für jeden eine andere Bedeutung, und jeder hat auch seine eigene Art, sich auszudrücken.

Hip-Hop ist inzwischen Popkultur, schreibt die Geschichte von Disco fort. Damit

wächst Protagonisten wie dem Wahlberliner DJ Scientist die Aufgabe zu, Hip-Hop in seinen

Ursprüngen zu erforschen und an die Oberfläche zu tragen. Erhobene Zeigefinger mit Hinweis

auf die vier Elemente kommen bei Scientist gar nicht gut an. Er hat ein eigenes und durchaus

ernstes Verständnis von Hip-Hop. Dieses wollten wir ergründen.

Interview: Sascha Weigelt | Fotos: Marie Chatard

Scientist, wo hast du Hip-Hop getroffen?

Die erste Hip-Hop-Musik, an die ich mich erinnern

kann, ist „Hey You“ von der Rock Steady Crew. Ich

hörte das Lied im Radio und bekam es nicht mehr

aus dem Kopf. Das ist vielleicht das erste Lied, an

das ich mich überhaupt erinnern kann. Später verstärkte

sich mein Interesse für Hip-Hop, auch dadurch,

dass er viel in Skate-Videos gespielt wurde.

Mit der Hip-Hop-Kultur und damaligen Szene hatte

das erst mal nicht viel zu tun, außer, dass viele

Münchner Skater wie Jamie Luca alias Jamerson

von Feinkost Paranoia später auch im Hip-Hop

aktiv wurden. Später war es mir wichtig, besondere

und seltene Musik zu haben, denn ich wollte

anders sein als die anderen. Als ich meine ersten

Platten kaufte, habe ich übrigens im Laden nicht

gecheckt, wie der Technics 1210 anging. Dann

setzte ich mir in den Kopf, DJ zu werden, und als

ich mir den Gemini Scratchmaster leisten konnte,

war ich täglich am üben.

Wie wichtig war die Begegnung mit Katmando,

auf dessen Label Masters On Broadway du „Mad

Science“ veröffentlicht hast?

Katmando schaute mir beim Auflegen zu, und wir

hatten gemeinsame Abende im Atomic Café. Mein

Mix erschien zusammen mit Tapes von DJ Static

und Mr. Burnz. Ich bin Katmando dankbar, dass ich

es bei ihm veröffentlichen durfte. Die „Mad Science

Breaks“ kamen dann auf Breakz’R Uz, und ich

entwickelte mich zu abstraktem, düsterem Instrumental-Hip-Hop.

Später legte ich mit Katmando

wieder im Atomic Café auf, und es lief ein kleiner

Konkurrenzkampf, wer die geilsten Platten hat.

80 BACKSPIN #115 Sommer 2014


Konnten sich deine Sets von Katmandos abheben?

Nein, jeder von uns hatte seinen eigenen Stil. Ich

vermischte Funk und Soul auch viel mit Hip-Hop.

Ich sammelte Electro und Old School, wodurch

Ivan und Klemens von Rap History aus Zürich auf

mich zukamen. Mit Misanthrop habe ich die Rap-

History-Datenbank entworfen, als es auf Discogs

kaum Hip-Hop gab und Freddy Freshs Buch noch

neu war.

Was motivierte dich, diese weltweit einmalige

Rap-History-Liste zu erstellen?

Wer Hip-Hop chronologisch betrachtet, der versteht,

weshalb Titel zu Klassikern wurden. Sie

waren ihrer Zeit voraus, so wie „Planet Rock“ oder

„Sucker MC’s“. Außerdem wollte ich neue Titel

entdecken, weil zu viel Gutes unbekannt blieb. Die

Grundarbeit zur Rap History kam von Ivan und Klemens.

Wir haben sie in Berlin nur vervollständigt.

Wann hast du Instrumental-Hip-Hop für dich entdeckt?

„Royalties Overdue“ mit DJ Krush erschien auf Mo’

Wax, DJ Shadows „In/Flux“ lief im Radio – so wie

vieles von Mo’ Wax in den 411-Skate-Magazin-Videos.

Turntablism und der frühe Instrumental-Hip-

Hop, Trip-Hop oder „Headz“ fanden sich in meinen

ersten Produktionen wieder. Für das Album mit

Ceschi hatte ich wesentlich mehr Einflüsse, und

hierauf hört man meinen eigenen Stil, denke ich.

Womit legitimieren sich deine Produktionen als

Hip-Hop?

Als Kool DJ Herc auf zwei Plattenspielern die

Breaks wiederholte, war das eine Vorstufe des

Sampling. Die ersten erschwinglichen Sampler

läuteten Mitte der Achtziger das goldene Zeitalter

des Hip-Hop ein. Sie brachten die Musik zu ihrem

Ursprung, indem alte Block-Party-Breaks wie

„Apache“ oder „Funky Drummer“ neu arrangiert

wurden. Vorher war das technisch gar nicht möglich.

Hip-Hop ist, wie der Name sagt, ein „Hop“,

eine Veranstaltung, die zum Tanzen einlädt. Meine

Musik ist melancholisch, nicht für Clubs gemacht,

aber sie basiert genauso auf Breakbeats. Eigentlich

ist doch alles nach Herc, Bam und Flash abstrakter

Hip-Hop.

Was bedeutet Hip-Hop also für dich?

Hip-Hop ist eine kulturell geprägte Sichtweise, und

damit auch eine bestimmte Herangehensweise.

Ich habe letztes Jahr einen Mix für Ninja Tune mit

sowjetischer Musik aus den Siebzigern gemacht.

Das war für mich purer Hip-Hop. Ich suche das

Beste heraus und transformiere es. Hip-Hop ist für

mich Selektion und anschließende Transformation

in einen neuen Kontext, den kulturellen Kontext

von Hip-Hop. Dieser Kontext ist für jeden anders,

je nachdem, wie man Hip-Hop erlebt, und wie eindringlich

man sich mit ihm beschäftigt. Für mich

war Hip-Hop immer Mut zu Neuem. Bezogen auf

Musik war es das Schaffen von Neuem durch Selektieren.

Du bist in München aufgewachsen, wo einige der

besten Plattensammler der Welt herkommen. Wo

hast du deine Platten gesucht?

Ich war auf Flohmärkten und habe alles gekauft,

was funky aussah. Anfang 2000 stieß ich auf osteuropäische

Musik. Aus Polen und Tschechien

kam guter Jazz, über Amiga der Schlager mit deutschen

Texten, und der Sowjet-Groove auf Melodia.

Ich bin ein Schnäppchenjäger, und Flohmärkte

sind mein Revier. Das hat aber auch den Nachteil,

dass andere gute Sachen an mir vorüberzogen. Ich

war beispielsweise nie darauf aus, mir über Ebay

teure Funk-45s zu besorgen.

Was hat dich nach Berlin verschlagen? Für ein

Münchner Landei war das bestimmt ein Kulturschock!

Hey, ich war kein Landei! Ich habe mich immer als

Stadtkind gefühlt, da ich in München unterwegs

war und dort geboren bin. Berlin hat sich wegen

der günstigen Mieten angeboten. Ich ging dort mit

Equinox Records an den Start und hatte Kontakt zu

Marc Hype, Marcello und DJ V.Raeter. Mittlerweile

schockt es mich, nach München zu kommen. Es ist

hier so sauber!

Weshalb hast du selbst Platten veröffentlicht?

War Equinox ein Stück Unabhängigkeit?

Die Indie-Kultur der Neunziger war meine Welt,

und ich wollte ein Teil von ihr sein. Geld war nicht

so wichtig wie ein cooles Label, das eigene Musik

auf Vinyl veröffentlicht.

Und die unverwechselbare optische Aufmachung

des Labels?

Die konnte ich im Studium für Mediendesign in

diversen Projektphasen entwerfen, und als Konzept

über zehn Jahre beibehalten. Darauf bin ich

stolz!

Stolz kannst du aber auch auf das Dead Magazine

sein …

Ja, das gab es anfangs als limitierte Printauflage

und als PDF zum Download. Die Idee dazu hatte

ich schon länger. Als Audio88 bei Equinox ein

Praktikum für sein Studium machen wollte, habe

ich ihm vorgeschlagen, ein Magazin zu veröffentlichen.

„Dead“ war sein Name! Seit zwei Jahren

steht Dead wieder online und spricht in erster

Linie progressiven Hip-Hop an. Damit füllen wir

eine Nische, ganz im Sinne des Magazins.

Wie kamst du dazu, einen Sowjet-Mix für Ninja

Tune aufzunehmen?

Das lief über Strictly Kev alias DJ Food, der bei

Ninja Tune unter Vertrag steht. Kev hat Equinox

immer unterstützt und mit meinem Künstler

2econd Class Citizen zusammengearbeitet. Also

habe ich ihn gefragt, ob ich einen Mix für die „Solid

Steel Radio Show“ aufnehmen darf. DJ DK,

der eigentliche Organisator, war nicht begeistert

von der Idee mit dem sowjetischen Funk. Bei ihm

lief moderne Musik. Das Ergebnis kam aber so

gut an, dass ich sogar bei der 20-Jahre-Feier der

Show in Berlin zusammen mit DK und Kev auflegen

durfte.

Und was steckte hinter den „Godly Grooves“ von

Arok und dir?

Der erste Teil von „Godly Grooves“ erschien 2009

und war eine Sensation! „Funkvergnügen“ hat

deutschen Funk hierzulande bekannt gemacht,

genauso wie der „Rambazamba“-Mix. Ein zweites

„Funkvergnügen“ wollte ich aber nie machen. Also

haben Arok und ich im deutschen Rare Groove mit

christlichem Hintergrund recherchiert.

Aufgrund der „heiligen“ Scheiben war das bestimmt

nicht leicht …

Ich wollte etwas machen, was es noch nicht gab,

und es gab unterschiedliche Reaktionen auf den

Mix. Die meisten fanden ihn skurril. Wir haben uns

beim Mixen oft selbst kaputtgelacht. Trotzdem sind

wir der Musik immer mit Ernst und Respekt entgegengetreten.

Ein Berliner Radiomoderator, der

den Mix spielte, hätte beinahe seinen Job wegen

„Gotteslästerung“ verloren. Ein christlicher Sender

aus der Schweiz hat den Mix problemlos gespielt.

Die Entscheidung, was man aus dem Mix herausholt,

liegt bei jedem selbst. Wir haben nichts an

den Aussagen der Platten geändert. Das war eine

künstlerische wie wissenschaftliche Herausforderung.

Und, machst du dir Gedanken über deine Zukunft?

Jeder sollte sich Gedanken über die Zukunft machen!

Das bringt Älterwerden mit sich. Genügend

passiert, wofür man kämpfen sollte. Ich möchte

nach der Hektik mit Equinox einfach mal das Leben

genießen. B

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 81


Interview: Frederike Arns

Fotos: Eric Anders

50 FRAGEN

AN MOBB DEEP

„Wir sind schon eher ein altes Ehepaar“

01. Könnt ihr mir ein Adjektiv nennen,

das den jeweils anderen am besten

beschreibt?

Havoc: Fokussiert.

Prodigy: Entschlossen.

02. Euer erster Berührungspunkt mit

Hip-Hop?

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Mein ambitioniertes Ziel war es, 50 Fragen an niemand Geringeres als Mobb Deep zu stellen. Vor dem Konzert in Hamburg trafen wir uns backstage.

Die Zeit für das Interview war viel zu knapp bemessen, aber Prodigy und Havoc gefielen die Fragen, sodass sie sich nach der Show die Zeit

nahmen, das Interview mit mir zu beenden. Natürlich fühlte ich mich wie ein „Shook One“, der noch lange vom „Halfway Crook“ entfernt ist. Umso

erstaunlicher war es für mich, wie klein (bis zu meinem Kinn), aufmerksam, freundlich und gar nicht furchteinflößend P und Hav sind.

ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ

Prodigy: LL Cool J und Run DMC.

Havoc: Kurtis Blow.

03. Ihr habt euch an der New Yorker

High School of Art & Design das erste

Mal getroffen. Was sind eure ersten

Erinnerungen aneinander und wie alt

wart ihr da?

Prodigy: Das war intensiv. Havoc hat

sich auf dem Schulhof geprügelt.

(lacht)

Havoc: Jaja, ich war schon immer ein

ganz Cooler. (lacht) Da müssen wir so

15 oder 16 gewesen sein.

04. Was habt ihr damals voneinander

gedacht, als ihr euch noch nicht so

gut kanntet?

Havoc: P war …, ich suche nach dem

richtigen Wort … Er hatte halt sehr

viel Schmuck. (lacht) Du kannst dir

denken, was er für einer war.

82 BACKSPIN #115 Sommer 2014


Prodigy: Bei ihm dachte ich nur:

Wow! Der hatte es schon immer

drauf mit den Frauen …

05. Eure Beziehung: Liebesaffäre

oder altes Ehepaar?

Prodigy: Ist das nicht das Gleiche?

Havoc: Nein, wir sind schon eher ein

altes Ehepaar. (lachen beide laut und

lang)

06. Was mochtet ihr an eurem vorherigen

Namen „Poetical Prophets“

nicht?

Prodigy: Ich mochte den Namen,

aber er passte einfach nicht so recht

zu uns.

Havoc: Der hat uns nicht richtig beschrieben.

07. Wie definiert ihr dann „Mobb

Deep“, das besser zu euch passt?

Prodigy: Erbarmungslos.

08. Was bedeutet euch eure Crew,

die 12th Street Crew?

Havoc: Das ist unsere Familie. Wir

sind zusammen aufgewachsen und

waren alle auf demselben Hip-Hop-

Film.

09. Prodigy, wie war es für dich, auf

dem Soundtrack von „Boyz n the

Hood“ gefeaturet zu sein?

Prodigy: Das fühlte sich damals wie

ein Lottogewinn an.

10. Havoc, was hat es dir bedeutet,

bei Black Moons „U da Man“ dabei

zu sein?

Havoc: Ich habe mich extrem cool

gefühlt. Black Moon waren damals

einfach die Coolsten.

11. Der Rolling Stone hat euch einst

als „Kriss Kross’ twisted evil twins“

bezeichnet. Stimmt das?

Havoc: Die haben recht! Die Beschreibung

ist gar nicht so unpassend.

(lachen beide laut und lang)

12. Warum habt ihr eine zweite Chance

nach „Juvenile Hell“ bekommen?

Seht ihr das überhaupt als zweite

Chance?

Havoc: Doch, doch, das war wirklich

eine zweite Chance.

Prodigy: Bevor wir diese zweite

Chance bekommen haben, wussten

wir schon, dass wir dazu fähig waren,

ein besseres Spiel zu spielen. Wir

wussten, dass wir noch bessere Musik

machen konnten. Das haben wir

dann ja auch bewiesen.

13. Könnt ihr ein Wort finden, das

euer New York Ende der 80er, Anfang

der 90er am besten beschreibt?

Havoc: Grimy.

14. Was ist New York heute?

Prodigy: Heutzutage ist es der

Schmelztiegel schlechthin.

15. Was bedeutet euch Heimat?

Prodigy: Das ist und bleibt New York.

Dort sind wir geboren und aufgewachsen

… Und wir leben immer

noch dort.

16. Wie wichtig ist euch Familie?

Havoc: Ohne deine Familie bist du

nichts. Du brauchst die familiäre Unterstützung

immer.

17. Was bedeutet euch Loyalität?

Havoc: Das bedeutet alles. Dafür

steht auch „Mobb Deep“. Sonst würde

es uns nicht mehr geben.

18. Und euer persönliches Vorankommen?

Prodigy: Das ist das Allerwichtigste.

Geld ist dabei zwar eine angenehme

Begleiterscheinung, aber das persönliche

Vorankommen ist viel wichtiger.

19. Zurück in die goldene Ära der

90er oder im Hier und Jetzt bleiben?

Prodigy: Ich würde im Hier und Jetzt

bleiben.

Havoc: Es geht doch immer um Weiterentwicklung.

Prodigy: Man kann nicht mehr zurückgehen.

Die 90er sind vorbei, wir

haben diese goldene Zeit doch miterlebt.

Warum sollten wir deswegen

zurückgehen wollen?

20. Welchen Song mögt ihr lieber –

„Shook Ones Pt. I“ oder „Shook Ones

Pt. II“?

Beide: Definitiv „Pt. II“!

21. Havoc, was dachtest du, als du

das Herbie-Hancock-Sample für

„Shook Ones Pt. II“ gefunden hattest?

Hattest du eine Vorahnung, dass dieser

Beat eine große Sache werden

könnte?

Havoc: Es hat sich einfach gut zusammen

mit den anderen Elementen

des Beats angehört. Mir war sofort

bewusst, dass sich das Ding direkt

ins Ohr bohrt.

22. Nun möchte ich euch zu einigen

Weggefährten befragen. Zuallererst

Q-Tip. Wie groß ist sein Einfluss auf

„The Infamous“?

Havoc: Er hatte großen Einfluss auf

das Album. Er kam zu uns ins Studio,

hat sein Wissen hinsichtlich Beatproduktion

und Musikbusiness geteilt. Er

war für uns wie ein offenes Buch.

23. Was habt ihr DJ Premier zu verdanken?

Prodigy: Danke, dass du auf uns aufgepasst

hast!

24. Und Large Professor?

Havoc: An ihn geht ein anderes

großes Dankeschön.

25. Und Matty C, eurem einstigen

A&R von Loud Records?

Prodigy: Ihm sind wir wohl zu allergrößtem

Dank verpflichtet. Er übernimmt

für uns die Vater-Rolle im Musikbusiness.

26. Was habt ihr gedacht, als ihr das

erste Mal Nas’ „Illmatic“ gehört habt?

Prodigy: Es war einfach fantastisch.

„Ich ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ

dachte eine

Zeitlang, dass ich

Michael Jackson

bin. (lacht) Ich

konnte alle möglichen

Moves von

ihm. Ansonsten

habe ich auch

noch Stepptanz

und afrikanische

Tänze gemacht.“

(Prodigy)

ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ

Wir hatten richtig Angst davor.

27. Wie sieht es mit 50 Cent aus, was

verdankt ihr ihm?

Prodigy: Ihm schulden wir so einiges

28. Also könnt ihr eure G-Unit-Tattoos

noch leiden?

Prodigy: Ja! Das war ein geschichtsträchtiger

Moment, als wir uns sie

haben stechen lassen. (zeigen jeweils

das G-Unit-Logo auf ihren Handrücken)

29. Seid ihr mit diesen ganzen Jungs

noch in Kontakt? Worüber redet ihr

und was macht ihr, wenn ihr euch

seht?

Prodigy: Ja, sind wir. Natürlich schaffen

wir es nicht besonders oft, uns zu

sehen. Aber wenn wir es schaffen,

dann reden wir über alles Mögliche:

das Business, normalen Alltagskram.

Wir machen dumme Witze, lachen

viel. Manchmal beratschlagen wir

uns auch übers Schreiben von Lyrics

oder Produzieren.

30. Mein 15-jähriger Neffe kennt euch

aus dem Soundtrack von „8 Mile“.

Wie findet ihr das, dass so junge Leute

eure Musik auf diesem Weg kennenlernen?

Havoc: Das ist ein Segen. Wir sind

schon so lange dabei, aber haben

offenbar immer noch Einfluss auf

nachfolgende Generationen.

31. Havoc, hast du Prodigys Buch

gelesen?

Havoc: Ich habe nur einzelne Passagen

gelesen.

32. Was fandest du davon am witzigsten?

Havoc: Die Stelle mit dem Obst-Törtchen.

(lachen beide laut und lang)

Prodigy: Erzähl das jetzt nicht, Hav!

Havoc: Naja, ich erzähle jetzt nur so

viel: Ich hatte halt Besuch von einer

Lady … Du weißt schon!

33. Wir wechseln besser das Thema.

Havoc, dein Vater war DJ. Wie würdest

du ihn als DJ charakterisieren?

Havoc: Das war nur ein Hobby. Er

war jetzt nicht in Clubs oder so, sondern

hat das nur für die Familie und

Freunde gemacht.

34. Er hat dir seine Plattensammlung

vermacht. Was ist da deine Lieblingsplatte?

Havoc: Das war eine riesige Sammlung.

Ich mochte die Scheiben aus

den 60ern und 70ern am liebsten –

Donna Summer, Delfonics und all so

was.

35. Prodigy, du hast Tanzstunden genommen.

Was für welche? Kannst du

den Moonwalk noch?

Prodigy: Ich kann den Moonwalk

auf jeden Fall noch. Aber ich mache

ihn jetzt bestimmt nicht hier auf

dem Tisch vor. (lacht) Du musst mir

glauben, dass ich ihn noch kann. Ich

dachte eine Zeitlang, dass ich Michael

Jackson bin. (lacht) Ich konnte alle

möglichen Moves von ihm. Ansonsten

habe ich auch noch Stepptanz

und afrikanische Tänze gemacht.

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 83


Meine Großmutter hat in ihrer Schule

alles unterrichtet.

36. Apropos deine Großmutter. Wer

ist der echte „Head Nigga in Charge“

– du oder sie?

Prodigy: Auf jeden Fall meine Großmutter.

Ich habe ihr diesen Titel nur

geklaut. Ihre Freunde nannten sie so,

weil sie eine unabhängige, schwarze

Frau war. Sie hatte ihr eigenes Business,

das war in den 50ern und 60ern

noch etwas ganz Besonderes. Die

Nachbarschaft und ihr ganzes Umfeld

respektierten sehr, was sie für

die Community tat. Durch sie hatten

die Kids etwas zu tun. Konzerte, Tanzen

und andere kulturelle Aktivitäten.

Ihre Freunde haben ihr deswegen

den Namen „Head Nigga in Charge“

gegeben. Ich habe das erst gar

nicht verstanden, weil ich noch zu

klein war. Sie erklärte mir dann, dass

rassistische Weiße dunkelhäutige, erfolgreiche

Menschen oft so genannt

haben. Sie hat das dann einfach karikiert.

Ich habe diesen Titel dann übernommen.

Auch, um meine Grandma

zu ehren.

37. Was habt ihr in dem Moment gedacht,

als ihr zuerst hörtet, dass 2Pac

ermordet wurde?

Prodigy: Wir waren traurig und

gleichzeitig erleichtert. Wenn wir uns

getroffen hätten, wäre das ganz verrückt

und gefährlich geworden. Wir

hatten schließlich schlimmen Beef

miteinander.

38. Prodigy, dein erster Gedanke, als

du aus dem Gefängnis herausgekommen

bist?

Prodigy: Ich wollte etwas richtig

ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ

„Matty C sind

wir wohl zu allergrößtem

Dank

verpflichtet. Er

übernimmt für uns

die Vater-Rolle im

Musikbusiness.“

(Prodigy)

ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ

Gutes essen – koreanisches Barbecue.

39. Havoc, hast du dein Passwort bei

Twitter geändert?

Havoc: Das war alles ziemlich fucked

up. Aber shit happens. (beide lachen)

40. Prodigy, was hast du gedacht, als

du den Tweet gelesen hast?

Prodigy: Nichts.

41. Warum habt ihr euer neues Album

wieder „The Infamous Mobb

Deep“ genannt? Das verwirrt ein

bisschen.

Prodigy: Unser zweites Album heißt

ja auch so. Das jetzige Album ist ein

selbstbezogener Verweis darauf –

quasi die Metaebene. Außerdem feiern

wir damit den 20. Geburtstag von

„The Infamous“.

42. Warum habt ihr es über Pledge-

Music finanziert?

Prodigy: Das war einfach ein alternativer

Weg, unsere Musik an die Fans

zu verteilen und mit ihnen zu interagieren.

So etwas ist ja erst in der heutigen

Zeit möglich.

43. Wer sind eure Vorbilder?

Prodigy: Meine Großmutter.

Havoc: Meine Mutter.

44. Euer Lieblingsrapper?

Beide beratschlagen: Wahrscheinlich

Nas. Aber es ist schwer, sich da auf

einen einzigen festzulegen.

45. Euer Lieblingsproduzent?

Prodigy: Definitiv Hav.

Havoc: Danke dir!

46. Kann man für Rap-Musik zu alt

werden?

Prodigy: Auch wenn wir zittern und

am Stock gehen, werden wir das sicher

immer noch machen. Warum

nicht? Die Rolling Stones rocken

auch immer noch. Wir werden das

auch noch mit 70 machen, versprochen!

47. Was wärt ihr geworden, wenn ihr

nicht Mobb Deep wärt?

Prodigy: FBI-Agent.

Havoc: Architekt.

48. Was wollt ihr in der Zukunft noch

erreichen?

Prodigy: Mehr Erfolg, uns musikalisch

weiterentwickeln, weiter unsere

ganz eigene Marke sein und auf Tour

gehen.

Havoc: Vielleicht auch neue Geschäftsfelder

erschließen …

49. Was macht euch glücklich?

Beide: Das zu tun, was wir tun.

50. Are you still living this ’til the day

you’ll die?

Havoc: Word up!

Prodigy: Ja, das ist unser Oxymoron

des Lebens! B

84 BACKSPIN #115 Sommer 2014


NEUES

ZEIT

ALTER

Die backspin-app - bald erhȧ . ltlich


BACK IN THE DAYS

JVC FORCE

Text: Christian Luda

ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ

ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ

Es ist seit jeher eine beliebte Rap-Routine: Shout-outs an die Viertel der eigenen Stadt. Im Falle von

New York geht es nicht ohne die Bronx, Brooklyn, Queens und wahlweise Harlem oder ganz Manhattan.

Der fünfte Borough Staten Island wurde vor Wu-Tang oft vernachlässigt. Dafür bekam Long

Island bereits früh seine Props – und das zu Recht, denn bemerkenswert viele Künstler, die die Golden

Era entscheidend prägten, stammten nicht aus der Inner City, sondern den östlich von Queens

und Brooklyn gelegenen Vororten wie Brentwood, Wyandanch, Amityville, Uniondale oder Central

Islip. Während Public Enemy, EPMD, De La Soul, Prince Paul und Rakim die Bekanntesten sind, lieferte

eine andere Gruppe die inoffizielle Hymne der Boondocks: die JVC Force mit „Strong Island“.

JVC Force ist ein Akronym für „Justified by Virtue

of Creativity for Obvious Reasons Concerning

Entertainment“ – etwas überflüssig, aber seinerzeit

nicht unüblich, siehe „King Asiatic Nobody’s

Equal“, „Ladies Love Cool James“ oder „Knowledge

Reigns Supreme Over Nearly Everyone“.

Vor allem aber ist die JVC Force ein talentiertes

Trio bestehend aus den MCs B-Luv (William Taylor)

und AJ Rok (AJ Woodson) sowie dem DJ

und Produzenten Curt Cazal (Curtis Small). Die

drei Freunde aus Central Islip wachsen Ende

der Siebzigerjahre nur jeweils einen Block voneinander

entfernt auf. Beeinflusst von den ersten

Hip-Hop-Gruppen, insbesondere den Cold Crush

Brothers, starten Curt und B-Luv im Grundschulalter

ihre ersten Rap-Versuche und bedienen sich

dabei der Plattensammlung von B-Luvs Vater. In

der Highschool stößt AJ dazu, und es entstehen

86 BACKSPIN #115 Sommer 2014


die ersten Demos. Der Song „Nu Skool“ landet

schließlich auf dem Schreibtisch von B-Boy Records.

Das kleine Label aus der Bronx, das von

zwei dubiosen Geschäftsmännern geführt wird

und gerade mit „Criminal Minded“ von Boogie

Down Productions das Album der Stunde am

Start hat, bietet ihnen kurzerhand einen Deal an.

Als geplante B-Seite von „Nu Skool“ entsteht

„Strong Island“. Der Song mit dem eingängigen

Riff-Sample, das wie die Drums vom Freda-Payne-Album

„Band of Gold“ stammt, sowie ein triumphales

Chuck-D-Vocal-Sample aus „Rebel Without

a Pause“ machen „Strong Island“ zu einem

der größten Rap-Hits des Jahres und einem Klassiker,

den bis heute jeder Hip-Hop-Head kennt

beziehungsweise kennen sollte.

Die Single – nun mit „Nu Skool“ auf der B-Seite

– erscheint 1987 und macht JVC Force nach

B.D.P. zum meistbeachteten B-Boy-Act. Auch in

der europäischen Szene schlägt der Song ein.

Auf dem Kölner Label Rhythm Attack Productions

erscheint der „Blue Mix“, der danach in

den USA als B-Seite der zweiten Single „Take It

mit dem Hip-House-Track „It’s a Force Thing“ auf

der B-Seite als einzige Single erscheint, sind auf

dem Album eine Reihe großartiger Songs wie

„Tear the Show Up“, „A Musical Sample“ und „Trivial

Pursuit“ versteckt.

In der Folge gelingt es der Gruppe, das wenig

hilfreiche Label zu verlassen und beim Atlantic-

Unterlabel Big Beat anzuheuern. Hier kommt 1992

die starke Single „Big Trax“/„6 Feet Back on the

Map“ heraus. Die A-Seite basiert auf jenem De-

Barge-Sample, das später in „MVP“ von Big L und

Biggies „One More Chance“-Remix zu hören ist.

Während der Aufnahmen für ein drittes Album,

bei dem Stretch Armstrong als A&R fungiert, entscheiden

sich die drei – desillusioniert vom Musikgeschäft

–, die Karriere als Gruppe zu beenden.

B-Luv gründet später eine Veranstaltungsfirma in

Atlanta und tritt vereinzelt als Produzent in Erscheinung,

etwa 1998 bei der Single „War“ von Yankee

B. AJ Rok schreibt als Musikjournalist für Publikationen

wie On The Go, The Source, Vibe sowie

The Village Voice und veröffentlicht 2009 das Buch

„Spiritual Minded“.

Curt Cazal seinen Zweitwohnsitz in die legendären

D&D Studios, wo u. a. auch DJ Premier und Da

Beatminerz Hip-Hop-Geschichte schreiben. Ende

der Neunziger entsteht das Label D&D Records,

wo neben zwei QNC-Singles Alben von Afu-Ra,

Krumbsnatcha und Craig G erscheinen, auf denen

Beats von Curt Cazal zu hören sind. Außerdem

produziert er den Possetrack „Ghetto Like D&D“

sowie „Foundation“ vom vierten M.O.P.-Album

und mit „And So“ eines der Highlights vom Boot-

Camp-Clik-Album „The Chosen Few“. Auch D-

Flame sichert sich 2000 für sein Debütalbum einen

Beat des New Yorkers.

Nach dem Ende von D&D veröffentlichen Q-Ball &

Curt Cazal 2005 auf Grand Central, dem Label des

britischen DJs Mark Rae, ihr einziges Album „Duo

Dynamic“ mit Features von Camp Lo und M.O.P.

Das Liebhaber-Label Chopped Herring sorgt

schließlich dafür, dass die verschollen geglaubten

Songs des dritten JVC-Force-Albums 20 Jahre

nach ihrer Entstehung auf Vinyl gepresst werden:

2012 erscheint „The 1992 – 1993 Unreleased

EP“ mit fünf, und im Jahr darauf eine weitere EP

Die Single – nun mit „Nu

Skool“ auf der B-Seite

– erscheint 1987 und

macht JVC Force nach

B.D.P. zum meistbeachteten

B-Boy-Act

Away“ veröffentlicht wird. Außerdem fertigt Future

Rock den Remix „Strong Island ’89“ an – zu

finden auf der Compilation „New School“.

Im Gegensatz zu den meisten ihrer Labelkollegen

bekommen JVC Force die Chance, ein Album

aufzunehmen. „Doin’ Damage“ entsteht in

Eigenregie sowie ohne A&R und erscheint 1988.

Neben den Singles bietet das Werk Highlights wie

„Stylin’ Lyrics“, „The Force Is the Boss“ und den

DJ-Track „The Move“. Nach dem Tod von Scott

La Rock und KRS-Ones Weggang zu Jive Records

sehen auch JVC Force keine Zukunft mehr bei

B-Boy Records. Das Trio findet beim Warlock-Unterlabel

Idlers, das kurz davor die Jungle Brothers

an Warner verloren hatte, eine neue Labelheimat.

Hier erscheint 1990 das zweite Album „Force

Field“, das nie die Aufmerksamkeit des Debüts erfährt,

aber mindestens genauso gut ist. Während

kurioserweise das Intro „Introduction 2 Dance“

Curt Cazal macht unterdesswen weiter. Bereits

seit den Aufnahmen zu „Doin’ Damage“ sind die

legendären North Shore Studios von EPMD-Toningenieur

Charlie Marotta sein zweites Zuhause. Hier

nimmt er Demos für junge Talente aus Central Islip

auf, darunter spätere Stars wie K-Solo und Keith

Murray. Letzterer veröffentlicht 1992 als Keefy

Keef seine von Curt Cazal produzierte und heute

bei Sammlern hoch im Kurs stehende Debütsingle

„Cause I’m Keefy Keef“, um kurz darauf Teil der Def

Squad um Erick Sermon zu werden.

Eine andere Zusammenarbeit erweist sich dahingegen

als langfristiger: In dem alten Highschool-

Kollegen Q-Ball findet Curt Cazal, der nun auch

selbst zum Mic greift, einen neuen Rap-Partner. Auf

dem eigens gegründeten Label VZQ Records veröffentlicht

das Duo 1994 die EP „Makin’ Moves“. In

den Folgejahren erscheinen einige weitere Singles

von Q-Ball & Curt Cazal alias QNC. 1996 verlagert

mit nochmals vier Songs vom Big-Beat-Album.

2013 bringt das Label zudem EPs mit unveröffentlichtem

Material von QNC und Keefy Keef heraus.

Alle vier Releases untermauern: The Force

is the Boss and the Island is Strong!B

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 87


ALBUM DER AUSGABE

Cro „Melodie“ Album, CD, LP, Digital – Chimperator

ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ

Protokoll: Niels Wendt

Ein Montagnachmittag in der Redaktion. Tim,

Martin und Dennis sitzen vor Nikos Schreibtisch

und warten darauf, dass er Cros neues

Album anschmeißt.

Niko: „Das letzte Album ist zwei Jahre her. Wie

geht’s euch mit Cro?“ Dennis: „Ich habe über Cro

gestaunt. Ein junger Typ, der ohne große Hilfe von

außen so gut funktionierende Popsongs macht –

das hat mich beeindruckt.“ Niko: „Ich glaube, es

ist sehr schwer, Tracks wie zum Beispiel ‚Easy‘ zu

schreiben. Das wird oft unterschätzt.“ Tim: „Ich

war überrascht, dass ‚Easy‘ so eingeschlagen ist.

Das habe ich überhaupt nicht erwartet, weil ich

den Text ziemlich banal finde und der Beat auch

nicht besonders großartig ist. Bei ‚Einmal um die

Welt‘ habe ich das wiederum sehr gut verstanden.

So etwas funktioniert super im Radio. Und jetzt bin

ich gespannt, was auf ‚Melodie‘ geht.“ Niko: „Bemängelt

wurde ja immer, dass ‚Raop‘ zu poppig

war. Jetzt hat Cro verlauten lassen, dass die neue

Scheibe Rap-lastiger sein soll. Könnt ihr euch das

vorstellen? Glaubt ihr, dass er euch überraschen

kann?“ Dennis: „Warum nicht?“ Martin: „Aber

ich glaube nicht, dass die Platte noch mal Platin

erreicht.“ Niko: „Der Hype um den Jungen ist so

groß, dass die Platte sogar noch mehr durchschlagen

könnte als die davor.“ Dennis: „MTV und Viva

zeigen diese Woche ein und dasselbe Video von

Cro zwei Stunden am Stück in Dauerschleife. Das

habe ich bisher noch nicht erlebt.“

Es geht los: „I Can Feel It (Intro)“. Dennis: „Das

ist ein schöner Opener. Klingt nach dem typischen

Intro von Typen, die gerade erfolgreich geworden

sind. Allein die Stimme scheint mir einen Tick zu

leise zu sein.“ Tim: „Ein heroisches Intro mit einer

Ansage, die er sich auf jeden Fall erlauben kann.“

Der zweite Song: „Meine Gang (Bang Bang)“

feat. DaJuan. Dennis: „Der Gesamteindruck passt

schon, aber mir gefallen die vielen Anglizismen

nicht, die mir obendrein etwas zu spackig betont

werden. Und dann wirkt der Beat auch zu wenig

ausdefiniert. Da wäre für mich mehr drin gewe-

88 BACKSPIN #115 Sommer 2014


sen.“ Niko: „Aber gerade das macht seinen Sound

aus.“ Martin: „Er zitiert da Big Sean, das finde ich

korrekt. Da macht ein Rapper aus Deutschland, der

eigentlich schon ein Popstar ist, eine Hommage an

einen Rapper aus dem Untergrund. Sympathisch.

Am Anfang hatte ich den Eindruck, der Song würde

Rap-lastiger werden, am Ende wird aber auch

wieder viel gesungen.“ Tim: „Das harte Drumset

lässt es mehr nach Hip-Hop klingen. Das rumst unten

rum schon ganz gut.“

Es geht weiter mit Song #3: „Erinnerung“. Dennis:

„Der klingt viel besser als die beiden Lieder

davor. Die Stimme kann man gut verstehen und

auch der Sound ist viel sauberer. Seine Stimme ist

prädestiniert für solche Refrains.“ Niko: „Ich mag

den gerne. Aber ich bin auch sehr empfänglich

für diese Kopfnicker-Automucke, die dich über die

Autobahn bringt.“ Tim: „Alle Beats klingen bislang

eher weniger modern. Gerade dieser hätte genauso

gut auf einer 2000er-Platte drauf sein können.

Die Hook finde ich auch stark.“

Es folgt: „Traum“. Tim: „Der Track kommt zur

richtigen Jahreszeit: ein Sommerhit, der bei jedem

Radiosender laufen kann und wahrscheinlich auf

der Pop-Formel von Volkmar Kramarz basiert. Der

knüpft auch am ehesten an die letzten Hits von

ihm an.“ Martin: „Ich habe den Track über iTunes

gekauft und so zum Chart-Erfolg beigetragen.“

(Gelächter) Dennis: „Dieses Unprofessionelle,

über das wir schon gesprochen haben, kommt

bei diesem Stück besonders zur Geltung, weil es

den meisten Pop-Appeal hat. Aber vom Sound

her wäre für mich wieder viel mehr drin gewesen.

Gefallen tut mir der Song allerdings nicht wirklich.“

Weiter geht es mit Song #5: „Bad Chick“. Dennis:

„Oh, hat er da ‚What’s the Difference‘ nicht aus

seinen Ohren gekriegt, oder ist das Absicht? Wenigstens

versucht er, einen mit seinen Vocals auf

eine andere Fährte zu locken. Aber so einen Beat

sollte man nicht auf so einem Album haben, das

lässt ein Geschmäckle aufkommen.“ Tim: „Auf der

anderen Seite finde ich das aber auch interessant.

So nach dem Motto: Hier hast du das Sample, mal

schauen, was du draus machst. Inhaltlich hat der

Song ja mit ‚What’s the Difference‘ nichts zu tun.“

Niko: „Ich finde den Song nicht gut und denke

auch, dass diese Anlehnung gar nicht nötig gewesen

wäre.“ Tim: „Na ja, Eko hat doch auch ‚I Got

5 on It‘ und ‚Off the Books‘ gecovert.“ Dennis: Ja,

gecovert.“

Es folgt „Never Cro Up“. Dennis: „Die einen nennen

es inspirieren, die anderen biten … Kriegen

Jay Z und Mark – The 45 King eigentlich Credits

hierfür? Mal ehrlich: Eben diese Dre-Anleihe und

nun das hier? Wenn man dann noch ein paar der

Ähnlichkeiten von ein, zwei älteren Cro-Songs

mit Songs von Dritten im Kopf hat, könnte man ja

schon beinahe von Methode sprechen.“ Martin:

„Mehr kann man hierzu nicht sagen. Außer: Das

Wortspiel in der Hook finde ich ganz witzig.“ Tim:

„Wenn man den Original-Rap-Song kennt, fühlt

man sich schon etwas abgelenkt. Mich erinnert der

Song auch irgendwie an Deine Freunde – das ist

Musik für Kinder. Dennoch finde ich, dass man 16

Jahre nach ‚Hard Knock Life‘ dieses Sample ruhig

mal wieder auspacken kann.“ Dennis: „Das Sample

noch mal auspacken – gut, aber nicht noch einmal

einen so ähnlichen daraus Song machen. Das hier

wirkt auf mich schon ziemlich Coverversion-mäßig.

Dazu kommt, dass ‚Hard Knock Life‘, glaube

ich, der erfolgreichste Jay-Z-Song in Deutschland

war. Man könnte glatt Kalkül unterstellen.“ Niko:

„Ich will das auch nicht gutheißen, aber der Ansatz

ist heute ein anderer. Diese Diskussion führen

doch nur die älteren Generationen. Es gibt genug

Songs da draußen, die eins zu eins übernommen

wurden.“ Dennis: „Ja, aber noch mal: Einen Loop

von zum Beispiel einer Soul-Platte zu nehmen, ist

doch etwas anderes!“ Tim: „K.I.Z. haben für ihren

Song ‚Fleisch‘ ‚Meat‘ von Brotha Lynch Hung eins

zu eins übernommen. Aber vielleicht will Cro mit

so was auch einfach seinen angestrebten Status

vermitteln. Trotzdem habe ich kein so großes

Problem damit. Erfolgreich gesampelte Tracks

sind doch nicht automatisch für immer blockiert.“

Dennis: „Würde man erkennen, dass es das gleiche

Sample, der Song aber doch anders ist, fände

ich das okay. Aber das hier ist für mich einfach

ein krasser Bite.“ (Die Diskussion geht noch einige

Zeit, erst dann wird der nächste Song gestartet)

Weiter geht es mit „2006“. Tim: „Mir gefällt der

Beat. Wahnsinnig oft würde ich den jetzt aber nicht

hören. Das ist ein bisschen so, als würde man ein

Interview von ihm lesen.“

Es folgt: „Cop Love“. Martin: „Die Line ‚Ich frag’

nach ihrer Nummer und sie sagt: 110‘ finde ich

ganz lustig.“ Dennis: „Was ich an dem Album bisher

trotz dieser Biterei cool finde: Cro versucht

nicht, den aktuellen musikalischen Trends zu folgen.

Dazu muss man einfach immer wieder feststellen:

Die Stimme passt perfekt zu dem, was er

macht.“ Niko: „Das Rap-Lastige können wir ihm

auf jeden Fall zusprechen.“

Und Song #9: „Hey Girl“. Tim: „Das ist halt so

ein Song, den man im Radio hört und eigentlich

hasst, dann aber mitsummen muss. Der funktioniert

einwandfrei.“ Niko: „Jede Nummer davon

kann im Radio laufen. Das zieht sich durchs gesamte

Album, außer bei ‚Cop Love‘.“

„Rennen“. Tim: „Da bin ich irgendwie bei Devin

the Dude und Rap-A-Lot angekommen. Ein bisschen

wie Mike Dean früher.“ Dennis: „Musikalisch

finde ich den eher schwach. Inhaltlich ist der Track

allerdings ganz cool, weil er das Hängertum dieser

Generation erklärt.“ Tim: „Ich bin da auch gerade

voll drin. 13 Uhr aus der Schule nach Hause kommen,

sich aufs Bett werfen und gucken, was es zu

essen gibt. Ich kann das schon gut nachempfinden.“

Jetzt kommt „Vielleicht“. Dennis: „Gefällt mir

ganz gut. Ich finde es immer mutig, ganz langsame

und ruhige Stücke zu machen. Mit dem Refrain zusammen

ergibt das ein gutes Bild für mich.“ Tim:

„Ich glaube, der funktioniert ganz gut, wenn es

draußen schon langsam dunkel wird.“

Weiter geht es mit „Jetzt“. Dennis: „Ich habe sofort

an ‚Kids‘ gedacht.“ Tim: „Ich auch. Vor allem

dieses ‚Jetzt! Jetzt! Jetzt!‘ beziehungsweise ‚Peng!

Peng! Peng!‘.“ Niko: „Als würde Cro die Weisheiten

aus ‚The Manual‘ von The KLF befolgen.

Auch hier denke ich aber, dass der Song diese

Anleihe gar nicht gebraucht hätte.“ Dennis: „Das

habe ich bei Cro nun schon öfter gedacht. Warum

riskiert er das?“

„Wir waren hier II“. Niko: „Diese Nummer weckt

das Pop-Schwein in mir. Das ist so Radiomucke,

die man super hören kann. Die Hook ist auch nicht

so aufdringlich und dominant. Das passt total gut

zu ihm.“ Tim: „Ich finde, der Track ist irgendwie total

missglückt. Ich war gerade ziemlich gelangweilt

von der Thematik. Den Song finde ich auch wirklich

schlecht abgemischt. Der holt mich überhaupt

nicht ab.“

Und nun der Titelsong „Melodie“. Dennis: „Das

Ding entlockt mir keine Reaktion.“ Tim: „Der ist

aber definitiv besser als der davor. Thematisch

wird mir das auf die Dauer aber alles etwas zu

lame.“ Martin: „Das stellt er ja aber auch irgendwie

da. Er ist der Mensch mit der glücklichsten Situation

von allen.“

Niko: „Und, wie fandet ihr die Platte?“ Dennis:

„Ich frage mich, wieso dieser Cro sich für einige

Sachen so schamlos und wenig kunstvoll an den

Ideen anderer bedient. Das überschattet für mich

die Qualitäten, die Cro ja definitiv hat.“ Tim: „Die

erste Hälfte fand ich ganz cool. Die hatte für mich

eine ganz eigene Note. Die zweite Hälfte hat mich

dann irgendwie runtergezogen. Die Verwirrung

über die Songs, die man direkt mit anderen verbindet,

hat das ganze Teil total schwammig gemacht.“

Niko: „Ist da nach dem zweiten Album nicht noch

genug Platz und Zeit, um diese Schritte zu gehen?

Bei der Kunstform, die er macht, hat er ja trotzdem

noch unheimliches Steigerungspotenzial.“ Dennis:

„Ich würde gerne mal hören, was passiert, wenn

Cro mit den Krauts ’ne Platte macht.“ Martin: „Das

müsste für ihn doch ohne Weiteres möglich sein.

Aber er hat momentan wohl noch diese Egal-Haltung.“

B

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 89


SOUND

CHECK

2.0

DEUTSCH

Kollegah

„King“

Celo & Abdi

„Akupunktur“

Farid Bang

„Killa“

Figub Brazlevič

„Ersatzverkehr“

Afrob

„Push“

Gzuz & Bonez MC

„High & Hungrig“

Samy Deluxe

„Männlich“

90 BACKSPIN #115 Sommer 2014

28

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21

21

20

20

NIKO PHIL RIKE

Unglaublicher Rapper, krasse Lines.

Songs zum Staunen. Zu Recht so

erfolgreich, allerdings musikalisch

zu wenig Experimente.

Die Jungs bleiben ihrer Linie treu.

Das Album ist wieder ein unterhaltsames

Highlight des Jahres.

Sein bisher bestes Album. Vielseitiger,

als es ihm wohl einige Kritiker

zugetraut hätten.

Der Typ ist schon ein echt interessanter

Produzent. Vielseitig und mit

Attitüde - mir gefällt‘s.

Afrob ist ein Urgestein. Das Album

ist nach der Pause das richtige Signal,

allerdings mit Längen. Aber: Er

ist immer noch hungrig.

Straßenrap war selten so entwaffnend

ehrlich wie bei den Jungs. Keine glory,

dafür hungrig.

Technisch stark, aus Songwriter-

Sicht klasse und live bleibt er der

Größte. Ich würde mir nur mal dreckigere

Sounds wünschen.

Wer es schafft, einen solchen Hype

zu kreieren und dann die Erwartungen

einlöst, hat den Titel wohl

verdient.

9 9

Einfach sympathisch und unterhaltsam

erzählte Straßengeschichten –

dazu brachiale Beats!

Kollegah für den kleinen Mann von

der Straße.

Ich kann nachvollziehen, wieso es

ein Teil der Szene hart feiert – mir ist

es zu sehr 1996.

Teilweise richtige Bretter, aber

insgesamt etwas eintönig, die Geschichte.

Ist die echte Version des Klischees

vom Leben auf St. Pauli: roh und

unverstellt.

Klingt leider eher nach einem

Mixtape und ist – vor allem textlich

– etwas uninspiriert. Unter den

Erwartungen, trotzdem über dem

Durchschnitt.

Alles machtvoll – Texte, Beats,

Wortspiele, Pointen, Humor, Planung,

Promo, Marketing, Zielgruppen-Kennen,

Label, Art, Typ, Bizeps,

Rumpsteak. Ein wegwichsendes

Medienphänomen der neuen Zeit.

Beim bosnischen Michelin-Männchen

und niedlichen, marokkanischen

Monchhichi stimmt die

Chemie. Sie finden die besten Worte

für ihre Frankfurter Lebensrealität –

auch für Außenstehende. Unheimlich

sympathisch!

9 8

9

Mit Farid übertöne ich im Fitnessstudio

das Gegrunze der anderen und

mein eigenes zu gerne. Gut, dass

ich bei der Casper-Zeile und Doreen-

Verarsche für Crunches schon auf

dem Boden liege, sonst wäre das

vor Lachen sicher passiert.

7 7 7

Die richtige Obskurität für Leute, die

freitagabends gerne allein auf ihrem

Zimmer-Fußboden liegen, Gin Tonic

trinken und nach dem Sinn des Lebens

suchen, der auch wie ein „Ersatzverkehr“

ist.

7 6 8

Der musikalische Afro-Kamm bohrt

sich wie ein reinigendes Wattestäbchen

ins Ohr. Afrob beruft sich auf

seine altbekannten Stärken – Über-

Beats, kluge Lyrics, verletzliche

Nachdenklichkeit und diese Stimme.

Ziemlich herrlich.

7 5 9

8 6

7

6

Es erstaunt mich immer wieder, wie

sehr sich mein Musikgeschmack

verändert/erweitert hat, seitdem ich

bei der BACKSPIN arbeite. Gehirnwäsche

in Nikos Auto?! Jedenfalls

mag ich das viel mehr als Mädchen-

Rap.

10

Hach, Samy! Bei dir denkt man

immer an die alte Zeit und wird das

Gefühl nicht los, dass du den richtigen

Weg nicht mehr findest. Ich

mag deinen Flow, aber bei einigen

Reimen, Beats und Hooks schaudert

es mir.

6

7


Snaga & Fard

„Talion 2 – La Rabia”

Chakuza, Raf Camora

& Joshimizu

„Zodiak“

Cro

„Melodie“

Sierra Kidd

„Nirgendwer“

Prinz Pi

„Kompass ohne Norden

(Auf Kurs nach

Hause)“

Sonne Ra

„Mula 4 Life“

KC Rebell

„Rebellution“

Olli Banjo

„Dynamit“

20

20

20

19

19

19

19

19

NIKO PHIL RIKE

Kraftvolles Album, das etwas ausstrahlt.

Mir ein wenig zu monoton

auf Dauer. Aber mit kontroversen

Inhalten.

Ein paar richtig starke Nummern,

aber auch ein wenig Längen - leider.

Aber „Bombe“ bleibt 'ne Bombe.

Hit an Hit an Hit. Die Maschine hat

wieder geliefert. Und sogar ein paar

Kopfnicker mit auf dem Album, auch

dank Shuko. Aber über Sampling

sollte man noch mal reden.

Für sein Alter hat er eine beachtliche

Tiefe in den Texten, auch musikalisch

spannend.

Live-Alben sind immer so eine Sache.

Atmosphäre kommt rüber, aber

der Mädchenchor in jedem Song ist

nicht mein Fall.

Für ein paar Songs werde ich auch

zum Mula - aber nicht 4 Life.

Mit Höhen und Tiefen. Echten Hits

und überraschenden Ideen. Konsequent

weiterentwickelt.

Starkes „Comeback“ von Olli B.

nach der Pause. Unbestreitbar ein

guter Rapper und jetzt auch mit

(sehr) guten, stimmigen Beats.

Teilweise sehr provokante, aber

immer hochwertige Lyrics zweier

charismatischer Rapper, gepaart mit

entsprechenden Beats. Check!

6 7

7

Manchmal etwas melodramatisch,

nichtsdestotrotz sehr hörenswert!

Das, was er macht, macht er gut.

Das macht’s für mich nicht besser,

aber okay.

Nicht ganz der Aufschlag, den man

nach „Kopfvilla“ erwartet hat – aber

fast!

Auf jeden Fall ambitioniert wie

immer, aber mir fällt’s schwer,

zuzuhören …

Hat man so noch nicht unbedingt

gehört – daher durchaus interessant

und hörenswert!

Vielseitiger, als man vielleicht erwartet

und mit einem sehr unterhaltsamen

Money-Boy-Diss.

Sowohl musikalisch als auch textlich

der lang erwartete nächste

Schritt!

6

Bemerkenswert ist die in den Rap-

Medien entstandene Kontroverse

über dieses Album. Was will man

mehr? Die Kurzkritik verwehrt mir,

mich angemessen darüber zu äußern.

Fürs Erste: Die Energie catcht

mich.

Ich mag die düster-brachialen Beats,

aber die nachdenkliche Melancholie

in den Texten fühle ich nicht.

Ich kann mit #Jutebeutel-Lebensweisheiten,

#Stimme-Langziehen

und nervigen #Pop-Beats nichts

anfangen. Props gibt’s aber für

das Medienphänomen da aus der

Rothebühlplatz-Zentrale.

8 6 6

Epische Beats an der Schwelle zum

Indie wie Casper, lang gezogene

Vokale wie Cro und nachdenkliche

Lebensweisheiten, die auch bei

WhatsApp reinpassen. Trifft den

hippen Zahn der Zeit, mag ich nicht.

7 7 5

Prinz Pi hat es mir noch nie so angetan.

Aber erstaunlicherweise schafft

er es auf dem Live-Album. Und für

Live-Musik sterbe ich sowieso.

7 5 7

5 6

7

8

5

6

Ruhe, Rast und Entschleunigung –

das Album führt vor Augen, was

wir in der heutigen Zeit wohl am

meisten benötigen. Stellenweise

driftet mir das aber zu sehr in die

musikalische Obskurität ab und

nervt dann.

Er hat einfach unfassbar spannende

Geschichten zu erzählen. Ganz deeper

Shit. Die Beats passen dazu,

aber in der Kombi gerät mir das

manchmal zu pathetisch.

Das Video mit der geilen Uschi in

Venice und Hollywood ist ein kleiner

Geniestreich. Textlich und beattechnisch

ist das aber überhaupt

nicht mein Fall. Da wird auf ganz

merkwürdige Art versucht, Hits zu

kalkulieren.

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 91

7

7

8

7

5


SOUND

CHECK

2.0

D.I.T.C.

„The Remix Project“

Pharrell Williams

„G I R L“

Mobb Deep

„The Infamous Mobb

Deep”

The Roots

„… And Then You

Shoot Your Cousin”

Styles P

„The Phantom and

the Ghost“

YG

„My Krazy Life”

Young Money

„Rise of an Empire”

INT.

92 BACKSPIN #115 Sommer 2014

27

26

25

25

24

24

24

NIKO PHIL RIKE

Einfach ein paar Jahre zu spät -

schon Anfang der 2000er angekündigt

, aber immer noch fresh.

Derber Typ, krasser Musiker und

2013/2014 der Hitmaker auf dem

Planeten. Und dann auch noch so

ein freshes Album. Happy.

Yes! Das ist das Mobb-Deep-Feeling

aus den Neunzigern. Und die Skits

sind Nostalgie pur. Highlight.

Große Musiker, aber das ist mir hier

zu anstrengend. Zu experimentell für

meinen Wunsch nach klassischem

Roots-Sound.

Krasser Rapper, geile Delivery, gutes

Album. Hätte nicht gedacht, dass P

mich 2014 noch mal kriegt.

Solides Def-Jam-Debüt für den

Blood. Macht seine Mama am Ende

ja doch noch stolz.

Derbe. Lässt sich gut drauf feiern.

Die Jungs aus dem Süden sind gut

aufgestellt.

Nicht selten gehen solche Projekte

schief – hier stimmt aber fast alles.

8 9

Nur musikalische Genies schaffen

es, sich auf höchstem Niveau regelmäßig

neu zu erfinden – inklusive

Jahrhundert-Hit!

Kein Klassiker wie sein Namensgeber,

aber mit sehr viel Substanz und

einem ähnlichen Vibe.

Musikalisch in einer anderen Liga

und daher manchmal im Widerspruch

zu Hörgewohnheiten. Dadurch

aber mit wesentlich längerer

Haltbarkeit.

Nicht sein stärkstes Album, aber

immer noch grundsolide.

Solides Debütalbum eines charismatischen

Rappers mit bemerkenswerten

Feature-Gästen. Da

geht sicher noch mehr.

Die Ansammlung an hochkarätigen

Rappern (und Rapperin) kann sich

schon hören lassen. Musikalisch

genau das, was man erwartet.

Hier bin ich absolut subjektiv, mein

Herz schlägt nun mal Boom-Bap. Die

Herren bleiben für mich die beste

Hip-Hop-Crew der Welt. Wie schön,

dass auf neuen Beats die 90er-Wortgewalten

von Big L & Co. ganz leicht

im Hier und Jetzt ankommen.

Entschuldigung, aber ich liebe dich,

Pharrell. Da ist es mir auch egal, ob

dein Album zu sehr auf Hits kalkuliert

und an alten Helden orientiert

ist. Nur warum ist deine Solo-Musik

nicht genauso über alles erhaben

wie dein komischer Hut?

8 10

8

Unumstößlich das, was ich mag

und immer mögen werde. Aber das

Rad wird hier natürlich nicht neu

erfunden.

9 8 8

Ein 34-minütiges, erhabenes, künstlerisch

unheimlich wertvolles Konzeptalbum

– von dieser Band erwartet

man nichts anderes. Der Einstieg

durch die Grand Dame Nina Simone

ist die Kirsche auf der Sahnehaube.

6 9 10

Unheimlich machtvoll und klar. Mehr

braucht das Hip-Hop-Herz nicht.

8 7 9

8 7

8

8

YG passt in die Riege um N.W.A,

Compton‘s Most Wanted, Game

und Kendrick. Seine Geschichten

treffen die Compton-Romantik und

-Ästhetik. Auch die Kinderlied-

808-Wackel-Beats von DJ Mustard

gefallen mir.

Das fetzt, wummst, bumst und

brennt sich schon gut ins Ohr rein.

10

9

8


NIKO PHIL RIKE

CunninLynguists

„Strange Journey

Volume Three“

23

Stark. Vielseitig und mitreißend. Ich

mag das Album. Ein Geheimtipp für

2014.

8

Backpacker‘s finest!

7

Wie von den Jungs gewohnt, lyrisch,

linguistisch und Beat-sprachlich sehr

wertvoll. Ein kleines Lost-Gefühl bleibt

aber – geht die künstlerische Freiheit

verloren, wenn man die Fans über

Facebook in die Produktion miteinbezieht?

8

Onyx & Snowgoons

„#Wakedafucup”

23

Props für die Combo: passt.

7

Gesucht und gefunden! Auf jeden

Fall mal wieder eine Produzenten/

Rapper-Kombination, die wirklich

funktioniert.

7

Epische Über-Beats und unfassbare

Stimmen, das ist Hip-Hop im Kern.

Ich freue mich schon unheimlich

auf den Live-Abriss beim „Hip Hop

Kemp“!

9

Pharoahe Monch

„PTSD”

23

Starkes Album. Gut aufgelegte Gäste,

eine runde Sache. Eine positive

Überraschung.

Der alte Meister untermauert seinen

Legendenstatus. On point!

Unumstößlich das, was ich mag und

immer mögen werde. Und hier wird

sogar das Rad irgendwie neu erfunden!

Voll geil! Duck Down kann es

eben noch.

8 8 7

50 Cent

„Animal Ambition”

23

Haters gonna hate. Immer noch eine

Maschine.

Auch wenn es nicht ganz rankommt,

erinnert es immerhin an

die ersten beiden Releases.

Der Typ macht einfach, worauf er

gerade Bock hat. Einen Blick zur

Seite hat er in seiner Position ja auch

gar nicht mehr nötig. Irgendwie

schon voll gut so, vom Ding her!

8 7 8

9

Blu

„Good to Be Home“

Black Milk

„Glitches in the

Break“

23

22

Anstrengend ohne Exile – Blu alleine

funktioniert nicht so gut. Ist mir zu

verkopft.

Ich hatte große Erwartungen, aber

am Ende ist mir das zu anstrengend,

was er gerade macht.

5

Lyrisch einfach außergewöhnlich

und dazu mit wohltuender Experimentierfreudigkeit

ausgestattet.

Der perfekte Soundtrack für den

Weg durch’s urbane Getümmel.

5 8

9

Blu, willst du mich heiraten?

Sample-Magic aus den 60ern und

70ern mit Bob-James-Anmut. Detroiter

Schule eben. „Strong beats

and talk“ – mehr braucht Hip-Hop

nicht.

9

9

22

Wahrscheinlich brauche ich, wie

bei OFWGKTA, einfach ein wenig

länger, um es zu verstehen.

Etwas verstörend, experimentell und

tiefgründig. Klingt so das neue New

York? Nicht so übel …

Crazy Shit!

Ratking

„So It Goes“

6

8

8

22

Ordentliches Album – nicht mehr

und nicht weniger. Man weiß, was

man bekommt.

Alles ist laut, pompös und groß!

Nichts Neues unter der Sonne bzw.

im Schatten des Protagonisten.

Seitdem ich mich mit dem echten

„Freeway“ Ricky Ross beschäftigt

habe, finde ich den irgendwie doof.

Rick Ross

„Mastermind“

8

7

7

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 93


BEATCORNER KOLUMNE SOMMER 2014

Text: Phonk Ribery

Der Podolski-Schrein wurde aufgebaut, das Özil-Trikot frisch gewaschen. Der Flatscreen-TV wurde poliert, der Grill mit Steaks belegt. Im Kühlschrank lagerten der

Zuckerrohrschnaps und die Limetten. Die WM ging freilich auch an der „Beatcorner“-Kolumne nicht vorbei – schließlich kann selbst in diesem Kontext ein adäquater

Groove nicht schaden. Oder hat jemals jemand behauptet, man müsste die ganzen Wannabe-WM-Hymnen von Luftpumpen wie Pitbull, Oceana, Klaus & Klaus etc.

gut finden oder gar täglich pumpen? Ich jedenfalls habe die 1210er neben dem Grill aufgebaut und folgende Perlen aus schwarzem Gold darauf gelegt:

Studio Rio Presents

„The Brazil Connection“

Label: Legacy Recordings

Format: Vinyl/CD/MP3

Treffen sich berühmt-berüchtigte brasilianische

Musiker und das hochdekorierte Produzententeam

Berman Brothers in einem der hochwertigsten

Studios unserer Zeit. Zufällig liegen hier

noch die Original-Mehrspurbänder legendärer

Aufnahmen von Marvin Gaye, Nina Simone, Bill

Withers, Aretha Franklin und The Isley Brothers herum.

Diese werden zauberhaft mit neuen Arrangements

und somit einem wahrlich WM-tauglichen

Vibe zwischen Soul, Jazz, Bossa Nova und Brasil

versehen. Die bekannten Gassenhauer wie „Sexual

Healing“ oder „Family Affair“ werden nicht mit

Kirmes-Techno unterlegt, sondern gefühlvoll und

würdig in einen Sommer-Vibe gepackt, der gehört

werden muss.

ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ

Gilles Peterson Presents Sonzeira

„Brasil Bam Bam Bam“

Label: Brownswood Recordings

Format: 4-Vinyl/CD/MP3

Zu viele WM-Songs mit zu platten und zu plakativen

Pseudo-Brasil-Stampfern schwirrten hier

durch die Atmosphäre und schafften es doch

tatsächlich, dass man das herkömmliche Radio

nicht mehr anmachen mag. Doch das ist wirklich

kein Grund zur Verzweiflung! Die britische BBC-

Ikone Gilles Peterson, globaler Plattensammler

und Geschmacksinstanz, gründete kurzerhand

nach seinem exquisiten Havanna-Projekt und

Kuba-Abenteuer eine Supergroup brasilianischer

Musiker namens Sonzeira und produzierte ein

beschwingendes Album mit all der Vielfalt und

Magie des Schwellenlandes. Hier hört man Tropicália,

Bossa Nova, Samba, Jazz und Baile Funk

in seiner ganzen Schönheit. Die limitierte 4-Vinyl-

Box ist dem musikalischen Reichtum wirklich

würdig. Absolut empfehlenswert!

ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ

Rebelution

„Count Me In“

Label: 87 Records/Easy Star Records

Format: Vinyl/CD/MP3

Es ist Sommer. Es ist heiß. Und außerdem wird in

der „Beatcorner“ seit Jahren Reggae und Dancehall

gepumpt, aber total vernachlässigt. Das muss

und wird sich ändern, weil es nach wie vor großartige

Erben Bob Marleys da draußen gibt. Die

kalifornische Band Rebelution ist unermüdlich am

Touren und hat eine sehr ansteckende Art, ihre Definition

von Reggae zu verkaufen. Nach drei erfolgreichen

Alben und international hervorragenden

Kritiken kommt die Band aus Santa Barbara mit

einem neuen Werk voller lebensbegrüßendem

Roots-Reggae um die Ecke. „Count Me In“ featuret

etwa Dancehall-Star Collie Buddz („Finally the

Herbs Come Around“) und überzeugt besonders

durch seine Musikalität und der herrlichen Verweigerung,

sich dem offensichtlich allgemeinen

Zwang im Dancehall, billige Maximum-Pop/Kirmes-

Techno/Großraum-Disse-Beats zu verwenden, anzuschließen.

Die Jungs bleiben sich treu/troy!

DJ Vadim

„Dubcatcher“

Label: BBE Records

Format: Vinyl/CD/MP3

Vadim ist und bleibt das Kameleon! Er gehört zu

jener MoWax/Ninja-Tune-Generation der mutigen

Beatbastler, die instrumentale Klangabenteuer

zwischen Hip-Hop, Jazz, Rock und Electronica neu

definierten. Darauf hat sich der Exil-Russe jedoch

nie ausgeruht. Ruhen scheint sowieso kein Attribut

des Anfang-Vierzigers zu sein. Es gibt kaum einen

Plattendreher auf diesem Globus, der mehr unterwegs

ist. Auf diesen Reisen saugte Vadim schon

immer neue Vibes auf. Nach extraordinären und

legendären Downbeat-Exkursionen Mitte der

90er führte ihn sein Weg über klassische Hip-

Hop-Beats und brachiale Meistermomente („The

Terrorist“), elektronische 80s-Flashback-Leichtigkeiten

zu kosmischen und futuristischen Bass-

Welten. Wer seine Radioshows und Live-Sets

mitverfolgt, weiß, dass auch hier noch lange nicht

Schluss ist. Zu viel fusionieren die Genres Dancehall,

Dubstep, Reggae, Hip-Hop, Rare Groove,

Jungle und viele mehr zwischen Vadims Fingern.

Er trägt Hip-Hop immer im Herzen und hat den

berühmten Blick über den Tellerrand offensichtlich

nicht nur gepachtet, sondern definitiv mitdefiniert.

Die Frische und spürbare Lebendigkeit seiner

unbändigen Kreativität und Integrität findet man

selbstverständlich auch auf seinem neuen Werk

„Dubcatcher“. Daddy Vad hat hier keinen Meilenstein

geschaffen – aber den Hörer mal wieder davon

überzeugt, dass man seine Platten blind kaufen

kann! Und dieser Reggae/Dancehall-Schwerpunkt

steht ihm und dem Sommer sehr gut! B

94 BACKSPIN #115 Sommer 2014


TEXT: STEFFEN KÖSTER

Der diesjährige Sommer steht vor der Tür. Um gemütliches Herumhängen im örtlichen Park und im zugemüllten Festivalcamp

gebührend zu zelebrieren, wollen Smartphone, Walk- und Discman selbstverständlich mit den neuesten Sounds

aus Rap-Deutschland bestückt werden. Für den Fall, dass es schnell gehen und möglichst wenig kosten soll, werden nun

die jüngsten Rap-Innovationen vorgestellt. Wichtigstes Kriterium nebst abzuliefernder Qualität: die dargebotenen Releases

können heruntergeladen werden, ohne dass das Portemonnaie gezückt werden muss.

Der Free-Release der Ausgabe ist das neueste Werk

des Wahlberliners Juse Ju und hört auf den Namen

„Übertreib nicht deine Rolle“. Dem aufmerksamen

Rap-Head ist der ehemals Stuttgarter MC möglicherweise

bereits als „Rap am Mittwoch“-Finalist

oder „Don’t Let the Label Label You“-Moderator in

Erscheinung getreten. Thematisch schlägt Juse Ju

in eine ähnliche Kerbe wie Kollege Fatoni (der an der

Seite von Edgar Wasser auch Gastbeiträge beisteuert)

und setzt sich etwa ironisierend mit gängigen

Hypes oder dem eigenen Berlin-Umzug auseinander.

Auf Beats von V.Raeter, Figub Brazlevič oder

Cap Kendricks funktioniert das nur allzu gut.

„Stevia“ ist der Titel des neuesten Tua-Streiches

aus dem Hause Chimperator. Als Gratis-Beiwerk

veröffentlicht Tua „(R)evia“, womit er ein ähnliches

Konzept wie schon bei „(R)evigila“, der

Ergänzungs-EP zu „Evigila“, verfolgt. Auf der

acht Anspielstationen zählenden EP versammeln

sich neben Neuinterpretationen einiger „Stevia“-

Stücke auch unveröffentlichte Tracks aus der

kreativen Schaffensphase zur EP. Für die experimentierfreudigen

Remixe konnte Tua etwa die

Produzentenkollegen Audhentik, Lambert, Nvie

Motho und Portformat gewinnen.

Bereits ein kurzer Blick in die Credits von Dölls

„Weit entfernt“-EP legitimiert den Download

– tummelt sich doch hier die hiesige Produzentenflotte

um Dexter, Brenk Sinatra sowie Kollege

Schnürschuh und versorgt den rappenden Protagonisten

mit souligem Bumm-Tschak. Nach

der vor drei Jahren erschienenen LP „Alles im

Kasten“, an der Seite von Partner Nomis, wandelt

das jüngste Wortsport-Signing erstmals auf

Solopfaden. Zu „Weit entfernt“ kursiert im Netz

auch ein Video in amtlicher Schwarz-weiß-Optik.

Anschauen!

Rapstas neuestes Werk, ein Mixtape mit dem

ebenso eingängigen wie beim ersten Hördurchgang

einleuchtenden Titel „Trapsta“, gibt es

sowohl auf legale Weise gratis zu erwerben als

auch käuflich – für den geneigten Supporter. In

feinster Trap-Manier bietet Rap-Künstler Rapsta

wilde Flow-Variationen und allerlei Gimmicks auf

dem basslastigen Sounduntergrund dar. Klar, inhaltliche

Höhenflüge darf man hier nicht erwarten.

Für alles andere eignen sich die 15 Tracks

auf „Trapsta“ hervorragend.

Ebenfalls Freund von subwoofererprobtem

Klang ist das fünfköpfige Wiener Konglomerat

um Atomique, P.Tah und Con. Empfehlenswert

ist die aktuelle Gratis-EP „Bass mal auf“, auf der

sich neben sechs Tracks separiert die dazugehörigen

Instrumentals versammeln. Für das druckvolle

Soundgerüst haben die Wiener Jungs einen

Blick in Londoner Vororte gewagt und mixen zeitgemäßen

Trap mit einer gehörigen Portion Grime

und diversen elektronischen Einflüssen.

Immer wieder gelingt es dieser Tage auch

Frauen, in der Männerdomäne Deutschrap Fuß

zu fassen – so auch Tice. Auf der EP „Each One

Tice One“ überzeugt die Düsseldorferin mit charismatischer

Stimme und probatem Rap. Dass

Tice hungrig und motiviert ist, beweist schon

jetzt ihre reichhaltige Bühnenerfahrung, unter

anderem als Ssio-Support oder als Act auf der

Witten-Untouchable-Releaseparty.

Mit „O Genie, der Herr ehre dein Ego“ stehen

Mo-D x PCP mit ihrem zweiten Album nach dem

Vorgänger „Schall und Rauch“ in den Startlöchern.

Für die gelungenen Gastbeiträge haben

sich gar Kool Savas, Gregpipe und Separate

hinter das Mic gestellt. Das Produzenten-Rapper-

Duo liefert hochwertigen und hörenswerten Neo-

Boom-Bap ab – mal souliger, mal dreckiger. Klickempfehlung:

das Musikvideo zu „State of Mind“.

Reeperbahn Kareem, seines Zeichens Mitglied

der Hamburger Rattos-Locos-Clique, hat seine

sechs Tracks starke EP „Von der Wiege bis ins

Grab“ releast. Zu dem Hauptakteur gesellen sich

die üblichen Verdächtigen Nate57, Telly Tellz und

Boz. Textlich bewegen sich die Hamburger Jungs

zwischen Sozialkritik, Kiez-Representer und persönlicher

Daseinsbeschreibung. Für die Produktion

der EP zeichnet Altmeister Sleepwalker verantwortlich.

Shaheazy ist Teil des Künstlerkollektivs GrindingGlobal.

Was auf „Weggefährte“ gleich ins

Ohr sticht, ist das markante Stimmorgan des

Kieler MCs. Shaheazy schlägt zumeist etwas besonnene

Töne an, die mit den bisweilen pianolastigen

Beats harmonieren.

Eine härtere Gangart nimmt da Rotten Monkey

ein. „Akrasia“ schließt an die Vorgänger „Ungereimtheiten“

und „Die physische Wahrheit“ an

und taugt als weiteres Beispiel für den immensen

und hochwertigen Output des selbst ernannten

ungekrönten Königs des postmodernen Dschungels.

Auf düster-atmosphärischen Beats verbreitet

Rotten Monkey seine ganz eigene Weltsicht,

gibt persönliche Einblicke und erweist sich als

guter Beobachter seines Umfelds. B

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 95


Mit der kommenden Fall/Winter Apparel Kollektion, insbesondere mit

der BRTN Linie, trägt Burton das selbstbewusste, selbstbestimmte

Lebensgefühl des Snowboardens in die Straßen. Zusammen mit der

Snowboardmarke Burton verlosen wir ein Taschen-Set bestehend

aus Burton Duffel Bag (28 Liter Volumen) und Tinder Back (25 Liter

Volumen).

www.burton.com

Stichwort: „BURTON“

Dank der weltweiten Ferrari Exklusiv-Lizenz im

Slotcar-Bereich sorgt das „Formula Engines“-

Set für echtes Formel-1-Feeling auf der heimischen

Carrera-Rennbahn. Das packende

Duell zwischen Fernando Alonso im Ferrari 150°

Italia „Fernando Alonso, No.5“ und seinem Konkurrenten

im McLaren Mercedes Race Car 2011

verspricht Nervenkitzel bis zur letzten Sekunde.

Ferrari benannte seinen insgesamt 44. Formel-

1-Flitzer 150° Italia als Erinnerung an den 150.

Jahrestag der Vereinigung Italiens. Zudem sorgt

die Carrera 2,4 GHz WIRELESS+ Technologie

nun auch erstmals auf den Carrera Evolution-

Schienen für absolute Bewegungsfreiheit. Die

kabellosen Handregler verfügen über eine

Reichweite von bis zu 15 Metern und garantieren

Fahrspaß in Vollendung. Die Rennbahn gibt

es 1x zu gewinnen!

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Stichwort:

„FORMULA ENGINES“

Lass die Sonne rein – neue Taschen aus Segeltuch. Passend zum Sommer

präsentiert Canvasco die ‚urban beach‘ für den Strand und die City.

Klare Formsprache trifft auf selbstbewusste Nahtstrukturen und kontrastintensive

Farbakzente. Das coole Design und frischen Farben laden

ebenso zum Sommerfeeling wie auch die knackigen Applikationen mit

Blickfanggarantie. Canvasco Taschen werden nicht nur getragen, sie

werden gelebt. Wir haben 2 freshe Taschen für euch!

www.canvasco.de

Stichwort: „CANVASCO“

Bravado.de und BACKSPIN verlosen hier für euch 3 Kollegah-Fan-Pakete.

Diese bestehen aus jeweils einem grauen „DER BOSS“-Pullover, einem

roten „KING“-T-Shirt und einem schwarzen „KING“-Becher. Weitere Fan-

Artikel findet ihr auf der Webseite von Bravado:

www.bravado.de

Stichwort: „BRAVADO x KOLLEGAH“

Mit EA SPORTS UFC präsentiert EA SPORTS das Ergebnis der ersten

neuen Partnerschaft mit einem führenden Sportverband seit mehr als

einem Jahrzehnt. Die nächste Generation des Kampfsports wurde von

dem Team hinter der gefeierten „Fight Night“-Reihe exklusiv für PlayStation

4 und Xbox One entwickelt. Dank der Leistungsfähigkeit der EA SPORTS

IGNITE-Technologie erweckt EA SPORTS UFC die Action, die Emotionen

und die Intensität im Octagon auf eine Art und Weise zum Leben, die

bislang unmöglich war. Wir verlosen 3 Exemplare!

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Stichwort: „EA SPORTS UFC“

96 BACKSPIN #115 Sommer 2014


Ein Outdooroutfit muss vor allem eines sein: funktionell! Eine regendichte

und atmungsaktive Jacke, trittsichere und robuste Schuhe und eine

Uhr die alle relevanten Informationen wie Barometer, Kompass oder

Höhenmesser bietet. Dabei ist Style in der Regel sekundär … bis jetzt.

Mit der neuen PRO TREK PRW-260 ändert sich die Antwort auf die Style-

Frage außerhalb des urbanen Raums. Wir haben die Pro Trek 1x für euch

in der Verlosung.

www.protrek.eu/de/

Stichwort: „PRO TREK“

From the Beach to the Streets: Die Boardsport- und Lifestylemarke

Dakine bringt mit ihrer Parkdale Kollektion den Surf-Lifestyle auf die

Straßen. Bei den Packs und Reisetaschen treffen Lederapplikationen

im Retro-Wanderstil auf modernes, cleanes Design. Laptop- sowie

Organizertaschen machen die Backpacks zu zuverlässigen Begleitern

im Alltag und lassen im geräumigen Hauptfach genug Platz für

Platten und Co. Wir verlosen je ein Mal die Modelle Contour, Capitol

sowie das Modell Detail in zwei verschiedenen Colorways.

eu.dakine.com/

Stichwort: „DAKINE“

Tennis ist heutzutage nicht nur mehr auf den Courts dieser

Welt zu Hause, sondern hat sich in die Herzen vieler

Sneakerfans gespielt. Mit dem Classic II PG von K-Swiss

kommt ein altehrwürdiger Champ zurück. Dem ersten Tennisschuh

der Kalifornier aus dem Jahre 1966 nachempfunden,

reflektiert der Sneaker gekonnt die Anfänge der Kultmarke.

Das limitierte Sondermodell des Classic II ist dem

Ausnahmeathleten Pancho Gonzalez gewidmet, der die

Courts vor 50 Jahren dominierte. Der Colorway reflektiert

mexikanischen Wurzeln des Ballvirtuosen. Wir haben den

Schuh 4x für euch in der Verlosung.

www.kswiss.de

Stichwort: „K-SWISS“

Sommer 2014 #113 BACKSPIN 97


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Die ersten 20 Neuabonnenten bekommen je einen

„King“-Becher sowie Kollegahs aktuelles Album „King“ gratis!

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Ausland erfolgt ausschließlich per Vorkasse (nach Rechnungseingang) auf das angegebene Konto.

98 BACKSPIN #115 Sommer 2014



DAS

NEUE

ALBUM

JETZT!

CRO LIVE

07.11.2014 CH-WINTERT.

08.11.2014 MANNHEIM

09.11.2014 FRANKFURT

13. 11 .2014 BERLIN

14. 11. 2014 MÜNCHEN

15. 11. 2014 NÜRNBERG

17. 11. 2014 A-WIEN

18. 11. 2014 DRESDEN

19. 11. 2014 BREMEN

21. 11. 2014 HAMBURG

22. 11. 2014 DORTMUND

26. 11. 2014 HANNOVER

27. 11. 2014 KÖLN

28. 11. 2014 FREIBURG

06.12.2014 STUTTGART

CRO MELODIE

ÜBERALL

IM HANDEL

ERHÄLTLICH

CRO MELODIE

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