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"Achtbeinige Seelen" (Leseprobe) von Yves Gorat Stommel

„Dann los“, verkündete Ramirez und drückte zwei rote Knöpfe gleichzeitig. Nichts passierte – zuerst. Dann konnte Nick ein in Lautstärke zunehmendes Rumoren vernehmen. Und auch einen Lichtschein, dessen Ursprung hinten in der Halle lag, kam auf sie zu. Das Leuchten kam näher, erreichte sie und schoss vorbei. Alles ergreifend. Tötend. Eine Flutwelle aus Feuer wälzte sich durch die mit Millionen Schmetterlingen gefüllte Halle und ließ Nick erschrocken von der schützenden Glasscheibe zurückweichen. Zugegeben: Nick und seine Zwillingsschwester haben ihre Eigenheiten. So kann Nick sich an die Zeit im Mutterleib und sogar an ein vorheriges Leben erinnern. Als plötzlich die Welt um ihn herum aus den Fugen gerät, knüpft er erste Zusammenhänge zwischen seiner persönlichen Historie und der zunehmend größeren Anzahl an Menschen, welche sich nicht wirklich wie Menschen verhalten. Unbewusst rückt Nick damit sich und sein familiäres Umfeld in das Fadenkreuz einer jahrtausendalten Fehde, welche einst in Griechenland ihren Anfang nahm.

„Dann los“, verkündete Ramirez und drückte zwei rote Knöpfe gleichzeitig.
Nichts passierte – zuerst. Dann konnte Nick ein in Lautstärke zunehmendes Rumoren vernehmen. Und auch einen Lichtschein, dessen Ursprung hinten in der Halle lag, kam auf sie zu. Das Leuchten kam näher, erreichte sie und schoss vorbei. Alles ergreifend. Tötend. Eine Flutwelle aus Feuer wälzte sich durch die mit Millionen Schmetterlingen gefüllte Halle und ließ Nick erschrocken von der schützenden Glasscheibe zurückweichen.

Zugegeben: Nick und seine Zwillingsschwester haben ihre Eigenheiten. So kann Nick sich an die Zeit im Mutterleib und sogar an ein vorheriges Leben erinnern. Als plötzlich die Welt um ihn herum aus den Fugen gerät, knüpft er erste Zusammenhänge zwischen seiner persönlichen Historie und der zunehmend größeren Anzahl an Menschen, welche sich nicht wirklich wie Menschen verhalten. Unbewusst rückt Nick damit sich und sein familiäres Umfeld in das Fadenkreuz einer jahrtausendalten Fehde, welche einst in Griechenland ihren Anfang nahm.

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„Die Polizei kommt gleich“, fügte Maria hinzu, bevor sie zur Tür ging:

„Ich schaue mal nach Merah.“

Sie kam nicht weit. Es klingelte, gerade als sie in den in der Hausmitte

liegenden Flur einbog, der vom Wohnzimmer auf die hintere, zweite

Wohnungstür führte.

Einen Augenblick lang regte sich niemand.

„Was nun?“, flüsterte Nick, seine Schwester aufsuchend.

Mit einer irritierten Handbewegung schickte sie ihn in die Küche

zurück, und fragte aus der Sicherheit des Flures heraus: „Wer ist da?“

„Entschuldigung!“, klang es gedämpft durch die vordere Haustür.

„Mein Freund ist verletzt. Er braucht einen Verband.“

„Der Krankenwagen ist gleich da!“, erwiderte Maria, sich nicht von

der Stelle bewegend.

„Er blutet sehr stark. Wann wird der Krankenwagen hier sein?“

„Jeden Moment.“

Eine Lüge, wusste Nick. Mindestens weitere fünf Minuten würden bis

zu der Ankunft der Sanitäter vergehen, da sich das Krankenhaus – ein

weißer, Sterilität ausstrahlender Kubus – in einem südlichen Vorort

befand.

„Können Sie uns nicht trotzdem einen Verband geben?“, drängte die

Stimme.

Ärger schwang in Marias Stimme mit, als sie antwortete:

„Überdecken Sie die Wunde einfach mit ihrem T-Shirt. Oder binden Sie

sie damit ab.“

Nick trat an Marias Seite. „Ich kann ihnen doch schnell einen Verband

durch das Fenster werfen“, schlug er leise vor.

Zuerst schüttelte sie resolut den Kopf, doch dann – als er nicht sofort

nachgab – stimmte sie zu. Schweigend zeigte sie auf das Badezimmer,

welches rechts vom Flur abging.

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