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#115
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SOMMER 2014
ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ
Wäre es das Ende der
Rap-Kultur,
ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ
wenn es nur noch brave,
politisch korrekte Texte
geben würde?
EDITO-
RIAL
#115
Es ist jedes Mal ein langer Weg, bis so ein
BACKSPIN Mag fertig ist. Auch für diese
aktuelle Ausgabe #115 waren wir viel
unterwegs, wir haben Ideen aufgenommen
und uns für diese, euch vorliegende
Auswahl an Themen entschieden.
Als Moderator Tobi Schlegl im ZDF in der
„aspekte“-Sendung vom 28. März 2014 seinen
Gast zum Thema „Schwulenfeindlichkeit“ im
deutschen Rap befragte, das Thema aber nur kurz
angeschnitten wurde, ging Kollege Falk Schacht
vorm heimischen Fernseher die Hutschnur hoch.
Sein postwendend veröffentlichter Kommentar
führte zu einem öffentlichen Austausch der beiden
zum besagten Thema und der generellen Problematik
von Rap in öffentlichen Medien. Wir wollten
einen Schritt weiter gehen und luden die beiden
zusammen mit dem Berliner Fler, als Vertreter der
Zunft, an einen Tisch, um das Thema noch einmal
grundsätzlich zu bearbeiten. Heraus kam der
„BACKSPIN Stammtisch“ der aktuellen Ausgabe,
der mit durchaus überraschenden Statements die
Diskussion fortführt.
Ebenfalls fortführen werden Die Fantastischen
Vier ihre Musik-Karriere. Wie viel ihr Schaffen mit
Hip-Hop noch gemein hat, wurde hinreichend diskutiert.
Doch dass sie mit „Jetzt geht’s ab“ 1991
Pionierarbeit geleistet haben, bleibt Fakt. Umso
schöner, wenn dann And.Ypsilon seine heiligen
Hallen aufschließt und sich ein wenig zu den Anfängen
seines Weges als Teil der Vier äußert. Das
mussten wir ausnutzen und trafen dabei auf echte
Schätze.
Havoc und Prodigy von Mobb Deep haben der
Hip-Hop-Gemeinde weltweit so einige Hits geliefert,
die sie auch heute noch zu gern gesehenen
Gästen im Club um die Ecke oder auf Festivalbühnen
machen. Wir nutzten einen Hamburg-Stopp
der Jungs, um sie mit unseren 50 Fragen zu konfrontieren.
Eine schwierige Sache, wie unsere Autorin
Frederike Arns anfänglich befand, aber am
Ende wurde alles gut.
Auch bei uns wird alles gut. Denn: Die BACKSPIN
wird es in Zukunft auch im App Store von Apple
für iOS-Systeme sowie für Android im Android-
Store geben. Das heißt die aktuelle BACKSPIN auf
dem iPhone oder iPad – inklusive dem gesamten
Backstock-Katalog. Genau das richtige Geschenk,
das wir uns und euch zu 20 Jahren Heft-Geschichte
machen konnten. Details findet ihr dazu auf unserer
Website.
Jetzt erst einmal viel Spaß beim Lesen. B
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 3
HERAUSGEBER:
Niko Hüls / BACKSPIN Media
CHEFREDAKTEUR:
Niko Hüls
ART-DIREKTION:
Goran Tesanovic
LAYOUT:
Stephan „Gizmo“ Haramina
REDAKTION:
Benjamin Auch, Lukas Ehemann, Martin Fischer, Stephan „Gizmo“ Haramina, Niclas Hummitzsch,
Steffen Köster, Tim Kinkel (Textchef), Dennis Kraus (Chef vom Dienst), Andreas Mehring
Dan Rosca , Mark Todt, Niels Wendt
AUTOREN DIESER AUSGABE:
Frederike Arns, Sticky Dojah, Fume, Peter Hagen, Denis Ignativ, Christian Luda, Shana Koch,
Phil Kühn, Falk Schacht, Sascha Weigelt
FOTOS:
Eric Anders, Sandrine Appel, Marie Chatard, Chelsey Croucher, Dems, Sticky Dojah, Hip Hop Kemp, Walter Glöckle,
Denis Ignatov, Jonas Kaltenkirchen, Karl Kani, KWE, Laion, Merlin, Mobile Mondays, Daniel Schneider,
splash!, Christopher Voy, Ole Westermann, And. Ypsilon
GRAFFITI-SEITEN:
Tobias Maier-Beck
GRAFFITI-KONTAKTE:
Tim Carstens & Tim Karger
E-Mail: Graffiti@backspin.de
REDAKTION TECHNICS:
Torben Bowm, Dan Rosca
E-Mail: Torben.Bowm@backspin.de
REDAKTION PERFORMANCE:
Benjamin Auch
E-Mail: Benjamin.Auch@backspin.de
ANZEIGENLEITUNG:
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Fon: +49 (0)40 45 00 02 94
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BACKSPIN sieht sich als Magazin, das die Entwicklung der internationalen Hip-Hop-Szene dokumentiert.
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4 BACKSPIN #115 Sommer 2014
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BACKSPIN#115
06 ····························· Fotograf: Denis Ignatov
08 ········································· Ohne Worte
12 ········································ Blog Report
14 ···············Fundstücke: Diggin‘ in Brooklyn
16 ·································· Hut Ab, Kollegah
18 ·············· Wie war das noch mal, And. Ypsilon?
22 ·······Stammtisch: Niko, Falk, Fler und Tobi Schlegl
········································unterhalten sich
28 ······················ Der BACKSPIN-Festival Guide
31 ······································ Music: Jabee
32 ············ Music: Mobile Mondays in New York City
35 ····················· Music: Stubenhacker / Ferhat C.
36 ·································· Festivals: splash!
40 ····································· Graffiti: Dems
44 ···································· Graffiti: Trains
48 ··································· Graffiti: Mr. Koso
50 ····································· Graffiti: Walls
52 ··························· Writer‘s Sepical: Slider
56 ························ Tales From A Dirty Old Man
58 ···························· Performance: Floorwars
62 ···························· Festivals: Hip Hop Kemp
64 ······ Promotion: G-Shock feat. Hardy Blechmann
67 ························ Music: Tom Thaler & Basil
68 ······················· Technics: Vintage Equipment
71 ································· Technics: Produkte
72 ··················· Technics: Review: Bitwig Studio
74 ························· Producer Spotlight: Exile
76 ······························· 10 Thesen mit: Cro
78 ·············· Die LP meines Lebens mit: Ahzumjot
80 ······························· Music: DJ Scientist
82 ························· 50 Fragen an: Mobb Deep
86 ······················ Back in the Days: JVC Force
88 ································ Album der Ausgabe
90 ······································· Soundcheck
94 ········································ Beatcorner
95 ································· Deutschstunde 3.0
96 ······································· Verlosungen
98 ··············································· ABO
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 5
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa
Seit Jahren arbeite ich schon mit vielen deutschen Musikern und Rappern zusammen.
Das Out4Fame Festival war wieder eine gute Gelegenheit, alte Gesichter wiederzutreffen
und sich auszutauschen (Savas, Kollegah, Farid Bang, Manuellsen etc.).
Eigentlich habe ich nichts mit der „Clique“ Megaloh, Afrob, Max Herre, Samy Deluxe
am Hut. Mir hat aber die Sympathie und der energetische Auftritt von Megaloh so
gut gefallen, dass ich ihn nach seinem Bühnenauftritt sofort angesprochen habe.
Die richtige Wellenlänge war sofort da. Megaloh sagte: „Eigentlich bin ich privat
hier und gebe keine Interviews, Pressetermine oder Shootings.“ Ich: „Ich auch!“
Nach einem netten Gespräch haben wir dann doch noch einige Fotos geschossen.
Korrekter Typ, gerne wieder!
Text & Foto: Denis Ignatov
6 BACKSPIN #115 Sommer 2014
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa MUSIC
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 7
Foto: Karl Kani
WAKA
FLOCKA
FLAME
Sag mal, Waka Flocka Flame, wer
macht eigentlich am derbsten Party?
8 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Foto: Eric Anders
B-REAL
B-Real, bevor du nach Hamburg
gekommen bist, warst du in den
Niederlanden. Wie hat dir dein
Aufenthalt gefallen?
Sommer 2014 #115 BACKSPIN 9
Foto: Eric Anders
BIG
DADDY
KANE
Big Daddy Kane, zeig uns deinen
liebsten Kung-Fu-Move!
10 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Foto: Eric Anders
RA THE
RUGGED MAN
RA The Rugged Man, warum sind Skinny
Jeans nichts für dich?
Sommer 2014 #115 BACKSPIN 11
Text: Christian Luda
Rap ist Religion. Wer Gott sucht, findet
ihn heutzutage mitunter auf YouTube. So
geschehen im Fall von God aus Chicago
– einem mysteriösen Rapper, der an Pusha T in
seinen düstersten Momenten erinnert. Im Januar
sorgten erste Videos wie „God Vs. Devil“ und
„Judgement Day“ für Aufsehen. Nach der EP
„Before the Bible“ ist nun das Free-Album „The
Bible“ erschienen. Auf zehn Songs, zusammengehalten
von Interludes mit Gewaltnachrichten
aus Chicago, bereichert God das Chiraq-Movement
mit teilweise bemerkenswertem Storytelling
um eine weitere interessante Facette.
Alle, die jetzt laut „Blasphemie!“ rufen, weil der
einzig wahre Gott Rakim und der letzte Prophet
Nas heißt, sollten den wie God aus dem Nichts
aufgetauchten New Yorker Rapper Your Old
Droog checken. Dessen gleichnamige EP, produziert
von El RTNC und DJ Skizz, bietet Grown-
Man-Rap à la Ka und Roc Marciano. Droog erinnert
dabei so sehr an Nas, dass einige Blogs
zunächst spekulierten, „God’s Son“ höchstpersönlich
stecke hinter den Songs.
In eine ähnliche Kerbe schlägt Rast RFC von
der berüchtigten New Yorker RFC Crew mit
seinem Mixtape „Across West 3rd Street“.
Der Graffiti-Writer im Ruhestand sagt über sich
selbst: „I founded a street gang, lived a life of
crime, drugs and adventure, and now I rap about
it.“ Im Ergebnis klingt das wie ein älterer 50 Cent,
der ausschließlich über dreckige Boom-Bap-
Beats rappt.
D.I.T.C.-Jünger kamen sich im Mai vor wie an
Weihnachten: A.G. verschenkte mit „Return to
1999“ die unveröffentlichte LP seiner Protegés
Ghetto Dwellas alias Party Arty (R.I.P.) und D-
Flow. Neben Bekanntem wie „God Made Dirt“
und „Get It Dusty“ findet man hier viele bis dato
ungehörte Songs, produziert von Showbiz und
Amed – einziger Wehrmutstropfen: Nach zwei
Minuten ist bei jedem Titel Schluss. Gnädiger
zeigte sich die Crew, als sie das „D.I.T.C. – The
Remix Project“ – auf Vinyl beim Label Slice of
Spice erhältlich – kurzerhand komplett zum kostenfreien
Download bereitstellte. Unter anderen
DJ Premier, Alchemist, Lord Finesse, Diamond
D, Showbiz und Buckwild liefern auf dem Album
zeitgemäße Überarbeitungen diverser D.I.T.C.-
Klassiker ab.
„Rap God“ Eminem plant, 2014 das dritte Album
seiner Schützlinge Slaughterhouse zu veröffentlichen.
Als Teaser gibt es vorab das Mixtape
„House Rules“. Auf zehn Songs mit Beats von
u. a. Nottz, Illmind, AraabMuzik und Harry Fraud
bieten die vier, was ihre Fans erwarten: Lyrics.
Colorado assoziiert man hierzulande mit Thomas
Gottschalk, in den USA seit 2014 mit Marihuana-Legalisierung
– 28 Gramm pro Kauf sind
erlaubt. Wiz Khalifa konnte daher nicht anders,
als sein Mixtape „28 Grams“ zu nennen. Soundmäßig
schielt der Dauerkiffer dabei nach Atlanta
– die passenden Beats stammen u. a. von Metro
Boomin, 808 Mafia und Sonny Digital. Auf „Word
on the Town“ mit Juicy J ist zudem ein posthumer
Verse von Pimp C zu hören – Chuuuch!
Drake ist der CR7 des Rap – oft verteufelt,
aber stets treffsicher. Mit „0 to 100“ hat er mal
wieder jenen Beat, von dem keiner die Finger
lassen kann. Aus der großen Masse an Freestyles
stechen die von Joell Ortiz, Papoose,
Meek Mill, Vado, Fat Trel und der wiedervereinten
G-Unit heraus.
Mit der Bekanntgabe seines „Freshmen Covers“
sorgt das XXL Magazine stets für ähnlich hitzige
Diskussionen wie Jogis WM-Kader. 2014 sind sich
die Stammtische einig: Es gab schon schlimmere
Nominierungen. Nach der kurzfristigen Absage
von Young Thug wurden Chance the Rapper, Isaiah
Rashad, Ty Dolla Sign, Rich Homie Quan, Vic
Mensa, August Alsina, Troy Ave, Kevin Gates, Lil
Bibby, Jon Connor, Lil Durk und Jarren Benton
ins Team berufen. Exclusives von allen zwölf gibt
es auf DJ Dramas „XXL 2014 Freshmen Mixtape“.
Hintergründe liefert die Folge „Inside the XXL
Freshmen Cover“ des ohnehin empfehlenswerten
Podcasts „NPR: Microphone Check“ mit Host Ali
Shaheed Muhammad – oh my god!
12 BACKSPIN #115 Sommer 2014
tom thaler
& Basil
Die DeBÜt eP aB 08.08.
ÜBerall erhältlich!
trey songz
out
now!
www.warnermusic.de – www.tomthalerundbasil.de – www.treysongz.com
Text und Fotos: Sticky Dojah
DIGGIN´IN
BROOKLYN
Auf www.backspin.de berichtet unser Autor Sticky Dojah derzeit
von seinem Aufenthalt in New York. In unregelmäßigen
Abständen erzählt der Aachener DJ von Erlebnissen, die
sich rund um Hip-Hop im Big Apple drehen. Diese kleine Geschichte
hier fanden wir schließlich so gut, dass wir sie auch
gedruckt sehen wollen. Aber lest selbst.
Samstagmorgen in Brooklyn.
Es wird mal wieder Zeit zum
Platten-Diggen. Schnell mit
meinem Kumpel Jonathan
aus London kurzgeschlossen,
und wir machen uns
auf den Weg zu „The Thing“,
einem legendärer Secondhandladen
in Greenpoint,
Nordbrooklyn. Der Keller hat es in sich: zigtausende
Platten stehen hier in Kisten und Schränken
wahllos aufeinander. Die Luft ist staubig, man
braucht vor allem im Sommer eine Atemschutzmaske
und Handschuhe, um da unten zu überleben.
Während ich durch die Singles stöbere,
findet Jonathan eine zugetaggte Platte, die seine
Aufmerksamkeit auf sich zieht. Bei genauerem
Hinsehen finden wir zwei beschriebene Seiten. Ich
erkenne den Tag-Style sofort: Lee Quinones. Was
wir hier gefunden haben, ist Hip-Hop-Geschichte.
Zwei Aufzeichnungen über ihn in den Trainyards
und seine unglückliche Liebe zu einem Mädchen.
Dazu eine bemalte Platteninnenhülle mit einem
„Fabulous Five“-Style und Tags von der ganzen
Crew. Das ganze original von 1979. Es musste einfach
gefunden werden. Only in New York! B
14 BACKSPIN #115 Sommer 2014
„So eine Aufmerksamkeitsspanne
über eine lange Zeit zu
halten, ist gar nicht so einfach.
Dafür muss man viel arbeiten.“
INTERVIEW: NIKO HÜLS / FOTO: LAION
HUT AB,
KOLLEGAH,
von deinem aktuellen Album „King“ sind am ersten Verkaufstag über
100.000 Einheiten abgesetzt worden.
Am Ende der ersten Woche waren es über 160.000.
So gut soll sich während der letzten zehn Jahre kein
anderes Album in Deutschland verkauft haben. Mal
ehrlich: Wie hast du das alles aufgenommen?
Das in dem Moment direkt zu verarbeiten, ist
schwer. Ich war noch mitten im Arbeitswahn. Natürlich
habe ich gecheckt, dass das krass ist. Aber
realisieren, was wir da erreicht haben, konnte ich
erst mit einem gewissen Abstand. Natürlich freue
ich mich sehr und möchte auch noch mal wirklich
jedem da draußen danken. Insgesamt haben
wir in der ersten Woche übrigens, wenn man Österreich
und die Schweiz mitzählt, knapp 180.000
Alben verkauft. Das ist der Wahnsinn.
Wo warst du, als du die Information bekommen
hast?
Thomas von Selfmade Records hatte die Zahlen
immer im Blick und hat mich auf dem Laufenden
gehalten. Als er mir die finalen Zahlen der ersten
Woche schickte, machte sich natürlich Euphorie
breit. In dem Moment war ich gerade in einem
16 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Gespräch mit einem Mitarbeiter von mir. Ich hatte
ihn angepflaumt, weil ich im Stress und auch etwas
abgefuckt war. Als die SMS kam, war ich mit
einem Mal wieder der freundlichste Mensch der
Welt.
Seit fast zehn Jahren bist du als Rapper im Spiel.
Hast du damit gerechnet, dass du mit deinem
vierten Album so einen Erfolg feiern würdest?
Letztes Jahr im Sommer habe ich mit der Arbeit
am Album begonnen. Da war ich gerade in der
Massephase. Zu diesem Zeitpunkt war mir das natürlich
überhaupt nicht klar. Im Verlauf der Promophase
im September konnte man das dann langsam
abschätzen. Als schließlich der Hype immer
größer wurde, war mir plötzlich klar, dass einiges
gehen könne. Also habe ich Vollgas gegeben. Mit
solchen Zahlen hätte ich letztendlich aber niemals
gerechnet.
Erfährst du durch diesen kommerziellen Erfolg
nun auch von den Nicht-Hip-Hop-Medien merklich
mehr Wertschätzung?
Erfreulicherweise ja. Viele Medien hatten mich
vorher überhaupt nicht auf dem Schirm, oder
sie steckten mich in irgendeine Schublade, in
die ich nicht so richtig reingehöre. Daher kommt
das für mich doch recht überraschend. Meinem
Album hört man von Track 1 bis 20 an, dass es
nicht darauf ausgelegt ist, von den Massenmedien
akzeptiert zu werden. Es ist reiner Battle-Rap,
bei dem die Punchline-Dichte so hoch ist wie nie
zuvor. Ich habe ohne Kompromisse ein straightes
Rap-Album gemacht. Doch durch die Kaufbereitschaft
meiner Hörer muss sich das Radio nun mit
mir auseinandersetzen. Das war für die dann der
Anlass, sich das Album anzuhören und der Sache
frei von Vorurteilen eine Chance zu geben. Und so
bekam ich von 90 Prozent aller Medien, großen
Radio- wie Fernsehsendern, absolut positive Resonanz.
Die befinden das für gute Musik und checken
auch, dass es nicht dieser stumpfe Gangsta-Rap
ist, dem die mich vorher vielleicht noch zugeordnet
hatten. Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung.
Ich denke sogar, dass dadurch die Vorurteile
gegenüber Deutschrap im Allgemeinen etwas abgebaut
werden. Ich pöbele auf dem Album ja nicht
herum. Auch wenn ich auf der einen Seite Battle-
Rapper bin, habe ich noch andere Facetten, die,
objektiv gesehen, einfach positiv sind. Sei das nun
mein Einfluss auf die Jugend, wenn es um Moral,
Prinzipien und den Sport geht, oder die lyrische
Komponente. Die beginnen die Leute immer mehr
zu verstehen. Darauf bin ich stolz.
Während der Promophase hast du, neben den
klassischen Mitteln, auch stark auf deine Entertainer-
und Moderatoren-Qualitäten gesetzt. Denkst
du, dass darin einer der Schlüssel für den Erfolg
liegt?
Sicherlich waren die eine Art Türöffner. So konnte
ich Fans hinzugewinnen, die, genau wie die eben
angesprochenen Medienvertreter, ein falsches Bild
von mir hatten und meiner Musik sonst nie eine
Chance gegeben hätten. Auch wenn teilweise sehr
alberne Songs wie „Wat is’ denn los mit dir?“ und
„Vom Salat schrumpft der Bizeps“ dazugehörten,
hat das Gesamtpaket viele Leute erst dazu gebracht,
sich mit meiner Musik auseinanderzusetzen
und diese dann sogar zu feiern. Als 80 Prozent
der Songs fertig waren, wusste ich schon, dass
das mein stärkstes Album wird. Deswegen auch
diese intensive Promophase, die ja über acht Monate
ging. Ich musste diesen starken Release einfach
so stark wie möglich pushen.
Und dann habt ihr euch bei Selfmade zusammengesetzt
und überlegt, was man machen kann?
Nein. In puncto Promo habe ich freie Hand und
auch niemanden, der mich groß berät. Das ist alles
auf meinem Mist gewachsen. Den YouTube-Kanal
zum Beispiel habe ich einfach aus dem Bauch heraus
gemacht. Diesen gezielten Höhepunkt der
Promo kurz vor Release gab es bei mir ja auch
nicht. Es hat sich einfach dahin entwickelt. Wobei
ich natürlich auch psychologische Überlegungen
angestellt habe, um ein bestimmtes Klima zu erzeugen.
So war das Überthema „Du bist Boss“,
dazu habe ich dann eine schöne Late-Night-Show
gemacht und ein bisschen was Lustiges zwischendurch.
So eine Aufmerksamkeitsspanne über eine
lange Zeit zu halten, ist aber gar nicht so einfach.
Dafür muss man viel arbeiten.
Gab es Anfragen vom Fernsehen, nachdem du mit
deiner Late-Night-Show deine Moderatoren-Qualitäten
gezeigt hast?
Es kamen tatsächlich einige Anfragen vom Fernsehen.
Ich habe denen gesagt, dass ich es mir überlegen
werde. Allerdings tendiere ich eher dazu, es
nicht zu machen. Mir gefällt es viel mehr, eigene
Formate zu gründen und die zu pushen. Deshalb
würde ich mich beispielsweise auch nie in die Jury
einer Gesangsshow setzen. Dann mache ich doch
lieber meine eigene. Auf meinem YouTube-Kanal
habe ich zu 100 Prozent freie Hand. Für den arbeite
ich auch nur mit einem einzigen Mann zusammen,
dem Alexander. Vielleicht ist das auch das Geheimnis,
warum der so gut funktioniert.
Es ist demnach also denkbar, dass man auch abseits
der Musik mehr von dir hören wird?
Ja. Natürlich verrate ich noch nichts. Aber du
kannst dir sicher sein, dass da einiges kommen
wird, was nicht allein mit der Musik zu tun hat.
Du bietest auch ein Fitness-Programm an, die
„Bosstransformation“. Wie läuft dein neuer Geschäftszweig?
Unglaublich gut. Anfangs war ich noch sehr skeptisch.
Für die, die von Fitness keine Ahnung haben,
sieht das ja erst mal nach Abzocke aus. Dabei ist es
durchaus sinnvoll, sich durch diesen komplexen
Bereich der Fitness führen zu lassen. Und für die
„Bosstransformation“ zahlt man nur einmal, hat
das Wissen aber ein Leben lang. Das Programm
läuft nun seit fast vier Monaten (das Interview
wurde Ende Mai geführt, Anm. d. Red.) und inzwischen
gibt es über 2.000 Teilnehmer, die alle sehr
gute Ergebnisse erzielt haben. Ich stehe ja auch
mit meinem Namen dafür. Und ich werde niemals
irgendeinen Abzockscheiß machen. Zumal ich ja,
Gott sei dank, mit Rap ganz gutes Geld verdiene.
Bei der „Bosstransformation“ war es eher mein
Anliegen, der Jugend mal richtig Fitness beizubringen.
Du hast mit „King“ auch bei Spotify Platz 1 der globalen
Albumcharts belegt …
Die Nachricht war insofern interessant, als dass bei
Spotify erst mal alle Songs kostenlos hörbar sind.
Ich glaube, mein Album wurde in den ersten Tagen
um die elf Millionen Mal angehört – und trotzdem
habe ich die übelsten Verkaufsrekorde aufgestellt.
Das zeigt doch sehr schön den Wandel, dass wieder
eine größere Kaufbereitschaft bei den Hörern
vorhanden ist. Bis vor vier oder fünf Jahren war
das nicht so. Da hat zwar jeder die Mucke gehört
und gefeiert – aber nicht für sie bezahlt. Langsam
scheinen die Leute verstanden zu haben, dass man
ihnen, je mehr sie supporten, auch umso mehr zurückgeben
kann. Das wollte ich auch in der Promophase
vermitteln.
Wird es nun, da dein Album draußen ist, auf deinem
YouTube-Kanal wieder etwas ruhiger?
Ich werde den Kanal sicherlich weiter pflegen.
Aber erst mal trete ich da etwas kürzer. Erstens
brauche ich eine Pause und zweitens will ich den
Leuten auch eine Pause von mir gönnen.
Nachdem die Leute bei deinem splash!-Auftritt
2006 noch mit dem Finger auf dich gezeigt haben,
schließt sich mit deinem Slot als Headliner dieses
Jahr der Kreis. Wie fühlt sich das für dich an?
Das fühlt sich natürlich schön an. Im Grunde genommen
zeigt es, dass es etwas bringt, wenn man
am Ball bleibt und nicht den Kopf in den Sand
steckt, wenn man Dinge auf Anhieb nicht gemeistert
bekommt. Man muss hier und da Dinge halt
mal verkacken. Ich bin aber jetzt auch nicht so,
dass ich sage: Hey, ich habe euch alle gefickt. Aber
natürlich ist es für mich eine innere Befriedigung,
weil ich lange darauf hingearbeitet habe. B
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 17
„Wir haben innerhalb eines
Jahres 15.000 Alben verkauft.
Von unserem zweiten Album
haben wir pro Tag 15.000
verkauft.“
Interview: Niko Hüls
Fotos: Niko Hüls, And. Ypsilon
WIE WAR DAS
NOCH MAL, AND. Ypsilon,
als ihr „Jetzt geht’s ab“ aufgenommen habt? Die Platte gilt als erstes
deutschsprachiges Rap-Album. Erinnerst du dich?
Na klar. Das Album war die erste Studioproduktion
von Die Fantastischen Vier. Zuvor hatten wir
alles mit zwei Tapedecks in meinem Kinderzimmer
aufgenommen. Die Tapedecks stehen heute hier
im Studio. Jedenfalls hatten wir mit denen sozusagen
im Pingpong-Verfahren die frühen Fanta4-
Produktionen gemacht. Im Studio hatten wir dann
eine 24-Spur-Digital-Maschine, ein analoges Pult,
Boxen, Effektgeräte und – vor allem – einen S1000-
Sampler (Akai S1000, Anm. d. Red.). Der war damals
so etwas wie der heilige Gral der Sampling-
Technologie.
In welches Studio hattet ihr euch für die Albumproduktion
eingemietet?
18 BACKSPIN #115 Sommer 2014
In das damalige Basement Studio von Klaus
Scharff, unserem heutigen Live-Engineer. Bis zum
„Lauschgift“-Album haben wir dort alle unsere
Aufnahmen gemacht. Erst das „4:99“-Album ist
dann wieder woanders entstanden, nämlich im
Studio Y. Jedenfalls hatte mir Klaus Scharff damals
sogar seinen S1000 ausgeliehen. Der Sampler hatte
seinerzeit einen Wert von 15.000 Mark. Als ich
mit dem heimgegangen bin, dachte ich mir: Oha,
ich habe hier ein Auto in der Hand. Ich hatte damals
ja keine Kohle.
Aber für „Jetzt geht’s ab“ gab es schon einen Produktionsvorschuss,
oder?
Das ja. Bevor es zur Produktion gekommen war,
hatten wir unseren Manager Andreas „Bär“ Läsker
getroffen. Der betrieb damals einen Import-
Schallplattenladen und entwarf für uns dann einen
Masterplan, den ich bis heute noch propagieren
würde. Der sah vor, dass wir uns zunächst einen
Verlagsvertrag sichern sollten. Mit dem Vorschuss
sollten wir dann Demos in einem Studio aufnehmen
und mit denen schließlich zu einer Plattenfirma
gehen, die uns dann einen Vertrag geben würde.
Genau so lief es tatsächlich ab.
Wie viele Songs von „Jetzt geht’s ab“ hattet ihr damals
auf deinen Tapedecks schon in Rohversionen
aufgenommen?
Ungefähr zwei Drittel. Aber natürlich sind während
der Produktion im Studio noch neue entstanden.
Mit dem S1000 konnte man besser samplen als
mit allem, was ich bis dahin hatte. Ich benutzte
damals ein S10-Keyboard, mit dem man ungefähr
vier Sekunden samplen konnte. Für Loops reichte
das. Dazu hatte ich noch einen selbst gebauten
Drumcomputer, die sogenannte Bronx-Box oder
BBox. Die konnte 8-Bit-Sounds abspielen und meinen
ersten Drumcomputer (Boss DR-110) triggern
und war lange sozusagen unser Hauptinstrument.
Die Sequenzersoftware dazu hatte ich auf einem
VC 20, dann auf einem C610 und zuletzt auf einem
C64 selbst geschrieben. In der letzten Ausbaustufe
konnte dann auch der S10-Sampler über MIDI
getriggert werden. Das war wirklich komfortabel.
Ich trauere dem System bis heute nach. Es war
wie maßgeschneidert für mich, sodass ich es sehr
schnell bedienen konnte. Ich machte damit ein
komplettes Beat-Programming in fünf Minuten.
In Deutschland Ende der 80er-, Anfang der 90er-
Jahre Hip-Hop-Produktionen zu machen, muss ein
ziemliches McGyver-Feeling gewesen sein …
Das waren Pionierzeiten. Man brauchte Unmengen
an Geld, um sich professionelle Möglichkeiten
leisten zu können.
Wer war alles in die Produktion involviert? Gab es
jemanden, der euch half?
Das waren eigentlich nur wir vier. Michi hatte
als DJ natürlich eine zentrale Rolle. Wenn es um
Sample-Loops ging, hatten er und Smudo einen
guten Riecher und wussten auch, was schon mal
benutzt worden war. Schließlich kam es dabei
ja auf die Originalität an. In diesem Zusammenhang
das Wort „recyclen“ zu benutzen, finde ich
übrigens nicht so passend. Ich sehe das eher als
eine Art Überlieferung von altem Musikwissen.
Wir haben dadurch zumindest eine Menge über
Musik gelernt. Jedenfalls besorgten Michi und
Smudo die Samples und ich habe dazu die Beats
programmiert. Das war damals, zu der Kinderzimmer-Zeit,
natürlich alles noch sehr einfach,
aber es kamen einige recht geile Stücke dabei
heraus.
Wie blickst du heute auf eure Arbeit in dem Studio?
Haben euch die besseren Möglichkeiten
merklich nach vorne gebracht?
Auch wenn dort viel hochwertiges Equipment
stand, bedeutete das nicht automatisch, dass auf
einmal alles geiler klang. Mein Schrott-Sampler
klang für mich jedenfalls irgendwie rougher. Und
auch das digitale Aufnehmen hat dem Sound
nicht unbedingt weitergeholfen. Das hört man
der Platte auch an. Das war alles wie ein Sprung
ins kalte Wasser. Zumal ich das Album ja auch
gemischt habe. Klaus hatte mich einfach machen
lassen, was ich auch super fand. Er passte lediglich
auf, dass ich keine grobe Scheiße baue. Nur
die Vocals habe ich ihn mischen lassen, das überstieg
damals meine Fähigkeiten. Von Kompressoren
ließ ich ebenfalls meine Finger, ich wusste
damals nicht mal, was man damit macht.
Also habt ihr das professionelle Studio mit all
seinen Möglichkeiten gar nicht voll ausnutzen
können?
Ausgenutzt haben wir das schon. Wir wussten
manche Dinge zu dem Zeitpunkt einfach nur
noch nicht. Andere Dinge aber habe ich sehr
schnell gelernt. Ich bin ohnehin Autodidakt. Wie
man einen Drumcomputer baut, hatte ich mir
einfach aus ein paar Elektronikzeitschriften zusammengelesen.
Auch das Programmieren habe
ich mir selber beigebracht.
Es gab auf „Jetzt geht’s ab“ auch einige Vocal-
Cuts aus „Star Wars“. Einer von euch muss demnach
die Hörspielplatten gehabt haben …
„Star Wars“ war für unsere Generation ein prägendes
Film- und Hörspielerlebnis. Michi hat die
Hörspielplatten gehabt, ich die Kassetten. Ich
kannte das alles auswendig. Er genauso. Das
waren Momente, die wir witzig fanden und auch
zitieren wollten.
Jemanden, der euch im Studio helfen konnte, hat
es damals in Deutschland wahrscheinlich noch
nicht geben, oder?
Richtig. Klaus Scharff, der gefühlt eher aus dem
Punk-Rock-Lager kam, wusste auch nicht, was bei
uns gefragt war. Ich genauso wenig. Jedoch habe
ich schon damals schnell gelernt. Innerhalb eines
Tages wusste ich, wie man den S1000 programmiert.
Mit dem und Cubase haben wir damals viel
gearbeitet.
Woher hast du zu dieser Zeit deinen Antrieb bekommen?
Ich hatte so etwas wie eine Mission: Ich wollte,
dass die Leute aus meinem Kulturkreis diese geile
Hip-Hop-Musik hören und verstehen. In meiner
Klasse war ich damals der einzige, der Hip-Hop gehört
hat. Wenn ich wem mal was vorspielte, bekam
ich Sätze zu hören wie: „Wann kommt denn die
Musik?“ Wenn man in den 80ern Rap hörte, war
man irgendwie schon ganz schön weit draußen.
Aber diese Pionierarbeit war schon immer mein
Ding. Ich war ja auch nicht der klassische Instrument-Spieler.
Mein MS-20 (Synthesizer von Korg,
Anm. d. Red.) ist das einzige Gerät, das ich hatte,
und das ich als mein Instrument bezeichnen würde.
Den habe ich, seit ich zwölf bin. Zwei Jahre hatte
ich damals dafür gespart. Elektronische Musik
hat mich einfach magisch angezogen. Als Achtjähriger
hörte ich bereits Kraftwerk. Das in der Musik
hörbar zu machen, was vorher noch niemals gehört
wurde, hat mich gereizt. Mit Computern war
das übrigens ähnlich. Mit 14 habe ich mir meinen
ersten Computer-Bausatz, einen Sinclair ZX81 mit
1 KB RAM gekauft. Ich wusste zwar nicht, was das
ist, aber ich musste es ausprobieren.
Welche frühen Rap-Songs haben dich damals geprägt?
UTFO, Afrika Bambaataa, „Planet Rock“, „Looking
for the Perfect Beat“ – das war mein Einstieg.
„Jetzt geht’s ab“ ist 1991 auf Platz 22 der Albumcharts
gelandet. Für das erste deutschsprachige
Rap-Album ist das nicht übel gewesen, oder? Wie
habt ihr das damals aufgefasst?
Das weiß ich heute nicht mehr so genau. Aber um
eine Größenordnung zu geben: Wir haben innerhalb
eines Jahres 15.000 Alben verkauft. Das war
in den Zeiten damals nicht gerade berauschend
viel, für einen Newcomer aber in Ordnung. Interessanter
wurde es dann mit „Die da!?!“. Von unserem
zweiten Album haben wir pro Tag 15.000
verkauft.
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 19
„Ich bin Autodidakt. Wie man
einen Drumcomputer baut, hatte
ich mir einfach aus ein paar
Elektronikzeitschriften
zusammengelesen.“
20 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Lass uns bitte noch bei „Jetzt geht’s ab“ bleiben.
Das Album erschien auf Columbia, also einem
Major-Label. Welche Erfahrungen habt ihr mit der
Plattenfirma damals gemacht? Wurdet ihr nur mit
spitzem Finger angefasst?
Das habe ich gar nicht so miterlebt, da kann der
Bär sicher mehr zu erzählen. Was ich aber weiß, ist,
dass wir einen sehr ambitionierten A&R hatten, der
uns ja auch entdeckt hatte: Fitz Braum.
In der damaligen Hip-Hop-Szene hattet ihr in euren
frühen Jahren einen schweren Stand. Man warf
euch Sell-out vor und dass ihr euch zu Hampelmännern
gemacht hättet. Wie hast du das erlebt?
So viele Szenekontakte hatten wir gar nicht. Außerdem
gab es ja kaum Informationsfluss. Wenn
man mal wen traf, dann auf einer Jam. Ich erinnere
mich da an eine, auf der auch Torch war. Der
spielte damals mit Advanced Chemistry hauptsächlich
noch englischsprachige Songs, wir schon
deutschsprachige. Die deutschsprachigen Stücke,
die die brachten, waren mehr eine Persiflage, die
englischsprachigen hingegen waren sehr ernst.
Aber wie auch immer, es war okay. Aber auf den
klassischen Hip-Hop-Jams wurden wir schon sehr
kritisch beäugt.
Wie hat es sich angefühlt, ein Feindbild der Hip-
Hop-Szene gewesen zu sein?
Ich habe immer versucht, das nicht an mich heranzulassen.
Es hat uns auf jeden Fall noch stärker
gemacht. „Sell-out“ heißt ja wörtlich „Ausverkauf“.
Nur kann man eben nicht ausverkaufen, was noch
gar nicht groß ist. Wir waren ja erst dabei, es groß
zu machen. Das hatten viele aus der Szene nicht
verstanden. Die haben sich schon damals in ihrem
Miniuniversum der Jams groß gefühlt und sich
da totgelaufen. Dem habe ich für mich persönlich
dann auch die Relevanz abgesprochen.
Du hattest vorhin gesagt, dass der Plan, den euch
euer Manager aufgestellt hatte, exakt aufgegangen
ist. Demnach habt ihr euren kompletten Verlagsvorschuss
in die Produktion eurer Demos gesteckt?
Drei Songs haben wir von dem Geld produziert.
Finanziell kam ich damals gerade so über die Runden.
Durch ein Praxissemester während meines
Studiums hatte ich einiges an Kohle verdient. Damit
konnte ich die brotlose Fanta4-Zeit überstehen.
Durch Konzerte kam dann auch immer mal was
rein. Der nächste große Vorschuss kam damals mit
der „4 gewinnt“-Platte. Da bekamen wir alle vorweg
mal Geld, damit wir auch leben konnten. Und
dafür haben wir das Geld auch verwendet.
Wart ihr damals in der Situation, dass ihr bald von
der Musik leben musstet?
Als wir „Jetzt geht’s ab“ produzierten, nahm ich
mir ein Urlaubssemester. Danach hatte ich die
Wahl: Zurück ins Technische-Informatik-Studium
oder abbrechen. Ich brach ab. Zu dem Zeitpunkt
war allerdings noch absolut unklar, ob wir davon
werden leben können. Umso klarer waren wir
uns darüber, dass man Vollgas geben muss. Wir
wohnten damals alle noch bei unseren Eltern, das
half sicherlich. Denn professionell Musik zu machen
und nebenher noch einem Beruf nachzugehen,
ist ziemlich schwer. Diese Situation mussten
wir also vermeiden.
Und mit „Die da!?!“ habt ihr darauf eine Antwort zu
geben versucht?
„Die da!?!“ war absichtlich so gehalten, dass der
Song im Radio gespielt werden kann. Man muss
dazu wissen, dass die deutsche Radiolandschaft
extrem vom Scheitern der Neuen Deutschen Welle
geprägt war. Die wollten überhaupt keine deutschen
Texte mehr haben und Rap noch weniger.
Hip-Hop war für das Radio gar kein Thema. Und
dann kommen wir mit gleich zwei No-gos. Aber
wir wollten es schaffen, im Radio stattzufinden.
Der Drang, gehört zu werden, war einfach sehr
groß in uns. Dass wir dafür auch belächelt wurden,
haben wir natürlich gespürt, wir sind ja nicht doof.
Wie würdest du heute die Entwicklung beschreiben,
die ihr zwischen eurem ersten und eurem
zweiten Album genommen habt?
Technisch hat sich nicht so viel verändert. Ich habe
weiter mit dem S1000 gearbeitet, nun allerdings
mit zwei Geräten, und ein paar Synthesizer kamen
noch dazu. Und wir hatten natürlich mehr knowledge.
Die Arbeitsabläufe waren erst mal auch dieselben
geblieben. Die Jungs texteten in meinem
Kinderzimmer und ich schraubte währenddessen
an der Musik. Heute ist das leider nicht mehr so.
Dabei funktioniere ich so am besten, weil da ein
Vibe entsteht, den ich brauche, um zu wissen,
wo es lang geht. Wir sind halt eine Crew. Dieses
Grundverständnis ist auch noch heute da.
Wie macht ihr es denn heute, wo ihr alle in anderen
Städten wohnt? Schafft ihr es noch, diesen
Vibe zu erzeugen, den du brauchst?
Wir kennen uns ja länger als jeden anderen Menschen,
mit dem wir intensiv zu tun hatten. Das
ist wie eine Ehe. Natürlich liebt man sich – und
trotzdem gibt es schwierige Momente. Das ist
eine große Herausforderung. Ich kann durchaus
verstehen, wenn Bands das 25-jährige Jubiläum
nicht erreichen. Aber wir waren diese Woche zusammen
in der Eifel. Die drei Jungs haben Texte
geschrieben und ich habe Songs arrangiert, die ich
noch in Bearbeitung hatte. Das hat mir gutgetan. In
dieser Konstellation zu arbeiten, macht mich viel
zielgerichteter.
Die Fantastischen Vier feiern in diesem Jahr ihr
25-jähriges Bandjubiläum. Wie habt ihr all die Jahre
euer Feuer am brennen gehalten?
Die Albumproduktion war früher wichtiger als heute.
Heute sind für mich die Auftritte das eigentliche
Ding. Das kommt daher, dass die Stücke, die dort
gespielt werden, die besten der besten sind. Da
haben sich zeitlose Stücke versammelt. Natürlich
ist eine Weiterentwicklung mit neuen Songs auch
wichtig. Aber letzten Endes haben wir nur noch die
Bühne, um wirklich etwas zusammen zu machen.
Wie siehst du eigentlich die heutige deutsche
Hip-Hop-Szene? Inzwischen sieht man ja vieles
weitaus lockerer als zum Beispiel während eurer
Anfangszeit …
Diese Definitionsfrage wurde mir irgendwann vollkommen
egal. Musikalisch geht mein Geschmack
ohnehin weit über Hip-Hop hinaus. Meiner Meinung
nach macht aber genau das Hip-Hop aus:
Er war immer die ideale Spielweise, um all diese
unterschiedlichen Geschmäcker zusammenzubringen.
Das fand ich spannend – aus zwei Welten
eine neue Welt zu bauen. Das war für mich die Herausforderung.
Auch wenn du sagst, dass dich die Definitionsfrage
nicht mehr schert: Ist euer neues Album „Rekord“
in deinen Augen ein Hip-Hop-Album?
„Rekord“ ist ein Album, das sehr modern klingt.
Darauf hört man moderne Musik, die abgeht,
manchmal mit einer Prise Old School. Erst wollten
wir ein reines Old-School-Album machen. Das
können wir zwar sehr gut, aber es hat uns einfach
nicht so gekickt. Also haben wir versucht, unseren
Modernitätsgedanken beizubehalten.
Was denkst du, wie lange werdet ihr das noch machen?
Ist es heute für dich denkbar, dass die Fantas
auch mal ihr 50-jähriges Bandjubiläum feiern
werden?
Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Aber wer,
wenn nicht wir, sollte das überhaupt erreichen
können? B
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 21
Protokoll: Niels Wendt, Andreas Mehring
Foto: Eric Anders, Jonas Kaltenkirchen,
Ole Westermann
Gibt es keine kreativeren Beleidigungen?
Eine Talkrunde mit
Tobi Schlegl, Falk
Schacht und Fler
Am 28. März hat sich die Sendung „aspekte“ im ZDF dem Thema Homophobie in Rap-Texten
angenommen. Es wurde ein kurzer Film mit Said, BSH und Prinz Pi gezeigt, anschließend
kamen Sookee und Marteria als Studiogäste zu Wort. Falk Schacht kritisierte die Sendung in
einem offenen Brief, „aspekte“-Moderator Tobi Schlegl anwortete ebenfalls mit einem offenen
Brief. Wir haben die beiden zu einem Gespräch eingeladen. Als dritten Talkgast luden wir Fler
dazu, einen Rapper, der bekanntermaßen Erfahrung damit hat, auch von Mainstream-Medien
für seine Texte kritisiert zu werden.
22 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Niko: Tobi, in deinem offenen Brief als Antwort
auf Falks Kritik hast du sinngemäß geschrieben,
dass sich die Gesellschaft, und damit auch die
Hip-Hop-Szene, mit dem Thema Homophobie
auseinandersetzen müsse. Bereitet dir die Wortwahl
gewisser Künstler Probleme?
Tobi: Zunächst: Hip-Hop muss gar nichts. Die Gesellschaft
sollte sich immer wieder hinterfragen.
Gerade wenn es um Themen wie Homophobie
und Frauenfeindlichkeit geht. Und zu dieser Gesellschaft
gehört auch Hip-Hop.
Niko: Falk, du hast die Sendung mit einem
offenen Brief kommentiert. Was hat dich dazu
veranlasst?
Falk: Der Grund, warum ich Journalist bin, ist,
dass ich immer unzufrieden mit der Berichterstattung
der Mainstream-Medien über Hip-Hop
war. Ich reagiere da als Medienkonsument. Und
mir wurde dieses kritische Thema, das für mich
sehr komplex ist, schlicht zu kurz besprochen.
Homophobie oder Frauenfeindlichkeit in Hip-
Hop-Texten kann man nicht in 120 oder 180
Sekunden klären.
entstand der Eindruck, dass man es nur aus
Alibi-Gründen getan hat.
Tobi: Es war echt ein Kampf, dass wir ein Stück
über Hip-Hop machen konnten, dass wir ein Gespräch
machen, dass wir zwei Hip-Hop-Künstler
dahaben. Der ZDF-Durchschnittszuschauer ist
50 Jahre alt, dem muss man Hip-Hop erklären.
15 Minuten für eine Art Hip-Hop-Block zu haben,
ist totaler Luxus – das gibt es viel zu selten.
Wir haben nicht gesagt: „Dieser Hip-Hop ist ja
so schwulenfeindlich.“ Wir haben Marteria gefragt,
warum ihm in „OMG“ die Zeile „Gay okay“
wichtig war. Wenn Falk für dieses Thema mehr
Wenn man einen Mann in der Competition beleidigen will,
dann versucht man erst mal, ihn in seiner Männlichkeit einzuschränken.
Zum Beispiel: „Du fickst nicht so viele Frauen,
du bist kein breiter Typ.“ (Fler)
Niko: Deshalb wurde das Thema von der
„aspekte“-Redaktion aufgegriffen?
Tobi: Wir hatten das ehrliche Bedürfnis, uns mit
Hip-Hop auseinanderzusetzen. Wir hatten einen
Film mit Said, Bass Sultan Hengzt und Prinz Pi,
die wir interviewt haben. Die Überschrift des
Films war: „Wie authentisch ist Hip-Hop und was
macht den Hip-Hop aus?“ Dazu waren Sookee,
die für eine gewisse Haltung steht und gegen
das Testosteron im Hip-Hop kämpft, und Marteria
im Studio. Wir wollen mit unserer Sendung die
Kunst ernst nehmen, aber nicht nur Hofberichterstattung
machen. Wenn du dich als Journalist
mit Dingen auseinandersetzt, suchst du natürlich
auch einen Kritikpunkt. Zudem zeigen die Moderatoren
von „aspekte“ Haltung. Und für mich war
ein Kritikpunkt, dass es 2014 immer noch Homophobie
und Frauenfeindlichkeit in Songtexten
gibt.
Niko: Würde Hip-Hop eigentlich einen Teil seiner
Spannung verlieren, wenn man aus Rücksichtnahme
eine Art Selbstzensur betreibt?
Tobi: Total! Wir sind die Letzten, die sagen,
dass Hip-Hop irgendwelchen Regeln folgen
soll. Hip-Hop, Kunst und Satire dürfen einfach
alles, und so muss es auch bleiben. Der Punkt,
wo Falk gebissen hat, war nur, dass er gemerkt
hat, dass die Medien plötzlich den Zeigefinger
gehoben haben. Aber so war es nicht gemeint.
Die Redaktion von „aspekte“ weiß, dass Hip-
Hop Straße und Jugendkultur ist. Die einzige
Sache, die Falk gestört hatte, war meine überspitzte
Frage, warum es mit den Texten so sein
muss.
Falk: Nein, was mich störte, war der Fakt, dass
man eigentlich keine Zeit hatte, die empfindliche
Seite des Themas aufzuarbeiten, dadurch
Zeit bei uns einfordert, dann kann ich nur sagen:
Drei Minuten im TV sind schon verdammt viel.
Und egal, welches Thema man behandelt, man
muss auch auf die Punkte zu sprechen kommen,
die man kritisieren kann. Das ist meine journalistische
Auffassung. Ich weiß selber, dass das
sehr knapp ist, aber mir war wichtig zu sagen,
dass wir auch in dieser Sendung für die Künstler
da sein wollen. Wir wollen dafür kämpfen, dass
Hip-Hop auch in den großen Medien einen Platz
findet. Und da habe ich mich an der Ehre gepackt
gefühlt. Wir kämpfen dafür, dass wir hier
Live-Fernsehen machen können, eben nicht nur
für die 50-Jährigen, und dann wird man trotzdem
noch angefahren.
Falk: Wenn man mehr Zeit gehabt hätte, wäre
man an den Punkt gekommen, dass Schwulenfeindlichkeit
Teil der Gesellschaft ist, und diese
Feindlichkeit wird in den Hip-Hop mitgebracht,
Sommer 2014 #115 BACKSPIN 23
die Gesellschaft ist ja nicht böse, weil Hip-Hop
böse ist, sondern andersrum.
Tobi: Es geht ja gar nicht um die Diskussion, dass
die bösen Medien die Straße aus dem Hip-Hop
kriegen wollen.
Fler (zu Tobi): Vielleicht willst du das nicht, aber
viele Medien wollen das.
Tobi: Ich kann nicht für die Medien sprechen, sondern
nur für mich. Ich bin mit Grunge, aber auch
mit Hip-Hop aufgewachsen. Ich habe „Fremd im
eigenen Land“ gehört. Ich habe das Rödelheim
Hartreim Projekt dafür geschätzt, wie es die Fanta4
gedisst hat. Mit Samy und den Beginnern bin
ich ebenfalls groß geworden. Deshalb berührt
machen würden. Und es kam nie jemand, der, so
wie du, sagt: „Ich verstehe, dass ihr nicht frauenfeindlich
seid, aber muss das denn sein?“ Dann
hätte es ja auch eine Diskussion gegeben.
Falk: Das Thema ist schwierig. Zumal es sicherlich
viele Rapper gibt, die Homosexualität für sich
selbst problematisch finden.
Fler: Das ist aber auch deren Recht.
Falk: Absolut. Aber wenn man beginnt, andere zu
diskriminieren, entsteht ein Problem.
Fler: Okay. Aber die Mainstream-Medien verhalten
sich so, als würden sie Street-Rap anstößig
oder sogar scheiße finden.
Tobi: Mir ging es darum, mal nachzufragen.
Fler: Das ist cool. Aber es gibt so viele Rapper da
draußen, bei denen nie nachgefragt wird. Daher
musste sich der Straßenrap in Deutschland auch
ein Stück weit aufgeben, weil die Medien einfach
nichts mehr zugelassen haben.
Tobi: Aber nun gibt es doch das Internet, also
musst du dich nicht mehr verstellen.
Fler: Ich sowieso nicht. Seitdem die Mainstream-
Medien nicht mehr die Meinungsmacher sein
können, weil es das Internet gibt, liegt es ja an
jedem Einzelnen, zu sagen: „Pass‘ auf, ich mache
mein Ding, ich mache das, was ich wirklich
bin.“ Und wenn ich damit Erfolg habe, dann liegt
Wir kämpfen dafür, dass wir hier Live-Fernsehen machen
können, eben nicht nur für die 50-Jährigen, und dann wird
man trotzdem noch angefahren. (Tobi Schlegl)
mich das auch, und deshalb schaue ich bei Hip-
Hop genauer hin. Aber ich will Hip-Hop nicht moralisch
säubern. Es geht hier nur um meinen subjektiven
Standpunkt. Warum jetzt noch immer?
Fler: Rapper, die eine große Fanbase haben
und solche Wörter benutzen – da bekommt die
schwule Community natürlich Angst. Das kann
ich nachvollziehen.
Tobi: Kannst du auch verstehen, dass es da welche
gibt, die sich dadurch diffamiert fühlen?
Fler: Ja, kann ich.
Tobi: Aber du würdest es nicht ändern?
Fler: Nein. Berliner Rap hat sich immer darüber
definiert, dass er straighten Rap nach vorne gebracht
hat. Uns wurde von Tag eins immer angekreidet,
dass wir das aus speziellen Gründen
Tobi: Ich habe zum Beispiel vor ein, zwei Monaten
ein super Interview mit Samy Deluxe in der
Süddeutschen gelesen.
Fler: Samy ist ein politisch Korrekter geworden.
Ich denke auch, dass das am Ende der einzige
Weg ist: auf nett und politisch korrekt machen.
Tobi: In die Charts kommt man aber auch so.
Fler: Erst das Internet hat diese freie Meinungsäußerung
möglich gemacht. Und noch etwas:
Glaubst du nicht, wenn so harte Typen wie wir,
ich übertreibe jetzt, wirklich schwulen- und
frauenfeindlich wären, dass wir dann nicht
darauf scheißen und es einfach so behaupten
würden?
Tobi: Ja.
Fler: Aber ich tue das nicht, weil ich das nicht bin.
es an mir selbst, weil ich mein Business auf die
Reihe kriege. Und wenn Farid Bang und Kollegah
100.000 Platten verkaufen, dann hat keiner in deinem
oder einem anderen Sender dazu beigetragen.
Das haben die Jungs alles alleine gemacht.
Tobi: Dann lass uns zur Gesellschaft zurückkommen.
Die Frage ist ja, ob es so bleiben muss mit
der Homophobie. Ich glaube, dass sich in den
letzten Jahren viel getan hat, gerade was Respekt
gegenüber Schwulen und Frauen angeht. Wenn
Hip-Hop ein Spiegelbild der Gesellschaft ist, dann
müsste Hip-Hop auch liberaler werden. Und das
heißt, dass „schwul“ nicht als Schimpfwort gebraucht
wird.
Fler: Wo sind wir denn nicht liberal? Genauso wie
ein Typ sagt, er steigt gerne mit einem Typen in
die Kiste, will ich sagen: Ich stehe auf Blondinen.
Tobi: Das ist ja okay.
24 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Fler: Nein. Jedes Mal, wenn ich einen Song mache
und sage „Ey, du geile Blondine, zieh‘ dich mal
aus“, sagen alle: „Der ist frauenfeindlich.“
Tobi: Andersherum: Glaubst du, dass es Frauen
gibt, die das nicht gut finden?
Fler: Ja, das ist dann deren Meinung. Aber ich
mache es trotzdem. Es gibt ja auch Sachen, die
Frauen machen, die ich nicht gut finde.
Tobi: Solange du sagst, dass es deine Meinung ist,
ist das ja alles cool. Wenn du sagst, dass du nur
das widerspiegelst, was die Gesellschaft sagt …
Fler: … Leute wie ihr sagt, ich würde die Gesellschaft
widerspiegeln. Die Gesellschaft gibt einen
Niko: Die Homophobie ist ja nur eines der Themen,
mit denen deutscher Rap in den Mainstream-Medien
für Aufsehen gesorgt hat. Daneben
gab es Debatten über die Verherrlichung
von Drogenkonsum, Sexismus, Gewalt oder die
N-Wort-Debatte. Falk: Wie wurde damit denn umgegangen?
Falk: Du meinst die N-Wort-Ausmerzung vor
zwölf, 13 Jahren? Das Wort wurde damals von
schwarzen und nicht-schwarzen Berliner Rappern
intensiv benutzt. Dann kamen Rapper wie Afrob,
Dean Dawson, Samy Deluxe oder auch D-Flame,
die die Rapper damit konfrontiert und denen klargemacht
haben, dass sie das scheiße finden. So
kam es zu einer Art Selbstreinigung. Vor etwa ein,
zwei Jahren gab es im Battle-Rap wieder Weiße,
benutzt, weil sie Rassisten sind. Im Gegenteil.
Die wären doch auch gerne schwarz gewesen,
einfach weil sie schwarze Vorbilder haben. Die
meisten meiner Vorbilder sind auch schwarz.
Und somit ist es ein Hip-Hop-Ding, was auch
unter Hip-Hoppern geklärt werden muss.
Falk: Okay, hier gibt es schwarze Rapper, die
zu weißen Rappern sagen, dass sie das Wort
„Nigger“ nicht verwenden sollen. Aber es gibt
hier keine offen schwulen Rapper. Ich fände es
super, wenn die sich outen würden, kann aber
verstehen, warum sie das nicht tun. Nur gibt es
dadurch im Rap keine Schwulen-Lobby, die auf
die Rapper zugehen und sagen könnte, dass sie
Wörter wie „Schwuchtel“ nicht mehr benutzen
sollen.
Hier gibt es schwarze Rapper, die zu weißen Rappern sagen,
dass sie das N-Wort nicht verwenden sollen. Aber es gibt
hier keine offen schwulen Rapper – und darum gibt es im
Rap auch keine Schwulen-Lobby. (Falk)
Fick auf mich. Warum soll ich für die Gesellschaft
hier sitzen? Die Gesellschaft formt mich nicht. Sie
gibt mir bestimmte Sachen, und mit denen muss
ich arbeiten. Aber ich bin nicht der Meinung, dass
es so und so viele Kriminelle und Arbeitslose in
Deutschland gibt, weil die Gesellschaft sie dazu
macht. Ich bin der Meinung, dass jeder morgens
aufstehen und sein Ding machen muss.
Falk: Ich glaube, wenn sich in diesem Land politisch
etwas ändert, und wenn Homosexuelle
zu 100 Prozent gleichberechtigt sind, wird sich
das auch in der Hip-Hop-Szene widerspiegeln.
Da aber bis heute von Konservativen und christlichen
Gruppen immer noch verhindert wird,
dass Homosexuelle gleichberechtigt sind, existiert
auch die Diskussion darüber. Das Aberwitzige
daran ist, das genau in diesem Punkt Rapper
das aussprechen, was viele Konservative denken.
Es ist ein langer Prozess, das zu verändern.
die das Wort eingesetzt haben. Also ging die
Diskussion wieder los – und auch diese Rapper
hörten auf, das Wort „Nigger“ zu verwenden. Dabei
gab es aus dem Publikum viel Gegenwehr.
Viele meinten, sie würden Schwarze kennen, die
kein Problem damit hätten und dass das Wort
doch bloß ein Füllwort sei. Ich habe aber seitdem
das Wort nicht mehr benutzt gehört. Also hat die
Diskussion etwas gebracht.
Fler: Das hat seinen Ursprung darin, dass amerikanische
Rapper das Wort benutzt haben –
und die Deutschen es dann als cooles Wort benutzen
wollten. Das heißt, ein deutscher Rapper
wollte das Wort benutzen, weil er es bei seinem
Idol gehört hatte. Und wenn dann ein Afrob und
ein D-Flame oder Brothers Keepers sagen, dass
sie das nicht in Ordnung finden, dann haben
sie das Recht dazu, weil sie einen ganz anderen
Bezug haben. Dann einigt sich die Rap-Szene.
Trotzdem haben die Rapper dieses Wort nicht
Fler: Für mich ist das kein Hip-Hop-Thema, die
Sexualität hat mit Hip-Hop nichts zu tun.
Falk: Wenn es um Frauenfeindlichkeit und Homosexualität
geht, scheint die Nutzung von Begriffen
wie „Schwuchtel“ als weniger schlimm
empfunden zu werden, als wenn das Wort
„Nigger“ benutzt wird. Eventuell liegt es daran,
dass Deutschland aus dem historischen Kontext
des Zweiten Weltkriegs und des Dritten Reichs
heraus eher eine Sensibilisierung besitzt, was
Rassismus betrifft. Auch hier ist Hip-Hop wieder
ein Spiegelbild, an dem man sieht, was gesamtgesellschaftlich
als problematisch empfunden
wird und was eher nicht.
Niko: Tobi, siehst du in den Texten einiger Rapper
eine Gefahr für die Jugend?
Tobi: Quatsch! Das ist nicht der Punkt. Da bist du
Sommer 2014 #115 BACKSPIN 25
dann auch wieder bei der Debatte, ob Computerspiele
Amokläufe auslösen können.
Fler: Ich als Rapper sage dir, die Songs und die
Videospiele und die Filme ficken die Köpfe der
Kinder.
Tobi: Wenn die Kinder schon so veranlagt sind,
kann das natürlich noch ein Auslöser sein.
Fler: Wenn der Jugendliche keinen Back-up von
der Familie hat, dann ist er ganz schnell in diesem
Film drin.
Falk: Aber der Film macht nicht den Jungen kaputt.
Ich habe neulich einen Artikel gelesen, in dem
berichtet wurde, dass Jugendliche, die in einem
schwierigen Umfeld aufwachsen, eine Tendenz
aufweisen, sich mit Inhalten zu beschäftigen, die
Fler: Es wird hier eben auch zu wenig gefeiert,
wenn jemand von unten nach oben kommt.
Falk: Die meisten der Journalisten der Massenmedien
stammen aus gebildeten Familien, haben
studiert usw. – und genau das führt für mich dazu,
dass ich bei Journalisten häufig denke, dass sie
keine ausreichende Empathie empfinden, um
sich in soziale Schichten zu versetzen, die schwächer
sind als ihre eigene. Ich kenne das von mir
selber, ich konnte das auch nicht, als Aggro Berlin,
Sido, Bushido und Fler aufgetaucht sind. Ich
komme zwar selber aus der Unterschicht, aber
ich habe die Aggro Berliner nicht verstanden.
Was reden die von Ghettos, es gibt keine Ghettos.
So habe ich 2004 gedacht, und ich musste
das erst lernen zu verstehen, dass ich nicht recht
habe.
Tobi: Du hast vorhin gesagt, dass du Begriffe in
deinen Texten hast, die Schwule falsch verstehen
könnten. Mein Ansatz war nur, zu fragen, was
wäre, wenn du darauf verzichten würdest. Du
kannst die Leute beleidigen wie du willst, aber du
beleidigst sie nicht als Schwuchtel oder schwul.
Fler: Um eines klarzustellen: Ich mache den harten
Content nicht nur, weil ich eine so harte Kindheit
hatte. Für mich ist das auch der Inbegriff von
Rap-Egotrippin’. Wenn ich einen Song schreibe,
trete ich da mein Ego breit und mache Machogehabe,
weil es für mich eine Kunstform ist. Das ist
für mich Rap. Alles andere ist für mich kein Rap.
Für mich ist das, was ich mache, der richtige Rap,
und am Ende des Tages mache ich das auch, weil
eben darauf Battle-Rap basiert – dass der eine
Rapper dem anderen eine Ansage macht.
Wir sind die Letzten, die sagen, dass Hip-Hop irgendwelchen
Regeln folgen soll. Hip-Hop, Kunst und Satire dürfen einfach
alles, und so muss es auch bleiben. (Tobi Schlegl)
von der Gesellschaft als kritisch angesehen werden.
Das bedeutet also, die Umstände produzieren
den Charakter, der sich mit solchen Inhalten umgibt,
und nicht andersrum. Auf der anderen Seite:
Ich war N.W.A-Fan und bringe dennoch niemanden
um. Daher regt es mich immer auf, wenn Hip-Hop
kritisiert wird. Hip-Hop hilft doch auch den Kids.
Wenn du (zu Fler) keinen Hip-Hop gehabt hättest,
was würdest du heute machen? Auf der Straße
versuchen, dein Geld zu machen, oder?
Fler: Wahrscheinlich.
Falk: Das heißt: Alle Kids, die in der Lage sind, sich
mit Hip-Hop zu beschäftigen, sind erst mal von der
Straße abgelenkt. Und wenn sie dann noch Erfolg
haben und sogar Geld damit verdienen, können
wir uns doch nur bedanken.
Tobi: Total.
Falk: Diese Sichtweise wird aber zu selten dargestellt
und kommuniziert.
Fler: Du hast die Wut nicht verstanden.
Falk: Die Wut habe ich verstanden. Ihr habt aber
von Ghettos geredet, da habe ich mir gesagt: Was
denn für Ghettos? Gangsta-Rap gibt es in Amerika,
warum reden die hier davon? Aber dann hab’
ich mich beschäftigt mit dem Thema. Und das
ist genau der Punkt. Das muss man tun, wenn
man darüber reden will. Und ihr hattet recht mit
vielen Dingen, von denen ihr erzählt habt. Es gibt
Ghettos, es gibt diese sozial benachteiligten Menschen,
aber die hatten nie ein Forum – und dafür
ist Hip-Hop super. Ich finde auch, dass Hip-Hop
wahnsinnig viel zur Integration beiträgt. Wo hattest
du denn in Deutschland jemals Künstler mit
Migrationshintergrund, die Helden von Jugendlichen
waren? Das gibt es erst, seit Hip-Hop da ist.
Fler: Mich stört immer noch das Missverständnis
zwischen der Straße und den Leuten, die nicht
von der Straße sind. Wenn Leute, die nicht von
der Straße sind, versuchen zu erklären, warum
die von der Straße so und so sind.
Tobi: Meine Frage ist auch eher eine Art Denkspiel.
Was würdest du denn zum Beispiel sagen,
wenn du einen Disstrack gegen Falk machen würdest?
Fler: Ich würde ihn erst mal ’ne Pussy nennen.
Tobi: Wenn du ihn als Pussy bezeichnest und
nicht als Schwuchtel, wäre das doch okay.
Fler: Gut, aber da gibt es noch tausend andere
Worte.
Niko (zu Tobi): Vielleicht hältst du dich zu sehr an
diesem einen Wort fest?
Tobi: Das tue ich nicht. Die Frage ist nur, ob es
nicht kreativere Beleidigungen gibt.
Fler: Natürlich gibt es kreativere Beleidigungen.
Aber wenn man einen Mann in der Competition
beleidigen will, dann versucht man erst mal,
ihn in seiner Männlichkeit einzuschränken. Zum
26 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Beispiel: „Du fickst nicht so viele Frauen, du bist
kein breiter Typ.“ Diese ganzen Klischees, damit
arbeiten wir. Aber genauso kommen auch andere
Leute und sagen: „Guck’ dir mal die dummen
Proleten an, die denken, die sind toll, weil sie so
breit sind, so aufgepumpt und jeden Tag eine andere
Frau flachlegen.“ Das gleicht sich doch aus.
Tobi: Ich würde es dennoch schade finden,
wenn 2050 das Wort „schwul“ noch immer ein
Schimpfwort wäre.
Falk: Wenn wir das Wort „schwul“ durch ein anderes
Wort ersetzen, dann ist doch immer noch
jemand diskriminiert, nur eben anders ausgedrückt.
Der Punkt ist, dass Hip-Hop auf einer
Battle-Kultur basiert. Ich bin mir ziemlich sicher,
dass es ein menschlicher Urinstinkt ist, sich auch
in Zweikämpfen auszudrücken. Jeden Tag wird
Fler: Im Grunde geht es doch darum, Ereignisse
zu schaffen. Rosenstolz sollen einen Track mit
Bushido machen. Damit bringen die dieses Land
voran und verbinden Menschen.
Tobi: Habt ihr denn das Gefühl, dass sich textlich
schon etwas getan hat? Wird in den Texten heute
mehr auf Schwulenfeindlichkeit verzichtet?
Niko: Mir ist aufgefallen, dass es inzwischen
mehr, sagen wir, FSK-6-Musik gibt.
Tobi: Denkst du, dass das daran liegt, dass die
Rapper sich damit mehr in Richtung Mainstream
bewegen wollen?
Niko: Vielleicht, vielleicht ist es aber auch so,
dass die Rapper älter werden. Ein bisschen Verstellen
gehört aber auch immer dazu. Denkst du,
bist, kriegst du das vom Musikchef vorgesetzt.
Und der ist abhängig von Marktforschungen.
Man will ja in den Umfragen und in der Quote gut
dastehen. Deswegen bin ich dankbar, dass es das
Internet gibt.
Fler: Trotz der Marktforschung sind viele Medien
heute nicht mehr so relevant. Am Ende des Tages
verkaufen wir mehr Platten, wenn wir im Internet
ein Video hochladen, anstatt uns in eine Sendung
zu setzen, die eh keinen interessiert. Der einzige,
der da einiges richtig gemacht hat, ist Stefan
Raab. Er ist der einzige, der sich die ganzen Rüpel-
Rapper in seine Sendung geholt hat.
Niko: Zum Abschluss noch einmal die Frage:
Wäre es das Ende der Rap-Kultur, wenn es nur
noch brave, politisch korrekte Texte geben würde?
Wo sind wir denn nicht liberal? Genauso wie ein Typ sagt, er
steigt gerne mit einem Typen in die Kiste, will ich sagen: Ich
stehe auf Blondinen. (Fler)
auf der Erde Krieg geführt, der Mensch ist ein
aggressives Wesen. Der Battle-Rap ist für mich
immerhin eine künstlerische Auseinandersetzung
mit diesem Problem, anstatt es mit physischer
Gewalt umzusetzen. Damit ist der Gedanke von
Battle-Rap für mich schon die Lösung des Problems.
Tobi: Natürlich besteht Hip-Hop aus Battle-Rap,
das habe ich voll akzeptiert. Aber muss das denn
auch schwulenfeindlich sein?
Fler: Wenn du nicht möchtest, dass die Allgemeinheit
denkt, dass Rapper schwulenfeindlich
sind, dann mach’ eine Sendung, hole einen Rapper,
der angeblich dafür steht, setze ihn mit einem
Schwulen an einen Tisch, und die beiden sollen
reden. Dann hast du das Problem gelöst.
Tobi: Was würdest du sagen, wenn ein Mitglied
von Rosenstolz oder Sookee dir gegenübersitzen
und sagen würde: „Ich komme mit deinen Texten
nicht klar, die beleidigen mich.“
dass die großen Medien vielleicht einfach nicht
so geübt sind im Umgang mit Rap?
Tobi: Ja, aber das kannst du auf viele Kulturen
beziehen. Mit Blick auf Rap ist es jedoch sicher
so, dass zu wenig passiert. Man hat als Rapper
in den großen öffentlichen Programmen kein Forum.
Und das prangere ich genauso an. Wenn wir
sagen, dass wir etwas zu Hip-Hop machen wollen,
dann könnte das darauf hinauslaufen, dass
wir eventuell nur jedes halbe Jahr was machen,
da wir uns ja auch um alle anderen Kunst- und
Kulturformen kümmern wollen.
Falk: Wer ist eigentlich „wir“?
Tobi: Die Sendung, die Redaktion. Was ich aber
sagen kann, ist, dass in den Redaktionen, in denen
ich bisher gearbeitet habe, sei es Viva, 1Live
oder jetzt „aspekte“, Rap immer bedeutsam war.
Ich war allerdings nie Musikchef. Ich konnte bei
einem Radiosender nie entscheiden, was gespielt
wird. Wenn du Moderator bei einem Radiosender
Falk: Nein. Wir müssen da auch unterscheiden.
Es gibt Rapmusik, in der man darauf verzichten
kann. Es gibt aber auch welche, die nicht darauf
verzichten will, auch weil es ein Publikum dafür
gibt. Das ist beides legitim. Ich glaube, dass
sich das immer mal wieder verschieben wird. Je
nach gesellschaftlicher Akzeptanz. Aber einen
100-prozentig politisch korrekten Rap wird es
niemals geben, zumindest nicht, solange es keine
100-prozentig politisch korrekte Gesellschaft
gibt. Und Battle-Rap im Speziellen, ich spreche
jetzt von Battle-Rap-Veranstaltungen – da basiert
eben alles auf der kunstvollen Beleidigung. Deine
Frage (zu Tobi) war ja, ob man auf Beleidigungen
gegen Minoritäten verzichten kann. Es geht aber
beim Battle-Rap gerade darum, die kleinste Minorität
zu beleidigen, nämlich die Einzelperson dir
gegenüber. Das geht nicht anders. B
Sommer 2014 #115 BACKSPIN 27
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa
BACKSPIN
FESTIVAL GUIDE 2014
Text: Frederike Arns | Fotos: Hip Hop Kemp, Fresh Island Festival
Mein lieber Leser und Freund des Hip-Hop-Festivals,
auf den Rock-Festivals schreien sie überall lauthals „HELGA!“ über den
Campingplatz. Was das genau soll, weiß keiner so recht. Nur warum haben
wir nicht längst schon so ein Ritual auf unseren Hip-Hop-Festivals?
Man weiß es nicht. Anbieten würden sich Rapperinnen-Namen wie Lauryn,
Kim, Missy oder Queen Latifah … MC Lyte und Sister Souljah sind
entsprechende Old-School- beziehungsweise Conscious-Varianten. „Bonita
Applebum“ wäre auch eine Möglichkeit. Agnes, Agatha, Germaine und
Jack auch. Mal ehrlich, wir würden uns bei all diesen Namen ziemlich verhaspeln.
Deswegen schlage ich vor, wir rufen einfach „ERIKA!“, denn das
lehnt an Erykah Badu an und sie ist schließlich „The Light“.
28 BACKSPIN #115 Sommer 2014
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa MUSIC
In diesem Sinne: ERIKA! Denn es ist wieder so
weit, der Sommer steht vor der Tür und du hast
Bock auf Festivals, Sonnenbrand, Bier, Staub,
dreckige Air Max und natürlich Live-Hip-Hop-
Momente in „The Light’scher“ Manier. Hier liest du
alles, was du über die Hip-Hop-Festivals Europas
wissen musst. Ob du wohl alle zwölf Festivals aus
unserem ultimativen Festival Guide 2014 schaffst?
1. Touch The Air | 20. – 22. Juni:
Los geht es mit dem Touch The Air in Wohlen in
der Schweiz. Nehmen wir an, du legst wie wir von
BACKSPIN in Hamburg los. Dann musst du nämlich
erst einmal 878 Kilometer fahren, um dort überhaupt
anzukommen. Außerdem zahlst du stolze
114 Euro. Aber dann kannst du loslegen, mit Busta
Rhymes Reime sprengen, mit DMX bellen oder mit
den Funkdoobiest funky der alten Zeit huldigen.
Ein Highlight für dich ist es sicherlich, mit M.O.P.
bei „Ante Up“ herumzuspringen – da wird ja keiner
müde, obwohl er oder sie es schon so oft getan
hat. Wenn du eher zur pathetischen Sorte gehörst,
kannst du sogar Lieder von Xavier Naidoo mitsingen,
denn der gehört auch zum Line-up. Und wenn
du als Hip-Hop-Liebhaber eine Tendenz zum Electro
entwickelt hast, bist du hier erst recht richtig, denn
das Festival bedient neben Hip-Hop mindestens genauso
viele Electro-Acts. Bedenke aber immer, dass
die Schweiz sehr teuer ist und eine Mahlzeit mal 20
und ein Bier acht Euro kosten kann.
2. Mixery HipHop Open | 5. Juli:
Sollte dir die Schweiz zu teuer sein, hast du wenig
später die Möglichkeit, 655 Kilometer nach Stuttgart
zu fahren. Auf dem Canstatter Wasen, wo man
sonst Dirndl und Lederhosen antrifft und der Breakdancer
ein Karussell ist, findet die eintägige Mixery
HipHop Open für 65 Euro statt. Das Line-up ist den
Preis in jedem Fall wert. Nas präsentiert sein Meisterwerk
„Illmatic“ (hoffentlich nicht mit Teleprompter
wie beim Coachella), die Dilated Peoples weiten
deine Pupillen, die Hilltop Hoods kommen extra
aus Down Under und der musikalische Stuttgarter
Lokalkolorit lässt sich mit Afrob, den Orsons und
DaJuan natürlich auch blicken. Vielleicht ist es auf
dem Festival auch an der Zeit, detektivisch der Frage
auf den Grund zu gehen, was aus Mixery Raw
Deluxe geworden ist. Du kannst Falk ja fragen, falls
du Mischbier magst.
3. Openair Frauenfeld | 10. – 12. Juli:
Das Wochenende darauf musst du dich wieder in
die Schweiz aufmachen, denn das Openair Frauenfeld
steht an. Das sind satte 849 Kilometer von
Hamburg aus. Auch der Preis ist mit 155 Euro ganz
schön hoch, aber das Line-up bietet dir auch so ei-
Zwölf Festivals,
8.000 Kilometer
Strecke, 1.000
Euro Eintritt
6 7
10
4
8
9 11
2
12 1
3
5
niges: OutKast, Macklemore & Ryan Lewis, Pharrell sind das unglaubliche 1.419 Kilometer, aber du
Williams, Nas, T.I., Wiz Khalifa, M.I.A., Mobb Deep, wirst mit einer riesigen Strandparty und vielen
Schoolboy Q, Marteria, YG, Genetikk, die Hilltop schönen Menschen im Strandoutfit belohnt. Die
Hoods, Joey Badass, Danny Brown, Asap Ferg, die internationalen Acts sind bis jetzt Rick Ross, DMX,
Boot Camp Clik und viele weitere deutsche und internationale
Acts. Da rappt nicht nur die Clik „Here europäische Acts. Für 79 Euro geht das ziemlich
Pusha T, Method Man & Redman sowie viele ost-
We Come“!
klar.
4. splash! Festival | 11. – 13. Juli:
6. Spektrum | 2. August:
Wenn dir das Feld mit den Frauen zu weit weg ist, Juhu, unser erster Heim-Termin. Zum Spektrum
kannst du am gleichen Wochenende auch nach Ferropolis
zum splash! (386 Kilometer von Hamburg auf dem Festival mit dem interessantesten Line-
müssen wir nur die S-Bahn nehmen und landen
entfernt, circa 120 Euro, aber schon längst ausverkauft)
fahren. Trennte das Festival letztes Jahr noch da Künstler wie Neneh Cherry, Stalley, Haftbefehl,
up und dem besten Preis. Für nur 25 Euro treffen
die Gangster von den Hipstern und Conscious-Rappern,
mischt sich das Ganze dieses Jahr das erste tere aufeinander. Allein die Vorstellung, wie Neneh
SSIO, die Betty Ford Boys, Rejjie Snow und wei-
Mal so richtig durch. Das Reimemonster trifft auf Cherry mit Hafti (vielleicht zieht er ja mal wieder
den Kanalreiniger trifft auf den Panda trifft auf den seinen hippen Joy-Division-Pullover an) und den
Boss trifft auf „Die Leude“ trifft auf das Azzlackz- Betty Ford Boys backstage ein paar Gin Tonics und
Imperium trifft auf die beiden Mr. Jacksons. Gut so, Jack Daniels trinkt, amüsiert ausreichend.
denn schon letztes Jahr störten sich etwa viele daran,
dass das Azzlackz-Umfeld nicht gebucht wurde. 7. Mazury Hip-Hop Festiwal | 7. – 9. August:
Jetzt wird es abenteuerlich, denn es geht nach
5. Fresh Island | 23. – 26. Juli:
Giżycko in Polen, wo das Mazury Hip-Hop Festiwal
Jetzt geht es nach Kroatien, genauer gesagt zum stattfindet. Von Hamburg aus sind es stolze 1.027
Zrće Beach auf der Pag-Insel. Von Hamburg aus Kilometer, aber wenn du erst mal da bist, wirst du
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 29
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa
aaaaaaaaaaaaaaaa MUSIC
von der Gegend begeistert sein. Giżycko liegt auf
der herrlichen masurischen Seenplatte und das
Festival findet in einer echten Festung statt. Vom
Line-up kennen wir nichts, Namen wie Sokół i Marysia
Starosta, Kękę, Małpa, Bezczel kommen eher
wie polnische Hieroglyphen daher. Aber vom Hip
Hop Kemp (s. u.) wissen wir zu gut, dass die Osteuropäer
es können. 100 Sloty sind gerade mal 25
Euro Eintritt. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!
8. Spack! Festival | 15. – 16. August:
Nun geht es zum Spack! – was ein spackiger
Name. Lasse dich davon nicht beirren, das Lineup
ist mit Samy Deluxe, Genetikk, Alligatoah,
Megaloh, MC Fitti, OK Kid, Chefket und weiteren
ganz ordentlich. Auch der VBT-splash!-Gewinner
Persteasy wird mit seinem Homegirl Naya Isso
aus der Federballklikke dabei sein. Man fragt sich
nur, was die Punkband mit dem unglaublich lächerlichen
Namen Itchy Poopzkid im Line-up soll.
Naja, etwas spackig eben. Das 60 Euro günstige
Festival findet übrigens in Wirges statt, das ist
505 Kilometer von Hamburg City entfernt – das
geht ja noch.
9. Afrika-Karibik-Festival | 14. – 17. August:
Am gleichen Wochenende können die Klänge
in Aschaffenburg (513 Kilometer) optional auch
eher afrikanisch-karibisch werden. Unter dem
Motto „One Race Human“ machen Afrob, Gentleman,
Mellow Mark, Moop Mama, Samy Deluxe
und Wyclef Jean zusammen Mucke. Schade,
dass der gute Snoop alias Snoop Lion nicht am
Start ist, der hätte auch gut reingepasst. Persteasy
muss sich übrigens ganz schön beeilen, denn
er ist auch hier vorgesehen. Bloß nicht im Stau
stehen! Kostenfaktor: 55 Euro.
10. MS Dockville | 15. – 17. August:
Wieder am gleichen Wochenende (was ein Stress!)
gibt es für uns auch ein Hamburger Heimspiel,
nämlich die große Schwester vom Spektrum.
Wie nicht anders erwartet, punktet das Dockville
ebenfalls mit einem sehr interessanten und durchmischten
Line-up. Samy Deluxe, Alligatoah, OK
Kid, Retrogott & Hulk Hodn, Megaloh, Kaytranada,
Flume, Shlohmo, Feine Sahne Fischfilet (guter
Name und noch dazu lecker!) und viele mehr lassen
hip-hoppig-elektronisch-punkige Indie-Töne
erklingen. Das „MS Artville“ bietet noch dazu
künstlerische Abwechslung. Vor ein paar Jahren
gab es dort sogar Unterhosen mit Michael Jackson
auf dem Po zu kaufen. Kaum zu fassen! Ein wertvolles
Gesamtkunstwerk namens Dockville eben.
Es lässt sich aber auch circa 100 Euro kosten.
11. Hip Hop Kemp | 21. – 23. August:
Das Wochenende darauf geht es 740 Kilometer
nach Hradec Králové in Tschechien, wo unser
aller Lieblingsfestival stattfindet – das legendäre
Hip Hop Kemp. Was haben wir dort schon gehustlet
– Interviews mit Diamond D und De La Soul
bekommen und mit Kendrick Lamar und Baauer
wiederum nicht. Das Line-up ist dieses Jahr für
59 Euro einfach unschlagbar: CeeLo Green, die
Dilated Peoples, KRS-One, The Pharcyde, Onyx &
Snowgoons, Action Bronson, Torch & Toni L, Black
Moon, Black Milk, CunninLynguists, Dynasty, Dillon
Cooper, Witten Untouchable und weitere. Ich
kann dir dieses Festival wirklich ans Herz legen
– wie kein anderes schätzt es alle Elemente des
Hip-Hop wert. Ich rate dir nur: Versuche nie, den
Spargel von deiner Pizza beim Mexikaner in Hradecs
Innenstadt abzubestellen. Oder möchtest du
am Tisch über dein Pipi reden?
12. Royal Arena Festival | 22. – 23. August:
Einer geht noch! Am gleichen Wochenende findet
auch noch das Royal Arena im 896 Kilometer
entfernten Orpund in der Schweiz statt. Ob du dir
die 93 Euro für The Roots, Mobb Deep, Pusha T,
Action Bronson, die Dilated Peoples, SSIO, Dillon
Cooper, Black Milk (hier sogar mit Liveband!) noch
leisten kannst? Du weißt ja, die Schweiz ist teuer.
Dir bleibt wohl nichts anderes übrig bei dem Lineup
und wenn du mit den Roots proceeden und das
Mic rocken willst.
Wenn deine Basis wie für uns auch in Hamburg ist,
hast du knapp 8.000 Kilometer für diesen zweimonatigen
Festival-Marathon hinter dich gebracht
und etwa 1.000 Euro allein für deine Tickets hingelegt.
Für dein außerordentliches Durchhaltevermögen
wirst du deswegen auf den Zweitnamen Erika
getauft, sodass du dich immer an unseren neuen
Hip-Hop-Festival-Schlachtruf „ERIKA!“ erinnerst
und dich wieder auf den nächsten Festival-Sommer
freuen kannst. Aber bis dahin ruhe dich erst
mal schön aus! B
30 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Text: Sascha Weigelt
JABEE
Hip-Hop hat sich schon lange einem Alter genähert, in welchem die Eltern
nicht mehr die Beatles oder Stones hören. Whodini und N.W.A heißen die
Soundtracks, und wenn das Gras einmal alle ist, fragt man die eigenen
Kinder. „Ich stamme aus einem Haushalt, in welchem beide Elternteile
Hip-Hop hörten“, erzählt Jabee. „Hip-Hop steckt in uns, und wir werden
ihn nicht mehr los.“ Bei Hipstern und Trendsettern ist er sich dann auch
gar nicht mehr sicher, ob sie im Privaten überhaupt Rapmusik hören: „Ihr
Auftreten wirkt gekünstelt.“
Es muss die Originalität von Jabee gewesen sein, welche Murs veranlasst
hat, ihn unter seine Fittiche zu nehmen. Dass er damit einen Stempel
aufgedrückt bekommt, stört ihn nicht: „Ich bin seit Jahren aktiv, und nun
erfüllt sich ein Traum. Murs ist ein echter Fachmann. Ich kann meine Erfahrungen
mit seinem Fachwissen abgleichen.“
Erfahrungen hat Jabee genug. Auf seinem letzten Album „Everything
Was Beautiful and Nothing Hurt“ erscheint El-P, als wäre das die normalste
Sache der Welt. „Das war einfach ein Titel, von welchem ich dachte, er
könne gut auf mein Album passen“, sagt er selbstbewusst.
Bei seiner Beatauswahl ist er wiederum wählerisch: „Ich höre regelmäßig
großartige Produktionen. Diese bewegen mich aber nicht gleich dazu,
etwas aufzunehmen.“ Wenn nicht gerade die Berliner Messengers bei ihm
als Sample herausstechen („Funky She“), folgen seine Produktionen dem
großen Strom der Veröffentlichungen.
Seine besondere Note ist seine Herkunft, Oklahoma City. „Wir haben
keinen großen Anführer in der Rap-Industrie, wie das in anderen Staaten
der Fall ist. Also mussten wir uns vieles selbst beibringen.“ Das hat nicht
automatisch zu einer eigenen regionalen Stilistik und Reimtechnik geführt.
Achtet man auf die Texte, „findet man darin Wörter und Formulierungen,
welche typisch für Oklahoma sind und welche nirgendwo anders auftauchen“,
erklärt Jabee. „Ich verwende die Wörter und erzähle die Geschichten,
mit welchen sich die Menschen in Oklahoma identifizieren. Schließlich
mussten wir uns selbst entwickeln und haben auf dem Weg auch
andere Kulturen aufgesogen, um dort anzukommen, wo wir heute sind:
in einer eigenen, in sich geschlossenen Kultur. Darin möchte ich wachsen
und derjenige sein, auf den die Leute stolz sein können.“ B
ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ
BEREITS IM SOMMER:
20.07. BRAUNSCHWEIG
VOLKSBANK BRAWO BÜHNE
22.11. ULM - RATIOPHARM ARENA
23.11. MÜNCHEN - ZENITH
26.11. FRANKFURT - JAHRHUNDERTHALLE
28.11. DORTMUND - WESTFALENHALLE 1
29.11. MANNHEIM - SAP ARENA
30.11. LEIPZIG - HAUS AUENSEE
05.12. SAARBRÜCKEN - E-WERK
06.12. NÜRNBERG - ARENA
HOODS
UK/EUROPE TOUR 2014
SPECIAL GUESTS: (AUS) & ELJOT QUENT (GER)
06.07. KÖLN - BAHNHOF EHRENFELD
07.07. MÜNCHEN - AMPERE
14.07. BERLIN - LIDO
15.07. HAMBURG - UEBEL & GEFÄHRLICH
MORE INFO WWW.HILLTOPHOODS.COM
WWW.MARTERIA.COM
WWW.GOLDENERARECORDS.COM.AU
02.11. KÖLN • 03.11. HAMBURG
09.11. BERLIN • 10.11. MÜNCHEN
11.11. FRANKFURT
16.11. WIEN
Jonwayne
09.09. MÜNCHEN
10.09. KÖLN
11.09. MÜNSTER
12.09. BERLIN
13.09. HAMBURG
14.09. WIESBADEN
19.11. KÖLN - GLORIA
20.11. MÜNCHEN - BACKSTAGE
21.11. HAMBURG - UE & G
22.11. BREMEN - MODERNES
23.11. BERLIN - LIDO
Text: Sticky Dojah | Fotos: Mobile Mondays
MOBILE MONDAYS
On Some New York Ish
„Mich hat es inspiriert, das
Früher zurückzubringen.
Denn das ist das New York,
das ich am meisten liebe.“
32 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Seit März 2011 lockt der Club Bowery Electric Vinyl- und Musikliebhaber Montag
für Montag in Manhattan, New York City, zu einem ganz besonderen Abend. Auf
den „Mobile Mondays“-Partys werden primär 45s gespielt, Serato oder Traktor
Scratch gibt es hier nicht. Ob es allein daran liegt, dass man hier eine äußerst
sympathische Party-Crowd antrifft? Unser Autor Sticky Dojah hat mitgefeiert …
NYC. Die Lower East Side an einem milden Montagabend
im Frühjahr. Wir sind gerade in New York
angekommen, noch etwas geschlaucht von der
langen Reise. Die Kumpels machen schlapp, doch
ich ziehe los. Mein Ziel liegt zehn Blocks entfernt in
südwestlicher Richtung. Dann dummerweise mal
wieder den klassischen Touri-Fehler gemacht und
den Ausweis im Hotel vergessen. Doch Carlos, der
Türsteher, zeigt Verständnis. Nach einem kurzen Gespräch
mit dem deutschstämmigen Manager wird
mir Einlass gewährt. Der Club heißt Bowery Electric,
die Party „Mobile Mondays“ – eine Party, auf der nur
Vinyl-Singles gespielt werden.
Das Bowery Electric steht in der Tradition von
Lokalitäten wie dem CBGB und dem Negril, einem
der ersten Hip-Hop-Clubs in New York in den frühen
Achtzigern. Schon beim ersten Schlendern
entlang der Bar fällt mir die besondere Mischung
der Gäste auf. Links ein paar Typen in Anzügen, in
der Mitte eine Gruppe von flamboyant gekleideten
New Yorker Mädchen, die es so nur in dieser Stadt
gibt. Rechts in der Ecke entdecke ich Psycho Les
von den Beatnuts, der lässig an einem Cocktail
schlürft und mit seinen Kumpels abhängt. Dahinter
Evil Dee von den Beatminerz, der angeregt im Gespräch
ist mit BreakBeat Lou, dem Begründer der
„Ultimate Breaks & Beats“-Serie, die in den späteren
1980er-Jahren mitbestimmend für den damaligen
Sample-Sound war. Meine romantische Vorstellung
von Hip-Hop-Clubs in den Anfangstagen der Kultur
findet hier ihre Entsprechung. Ich bin angekommen.
An den Plattenspielern legt gerade der Begründer
der „Mobile Mondays“ auf: Michael „Operator
Emz“ Greene. Er ist eine dieser unknown legends
im großen Apfel. Aufgewachsen in Harlem und
der Bronx, begann er unter dem Namen Emz One
als Writer. Schon als Teenager verdiente er sich
seine Sporen bei diversen College-Radios an der
Ost- und Westküste. Zudem arbeitete er für Labels
wie etwa Interscope (wo er an der Promotion von
„The Chronic“ beteiligt war) und Loud Records.
Nach Jahren in der Musikindustrie fokussierte er
sich dann auf das Produzieren und das Organisieren
von Veranstaltungen. Er produzierte beispielsweise
für Cyndi Lauper, Joell Ortiz und M.I.A. Auch
Adidas zeigte sich an ihm interessiert und lud ihn
nach Herzogenaurach ein, wo er eine limitierte
Ausgabe des Pro Models mitgestaltete („Operator
Emz Edition“). Mehr Hip-Hop geht kaum.
Nachdem er gekonnt seine Disco-Singles ineinander
mischt, übernimmt Joey Carvello an den
Plattenspielern. Joey ist ebenfalls eine Legende im
New Yorker Nachtleben. Bereits Mitte der 1970er-
Jahre startete er als Disco-DJ, er schrieb ein Buch
darüber („That’s Disco Before Travolta“) und war
etwa der Entdecker von Lil Jon, dessen frühe
Hits er promotete. Der Mitsechziger ist ein absoluter
Impresario, der gerne gute Geschichten aus
der Industrie erzählt. Als nächstes steht Natasha
Diggs bereit. Die aparte New Yorkerin rockt einmal
im Monat den Club Sankeys zusammen mit
Q-Tip und zählt zur Speerspitze der Frauen unter
den New Yorker DJs. Kurz nach ihr übernimmt
Mike Cobbs, der im legendären Plattenladen A-1
Records arbeitet und sich spezialisiert hat auf
New Yorker Dance-Klassiker. Wenig später geht
die Tür auf und Just Blaze hat seinen Auftritt: Mit
einem Daft-Punk-Helm unter dem Arm stürmt er
mit zwei Kisten voller Singles in die DJ-Booth und
verdeutlicht einmal mehr, warum er neben seinen
Produzentenkünsten zu den besten 45-Single-
DJs gehört. Vom „Psycho“-Soundtrack über rare
Pressungen von aktuellen Nas-Hits spielt er sich
durch bis zu seltenen Electro-Scheiben. Viele davon
rockt er als Doubles und es bildet sich eine
kleine Menschentraube vor der Booth, die ihm
beim Auflegen zusieht. Keine Frage, seine Sammlung
gehört zu den größten und bestsortiertesten
der Welt, und es macht ihm sichtliche Freude, die
raren Scheiben auszupacken. In den frühen Morgenstunden
taucht dann noch Misbehaviour auf,
eine DJane aus London, die sich auf Reggae spezialisiert
hat und mit Foundation-Tunes die Party
ausklingen lässt. Das Team ist vollzählig, die Party
zur closing hour vorbei. Ein ganz normaler Montag
in New York City.
In der darauffolgenden Woche treffe ich Operator
Emz und die Promoterin Miss Rebecca in den
Räumlichkeiten des lokalen Radios von Miss Lily’s,
wo sie mir Rede und Antwort stehen über die Beweggründe
hinter „Mobile Mondays“.Wann habt
ihr mit „Mobile Mondays“ angefangen?
Operator Emz: Wir haben im März 2011 angefangen.
Wir haben ein Team von sechs DJs und
zwei Promotern. Und einen Brand Manager.
(lacht)
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 33
„Ich wollte eine Party
haben, auf der ich
endlich wieder Vinyl
spielen konnte. Ich
war es leid, immer
nur den Computer zu
benutzen.“
Wie ist das Team entstanden?
Operator Emz: Ich wollte eine Party haben, auf
der ich endlich wieder Vinyl spielen konnte. Ich
war es leid, immer nur den Computer zu benutzen.
Ich musste einen Weg finden, wieder zurück
ins Nachtleben einzutauchen mit meinen
Platten, da ich das sehr vermisst habe. Ich dachte,
ein guter Weg wäre es, spezifischer zu sein,
als jetzt nur eine Vinyl-Party zu etablieren. So
kam der Gedanke auf, eine 45-Party daraus zu
machen. Ich hatte das immer im Hinterkopf und
es gibt nicht viele, die das mitmachen können.
Ich konnte an zwei Händen abzählen, wie viele
Leute da infrage kommen. Joey Carvello war jemand,
von dem ich wusste, dass er unglaublich
gute 45s hatte. Er war der erste, den ich kontaktierte.
Wie in meinem Fall, hatte er all diese 45s
im Schrank, die dort versauerten. Miss Rebecca
und ich kannten uns bereits seit einem Jahr, wir
gingen zusammen auf Partys und hörten dieselbe
Art von Musik. Ich wusste, dass sie das
Nachtleben liebt, und ich fragte sie, ob sie mir
helfen will – und sie erschlich sich ihren Boss-
Status. (lacht)
Wie würdest du den Vibe auf euren Partys beschreiben
an einem Montagabend in NYC?
Operator Emz: „Mobile Mondays“ ist eine Community
geworden. Ich würde sagen, dass 90
Prozent der Leute, wenn nicht sogar 110 Prozent,
Musikliebhaber sind. Die Leute stehen
nicht nur auf Vinyl, nicht nur auf Hip-Hop, nicht
nur auf Disco: Sie stehen auf Musik! Viele davon
sind selber kreativ, sei es als Künstler, als
MOBILE MONDAYS
On Some New York Ish
Fotograf, als DJ oder Musiker. Sie kreieren Dinge,
um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Das
gibt einen speziellen Vibe, da es einer bestimmten
Hingabe bedarf, wenn man so lebt. Das sind
wirklich die Leute, die wir dahaben.
Ein nicht unwesentlicher Fokus liegt auf dem
Tanzen. Das ist auch etwas, was ihr bewusst
wieder zurückbringen wolltet, oder?
Miss Rebecca: New York City war früher berühmt
für das großartige Nachtleben und die
großartige Musik, bis in die frühen Neunziger.
Heute ist das anders. Früher machten alle zusammen
Party, aus allen Bereichen des Lebens,
auch aus verschiedensten sozioökonomischen
Schichten. Es ging nur um die Liebe zu New
York City, diese Stadt, die niemals schläft. Leute
gingen jeden Tag in der Woche aus, in den
krassesten Outfits, um die Zeit ihres Lebens zu
haben. Das hat sich verändert, viele New Yorker
sind weggezogen, alles ist sehr unterteilt. Die
Gay-Community hat ihr Nachtleben. Die Hip-
Hop-Community hat ihr Nachtleben. Als Emz
mit der Party anfing, hat es mich inspiriert, das
Früher wieder zurückzubringen. Denn das ist
das New York, das ich am meisten liebe. In kleinen
Schritten kommt das jetzt wieder. Wir sind
auch die einzige Party – soweit ich weiß – die jedes
Genre auf 45-Singles spielt. Das hat es so in
New York vorher noch nicht gegeben. Im Sommer
liebt es auch jeder hier, zu tanzen – in Parks,
überall, Tag und Nacht. Wir wollen das zurückbringen.
Wir haben die Dance-Community jetzt
wieder auf unserer Party, man kann Whackers,
Voguers, B-Boys und Lockers sehen. Gleichzeitig
kann man mit Rappern abhängen. Es kommt
so langsam wieder alles zusammen. Wir werden
auch im August eine „Mobile Mondays“-Live-
Party veranstalten, in Zusammenarbeit mit Salsoul
Records. Viele der alten Salsoul-Künstler
werden auftreten: Joe Bataan, First Choice, Carol
Williams, Instant Funk. Viele wissen ja nicht
mehr, wie wichtig das Label war und wie viele
Classics sich auf dem Label befinden. Wir wollen
das den Leuten wieder näher bringen.
Viele Berühmtheiten kommen bei den „Mobile
Mondays“ vorbei, Biz Markie oder Cut Chemist
haben hier schon ihre Platten gespielt. Es gibt
auch das Gerücht, dass eure Party Pharrell Williams
dazu inspirierte, seinen Song „Happy“ auf
7 Inch zu veröffentlichen. Ist da was dran?
Miss Rebecca: Ja, bei einer unserer größten
Nächte war Biz Markie da, um aufzulegen. Wir
hatten auch einen Auftritt von Super Lover Cee
und Casanova Rud. Pharrell war in der Stadt, er
ist mit Biz Markie befreundet. Er kam vorbei und
war wirklich erstaunt, dass so etwas jeden Montag
in NYC passiert. Er liebte es, und einen Monat
später kam „Happy“ auf 7 Inch raus. Und wir
alle glauben, dass lag daran, weil er zu „Mobile
Mondays“ gekommen ist. (lacht)
Was habt ihr für die Zukunft geplant?
Miss Rebecca: Wir wollen diesen Sommer ein
paar Rooftop-Events machen, einmal im Monat
in Brooklyn. Wir planen auch gerade Veranstaltungen
an einem anderen Tag, da viele an einem
Montag nicht Party machen können. Das Konzept
wird dann auch ein wenig gelockert und es
werden nicht nur Singles gespielt. Es wird mehr
Live-Events geben mit Künstlern, die gerade
hochkommen. Wir wollen ihnen eine Plattform
bieten, da sich viele Labels nicht mehr um neue
Künstler kümmern und nur noch aufs Geld aus
sind. Wir expandieren auch in andere Städte,
gerade hatten wir unsere erste Party in Miami.
Es gibt auf jeden Fall Bedarf, und wir wollen diesen
Teil der New Yorker Kultur in die ganze Welt
bringen, denn wir waren nun mal die Hauptstadt
des Nachtlebens und sind es immer noch. Jeder
aus der ganzen Welt kommt hierher. Erlebt, was
New Yorker Nachtkultur wirklich ist! B
34 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Text: Shana Koch
Ferhat C.
Die richtigen Kontakte sind das A und O im Game. Jeder, der auch nur
die leiseste Ahnung von dieser Musikindustrie hat, weiß diese goldene
Grundregel zu schätzen und bestenfalls auch zu nutzen.
Für eben diese Kontakte scheint Ferhat C. den richtigen Riecher zu haben.
Die Feature-Liste seines Debütalbums, das den denkwürdigen Titel
„Zieht ihn rein“ trägt, kann sich sehen lassen: Kürzlich erst den Vertrag
beim Berliner Label Phonector Records unterschrieben, aber schon mit
Massiv und Toni der Assi um die Ecke kommen. Zugegeben: Auf den ersten
Blick nicht übel für das erste Lebenszeichen eines Künstlers.
Ursprünglich sollte außerdem Prince Kay One zu dieser illustren Runde
dazustoßen und seinen Part zu „Zieht ihn rein“ beisteuern. Leider Gottes
platzte dieser Deal jedoch, sodass das geplante Duett sich im Endeffekt
zum Disstrack „Kenneth“ wandelte. Dass das eine Art Erfolgsgarant ist,
wissen wir spätestens, seit „Leben und Tod des Kenneth Glöckler“ vertont
wurde.
So ist auch Ferhat nun um eine Erfahrung und um eine erste Single-Auskopplung
mit über 300.000 Klicks auf YouTube reicher. Hätte schlimmer
kommen können, wenn wir ehrlich sind. Der Hang zur Selbstüberschätzung
ist ja bekanntlich ein weitverbreitetes Phänomen in Rap-Deutschland
– so darf man sich gut und gerne das Recht vorbehalten, anzuzweifeln,
ob Ferhat C. denn nun tatsächlich so einzigartig klingt, wie er es versteht,
sich anzupreisen.
Ursprünglich aus der türkischen Provinz Konya stammend, spricht (und
rappt) er mit pfälzischem Dialekt. In der Tat noch nicht oft gehört, doch
noch steht in den Sternen, ob das Fluch oder Segen darstellen wird. Die
Vorschau der Themenauswahl, die Ferhat für sein Debütwerk getroffen
hat, lassen die Hoffnung auf Individualität und kreative Meisterleistungen
jedenfalls rasch in den Keller sinken: Liebe, Ghetto, Party.
Man darf sich dennoch überraschen lassen, was genau Ferhat C. dann
ab September auf den Musikmarkt loslässt, bisher ist schließlich noch alles
offen. Außerdem hat ja bekanntermaßen auch jeder mindestens eine
Chance verdient, er muss sie nur zu nutzen wissen. In diesem Sinne: September
2014 – „Zieht ihn rein“. B
ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ
Text: Lukas Ehemann
Stubenhacker
Ein unbekanntes Objekt ist auf dem BACKSPIN-Radar aufgetaucht, ein mysteriöses
Wesen mit einem Telefon anstelle eines Gesichts. Es agiert in den
tiefen Sphären des deutschen Hip-Hop, verdeckt im Untergrund, wo ihn nur
Eingeweihte finden können. Doch wie ist diese Gestalt einzuordnen? Sind
ihre Absichten friedlich?
Es stellte sich heraus, dass der sogenannte Stubenhacker in einem Geheimlabor
in Hamburg erschaffen wurde. Er ist ein Hybridwesen, halb Mensch,
halb Maschine, das sich zum Ziel gemacht hat, durch seine unkonventionellen
Reimschemata die Menschheit mit einer audiovisuellen Party von
deutschem Soul zu befreien. Er lebte lange unter der Gefangenschaft eines
Zweigs der Major-Plattenindustrie. Jahrelang wurde er gepeinigt und musste
Torturen an Mensch und Musik mitanhören.
Während dieser Zeit lernte er seine zukünftige Kompanie kennen. In seiner
Nachbarzelle befand sich der außerirdische Bobby Maniac, der zuvor
ein unbescholtenes Leben als singender Pizzafahrer in Winsen an der Luhe
genießen konnte. Der rappende Hirnschaden Jim Pressing war ein weiteres
Versuchskaninchen dieser ethikfreien Forschertruppe. Er hatte sein Leben bereits
hinter sich, wurde aber mithilfe der fortschrittlichen Medizin wieder zum
Leben erweckt. Und zuletzt ist da noch der zeitreisende Routing von Sends.
Ihn wollten sie mithilfe rechter Wahlkampflieder dazu bringen, sein Wissen
über die Technologie der Zukunft zu verraten. Er ist im ganzen Universum für
seine Technik-Skills und sein außerordentliches Können an der Basspauke
bekannt.
Eines Nachts gelang es dem Quintett, aus dem akustischen Folterkeller
auszubrechen. Nun sucht es Schutz in der undurchsichtigen deutschen Rap-
Szene. Dort erschuf es die „Telefonterror“-EP. Und da diese Geschichte ohnehin
wie ein Groschenroman klingt, hat sich der Cyborg den Kinder- und
Jugendbuchillustrator Joachim Knappe ins Boot geholt, um die EP optisch
wie ein John-Sinclair-Hörspielcover aussehen zu lassen. Einige sehenswerte
Videos haben die Jungs ebenfalls schon zusammengeschraubt. Der Fäkalienrapsong
„Spiel mir das Lied vom Kot“, in dem der Rezipient Zeuge eines
wahren Kot-Kunst-Projekts wird, ist ein beschissenes Beispiel dafür. Stubenhacker
wurde auf Kreativität programmiert, er macht Sachen anders als andere.
Deshalb sind seine Stücke wie „Was Anderes“ auch etwas Besonderes. B
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 35
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa
SPLASH!
JULI
Mittwoch nach splash!:
Treffen mit dem Team
zur Besprechung. Was
lief gut und was nicht
so gut? Feedback aller
Beteiligten.
AUGUST
SEPTEMBER
BERLIN FESTIVAL
RÜCKT IN DEN
VORDERGRUND.
Der Terminplaner
der Veranstalter
Für die Besucher ist das splash! in der Regel einfach ein langes Wochenende. Für die Veranstalter hingegen ist so ein Festival ein Fulltime-Job. Wie
die Arbeit hinter den Kulissen von Deutschlands größten Hip-Hop-Festival aussieht, das verraten hier der splash!-Chef-Booker Julian Gupta sowie
Technik-Chef Benedikt Zillich. Die beiden haben nämlich für uns mal ihren Terminkalender aufgeschlagen …
Vollständigkeit und
Verschleiß der Technik
geklärt. Verursacher
kommt für Schäden
auf.
Woche nach splash!: Alles Finanzielle geregelt.
Gagen bezahlt. Gelände muss aufgeräumt werden.
Technik zusammensortieren (Großteil der
Technik bleibt eingebaut). Veränderungen für das
Melt! (Bühnen, die beim splash! nicht genutzt werden,
fertiggestellt).
Nachbereitung. Ein paar mediale Geschichten. Wie
läuft die Ausstrahlung auf ZDFkultur? Was passiert
mit Arte? Abklären von Sponsoring-Geschichten
fürs kommende Jahr.
PR-Beginn. Welches Image? Wie
veröffentlichen wir es? Kreative
Ideen sammeln. Wie kündigen wir
Künstler an? (Prinz-Pi-Geschichte).
Erste Innenfestivals werden
vorbereitet.
Langsam mit Line-up beschäftigen. Beschäftigung
mit Booking. Anfragen bei Partnern und Agenten.
OKTOBER
NOVEMBER
Kreative Arbeit für Kampagne, Early Ticket, Promophasen
und Sondertools durch. Gelände geklärt. Art Director hat
sich mit Artwork fürs nächste Jahr beschäftigt.
PR-Ausrichtung und -orientierung
(WM, Rap und Fußball). Besuche
ins Ausland. Agenten in England/
Holland treffen. Wer ist verfügbar?
Direkter Austausch. Intensive
Gespräche mit Sponsoring und
Catering (kreative Ideen, mehr “
als
bloß Banner“). Rahmen vertreten.
Künstler gebucht. Künstler
und Agenten treffen. Kontakte
knüpfen.
Erste feste
Bookings.
36 BACKSPIN #115 Sommer 2014
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa MUSIC
DEZEMBER
JANUAR
FEBRUAR
MÄRZ
Budgetplanungen für
Ton, Licht und Produktion
des Folgejahres.
Markt sondieren. Welche Medienpartner könnten interessant
werden? Premium-Medienpartner anfragen. Reservierungen
und Buchungen der Stagehands und Stage Manager.
Mitten im Booking-Prozess. Gespräche mit
Agenten. (Wunsch-)Running-Order verschicken.
Füllen der Slots. Verschiedene Angebote der
Technikfirmen eingeholt. Verhandlungen mit
Technikfirma (können sich bis in den Mai ziehen).
Ausgestaltung des Geländes. Was kann man machen, damit
das Gelände besonders aussieht? Freizeitgestaltung abgesehen
von Acts. Moderatoren.
Kurze Ruhezeit. Technik
klärt nach Bestätigung von
Headlinern, ob Vorstellungen
umsetzbar sind. Sind große
Videoproduktionen und Kulissen
erforderlich?
Anfrage
OutKast.
APRIL
MAI
JUNI
OutKast
bestätigt.
Künstler werden angeschrieben
und mit Input über Technik
versorgt.
Finale Planung der Technik.
Teamplanung. Nachbuchen von
Acts. Änderungen und zusätzliche
Buchungen der Technik.
Finale Absprache mit Sponsoring über Platzierungen.
Geländeplanung. Letzte Acts
bestätigt. Hauptkommunikationsgeschichten
(Secret Headliner). Soundclash. splash!-App-
Endplanung. Endplanung des Festivalguides.
Verträge prüfen. Finale Deals bestätigen. Intensive
Hotelplanung. Vorproduktionen. Zweite
Verhandlungsphase. Gästelistenplätze.
Anfragen bei Ausfall. Übersicht über Technik
auf den einzelnen Bühnen.
Besprechung mit
den Technikern
vor Ort.
Sommer 2014 #115 BACKSPIN 37
21.-23. AUG
festivalpark hradec
3-TAGESTICKETS AB 59 EURO (VIP: 110
SOWIE IN ALLEN CHILLHOUSE FILIALEN IN BERLIN/
HIP HOP KEMP DIREKT-BUSTOUR
mehr infos: WWW.HIPHOPKEMP.DE
FESTIVAL WITH ATMOSPHERE!
CEELO GREEN, KRS-ONE
DILATED PEOPLES, BIZARRE RIDE 2 THE PHARCYDE,
SAMY DELUXE, ONYX & SNOWGOONS, ACTION BRONSON,
360° RECORDS 20TH ANNIVERSARY feat. TORCH,
TONI L & GUESTS, MADCHILD, BLACK MOON,
BLACK MILK & Live Band, DILLON COOPER, SNAK THE RIPPER,
UGLY HEROES (Apollo Brown, Verbal Kent, Red Pill),
RAPSODY & 9TH WONDER, BARREL BROTHERS (Torae & Skyzoo),
DJ STATIC & DENMARK ALLSTARS feat. Nat Ill, J-Spliff, Temu,
Peaceful James, Nappion UND VIELE WEITERE...!
UST 2014
kralove TSCHECHIEN
EURO) ERHÄLTLICH AUF www.4TIX.DE
THÜRINGEN/SACHSEN UND www.cHILLHOUSE.DE
EN AUS DE/AT/CH AB 51 EURO
www.facebook.de/hiphopkemp.DE
Interview: Mark Todt
Fotos: Dems
DEMS
Ekstatischer Punk
ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ
Wie es mit den Mittelmeerstaaten Europas während der Finanzkrise
aussieht, bekommt man tagtäglich in den Nachrichten zu
sehen. Italien, als eines dieser Länder, hat dennoch viele Vorzüge
zu bieten – und sei es neben gutem Essen und ansehnlicher
Mode nur Graffiti. Von Letzterem gibt es dort eine Menge. Dems
ist ein Writer, der hauptsächlich die nördlichste Millionenstadt
des Stiefels bemalt. In Mailand gibt er richtig Gas, vor seinem unverwechselbaren
Style ist kein Train sicher. Er ist jemand, der gerne
gibt, aber auch er hat unter der jetzigen Krise zu leiden und
kann nicht ständig so, wie er gerne wollte. Warum? Lest selbst!
40 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Hast du einen Job?
Momentan habe ich keinen festen Job. Den letzten
habe ich wegen der italienischen Krise verloren.
Allerdings arbeite ich als Künstler und freier
Grafiker und versuche, mich damit über Wasser zu
halten.
Wie schlecht ist die ökonomische Situation in
Italien?
Hier läuft alles richtig scheiße zurzeit. Wenn man
Glück hat, leben ganze Familien mit 1.000 Euro im
Monat. Jobs sind nicht sicher. Mieten und gutes
Essen sind teuer. Die Lebensqualität nimmt stetig
ab. Leider nehmen uns die Politiker nur das Geld,
anstatt es den Armen zu geben.
Macht es diese Situation einfacher, zu malen?
Das hängt ganz davon ab. Manchmal ist es einfach,
da die Orte, an denen du malst, ziemlich runtergekommen
sind und kein Geld für Wachschutz
da ist. Andererseits ist es jedoch so, dass manche
Yards verschwinden, da kein Geld für mehr Züge
vorhanden ist. Es ist ein ewiges Hin und Her.
Wie wichtig ist Graffiti in deinem Leben?
Zu wichtig. Dank Graffiti habe ich eine Menge wahrer
Freunde gefunden. Graffiti hat meine Mentalität
geformt und mich gelehrt, wer ich auf dieser Welt
bin.
Gibt es irgendetwas, was dich dazu bringen
könnte, aufzuhören?
Momentan nicht, schließlich bin ich noch jung.
(lacht)
Warum hast du überhaupt mit Graffiti angefangen
und warum machst du es heute noch?
Als ich elf Jahre alt war, lebte ich in einem kleinen
Dorf in der Nähe von Mailand, dort gab es vor meiner
Schule eine Hall of Fame. Immer wenn Schulschluss
war, ging ich dorthin und redete mit den
älteren Writern, die dort malten. Ich wurde zu einer
Art Maskottchen. Ich fing an, Skizzen zu machen
und meine ersten Wände zu bemalen. Das jedoch,
was mein Leben total veränderte, war mein erster
Zug. Da kann ich mich immer noch dran erinnern.
Ich brauchte einen ganzen Monat, bis ich die Dosen
für diese Aktion zusammen hatte. Ich war so
klein, dass es echt schwer für mich war, überhaupt
über die Mauer des Depots zu klettern. Als ich das
Yard verließ, verstand ich, was es bedeutet, Graffiti
zu machen. In mir ist ein Feuer entfacht worden,
was heute noch brennt.
Im Moment bist du für eine Weile in Deutschland.
Versuche doch mal, die Unterschiede zwischen
Deutschland und Italien zu beschreiben, wenn es
um Graffiti und das Leben an sich geht!
Meiner Meinung nach besteht der größte Unterschied
darin, dass ihr in Deutschland diese doppelte
Persönlichkeit lebt. In Italien, und hier spreche
ich natürlich nur für mich und meine Jungs,
sind wir gastfreundlich und relaxt. Wir versuchen,
so wenig wie möglich paranoid zu werden. Ein
großer Unterschied ist auch die Kleidung. In Italien
sind wir eher obdachlose Zigeuner, hier scheint jeder
in einer Bank zu arbeiten. In Deutschland gibt
es schon sehr lange einen Vandal Squad, der genau
weiß, was er zu tun hat. Hinzu kommt, dass
die meisten Deutschen denken, dass Graffiti ein
schweres Verbrechen ist und es kaum erwarten
können, dich zu diffamieren. Zurzeit versuchen die
italienischen Medien, die gleiche Mentalität in die
Köpfe der Leute zu pflanzen.
Magst du deutsches Essen? Pizza oder Bratwurst?
„Dank Graffiti habe
ich eine Menge wahrer
Freunde gefunden. Graffiti
hat meine Mentalität
geformt und mich gelehrt,
wer ich auf dieser
Welt bin.“
Ich esse eigentlich alles, aber ich vergesse meine
Wurzeln nicht und bevorzuge echte italienische
Pizza. Ach ja, Smiley’s Pizza ist keine Pizza, das ist
Blasphemie.
Wenn du nicht zu Hause bist, was vermisst du am
meisten?
Meine Freundin, das Essen, meine Mutter und
meine Haustiere.
Stimmst du mir zu, wenn ich sage, dass Italien
das versprochene Land ist, wenn es um Graffiti
auf Zügen geht?
Ich denke, dass eine Menge Länder so genannt
werden könnten. Vielleicht ist Italien das faszinierendste
mit der größten Geschichte, aber oft ist
nicht alles Gold, was glänzt.
Bevorzugst du Züge oder Wände?
Züge, ich liebe den Geruch der Schienen und die
ganze Atmosphäre.
Wann und warum musstest du das letzte Mal
rennen?
Das letzte Mal war mit meinem Kollegen Rud. Wir
malten eine U-Bahn auf Mailands Linie 2, als acht
Securitys und zwei Polizeiautos auftauchten. Einer
der athletischeren Checker fing sofort an, hinter
uns herzurennen, musste allerdings nach der Hälfte
der Strecke schon kotzen. Die anderen halfen
ihm. Wir spielten auf einem Feld mehr als zwei
Stunden Katz und Maus mit den Bullen. Leider
wurde bei diesem Chase einer von uns erwischt.
Der Kollege erzählte mir am nächsten Tag, dass der
Security, der gekotzt hatte, ins Krankenhaus musste,
da er Steroide genommen hatte.
Was war bisher die bizarrste Situation, in die dich
Graffiti gebracht hat?
Einmal wurden Viper und ich von den Securitys
geschnappt. Während die die Polizei riefen, kamen
wir mit der Idee rüber, dass wir Schwule wären,
die lediglich ein ruhiges Plätzchen gesucht hatten.
Als dann die Polizei kam, blieben wir bei der Story
und wir kamen davon, da uns alle glaubten. Vorher
hatten wir jedoch die Autoschlüssel verloren,
also mussten wir zurück und danach suchen. Zum
Glück fanden wir diese und konnten sogar noch in
Ruhe Fotos von unseren Pieces machen.
Gibt es in Italien überhaupt einen Vandal Squad?
Vor zwei Jahren wurde in Mailand einer gegründet,
aber aufgrund von Geldmangel haben die ihren
Job nicht gemacht. Die letzten Monate wurde es
schlechter und der Vandal Squad versuchte, in die
Szene einzudringen. Es gibt Mitarbeiter, die gerade
mal 20 bis 22 Jahre alt sind und alles wissen. Bei
der U-Bahn wurden 40 neue Securitys angeheuert.
Hausdurchsuchungen sind nun an der Tagesordnung
und eine Menge Leute wurden festgenommen.
Jetzt haben wir den europäischen Standard
erreicht.
Gehst du lieber alleine oder mit Kollegen los zum
Malen?
Ich gehe am liebsten mit meinen Partnern oder
korrekten Leuten los, da man dann mehr Spaß hat
und danach noch ein wenig Party machen kann.
(lacht)
In welchen Crews bist du und was bedeuten dir
diese?
Meine Crews sind meine Familie. Egal, was passiert,
sie sind für mich und ich bin für sie da. Die
Leute aus der Bicale-Crew kenne ich schon seit
meiner Kindheit, mit denen habe ich alles in und
außerhalb der Graffiti-Szene geteilt. Mit den T.R.B-
Jungs habe ich meinen ersten Zug bemalt und
Sommer 2014 #115 BACKSPIN 41
42 BACKSPIN #115 Sommer 2014
deswegen bleiben sie immer in meinem Gedächtnis.
Mit denen bin ich auch für immer verbunden.
Last but not least bin ich Mitglied der CSC. Diese
Crew ist in Italien und ganz Europa verteilt. Es ist
einfach ein tolles Gefühl zu wissen, dass du, wo
du auch hinfährst, mit offenen Armen empfangen
wirst. Man hat immer einen Platz zum Pennen und
bekommt etwas zum Essen. Dadurch bekomme
ich Kraft.
Wie stehst du zu den Graffiti-Touristen, die immer
wieder nach Italien kommen?
Ich denke, die können sich glücklich schätzen,
denn hier gibt es nicht nur Graffiti, sondern auch
gutes Essen und wunderschöne Frauen. Ich habe
nichts gegen Touristen, denn wir sind doch alle
Zigeuner. Das einzige Problem ist, dass die meisten
einfach keinen Respekt gegenüber den lokalen
Writern und Spots besitzen. Es ist einfach, ein
Yard zu zerstören und alles in Schutt und Asche
zu legen, wenn man am nächsten Tag wieder im
Flugzeug sitzt.
Hattest du jemals Ärger mit anderen Writern?
Leider habe ich eine Menge Beef, insbesondere
mit den jüngeren Generationen, aber ich rede nicht
darüber. Die einzige Botschaft, die ich für diese Ärsche
habe, ist: Ihr habt keinen Stolz und nichts im
Kopf!
Was bevorzugst du, eine Nacht mit deiner Freundin
oder eine Nacht bomben?
(lacht) Das hängt davon ab, was heißer ist. Allerdings
denke ich, dass der Ladytunnel der beste Ort
der Welt ist.
Gibt es etwas, was du niemals bemalen würdest,
sei es aus moralischen oder ethischen Gründen?
Ich übermale keine Kunst und insbesondere keine
Old-School-Pieces.
Wie viel Vandale steckt in dir? Bevorzugst du es,
ein Piece zu malen, oder gehst du lieber raus, um
alles vollzutaggen?
Ich bevorzuge es, ein Panel zu malen, da ich es
lieber habe, wenn etwas längere Zeit fährt. Wenn
die Chance besteht, liebe ich es aber auch, etwas
richtig zu zerstören. Ich bin richtig glücklich, wenn
ein Zug aussieht, als wenn man ihn gleich ins Klo
stecken könnte. (lacht)
Wie siehst du deine Zukunft und die von Graffiti
in Italien?
Ich bin ein Pessimist. Alles wird mehr und mehr
den Bach runtergehen. Viele der Old Schooler
„Wenn ich reise, dann
bin ich immer mit meinen
Freunden unterwegs
und Graffiti steht eher im
Hintergrund.“
werden aufhören und wenige der New School
sind es wert, überhaupt wahrgenommen zu werden.
Heutzutage ist es trendy, Graffiti zu machen
und dank des Internets weiß die ganze Welt, was
du tust. Also auch wenn du gerade mal zehn U-
Bahnen gemacht hast, bist du für einen Moment
der King. Was mich betrifft, hoffe ich, noch so viele
positive Momente wie nur irgendwie möglich zu
erleben, und dass der Lebensabend noch lange
auf sich warten lässt.
Wo auf diesem Planeten hast du eigentlich schon
alles gemalt?
In allen Regionen Italiens habe ich etwas gemacht.
Das mag ich auch am liebsten. Das entspricht auch
am ehesten meinem Lebensstil. In Europa war ich
bisher in Belgien, Holland, Spanien, Frankreich, in
der Schweiz und in Deutschland.
Was war bisher der erfolgreichste Trip, wenn es
um Graffiti geht?
Wenn ich reise, dann bin ich immer mit meinen
Freunden unterwegs und Graffiti steht eher im
Hintergrund. Allerdings fahre ich immer gerne
nach Neapel, dort gibt es Züge ohne Ende, in der
Stadt herrscht Anarchie und man erlebt immer lustige
Geschichten.
Gibt es Orte, die du noch gerne bomben möchtest?
Mein Traum ist es, mal nach Chile zu fliegen und in
Santiago de Chile und Valparaíso zu malen.
Beschreibe mal kurz deinen Style!
Eine Art moderner Punk-Stil. Vor einiger Zeit sagte
ich immer, der sieht aus wie ein Punk, der auf Ecstasy
ist.
Wie hast du diesen Stil entwickelt?
Ich fand schon immer Punk-Styles und Ignorant-
Styles toll. Wenn ich die Trains von Muco und Shérif
sah, wurde ich ganz verrückt. Damit fing alles
an. Hinzu kommt, dass ich nicht zu denen gehöre,
die Skizzen machen. Ich gehe los und male, was
mir gerade in den Kopf kommt. Man muss Graffiti
mit dem Herzen machen.
Irgendwelche Tipps für die neuen Generationen?
Benutzt nicht das Internet und respektiert die Old
School! Denkt immer daran: Ohne die Old School
gäbe es euch nicht. Wenn ihr von den Alten respektiert
werden wollt, dann lernt Respekt und
versucht, ihn euch zu verdienen!
Shout-outs?
T.R.B, CSC, Bicale, meine Freundin Lalla, mit der
ich schon ewig zusammen bin, alle meine Freunde,
mit denen ich Abenteuer erlebt habe. Rud und die
WCA-Crew, Desk und die ADN- sowie CLZ-Crews,
Xeno, Kaos, Rambo, Tasso und die SIF-Crew,
Weeno und HDP, Sabo, Jador, Chaos, ROK, Fume,
Fra 32, Samson, Caros, Nilem, Boogie, Cupo,
Sparo, Seat, Grape, Slove und alle, mit denen ich
eine gute Zeit hatte. Ihr seid meine Stärke! B
Sommer 2014 #115 BACKSPIN 43
44 BACKSPIN #115 Sommer 2014
GRAFFITI
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 45
46 BACKSPIN #115 Sommer 2014
GRAFFITI TRAINS
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 47
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa
48 BACKSPIN #115 Sommer 2014
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa
GRAFFITI MR. KOSO FROM NAPOLI
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 49
50 BACKSPIN #115 Sommer 2014
GRAFFITI WALLS
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 51
52 BACKSPIN #115 Sommer 2014
GRAFFITI SPECIAL SLIDER BANDITS
Foto: Daniel Schneider
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 53
54 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Foto: Sandrine Appel
GRAFFITI SPECIAL SLIDER BANDITS
Foto: Sandrine Appel
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 55
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa ART
TALES OF
A DIRTY
OLD MAN
Die Welt steht vor dem Abgrund! Wusstet ihr
das noch nicht? Nein? Also dann solltet ihr euch
mal ernsthaft Gedanken machen. Okay, die Welt
steht seit Menschengedenken an eben jenem
Abgrund, aber das macht auch keinen Unterschied.
Sind es nicht so oder so die Menschen,
die die Welt so weit nach vorne schieben, dass
sie aus ihrer ursprünglich sicheren Position an
den Rand des Abgrunds geraten ist? Wieso stehen
wir nicht alle persönlich an dieser lebensbedrohlichen
Stelle und schauen mal, was kommt?
Ehrlich gesagt, tun wir das doch eh schon die
ganze Zeit, seit unserer Geburt. Wir nehmen
uns alle so dermaßen wichtig, dass manche
sogar zur Sprühflasche greifen und überall ihre
Pseudonyme hinterlassen und dabei auch noch
denken, sie wären etwas Besonderes auf diesem
Planeten. Oh mein Gott, wie arm.
Auch wenn ich zu eben jener Spezies gehöre,
bin ich mir dennoch bewusst, wie unwichtig wir
doch alle sind. Manche Writer wissen das nicht.
Das sind dann die, die sich durch dummes Crossen
oder unnötige andere Stress verursachende
Dinge in den völlig überbewerteten Vordergrund
stellen wollen. Davon gibt es hier in Düsseldorf
viel zu viele. Ich nenne bewusst keine Namen,
da diese sich ja sonst noch irgendwie gebauchpinselt
fühlen könnten. Langsam bekomme
ich Zweifel an dieser Szene und an den gesellschaftlichen
Strukturen im großen Ganzen, ist die
Szene ja ein jämmerliches Spiegelbildchen vom
Rest der Welt. Da wären wir wieder bei der Welt.
Sie hat sich nach den paar Textzeilen nicht vom
Rande des Abgrunds entfernt, dessen seid euch
sicher. Eher wurde sie mal wieder Zentimeter für
Zentimeter näher an diesen gerückt. Auch wenn
wir Menschen gerade alles daran tun, die Welt
zu zerstören, müsste uns doch eines klar sein:
Wir, und damit meine ich natürlich uns alle hier
auf dem Planeten Erde, sind nur temporär eingeplant.
Vergänglichkeit ist nicht nur ein Wort, das
so mancher größenwahnsinnige Writer nicht versteht,
da seine Bilder ja für immer halten sollen,
sondern es ist ein Fakt, mit dem äußerst wenige
umgehen können. Ich gehörte auch mal zu denen,
die der Meinung waren, dass sich die am
Abgrund stehende Welt nur um mich dreht. Jetzt
bin ich allerdings ein wenig reflektierter und habe
erkannt, dass dieses Graffiti nicht alles ist, was
mein kleines Herzchen benötigt oder gar von irgendeinem
Wert für die Ewigkeit ist. Es besteht
ein stetiges Kommen und Gehen. Manche kommen
schneller (das ist jetzt nicht so gemeint, wie
manche es sich hier in ihren verruchten Gehirnen
ausmalen. Bah! Pfui! Zurück mit euch auf die
Pornoseiten des Internets!) und manche gehen
schneller, als ihnen lieb ist.
Das, was uns Writern eigentlich komplett fehlt,
ist Ruhe und Reflexion. Ruhe zum Malen, denn
wir müssen ja ständig unter Zeitdruck bomben
und finden legalen Shit eben scheiße. Ruhe danach,
denn wir müssen ja ständig die Bilder jagen,
sofern wir sie auf fahrbaren Materialien aufgetragen
haben. Ruhe zwischen den Aktionen,
denn wir denken ständig ans nächste Piece und
wie wir den anderen einen Schritt voraus sein
können – seien es nun die örtlichen Behörden
oder die anderen Mitsprüher. Hätten wir all diese
Ruhe, dann könnten wir auch endlich etwas friedlicher
an die Sache gehen, reflektieren und oben
genannte Vollpfosten – wie gesagt, mich vor einigen
Jahren mit eingeschlossen – würden nicht
ständig das kaputt machen, was andere geschaffen
haben, denn im Endeffekt ziehen wir alle am
gleichen Seil. Wir wollen Anerkennung, und das
nicht zu knapp. Also lest euch diesen Text immer
und immer wieder durch, findet mich toll und nur
mich, und dann geht raus und malt – immer mit
dem Hintergedanken, was in diesem Text steht
und denkt daran: Fume ist der Tollste, Allerbeste,
Superererererste usw. Ihr wisst schon, was ich
meine. Falls nicht, dann fangt einfach wieder von
vorne an und hört nicht auf, bis ihr nicht mehr
könnt. Dann ist ganz natürlich Schluss und keiner
wird sich an euch erinnern, denn mittlerweile
ist alles gebufft, ihr seid tot und die Welt steht
immer noch am Abgrund, hat euch allerdings
überlebt. B
In diesem Sinne
Euer dreckiger, alter F…
56 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Interview & Text: Benjamin Auch | Fotos: Merlin
FLOOR WARS
Germany/Benelux und das Finale in Kopenhagen
Es ist uns eine besondere Freude,
eines der interessantesten B-
Boy-Events der Welt vorzustellen:
Floor Wars. Eine weitere besondere
Freude ist es uns, euch mit
Nico bekannt zu machen, einem
alten Hasen der B-Boy-Szene und
Veranstalter des Floor-Wars-Qualifiers
in Hannover. Gleich zum
Anfang des Jahres war das Event
ein absolutes Muss für jeden B-
Boy und jedes B-Girl. Es wurde gecyphert,
gegeneinander angetreten,
geschwitzt – aber vor allem
getanzt! Über die Hintergründe
spricht hier nun: Nico.
58 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Hey Nico, stelle dich doch kurz einmal unseren
Lesern vor!
Mein Name ist Nico oder auch NicoRoc, und ich
repesente die Master Plan Crew/Floorever Family.
Ich wurde 1978 in Osnabrück geboren und habe
dort 1994 mit Rap, Graffiti und Breaking angefangen.
2002 zog ich zum Kommunikationsdesignstudium
nach Hannover. 2005/2006 durfte ich einen
Zwischenstopp in New York einlegen, seitdem
lebe ich wieder gerne in Hannover und bin hier
mit einem Motion-Design- und Animationsstudio
selbstständig.
Wann bist du auf die Veranstaltung aufmerksam
geworden und wie kam es zum Kontakt mit dem
Veranstalter?
Das ist mir gar nicht so bewusst. Meine Crew war
2008 am Start und ich bin dann das erste Mal 2009
dabei gewesen. Die Jungs in Köln haben damals
eine super Arbeit geleistet. Nicht zuletzt die Tatsache,
dass es zu diesem Zeitpunkt in Deutschland,
bis auf das Battle of the Year, kaum einen Qualifier
gab, der den Sieger ins Ausland schickte, war
ein Garant für ein volles Haus und die richtige
Atmosphäre. Außerdem bin ich in Hannover auf
Ready to Rock gestoßen – eine Crew, die schon
seit Mitte der Neunziger am Start ist. Die Jungs
waren gut vernetzt und schon mit Sune, dem Veranstalter
des Floor Wars International, befreundet.
So hat zum Beispiel Merlin schon länger bei der
Kommunikation geholfen und die offiziellen Fotos
gemacht. Mit den Jungs bin ich dann auch nach
Kopenhagen gereist und habe dort Sune und Isti
vom Team Floor Wars International kennenlernen
dürfen. Schnell haben auch wir eine freundschaftliche
Ebene gefunden und blieben im regen Kontakt.
Von da an habe ich nur wenige Besuche zum
internationalen Finale ausgelassen.
Wie ist das Prinzip des Battles aufgebaut? Es ist ja
ein internationales Event mit vielen Vorausscheidungen,
ähnlich dem Battle of the Year, richtig?
Zunächst handelte es sich um ein Drei-gegen-drei-
Crew-Battle. Das Ziel von Sune ist es, am Ende
der Qualifier die „Great 8“ zu stellen. Das heißt:
die acht besten Crews aus den Vorentscheiden
im internationalen Vergleich. Dieses Jahr wurden
zu den sechs qualifizierten Crews aus Spanien,
UK, Russland, Frankreich, Italien und Deutschland
beziehungsweise Benelux zusätzlich die Hunters
Crew (Weißrussland) und die Renegade Rockers
(USA) eingeladen. Ein fettes Line-up, wie ich finde.
Zu den Great 8 werden dann weitere acht Crews
vor Ort ausgewählt, um am Ende die Finals mit den
Top-16-Crews im Knock-out-System zu starten.
Diese weiteren acht Crews werden aus allen angemeldeten
Crews über ein Punktesystem gewählt.
Auf diese Weise wurden auch beim Floor Wars
Germany und Benelux die Finals ausgewählt, nur
dass es keine gesetzten Great 8 gab, sondern alle
Top 16 aus dem gesamten Feld der angemeldeten
Crews kamen.
Warum gab es die Jahre davor keine regelmäßigen
Vorausscheidungen in Deutschland?
Genaue Gründe kenne ich leider auch nicht. Ich
kann nur aus eigener Erfahrung sagen, dass es
nicht einfach ist, in Deutschland ein solches Event
auf die Beine zu stellen. Ich denke, am Ende sind
dem Team in Köln die Unterstützer weggebrochen.
Bei der Suche nach Sponsoren ist man leider immer
auf die aktuelle Ausrichtung von Marketingabteilungen
angewiesen – und Breaking war nicht
immer in. Gerade mit der Verantwortung, ein Plus
zu generieren, um den Siegern die Reise nach Kopenhagen
gewährleisten zu können, ist es ein gewisses
Risiko, das man eingeht.
Wie viele Gruppen hatten sich angemeldet und
wie viele kamen aus den Benelux-Ländern?
Mike von Ready to Rock, mit dem ich hauptsächlich
den Vorentscheid geplant habe, hat einen
super Job gemacht und unter anderem die Anmeldung
betreut. Wir hatten am Ende 51 Crews,
davon aber nur circa sechs aus Holland und Belgien.
Da Holland eine starke Szene hat, sind dort
eigene Kanäle und Netzwerke entstanden, und wir
hatten das Gefühl, dass es schwer war, in diese
einzudringen. Außerdem gibt es speziell in Holland
viele internationale Events wie etwa das IBE. Es ist
also offensichtlich nicht so attraktiv für die Crews
aus den Benelux-Ländern, nach Deutschland zu
kommen, um hier am Qualifier für ein internationales
Event teilzunehmen.
Mir ist aufgefallen, dass das Level der Gruppen relativ
hoch war – und das bei so vielen Gruppen.
Wie beurteilst du das?
Auf jeden Fall war es hoch. Das hat auch bei der
Jury zu Diskussionen geführt. Ich denke, zum einen
begünstigt das Drei-gegen-drei-System, dass
sich die Leistungsträger aus einer Crew zusammenfinden
können. Zum anderen ist das Niveau in
Deutschland flächendeckend gestiegen, und Floor
Wars hat endlich mal wieder bundesweit alle aus
den Löchern geholt. Sonst passierte das oft nur
regional im Norden, Süden, Westen und Osten.
Persönlich denke ich auch, dass die Einflüsse von
außen stärker geworden sind und alle Bock haben,
sich zu entwickeln. So laden die Jungs von den
Def Style Rockers schon seit Jahren die Legende
Poe One von der Style Elements Crew zu gut besuchten
Workshops ein. True Rokin Soul schaffen
es ebenfalls, foundationrelevante Workshop-Leiter
ranzuholen, und auch die starke Generation aus
dem Ende der Neunziger gibt ihre Werte an die
junge Generation weiter, die geschlossen beim
Floor Wars Germany und Benelux vertreten war.
Each One Teach One!
Wie seid ihr auf die internationale Jury gekommen,
wer hat die Jury ausgewählt und was war
entscheidend für eure Auswahl?
Die Jury ist in Abstimmung mit dem gesamten
Team zustande gekommen. Ich war allerdings in
der Verantwortung, Vorschläge zu machen. Grundsätzlich
waren wir der Meinung, eine internationale
Jury an den Start zu bringen, um eine gewisse
Neutralität zu bieten. Selbstverständlich klappt das
niemals, da sich immer jemand benachteiligt und
nur selten bevorteilt fühlt. Wichtig war uns, eine
Jury zusammenzustellen, die Raum für verschiedene
Fokusse bietet wie zum Beispiel Power oder
Foundation. Wir wollten Floor Wars nicht dazu
missbrauchen, unsere eigene Vorstellung vom
Tanz über die Jury abzubilden, sondern eher die
Realität der Bewegungen in der Szene. Allerdings
muss ich sagen, dass auch wir aus dieser Veranstaltung
gelernt haben und in diesem Punkt noch
einige Fragen offen bleiben. Generell finde ich,
dass sich die Leute locker machen müssen. Es ist
immer hart, eine lange Anreise in Kauf genommen
zu haben, um dann nicht in die Battles zu kommen
oder in den Battles früh auszuscheiden. Ich wünsche
mir für die Zukunft, dass Crews weder wegen
der Judges kommen noch wegbleiben. Sie sollten
kommen, um das Ding an sich zu feiern, zu cyphern
und alte Bekannte zu treffen.
Was persönlich ist dir wichtig bei einem Event dieser
Größe?
Wir haben das Event in diesem Jahr zum ersten
Mal ausgerichtet und uns zunächst auf das Wesentliche
konzentriert. Das sind Kleinigkeiten, die
für uns aber wichtig erscheinen. Es sollte genug
Raum zum Austausch geben – also Platz für Cyphers,
um die Energie aufrecht zu halten. Wir
haben allen Tänzern ein Lunch-Paket und Wasser
ausgehändigt. Wenn man sich gute Leistungen
erhofft, muss man sich um eine gute Infrastruktur
kümmern. Hier mal kurz ein Shout-out an das
ganze Team für die intensive Unterstützung! Nicht
zuletzt war uns Timing superwichtig! Bei einer so
großen Anzahl von Crews geht viel Zeit für die
Vorauswahl verloren. Wenn dann der Organisator
nicht auf Trab ist, nervt das schnell.
War es dieses Jahr schwer, an Sponsoren ranzukommen?
Es gab keine Sponsoren! Das ist ein Sache, die
wir für das nächste Jahr noch optimieren müssen.
Ich denke, das generelle Problem mit Sponsoren
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 59
„Wichtig war uns, eine Jury zusammenzustellen,
die Raum für
verschiedene Fokusse bietet wie
zum Beispiel Power oder
Foundation.“
60 BACKSPIN #115 Sommer 2014
ist, dass man trotz des Anspruchs auf Realness
am Ende die Power unserer Kultur verkaufen
muss. Wir versuchen, das jetzt langsam über
das Sammeln von medienwirksamen Daten wie
YouTube-Klicks etc. attraktiv zu gestalten und
Sponsoren zu finden, denen nicht klar ist, dass
man mit diesem Event eventuell die richtige
Zielgruppe findet. Auf der anderen Seite gibt
es Sponsoren, die schon lange unsere Szene
nutzen, die wir aber aus Prinzip nicht angefragt
haben. Wenn man genau hinschaut, hat ein
Energydrink zum Beispiel nichts mit gesunder
Ernährung und einem leistungsstarken Körper
zu tun, somit auch nichts mit unserem Lifestyle.
Auch hier ist ein Shout-out angebracht! Der Jugendbeirat
der Stadt Hannover kann über Gelder
verfügen und diese verschiedenen Projekten
zukommen lassen. Wir waren sehr glücklich,
diese Förderung bekommen zu haben.
The Ruggeds aus Holland haben in Hannover
gewonnen und so die Einladung zum internationalen
Floor Wars mit nach Hause genommen.
Was meinst du als Veranstalter und B-Boy war
ihre Strategie bei so vielen Gruppen, es bis ins
Finale zu schaffen?
Das ist schwer zu sagen. The Ruggeds sind halt
’ne starke Truppe. Ich glaube, im Top-16-Battle
hatte sich einer der Jungs den Arm verletzt,
konnte danach nichts mehr richtig mit dem
rechten Arm und hat trotzdem bis ins Finale
durchgezogen. Ich denke, das war wohl ihre
Strategie: durchziehen.
Was wünscht du dir für die Zukunft des Events?
Für die Zukunft wünschen wir uns, dass wir
auch für das kommende Floor Wars 2015 wieder
den Qualifier ausrichten können. Die Resonanz
aus der Szene war bisher durchweg positiv
und man hat gemerkt, dass die Tänzer nur darauf
gewartet haben, dass Floor Wars Germany
endlich wieder zurück ist. Ansonsten natürlich
Gesundheit usw. B
FLOOR
WARS
2014
Finale in Kopenhagen
Nach einer spannenden Floor-Wars-Vorausscheidung
Deutschland/Benelux in Hannover reiste ich
am 14. März 2014 zum internationalen Finale nach
Kopenhagen. In diesem Jahr wurde dort nicht nur
das Finale ausgetragen, sondern auch der zehnte
Geburtstag der Veranstaltung gefeiert.
Das Floor Wars ist für mich eine ganz spezielle
Veranstaltung: Besonders interessant finde ich
die verschiedenen Kategorien der Battles neben
dem Drei-gegen-drei-Hauptbattle. Angefangen mit
einem Toprock-zwei-gegen-zwei-Battle, das wirklich
sehr spannend war, und mit einer tollen Jury
bestehend aus dem B-Girl Groovy aus Dänemark
und vielen anderen bekannten Tänzern. Gewonnen
hat es übrigens die legendäre Rock Steady Crew.
Dann gab es noch ein Footwork-Battle, das ebenfalls
auf hohem Niveau stattfand. Dort gewann B-
Boy Jay aus Frankreich, der mit viel Groove und
einem tollen Style punktete.
Die Vorausscheidungen für das Drei-gegen-drei-
Hauptbattle fanden in Spanien, England, Russland,
Frankreich, Italien und Deutschland statt. In den
Great-8-Crews waren Shake Styles aus Spanien,
Soul Mavericks aus England, Comix Zone aus Russland,
Inesteam aus Frankreich, Funkobotz aus Italien,
The Ruggeds aus Holland, Renegades aus den
USA und die Hunters aus Weißrussland. Bereits
das Line-up versprach sehr viel, und meine Erwartungen
wurden voll erfüllt.
Der Abend hielt dann aber doch wieder einige
Überraschungen bereit. Es waren viele neue Talente
am Start, die problemlos mit dem hohen
Level der alten Hasen mithalten konnten. Ich bin
mir sicher, dass wir zukünftig noch einiges hören
werden und freue mich, dass wir einen so starken
Nachwuchs haben.
Die Jury war besetzt mit Swift Rock aus Deutschland,
Kadoer aus Spanien und B-Girl AT aus Finnland.
Meiner Meinung nach eine top Jury-Besetzung.
Für die gute Musik an diesem Abend sorgten
die DJs Skeme Richards von der Rock Steady Crew
aus New York, Uragun aus Italien und DJ Deilf aus
Frankreich. Trotz des internationalen Flairs und der
schönen Location, dem Vega, einem tollen Veranstaltungsort
direkt im Zentrum von Kopenhagen,
war die Atmosphäre sehr familiär und vertraut. Das
Event mit mehr als 60 Crews aus der ganzen Welt
war meiner Meinung nach ein absolutes Highlight
des Jahres. Durch das mehrstöckige Gebäude hat
man auch von oben die Möglichkeit, direkt auf die
Tänzer zu schauen – es ist fast ein wenig Arena-
Atmosphäre.
Im Finale trafen die Ruggeds aus Holland und die
Soul Mavericks aus England aufeinander. Die beiden
Crews schenkten sich mal wieder nichts. Es
war wirklich schön anzusehen, wie strategisch es
die beiden Crews ins Finale geschafft hatten, und
wie sehr beide Crews das Ding mit nach Hause
nehmen wollten. Der Saal kochte vor Anspannung
und es wurde gleich um gefühlte 20 Grad wärmer.
Das Publikum feuerte beide Crews an, die Stimmung
war kaum noch zu übertreffen. Sowohl die
Ruggeds als auch die Soul Mavericks waren wirklich
super vorbereitet, zum Glück saß ich nicht in
der Jury. Letztendlich gewannen die Soul Mavericks
das Battle. Sicher sind auch der Jury die Entscheidungen
nicht immer ganz leicht gefallen, da
sich die Crews durchgehend ein starkes Battle lieferten.
Direkt nach dem Finale gab es eine großartige
After-Show-Party, auf der alle zusammen noch
mal gerockt haben. Bombenstimmung und super
Leute! Im Großen und Ganzen war das Wochenende
in Kopenhagen für mich ein absolutes Highlight,
und ich kann es jedem Tanzinteressierten nur empfehlen,
im nächsten Jahr mal vorbeizuschauen. In
diesem Sinne: Peace! B
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 61
Interview: Niko Hüls | Fotos: KWE
HIP HOP KEMP
One Upon a Time
Jeder hat ihn in sich, diesen einen Moment in seinem Hip-Hop-Leben,
der den Unterschied macht. Der der Grund dafür ist, warum man bis
heute so viel Liebe und Energie in eine Kultur steckt, für die man auch
mal belächelt wurde. Wir wollen mit den Leuten sprechen, die Dinge
geschaffen haben, die bis heute Pfeiler der Kultur sind, um ihre Empfindungen
zu verstehen. Den Anfang macht Affro, Gründer und Macher
vom Hip Hop Kemp in Tschechien.
62 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Damals noch auf kleiner Bühne: Das Hip Hop Kemp im Jahre 2002.
Affro, wenn du auf deine persönliche Hip-Hop-
Historie zurückblickst: Was war für dich dieser
eine Moment, die Situation, die dich am meisten
geprägt hat?
Es war im Jahre 2002. Die beiden besten Freunde
Babs und Affro, die sich seit Kindergarten-Zeiten
kennen, hatten einen gemeinsamen Traum: ein
dreitägiges Hip-Hop-Festival auf die Beine zu stellen.
Im Alter von 24 Jahren standen zunächst nur
die Leidenschaft für die Musik und eine klare Vision.
Mit wenig bis gar keiner Erfahrung standen sie
gleichzeitig aber auch quasi mit dem Rücken zur
Wand. Es gab keine großen Sponsoren oder reiche
Eltern. Auch einen Plan B gab es nicht. Es musste
also funktionieren. Ansonsten wären sie richtig gefickt
gewesen.
Und dann kam das Unwetter …
Richtig, es kam zu den schlimmsten Überflutungen
seit 200 Jahren. Im ganzen Land verloren Menschen
ihr Zuhause und ihr Hab und Gut. Pardubice
war einer der wenigen Orte, die nicht von den Unwettern
betroffen waren – der Ort für das Hip Hop
Kemp. Wir knieten uns also weiter rein, während
wir von allen möglichen gebuchten Künstlern Anrufe
bekamen, ob das Festival denn nun überhaupt
stattfinden würde oder nicht. Die schweren Unwetter
waren ja überall in den Nachrichten, selbst
CNN hat berichtet. Wir waren insgesamt etwa 20
Leute, die sich jeden Tag den Arsch dafür aufrissen,
dass alles klappt. Aber wir haben ja die Sonne in
unserem Logo, damit müssen wir in puncto Wetter
ja immer Glück haben. (lacht) Das Event wurde
atemberaubend. 3.500 Leute waren gekommen,
alle im Geiste von „Peace, Unity, Love and Having
Fun“. 3.500 Leute, alle auf der Suche nach dem
perfekten Beat. Damit war eine Legende geboren.
Als der letzte Auftritt des Festivals über die Bühne
gegangen war, waren wir alle den Tränen nahe. Wir
konnten kaum noch aufrecht stehen, geschweige
denn gehen, so müde waren wir. Aber wir hatten es
geschafft. Unser Traum war wahr geworden. Und
wir wussten, dass das keine einmalige Sache bleiben
sollte. Es war vielmehr der Anfang einer Saga,
die sich hoffentlich noch lange fortsetzen wird.
Heute, 13 Jahre später, habe ich immer noch das
Gefühl, dass wir alles richtig gemacht haben. Wir
sind der lebende Beweis dafür, dass alles möglich
ist. Schließlich hatten wir eines der größten Hip-
Hop-Festivals Europas ins Leben gerufen, und zwar
in einem kleinen, ehemals kommunistischen Land.
Kannst du dich an das Gefühl erinnern, das du hattest,
als der erste Headliner auf dem allerersten
Hip Hop Kemp auf der Bühne stand?
Wie könnte ich das je vergessen!? Phi-Life Cypher
enterten die Stage. Sie gingen nicht einfach da rauf,
sie stürmten einfach die Bühne, sie übernahmen
sie. Life machte einen Kopfstand und freestylte und
das Publikum flippte vollkommen aus. Ich bekam
eine Gänsehaut und fühlte mich, als hätten wir gerade
den Madison Square Garden ausverkauft. In
dem Moment war ich sozusagen auf Wolke sieben.
Du fühlst, wie die Magie des Moments dir durch die
Finger gleitet, aber du willst ihn noch nicht mal festhalten.
Vielleicht kann man das am ehesten damit
vergleichen, Schmetterlinge zu beobachten – man
will sie nicht fangen und mit nach Hause nehmen,
man freut sich einfach, ihnen beim Fliegen zuzusehen.
Würdest du sagen, dieser Moment hat dein Leben
beeinflusst?
Danach war nichts mehr, wie es vorher war. Ich
hatte mit einem Mal viele Musiker getroffen, die ich
davor einfach nur bewundert hatte.
Und das hat dich noch hungriger gemacht?
Absolut. So ein Erlebnis beflügelt einen darin, jedes
Jahr noch besser zu werden. Dafür habe ich auch
die Fehler anderer studiert, um daraus zu lernen
und sie nicht selbst erst machen zu müssen. Außerdem
wussten wir natürlich, dass die Popularität
eines Musik-Genres mal groß und dann auch mal
wieder kleiner ist. Das hieß für uns, dass wir nicht
immer nur wachsen konnten. Wir können nicht
jedes Jahr noch mehr Besucher haben, eventuell
verlieren wir im Vergleich zum Vorjahr sogar mal
welche. Daraus folgt, dass sich Besser-Werden
nicht zwangsläufig daran festmachen lässt, wie
viele zahlende Gäste man hat. Dennoch denke ich,
dass es uns gelungen ist, besser zu werden. Jedes
Jahr, wenn die Vorbereitungen beginnen, frage ich
mich auch, ob das, was wir gerade aufziehen, im
Jahr darauf überhaupt noch zu toppen sein wird.
Und?
Bisher hielt ich das Vorjahr immer noch für übertreffbar.
Sollte ich mal an den Punkt kommen, an
dem ich denke, dass die besten Momente bereits
in der Vergangenheit liegen, dann ist es für mich an
der Zeit, aufzuhören. Dann muss ich die Fackel an
den nächsten übergeben, der über mehr Hunger
verfügt, als ich es dann tue. Aber keine Sorge, der
Funke, den wir 2002 entfacht haben, hält das Feuer
in mir nach wie vor am Brennen.
Würdest du sagen, dass der Spirit des Hip Hop
Kemp das Festival für die Fans so spannend
macht?
Als wir anfingen, wollten wir zu niemandem in
Konkurrenz treten. Am Ende waren wir dann einfach
glücklich, dass wir ein wenig Geld übrig hatten
– schließlich hatten wir nicht vor, das Festival rein
geschäftsmäßig aufzuziehen. Vielmehr wollten wir
ein Festival veranstalten, das wir selber gerne besuchen
würden. Und da das niemand tat, mussten wir
es selbst in die Hand nehmen. Daran halten wir fest.
Wir hatten ohnehin nie die ganz großen Budgets,
also mussten wir einfach smarter sein als die anderen
und Dinge anders und besser machen. So geht
es uns auch nach wie vor darum, ein Zusammentreffen
von Hip-Hop-Heads auf die Beine zu stellen.
Dazu dachten wir von Anfang an, dass wir etwas
Besonderes hier drüben haben, nämlich die Atmosphäre
– und die wollen wir mit unseren Besuchern
teilen. Wir wollten erreichen, dass jeder, der einmal
auf dem Hip Hop Kemp war, gerne wiederkommen
möchte. Normalerweise haben Festivals ja im Lineup
einige lokale Acts und dazu ein paar größere US-
Künstler. Nur bringen die Amerikaner nicht unbedingt
mehr Besucher aufs Festival. Wenn man aber
Gruppen bucht, die aus den umliegenden Ländern
kommen, dann bringen diese in der Regel einen
Teil ihrer Anhängerschaft mit. Und wenn es denen
dann auch noch gefallen hat, erzählen die das ihren
Freunden und bringen beim nächsten Mal noch
mehr Leute mit. So haben wir es geschafft, hier in
Tschechien ein Festival mit rund 20.000 Besuchern
auf die Beine zu stellen – und mehr als die Hälfte
der Besucher kommen aus dem Ausland. Natürlich
gibt es da immer Länder, aus denen mehr Besucher
kommt als aus anderen. Allerdings sorgt das dann
auch wieder dafür, dass sich die Leute untereinander
connecten und ihre Vorurteile gegenüber den
anderen vergessen. So sieht man bei uns auch
mal einen polnischen MC mit einem aus Australien
zusammen freestylen, während ein dänischer DJ
ihnen dazu einen Beat jugglet. Man darf das aber
auch nicht falsch verstehen. Natürlich sind wir gut
organisiert, nur wirkt das Hip Hop Kemp deswegen
nicht gleich wie eine unpersönliche, cleane Veranstaltung.
Wir lieben einfach diesen funky Vibe des
Hip Hop Kemp, wo die Grenze zwischen Künstlern
und Publikum irgendwann zu verschwinden beginnt
und man sich zusammen einen einschenkt, wo
man auch hinter der Bühne beobachten kann, wie
da 30 Leute durchdrehen, weil sie den Auftritt, der
gerade auf der Bühne stattfindet, so abfeiern. All
diese Dinge sorgen am Ende dafür, dass das Publikum
das Hip Hop Kemp so sehr liebt und warum
wir als Veranstalter es auch so sehr lieben. Wir sind
schon stolz auf unser Baby. B
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 63
64 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Text: Falk Schacht | Fotos: G-Shock
G-SHOCK
Sido, Preppers und Atomuhren
Vor einiger Zeit war ich in London,
um Maharishi-Designer
Hardy Blechman zu treffen und
mit ihm über seine G-Shock-
Kollaboration „Lunar Bonsai“
zu sprechen. Das Spannende
an der Person Blechman ist,
dass er als einer der Experten für Tarnfarben gilt
die Sido überhaupt nicht teilt, da er gerade den
Aspekt der Selbstverteidigung in einer postapokalyptischen
Welt besonders spannend findet. In
Blechmans Vision sollten Prepper am besten jetzt
schon Saatbanken anlegen, damit ausreichend
Saatgut vorhanden ist, um die Felder wieder neu
zu bestellen. Und damit der pazifistische Prepper
das immer pünktlich gewuppt bekommt, braucht
Zehn Jahre Laufzeit – G-Shock und Hardy Blechman
verleihen der „Lunar Bonsai“ Ausdauer
und sein oberstes Ziel darin besteht, diese vom
Image des Militärischen zu befreien.
Diese schon leicht spleenige Fachexpertise erweitert
Blechman aber noch durch eine Komponente,
die er mit Sido gemeinsam hat. Beide
sind fasziniert von der sogenannten „Prepper“-
Kultur. Prepper sind Menschen, die sich auf das
Ende der Zivilisation vorbereiten. Varianten, wie
die Menschheit zugrunde gehen könnte, gibt es
tausende: Atomkriege, Meteoriteneinschläge,
biochemische Ausrottung usw. In der Popkultur
wurden diese Endzeit- und postapokalyptischen
Szenarien immer gerne aufgegriffen in Filmen wie
„Mad Max“, „Terminator“, „Planet der Affen“, „12
Monkeys“, „Die Klapperschlange“, „I Am Legend“
oder auch „Wall-E – Der Letzte räumt die Erde auf“.
Außer bei „Wall-E“ sind diese Szenarien eigentlich
immer sehr gewalttätig. Was angesichts des totalen
Zusammenbruchs aller industriellen, technologischen
und sozialen Infrastrukturen auch relativ
logisch erscheint. Das ist der Grund, weshalb alle
Preppers neben den Kidneybohnen im Bunker
auch blaue Bohnen für Kanonen haben.
Genau das findet Hardy Blechman schrecklich.
In seinen Visionen sollten alle Menschen pazifistische
Prepper sein. Recht nachvollziehbar. Wer
hat schon Bock, für sein Essen Leute töten zu müssen?
Das ist allerdings eine Seite des Szenarios,
er eine Uhr – und genau da hat Blechman bei seinem
Design der „Lunar Bonsai“ angesetzt.
Das Besondere ist nämlich, dass die G-Shock-
Uhren Batterien haben, die zehn Jahre halten sollen.
Da diese Uhren allerdings ihre zeitgenauen
Signale von einer Atomuhr erhalten, könnte es zu
Problemen kommen, wenn der einzige Atomuhr-
Funkturm in Mainflingen bei Frankfurt getroffen
wird. Hoffen wir, dass wir diese Szenarien nicht
werden erleben müssen.
Interview: Falk Schacht
Fotos: Niko Hüls
G-Shock und Maharishi veröffentlichen
mit der „Lunar Bonsai“-Uhr eine neue
Kollabo der beiden Firmen. Der Maharishi-Designer
Hardy Blechman, führender
Experte in Sachen Tarnfarben, stand
uns für ein Interview zur Verfügung.
Dabei geht es um seinen philosophischkonzeptionellen
Ansatz und seine Faszination
für die „Prepper“.
Herr Blechman, was ist der Unterschied zwischen
der aktuellen Kollabo von G-Shock und
Maharishi sowie den vorherigen Zusammenarbeiten?
Wir haben bisher drei Kollabos mit G-Shock
gemacht, und jede Kollabo war unterschiedlich,
aber diese ist bis jetzt die beste. G-Shock
hat eine neue Drucktechnik entwickelt, mit der
man jetzt alle Teile einer Uhr bedrucken kann.
Wir haben diese Technik nun zum ersten Mal
Partners in Time
G-SHOCK
& MAHARISHI
anwenden können. Wir können nun endlich genau
dasselbe machen, was wir sonst auf Stoff
umsetzen.
Sie interessieren sich für „Prepper“, also Menschen,
die sich für den Weltuntergang „präparieren“.
Was fasziniert Sie so daran?
Es sind vor allem die übergeordneten Dinge,
die es für mich relevant und interessant ma-
Sommer 2014 #115 BACKSPIN 65
chen. Ich bin aber vor allem von den pazifistischen
Preppern fasziniert. Die Old-School-
Prepper, die ihr Essen in einen Bunker packen
und dann Waffen kaufen, um die Bunker zu
beschützen – das klingt nicht nach dem richtigen
Weg. Ich möchte nicht der einzige Nachbar
im Dorf sein, der Essen hat, um dann den
anderen beim Sterben zuzuschauen, wenn sie
versuchen, in mein Haus einzudringen. Ich finde
es spannender, in Saatbanken und Essensbanken
zu investieren. Wir brauchen gute Saat
für gutes Essen. Es müssen auch Informationen
bereitgestellt werden, wie man vernünftig
selber anpflanzt und wie man Selbstversorger
wird, sollte es zu einem Umwelt- oder
Wirtschaftskollaps kommen. Oder wenn eine
Sonneneruption die Erde trifft und all unsere
Stromnetze zerstört. Wenn irgendwas davon
passiert, wäre es besser, wenn die Menschen
nicht mit Waffen, sondern mit Informationen
darüber ausgestattet sind, wie sie sich selber
ernähren können. So wie wir es vor einigen
tausend Jahren auch gemacht haben. Das interessiert
mich. Solche Informationen zu teilen,
wäre positiv. Selbst wenn die Gesellschaft nicht
zusammenbricht, wäre so etwas immer noch
gut. Geh’ in den Garten, geh’ spazieren oder
in den Wald und pflück’ ein paar Früchte. Wir
haben diesen Park in London, wo Beeren und
Brennnesseln wachsen, die man essen kann.
Und ich denke, dass der Großteil der Leute,
die da durchlaufen, niemals etwas davon essen
würden. Die laufen lieber zum Supermarkt
und bezahlen drei Pfund für einen Korb Beeren,
anstatt sich zu bücken und die aus der Natur
zu pflücken. Das ist seltsam. Es scheint so, als
wären wir überhaupt nicht mehr mit der Natur
verbunden. Wir reden nicht darüber, die Schulen
fokussieren sich nicht darauf, und deshalb
scheint das für mich notwendiges Wissen zu
sein, das es zu vermitteln gilt. Ich verbinde mit
Preppern keine gewalttätigen Dinge. Die alten
Prepper sind zwar bis an die Zähne bewaffnet
und vermitteln den Eindruck, dass man sich
auf die Zukunft mit Waffen vorbereiten muss,
aber ich denke nicht so. Ein pazifistischer Prepper
ist nicht daran interessiert, sich selber zu
bewaffnen.
Was glauben Sie ist der Grund dafür, dass die
Gesellschaft heute so ein oberflächliches Verhältnis
zur Natur hat?
Ich versuche, in meinem Leben eine engere
Verbindung mit der Natur zu haben. Ich denke,
ich habe eine Art Pflicht, mit meiner Arbeit für
Maharishi diese Informationen zu verbreiten.
Ich gehöre zu dem Teil der Bevölkerung, der
daran interessiert ist, das Volk zu ermutigen,
sich wieder mit der Natur in Verbindung zu
setzen. Während der andere Teil immer noch
dabei ist, alles auszubeuten. Es ist so, als würden
die Leute denken, dass sie niemals sterben
müssen. Als hätte das, was wir unseren Körpern
antun, keinen Effekt auf uns. Ich bin damit
aufgewachsen, womit alle aufgewachsen sind.
Ich sehe die Leute auch rauchen und trinken
und Drogen nehmen. Ich bin denselben Versuchungen
ausgesetzt wie alle anderen auch.
Aber je länger ich mir das anschaue, desto
mehr fällt mir auf, dass die Leute den Planeten
so behandeln, wie sie ihren eigenen Körper behandeln.
Ich fände es gut, wenn ich es schaffen
würde, dass es nicht mehr uncool ist, im
Streetwear-Sektor über die Umwelt, einen gesunden
Körper oder einen heilen Planeten zu
sprechen.
Denken Sie, dass es mit solchen Kollabos wie
zwischen Streetwear-Marken und G-Shock
möglich ist, den Leuten dies bewusster zu
machen?
Weiß ich nicht. Ich wache nicht morgens auf
und denke, das ist jetzt meine Lebensaufgabe.
Aber ich sehe, dass ich die Pflicht habe, jede
Möglichkeit zu nutzen, dieses den Leuten mitzuteilen.
Wir reden ja auch gerade miteinander
darüber.
Zum Abschluss: Ihr Profilbild auf Facebook
zeigt den Künstler Joseph Beuys, warum?
Für mich ist er deshalb bekannt, weil Andy
Warhol einen Druck seines Bildes in Tarnfarben
gemacht hat. Und das ist wahrscheinlich einer
meiner Lieblings-Warhol-Drucke. Einer hängt
in meinem Büro, einer in meinem Studio und
einer in meinem Haus. Ich mag die Arbeit von
Beuys, ich weiß nicht wirklich, ob er selber die
Tarnfarben erforscht hat, aber Warhol hat ihn
auf immer mit Tarnfarben verbunden. B
66 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Text: Peter Parker / Foto: Walter Glöckle
Tom Thaler
& Basil
Immer wieder gab es in den letzten Jahren Hip-Hop-Künstler, die neue Wege
gingen und sich über eine neue Soundästhetik, neue Songwriter-Ansätze
und Open-mindedness definierten. Die immer wieder angeführten Casper
und Marteria eroberten die Speerspitze des hiesigen Erneuerungsprozesses
und haben sich für nacheifernde Künstler wie Cro oder Gerard über viele
Grenzen hinausbewegt. Und wie beide Galionsfiguren zugeben mussten,
war das anfangs nicht immer von Erfolg und positiven Reaktionen gekrönt.
Der Weg ist das Ziel, und weitere Rap-Acts werden folgen. Die Newcomer
Tom Thaler & Basil könnten hier relevant werden. Ihr Album steht vor der Tür
und die bisherigen drei Singles lassen einiges an Erwartungen hochkochen.
Man würde ihnen jedoch unrecht tun, sie auf Neo-Hipster-Rap zu reduzieren!
Analogie zu den erfolgreichen Vorläufern gibt es zur Genüge. Wie bei
Casper darf man gerne ihre tiefer gehenden Gedankengänge nachvollziehen
und die poppige Leichtigkeit des Pandas schwingt ebenfalls mit. Der
Hamburger Tom Thaler und der Stuttgarter Basil sind deshalb alles andere
als Copycats, sondern einfach bereit für eine weitere, sehr wahrscheinlich
erfolgreiche Stufe ihres Schaffens. „Horizont“, „Perfekt“ und „Treat Me
Like“ haben mit Selbstironie, Hedonismus und Melancholie die passenden
lyrischen Zutaten, die das frische Soundmenü aus Balearic und Bass Music
braucht. Vor dem Album erschien jetzt noch ein Tua-Remix von „Horizont“,
der nicht nur in Insiderkreisen vielsagend als „unfassbares Brett“
abgefeiert und wegweisend für das Album sein wird. Hörbar ist sofort, dass
Beatschmied Basil nicht nur ein Ohr am Puls des aktuellen Sounds zwischen
Kaytranada, KRTS und Left Boy hat, sondern durchaus Ambitionen, hier
mitzumischen. Warner Music scheint ein heißes Eisen zu schmieden. Das
Album wird es zeigen. Am 8. August 2014 kommt erst einmal die richtungsweisende
„Hier mit dir“-EP! B
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Vintage Equipment
KORG MonoPoly
Text: Dennis Kraus
Fotos: Eric Anders
Verkaufsflop trotz Top-Preis:
der Korg MonoPoly
Dieser Synthesizer hatte es aus gleich zwei Gründen
schwer, sich am Markt durchzusetzen. So
wollte man bei Korg mit dem MonoPoly einen
Nachfolger des legendären Minimoogs (siehe
BACKSPIN #111) ins Rennen schicken, was man
sicherlich als mutig bezeichnen kann. Zum anderen
band Korg dem MonoPoly mit dem legendären
Polysix auch noch eine hausinterne Konkurrenz
ans Bein. Aber alles der Reihe nach.
Als der MonoPoly 1981/82 auf den Markt kam,
war er mit einem Preis von etwa 2.400 Mark ein
vergleichsweise erschwinglicher Synthesizer.
Konkurrenzprodukte wie der Roland Jupiter-8, der
Oberheim OB-8 oder der Memorymoog waren
aufgrund der verbauten Technik weitaus kostspieliger.
Und doch entwickelte sich dieser an sich gute
Synthesizer nie zu einem Verkaufsschlager. Dabei
bot er mit seinen 4 VCOs, also Klangerzeugern,
und seinen vielfältigen Klang-Modulationsmöglichkeiten
einiges, was das Herz damals wie heute
begehrte. Jeder der vier Oszillatoren verfügt über
einen eigenen Lautstärke-, Tuning-, Stufen- und
Waveform-Schalter. Darüber hinaus kann man
dem Signal White Noise beimischen. Der Tiefpassfilter
kommt mit 24 Dezibel pro Oktave und
verfügt, neben den typischen Parametern, auch
über einen inversen Verlauf und Keytrack. Die Modulationsmöglichkeiten
kann man entweder synchronisiert
und/oder als Crossmodulation einzeln
für alle Oszillatoren anfahren. Die Geschwindigkeit
des Arpeggiators freilich lässt sich ebenfalls
regeln. Linker Hand neben den 44 Tasten stehen
zwei Handräder zur Verfügung, davon eins für das
Pitchbending mit Mittenrastung, das andere, für
Modulationen gedachte, kommt ohne Rastung daher.
Diese Räder lassen sich beim MonoPoly ma-
68 BACKSPIN #115 Sommer 2014
nuell auf verschiedene Filter etc. anwenden. Eine
Besonderheit ist außerdem, dass man ihn, obwohl
der MonoPoly eigentlich ein monofoner Synthesizer
ist, dank des sogenannten „Key Assign Mode“
dennoch mehrstimmig spielen kann.
Das große Manko des MonoPolys ist schließlich
der fehlende Speicher. Im Gegensatz zum Polysix,
der über 64 Speicherplätze für selbst geschraubte
Sounds bietet, verfügt diese Kiste nicht über einen
einzigen Speicherplatz. Stattdessen gab es damals
ein Frontplatten-Layout auf Papier, auf dem man
die Einstellungen der einzelnen Potis einzeichnen
konnte. Und auch mit MIDI-Anschlüssen wartete
der MonoPoly nicht auf. Über die Klinkenbuchsen
ließ er sich allerdings dann doch per MIDI-CV-Konverter
über MIDI ansteuern. Einige Firmen boten
deswegen an, den MonoPoly mit einem MIDI-Interface
auszustatten.
In der Summe trugen all diese Punkte dazu bei,
dass sich vom Korg MonoPoly nur etwa 10.000
Einheiten verkauft haben sollen. 1984 sei die Produktion
eingestellt worden, heißt es. Und so ist er
über all die Jahre nie dem Status des Geheimtipps
für zornige Lead- und Bass-Sounds entwachsen.
Wer heute einen MonoPoly sein Eigen nennen will,
der wird um die 1.100 Euro zahlen müssen. Wem
eine Version für den Rechner reicht, der wird mit
der Korg Legacy Collection eine Menge Freude
haben. Für 199 Dollar bekommt man direkt beim
Hersteller das komplette Bundle, inklusive Mono-
Poly, MS-20, M1, Wavestation, MDE-X und natürlich
dem Polysix.
Vintage Equipment
CELESTA
Um suoni dolci, süße Klänge, ging es den Erfindern der Celesta. Der
Name des Instruments entstammt jedoch nicht dem Italienischen, sondern
dem Französischen und bedeutet so viel wie „die Himmlische“.
Entwickelt wurde das Instrument einst, um Töne zu erzeugen, die süß
und weich klingen, gleichzeitig aber auch ein ordentliches Klangvolumen
haben. Einen ersten Versuch hierzu gab es Mitte des 18. Jahrhunderts
in Irland. Über einen Prototypen hinaus kam das damals noch Aiuton
genannte Instrument jedoch nicht. Erst Ende des 19. Jahrhunderts,
Sieht aus wie ein Klavier, klingt
wie ein Märchen: die Celesta
Sommer 2014 #115 BACKSPIN 69
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Vintage Equipment
CELESTA
im Jahre 1886, hatte der Harmoniumbauer Victor
Mustel in Paris das Instrument gebaut, das bis
heute als Celesta bekannt ist – genannt hatte es
Mustel damals bereits genau so: Celesta.
Klanglich ist die Celesta nicht allzu weit vom Glockenspiel,
vom Rhodes (siehe BACKSPIN #114)
und auch vom Klavier entfernt. Im Gegensatz zum
Glockenspiel etwa bietet sie wegen ihres großen
Resonanzkörpers jedoch einen größeren Tonumfang
im Bereich der Tieftöne. Zudem verfügt die
Celesta, anders als das Glockenspiel, über weiche
Filzhämmerchen im Anschlagmechanismus, sodass
der Ton sanfter klingt als der des Glockenspiels.
Von außen betrachtet sieht die Celesta aus wie
ein Klavier, sie verfügt über eine Tastatur, ein Pedal
und ein großes Gehäuse. Innen befinden sich
Stahlplatten, Resonatoren sowie die Anschlagmechanik.
Die entscheidenden Klangerzeuger sind
stählerne Klangplatten, die auf Filzleisten über den
hohlen Resonatoren aus Holz liegen. Diese Stahlplatten
werden von mit Filz bezogenen Hämmerchen,
die man über die Klaviatur spielt, angeschlagen.
So spielt man die Celesta dann auch wie ein
Klavier, greift Akkorde oder Einzeltöne, und tritt
man das Pedal, wird die Dämpfung aufgehoben
und die Töne klingen nach. So gehört die Celesta
eher zur Instrumentenfamilie der Tasteninstrumente,
obwohl man sie aufgrund der Tonerzeugung
über den Anschlagmechanismus auch zu
den Schlaginstrumenten zählen kann.
Verwendung findet die Celesta primär im Orchester,
wo sie sich schnell etablieren konnte. So verwendeten
sie Komponisten wie Richard Strauss
oder Pjotr Tschaikowski in Werken wie „Der Rosenkavalier“
oder „Der Nussknacker“. Gemeinhin
steht der Klang der Celesta für etwas Märchenhaftes,
Verschleiertes, Glitzerndes, Traumhaftes.
Daher findet die Celesta auch in Kompositionen
für Filmmusiken immer wieder Verwendung. Besonders
durchsetzungsfähig im Gesamtklangbild
ist die Celesta im Übrigen nicht. Daher wird sie
gerne in Verbindung mit hohen Streichern, Harfen
und Holzbläsern gespielt.
Auch in Rap-Beats findet die Celesta immer wieder
mal Verwendung. Mit ihrem weichen Klang
kann man sie wunderbar als Stellvertreterin für
ein Rhodes, Klavier oder Glockenspiel einsetzen.
Ein solches Exemplar wie das auf unserem Foto,
das die schwäbische Schiedmayer Pianofabrik
(damals Stuttgart, heute Wendlingen) Anfang des
20. Jahrhunderts gebaut hat, braucht man jedoch
nicht zwingend. Allseits bekannte Librarys wie
die des Vienna-Symphonic-Orchesters oder von
Native Instruments bieten eine sehr gut klingende
Alternative für den Rechner. Allein den klackenden
Klang der Tasten, der aufkommt, wenn man etwas
härter auf einer richtigen Celesta spielt, bleibt dem
Library-Nutzer dann doch vorenthalten. B
FabFilter Pro
MB Multiband
Compressor
In der Welt der Plug-ins gibt es immer wieder Tools, die einen guten Sound oder eine gute Handhabbarkeit
zeigen. Dass FabFilter ein verstärktes Augenmerk auf die Kombination beider Attribute legt, zeigt
der Multiband-Kompressor Pro-MB. Bis zu sechs Frequenzbänder/Frequenzbereiche können in ihrer
Ausdehnung und ihrer Verteilung über die Frequenzbereiche frei platziert werden. So in einem Frequenzbereich
weder komprimiert noch expandiert wird, ist kein Unterschied zum Eingangssignal hörbar. Es
kann allerdings auch bis zu den bekannten pumpenden Effekten auf den Sound komprimiert werden.
Und das für jeden der Frequenzabschnitte unabhängig voneinander hinsichtlich Threshold, Range, Attack,
Release, Output Gain oder variablen Kurven, die zugeordnet werden können. Dazu kommt auch
die Fähigkeit, diese Variablen wiederum nur mid oder side only prozessieren zu lassen und für jedes
Frequenzband auch noch einen eigenen externen Input für das Sidechaining zu wählen. Die Übergänge
zwischen den einzelnen Frequenzbereichen können stufenlos von „harten“ 48 db/oct bis zu „weichen“
6 db/oct gewählt werden. Wie immer bei FabFilter sind die Mapping-Möglichkeiten für alle denkbaren
MIDI-Controller denkbar einfach. Und mit dem „Dynamic Phase Processing“ werden die Einflüsse auf
die Frequenzen, die man vom Multiband-Prozessieren kennt, ohne die nervende Latenz oder das sogenannte
„Pre-Ringing“ möglich.
Wer bis dato das Vergnügen hatte, mit iZotope-Produkten zu arbeiten und die Art
von Musik macht, die von Effekten profitiert, der wird über den neuesten Streich
„BreakTweaker“ sicherlich mehr als erfreut sein. Hier wird versucht, den Brückenschlag
zwischen Effekten, Beat-Sequencing und Drum-Bearbeitung zu erreichen. Mit
dem Synth Generator erstellte Drumsounds können über den Sequencer in den Mix/
Song eingebunden werden, und die Micro-Edit-Engine kommt danach ins Spiel, um
die programmierten Drums noch dynamischer wirken zu lassen. Der Generator bietet
die Möglichkeit, im Sinne eines Wavetable-Synthesizers ohne großen Aufwand
vollkommen neue Drums entstehen zu lassen. Und schon hier sind die Möglichkeiten
schier unbegrenzt, indem man mit einem Sample beginnt und die Oszillatoren/LFOs/
Effekte ihrer Arbeit nachgehen lässt. Der Sequencer bietet 32 Steps mit bis zu 24 verschiedenen
Patterns. Jede einzelne Spur kann einer eigenen Step-Länge und einem
eigenen Tempo zugewiesen werden, wobei ein Sync mit der Host-Software problemlos
möglich ist. Ebenfalls kann über die Multi-Out-Funktion jede Spur zur weiteren
Bearbeitung separat in die DAW eingeschleift werden. Die mitgelieferte Sound-Bibliothek
kommt gerade zu Beginn mehr als gelegen, um sich schnell einen Überblick über
die unzähligen Möglichkeiten der Bearbeitung zu verschaffen. Zehn Tage kostenloses
Testen ist wie immer möglich.
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iZotope
BreakTweaker
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Eventide
UltraChannel
Im Gegensatz zu den vielen reinen Software-Schmieden, die sich in den letzten Jahren mit
vielen spannenden Produkten ins Gespräch gebracht haben, ist die Firma Eventide Inc. schon
beinahe so etwas wie ein Oldtimer. 1971 gegründet, machten die Amerikaner bald vor allem
mit ihrem legendären Harmonizer „Eventide H910“ von sich reden. Kaum ein großes Studio
mit Geschichte, das nicht mindestens einen Harmonizer von Eventide – gerne auch den etwas
neueren H8000FW – im Rack stecken hat. Erfreulicherweise hat man bei Eventide den Zug ins
Computerzeitalter nicht verpasst. Und so gibt es inzwischen viele Plug-in-Versionen der renommierten
Eventide-Effektgeräte. Aktuell etwa wird der UltraChannel beworben. Noch bis zum
8. Juli dieses Jahres kostenlos herunterzuladen, wird der Channel Strip danach 249 $ kosten.
Erhältlich als AU, VST und AAX für Mac und PC bietet der UltraChannel alles, was man von
einem guten Kanalzug erwartet. Fünf-Band-EQ, zwei Kompressoren, Limiter, Gate, Stereo Delays
(vom H8000!) sowie einige Dynamik-Prozessoren. Eine Übertrager-Emulation soll zudem dafür
sorgen, dass man etwa die tiefen Frequenzbereiche des Signals mit Obertönen anreichern und
es so anwärmen kann, ohne dass die Transparenz all zu arg beeinträchtigt wird. Dazu kommen
eine Transformer-Emulation und noch einige andere spannende Features. Wer nicht lange
schrauben möchte, kann auf die Factory Presets zurückgreifen, die anderen legen selbst Hand
an. Der Sound wird es einem danken.
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 71
Text: Torben Bowm
BITWIG
Fotos: Bitwig
STUDIO
Ein schlankes Programm mit viel Raum
für den Ressourcen-Hunger von Plug-ins
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72 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Der hart umkämpfte Markt der DAWs wird
bekanntlich von ein paar wenigen Platzhirschen
besetzt. Jedoch kommen immer
mal wieder vermeintlich kleinere Firmen um die
Ecke, die versuchen, mit innovativen Ideen und
Konzepten ihren Teil vom Kuchen für sich zu sichern.
Wie es öfter mal mit innovativen Ideen und Konzepten
ist, braucht es eine gewisse Eingewöhnungsphase.
Dann und wann aber, und das ist hier
der Fall, offenbart sich jedoch, dass, neben dem
obligatorischen Anspruch, einen guten Sound zu
liefern, eben jene innovativen Ideen und Konzepte
auch Verbesserungen im Workflow mit sich bringen
können.
So ist der Berliner Software-Schmiede Bitwig mit
„Bitwig Studio“ eine Cross-Platform-Lösung (Windows/OS
X/Linux) gelungen, die nicht nur schon
länger angekündigt war, sondern die auch viele
Leute aufhorchen ließ. Allein die schon länger angekündigte
„Sandbox“-Funktion kann man hier als
Beweis nehmen, dass sich massiv Gedanken gemacht
wurden, was man mit an den Tisch bringen
möchte. Wer immer mal wieder das Vergnügen
hatte, durch einen Plug-in-Absturz mehrere Stunden
Arbeit zu verlieren, weiß, was ich meine. Ganz
zu schweigen davon, dass Bitwig Studio sowohl
32-Bit- als auch 64-Bit-Plug-ins nebeneinander zu
nutzen im Stande ist.
Für alle, denen Macro Controls ein Begriff sind,
geht Bitwig mit dem „Unified Modulation System“
mindestens einen Schritt weiter. Für einen einzigen
Macro-Knopf kann man problemlos verschiedenen
Parametern gänzlich unabhängige Ranges
zuweisen, sodass der Macro-Knopf über seinen
gesamten Bereich nur den sogenannten „Sweet
Spot“ der verschiedenen hinterlegten Controls
bearbeitet. Dies gilt übrigens sowohl für die mitgelieferten
Effekte als auch für jedes Plug-in, das
man in Bitwig Studio nutzt. Dieser extreme Zugewinn
in Sachen Bedienbarkeit wird aktuell noch
davon getrübt, dass es noch nicht allzu viele von
vornherein angelegte und gemappte Controller
gibt, jedoch ist mit der „Open Controller API“ die
Möglichkeit gegeben, seinen eigenen Controller
den Wünschen entsprechend zugänglich zu machen.
Man darf allerdings davon ausgehen, dass
viele der Controller-Hersteller in absehbarer Zeit
native Unterstützung ermöglichen werden, oder in
der wachsenden User-Community Mappings zur
Verfügung und/oder Veränderung bereitgestellt
werden.
Der Detail-Editor erlaubt die nicht-destruktive
Veränderung von Audioaufnahmen hinsichtlich
des Pitches, Pans, Splits, Reverses oder Re-Arrangierens.
Ebenfalls ist es möglich, über eine Time-
Stretch-Funktion, die auf einem eigenen Algorithmus
basiert, die Dateien zu verändern.
Um den Start in ein neues Projekt mit einem
Sample oder einer kurzen Notenfolge zu vereinfachen,
kann man im „Dynamic Object Inspector“
mehrere MIDI-Noten oder Audiodateien markieren
und gemeinsam über ein Histogramm bearbeiten,
wobei es auch hier gilt, dass die Möglichkeiten der
Bearbeitung ausgelotet werden müssen, da es
eine neue Möglichkeit ist, um Aufnahmen zu bearbeiten.
Die Browser-Funktion zeigt sich ebenfalls sehr
gut aufgestellt mit der Möglichkeit, Samples tempoadaptiert
vorzuhören, verschiedene Metadaten
der Files mit in die Erstellung der Datenbank aufzunehmen
oder nach unterschiedlichen Gesichtspunkten
die Vorauswahl zu treffen, ob man nach
Geräten, Samples, Multi-Samples (quasi Sampler-
Dateien), Musik oder anderen Dateien ordnen
möchte. Die unterstützten Formate sind WAV,
MP3, AAC, WMA, FLAC und OGG VORBIS.
Natürlich gibt Bitwig Studio dem Nutzer die Möglichkeit,
eine unbegrenzte Anzahl an Spuren, sei es
für MIDI- oder Audiodaten, zu erzeugen, ebenso
wie für Effekte. Hier kommt Bitwig Studio zugute,
dass es selbst ein eher schlankes Programm ist
und somit vermeintlich mehr Raum für den Ressourcen-Hunger
von Effekten oder Plug-ins lässt.
Der Multi-Core- und Multi-Prozessor-Support ist
heutzutage natürlich von vornherein zu erwarten,
was allerdings Bitwig Studio eigen ist, scheint zurzeit
die Möglichkeit zu sein, die verschiedenen Ansichten
eines Projekts (Arrange/Mix/Edit) auf bis zu
drei Monitore visuell zu verteilen und miteinander
verlinkt zu bearbeiten. Ebenfalls bietet Bitwig Studio
die Möglichkeit, mehrere Projekte parallel zu
öffnen und alle Files per Drag-and-drop zwischen
Projekten hin und her zu schieben.
Was neben einer Menge an Details, wie sie für
eine neue Software normal sind, ebenfalls mehr
als nur ein wenig Interesse weckt, ist der Ausblick
auf angekündigte, kommende Veränderungen
in den nächsten Versionen der Software. Bitwig
Studio basiert unter der Haube schon auf einem
modularen System, welches in 2.0 für die User
geöffnet wird und ihnen ermöglicht, vollkommen
neue Devices zu erstellen oder sogar bestehende
in ihren Funktionen zu verändern. Wem das zu viel
potenzielle Coderei ist und wer lieber mit ein paar
Freunden Musik machen möchte, wird sich um
die Möglichkeit des „Network Sync“ freuen, wobei
ein Rechner mit Bitwig Studio als Master fungiert
und ein weiterer Rechner, der über das Netzwerk
verbunden ist, das gleiche Projekt in Echtzeit mitbearbeitet.
Hierbei wird der Inhalt des jeweilig gerade
bearbeiteten Projekts immer wieder auf den
neuesten Stand gebracht, vergleichbar mit dem
„syncen“ von Handydaten über Clouds oder der
iCloud-Funktion für Dokumente. Die gleiche Idee,
nur weiter gedacht, ist der Grundstein für das
kommende Online-Collaboration-Feature, bei dem
mehrere Nutzer gleichzeitig über das Internet an
einem einzigen Projekt arbeiten können und Bitwig
Studio dafür sorgt, dass es alles „synced“ abläuft.
Die Zukunft des Gaming hat bereits mit solchen
Möglichkeiten begonnen, die Zukunft des Jammens
könnte mit genannten Features von Bitwig
Studio eingeläutet werden.
Alles in allem sind die Ausstattung und die Möglichkeiten,
die Bitwig Studio in der Version 1.0 bietet,
bereits der Ausblick darauf, was möglich ist,
wenn man gegebene Umstände weiterentwickelt
und sich fragt, wie die Zukunft des DAW-Markts
aussehen könnte, mehr als nur aller Ehren wert.
Hier sind Profis am Werk, die eine lange bestehende
Idee auf eine innovative Art und Weise umgesetzt
haben und zeigen, wie viel Potenzial sie selber
noch sehen in dem Baby, das sich so unscheinbar
Bitwig Studio nennt.
Für einen ersten Eindruck über die Möglichkeiten
sei verwiesen auf: https://www.bitwig.com/en/
bitwig-studio/overview.html B
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 73
PRODUCER SPOTLIGHT
EXILE
Interview: Lukas Ehemann
Fotos: Chelsey Croucher
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Name: Aleksander Manfredi
Age: 37
Residence: Los Angeles
Produced since: 1995
Equipment: MPC2000
Favorite Breaks: „Gangster Boogie“
Favorite Hip-Hop Songs: Arabian
Prince – „She Gotta a Big Posse“, DJ
Battery Brain – „8 Volt Mix“, Maggotron
Crushing Crew – „Fresh Beets“,
Fat Boys – „Jail House Rap“
Favorite Hip-Hop Producers:
Maggotron
Favorite Non Hip-Hop Songs:
Weird Al Yankovic – „Eat It“
Favorite Non Hip-Hop Producers:
Roger Troutman
Latest Productions: Snoop Doog
& Wiz Khalifa – „You Can Put It in
a Zag, But I’mma Put It in a Blunt“,
Dag Savage – „E&J“, Choosey –
„Moon“
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Exile, wie bist du zum Produzieren gekommen?
Wer oder was hat dich dazu gebracht?
Als ich klein war, zeigte mir mein Großvater,
wie man Akkordeon spielt. Das waren meine
ersten Erfahrungen mit Musik. Das Interesse
für Hip-Hop zündete LL Cool J. Dann hörte
ich die Autos die Straßen runterfahren und
aus ihren Boxen dröhnte es: „Boom! Boom!
Boom!“ Ich hatte solchen Sound vorher noch
nie gehört. Dann erfuhr ich, dass das Hip-Hop
war, und so lernte ich Too Short und die 2 Live
Crew kennen. Die 2 Live Crew war für mich
definitiv eine große Inspiration. Als ich in der
sechsten Klasse war, begann es mit diesem
Nasty-Rap, und ich dachte nur „Oh Shit“ und
war angefixt. Ich hörte außerdem Sachen von
Mister Mix, ich liebte seine DJ-Songs und den
Bass in seiner Musik. Ich fing gerade mit dem
Scratchen an, als Rodney-O & Joe Cooley
mit ihren Synthesizer-Scratches ankamen.
74 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Damals war mein Tapedeck die Basis, ein Radio
stand daneben und oben drauf so etwas Ähnliches
wie ein Turntable. Ich hielt den „Tape“-Button gedrückt
und betätigte zudem den „Phono“-Button.
Die Scratches, die dabei entstanden, klangen ungefähr
so: „Ahh ahh ahh ahhhhh.“ So lernte ich
das Scratchen. Ab diesem Zeitpunkt fing ich an,
Tapes zu erstellen, Loops mit zwei Tapedecks und
einem Turntable zu kreieren und ich besorgte mir
eine Vierspur-Maschine. Naja, inspiriert wurde ich
demnach von der 2 Live Crew, Rodney-O & Joe
Cooley, Madlib, J Dilla. Die Inspiration wächst auch
mit neuen Künstlern und meinem immer weiter
wachsenden Musikgeschmack.
Wie würdest du deinen Style beschreiben, und hat
er sich über die Jahre verändert?
Meine Musik ist definitiv raw, aber ich gehe auch
in andere Richtungen. Ich war Teil der Rap-Crew
Emanon, wir produzierten neben dem Raw-Shit
auch Soulful-Shit. Dann fing ich an, meine Musik
professionell im Studio zu produzieren und performte
live mit meiner MPC. Ich experimentierte
viel. So auch auf meinem „Radio“-Album, wo ich
einen Haufen Krams aus dem Radio hier in Los
Angeles sampelte. Von dem puren Rauschen über
die Frequenzgeräusche bis hin zu den Snares und
den Basslines – es war alles dabei. Ich machte
Musik mit Fashawn, recordete zusammen mit Dag
Savage und machte das Album mit Blu. All diese
Rapper, mit denen ich zusammengearbeitet habe,
halfen mir, meinen Sound zu verbessern. Ich liebe
zwar immer noch diesen Raw-Sound und bleibe
ihm treu, aber ich mag es auch, zu experimentieren.
Ich experimentiere live schon mal mit Trap
oder elektronischer Musik, aber ich weiß immer,
was meine Leute hören wollen, und das will ich
ihnen auch bieten.
Wie wichtig ist das Equipment bei deiner Beatproduktion?
Das Equipment ist überhaupt nicht wichtig! Es
kommt nicht darauf an, was du an Geräten hast,
sondern auf das, was du selber drauf hast. Heutzutage
gibt es so viele verschiedene Geräte, doch die
Hauptsache ist, wie du sie bedienst! Es gibt Bands,
die machen den tightesten Shit in ihrer Garage und
wenn du etwas live machst, machst du es live, verstehst
du, was ich meine?
Wie haben sich deine Produktionen im Laufe der
Zeit weiterentwickelt? Gibt es bestimmte Routinen,
die du einhältst, wenn du einen Beat baust?
Alles hat mit diesem Electro-Zeug angefangen und
mit dem exakten Quantisieren von Beats – mal
schneller, mal langsamer. Dann kamen die Drum-
Kits ins Spiel, die Layer, Samples und schlussendlich
die Drum-Breaks, die den Sound noch deutlicher
quantisieren, sodass die Drums richtig hart
klingen. Dann nimmst du die Drums, entfernst
die Quantisierung und erschaffst deine eigenen
Breaks aus diesen Drums und lässt sie organischer
klingen. Das Programmieren ist verrückter geworden,
auch mit dieser Trap-Mucke und dem ganzen
Scheiß. Eigentlich liebe ich Trap auch wegen diesen
Crazy-Ass-Drum-Patterns und dem anderen
verrückten Zeug, was da passiert. Es ist einfach
witzig, wie es jetzt alles dazugehört und wie es in
meine Arbeit mit einfließt. Ich glaube, die Hörer
wollen mehr Live-MPC-Aktion und generell mehr
Musik live hören.
Wie wichtig ist es dir eigentlich, was ein Rapper
oder Sänger auf deinen Beats sagt?
Es ist mir sehr wichtig! Ich bin äußerst empfindlich,
was Worte betrifft. Ein Rapper kann ohne einen
Beat nichts erzählen, von daher finde ich es
nicht verwerflich, wenn ein Produzent seine Ideen
auch mit einbringt.
„Ein Rapper kann ohne
einen Beat nichts erzählen,
von daher finde ich es
nicht verwerflich, wenn
ein Produzent seine Ideen
auch mit einbringt.“
Wie siehst du den Hip-Hop heutzutage?
Ich finde den Hip-Hop zurzeit ziemlich vielfältig.
Die Frage ist, ob er die Anerkennung bekommt,
die er verdient. Diese Frage muss ich leider mit
nein beantworten, denn es gibt eine Menge dopen
Scheiß, den man da draußen finden kann. Es sei
denn, ihr habt ein wackes Ohr, ihr solltet kein wackes
Ohr haben!
Woran arbeitest du gerade? Was kommt Neues
von dir?
Ich habe gerade das Dag-Savage-Album veröffentlicht.
Bei dem „Cult Classic“-Album von Denmark
Vessey & Scud One habe ich ein bisschen
Vorproduktion geleistet. Ich steuerte ein Paar 808s
und Scratches dazu. Zudem habe ich gerade das
Mixtape mit Aloe Blacc von Emanon fertiggestellt.
Aloe Blacc rappt verflucht hart. Mein Homie
Choosey alias Ch zu dem Oosey und ich sind dabei,
unser Mixtape „The Leftfield“ klarzumachen,
und Denmark Vessey arbeitet mit mir an einem
weiteren Tonträger. Blu und ich sind mit dem „Dirty
Science“-Album fertig geworden. Also eigentlich
mache ich mein Ding und lasse die Eier baumeln.
Dingalingaling.
Wenn du heute einen Remix machen dürftest, ob
Hip-Hop oder nicht, welchen Titel würdest du wählen?
Ich würde „Rappin’ Duke“ remixen. Biggie hat eine
Line über „Rappin’ Duke“ in „Juicy“: „Remember
Rappin’ Duke? Duh-ha, duh-ha, you never thought
that Hip-Hop would take it this far.“
Ist Rap in deinen Augen eine eher limitierte Musikrichtung?
Die Leute, die Hip-Hop machen, schränken sich
vielleicht selber ein, denn Hip-Hop kennt eigentlich
keine Grenzen. Du hast im Prinzip die Freiheit, alles
zu machen, und ich bin das beste Beispiel dafür
mit meinem MPC-Krams. Ich höre alles Mögliche.
Ich mag New Wave, Jazz, Folk, House und fucking
Reggae. Es ist gar nicht so leicht, sich für eine Richtung
zu entscheiden, aber wenn ich müsste, würde
ich Folk sagen. Im Grunde genommen ist Folk die
Basis für Hip-Hop. Im Hip-Hop sprichst du über
dein Leben und darüber, wie hart alles ist. Oder
du rappst einfach über fette Bräute. Genauso ist es
in der Folk-Musik, du kannst einen Song darüber
machen, wie dein Leben verläuft, oder du singst
über ein Hühnchen, das die Straße runterläuft. Es
kann witzig oder sogar politisch sein. Du sitzt auf
deiner Veranda und singst, jemand kickt einen Rap
und freestylet die ganze Nacht über Government
Cheese. Ich würde gerade gerne Government
Cheese essen, deshalb an dieser Stelle ein Shoutout
an Government Cheese.
Wir würdest du den Style auf „E&J“, dem aktuellen
Album von dir und Johaz alias Dag Savage, beschreiben?
Es ist Soulful-Hip-Hop, gleichzeitig aber auch
Raw-Hip-Hop. Ich denke, das, was den Sound so
besonders macht, sind die Raps von Johaz und
die Energie, die er reinbringt. Blu ist ein smoother
Rapper und Johaz eher der In-your-Face-Rapper.
Im Prinzip mache ich nur mein Ding mit meinen
Beats, insbesondere auf diesem Album. Es ist traditioneller
Hip-Hop, in dem ich versuche, den passenden
Sound zu Johaz Charakter und seiner Seele
zu kreieren, damit er über sein Leben und seine
Ansichten vom Leben sprechen kann und damit
sein Talent optimal zum Vorschein kommt. So kann
er am Mic ausflippen und seinen Headbanger-Shit
am besten zum Ausdruck bringen. Blu ist der Shit,
aber Johaz könnte einem schlechten Erzähler den
Kopf abbeißen, so wie der verfluchte Ozzy Osbourne.
Gleichzeitig kann er aber auch gefühlvoll wie
eine Katze sein, das macht ihn so besonders.
Was war dein bisher größter Erfolg für dich persönlich?
Mehr als nur ein Album zusammen mit meinen
Freunden recordet zu haben, und zudem noch
erfolgreich gewesen zu sein. Dass wir gemeinsam
aufgetreten sind und die Leute unsere Texte
kannten und mitgerappt haben. Diese Menschen
fröhlich gemacht und inspiriert zu haben, war mein
größter Erfolg. Das war das ultimative Highlight. B
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 75
„Dieses Mal war es so, dass ich
einfach gemacht habe, worauf
ich Bock hatte – und da kamen
eher so Rap-Dinger raus.“
INTERVIEW: NIKO HÜLS
FOTO: DENIS IGNATOV
10 THESEN
MIT: CRO
Einen Aufstieg wie den seinen hatte man im deutschen Rap vorher noch nicht gesehen. Mit seinem zweiten
Album „Melodie“ schickt sich Cro nun an, seine Erfolgsgeschichte weiterzuschreiben. Wir haben zehn Thesen
über den Chimperator-Schützling aufgestellt und ihn mit diesen konfrontiert. Ob er uns widersprochen
oder zugestimmt hat, das könnt ihr hier nun nachlesen.
76 BACKSPIN #115 Sommer 2014
These: Ohne Chimperator wäre Cro nicht da, wo
er jetzt ist.
Stimmt. Aber das geht Hand in Hand. Hätte ich
das Team nicht gehabt, wäre ich nicht da, wo
ich jetzt bin. Hätte das Team mich nicht gehabt,
wüsste ich heute nicht, ob Chimperator einen solchen
Erfolg hätte. Wir sind einfach ein perfektes
Team. Die sind ein bisschen älter, ich bin etwas
jünger, aber trotzdem sind wir alle gefühlt gleich
alt und Kumpels. Das ist mir wichtig. Auch die
Idee, zu einem Major zu gehen, war von Anfang
an raus. Alles, was wir gemacht haben, war, mal
ein paar Angebote einzuholen, um zu checken,
was geht.
These: Cro ist mehr Pop als Rap.
Stimmt nicht! Michael Jackson ist für mich zwar
der König, aber in meinem Herzen schlagen trotzdem
die Souls of Mischief und Biggie. Ich bin
durch und durch ein Rap-Kind. Auf meinem neuen
Album geht es zurück zu meinen Wurzeln, zu
meiner Kindheit 1996. Bei „Raop“ war es so, dass
ich in die Hitkiste greifen und Dinger rauszaubern
musste, die ins Ohr gehen. Dieses Mal war es so,
dass ich einfach gemacht habe, worauf ich Bock
hatte – und da kamen eher so Rap-Dinger raus.
These: Ohne die Maske wäre Carlo ein anderer
Mensch geworden.
Hätte ich die Maske nicht gehabt, könnte das echt
sein. Wenn ich ständig und überall erkannt werden
würde, wäre ich zu Menschen wahrscheinlich
nicht so nett, wie ich es jetzt bin. Weißt du, was ich
meine? Das war echt gut für meine Charakterbildung,
dass ich einfach immer noch der normale
Typ war, der die Maske abnimmt und chillt. Ein
weiterer Punkt ist, dass mir die Maske vielleicht
auch einen Bonus eingebracht hat. Wobei viele
auch meinen, dass es genauso gut ohne die Maske
funktioniert hätte. Die Musik wäre da gewesen
– und alles andere wäre auch cool, aber ich glaube,
die Maske war schon sehr wichtig.
These: „Melodie“ ist ein „Raop 2“.
Das stimmt nicht. Dass man bei einigen Songs
denken kann, die wären für die Mädchen gemacht,
das werde ich wohl nicht mehr wegkriegen. Aber
meine Musik war schon immer so. Vom ersten
Mixtape bis jetzt klingt sie ähnlich. Trotzdem ist es
ist nicht „Raop 2“. Es ist anders. Es ist eben „Melodie“.
Ich bin zwei Jahre älter als bei „Raop“ und
die Beats sind noch ein bisschen cooler.
These: Cro ist zu unpolitisch für seine Stellung in
der Gesellschaft.
Das stimmt. Ich habe auch gar keinen Bock, irgendeine
Moralapostel-Figur zu sein, die irgendwem
seine Meinung aufdrückt. Ich habe meine
Meinung, und ich weiß auch so hier und da Bescheid
über Dinge. Aber ich werde auf jeden Fall
nicht anfangen, Lieder über irgendwas zu schreiben
und Stellung beziehen. Ich bin eher ein Wegbegleiter.
Die Jugend soll machen, was sie will –
und ich begleite sie dabei.
These: „#hangster“ hat Deutschrap verändert.
Deutschrap nicht. Aber dafür wurden ein paar
Freundschaften geschlossen. Vor allem Psaiko
kennt nun jeden. Auf der Party war alles friedlich,
alles cool, und das war schon ein Man-wusste-
nicht-freue-ich-mich-oder-finde-ich-es-komisch-
Moment. Die Bösen und die Schwulen zusammen,
das war auf jeden Fall lustig anzuschauen. Ich finde
auch den ganzen Quatsch mit „Der kann den nicht
leiden“ und Menschen, die irgendwelche bösen
Cover machen, voll beschissen. Hört doch auf mit
dem Scheiß. Macht doch einfach Frieden. Ich meine,
ich häng mit Hafti ab und trink mit ihm Wodka
an dem Abend. Ich verstehe nicht, warum man
sich streitet – ist doch voll beschissen.
These: Cro wird nie erwachsen.
Wäre ich jetzt 80 und würde die Maske aufsetzen,
würde ich genauso aussehen wie heute. Das ist
perfekt! Ich werde nie erwachsen! Nein, ich bin
in den letzten zwei Jahren echt abgecheckter geworden
und bin nicht mehr ganz so verplant. Daher
denke ich, die Themen, die ich aufgreife, sind
schon ein bisschen älter. Die müssten eigentlich
vor zwei Jahren schon passiert sein. Aber ich bin
trotzdem immer noch ein Quatschkopf, der macht,
was er will. Dass ich das neue Album wieder zu
Hause im Keller produziert habe, liegt daran, dass
ich noch keinen neuen Raum habe, in dem ich
mich wohlfühle. Es ist ein bisschen so wie beim
Pinkeln. Wenn man mir zuschaut, geht’s nicht.
Vor allem nicht so auf Knopfdruck. Ich muss einfach
ungestört sein, ich muss wissen, mich hört
niemand und zu Hause ist halt Mum ständig am
arbeiten. Ich habe das Haus ganz für mich alleine,
ich kann aufdrehen bis zum Anschlag – und das
ist richtig gut. Da habe ich alles, was ich momentan
brauche. Das wird sich schon noch ändern, ich
werde wohl raus fürs nächste Ding, mir irgendwo
was aufbauen, ’ne neue Heimat.
These: Mit H&M und McDonald’s verkauft Cro seine
Seele.
Was soll ich dazu sagen. Ich meine, jeder Mensch
mag McDonald’s und der, der McDonald’s nicht
mag, der mag Burger King. Ich finde es überhaupt
nicht schlimm – ich stehe dazu. Und das mit der
H&M-Kollabo war auch für uns sehr hilfreich.
These: Cro ist ein Einzelgänger.
Ein bisschen. Wenn es um Dinge wie Beats geht,
dann mache ich das schon selber und lass da
niemanden ran, außer jetzt gerade Shuko ein
bisschen. Ich kriege eine Million Beats geschickt,
und ich habe, glaube ich, keinen davon gepickt,
obwohl ich den Rechner voll hatte. Ich mache
generell viel selber. Auch die Videos würde ich
am liebsten selber machen, aber so was gebe ich
dann schon noch ab.
These: Wenn die Maske fällt, geht Carlo in Rente.
Andersrum! Bevor die Maske fällt, geht Carlo in
Rente. Sie wird nicht fallen, solange es mich gibt.
In nächster Zeit werde ich die Dinge aber schon
etwas lässiger angehen. Ich werde die anderen
Standbeine weiter ausbauen und vielleicht nebenher
Mucke für andere produzieren. Dabei picke ich
mir dann die Perlen für mein Album raus, das in
zehn Jahren kommt. B
„Wenn ich ständig und
überall erkannt werden
würde, wäre ich zu
Menschen wahrscheinlich
nicht so nett, wie ich es
jetzt bin.“
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 77
DIE LP MEINES LEBENS MIT:
AHZUMJOT
„Eminem war
damals mein
Punk“
Am 22. August erscheint
das neue Album von
Ahzumjot. Wir haben
ihn vorab mal nach
der LP seines Lebens
gefragt, jenem Album,
das ihn am längsten
begleitet und am meisten
beeinflusst hat.
Zwei Alben kamen für
ihn als Antwort infrage.
Für welches er sich
entschieden und gegen
welches es sich bei ihm
durchgesetzt hat, das
erzählt der in Berlin lebende
Hamburger hier.
Interview: Niko Hüls | Fotos: Christopher Voy
Ahzumjot, welches Album ist die LP deines Lebens?
Das ist „The Marshall Mathers LP“ von Eminem.
Das ist das erste Album, das ich gekauft habe. Das
war 2000, da war ich elf. Mein damaliger bester
Freund war großer Eminem-Fan. Der hatte die
„Slim Shady LP“ rauf und runter gepumpt. Irgendwann
kratzte ich dann mein Erspartes zusammen,
um mir wenigstens die „The Real Slim Shady“-
Maxi zu kaufen. An meinem Geburtstag gab
mein Vater mir schließlich 50 Mark und ich bin ins
Schauland in Hamburg gegangen. Dort kaufte ich
mir gleich drei CDs: „The Marshall Mathers LP“,
„The Writing’s on the Wall“ von Destiny’s Child
und „Unleash the Dragon“ von Sisqó, weil ich ein
großer Fan vom „Thong Song“ war. (lacht)
Also nicht einfach drei Rap-Alben?
Nein, meine erste gekaufte Maxi-CD war übrigens
von Pink. Da ist sie aber noch mehr die R&B-
Schiene gefahren, „There You Go“ hieß der Song.
Als ich dann das Eminem-Album in den Händen
hielt, ging ich mega stolz nach Hause, rief meinen
Kumpel an und meinte: „Ey, ich habe die ‚Marshall
Mathers LP‘, lass uns die anhören.“ Dann haben
wir die rauf und runter gehört, bestimmt dreimal
hintereinander. Damals war man noch so richtig
stolz auf eine Platte und hat die monatelang den
ganzen Tag gepumpt. Ich weiß noch genau, wie
geil sie damals mit „Kill You“ anfing. Auf „Bitch
Please II“ sind wir damals auch mega abgefahren.
Und dann kam „Kim“ – wie schockiert wir bei dem
Song waren. Der war schon krass.
War es dieses „Krasse“, was dich an Eminem fasziniert
hat?
Ich glaube, das war einfach die Art, wie er gerappt
hat. Für mich war er einer der ersten, die auch thematisch
richtig krass waren. Wenn man sich auf
„The Real Slim Shady“ anhört, wie er davon erzählt,
wie er zu den MTV Music Awards geht und
gleich neben Carsten Daily und Christina Aguilera
sitzt und die einfach nur beleidigt und bespuckt –
das fand ich lustig, trotz meiner Plattenkäufe von
78 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Sisqó und Destiny’s Child. Auf Dr. Dre kam ich übrigens
erst im Nachhinein. Wir waren große Fans
von „Forget About Dre“. Über den Beat haben wir
früher immer versucht zu rappen – natürlich auf
Englisch, was für einen Elfjährigen dementsprechend
klang. Auf jeden Fall habe ich dann auch
N.W.A, die alten Snoop-Dogg-Sachen, Ice Cube
und den ganzen Kram retrospektiv für mich entdeckt.
Im Gegensatz zu den anderen war Eminem
für mich dann aber doch die ganze Zeit wie eine
Art Schauspieler. Das fand ich interessant. Abgesehen
von den Beastie Boys war er auch so
ziemlich einer der ersten weißen Rapper, die im
Vordergrund standen. Erinnerst du dich an das Interview,
in dem Missy Elliott sagte, dass sie dachte,
er wäre schwarz, nachdem sie ihn das erste
Mal gehört hatte? Für mich war Eminem damals
schon so eine Art Ikone. Der hat diese ganze jugendliche
Wut in sich gehabt, das fand ich inspirierend
– diese Antihaltung. Eminem war damals
irgendwie mein Punk.
Wie viel hast du damals von den Texten verstanden?
Nicht so viel, wie man sollte. Vieles habe ich nachgelesen.
Ich hatte mir die Lyrics besorgt und ging
die mit meinem acht Jahre älteren Bruder durch.
Beim Hören sind natürlich überwiegend Dinge
wie „Kill you“ und „Fuck you“ hängen geblieben.
Man hat verstanden, dass er wütend war. Das
fand ich gut. Dann bekam ich heraus, wieso der
wütend war, und fand das noch geiler. Später, als
ich jedes Wort verstand, hat es das natürlich noch
mal getoppt. Aber wie er gerappt hat und wie es
klang, das war schon damals sehr außergewöhnlich.
Einen so krassen Flow haben viele Rapper
nicht mal heute.
Die „The Marshall Mathers LP“ gilt mit Diamant-
Status als Eminems kommerziell erfolgreichste.
Gleichzeitig hast du ihn als wütend und ernst
wahrgenommen. Meinst du, dass diese beiden
Punkte für den Erfolg des Albums maßgeblich
waren?
Definitiv. Dieses Zusammenspiel von Message
und Wut war sicherlich einer der Gründe. Popmusik
im eigentlichen Sinne ist das Album ja
nicht, es gab nur kleine Gesangspassagen.
Mittlerweile gibt es die ja leider sehr viel mehr.
„Stan“ hat das Ganze auch kommerziell auf ein
sehr hohes Level gebracht. Was Eminem wiederum
inhaltlich gesagt hat, war jedoch nicht
unbedingt fundiert. Er war einfach jung, wütend
und wahrscheinlich komplett auf Droge. Deswegen
konnten sich wohl viele Kids darin wiederfinden.
Hat das Album dir deinen Weg als Rapper gezeigt?
Eminem war der Grund, warum ich mich noch
mehr für Hip-Hop interessiert habe. Natürlich
habe ich vorher schon ein bisschen was von
Nas mitbekommen und auch die Fugees haben
mir gut gefallen. Eminem war aber schnell so
etwas wie meine Ikone. Ich schrieb dann auch
bald meine ersten Texte – auf Englisch. Natürlich
merkte man schnell, dass ich der Sprache
nicht wirklich mächtig war. Mit 14, 15 fing ich
ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ
„Eminem war der Grund,
warum ich mich noch
mehr für Hip-Hop interessiert
habe.“
schließlich an, ernsthaft Texte auf Deutsch zu
schreiben.
Hörst du das Album heute noch? Wie textsicher
bist du, wenn eine der Nummern im Radio
läuft?
Das Album höre ich heute eher selten. Mitrappen
könnte ich aber noch immer sehr viel.
„Criminal“ fand ich damals zum Beispiel sehr
geil, später habe ich den jedoch nicht mehr
so gepumpt. Wenn ich den Song heute höre,
merke ich übrigens, dass ich mir als Kind da einige
Worte falsch ausgemalt hatte. Als du mich
fragtest, welche Platte die LP meines Lebens
ist, habe ich auch überlegt, „Hell Hath No Fury“
von Clipse zu nennen. Das ist so ziemlich eines
meiner Lieblings-Hip-Hop-Alben. Jeder Song
darauf ist krass, die Beats sind bombe. Dieses
Album hat mich also auch sehr beeinflusst. Die
„The Marshall Mathers LP“ hat mich aber vielmehr
als Musikhörer und Mensch geprägt. Meine
Mutter hingegen fand Eminem furchtbar. Für
sie war das keine richtige Musik.
Warst du vom Nachfolger „The MMLP2“ enttäuscht?
Ich fand das furchtbar. Auf dem Weg zu einem
Festival habe ich das einmal durchgehört. Ab
„Encore“ ging es aber sowieso für mich bergab
mit ihm. „Relapse“ fand ich okay, „Recovery“ fand
ich dann schon scheiße. Da ging es dann ja auch
los mit Rihanna-Features und so. Da bin ich ausgestiegen.
Bei „Berzerk“ dachte ich noch: Okay,
der versucht jetzt, noch mal cool zu sein und diese
Beastie-Boys-Schiene zu fahren. Diese Wut kam
für mich aber einfach nicht mehr authentisch rüber.
Danach kam „Rap God“: Das ist ja wohl der
schlimmste Rap-Beat aller Zeiten. Da dachte ich
mir: Das kann doch nicht dein Ernst sein! Wobei
er für mich schon immer nicht den glücklichsten
Beat-Geschmack hatte.
Wenn man als Künstler einmal so ein Holy-Grail-
Album gemacht hat, wird es anschließend erst
mal sehr schwer, oder wie stellst du dir das vor?
Das Los hat er sich ja selbst gegeben. Ist „The
Marshall Mathers LP“ nicht sogar das erfolgreichste
Hip-Hop-Album aller Zeiten? Wie kann
man danach dann so ein Album machen? Das
ist wohl dieses Alte-Herren-wollen-es-noch-malwissen-Phänomen.
Warum treten Leute nicht einfach
ab, wenn es am besten ist? Wobei bei „The
MMLP2“ die Enttäuschung nicht so riesig war, ich
hatte Eminem sowieso schon lange nicht mehr
so gehört wie früher. Meine weiße Mutter hat damals
ausschließlich schwarze Musik gehört, mein
schwarzer Vater hingegen nur weiße. Sie hat ihm
damals Michael Jackson, Bob Marley und Prince
eingeimpft. Zu mir hat sie dann immer gesagt:
„Der rappt wie ein Weißer. Das kann man sich ja
nicht anhören.“ Meine Mutter hatte also mehr Ahnung
als Missy Elliott. (lacht)
Wie viel steckt von „The Marshall Mathers LP“ in
deinem kommenden Album?
Da ich Texte auf Emotionen basierend schreibe,
schwingt auf meinem Album bestimmt etwas von
dieser Wut mit, wenn auch eher unterbewusst.
Das sieht man ja schon an dem Albumtitel: „Nix
mehr egal“. Ich bin halt jetzt an einen Punkt geraten,
an dem ich Dinge selbst in die Hand nehmen
und entscheiden will. Das Album geht auch mit
einem Song los, der „Wann bin ich dran?“ heißt.
Da stelle ich mir die essenzielle Frage des Albums.
Das zieht sich sozusagen durch die gesamte LP.
Dieses „Jetzt bin ich am Zug“ ist quasi die „Wut“,
die mich schon durch Eminem geprägt hat. B
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 79
Selektion und Transformation
DJ SCIENTIST
über den kulturellen Kontext von Hip-Hop
Hip-Hop hat für jeden eine andere Bedeutung, und jeder hat auch seine eigene Art, sich auszudrücken.
Hip-Hop ist inzwischen Popkultur, schreibt die Geschichte von Disco fort. Damit
wächst Protagonisten wie dem Wahlberliner DJ Scientist die Aufgabe zu, Hip-Hop in seinen
Ursprüngen zu erforschen und an die Oberfläche zu tragen. Erhobene Zeigefinger mit Hinweis
auf die vier Elemente kommen bei Scientist gar nicht gut an. Er hat ein eigenes und durchaus
ernstes Verständnis von Hip-Hop. Dieses wollten wir ergründen.
Interview: Sascha Weigelt | Fotos: Marie Chatard
Scientist, wo hast du Hip-Hop getroffen?
Die erste Hip-Hop-Musik, an die ich mich erinnern
kann, ist „Hey You“ von der Rock Steady Crew. Ich
hörte das Lied im Radio und bekam es nicht mehr
aus dem Kopf. Das ist vielleicht das erste Lied, an
das ich mich überhaupt erinnern kann. Später verstärkte
sich mein Interesse für Hip-Hop, auch dadurch,
dass er viel in Skate-Videos gespielt wurde.
Mit der Hip-Hop-Kultur und damaligen Szene hatte
das erst mal nicht viel zu tun, außer, dass viele
Münchner Skater wie Jamie Luca alias Jamerson
von Feinkost Paranoia später auch im Hip-Hop
aktiv wurden. Später war es mir wichtig, besondere
und seltene Musik zu haben, denn ich wollte
anders sein als die anderen. Als ich meine ersten
Platten kaufte, habe ich übrigens im Laden nicht
gecheckt, wie der Technics 1210 anging. Dann
setzte ich mir in den Kopf, DJ zu werden, und als
ich mir den Gemini Scratchmaster leisten konnte,
war ich täglich am üben.
Wie wichtig war die Begegnung mit Katmando,
auf dessen Label Masters On Broadway du „Mad
Science“ veröffentlicht hast?
Katmando schaute mir beim Auflegen zu, und wir
hatten gemeinsame Abende im Atomic Café. Mein
Mix erschien zusammen mit Tapes von DJ Static
und Mr. Burnz. Ich bin Katmando dankbar, dass ich
es bei ihm veröffentlichen durfte. Die „Mad Science
Breaks“ kamen dann auf Breakz’R Uz, und ich
entwickelte mich zu abstraktem, düsterem Instrumental-Hip-Hop.
Später legte ich mit Katmando
wieder im Atomic Café auf, und es lief ein kleiner
Konkurrenzkampf, wer die geilsten Platten hat.
80 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Konnten sich deine Sets von Katmandos abheben?
Nein, jeder von uns hatte seinen eigenen Stil. Ich
vermischte Funk und Soul auch viel mit Hip-Hop.
Ich sammelte Electro und Old School, wodurch
Ivan und Klemens von Rap History aus Zürich auf
mich zukamen. Mit Misanthrop habe ich die Rap-
History-Datenbank entworfen, als es auf Discogs
kaum Hip-Hop gab und Freddy Freshs Buch noch
neu war.
Was motivierte dich, diese weltweit einmalige
Rap-History-Liste zu erstellen?
Wer Hip-Hop chronologisch betrachtet, der versteht,
weshalb Titel zu Klassikern wurden. Sie
waren ihrer Zeit voraus, so wie „Planet Rock“ oder
„Sucker MC’s“. Außerdem wollte ich neue Titel
entdecken, weil zu viel Gutes unbekannt blieb. Die
Grundarbeit zur Rap History kam von Ivan und Klemens.
Wir haben sie in Berlin nur vervollständigt.
Wann hast du Instrumental-Hip-Hop für dich entdeckt?
„Royalties Overdue“ mit DJ Krush erschien auf Mo’
Wax, DJ Shadows „In/Flux“ lief im Radio – so wie
vieles von Mo’ Wax in den 411-Skate-Magazin-Videos.
Turntablism und der frühe Instrumental-Hip-
Hop, Trip-Hop oder „Headz“ fanden sich in meinen
ersten Produktionen wieder. Für das Album mit
Ceschi hatte ich wesentlich mehr Einflüsse, und
hierauf hört man meinen eigenen Stil, denke ich.
Womit legitimieren sich deine Produktionen als
Hip-Hop?
Als Kool DJ Herc auf zwei Plattenspielern die
Breaks wiederholte, war das eine Vorstufe des
Sampling. Die ersten erschwinglichen Sampler
läuteten Mitte der Achtziger das goldene Zeitalter
des Hip-Hop ein. Sie brachten die Musik zu ihrem
Ursprung, indem alte Block-Party-Breaks wie
„Apache“ oder „Funky Drummer“ neu arrangiert
wurden. Vorher war das technisch gar nicht möglich.
Hip-Hop ist, wie der Name sagt, ein „Hop“,
eine Veranstaltung, die zum Tanzen einlädt. Meine
Musik ist melancholisch, nicht für Clubs gemacht,
aber sie basiert genauso auf Breakbeats. Eigentlich
ist doch alles nach Herc, Bam und Flash abstrakter
Hip-Hop.
Was bedeutet Hip-Hop also für dich?
Hip-Hop ist eine kulturell geprägte Sichtweise, und
damit auch eine bestimmte Herangehensweise.
Ich habe letztes Jahr einen Mix für Ninja Tune mit
sowjetischer Musik aus den Siebzigern gemacht.
Das war für mich purer Hip-Hop. Ich suche das
Beste heraus und transformiere es. Hip-Hop ist für
mich Selektion und anschließende Transformation
in einen neuen Kontext, den kulturellen Kontext
von Hip-Hop. Dieser Kontext ist für jeden anders,
je nachdem, wie man Hip-Hop erlebt, und wie eindringlich
man sich mit ihm beschäftigt. Für mich
war Hip-Hop immer Mut zu Neuem. Bezogen auf
Musik war es das Schaffen von Neuem durch Selektieren.
Du bist in München aufgewachsen, wo einige der
besten Plattensammler der Welt herkommen. Wo
hast du deine Platten gesucht?
Ich war auf Flohmärkten und habe alles gekauft,
was funky aussah. Anfang 2000 stieß ich auf osteuropäische
Musik. Aus Polen und Tschechien
kam guter Jazz, über Amiga der Schlager mit deutschen
Texten, und der Sowjet-Groove auf Melodia.
Ich bin ein Schnäppchenjäger, und Flohmärkte
sind mein Revier. Das hat aber auch den Nachteil,
dass andere gute Sachen an mir vorüberzogen. Ich
war beispielsweise nie darauf aus, mir über Ebay
teure Funk-45s zu besorgen.
Was hat dich nach Berlin verschlagen? Für ein
Münchner Landei war das bestimmt ein Kulturschock!
Hey, ich war kein Landei! Ich habe mich immer als
Stadtkind gefühlt, da ich in München unterwegs
war und dort geboren bin. Berlin hat sich wegen
der günstigen Mieten angeboten. Ich ging dort mit
Equinox Records an den Start und hatte Kontakt zu
Marc Hype, Marcello und DJ V.Raeter. Mittlerweile
schockt es mich, nach München zu kommen. Es ist
hier so sauber!
Weshalb hast du selbst Platten veröffentlicht?
War Equinox ein Stück Unabhängigkeit?
Die Indie-Kultur der Neunziger war meine Welt,
und ich wollte ein Teil von ihr sein. Geld war nicht
so wichtig wie ein cooles Label, das eigene Musik
auf Vinyl veröffentlicht.
Und die unverwechselbare optische Aufmachung
des Labels?
Die konnte ich im Studium für Mediendesign in
diversen Projektphasen entwerfen, und als Konzept
über zehn Jahre beibehalten. Darauf bin ich
stolz!
Stolz kannst du aber auch auf das Dead Magazine
sein …
Ja, das gab es anfangs als limitierte Printauflage
und als PDF zum Download. Die Idee dazu hatte
ich schon länger. Als Audio88 bei Equinox ein
Praktikum für sein Studium machen wollte, habe
ich ihm vorgeschlagen, ein Magazin zu veröffentlichen.
„Dead“ war sein Name! Seit zwei Jahren
steht Dead wieder online und spricht in erster
Linie progressiven Hip-Hop an. Damit füllen wir
eine Nische, ganz im Sinne des Magazins.
Wie kamst du dazu, einen Sowjet-Mix für Ninja
Tune aufzunehmen?
Das lief über Strictly Kev alias DJ Food, der bei
Ninja Tune unter Vertrag steht. Kev hat Equinox
immer unterstützt und mit meinem Künstler
2econd Class Citizen zusammengearbeitet. Also
habe ich ihn gefragt, ob ich einen Mix für die „Solid
Steel Radio Show“ aufnehmen darf. DJ DK,
der eigentliche Organisator, war nicht begeistert
von der Idee mit dem sowjetischen Funk. Bei ihm
lief moderne Musik. Das Ergebnis kam aber so
gut an, dass ich sogar bei der 20-Jahre-Feier der
Show in Berlin zusammen mit DK und Kev auflegen
durfte.
Und was steckte hinter den „Godly Grooves“ von
Arok und dir?
Der erste Teil von „Godly Grooves“ erschien 2009
und war eine Sensation! „Funkvergnügen“ hat
deutschen Funk hierzulande bekannt gemacht,
genauso wie der „Rambazamba“-Mix. Ein zweites
„Funkvergnügen“ wollte ich aber nie machen. Also
haben Arok und ich im deutschen Rare Groove mit
christlichem Hintergrund recherchiert.
Aufgrund der „heiligen“ Scheiben war das bestimmt
nicht leicht …
Ich wollte etwas machen, was es noch nicht gab,
und es gab unterschiedliche Reaktionen auf den
Mix. Die meisten fanden ihn skurril. Wir haben uns
beim Mixen oft selbst kaputtgelacht. Trotzdem sind
wir der Musik immer mit Ernst und Respekt entgegengetreten.
Ein Berliner Radiomoderator, der
den Mix spielte, hätte beinahe seinen Job wegen
„Gotteslästerung“ verloren. Ein christlicher Sender
aus der Schweiz hat den Mix problemlos gespielt.
Die Entscheidung, was man aus dem Mix herausholt,
liegt bei jedem selbst. Wir haben nichts an
den Aussagen der Platten geändert. Das war eine
künstlerische wie wissenschaftliche Herausforderung.
Und, machst du dir Gedanken über deine Zukunft?
Jeder sollte sich Gedanken über die Zukunft machen!
Das bringt Älterwerden mit sich. Genügend
passiert, wofür man kämpfen sollte. Ich möchte
nach der Hektik mit Equinox einfach mal das Leben
genießen. B
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 81
Interview: Frederike Arns
Fotos: Eric Anders
50 FRAGEN
AN MOBB DEEP
„Wir sind schon eher ein altes Ehepaar“
01. Könnt ihr mir ein Adjektiv nennen,
das den jeweils anderen am besten
beschreibt?
Havoc: Fokussiert.
Prodigy: Entschlossen.
02. Euer erster Berührungspunkt mit
Hip-Hop?
ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ
Mein ambitioniertes Ziel war es, 50 Fragen an niemand Geringeres als Mobb Deep zu stellen. Vor dem Konzert in Hamburg trafen wir uns backstage.
Die Zeit für das Interview war viel zu knapp bemessen, aber Prodigy und Havoc gefielen die Fragen, sodass sie sich nach der Show die Zeit
nahmen, das Interview mit mir zu beenden. Natürlich fühlte ich mich wie ein „Shook One“, der noch lange vom „Halfway Crook“ entfernt ist. Umso
erstaunlicher war es für mich, wie klein (bis zu meinem Kinn), aufmerksam, freundlich und gar nicht furchteinflößend P und Hav sind.
ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ
Prodigy: LL Cool J und Run DMC.
Havoc: Kurtis Blow.
03. Ihr habt euch an der New Yorker
High School of Art & Design das erste
Mal getroffen. Was sind eure ersten
Erinnerungen aneinander und wie alt
wart ihr da?
Prodigy: Das war intensiv. Havoc hat
sich auf dem Schulhof geprügelt.
(lacht)
Havoc: Jaja, ich war schon immer ein
ganz Cooler. (lacht) Da müssen wir so
15 oder 16 gewesen sein.
04. Was habt ihr damals voneinander
gedacht, als ihr euch noch nicht so
gut kanntet?
Havoc: P war …, ich suche nach dem
richtigen Wort … Er hatte halt sehr
viel Schmuck. (lacht) Du kannst dir
denken, was er für einer war.
82 BACKSPIN #115 Sommer 2014
Prodigy: Bei ihm dachte ich nur:
Wow! Der hatte es schon immer
drauf mit den Frauen …
05. Eure Beziehung: Liebesaffäre
oder altes Ehepaar?
Prodigy: Ist das nicht das Gleiche?
Havoc: Nein, wir sind schon eher ein
altes Ehepaar. (lachen beide laut und
lang)
06. Was mochtet ihr an eurem vorherigen
Namen „Poetical Prophets“
nicht?
Prodigy: Ich mochte den Namen,
aber er passte einfach nicht so recht
zu uns.
Havoc: Der hat uns nicht richtig beschrieben.
07. Wie definiert ihr dann „Mobb
Deep“, das besser zu euch passt?
Prodigy: Erbarmungslos.
08. Was bedeutet euch eure Crew,
die 12th Street Crew?
Havoc: Das ist unsere Familie. Wir
sind zusammen aufgewachsen und
waren alle auf demselben Hip-Hop-
Film.
09. Prodigy, wie war es für dich, auf
dem Soundtrack von „Boyz n the
Hood“ gefeaturet zu sein?
Prodigy: Das fühlte sich damals wie
ein Lottogewinn an.
10. Havoc, was hat es dir bedeutet,
bei Black Moons „U da Man“ dabei
zu sein?
Havoc: Ich habe mich extrem cool
gefühlt. Black Moon waren damals
einfach die Coolsten.
11. Der Rolling Stone hat euch einst
als „Kriss Kross’ twisted evil twins“
bezeichnet. Stimmt das?
Havoc: Die haben recht! Die Beschreibung
ist gar nicht so unpassend.
(lachen beide laut und lang)
12. Warum habt ihr eine zweite Chance
nach „Juvenile Hell“ bekommen?
Seht ihr das überhaupt als zweite
Chance?
Havoc: Doch, doch, das war wirklich
eine zweite Chance.
Prodigy: Bevor wir diese zweite
Chance bekommen haben, wussten
wir schon, dass wir dazu fähig waren,
ein besseres Spiel zu spielen. Wir
wussten, dass wir noch bessere Musik
machen konnten. Das haben wir
dann ja auch bewiesen.
13. Könnt ihr ein Wort finden, das
euer New York Ende der 80er, Anfang
der 90er am besten beschreibt?
Havoc: Grimy.
14. Was ist New York heute?
Prodigy: Heutzutage ist es der
Schmelztiegel schlechthin.
15. Was bedeutet euch Heimat?
Prodigy: Das ist und bleibt New York.
Dort sind wir geboren und aufgewachsen
… Und wir leben immer
noch dort.
16. Wie wichtig ist euch Familie?
Havoc: Ohne deine Familie bist du
nichts. Du brauchst die familiäre Unterstützung
immer.
17. Was bedeutet euch Loyalität?
Havoc: Das bedeutet alles. Dafür
steht auch „Mobb Deep“. Sonst würde
es uns nicht mehr geben.
18. Und euer persönliches Vorankommen?
Prodigy: Das ist das Allerwichtigste.
Geld ist dabei zwar eine angenehme
Begleiterscheinung, aber das persönliche
Vorankommen ist viel wichtiger.
19. Zurück in die goldene Ära der
90er oder im Hier und Jetzt bleiben?
Prodigy: Ich würde im Hier und Jetzt
bleiben.
Havoc: Es geht doch immer um Weiterentwicklung.
Prodigy: Man kann nicht mehr zurückgehen.
Die 90er sind vorbei, wir
haben diese goldene Zeit doch miterlebt.
Warum sollten wir deswegen
zurückgehen wollen?
20. Welchen Song mögt ihr lieber –
„Shook Ones Pt. I“ oder „Shook Ones
Pt. II“?
Beide: Definitiv „Pt. II“!
21. Havoc, was dachtest du, als du
das Herbie-Hancock-Sample für
„Shook Ones Pt. II“ gefunden hattest?
Hattest du eine Vorahnung, dass dieser
Beat eine große Sache werden
könnte?
Havoc: Es hat sich einfach gut zusammen
mit den anderen Elementen
des Beats angehört. Mir war sofort
bewusst, dass sich das Ding direkt
ins Ohr bohrt.
22. Nun möchte ich euch zu einigen
Weggefährten befragen. Zuallererst
Q-Tip. Wie groß ist sein Einfluss auf
„The Infamous“?
Havoc: Er hatte großen Einfluss auf
das Album. Er kam zu uns ins Studio,
hat sein Wissen hinsichtlich Beatproduktion
und Musikbusiness geteilt. Er
war für uns wie ein offenes Buch.
23. Was habt ihr DJ Premier zu verdanken?
Prodigy: Danke, dass du auf uns aufgepasst
hast!
24. Und Large Professor?
Havoc: An ihn geht ein anderes
großes Dankeschön.
25. Und Matty C, eurem einstigen
A&R von Loud Records?
Prodigy: Ihm sind wir wohl zu allergrößtem
Dank verpflichtet. Er übernimmt
für uns die Vater-Rolle im Musikbusiness.
26. Was habt ihr gedacht, als ihr das
erste Mal Nas’ „Illmatic“ gehört habt?
Prodigy: Es war einfach fantastisch.
„Ich ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ
dachte eine
Zeitlang, dass ich
Michael Jackson
bin. (lacht) Ich
konnte alle möglichen
Moves von
ihm. Ansonsten
habe ich auch
noch Stepptanz
und afrikanische
Tänze gemacht.“
(Prodigy)
ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ
Wir hatten richtig Angst davor.
27. Wie sieht es mit 50 Cent aus, was
verdankt ihr ihm?
Prodigy: Ihm schulden wir so einiges
…
28. Also könnt ihr eure G-Unit-Tattoos
noch leiden?
Prodigy: Ja! Das war ein geschichtsträchtiger
Moment, als wir uns sie
haben stechen lassen. (zeigen jeweils
das G-Unit-Logo auf ihren Handrücken)
29. Seid ihr mit diesen ganzen Jungs
noch in Kontakt? Worüber redet ihr
und was macht ihr, wenn ihr euch
seht?
Prodigy: Ja, sind wir. Natürlich schaffen
wir es nicht besonders oft, uns zu
sehen. Aber wenn wir es schaffen,
dann reden wir über alles Mögliche:
das Business, normalen Alltagskram.
Wir machen dumme Witze, lachen
viel. Manchmal beratschlagen wir
uns auch übers Schreiben von Lyrics
oder Produzieren.
30. Mein 15-jähriger Neffe kennt euch
aus dem Soundtrack von „8 Mile“.
Wie findet ihr das, dass so junge Leute
eure Musik auf diesem Weg kennenlernen?
Havoc: Das ist ein Segen. Wir sind
schon so lange dabei, aber haben
offenbar immer noch Einfluss auf
nachfolgende Generationen.
31. Havoc, hast du Prodigys Buch
gelesen?
Havoc: Ich habe nur einzelne Passagen
gelesen.
32. Was fandest du davon am witzigsten?
Havoc: Die Stelle mit dem Obst-Törtchen.
(lachen beide laut und lang)
Prodigy: Erzähl das jetzt nicht, Hav!
Havoc: Naja, ich erzähle jetzt nur so
viel: Ich hatte halt Besuch von einer
Lady … Du weißt schon!
33. Wir wechseln besser das Thema.
Havoc, dein Vater war DJ. Wie würdest
du ihn als DJ charakterisieren?
Havoc: Das war nur ein Hobby. Er
war jetzt nicht in Clubs oder so, sondern
hat das nur für die Familie und
Freunde gemacht.
34. Er hat dir seine Plattensammlung
vermacht. Was ist da deine Lieblingsplatte?
Havoc: Das war eine riesige Sammlung.
Ich mochte die Scheiben aus
den 60ern und 70ern am liebsten –
Donna Summer, Delfonics und all so
was.
35. Prodigy, du hast Tanzstunden genommen.
Was für welche? Kannst du
den Moonwalk noch?
Prodigy: Ich kann den Moonwalk
auf jeden Fall noch. Aber ich mache
ihn jetzt bestimmt nicht hier auf
dem Tisch vor. (lacht) Du musst mir
glauben, dass ich ihn noch kann. Ich
dachte eine Zeitlang, dass ich Michael
Jackson bin. (lacht) Ich konnte alle
möglichen Moves von ihm. Ansonsten
habe ich auch noch Stepptanz
und afrikanische Tänze gemacht.
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 83
Meine Großmutter hat in ihrer Schule
alles unterrichtet.
36. Apropos deine Großmutter. Wer
ist der echte „Head Nigga in Charge“
– du oder sie?
Prodigy: Auf jeden Fall meine Großmutter.
Ich habe ihr diesen Titel nur
geklaut. Ihre Freunde nannten sie so,
weil sie eine unabhängige, schwarze
Frau war. Sie hatte ihr eigenes Business,
das war in den 50ern und 60ern
noch etwas ganz Besonderes. Die
Nachbarschaft und ihr ganzes Umfeld
respektierten sehr, was sie für
die Community tat. Durch sie hatten
die Kids etwas zu tun. Konzerte, Tanzen
und andere kulturelle Aktivitäten.
Ihre Freunde haben ihr deswegen
den Namen „Head Nigga in Charge“
gegeben. Ich habe das erst gar
nicht verstanden, weil ich noch zu
klein war. Sie erklärte mir dann, dass
rassistische Weiße dunkelhäutige, erfolgreiche
Menschen oft so genannt
haben. Sie hat das dann einfach karikiert.
Ich habe diesen Titel dann übernommen.
Auch, um meine Grandma
zu ehren.
37. Was habt ihr in dem Moment gedacht,
als ihr zuerst hörtet, dass 2Pac
ermordet wurde?
Prodigy: Wir waren traurig und
gleichzeitig erleichtert. Wenn wir uns
getroffen hätten, wäre das ganz verrückt
und gefährlich geworden. Wir
hatten schließlich schlimmen Beef
miteinander.
38. Prodigy, dein erster Gedanke, als
du aus dem Gefängnis herausgekommen
bist?
Prodigy: Ich wollte etwas richtig
ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ
„Matty C sind
wir wohl zu allergrößtem
Dank
verpflichtet. Er
übernimmt für uns
die Vater-Rolle im
Musikbusiness.“
(Prodigy)
ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ
Gutes essen – koreanisches Barbecue.
39. Havoc, hast du dein Passwort bei
Twitter geändert?
Havoc: Das war alles ziemlich fucked
up. Aber shit happens. (beide lachen)
40. Prodigy, was hast du gedacht, als
du den Tweet gelesen hast?
Prodigy: Nichts.
41. Warum habt ihr euer neues Album
wieder „The Infamous Mobb
Deep“ genannt? Das verwirrt ein
bisschen.
Prodigy: Unser zweites Album heißt
ja auch so. Das jetzige Album ist ein
selbstbezogener Verweis darauf –
quasi die Metaebene. Außerdem feiern
wir damit den 20. Geburtstag von
„The Infamous“.
42. Warum habt ihr es über Pledge-
Music finanziert?
Prodigy: Das war einfach ein alternativer
Weg, unsere Musik an die Fans
zu verteilen und mit ihnen zu interagieren.
So etwas ist ja erst in der heutigen
Zeit möglich.
43. Wer sind eure Vorbilder?
Prodigy: Meine Großmutter.
Havoc: Meine Mutter.
44. Euer Lieblingsrapper?
Beide beratschlagen: Wahrscheinlich
Nas. Aber es ist schwer, sich da auf
einen einzigen festzulegen.
45. Euer Lieblingsproduzent?
Prodigy: Definitiv Hav.
Havoc: Danke dir!
46. Kann man für Rap-Musik zu alt
werden?
Prodigy: Auch wenn wir zittern und
am Stock gehen, werden wir das sicher
immer noch machen. Warum
nicht? Die Rolling Stones rocken
auch immer noch. Wir werden das
auch noch mit 70 machen, versprochen!
47. Was wärt ihr geworden, wenn ihr
nicht Mobb Deep wärt?
Prodigy: FBI-Agent.
Havoc: Architekt.
48. Was wollt ihr in der Zukunft noch
erreichen?
Prodigy: Mehr Erfolg, uns musikalisch
weiterentwickeln, weiter unsere
ganz eigene Marke sein und auf Tour
gehen.
Havoc: Vielleicht auch neue Geschäftsfelder
erschließen …
49. Was macht euch glücklich?
Beide: Das zu tun, was wir tun.
50. Are you still living this ’til the day
you’ll die?
Havoc: Word up!
Prodigy: Ja, das ist unser Oxymoron
des Lebens! B
84 BACKSPIN #115 Sommer 2014
NEUES
ZEIT
ALTER
Die backspin-app - bald erhȧ . ltlich
BACK IN THE DAYS
JVC FORCE
Text: Christian Luda
ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ
ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ
Es ist seit jeher eine beliebte Rap-Routine: Shout-outs an die Viertel der eigenen Stadt. Im Falle von
New York geht es nicht ohne die Bronx, Brooklyn, Queens und wahlweise Harlem oder ganz Manhattan.
Der fünfte Borough Staten Island wurde vor Wu-Tang oft vernachlässigt. Dafür bekam Long
Island bereits früh seine Props – und das zu Recht, denn bemerkenswert viele Künstler, die die Golden
Era entscheidend prägten, stammten nicht aus der Inner City, sondern den östlich von Queens
und Brooklyn gelegenen Vororten wie Brentwood, Wyandanch, Amityville, Uniondale oder Central
Islip. Während Public Enemy, EPMD, De La Soul, Prince Paul und Rakim die Bekanntesten sind, lieferte
eine andere Gruppe die inoffizielle Hymne der Boondocks: die JVC Force mit „Strong Island“.
JVC Force ist ein Akronym für „Justified by Virtue
of Creativity for Obvious Reasons Concerning
Entertainment“ – etwas überflüssig, aber seinerzeit
nicht unüblich, siehe „King Asiatic Nobody’s
Equal“, „Ladies Love Cool James“ oder „Knowledge
Reigns Supreme Over Nearly Everyone“.
Vor allem aber ist die JVC Force ein talentiertes
Trio bestehend aus den MCs B-Luv (William Taylor)
und AJ Rok (AJ Woodson) sowie dem DJ
und Produzenten Curt Cazal (Curtis Small). Die
drei Freunde aus Central Islip wachsen Ende
der Siebzigerjahre nur jeweils einen Block voneinander
entfernt auf. Beeinflusst von den ersten
Hip-Hop-Gruppen, insbesondere den Cold Crush
Brothers, starten Curt und B-Luv im Grundschulalter
ihre ersten Rap-Versuche und bedienen sich
dabei der Plattensammlung von B-Luvs Vater. In
der Highschool stößt AJ dazu, und es entstehen
86 BACKSPIN #115 Sommer 2014
die ersten Demos. Der Song „Nu Skool“ landet
schließlich auf dem Schreibtisch von B-Boy Records.
Das kleine Label aus der Bronx, das von
zwei dubiosen Geschäftsmännern geführt wird
und gerade mit „Criminal Minded“ von Boogie
Down Productions das Album der Stunde am
Start hat, bietet ihnen kurzerhand einen Deal an.
Als geplante B-Seite von „Nu Skool“ entsteht
„Strong Island“. Der Song mit dem eingängigen
Riff-Sample, das wie die Drums vom Freda-Payne-Album
„Band of Gold“ stammt, sowie ein triumphales
Chuck-D-Vocal-Sample aus „Rebel Without
a Pause“ machen „Strong Island“ zu einem
der größten Rap-Hits des Jahres und einem Klassiker,
den bis heute jeder Hip-Hop-Head kennt
beziehungsweise kennen sollte.
Die Single – nun mit „Nu Skool“ auf der B-Seite
– erscheint 1987 und macht JVC Force nach
B.D.P. zum meistbeachteten B-Boy-Act. Auch in
der europäischen Szene schlägt der Song ein.
Auf dem Kölner Label Rhythm Attack Productions
erscheint der „Blue Mix“, der danach in
den USA als B-Seite der zweiten Single „Take It
mit dem Hip-House-Track „It’s a Force Thing“ auf
der B-Seite als einzige Single erscheint, sind auf
dem Album eine Reihe großartiger Songs wie
„Tear the Show Up“, „A Musical Sample“ und „Trivial
Pursuit“ versteckt.
In der Folge gelingt es der Gruppe, das wenig
hilfreiche Label zu verlassen und beim Atlantic-
Unterlabel Big Beat anzuheuern. Hier kommt 1992
die starke Single „Big Trax“/„6 Feet Back on the
Map“ heraus. Die A-Seite basiert auf jenem De-
Barge-Sample, das später in „MVP“ von Big L und
Biggies „One More Chance“-Remix zu hören ist.
Während der Aufnahmen für ein drittes Album,
bei dem Stretch Armstrong als A&R fungiert, entscheiden
sich die drei – desillusioniert vom Musikgeschäft
–, die Karriere als Gruppe zu beenden.
B-Luv gründet später eine Veranstaltungsfirma in
Atlanta und tritt vereinzelt als Produzent in Erscheinung,
etwa 1998 bei der Single „War“ von Yankee
B. AJ Rok schreibt als Musikjournalist für Publikationen
wie On The Go, The Source, Vibe sowie
The Village Voice und veröffentlicht 2009 das Buch
„Spiritual Minded“.
Curt Cazal seinen Zweitwohnsitz in die legendären
D&D Studios, wo u. a. auch DJ Premier und Da
Beatminerz Hip-Hop-Geschichte schreiben. Ende
der Neunziger entsteht das Label D&D Records,
wo neben zwei QNC-Singles Alben von Afu-Ra,
Krumbsnatcha und Craig G erscheinen, auf denen
Beats von Curt Cazal zu hören sind. Außerdem
produziert er den Possetrack „Ghetto Like D&D“
sowie „Foundation“ vom vierten M.O.P.-Album
und mit „And So“ eines der Highlights vom Boot-
Camp-Clik-Album „The Chosen Few“. Auch D-
Flame sichert sich 2000 für sein Debütalbum einen
Beat des New Yorkers.
Nach dem Ende von D&D veröffentlichen Q-Ball &
Curt Cazal 2005 auf Grand Central, dem Label des
britischen DJs Mark Rae, ihr einziges Album „Duo
Dynamic“ mit Features von Camp Lo und M.O.P.
Das Liebhaber-Label Chopped Herring sorgt
schließlich dafür, dass die verschollen geglaubten
Songs des dritten JVC-Force-Albums 20 Jahre
nach ihrer Entstehung auf Vinyl gepresst werden:
2012 erscheint „The 1992 – 1993 Unreleased
EP“ mit fünf, und im Jahr darauf eine weitere EP
Die Single – nun mit „Nu
Skool“ auf der B-Seite
– erscheint 1987 und
macht JVC Force nach
B.D.P. zum meistbeachteten
B-Boy-Act
Away“ veröffentlicht wird. Außerdem fertigt Future
Rock den Remix „Strong Island ’89“ an – zu
finden auf der Compilation „New School“.
Im Gegensatz zu den meisten ihrer Labelkollegen
bekommen JVC Force die Chance, ein Album
aufzunehmen. „Doin’ Damage“ entsteht in
Eigenregie sowie ohne A&R und erscheint 1988.
Neben den Singles bietet das Werk Highlights wie
„Stylin’ Lyrics“, „The Force Is the Boss“ und den
DJ-Track „The Move“. Nach dem Tod von Scott
La Rock und KRS-Ones Weggang zu Jive Records
sehen auch JVC Force keine Zukunft mehr bei
B-Boy Records. Das Trio findet beim Warlock-Unterlabel
Idlers, das kurz davor die Jungle Brothers
an Warner verloren hatte, eine neue Labelheimat.
Hier erscheint 1990 das zweite Album „Force
Field“, das nie die Aufmerksamkeit des Debüts erfährt,
aber mindestens genauso gut ist. Während
kurioserweise das Intro „Introduction 2 Dance“
Curt Cazal macht unterdesswen weiter. Bereits
seit den Aufnahmen zu „Doin’ Damage“ sind die
legendären North Shore Studios von EPMD-Toningenieur
Charlie Marotta sein zweites Zuhause. Hier
nimmt er Demos für junge Talente aus Central Islip
auf, darunter spätere Stars wie K-Solo und Keith
Murray. Letzterer veröffentlicht 1992 als Keefy
Keef seine von Curt Cazal produzierte und heute
bei Sammlern hoch im Kurs stehende Debütsingle
„Cause I’m Keefy Keef“, um kurz darauf Teil der Def
Squad um Erick Sermon zu werden.
Eine andere Zusammenarbeit erweist sich dahingegen
als langfristiger: In dem alten Highschool-
Kollegen Q-Ball findet Curt Cazal, der nun auch
selbst zum Mic greift, einen neuen Rap-Partner. Auf
dem eigens gegründeten Label VZQ Records veröffentlicht
das Duo 1994 die EP „Makin’ Moves“. In
den Folgejahren erscheinen einige weitere Singles
von Q-Ball & Curt Cazal alias QNC. 1996 verlagert
mit nochmals vier Songs vom Big-Beat-Album.
2013 bringt das Label zudem EPs mit unveröffentlichtem
Material von QNC und Keefy Keef heraus.
Alle vier Releases untermauern: The Force
is the Boss and the Island is Strong!B
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 87
ALBUM DER AUSGABE
Cro „Melodie“ Album, CD, LP, Digital – Chimperator
ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ
Protokoll: Niels Wendt
Ein Montagnachmittag in der Redaktion. Tim,
Martin und Dennis sitzen vor Nikos Schreibtisch
und warten darauf, dass er Cros neues
Album anschmeißt.
Niko: „Das letzte Album ist zwei Jahre her. Wie
geht’s euch mit Cro?“ Dennis: „Ich habe über Cro
gestaunt. Ein junger Typ, der ohne große Hilfe von
außen so gut funktionierende Popsongs macht –
das hat mich beeindruckt.“ Niko: „Ich glaube, es
ist sehr schwer, Tracks wie zum Beispiel ‚Easy‘ zu
schreiben. Das wird oft unterschätzt.“ Tim: „Ich
war überrascht, dass ‚Easy‘ so eingeschlagen ist.
Das habe ich überhaupt nicht erwartet, weil ich
den Text ziemlich banal finde und der Beat auch
nicht besonders großartig ist. Bei ‚Einmal um die
Welt‘ habe ich das wiederum sehr gut verstanden.
So etwas funktioniert super im Radio. Und jetzt bin
ich gespannt, was auf ‚Melodie‘ geht.“ Niko: „Bemängelt
wurde ja immer, dass ‚Raop‘ zu poppig
war. Jetzt hat Cro verlauten lassen, dass die neue
Scheibe Rap-lastiger sein soll. Könnt ihr euch das
vorstellen? Glaubt ihr, dass er euch überraschen
kann?“ Dennis: „Warum nicht?“ Martin: „Aber
ich glaube nicht, dass die Platte noch mal Platin
erreicht.“ Niko: „Der Hype um den Jungen ist so
groß, dass die Platte sogar noch mehr durchschlagen
könnte als die davor.“ Dennis: „MTV und Viva
zeigen diese Woche ein und dasselbe Video von
Cro zwei Stunden am Stück in Dauerschleife. Das
habe ich bisher noch nicht erlebt.“
Es geht los: „I Can Feel It (Intro)“. Dennis: „Das
ist ein schöner Opener. Klingt nach dem typischen
Intro von Typen, die gerade erfolgreich geworden
sind. Allein die Stimme scheint mir einen Tick zu
leise zu sein.“ Tim: „Ein heroisches Intro mit einer
Ansage, die er sich auf jeden Fall erlauben kann.“
Der zweite Song: „Meine Gang (Bang Bang)“
feat. DaJuan. Dennis: „Der Gesamteindruck passt
schon, aber mir gefallen die vielen Anglizismen
nicht, die mir obendrein etwas zu spackig betont
werden. Und dann wirkt der Beat auch zu wenig
ausdefiniert. Da wäre für mich mehr drin gewe-
88 BACKSPIN #115 Sommer 2014
sen.“ Niko: „Aber gerade das macht seinen Sound
aus.“ Martin: „Er zitiert da Big Sean, das finde ich
korrekt. Da macht ein Rapper aus Deutschland, der
eigentlich schon ein Popstar ist, eine Hommage an
einen Rapper aus dem Untergrund. Sympathisch.
Am Anfang hatte ich den Eindruck, der Song würde
Rap-lastiger werden, am Ende wird aber auch
wieder viel gesungen.“ Tim: „Das harte Drumset
lässt es mehr nach Hip-Hop klingen. Das rumst unten
rum schon ganz gut.“
Es geht weiter mit Song #3: „Erinnerung“. Dennis:
„Der klingt viel besser als die beiden Lieder
davor. Die Stimme kann man gut verstehen und
auch der Sound ist viel sauberer. Seine Stimme ist
prädestiniert für solche Refrains.“ Niko: „Ich mag
den gerne. Aber ich bin auch sehr empfänglich
für diese Kopfnicker-Automucke, die dich über die
Autobahn bringt.“ Tim: „Alle Beats klingen bislang
eher weniger modern. Gerade dieser hätte genauso
gut auf einer 2000er-Platte drauf sein können.
Die Hook finde ich auch stark.“
Es folgt: „Traum“. Tim: „Der Track kommt zur
richtigen Jahreszeit: ein Sommerhit, der bei jedem
Radiosender laufen kann und wahrscheinlich auf
der Pop-Formel von Volkmar Kramarz basiert. Der
knüpft auch am ehesten an die letzten Hits von
ihm an.“ Martin: „Ich habe den Track über iTunes
gekauft und so zum Chart-Erfolg beigetragen.“
(Gelächter) Dennis: „Dieses Unprofessionelle,
über das wir schon gesprochen haben, kommt
bei diesem Stück besonders zur Geltung, weil es
den meisten Pop-Appeal hat. Aber vom Sound
her wäre für mich wieder viel mehr drin gewesen.
Gefallen tut mir der Song allerdings nicht wirklich.“
Weiter geht es mit Song #5: „Bad Chick“. Dennis:
„Oh, hat er da ‚What’s the Difference‘ nicht aus
seinen Ohren gekriegt, oder ist das Absicht? Wenigstens
versucht er, einen mit seinen Vocals auf
eine andere Fährte zu locken. Aber so einen Beat
sollte man nicht auf so einem Album haben, das
lässt ein Geschmäckle aufkommen.“ Tim: „Auf der
anderen Seite finde ich das aber auch interessant.
So nach dem Motto: Hier hast du das Sample, mal
schauen, was du draus machst. Inhaltlich hat der
Song ja mit ‚What’s the Difference‘ nichts zu tun.“
Niko: „Ich finde den Song nicht gut und denke
auch, dass diese Anlehnung gar nicht nötig gewesen
wäre.“ Tim: „Na ja, Eko hat doch auch ‚I Got
5 on It‘ und ‚Off the Books‘ gecovert.“ Dennis: Ja,
gecovert.“
Es folgt „Never Cro Up“. Dennis: „Die einen nennen
es inspirieren, die anderen biten … Kriegen
Jay Z und Mark – The 45 King eigentlich Credits
hierfür? Mal ehrlich: Eben diese Dre-Anleihe und
nun das hier? Wenn man dann noch ein paar der
Ähnlichkeiten von ein, zwei älteren Cro-Songs
mit Songs von Dritten im Kopf hat, könnte man ja
schon beinahe von Methode sprechen.“ Martin:
„Mehr kann man hierzu nicht sagen. Außer: Das
Wortspiel in der Hook finde ich ganz witzig.“ Tim:
„Wenn man den Original-Rap-Song kennt, fühlt
man sich schon etwas abgelenkt. Mich erinnert der
Song auch irgendwie an Deine Freunde – das ist
Musik für Kinder. Dennoch finde ich, dass man 16
Jahre nach ‚Hard Knock Life‘ dieses Sample ruhig
mal wieder auspacken kann.“ Dennis: „Das Sample
noch mal auspacken – gut, aber nicht noch einmal
einen so ähnlichen daraus Song machen. Das hier
wirkt auf mich schon ziemlich Coverversion-mäßig.
Dazu kommt, dass ‚Hard Knock Life‘, glaube
ich, der erfolgreichste Jay-Z-Song in Deutschland
war. Man könnte glatt Kalkül unterstellen.“ Niko:
„Ich will das auch nicht gutheißen, aber der Ansatz
ist heute ein anderer. Diese Diskussion führen
doch nur die älteren Generationen. Es gibt genug
Songs da draußen, die eins zu eins übernommen
wurden.“ Dennis: „Ja, aber noch mal: Einen Loop
von zum Beispiel einer Soul-Platte zu nehmen, ist
doch etwas anderes!“ Tim: „K.I.Z. haben für ihren
Song ‚Fleisch‘ ‚Meat‘ von Brotha Lynch Hung eins
zu eins übernommen. Aber vielleicht will Cro mit
so was auch einfach seinen angestrebten Status
vermitteln. Trotzdem habe ich kein so großes
Problem damit. Erfolgreich gesampelte Tracks
sind doch nicht automatisch für immer blockiert.“
Dennis: „Würde man erkennen, dass es das gleiche
Sample, der Song aber doch anders ist, fände
ich das okay. Aber das hier ist für mich einfach
ein krasser Bite.“ (Die Diskussion geht noch einige
Zeit, erst dann wird der nächste Song gestartet)
Weiter geht es mit „2006“. Tim: „Mir gefällt der
Beat. Wahnsinnig oft würde ich den jetzt aber nicht
hören. Das ist ein bisschen so, als würde man ein
Interview von ihm lesen.“
Es folgt: „Cop Love“. Martin: „Die Line ‚Ich frag’
nach ihrer Nummer und sie sagt: 110‘ finde ich
ganz lustig.“ Dennis: „Was ich an dem Album bisher
trotz dieser Biterei cool finde: Cro versucht
nicht, den aktuellen musikalischen Trends zu folgen.
Dazu muss man einfach immer wieder feststellen:
Die Stimme passt perfekt zu dem, was er
macht.“ Niko: „Das Rap-Lastige können wir ihm
auf jeden Fall zusprechen.“
Und Song #9: „Hey Girl“. Tim: „Das ist halt so
ein Song, den man im Radio hört und eigentlich
hasst, dann aber mitsummen muss. Der funktioniert
einwandfrei.“ Niko: „Jede Nummer davon
kann im Radio laufen. Das zieht sich durchs gesamte
Album, außer bei ‚Cop Love‘.“
„Rennen“. Tim: „Da bin ich irgendwie bei Devin
the Dude und Rap-A-Lot angekommen. Ein bisschen
wie Mike Dean früher.“ Dennis: „Musikalisch
finde ich den eher schwach. Inhaltlich ist der Track
allerdings ganz cool, weil er das Hängertum dieser
Generation erklärt.“ Tim: „Ich bin da auch gerade
voll drin. 13 Uhr aus der Schule nach Hause kommen,
sich aufs Bett werfen und gucken, was es zu
essen gibt. Ich kann das schon gut nachempfinden.“
Jetzt kommt „Vielleicht“. Dennis: „Gefällt mir
ganz gut. Ich finde es immer mutig, ganz langsame
und ruhige Stücke zu machen. Mit dem Refrain zusammen
ergibt das ein gutes Bild für mich.“ Tim:
„Ich glaube, der funktioniert ganz gut, wenn es
draußen schon langsam dunkel wird.“
Weiter geht es mit „Jetzt“. Dennis: „Ich habe sofort
an ‚Kids‘ gedacht.“ Tim: „Ich auch. Vor allem
dieses ‚Jetzt! Jetzt! Jetzt!‘ beziehungsweise ‚Peng!
Peng! Peng!‘.“ Niko: „Als würde Cro die Weisheiten
aus ‚The Manual‘ von The KLF befolgen.
Auch hier denke ich aber, dass der Song diese
Anleihe gar nicht gebraucht hätte.“ Dennis: „Das
habe ich bei Cro nun schon öfter gedacht. Warum
riskiert er das?“
„Wir waren hier II“. Niko: „Diese Nummer weckt
das Pop-Schwein in mir. Das ist so Radiomucke,
die man super hören kann. Die Hook ist auch nicht
so aufdringlich und dominant. Das passt total gut
zu ihm.“ Tim: „Ich finde, der Track ist irgendwie total
missglückt. Ich war gerade ziemlich gelangweilt
von der Thematik. Den Song finde ich auch wirklich
schlecht abgemischt. Der holt mich überhaupt
nicht ab.“
Und nun der Titelsong „Melodie“. Dennis: „Das
Ding entlockt mir keine Reaktion.“ Tim: „Der ist
aber definitiv besser als der davor. Thematisch
wird mir das auf die Dauer aber alles etwas zu
lame.“ Martin: „Das stellt er ja aber auch irgendwie
da. Er ist der Mensch mit der glücklichsten Situation
von allen.“
Niko: „Und, wie fandet ihr die Platte?“ Dennis:
„Ich frage mich, wieso dieser Cro sich für einige
Sachen so schamlos und wenig kunstvoll an den
Ideen anderer bedient. Das überschattet für mich
die Qualitäten, die Cro ja definitiv hat.“ Tim: „Die
erste Hälfte fand ich ganz cool. Die hatte für mich
eine ganz eigene Note. Die zweite Hälfte hat mich
dann irgendwie runtergezogen. Die Verwirrung
über die Songs, die man direkt mit anderen verbindet,
hat das ganze Teil total schwammig gemacht.“
Niko: „Ist da nach dem zweiten Album nicht noch
genug Platz und Zeit, um diese Schritte zu gehen?
Bei der Kunstform, die er macht, hat er ja trotzdem
noch unheimliches Steigerungspotenzial.“ Dennis:
„Ich würde gerne mal hören, was passiert, wenn
Cro mit den Krauts ’ne Platte macht.“ Martin: „Das
müsste für ihn doch ohne Weiteres möglich sein.
Aber er hat momentan wohl noch diese Egal-Haltung.“
B
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 89
SOUND
CHECK
2.0
DEUTSCH
Kollegah
„King“
Celo & Abdi
„Akupunktur“
Farid Bang
„Killa“
Figub Brazlevič
„Ersatzverkehr“
Afrob
„Push“
Gzuz & Bonez MC
„High & Hungrig“
Samy Deluxe
„Männlich“
90 BACKSPIN #115 Sommer 2014
28
26
21
21
21
20
20
NIKO PHIL RIKE
Unglaublicher Rapper, krasse Lines.
Songs zum Staunen. Zu Recht so
erfolgreich, allerdings musikalisch
zu wenig Experimente.
Die Jungs bleiben ihrer Linie treu.
Das Album ist wieder ein unterhaltsames
Highlight des Jahres.
Sein bisher bestes Album. Vielseitiger,
als es ihm wohl einige Kritiker
zugetraut hätten.
Der Typ ist schon ein echt interessanter
Produzent. Vielseitig und mit
Attitüde - mir gefällt‘s.
Afrob ist ein Urgestein. Das Album
ist nach der Pause das richtige Signal,
allerdings mit Längen. Aber: Er
ist immer noch hungrig.
Straßenrap war selten so entwaffnend
ehrlich wie bei den Jungs. Keine glory,
dafür hungrig.
Technisch stark, aus Songwriter-
Sicht klasse und live bleibt er der
Größte. Ich würde mir nur mal dreckigere
Sounds wünschen.
Wer es schafft, einen solchen Hype
zu kreieren und dann die Erwartungen
einlöst, hat den Titel wohl
verdient.
9 9
Einfach sympathisch und unterhaltsam
erzählte Straßengeschichten –
dazu brachiale Beats!
Kollegah für den kleinen Mann von
der Straße.
Ich kann nachvollziehen, wieso es
ein Teil der Szene hart feiert – mir ist
es zu sehr 1996.
Teilweise richtige Bretter, aber
insgesamt etwas eintönig, die Geschichte.
Ist die echte Version des Klischees
vom Leben auf St. Pauli: roh und
unverstellt.
Klingt leider eher nach einem
Mixtape und ist – vor allem textlich
– etwas uninspiriert. Unter den
Erwartungen, trotzdem über dem
Durchschnitt.
Alles machtvoll – Texte, Beats,
Wortspiele, Pointen, Humor, Planung,
Promo, Marketing, Zielgruppen-Kennen,
Label, Art, Typ, Bizeps,
Rumpsteak. Ein wegwichsendes
Medienphänomen der neuen Zeit.
Beim bosnischen Michelin-Männchen
und niedlichen, marokkanischen
Monchhichi stimmt die
Chemie. Sie finden die besten Worte
für ihre Frankfurter Lebensrealität –
auch für Außenstehende. Unheimlich
sympathisch!
9 8
9
Mit Farid übertöne ich im Fitnessstudio
das Gegrunze der anderen und
mein eigenes zu gerne. Gut, dass
ich bei der Casper-Zeile und Doreen-
Verarsche für Crunches schon auf
dem Boden liege, sonst wäre das
vor Lachen sicher passiert.
7 7 7
Die richtige Obskurität für Leute, die
freitagabends gerne allein auf ihrem
Zimmer-Fußboden liegen, Gin Tonic
trinken und nach dem Sinn des Lebens
suchen, der auch wie ein „Ersatzverkehr“
ist.
7 6 8
Der musikalische Afro-Kamm bohrt
sich wie ein reinigendes Wattestäbchen
ins Ohr. Afrob beruft sich auf
seine altbekannten Stärken – Über-
Beats, kluge Lyrics, verletzliche
Nachdenklichkeit und diese Stimme.
Ziemlich herrlich.
7 5 9
8 6
7
6
Es erstaunt mich immer wieder, wie
sehr sich mein Musikgeschmack
verändert/erweitert hat, seitdem ich
bei der BACKSPIN arbeite. Gehirnwäsche
in Nikos Auto?! Jedenfalls
mag ich das viel mehr als Mädchen-
Rap.
10
Hach, Samy! Bei dir denkt man
immer an die alte Zeit und wird das
Gefühl nicht los, dass du den richtigen
Weg nicht mehr findest. Ich
mag deinen Flow, aber bei einigen
Reimen, Beats und Hooks schaudert
es mir.
6
7
Snaga & Fard
„Talion 2 – La Rabia”
Chakuza, Raf Camora
& Joshimizu
„Zodiak“
Cro
„Melodie“
Sierra Kidd
„Nirgendwer“
Prinz Pi
„Kompass ohne Norden
(Auf Kurs nach
Hause)“
Sonne Ra
„Mula 4 Life“
KC Rebell
„Rebellution“
Olli Banjo
„Dynamit“
20
20
20
19
19
19
19
19
NIKO PHIL RIKE
Kraftvolles Album, das etwas ausstrahlt.
Mir ein wenig zu monoton
auf Dauer. Aber mit kontroversen
Inhalten.
Ein paar richtig starke Nummern,
aber auch ein wenig Längen - leider.
Aber „Bombe“ bleibt 'ne Bombe.
Hit an Hit an Hit. Die Maschine hat
wieder geliefert. Und sogar ein paar
Kopfnicker mit auf dem Album, auch
dank Shuko. Aber über Sampling
sollte man noch mal reden.
Für sein Alter hat er eine beachtliche
Tiefe in den Texten, auch musikalisch
spannend.
Live-Alben sind immer so eine Sache.
Atmosphäre kommt rüber, aber
der Mädchenchor in jedem Song ist
nicht mein Fall.
Für ein paar Songs werde ich auch
zum Mula - aber nicht 4 Life.
Mit Höhen und Tiefen. Echten Hits
und überraschenden Ideen. Konsequent
weiterentwickelt.
Starkes „Comeback“ von Olli B.
nach der Pause. Unbestreitbar ein
guter Rapper und jetzt auch mit
(sehr) guten, stimmigen Beats.
Teilweise sehr provokante, aber
immer hochwertige Lyrics zweier
charismatischer Rapper, gepaart mit
entsprechenden Beats. Check!
6 7
7
Manchmal etwas melodramatisch,
nichtsdestotrotz sehr hörenswert!
Das, was er macht, macht er gut.
Das macht’s für mich nicht besser,
aber okay.
Nicht ganz der Aufschlag, den man
nach „Kopfvilla“ erwartet hat – aber
fast!
Auf jeden Fall ambitioniert wie
immer, aber mir fällt’s schwer,
zuzuhören …
Hat man so noch nicht unbedingt
gehört – daher durchaus interessant
und hörenswert!
Vielseitiger, als man vielleicht erwartet
und mit einem sehr unterhaltsamen
Money-Boy-Diss.
Sowohl musikalisch als auch textlich
der lang erwartete nächste
Schritt!
6
Bemerkenswert ist die in den Rap-
Medien entstandene Kontroverse
über dieses Album. Was will man
mehr? Die Kurzkritik verwehrt mir,
mich angemessen darüber zu äußern.
Fürs Erste: Die Energie catcht
mich.
Ich mag die düster-brachialen Beats,
aber die nachdenkliche Melancholie
in den Texten fühle ich nicht.
Ich kann mit #Jutebeutel-Lebensweisheiten,
#Stimme-Langziehen
und nervigen #Pop-Beats nichts
anfangen. Props gibt’s aber für
das Medienphänomen da aus der
Rothebühlplatz-Zentrale.
8 6 6
Epische Beats an der Schwelle zum
Indie wie Casper, lang gezogene
Vokale wie Cro und nachdenkliche
Lebensweisheiten, die auch bei
WhatsApp reinpassen. Trifft den
hippen Zahn der Zeit, mag ich nicht.
7 7 5
Prinz Pi hat es mir noch nie so angetan.
Aber erstaunlicherweise schafft
er es auf dem Live-Album. Und für
Live-Musik sterbe ich sowieso.
7 5 7
5 6
7
8
5
6
Ruhe, Rast und Entschleunigung –
das Album führt vor Augen, was
wir in der heutigen Zeit wohl am
meisten benötigen. Stellenweise
driftet mir das aber zu sehr in die
musikalische Obskurität ab und
nervt dann.
Er hat einfach unfassbar spannende
Geschichten zu erzählen. Ganz deeper
Shit. Die Beats passen dazu,
aber in der Kombi gerät mir das
manchmal zu pathetisch.
Das Video mit der geilen Uschi in
Venice und Hollywood ist ein kleiner
Geniestreich. Textlich und beattechnisch
ist das aber überhaupt
nicht mein Fall. Da wird auf ganz
merkwürdige Art versucht, Hits zu
kalkulieren.
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 91
7
7
8
7
5
SOUND
CHECK
2.0
D.I.T.C.
„The Remix Project“
Pharrell Williams
„G I R L“
Mobb Deep
„The Infamous Mobb
Deep”
The Roots
„… And Then You
Shoot Your Cousin”
Styles P
„The Phantom and
the Ghost“
YG
„My Krazy Life”
Young Money
„Rise of an Empire”
INT.
92 BACKSPIN #115 Sommer 2014
27
26
25
25
24
24
24
NIKO PHIL RIKE
Einfach ein paar Jahre zu spät -
schon Anfang der 2000er angekündigt
, aber immer noch fresh.
Derber Typ, krasser Musiker und
2013/2014 der Hitmaker auf dem
Planeten. Und dann auch noch so
ein freshes Album. Happy.
Yes! Das ist das Mobb-Deep-Feeling
aus den Neunzigern. Und die Skits
sind Nostalgie pur. Highlight.
Große Musiker, aber das ist mir hier
zu anstrengend. Zu experimentell für
meinen Wunsch nach klassischem
Roots-Sound.
Krasser Rapper, geile Delivery, gutes
Album. Hätte nicht gedacht, dass P
mich 2014 noch mal kriegt.
Solides Def-Jam-Debüt für den
Blood. Macht seine Mama am Ende
ja doch noch stolz.
Derbe. Lässt sich gut drauf feiern.
Die Jungs aus dem Süden sind gut
aufgestellt.
Nicht selten gehen solche Projekte
schief – hier stimmt aber fast alles.
8 9
Nur musikalische Genies schaffen
es, sich auf höchstem Niveau regelmäßig
neu zu erfinden – inklusive
Jahrhundert-Hit!
Kein Klassiker wie sein Namensgeber,
aber mit sehr viel Substanz und
einem ähnlichen Vibe.
Musikalisch in einer anderen Liga
und daher manchmal im Widerspruch
zu Hörgewohnheiten. Dadurch
aber mit wesentlich längerer
Haltbarkeit.
Nicht sein stärkstes Album, aber
immer noch grundsolide.
Solides Debütalbum eines charismatischen
Rappers mit bemerkenswerten
Feature-Gästen. Da
geht sicher noch mehr.
Die Ansammlung an hochkarätigen
Rappern (und Rapperin) kann sich
schon hören lassen. Musikalisch
genau das, was man erwartet.
Hier bin ich absolut subjektiv, mein
Herz schlägt nun mal Boom-Bap. Die
Herren bleiben für mich die beste
Hip-Hop-Crew der Welt. Wie schön,
dass auf neuen Beats die 90er-Wortgewalten
von Big L & Co. ganz leicht
im Hier und Jetzt ankommen.
Entschuldigung, aber ich liebe dich,
Pharrell. Da ist es mir auch egal, ob
dein Album zu sehr auf Hits kalkuliert
und an alten Helden orientiert
ist. Nur warum ist deine Solo-Musik
nicht genauso über alles erhaben
wie dein komischer Hut?
8 10
8
Unumstößlich das, was ich mag
und immer mögen werde. Aber das
Rad wird hier natürlich nicht neu
erfunden.
9 8 8
Ein 34-minütiges, erhabenes, künstlerisch
unheimlich wertvolles Konzeptalbum
– von dieser Band erwartet
man nichts anderes. Der Einstieg
durch die Grand Dame Nina Simone
ist die Kirsche auf der Sahnehaube.
6 9 10
Unheimlich machtvoll und klar. Mehr
braucht das Hip-Hop-Herz nicht.
8 7 9
8 7
8
8
YG passt in die Riege um N.W.A,
Compton‘s Most Wanted, Game
und Kendrick. Seine Geschichten
treffen die Compton-Romantik und
-Ästhetik. Auch die Kinderlied-
808-Wackel-Beats von DJ Mustard
gefallen mir.
Das fetzt, wummst, bumst und
brennt sich schon gut ins Ohr rein.
10
9
8
NIKO PHIL RIKE
CunninLynguists
„Strange Journey
Volume Three“
23
Stark. Vielseitig und mitreißend. Ich
mag das Album. Ein Geheimtipp für
2014.
8
Backpacker‘s finest!
7
Wie von den Jungs gewohnt, lyrisch,
linguistisch und Beat-sprachlich sehr
wertvoll. Ein kleines Lost-Gefühl bleibt
aber – geht die künstlerische Freiheit
verloren, wenn man die Fans über
Facebook in die Produktion miteinbezieht?
8
Onyx & Snowgoons
„#Wakedafucup”
23
Props für die Combo: passt.
7
Gesucht und gefunden! Auf jeden
Fall mal wieder eine Produzenten/
Rapper-Kombination, die wirklich
funktioniert.
7
Epische Über-Beats und unfassbare
Stimmen, das ist Hip-Hop im Kern.
Ich freue mich schon unheimlich
auf den Live-Abriss beim „Hip Hop
Kemp“!
9
Pharoahe Monch
„PTSD”
23
Starkes Album. Gut aufgelegte Gäste,
eine runde Sache. Eine positive
Überraschung.
Der alte Meister untermauert seinen
Legendenstatus. On point!
Unumstößlich das, was ich mag und
immer mögen werde. Und hier wird
sogar das Rad irgendwie neu erfunden!
Voll geil! Duck Down kann es
eben noch.
8 8 7
50 Cent
„Animal Ambition”
23
Haters gonna hate. Immer noch eine
Maschine.
Auch wenn es nicht ganz rankommt,
erinnert es immerhin an
die ersten beiden Releases.
Der Typ macht einfach, worauf er
gerade Bock hat. Einen Blick zur
Seite hat er in seiner Position ja auch
gar nicht mehr nötig. Irgendwie
schon voll gut so, vom Ding her!
8 7 8
9
Blu
„Good to Be Home“
Black Milk
„Glitches in the
Break“
23
22
Anstrengend ohne Exile – Blu alleine
funktioniert nicht so gut. Ist mir zu
verkopft.
Ich hatte große Erwartungen, aber
am Ende ist mir das zu anstrengend,
was er gerade macht.
5
Lyrisch einfach außergewöhnlich
und dazu mit wohltuender Experimentierfreudigkeit
ausgestattet.
Der perfekte Soundtrack für den
Weg durch’s urbane Getümmel.
5 8
9
Blu, willst du mich heiraten?
Sample-Magic aus den 60ern und
70ern mit Bob-James-Anmut. Detroiter
Schule eben. „Strong beats
and talk“ – mehr braucht Hip-Hop
nicht.
9
9
22
Wahrscheinlich brauche ich, wie
bei OFWGKTA, einfach ein wenig
länger, um es zu verstehen.
Etwas verstörend, experimentell und
tiefgründig. Klingt so das neue New
York? Nicht so übel …
Crazy Shit!
Ratking
„So It Goes“
6
8
8
22
Ordentliches Album – nicht mehr
und nicht weniger. Man weiß, was
man bekommt.
Alles ist laut, pompös und groß!
Nichts Neues unter der Sonne bzw.
im Schatten des Protagonisten.
Seitdem ich mich mit dem echten
„Freeway“ Ricky Ross beschäftigt
habe, finde ich den irgendwie doof.
Rick Ross
„Mastermind“
8
7
7
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 93
BEATCORNER KOLUMNE SOMMER 2014
Text: Phonk Ribery
Der Podolski-Schrein wurde aufgebaut, das Özil-Trikot frisch gewaschen. Der Flatscreen-TV wurde poliert, der Grill mit Steaks belegt. Im Kühlschrank lagerten der
Zuckerrohrschnaps und die Limetten. Die WM ging freilich auch an der „Beatcorner“-Kolumne nicht vorbei – schließlich kann selbst in diesem Kontext ein adäquater
Groove nicht schaden. Oder hat jemals jemand behauptet, man müsste die ganzen Wannabe-WM-Hymnen von Luftpumpen wie Pitbull, Oceana, Klaus & Klaus etc.
gut finden oder gar täglich pumpen? Ich jedenfalls habe die 1210er neben dem Grill aufgebaut und folgende Perlen aus schwarzem Gold darauf gelegt:
Studio Rio Presents
„The Brazil Connection“
Label: Legacy Recordings
Format: Vinyl/CD/MP3
Treffen sich berühmt-berüchtigte brasilianische
Musiker und das hochdekorierte Produzententeam
Berman Brothers in einem der hochwertigsten
Studios unserer Zeit. Zufällig liegen hier
noch die Original-Mehrspurbänder legendärer
Aufnahmen von Marvin Gaye, Nina Simone, Bill
Withers, Aretha Franklin und The Isley Brothers herum.
Diese werden zauberhaft mit neuen Arrangements
und somit einem wahrlich WM-tauglichen
Vibe zwischen Soul, Jazz, Bossa Nova und Brasil
versehen. Die bekannten Gassenhauer wie „Sexual
Healing“ oder „Family Affair“ werden nicht mit
Kirmes-Techno unterlegt, sondern gefühlvoll und
würdig in einen Sommer-Vibe gepackt, der gehört
werden muss.
ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ
Gilles Peterson Presents Sonzeira
„Brasil Bam Bam Bam“
Label: Brownswood Recordings
Format: 4-Vinyl/CD/MP3
Zu viele WM-Songs mit zu platten und zu plakativen
Pseudo-Brasil-Stampfern schwirrten hier
durch die Atmosphäre und schafften es doch
tatsächlich, dass man das herkömmliche Radio
nicht mehr anmachen mag. Doch das ist wirklich
kein Grund zur Verzweiflung! Die britische BBC-
Ikone Gilles Peterson, globaler Plattensammler
und Geschmacksinstanz, gründete kurzerhand
nach seinem exquisiten Havanna-Projekt und
Kuba-Abenteuer eine Supergroup brasilianischer
Musiker namens Sonzeira und produzierte ein
beschwingendes Album mit all der Vielfalt und
Magie des Schwellenlandes. Hier hört man Tropicália,
Bossa Nova, Samba, Jazz und Baile Funk
in seiner ganzen Schönheit. Die limitierte 4-Vinyl-
Box ist dem musikalischen Reichtum wirklich
würdig. Absolut empfehlenswert!
ˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇˇ
Rebelution
„Count Me In“
Label: 87 Records/Easy Star Records
Format: Vinyl/CD/MP3
Es ist Sommer. Es ist heiß. Und außerdem wird in
der „Beatcorner“ seit Jahren Reggae und Dancehall
gepumpt, aber total vernachlässigt. Das muss
und wird sich ändern, weil es nach wie vor großartige
Erben Bob Marleys da draußen gibt. Die
kalifornische Band Rebelution ist unermüdlich am
Touren und hat eine sehr ansteckende Art, ihre Definition
von Reggae zu verkaufen. Nach drei erfolgreichen
Alben und international hervorragenden
Kritiken kommt die Band aus Santa Barbara mit
einem neuen Werk voller lebensbegrüßendem
Roots-Reggae um die Ecke. „Count Me In“ featuret
etwa Dancehall-Star Collie Buddz („Finally the
Herbs Come Around“) und überzeugt besonders
durch seine Musikalität und der herrlichen Verweigerung,
sich dem offensichtlich allgemeinen
Zwang im Dancehall, billige Maximum-Pop/Kirmes-
Techno/Großraum-Disse-Beats zu verwenden, anzuschließen.
Die Jungs bleiben sich treu/troy!
DJ Vadim
„Dubcatcher“
Label: BBE Records
Format: Vinyl/CD/MP3
Vadim ist und bleibt das Kameleon! Er gehört zu
jener MoWax/Ninja-Tune-Generation der mutigen
Beatbastler, die instrumentale Klangabenteuer
zwischen Hip-Hop, Jazz, Rock und Electronica neu
definierten. Darauf hat sich der Exil-Russe jedoch
nie ausgeruht. Ruhen scheint sowieso kein Attribut
des Anfang-Vierzigers zu sein. Es gibt kaum einen
Plattendreher auf diesem Globus, der mehr unterwegs
ist. Auf diesen Reisen saugte Vadim schon
immer neue Vibes auf. Nach extraordinären und
legendären Downbeat-Exkursionen Mitte der
90er führte ihn sein Weg über klassische Hip-
Hop-Beats und brachiale Meistermomente („The
Terrorist“), elektronische 80s-Flashback-Leichtigkeiten
zu kosmischen und futuristischen Bass-
Welten. Wer seine Radioshows und Live-Sets
mitverfolgt, weiß, dass auch hier noch lange nicht
Schluss ist. Zu viel fusionieren die Genres Dancehall,
Dubstep, Reggae, Hip-Hop, Rare Groove,
Jungle und viele mehr zwischen Vadims Fingern.
Er trägt Hip-Hop immer im Herzen und hat den
berühmten Blick über den Tellerrand offensichtlich
nicht nur gepachtet, sondern definitiv mitdefiniert.
Die Frische und spürbare Lebendigkeit seiner
unbändigen Kreativität und Integrität findet man
selbstverständlich auch auf seinem neuen Werk
„Dubcatcher“. Daddy Vad hat hier keinen Meilenstein
geschaffen – aber den Hörer mal wieder davon
überzeugt, dass man seine Platten blind kaufen
kann! Und dieser Reggae/Dancehall-Schwerpunkt
steht ihm und dem Sommer sehr gut! B
94 BACKSPIN #115 Sommer 2014
TEXT: STEFFEN KÖSTER
Der diesjährige Sommer steht vor der Tür. Um gemütliches Herumhängen im örtlichen Park und im zugemüllten Festivalcamp
gebührend zu zelebrieren, wollen Smartphone, Walk- und Discman selbstverständlich mit den neuesten Sounds
aus Rap-Deutschland bestückt werden. Für den Fall, dass es schnell gehen und möglichst wenig kosten soll, werden nun
die jüngsten Rap-Innovationen vorgestellt. Wichtigstes Kriterium nebst abzuliefernder Qualität: die dargebotenen Releases
können heruntergeladen werden, ohne dass das Portemonnaie gezückt werden muss.
Der Free-Release der Ausgabe ist das neueste Werk
des Wahlberliners Juse Ju und hört auf den Namen
„Übertreib nicht deine Rolle“. Dem aufmerksamen
Rap-Head ist der ehemals Stuttgarter MC möglicherweise
bereits als „Rap am Mittwoch“-Finalist
oder „Don’t Let the Label Label You“-Moderator in
Erscheinung getreten. Thematisch schlägt Juse Ju
in eine ähnliche Kerbe wie Kollege Fatoni (der an der
Seite von Edgar Wasser auch Gastbeiträge beisteuert)
und setzt sich etwa ironisierend mit gängigen
Hypes oder dem eigenen Berlin-Umzug auseinander.
Auf Beats von V.Raeter, Figub Brazlevič oder
Cap Kendricks funktioniert das nur allzu gut.
„Stevia“ ist der Titel des neuesten Tua-Streiches
aus dem Hause Chimperator. Als Gratis-Beiwerk
veröffentlicht Tua „(R)evia“, womit er ein ähnliches
Konzept wie schon bei „(R)evigila“, der
Ergänzungs-EP zu „Evigila“, verfolgt. Auf der
acht Anspielstationen zählenden EP versammeln
sich neben Neuinterpretationen einiger „Stevia“-
Stücke auch unveröffentlichte Tracks aus der
kreativen Schaffensphase zur EP. Für die experimentierfreudigen
Remixe konnte Tua etwa die
Produzentenkollegen Audhentik, Lambert, Nvie
Motho und Portformat gewinnen.
Bereits ein kurzer Blick in die Credits von Dölls
„Weit entfernt“-EP legitimiert den Download
– tummelt sich doch hier die hiesige Produzentenflotte
um Dexter, Brenk Sinatra sowie Kollege
Schnürschuh und versorgt den rappenden Protagonisten
mit souligem Bumm-Tschak. Nach
der vor drei Jahren erschienenen LP „Alles im
Kasten“, an der Seite von Partner Nomis, wandelt
das jüngste Wortsport-Signing erstmals auf
Solopfaden. Zu „Weit entfernt“ kursiert im Netz
auch ein Video in amtlicher Schwarz-weiß-Optik.
Anschauen!
Rapstas neuestes Werk, ein Mixtape mit dem
ebenso eingängigen wie beim ersten Hördurchgang
einleuchtenden Titel „Trapsta“, gibt es
sowohl auf legale Weise gratis zu erwerben als
auch käuflich – für den geneigten Supporter. In
feinster Trap-Manier bietet Rap-Künstler Rapsta
wilde Flow-Variationen und allerlei Gimmicks auf
dem basslastigen Sounduntergrund dar. Klar, inhaltliche
Höhenflüge darf man hier nicht erwarten.
Für alles andere eignen sich die 15 Tracks
auf „Trapsta“ hervorragend.
Ebenfalls Freund von subwoofererprobtem
Klang ist das fünfköpfige Wiener Konglomerat
um Atomique, P.Tah und Con. Empfehlenswert
ist die aktuelle Gratis-EP „Bass mal auf“, auf der
sich neben sechs Tracks separiert die dazugehörigen
Instrumentals versammeln. Für das druckvolle
Soundgerüst haben die Wiener Jungs einen
Blick in Londoner Vororte gewagt und mixen zeitgemäßen
Trap mit einer gehörigen Portion Grime
und diversen elektronischen Einflüssen.
Immer wieder gelingt es dieser Tage auch
Frauen, in der Männerdomäne Deutschrap Fuß
zu fassen – so auch Tice. Auf der EP „Each One
Tice One“ überzeugt die Düsseldorferin mit charismatischer
Stimme und probatem Rap. Dass
Tice hungrig und motiviert ist, beweist schon
jetzt ihre reichhaltige Bühnenerfahrung, unter
anderem als Ssio-Support oder als Act auf der
Witten-Untouchable-Releaseparty.
Mit „O Genie, der Herr ehre dein Ego“ stehen
Mo-D x PCP mit ihrem zweiten Album nach dem
Vorgänger „Schall und Rauch“ in den Startlöchern.
Für die gelungenen Gastbeiträge haben
sich gar Kool Savas, Gregpipe und Separate
hinter das Mic gestellt. Das Produzenten-Rapper-
Duo liefert hochwertigen und hörenswerten Neo-
Boom-Bap ab – mal souliger, mal dreckiger. Klickempfehlung:
das Musikvideo zu „State of Mind“.
Reeperbahn Kareem, seines Zeichens Mitglied
der Hamburger Rattos-Locos-Clique, hat seine
sechs Tracks starke EP „Von der Wiege bis ins
Grab“ releast. Zu dem Hauptakteur gesellen sich
die üblichen Verdächtigen Nate57, Telly Tellz und
Boz. Textlich bewegen sich die Hamburger Jungs
zwischen Sozialkritik, Kiez-Representer und persönlicher
Daseinsbeschreibung. Für die Produktion
der EP zeichnet Altmeister Sleepwalker verantwortlich.
Shaheazy ist Teil des Künstlerkollektivs GrindingGlobal.
Was auf „Weggefährte“ gleich ins
Ohr sticht, ist das markante Stimmorgan des
Kieler MCs. Shaheazy schlägt zumeist etwas besonnene
Töne an, die mit den bisweilen pianolastigen
Beats harmonieren.
Eine härtere Gangart nimmt da Rotten Monkey
ein. „Akrasia“ schließt an die Vorgänger „Ungereimtheiten“
und „Die physische Wahrheit“ an
und taugt als weiteres Beispiel für den immensen
und hochwertigen Output des selbst ernannten
ungekrönten Königs des postmodernen Dschungels.
Auf düster-atmosphärischen Beats verbreitet
Rotten Monkey seine ganz eigene Weltsicht,
gibt persönliche Einblicke und erweist sich als
guter Beobachter seines Umfelds. B
Sommer 2014 #113 BACKSPIN 95
Mit der kommenden Fall/Winter Apparel Kollektion, insbesondere mit
der BRTN Linie, trägt Burton das selbstbewusste, selbstbestimmte
Lebensgefühl des Snowboardens in die Straßen. Zusammen mit der
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Dank der weltweiten Ferrari Exklusiv-Lizenz im
Slotcar-Bereich sorgt das „Formula Engines“-
Set für echtes Formel-1-Feeling auf der heimischen
Carrera-Rennbahn. Das packende
Duell zwischen Fernando Alonso im Ferrari 150°
Italia „Fernando Alonso, No.5“ und seinem Konkurrenten
im McLaren Mercedes Race Car 2011
verspricht Nervenkitzel bis zur letzten Sekunde.
Ferrari benannte seinen insgesamt 44. Formel-
1-Flitzer 150° Italia als Erinnerung an den 150.
Jahrestag der Vereinigung Italiens. Zudem sorgt
die Carrera 2,4 GHz WIRELESS+ Technologie
nun auch erstmals auf den Carrera Evolution-
Schienen für absolute Bewegungsfreiheit. Die
kabellosen Handregler verfügen über eine
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roten „KING“-T-Shirt und einem schwarzen „KING“-Becher. Weitere Fan-
Artikel findet ihr auf der Webseite von Bravado:
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Mit EA SPORTS UFC präsentiert EA SPORTS das Ergebnis der ersten
neuen Partnerschaft mit einem führenden Sportverband seit mehr als
einem Jahrzehnt. Die nächste Generation des Kampfsports wurde von
dem Team hinter der gefeierten „Fight Night“-Reihe exklusiv für PlayStation
4 und Xbox One entwickelt. Dank der Leistungsfähigkeit der EA SPORTS
IGNITE-Technologie erweckt EA SPORTS UFC die Action, die Emotionen
und die Intensität im Octagon auf eine Art und Weise zum Leben, die
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Stichwort: „EA SPORTS UFC“
96 BACKSPIN #115 Sommer 2014
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und atmungsaktive Jacke, trittsichere und robuste Schuhe und eine
Uhr die alle relevanten Informationen wie Barometer, Kompass oder
Höhenmesser bietet. Dabei ist Style in der Regel sekundär … bis jetzt.
Mit der neuen PRO TREK PRW-260 ändert sich die Antwort auf die Style-
Frage außerhalb des urbanen Raums. Wir haben die Pro Trek 1x für euch
in der Verlosung.
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Stichwort: „PRO TREK“
From the Beach to the Streets: Die Boardsport- und Lifestylemarke
Dakine bringt mit ihrer Parkdale Kollektion den Surf-Lifestyle auf die
Straßen. Bei den Packs und Reisetaschen treffen Lederapplikationen
im Retro-Wanderstil auf modernes, cleanes Design. Laptop- sowie
Organizertaschen machen die Backpacks zu zuverlässigen Begleitern
im Alltag und lassen im geräumigen Hauptfach genug Platz für
Platten und Co. Wir verlosen je ein Mal die Modelle Contour, Capitol
sowie das Modell Detail in zwei verschiedenen Colorways.
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Stichwort: „DAKINE“
Tennis ist heutzutage nicht nur mehr auf den Courts dieser
Welt zu Hause, sondern hat sich in die Herzen vieler
Sneakerfans gespielt. Mit dem Classic II PG von K-Swiss
kommt ein altehrwürdiger Champ zurück. Dem ersten Tennisschuh
der Kalifornier aus dem Jahre 1966 nachempfunden,
reflektiert der Sneaker gekonnt die Anfänge der Kultmarke.
Das limitierte Sondermodell des Classic II ist dem
Ausnahmeathleten Pancho Gonzalez gewidmet, der die
Courts vor 50 Jahren dominierte. Der Colorway reflektiert
mexikanischen Wurzeln des Ballvirtuosen. Wir haben den
Schuh 4x für euch in der Verlosung.
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Sommer 2014 #113 BACKSPIN 97
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„King“-Becher sowie Kollegahs aktuelles Album „King“ gratis!
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98 BACKSPIN #115 Sommer 2014
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14. 11. 2014 MÜNCHEN
15. 11. 2014 NÜRNBERG
17. 11. 2014 A-WIEN
18. 11. 2014 DRESDEN
19. 11. 2014 BREMEN
21. 11. 2014 HAMBURG
22. 11. 2014 DORTMUND
26. 11. 2014 HANNOVER
27. 11. 2014 KÖLN
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