"Achtbeinige Seelen" (Leseprobe) von Yves Gorat Stommel
„Dann los“, verkündete Ramirez und drückte zwei rote Knöpfe gleichzeitig. Nichts passierte – zuerst. Dann konnte Nick ein in Lautstärke zunehmendes Rumoren vernehmen. Und auch einen Lichtschein, dessen Ursprung hinten in der Halle lag, kam auf sie zu. Das Leuchten kam näher, erreichte sie und schoss vorbei. Alles ergreifend. Tötend. Eine Flutwelle aus Feuer wälzte sich durch die mit Millionen Schmetterlingen gefüllte Halle und ließ Nick erschrocken von der schützenden Glasscheibe zurückweichen. Zugegeben: Nick und seine Zwillingsschwester haben ihre Eigenheiten. So kann Nick sich an die Zeit im Mutterleib und sogar an ein vorheriges Leben erinnern. Als plötzlich die Welt um ihn herum aus den Fugen gerät, knüpft er erste Zusammenhänge zwischen seiner persönlichen Historie und der zunehmend größeren Anzahl an Menschen, welche sich nicht wirklich wie Menschen verhalten. Unbewusst rückt Nick damit sich und sein familiäres Umfeld in das Fadenkreuz einer jahrtausendalten Fehde, welche einst in Griechenland ihren Anfang nahm.
„Dann los“, verkündete Ramirez und drückte zwei rote Knöpfe gleichzeitig.
Nichts passierte – zuerst. Dann konnte Nick ein in Lautstärke zunehmendes Rumoren vernehmen. Und auch einen Lichtschein, dessen Ursprung hinten in der Halle lag, kam auf sie zu. Das Leuchten kam näher, erreichte sie und schoss vorbei. Alles ergreifend. Tötend. Eine Flutwelle aus Feuer wälzte sich durch die mit Millionen Schmetterlingen gefüllte Halle und ließ Nick erschrocken von der schützenden Glasscheibe zurückweichen.
Zugegeben: Nick und seine Zwillingsschwester haben ihre Eigenheiten. So kann Nick sich an die Zeit im Mutterleib und sogar an ein vorheriges Leben erinnern. Als plötzlich die Welt um ihn herum aus den Fugen gerät, knüpft er erste Zusammenhänge zwischen seiner persönlichen Historie und der zunehmend größeren Anzahl an Menschen, welche sich nicht wirklich wie Menschen verhalten. Unbewusst rückt Nick damit sich und sein familiäres Umfeld in das Fadenkreuz einer jahrtausendalten Fehde, welche einst in Griechenland ihren Anfang nahm.
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„Heute hast du aber lange gebraucht“, sagte Maria. Sie saß auf der
Couch, eine Mappe mit Entwürfen auf den angezogenen Knien.
„Ich war schon verwundert, dass du sie überhaupt so lange
aufgelassen hast.“
Müde verdrehte Maria die Augen, während Nick sich neben sie
setzte. „Sie bestand darauf, dass du ihr noch vorliest.“
„Tatsächlich hat sie heute länger als sonst durchgehalten. Bis zum
Ende.“
„Welche hast du ihr denn erzählt?“
„So lebe du zwar, doch hänge, du Schlechte“, zitierte Nick die Worte
Athenes, als diese Arachne vor ihrem Selbstmord bewahrte.
„Ovid“, erkannte Maria, zu deren Lieblingsbüchern ‚Die
Metamorphosen“ gehörte. In ihrem Schlafzimmer hing eine Abbildung
der Leda - beziehungsweise eine hochwertige Reproduktion einer
Interpretation des Malers Da Vinci –, eine weitere Figur aus dem
umfangreichen Werk des römischen Dichters der Zeitenwende.
„Meine belesene Schwester“, meinte Nick lächelnd, sah sich dann
um. „Wo ist denn eigentlich Holger heute?“
„Auf der Pirsch“, erwiderte sie, ihren Kohlestift in geschwungenen
Linien über das Papier führend. „In den letzten paar Tagen war er ganz
aufgekratzt. Hat irgendeinen neuen Typen kennen gelernt.“
Nick nahm diese Neuigkeit wie selbstverständlich zur Kenntnis. So
schwer er sich normalerweise mit dem Auffinden einer passenden
Partnerin tat, so einfach machte es sich Holger. Kein Jahr, in dem
Marias Kollege und besten Freund nicht mindestens drei Partner hatte.
Und Holgers Abwesenheit kam ihm eigentlich sehr gelegen. Gestern
Abend hatte Holger wie eine Klette an Maria gehaftet, und so hatte er
nicht die Möglichkeit gehabt, unter vier Augen mit seiner Schwester zu
sprechen.
„Zum Thema neuer Typ …“, wagte er sich nun vor.
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