elektronische lebensaspekte die wand spricht fat umgepolt - De:Bug
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- DE:BUG.73 - 07|08.2003<br />
BRITISH ASIAN<br />
POLITIK DER LEISEN TÖNE<br />
Nitin Sawhney<br />
TEXT: BAAS DOEHLER <br />
Eigentlich würde man von einem Juristen, klassischen Komponisten, humanistischen Weltmusiker<br />
britisch-indischer Herkunft, der mit Sting und Sir Paul McCartney gearbeitet hat, nur verstiegenste<br />
Konzeptfusion im Namen des Herzensguten, moralisch Überlegenen und Totkultivierten erwarten.<br />
Aber nichts da. Nitin Sawhney hat mit "Human" ein Songwriteralbum geschaffen, das jeglichen Skeptizismus<br />
daniederspielt.<br />
Für viele Briten sind <strong>die</strong> indischen Ein<strong>wand</strong>erer<br />
und ihre Familien noch immer <strong>die</strong><br />
braven Nachbarn, <strong>die</strong> kleine Läden oder<br />
Imbissbuden betreiben, Arbeiten verrichten,<br />
<strong>die</strong> sonst niemand tun mag, und nur<br />
mit sehr viel Glück Arzt oder Anwalt werden.<br />
Kulturell trauen sie ihnen ebenso wenig<br />
zu: Entweder sie tragen Turban und Sari<br />
oder sie vergnügen sich in lustigen Kostümen<br />
auf Bhangra-Parties.<br />
Doch zu Beginn der 90er-Jahre <strong>wand</strong>elte<br />
sich <strong>die</strong>ses Bild. Die dritte Generation der<br />
Kinder der ImmigrantInnen begann auf ihre<br />
Weise um soziale, politische und kulturelle<br />
Anerkennung zu kämpfen. <strong>De</strong>n Anstoß<br />
für viele lieferte der junge Schriftsteller<br />
und Filmemacher Hanif Kureishi mit seinem<br />
Buch "The Buddha Of Suburbia", das<br />
1990 erschien und in dessen Mittelpunkt<br />
einer von ihnen steht: ein junger Halbinder<br />
im Spannungsfeld zwischen Post-Kolonialismus,<br />
Gender-Race-Diskurs, Punk, Pop<br />
und Elternhaus. Auch Gurinder Chadha, <strong>die</strong><br />
Regisseurin von "Kick it like Beckham", begann<br />
in <strong>die</strong>ser Zeit erste Kurzfilme über<br />
den Alltag der British Asians zu drehen. Andere<br />
griffen <strong>die</strong> schon Ende der siebziger<br />
Jahre begonnene Verschmelzung von<br />
Bhangra und Pop auf.<br />
Die Vorreiter des Nu Asia Sounds waren<br />
vor allem <strong>die</strong> indischstämmigen DJs, Producer<br />
und MCs Londons. Als Melting Pot<br />
der Kulturen bot ihnen <strong>die</strong> Stadt dafür das<br />
ideale Experimentierfeld. Beeinflusst von<br />
Acid House, Jungle, klassisch indischer Musik<br />
und den Soundtracks der Bollywood-Filme,<br />
Musikern wie dem Sitar-Spieler Ananda<br />
Shankar oder dem Filmmusiker A.R.<br />
Rahmann, begannen sie <strong>die</strong> traditionelle<br />
Musik des Punjab, indischen und jamaikanischen<br />
Ragga mit britischen Club Tunes zu<br />
fusionieren, aber nicht ohne dabei <strong>die</strong> politische<br />
Dimension aus den Augen zu verlieren.<br />
Niemand nahm so recht Notiz von ihnen,<br />
bis 1994 <strong>die</strong> britisch-indischen Hip-<br />
Hopper von Hustlers HC "Big Trouble in Little<br />
Asia" verkündeten und <strong>die</strong> Asian Dub<br />
Foundation sich mit ihrer Musik deutlich<br />
gegen den Rassismus der kleinen und<br />
großen Dinge positionierte. Zur gleichen<br />
Zeit begann Talvin Singh mit indischen Instrumenten<br />
und westeuropäischen Urban<br />
Beats zu experimentieren und initiierte im<br />
Londoner "Blue Note" <strong>die</strong> legendären<br />
"Anokha"-Nächte, Badmarsh & Shri koppelten<br />
Punjab Traditionals an Breakbeats, Rag-<br />
ga und Drum and Bass, Panjabi MC kreierte<br />
Ende der 90er Bhangra-2Step und Cornershop<br />
fusionierten Pop, Alternative Noise<br />
und klassische indische Musik, spielten Sitah<br />
und Dholki-Trommel, sangen neben<br />
Englisch in der Sprache des Punjab.<br />
DAS BESTE AUS ZWEI WELTEN<br />
Auch Nitin Sawhney ist einer von ihnen,<br />
Kind indischstämmiger Ein<strong>wand</strong>erer, 1964<br />
geboren und aufgewachsen im Südosten<br />
Englands: in Rochester, einer der damaligen<br />
Hochburgen der National Front, keine<br />
Autostunde von London entfernt. Man fuhr<br />
links und wählte rechts. Sawhney bekam<br />
den offenen wie subtilen Rassismus und<br />
<strong>die</strong> alltägliche Diskriminierung als einziges<br />
Kind asiatischer Herkunft an seiner Schule<br />
rasch am eigenen Leib zu spüren. Und so<br />
tauchte er ein in seine eigene kleine Welt,<br />
<strong>die</strong> Musik, um ein paar Jahre später als<br />
Künstler zwischen klassisch indischer Musik,<br />
Jazz und Urban Beats, als Produzent<br />
und Remixer das Aufeinanderzugehen der<br />
Kulturen zu fördern.<br />
Und doch teilt er heute das Problem vieler<br />
Nu Asia Musiker: <strong>die</strong> reflexhafte Einordnung<br />
und den Hype um den Asian Under-<br />
SERVICEPOINT HTTP<br />
Nitin Sawhney, Human, erscheint am 14.<br />
Juli bei V2 Records.<br />
ground, <strong>die</strong> Ghettoisierung in einem Me<strong>die</strong>nkonstrukt,<br />
<strong>die</strong> erneute Reduzierung<br />
auf <strong>die</strong> Herkunft. <strong>De</strong>shalb beobachtet Sawhney<br />
aufmerksamer denn je <strong>die</strong> kulturellen<br />
Veränderungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Musik der British<br />
Asiens sowohl in Großbritannien als<br />
auch weltweit bewirkt. <strong>De</strong>n Vorwurf Tjinder<br />
Singhs, Sänger der Band Cornershop, er<br />
würde sich mit exakt den Klischees verkau-<br />
fen, <strong>die</strong> britisch-asiatische Musiker eigentlich<br />
hätten zerstören wollen, entkräftet Sawhney<br />
mit seinem neuen und mittlerweile<br />
sechsten Album "Human" einmal mehr.<br />
Ein "British Asian" zu sein bedeutet für ihn,<br />
in beiden Kulturen zu Hause zu sein und<br />
deren besondere Qualitäten vorurteilsfrei<br />
aufzunehmen und zu etwas Neuem zu verschmelzen,<br />
etwas, das man auch Heimat<br />
nennen kann, etwas, das Identität stiftet.<br />
Die Texte auf "Human" erzählen davon: von<br />
seiner Kindheit, seiner Jugend, vom Erwachsenwerden,<br />
seinem Leben als British<br />
Asian, vom Weg zu dem, was heute ist. Sa-<br />
www.nitinsawhney.com<br />
www.anokha.co.uk<br />
www.outcaste.com<br />
www.hanifkureishi.com<br />
whney fusioniert fern der mit Worldmusic<br />
und Asian Underground verbundenen Klischees<br />
östliche und westliche, alte und<br />
neue Traditionen: indischen Raag, Urban<br />
Beats, Brazil Dance, Latin House, HipHop-<br />
Loops, trippige Elektronika, Flamenco-Gitarren,<br />
epische Streicherarrangements und<br />
klassische indische Instrumente wie Flöte<br />
oder Swalin. Etwas, das seine Musik weder<br />
Fluchtpunkt Musik: Was bleibt einem übrig, wenn in der Heimat<br />
links gefahren, aber rechts gewählt wird!?<br />
eindeutig indisch noch westeuropäisch<br />
klingen lässt, womit er genau den Raum<br />
schafft, in dem beide Kulturen gleichberechtigt<br />
nebeneinander existieren können.<br />
Und so führt das Album so verschiedene<br />
Musiker wie <strong>die</strong> Sängerinnen Natasha Atlas<br />
und Tina Grace, Matt Hayles von Aqualung,<br />
Kevin Mark Trail von The Streets, den<br />
Flötenvirtuosen Ronu Majumdar oder das<br />
150-köpfige "South Indian Full Harmonic<br />
Orchestra" zusammen. "Someday I’ll become<br />
what I am meant to becoming to." Nitin<br />
Sawhney weiß, wovon er <strong>spricht</strong>.