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Sozialdemokratische Partei Deutschlands

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<strong>Sozialdemokratische</strong> <strong>Partei</strong> <strong>Deutschlands</strong><br />

Unterbezirk Groß-Gerau<br />

Schiedskommission<br />

In dem <strong>Partei</strong>ordnungsverfahren<br />

SPD-Unterbezirk<br />

Groß-Gerau - Schiedskommission<br />

Im Antsee 18<br />

Telefon (06152) 54061<br />

64521 Groß-Gerau<br />

Telefax (06152) 53563<br />

Vorsitzender:<br />

Michael Müller-Puhlmann<br />

Entscheidung<br />

1. des SPD Ortsvereins Bensheim, c/o Herrn Dr. Wolfgang Johannsen, Wilhelm Busch<br />

Straße 23 in 64625 Bensheim,<br />

2. des SPD Ortsvereins Büdingen, c/o Herrn Levin Ulrich, Am Hellerberg 18 in 63654<br />

Büdingen,<br />

3. des SPD Ortsvereins Gießen-Mitte, c/o Frau Ika Bordasch, Roonstraße 32 in 35390<br />

Gießen,<br />

4. des SPD Ortsvereins Tann/Rhön, c/o Frau Renate Hofmann Stückfeldstraße 18 in<br />

36142 Tann/Rhön,<br />

5. des SPD Ortsvereins Bierstadt, c/o Herrn Stephan Belz, Erbenheimer Straße 3 in<br />

65191 Wiesbaden,<br />

6. des SPD Ortsvereins Wiesbaden-Mitte, c/o Herrn Stefan Wolf, Kaiser-Friedrich-Ring<br />

78 in 65185 Wiesbaden,<br />

7. des SPD Ortsvereins Hohenahr, c/o Frau Christina Rumpf-Bartat, Am Sportplatz 4 in<br />

35644 Hohenahr,<br />

8. des SPD Ortsvereins Liebenau, c/o Herrn Peter Surmann, Laibe 6 in 34396 Liebenau,<br />

9. des SPD Bezirks Hessen-Süd, c/o Herrn Jörg Jordan, Fischerfeldstraße 7-11 in 60311<br />

Frankfurt am Main,<br />

e-Mail:<br />

UB.Gross-Gerau@spd.de<br />

Internet:<br />

http://www.spd-ubgg.de<br />

Antragsteller zu 1. bis 9.,<br />

1. SPD-Orstverein Niederrad, c/o Imren Ergindemir, Franz-Helene-Straße 2, 65929<br />

Frankfurt<br />

2. SPD-Orstverein Ginnheim, c/o Rachid Rawas, Selma-Lagerlöf-Straße 18, 60431<br />

Frankfurt<br />

gegen<br />

Frau Dr. Carmen Everts, Neugasse 7a, 64560 Riedstadt<br />

Beigetretene zu 1. und 2.,<br />

Bankverbindung<br />

Kreissparkasse Groß-Gerau<br />

BLZ 508 525 53<br />

Konto 104 547<br />

Antragsgegnerin,<br />

/2.


- 2 -<br />

hat die Schiedskommission des SPD-Unterbezirks Groß-Gerau aufgrund der mündlichen<br />

Verhandlung vom 21. April 2009 in Büttelborn durch<br />

Herrn Michael Müller-Puhlmann, Vorsitzender<br />

Herrn Wolfgang Glotzbach, stellvertretender Vorsitzender<br />

Frau Gabriele Hillmer, stellvertretende Vorsitzende<br />

mit 2:1 Stimmen entschieden:<br />

Der Antragsgegnerin wird eine Rüge ausgesprochen.<br />

Gründe:<br />

Ob die Anträge unter 1. – 8., wie von der Antragsgegnerin bemängelt, unzureichend<br />

begründet waren, kann dahingestellt bleiben, da zumindest der Antrag unter 9. ausführlich<br />

und ausreichend begründet war.<br />

Der Antragsgegnerin wird eine Rüge ausgesprochen, weil sie zu spät erklärt hat, dass sie<br />

Andrea Ypsilanti nicht zur Ministerpräsidentin wählen wird.<br />

Im Nachgang zur Hessischen Landtagswahl 2008 hatte die SPD Hessen in einem<br />

monatelangen Diskussionsprozess auf allen Ebenen mit großer Mehrheit die Entscheidung<br />

getroffen, mit Andrea Ypsilanti als Ministerpräsidentin eine Minderheitsregierung<br />

anzustreben. Carmen Everts war als Unterbezirksvorsitzende von Anfang an in diesen<br />

Prozess eingebunden, im Falle des Unterbezirks Groß-Gerau sogar Initiatorin des<br />

Verfahrens. Hier hat sie u. a. bei einer mitgliederoffenen Unterbezirksbeiratssitzung<br />

(eingeladen war UB-weit unter "Regionalkonferenz - wie geht es weiter in Hessen") in<br />

Büttelborn am 02.09.2008 und zuletzt bei einem Unterbezirksparteitag in Kelsterbach am<br />

28.10.2008 zwar stets Bedenken vorgetragen, aber ausdrücklich keinen Zweifel daran<br />

gelassen, dass sie die Wahl von Andrea Ypsilanti unterstützen wird. Bei diesem <strong>Partei</strong>tag<br />

hatte ein Antrag mit der Stimme von Carmen Everts, bei wenigen Enthaltungen, eine große<br />

Mehrheit gefunden, der das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und<br />

Grünen und die Absicht eines Regierungswechsels unter Tolerierung durch die <strong>Partei</strong> „Die<br />

Linke“ unterstützt. Das Ansinnen eines weiteren Antrags, der ausdrücklich die Groß-Gerauer<br />

Landtagsabgeordneten Everts und Meixner-Römer aufforderte, für einen Politikwechsel zu<br />

stimmen, wurde von Carmen Everts unter dem Hinweis, dass am 04.11.2008 die CDU-<br />

Regierung abgewählt werden müsse und ein solcher Antrag ein Affront gegen ihre Person<br />

sei, zurückgewiesen.<br />

Carmen Everts hat dann am 03.11.2008, also einen Tag vor der geplanten Wahl, unter<br />

Berufung auf ihr Gewissen, bei einer Pressekonferenz die Öffentlichkeit und die SPD über<br />

ihre Absicht informiert, Andrea Ypsilanti nicht zu wählen.<br />

Damit hat sie die Umsetzung der Beschlüsse des Landesparteitages und des<br />

Unterbezirksparteitages faktisch verhindert.<br />

Die Antragsgegnerin steht einerseits als gewählte Landtagsabgeordnete mit ihrer Meinung<br />

und ihren politischen Entscheidungen unter dem Schutz der Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und<br />

Art. 76 Abs. 1 der Hessischen Verfassung. Diese Freiheit des Mandats wird nicht in Frage<br />

gestellt. Abgeordnete sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht<br />

gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.<br />

Sowohl Art. 38 GG als auch die Art. 76, 77 der Hessischen Verfassung schützen<br />

Abgeordnete ausschließlich bei der Ausübung ihres Mandats. Sie entfalten keine<br />

unmittelbare Wirkung auf andere Rechtsbeziehungen der Abgeordneten.<br />

/3.


- 3 -<br />

Eine solche andere Rechtsbeziehung ist die Mitgliedschaft in einer <strong>Partei</strong>. Sie ist rein<br />

privatrechtlicher Art. Ein Mitglied einer <strong>Partei</strong> hat die Pflicht, die Zwecke der <strong>Partei</strong> zu<br />

fördern, sich solidarisch zu verhalten und demokratisch gefasste Mehrheitsbeschlüsse nach<br />

außen mit zu tragen.<br />

Es gibt somit ein Spannungsverhältnis zwischen dem grundgesetzlich garantierten freien<br />

Mandat und der Loyalität zur <strong>Partei</strong>, die eine Direktkandidatin für ein Abgeordnetenmandat<br />

aufgestellt hat. Die <strong>Partei</strong> hat im Wahlkampf für diese Direktkandidatin, für ihr Programm und<br />

für die Landesliste geworben – weil sie mit einer von den gewählten Abgeordneten im<br />

Parlament unterstützten Regierung unter Führung dieser <strong>Partei</strong> einen möglichst großen Teil<br />

des Wahlprogramms der <strong>Partei</strong> umsetzen möchte. Dafür haben die <strong>Partei</strong> und die<br />

Abgeordneten ihre Wählerstimmen erhalten.<br />

Wären <strong>Partei</strong>mitglieder nicht an die politische Willensbildung innerhalb der <strong>Partei</strong> und die<br />

danach gefassten Mehrheitsbeschlüsse gebunden, wären Art. 21 Abs. 1 GG und die<br />

demokratischen Grundsätze, denen die innere Ordnung der <strong>Partei</strong>en entsprechen muss,<br />

bedeutungslos.<br />

Das Gebot der innerparteilichen Solidarität erfordert insbesondere dann, wenn Abgeordnete<br />

ihr Gewissen spüren, die <strong>Partei</strong> so früh wie möglich darüber zu informieren, dass sie<br />

bestimmte Beschlüsse aus Gewissensgründen nicht mittragen können. Wenn sie das tun,<br />

müssen sie aushalten, dass eine Mehrheit der <strong>Partei</strong> ihre Meinung nicht teilt, mit ihnen<br />

diskutiert und evtl. Beschlüsse fasst, um ihnen zu zeigen, dass die Mehrheit der <strong>Partei</strong><br />

anderer Auffassung ist. Wenn sie sich der <strong>Partei</strong> gegenüber fair und solidarisch verhalten,<br />

haben sie jedoch keine Sanktionen für ihr Verhalten gegenüber der <strong>Partei</strong> zu befürchten.<br />

Dafür gibt es auch in der SPD viele Beispiele. Im Unterbezirk Groß-Gerau erklärte z. B. der<br />

damalige Bundestagsabgeordnete Hermann Schmidt-Vockenhausen auf einem <strong>Partei</strong>tag<br />

öffentlich, dass er aus Gewissensgründen die Haltung der SPD zur Reform des § 218 nicht<br />

mittragen kann. Er erntete damit Widerspruch und kritische Diskussionen, gab jedoch keinen<br />

Anlass zu einem <strong>Partei</strong>ordnungsverfahren.<br />

Diese frühzeitige Information der <strong>Partei</strong> hat Carmen Everts jedoch versäumt. Sie hat<br />

vielmehr noch eine Woche vor dem geplanten Wahltermin 04.11.2008 auf dem <strong>Partei</strong>tag des<br />

UB Groß-Gerau verkündet, sie werde Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin wählen. Damit<br />

hat sie die <strong>Partei</strong> getäuscht und sich grob unsolidarisch verhalten.<br />

Die SPD als demokratische Volkspartei vereint in ihren Reihen Menschen aus den<br />

unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen und ein breites Spektrum von Meinungen. Das ist<br />

gut so und eine Stärke der SPD. Die unterschiedlichen Meinungen, Ansichten und<br />

Interessen werden in der SPD auf allen Ebenen diskutiert und bei politischem<br />

Handlungsbedarf in Beschlüssen zusammengeführt. Dabei kommt es vor, dass nicht alle<br />

unterschiedlichen Meinungen und Interessen sich in den Beschlüssen berücksichtigt und<br />

aufgehoben fühlen.<br />

Eine Funktionärin oder Mandatsträgerin der <strong>Partei</strong> hat die Pflicht, die Beschlüsse der <strong>Partei</strong><br />

nach außen hin zu vertreten, damit die <strong>Partei</strong> mit ihren demokratisch gefassten Beschlüssen<br />

eine politische Außenwirkung erzielen kann. Weicht ihre eigene Meinung von diesen<br />

Mehrheitsbeschlüssen deutlich ab, hat sie die <strong>Partei</strong> so früh wie möglich darüber zu<br />

informieren. Es bleibt dabei ihr gutes demokratisches Recht, im innerparteilichen<br />

Diskussionsprozess weiterhin für ihre Meinung zu argumentieren, dafür Unterstützung zu<br />

sammeln und darum zu werben, dass sie dafür eine Mehrheit erhält. Auch wenn sie<br />

zunächst noch keine Mehrheit erhält, kann sie innerparteilich weiter um eine andere Mehrheit<br />

werben. Aber die innerparteiliche Solidarität, ohne die eine <strong>Partei</strong> nach außen<br />

handlungsunfähig wird, erfordert, dass sie nach außen die Beschlüsse der Mehrheit mitträgt<br />

– auch dann, wenn sie selbst anderer Meinung ist.<br />

/4.


- 4 -<br />

Wollen Abgeordnete jederzeit völlig frei nach Lust und Laune abstimmen können, ist es<br />

unlogisch, dass sie für eine <strong>Partei</strong> oder auf einer <strong>Partei</strong>liste kandidieren. Jemand mit diesem<br />

Ziel sollte als freie/r Bürger/in mit seinem Programm (z.B. „Freiheit für die Abgeordnete“) erst<br />

Unterstützung in der Bevölkerung sammeln und sich dann zur Wahl stellen. Wenn jemand<br />

als Freiheitskämpfer/in für die Rechte der Abgeordneten in das Parlament gewählt wird, kann<br />

er/sie jederzeit nach Lust und Gewissen abstimmen. Für was er/sie in Sachfragen steht, ist<br />

dann egal - wenn das Gewissen schlägt, wird die Sache eher zweitrangig. Die Frage ist<br />

jedoch, wie viele Bürgerinnen und Bürger solche „Freistil-Abgeordneten“ wählen. Das hätte<br />

die Antragsgegnerin ausprobieren können.<br />

Sie wählte allerdings den Weg, Mitglied in der SPD zu werden und als Funktionärin,<br />

Angestellte und Mandatsträgerin dieser <strong>Partei</strong> politischen Einfluss zu erlangen. Dieser Weg,<br />

eine privatrechtliche Beziehung zu einer demokratischen <strong>Partei</strong> einzugehen, ist nicht nur mit<br />

Rechten, sondern auch mit den oben beschriebenen Pflichten verbunden.<br />

Die SPD hat einen aufwändigen und langwierigen Willensbildungsprozess gemäß den<br />

Wünschen der Antragsgegnerin und ihrer innerparteilichen Freunde durchgeführt. Dieser<br />

Willensbildungsprozess zeigte, dass die breite Mehrheit der <strong>Partei</strong> Andrea Ypsilanti auf<br />

ihrem Weg zu einer SPD-geführten Minderheitsregierung in Koalition mit Bündnis 90/Die<br />

Grünen, toleriert von der Linken, folgen wollte.<br />

Die Umsetzung dieser breiten Mehrheitsmeinung der SPD wurde von Carmen Everts, Jürgen<br />

Walter und Silke Tesch blockiert. Carmen Everts spielte dabei eine führende Rolle.<br />

Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich dabei wirklich um eine Gewissensfrage, eine Frage<br />

persönlicher Integrität und Grundwerte, handelte oder eher um eine persönliche<br />

Enttäuschung über den drohenden Verlust von Macht und Einfluss oder um enttäuschte<br />

Eitelkeit.<br />

Carmen Everts ist als langjährige Mitarbeiterin der SPD-Landtagsfraktion und Vorsitzende<br />

des SPD-Unterbezirks Groß-Gerau politisch erfahren. Sie muss gegen sich gelten lassen,<br />

dass man ihr Verhalten mit einem strengeren Maßstab misst als das Verhalten eines<br />

einfachen, unerfahrenen SPD-Mitglieds. Die SPD kann von einer Funktionärin,<br />

Mandatsträgerin und langjährigen Angestellten erwarten, dass sie weiß, dass sie der <strong>Partei</strong><br />

schweren Schaden zufügt, wenn sie eine mögliche Regierungsübernahme verhindert. Sie<br />

kann erwarten, dass die Antragsgegnerin weiß, dass sie mit ihrer viel zu späten<br />

Ankündigung am 03.11.08 sowohl das Gebot der innerparteilichen Solidarität außer Acht<br />

gelassen als auch gegen die Ordnung der <strong>Partei</strong> verstoßen hat.<br />

Ein Mitglied des Spruchkörpers war, auch nach Ende der ausführlichen Beratung, der<br />

Auffassung, dass der Ausschluss aus der <strong>Partei</strong> die angemessene Sanktion gewesen wäre.<br />

Rechtsmittelbelehrung<br />

Gegen diese Entscheidung können die Antragsgegnerin, die Antragsteller und die<br />

Beigetretenen innerhalb von zwei Wochen Berufung einlegen. Die Berufung muss schriftlich<br />

bei der Bezirksschiedskommission des SPD-Bezirks Hessen-Süd, Fischerfeldstraße 7-11 in<br />

60311 Frankfurt eingelegt und binnen eines Monats schriftlich begründet werden. Beide<br />

Fristen beginnen mit der Zustellung dieser Entscheidung zu laufen. Legt die Antragsgegnerin<br />

Berufung ein, so muss nach § 25 Abs. 2 der SchiedsO ihr Mitgliedsbuch bis zum Ablauf der<br />

Begründungsfrist bei der Bezirksschiedskommission eingegangen sein. Die Berufung hat<br />

aufschiebende Wirkung gegenüber der angefochtenen Entscheidung.<br />

Groß-Gerau, den 04.05.2009<br />

Michael Müller-Puhlmann<br />

Vorsitzender<br />

der Schiedskommission

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