elektronische lebensaspekte die wand spricht fat umgepolt - De:Bug
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- DE:BUG.73 - 07|08.2003<br />
ALLROUND RAVE<br />
DIE KUNST DES DURCHATMENS<br />
Si Begg<br />
TEXT: ROBERT FEUCHTL <br />
Simon Begg hievt sich auf "The Director's Cut" durch alle Stile geschmackssicherer Breakbeat-<br />
Verarbeitungen, um zum dicken Ende mit den beiden größten Sommerhits seit Seals “Crazy"<br />
aufzutrumpfen.<br />
Simon Begg hat jetzt lange, etwas zottelige<br />
Haare und erinnert mittlerweile ein kleines<br />
bisschen an einen Krautrocker, der aufgrund<br />
der quantenphysikalischen Seiteneffekte<br />
einer voll<strong>elektronische</strong>n, aber falsch<br />
konfigurierten Wasserpfeife im falschem<br />
Jahrzehnt rematerialisiert ist. Noch vor<br />
zwei Jahren, bei der Interviewtour zu "The<br />
Mission Statement", dem damaligen <strong>De</strong>büt<br />
von S.I.Futures, waren <strong>die</strong> Haare kurz, alle<br />
Sounds noch ultra advanced auf Marschrichtung<br />
2030 A.D. getweakt, <strong>die</strong> Beats per<br />
Granularsynthese in ihre Kleinstbestandteile<br />
zerlegt und <strong>die</strong> akustische Marschrichtung<br />
gleichsam ein lautes Manifest für<br />
einen Tanzflur-Futurismus, den bis dato<br />
kaum jemand so homogen und slick'n'sick<br />
zugleich hinbekommen hatte. Vielleicht<br />
war der Mann einfach zu früh dran.<br />
Die dicken, bratzigen und an Drum and<br />
Bass angelehnten Basslines, <strong>die</strong> ultrapräzisen<br />
Drum- und Vocaledits, <strong>die</strong> an jeder<br />
Stelle von "The Mission Statement" minutiös<br />
durchprogramiert waren, sind auch bei<br />
"Director's Cut" immer noch mit an Bord.<br />
Doch gleichsam noch viel, viel mehr an anderen,<br />
vermeintlich unvereinbaren Stilele-<br />
MEHR SCHUBIDU ALS<br />
BEMOOSTE ELTERN<br />
Rednose Distrikt<br />
TEXT: KAY MESEBERG <br />
menten, <strong>die</strong> sich nicht nur freundlich <strong>die</strong><br />
Hand geben, sondern sich offensichtlich<br />
auch ganz doll lieb haben. Si Begg aka<br />
Buckfunk 3000 aka Cabbage Boy aka A&R<br />
des eigenen Imprints Noodles Records atmet<br />
auf "The Director's Cut" so dermaßen<br />
locker durch, dass vielen anderen styleund<br />
formelverliebten Dance Producern vor<br />
Neid das Herz stehen bleiben dürfte. Selten<br />
waren so viele unterschiedliche musikalische<br />
Genres auf eine dermaßen sinnschaffende<br />
Weise auf einem einzigen Al-<br />
Simon Begg hat jetzt lange, etwas zottelige Haare.<br />
BROKEN BEATS<br />
bum gewinnbringend vereint. "Nachdem<br />
das neue Album langsam immer mehr Gestalt<br />
annahm, wurde mir und Mute schnell<br />
klar, dass es kein zweites S.I. Futures Album<br />
werden würde. Das ist auch der Grund, weshalb<br />
<strong>die</strong>ses zwar mein Nachfolgealbum zu<br />
'The Mission Statement' darstellt, ich es aber<br />
als 'Si Begg' fertig gemacht habe. Si Begg darf<br />
nämlich einfach alles", grinst Simon und<br />
meint es bitter ernst. Während einige der<br />
Albumkracher à la "Body" (feat. DJ Rush),<br />
"Buss" und "Move Up" (feat. Mr. Taylor, Mr.<br />
Black & Mr. Aleem) hundertprozentig im<br />
Windschatten einer Carnival-, Garage-,<br />
Drum and Bass- und Breakbeat-sozialisier-<br />
SERVICEPOINT<br />
Rednose District, Iller Dan Je Ouders, ist<br />
auf Kindred Spirits/Rushhour erschienen.<br />
Musik und Witz. Bei "Iller Dan Je Ouders" (Kranker als deine Eltern)<br />
lassen <strong>die</strong> Amsterdamer ”Rednose Distrikt” das Rotlicht mit den<br />
Gaslaternen um <strong>die</strong> Wette blitzen. Boogiesk im Sinne von House<br />
trifft HipHop.<br />
Amsterdam. <strong>De</strong>r Stau lässt sich Zeit, formiert sich neu, obwohl er sich doch gerade<br />
aufgelöst hatte. Rushhour. Telefonieren. Ja. Leider ... Warten. Dann. Centraal Station.<br />
Treffen. Christiaan von Rushhour mit Steven von Rednose. Wenig Zeit. Das Ganze ist<br />
allein Zwischenstation. Wir setzen uns neben <strong>die</strong> verkehrsgünstigst gelegene Frittenbude<br />
Europas. Genau auf den Grünstreifen der vierspurigen Hauptstraße zwischen<br />
Hauptbahnhof und Viktoria-Hotel. Fritten + Majo + Kola = Interview.<br />
Das Schöne an "Iller Dan Je Ouders" ist, dass es nie so krank klingt, wie Eltern sein<br />
können. Frühjahrsputz für <strong>die</strong> nächsten Halbjahre müssten bemooste Eltern erstmal<br />
halten, um einen solchen Charme des Schlüsselreiz-Neues-Terrain-Ausprobierens<br />
hinzubekommen. Gemächlich wäre das boogieske Schubidu beispielsweise, wenn es<br />
von den Ouders wäre. Bei Rednose aka Kid Sublime und Steven de Peven hingegen<br />
kommt es leicht, elegant und verschmitzt im großen und kleinen Bogen <strong>die</strong> Wendeltreppe<br />
hinunter und wirft sich dem Blues-Tanzpartner mit spöttischem Grübchen auf<br />
<strong>die</strong> lange nicht mehr gewienerten Lackschuhe. Geschniegelt ist bei Rednose rein gar<br />
nichts. Und das liegt nicht an Mocky.<br />
Rednose Distrikt kommen aus dem Amsterdamer Rotlichtviertel. Direkt am Bahnhof.<br />
Hier wo sich Huren und <strong>De</strong>aler Gute Nacht sagen. Hier kennen <strong>die</strong> beiden HipHop-<br />
Sozialisierten jede Ecke wie ihre Sampeldatenbank. Als Mocky mal für eine Weile bei<br />
Steven wohnte, machte er flugs aus Redlight Rednose. Mocky gave the light to me!<br />
Rednose hat also weniger mit der gefürchteten Nase zu tun. <strong>De</strong>n Jungs geht es um<br />
Heartbeats: Nach dem suchen, was im Viertel plakativ gerade nicht präsent ist. Musikalisch<br />
äußert sich das in <strong>De</strong>tailliebe und an einem ”Nicht unnötig herumschrauben,<br />
wenn alles gut so ist”. Als Rednose anfingen zu produzieren, lachten sie sich fast<br />
tot. Nur Beats und Loops flossen. Jeder Beat war ein Witz, der erst einmal schallend<br />
belacht wurde. Betont Steven. In <strong>die</strong>ser Konstellation macht dann auch der Domu-<br />
Mix auf der CD Sinn. <strong>De</strong>nn der Bravouröse treibt <strong>die</strong> Spannungskurve an, um sie beständig<br />
mit einem Wisch vorzustoppen. Vor, zurück, zur Seite, ran. Rednose schwingen<br />
genauso <strong>die</strong> Grachten entlang und lassen <strong>die</strong> Rotlichtfenster links liegen.<br />
Die Zeit drückt. Jetzt schnell weiter. Schön hier zu sein. Danke. Leider zu kurz. Geht<br />
nicht anders. Schade. Roken is dodeljik - sagt mir <strong>die</strong> zu bezahlende Schachtel. Na<br />
dann lieber Fritten an Grünstreifen.<br />
ten Erziehung stehen und den Tanzflur auf<br />
sehr britische Weise verbrennen, erstaunt<br />
gleich der vierte Track "England" mit einer<br />
seltsam anmutenden Komposition von<br />
Kraftwerk-beeinflusstem Flow und bietet<br />
Vocodervocals bis zum Papp sagen. Mit<br />
fast nicht mehr wahrnehmbaren, majestätisch<br />
käsigen Frauenchören unterlegt,<br />
entfaltet sich hier eine <strong>elektronische</strong> Nationalhymne<br />
und akustische Landschaftsreise,<br />
wie sie sich sonst keiner nach 1970<br />
getraut hätte. "Schuld daran ist mein Bruder.<br />
<strong>De</strong>r hat früher jede Menge Yes und ELO, aber<br />
auch Amon Düül und ähnliche Sachen<br />
gehört. Das blieb nicht ohne Wirkung. Ich selber<br />
liebe es, innerhalb eines einzigen Sechs-<br />
Minuten-Songs so etwas wie eine 'Pocket<br />
Electronic Symphony' zu entwickeln und dabei<br />
alle paar Takte etwas Neues hinzuzufügen<br />
oder zu verändern."<br />
CHARISMA SCHLÄGT QUALITÄT<br />
Doch Si Begg wäre nicht Si Begg, wenn bei<br />
solchen Trackperlen nicht das riesige Auge<br />
eines Mich-kriegt-ihr-eh-nicht-Top-Notch-<br />
Producers zwinkern würde, der sich einfach<br />
alles erlauben kann, weil es in Beglei-<br />
2 STEP<br />
WIE TICKT DIE INSEL?<br />
Dubstep Allstars<br />
TEXT: STEPHEN LUMENTA <br />
Wonach wirklich kein Hahn sich mehr zu krähen traut, ist 2Step.<br />
Aber außerhalb der Insel haben sich unbeachtet aus dem 2Step-Humus<br />
diverseste Folgeszenen entwickelt. Dubstep ist <strong>die</strong> populärste.<br />
Wir fassen lax zusammen.<br />
Über Dubstep gibt es mittlerweile jede<br />
Menge zu lesen. Diese Musik, <strong>die</strong> Elemente<br />
von 2Step, Drum and Bass, Techno, Dancehall<br />
und Kung-Fu-Filmen in sich vereinen<br />
soll, ist so ein klassischer Kritikerliebling,<br />
dem ein großes "Pushing Boundaries" Potential<br />
zugesprochen wird. Nach der kurzen<br />
Entwicklungsphase gibt es jetzt den ersten<br />
offiziellen Mix, der von den Qualitäten der<br />
Südlondoner Jungs künden soll: "Dubstep<br />
Allstars", zusammengefrickelt von DJ Hat-<br />
cha. Die Geschichte <strong>die</strong>ses UK Garage-Ablegers<br />
lässt sich am besten am Plattenladen<br />
"Big Apple Records" in Croydon, Süd-London,<br />
festmachen. 1992 unter anderem von<br />
John Arnold primär als Drum and Bass, House,<br />
Techno etc. Outlet gegründet, hat sich<br />
der Laden gegen Mitte bzw. Ende der 90er<br />
zu einem Sammelplatz für UK-Garage-<br />
Freunde und DJs gemausert, <strong>die</strong> um den Tresen<br />
standen und <strong>die</strong> neuesten Whitelabels<br />
ergattern wollten. Einen maßgeblichen Anteil<br />
hieran hat DJ Hatcha, da er sich um <strong>die</strong><br />
Zulieferung von Garage-Platten gekümmert<br />
hat. Es ist aber nicht <strong>die</strong>ser cheeky Sound<br />
mit hochgepitchten Stimmen gefragt, sondern<br />
<strong>die</strong> etwas härtere Variante: so eine Art<br />
Drum and Bass mit Garage-Ästhetik auf 135<br />
BPM. Angebot und Nachfrage stehen aller-<br />
SERVICEPOINT HTTP<br />
Si Begg, The Director's Cut, ist auf Novamute<br />
erschienen.<br />
tung einer Si-Begg’schen Bassline sowieso<br />
so dermaßen charismatisch daherkommt,<br />
dass man nur noch von Geschmack, niemals<br />
von Qualität reden kann. "The Director‘s<br />
Cut" ist ein fettes Ouevre von einem<br />
Elektronikalbum, auf angenehme Weise<br />
muckerhaft bis zum Anschlag und den ein<br />
oder anderen Rezipienten unverzüglich am<br />
Allerwertesten packend.<br />
Und wenn man dann nach etwa 45 Minuten<br />
gedacht hat, dass nun sicher keine weitere<br />
Überraschung mehr kommen kann<br />
und es im oben genannten Hin und Her<br />
zwischen ProgRock und New School Future<br />
Garage immer so weiter und weiter gehen<br />
könnte, erklingen <strong>die</strong> ersten Töne und Vocals<br />
von "Colour" - und das lang vermisste<br />
Gefühl einer sich aufrichtenden Gänsehaut<br />
macht sich in pulsierenden Wellenformen<br />
auf der Haut breit. <strong>De</strong>r bisher ziemlich unbekannte<br />
Gastsänger Jimadu, der ein ganz<br />
dings in einem ungleichen Verhältnis zueinander,<br />
so dass viele Produzenten anfangen,<br />
ihre eigenen Whitelabels zu pressen: <strong>De</strong>r<br />
Sound wird immer härter, lässt einen deutlichen<br />
Jamaika-Einfluss hören, entfernt sich<br />
ganz stark von dem klassischen Garage-Klischee.<br />
Unter den Vorreitern <strong>die</strong>ses neuen<br />
Klangs stehen auf jeden Fall Zed Bias, El-B<br />
(ehemals Groove Chronicles), Oris Jay,<br />
Sticky und Sovereign. Von da setzt eine Weiterentwicklung<br />
ein, an der vor allem junge<br />
Bizarre Schubladen werden aus der 2Step-Kommode<br />
aufgezogen: 4 Beat, Breaks, East Beat, Tribal und<br />
eben Dubstep.<br />
Leute interessiert sind: Eine stetige weitere<br />
Zersplitterung der Musik geht voran. Bizarre<br />
Schubladen werden aufgezogen, so dass<br />
man heute von 4 Beat, Breaks, East Beat, Tribal<br />
und eben Dubstep <strong>spricht</strong>.<br />
An der Front (wie martialisch) der Entwicklung<br />
steht heute ein loses Netzwerk, dass<br />
sich um "Ammunition"-Promotion (fast jede<br />
Platte, <strong>die</strong> aus dem oben lose definierten<br />
Genre stammt, wird von Ammunition vertrieben)<br />
spannt: Die Website dubplate.net,<br />
Ammunition eben, Big Apple Records und<br />
<strong>die</strong> Clubnacht "Forward" in Londons "Plastic<br />
People" – will man irgendetwas über Musik<br />
aus London schreiben, führt kein Weg an<br />
<strong>die</strong>sem Club vorbei.<br />
Dubstep ist sehr minimal: Es gibt kaum<br />
Flächen, dafür Techno-Bleeps oder asiati-<br />
www.novamute.com<br />
klein wenig an eine deepere Version von<br />
Seal erinnert, erschafft gemeinsam mit Si<br />
Begg zwei der besten <strong>elektronische</strong>n Popsongs<br />
<strong>die</strong>ses Jahres. Im Falle von "Colour"<br />
unter Zuhilfenahme von UK Garage-Metrik<br />
plus ultraverbreakten und obertighten<br />
Drum- und Vocalschnippseln und einer<br />
Produktionsform, <strong>die</strong> an <strong>die</strong> allerbesten<br />
Timbaland-Edits der letzten Jahre heranreicht.<br />
Im Falle von "River" bringen <strong>die</strong> Entwicklung<br />
einer sich immer weiter auftürmenden<br />
epochalen und dennoch fein gesponnenen<br />
Wahnsinnshook und <strong>die</strong> exzellente<br />
Stimme Jimadus einem das Gefühl<br />
zurück, dass es nach soviel Minimalismus<br />
allenortens doch noch so etwas wie kompositorische<br />
Dichte und eine gute Form<br />
von Pathos geben könnte. Boah! Mund zu.<br />
HTTP<br />
www.dubplate.net<br />
www.hyperdub.com<br />
www.bigapplerecords.co.uk<br />
SERVICEPOINT<br />
Dubstep Allstar Vol. 1 mixed by DJ Hatcha<br />
ist auf Tempa-Records erschienen.<br />
sche Samples; <strong>die</strong> Basslines stammen meistens<br />
von Subbässen, wobei <strong>die</strong> Akzentuierung<br />
sehr stark an Dancehall erinnert. Die<br />
Besonderheit liegt auf jeden Fall in den Beats:<br />
<strong>De</strong>r rhythmische Überbau stammt von<br />
der alt bekannten 2Step-Dynamik, <strong>die</strong> Snares<br />
werden aber passioniert an <strong>die</strong> entferntesten<br />
Orte gelegt, so dass <strong>die</strong> Trommeln so<br />
richtig schön ins Schwingen kommen. Die<br />
Engländer nennen so etwas "Skank", ein<br />
deutsches Pendant muss dazu wohl noch erfunden<br />
werden. <strong>De</strong>r Mix von DJ Hatcha erinnert<br />
deswegen auch sehr stark an ein Minimaltechno-Set.<br />
Es gibt kaum einen Track,<br />
der von der Seite nach Aufmerksamkeit<br />
schreit, <strong>die</strong> Übergänge sind kaum zu hören,<br />
das Ganze fließt in einer von vorne bis hinten<br />
konsistenten Energie, dass es wirklich eine<br />
Freude ist. Zu den vertretenen Künstlern<br />
gehören <strong>die</strong> hoch gelobten Horsepower-<br />
Productions, Urgestein El-B und der 16-jährige<br />
Benga.<br />
Mal sehen, wann dem Kontinent was zu dem<br />
Thema einfällt.