Leseprobe August und Elisabeth Macke
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AUGUST<br />
UND<br />
DER MALER<br />
UND<br />
DIE MANAGERIN<br />
ELISABETH<br />
MACKE
AUGUST<br />
UND<br />
ELISABETH<br />
MACKE<br />
DER MALER<br />
UND<br />
DIE MANAGERIN
Abb. 1<br />
<strong>Elisabeth</strong> <strong>Macke</strong> (lesend), 1910, Fotografie, Münster, LWL-Museum<br />
für Kunst <strong>und</strong> Kultur, <strong>Macke</strong>-Archiv, MA-15,98<br />
INHALTSVERZEICHNIS<br />
6<br />
Grußwort<br />
Barbara Rüschoff-Parzinger<br />
146<br />
MODE UND MODERNITÄT<br />
7<br />
Grußwort<br />
Franz Dieter Kaldewei <strong>und</strong> Carl-Heinz Heuer<br />
148<br />
MODE UND MODERNITÄT<br />
IM WERK VON AUGUST MACKE<br />
Tanja Pirsig-Marshall<br />
8<br />
Vorwort<br />
Hermann Arnhold <strong>und</strong> Cathrin Klingsöhr-Leroy<br />
178<br />
INSPIRATION ORIENT<br />
12<br />
22<br />
38<br />
Biografie<br />
ELISABETH ALS MUSE<br />
AUGUST MACKE.<br />
BILDNISSE VON ELISABETH<br />
Anna Luisa Walter<br />
182<br />
»SCHAFFEN VON FORMEN<br />
HEISST: LEBEN«.<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong>s Besuch der<br />
Ausstellung von Meisterwerken<br />
muhammedanischer Kunst<br />
<strong>und</strong> seine Folgen<br />
Ina Ewers-Schultz<br />
214<br />
REZEPTION UND KÜNSTLERISCHES ERBE<br />
62<br />
74<br />
100<br />
DAS NETZWERK VON<br />
AUGUST UND ELISABETH<br />
DIE NETZWERKE VON AUGUST<br />
UND ELISABETH MACKE<br />
Anna Luisa Walter<br />
»ABER ICH STUDIERE GENAU«.<br />
KOPIEN UND NACHZEICHNUNGEN<br />
Tanja Pirsig-Marshall<br />
216<br />
224<br />
232<br />
AUGUST MACKE UND<br />
DIE REZEPTION SEINER BILDER<br />
Ulrike Gärtner<br />
AUGUST MACKE UND<br />
DAS WESTFÄLISCHE LANDESMUSEUM<br />
Eline van Dijk<br />
Einzel- <strong>und</strong> Gruppenausstellungen<br />
112<br />
IM KREIS DES BLAUEN REITER<br />
246<br />
Bibliografie<br />
114<br />
AUGUST MACKE UND DIE MUSIK<br />
Peter Vergo<br />
254<br />
Bildnachweis <strong>und</strong> Copyright<br />
256<br />
Impressum<br />
132<br />
ELISABETH MACKE UND<br />
DIE »MALERFRAUEN« DES BLAUEN REITER<br />
Claudia Leonore Kreile
GRUSSWORT<br />
GRUSSWORT<br />
Im Jahr 1953 wurde mit dem Bild Sitzender weiblicher Akt das erste Gemälde von<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong> angekauft <strong>und</strong> damit der Gr<strong>und</strong>stein für eine umfangreiche Sammlung<br />
mit Werken des Künstlers im LWL-Museum für Kunst <strong>und</strong> Kultur in Münster gelegt. In<br />
den folgenden Jahren hat das Museum diese Sammlung stetig erweitert. Heute gehören<br />
r<strong>und</strong> 400 Werke zum Bestand. Dazu kommen 80 Skizzenbücher sowie Briefe <strong>und</strong> weitere<br />
Dokumente, die den Aufbau eines hauseigenen <strong>Macke</strong>-Archivs erlaubten. So wurde<br />
das LWL-Museum für Kunst <strong>und</strong> Kultur schnell zu einem wichtigen Forschungszentrum<br />
zum Schaffen <strong>August</strong> <strong>Macke</strong>s. Die Ausstellung <strong>August</strong> <strong>und</strong> <strong>Elisabeth</strong> <strong>Macke</strong>. Der Maler<br />
<strong>und</strong> die Managerin zeigt daher insbesondere Arbeiten <strong>und</strong> Archivmaterialien aus dem<br />
Bestand des Museums, die durch wenige, sorgfältig ausgewählte Leihgaben ergänzt<br />
werden.<br />
Die Ausstellung richtet ihr Augenmerk erstmals nicht alleine auf die Kunst <strong>August</strong><br />
<strong>Macke</strong>s, sondern stellt auch seine Frau <strong>Elisabeth</strong> ins Zentrum. Stets hatte <strong>Macke</strong> sie<br />
vor Augen, ob real oder einfach nur in seiner Fantasie, <strong>und</strong> er strebte sein Leben lang<br />
danach, sie möglichst treffend wiederzugeben. <strong>Elisabeth</strong> inspirierte ihn zu Porträts,<br />
Aktdarstellungen, Genrebildnissen, aber auch zu Spaziergänger- <strong>und</strong> Schaufensterdarstellungen.<br />
Als vielseitig interessierte <strong>und</strong> talentierte Frau stellte sie nützliche Kontakte<br />
her <strong>und</strong> managte den Verkauf der Kunstwerke – auch lange nach dem frühen<br />
Kriegstod <strong>Macke</strong>s 1914. Der Verlust traf sie tief, wie ihre Tagebuchaufzeichnungen<br />
verraten, doch unbeirrt kümmerte sie sich um seinen künstlerischen Nachlass, hielt ihn<br />
über zwei Weltkriege zusammen <strong>und</strong> veröffentlichte 1962 ihre Erinnerungen an <strong>August</strong><br />
<strong>Macke</strong>. Durch ihr Handeln gilt <strong>Macke</strong> heute als einer der bekanntesten Künstler des<br />
deutschen Expressionismus.<br />
Die bisherigen <strong>Macke</strong>-Ausstellungen in Münster, angefangen mit der ersten Schau<br />
1957, haben sich immer als Publikumsmagnet erwiesen. Daher freuen wir uns nun auf<br />
diese Ausstellung, die seit 2001 die erste umfassende Werkschau des Künstlers im<br />
LWL- Museum für Kunst <strong>und</strong> Kultur ist <strong>und</strong> erstmals keine reine Kunstausstellung sein<br />
wird. Wir danken der Franz Dieter <strong>und</strong> Michaela Kaldewei Kulturstiftung für die exklusive<br />
Förderung der Ausstellung.<br />
Ein einzigartiges ›Kidditorial‹, gefördert durch die Kulturstiftung des B<strong>und</strong>es, bietet<br />
darüber hinaus für Kinder zwischen acht <strong>und</strong> zwölf Jahren ein digitales Format zur<br />
spiele rischen Vermittlung von Wissen über das Leben <strong>und</strong> Schaffen von <strong>August</strong> <strong>Macke</strong>.<br />
Im Namen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe wünschen wir allen<br />
Besucher:innen viel Freude beim (Neu-)Entdecken der Kunstwerke <strong>und</strong> allen<br />
Leser:innen des Katalogs eine interessante <strong>und</strong> aufschlussreiche Lektüre.<br />
Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger<br />
LWL-Kulturdezernentin<br />
»Aber mein Leben mit <strong>August</strong> war ja so unsagbar schön, vom ersten bis zum letzten<br />
Tage unserer Gemeinschaft, dass mir in allem Leid nur schöne Gedanken kommen […].<br />
Dann kommen oft Tage – Abende –, wo ich glaube, ich kann es nicht tragen, wo sich<br />
meine ganze Lebendigkeit <strong>und</strong> mein Daseinswille aufbäumen gegen dieses Schicksal,<br />
das mir in solchen St<strong>und</strong>en nur sinnlos <strong>und</strong> ungerecht erscheint […]. Wenn ich dann<br />
die Kinder atmen höre im Schlaf […] dann habe ich wieder Kraft, dann weiß ich, was ich<br />
aushalten muss.« <strong>Elisabeth</strong> <strong>Macke</strong> an Franz Marc, 1915<br />
Diese berührenden Zeilen richtete am 20. Januar 1915 <strong>Elisabeth</strong> <strong>Macke</strong> an Franz Marc.<br />
Nachdem ihr Mann am 26. September 1914 in Frankreich gefallen war, korrespon dierte<br />
die junge Witwe mit Franz <strong>und</strong> Maria Marc noch intensiver. <strong>Elisabeth</strong> <strong>Macke</strong> war das,<br />
was man heute eine ›starke Frau‹ nennt: Nicht nur Modell <strong>und</strong> Muse, Managerin <strong>und</strong><br />
Mutter, sondern grandioser Motor der Rezeption <strong>August</strong> <strong>Macke</strong>s in der Kunstwelt. Sie<br />
war es, die den umfangreichen künstlerischen Nachlass verwaltete, den Kontakt zu<br />
Galerist:innen <strong>und</strong> Sammler:innen hielt, Ausstellungen beschickte <strong>und</strong> die öffentliche<br />
Würdigung <strong>August</strong> <strong>Macke</strong>s initiierte. Es scheint nicht vermessen, zu sagen, erst durch<br />
<strong>Elisabeth</strong> ist <strong>August</strong> <strong>Macke</strong> zu dem geworden, als den wir ihn heute wahrnehmen: Ein<br />
lebensbejahender, begnadeter Künstler, vielleicht kein introvertierter Intellektueller wie<br />
Franz Marc oder visionärer Erneuerer wie Wassily Kandinsky, aber doch ein Maler, der<br />
befreit vom Ballast der Konventionen zeitgemäße Ausdrucksformen fand <strong>und</strong> ein heiteres,<br />
vielleicht rheinisches Lebensgefühl zum Ausdruck brachte jenseits seelischer<br />
Zerrüttung <strong>und</strong> bedeutungsvoller Gesten. <strong>Elisabeth</strong> <strong>Macke</strong> lernte <strong>August</strong> 1903 in Bonn<br />
kennen, wo sie ihn 1909 heiratete, die fünfjährige Ehe, aus der zwei Söhne, Walter <strong>und</strong><br />
Wolfgang, hervorgingen, prägte ihr Leben.<br />
Die Franz Dieter <strong>und</strong> Michaela Kaldewei Kulturstiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht,<br />
die Kunst <strong>und</strong> Kultur des deutschen Expressionismus zu fördern. Nach Projekten in<br />
Frankfurt am Main <strong>und</strong> Hamburg, in Düsseldorf, Berlin <strong>und</strong> Dresden kommt die Stiftung<br />
sozusagen nach Hause. Kultur ist Heimat, auch ihre Förderung braucht Wurzeln. Die<br />
Idee, dem Künstler-Paar <strong>August</strong> <strong>und</strong> <strong>Elisabeth</strong> <strong>Macke</strong>, im LWL-Museum für Kunst <strong>und</strong><br />
Kultur in Münster eine eigene Ausstellung zu widmen, hat uns sogleich überzeugt <strong>und</strong><br />
begeistert.<br />
Den Kuratorinnen der Ausstellung, Frau Dr. Tanja Pirsig-Marshall <strong>und</strong> Frau Anna Luisa<br />
Walter, gilt unser besonderer Dank, darüber hinaus dem ganzen Vorbereitungs-Team,<br />
dem Direktor des LWL-Museum für Kunst <strong>und</strong> Kultur, Herrn Dr. Hermann Arnhold, <strong>und</strong><br />
der Direktorin des Franz Marc Museums in Kochel am See, Frau Dr. Cathrin Klingsöhr-<br />
Leroy. Die Zusammenarbeit im Vorfeld der Ausstellung hat uns viel Spaß gemacht,<br />
Leidenschaft <strong>und</strong> Begeisterung für die Kunst verbinden.<br />
Wir freuen uns darauf, den Besucher:innen der Ausstellung diese besondere Begegnung<br />
mit <strong>August</strong> <strong>und</strong> <strong>Elisabeth</strong> <strong>Macke</strong> zu ermöglichen. Nach der Corona-bedingten<br />
musealen Abstinenz zeigt sich einmal mehr: Die Seele eines Kunstwerks ist das Original,<br />
weder digitale Ausstellungen noch farbige Bildbände können es ersetzen.<br />
Franz Dieter Kaldewei<br />
Carl-Heinz Heuer<br />
6 GRUSSWORT<br />
7
VORWORT<br />
Die Rolle von <strong>Elisabeth</strong> Erdmann-<strong>Macke</strong> im Leben, Schaffen <strong>und</strong> Nachleben ihres ersten<br />
Mannes war bedeutend vielseitiger <strong>und</strong> umfassender als bisher allgemein dargestellt.<br />
Die intensive künstlerische Auseinandersetzung <strong>August</strong> <strong>Macke</strong>s mit seiner Lebenspartnerin,<br />
die ihm Gefährtin, Muse <strong>und</strong> Lieblingsmodell in einem war, zeigte das <strong>August</strong><br />
<strong>Macke</strong> Haus 2009 in einer ihr gewidmeten Schau mit dem Titel Mein Zweites Ich. Zu<br />
zeigen, dass <strong>Elisabeth</strong> für <strong>Macke</strong> viel mehr war als sein bevorzugtes Modell <strong>und</strong> Seelenverwandte,<br />
Hausfrau <strong>und</strong> Mutter, ist die Intention der Ausstellung im LWL-Museum für<br />
Kunst <strong>und</strong> Kultur in Münster.<br />
Spätestens seit der großen <strong>Macke</strong> Ausstellung 1957 hat sich das Museum in Münster<br />
auf der Basis der 80 Skizzenbücher <strong>und</strong> dem später hinzugekommenen Nachlass<br />
des Künstlers mit den Korrespondenzen, Quellentexten <strong>und</strong> Fotos als wichtigste<br />
Forschungs stätte zu <strong>August</strong> <strong>Macke</strong> etabliert. Heute sind in der Sammlung annähernd<br />
400 Objekte – Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Stickereientwürfe, Textilien <strong>und</strong><br />
Skulpturen, die nun die Gr<strong>und</strong>lage der Ausstellung bilden.<br />
Die Ausstellung setzt sich intensiv mit der Bedeutung <strong>Elisabeth</strong>s für das Schaffen<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong>s, mit ihrem persönlichen Netzwerk <strong>und</strong> ihrer Tätigkeit als Managerin des<br />
künstlerischen <strong>und</strong> schriftlichen Nachlasses ihres Mannes sowie auch mit der Bedeutung<br />
ihres eigenen künstlerischen <strong>und</strong> literarischen Werkes auseinander. Die vielen noch<br />
existierenden Dokumente, die zum großen Teil im LWL-Museum für Kunst <strong>und</strong> Kultur verwahrt<br />
werden, zeigen nicht nur wie intensiv sie sich mit der Verbreitung seines Werkes<br />
beschäftigte, sondern auch wie sie bei ihrem Mann mitarbeitete <strong>und</strong> mitwirkte.<br />
Zusammen mit ihrer Mutter Sophie Gerhardt, weiteren Familienmitgliedern <strong>und</strong> auch<br />
Maria Marc fertigte <strong>Elisabeth</strong> <strong>Macke</strong> Stickereien nach den Entwürfen ihres Mannes an,<br />
war vielseitig interessiert, musikalisch begabt <strong>und</strong> sprachlich versiert. Durch ihre Vorlieben<br />
inspirierte sie das Schaffen des Künstlers. Darüber hinaus stand sie in Kontakt<br />
zu seinen Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Weggefährten. Ihr Haus in Bonn war Treffpunkt der rheinischen<br />
Kunstszene. Eingeb<strong>und</strong>en in ein komplexes <strong>und</strong> vielschichtiges Beziehungsgefüge aus<br />
Künstlerpersönlichkeiten <strong>und</strong> Gruppenbildungen, Sezessionen <strong>und</strong> Privatclubs, Galerien<br />
<strong>und</strong> Kunsthändlern, Sammlern <strong>und</strong> Museumsleuten beteiligte sich <strong>August</strong> <strong>Macke</strong><br />
intensiv an künstlerischen Diskursen <strong>und</strong> kulturpolitischen Debatten <strong>und</strong> tauschte sich<br />
darüber mit <strong>Elisabeth</strong> aus, in der er eine Seelenverwandte <strong>und</strong> ebenbürtige Partnerin<br />
gef<strong>und</strong>en hatte. Das Gästebuch der Familie spiegelt dieses Engagement wieder.<br />
Schon kurz nach dem Tod ihres Mannes als Soldat im Ersten Weltkrieg begann <strong>Elisabeth</strong><br />
1915, ihre Erinnerungen an <strong>August</strong> <strong>Macke</strong> festzuhalten, seine künstlerischen Gedanken<br />
aufs Papier zu bringen <strong>und</strong> seine Werke in einem ersten Verzeichnis zu erfassen.<br />
Ihr strategisches Wirken war Gr<strong>und</strong>lage für das Fortleben seiner Kunst. Sie unterhielt<br />
Kontakte zu Kunsthändlern <strong>und</strong> kümmerte sich darum, dass seine Werke regelmäßig in<br />
Ausstellungen zu sehen waren, sandte größere Konvolute als Kommissionsware an die<br />
wichtigsten Galeristen der Moderne, unter ihnen die Galerien <strong>und</strong> Kunsthandlungen Alex<br />
Vömel in Düsseldorf, Günther Franke in München, Galerie Ferdinand Möller <strong>und</strong> Galerie<br />
Nierendorf in Berlin <strong>und</strong> Rudolf Probst vom Kunsthaus Mannheim. Darüber hinaus besaß<br />
sie Verbindungen zur französischen Kunstszene, zu den Kunsthändlern Bernheim-Jeune<br />
sowie dem Kunstkritiker <strong>und</strong> Journalisten Felix Fénéon.<br />
In den 1920er- <strong>und</strong> 1930er-Jahren bot sie regelmäßig Museen <strong>und</strong> Privatsammlern<br />
Werke als Leihgaben oder zum Kauf an. Neben dem Folkwang Museum in Essen, dem<br />
Kunstmuseum Düsseldorf, dem Barmer Kunstverein <strong>und</strong> dem Städtischen Museum<br />
Breslau unterhielt <strong>Elisabeth</strong> regelmäßige Kontakte zur Nationalgalerie in Berlin, die<br />
von ihr 1921 das Gemälde Spaziergänger (Großer heller Spaziergang) erwarb.<br />
Dieses Gemälde, 1937 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt, befindet sich heute<br />
im LWL-Museum für Kunst <strong>und</strong> Kultur in Münster. Weitsichtig lagerte <strong>Elisabeth</strong> schon<br />
kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs den Großteil des Nachlasses, bestehend aus<br />
Gemälden, Aquarellen, Pastellen, Zeichnungen <strong>und</strong> Skizzenbüchern, an verschiedenen<br />
Orten in <strong>und</strong> um Berlin sowie Westdeutschland aus <strong>und</strong> bewahrte diese so vor einer<br />
Zerstörung im Krieg.<br />
Weniger erfolgreich jedoch war <strong>Elisabeth</strong>s Versuch, <strong>August</strong> <strong>Macke</strong> frühzeitig eine Gedächtnisausstellung<br />
zu widmen. Auf Anraten von Franz Marc zögerte sie, diese im Krieg<br />
auszurichten. Letztendlich fand diese Ausstellung dann 1920 in Frankfurt am Main <strong>und</strong><br />
Wiesbaden statt, wurde zu ihrem Bedauern aber nur mäßig beachtet. Anders sah es<br />
1957 aus. Die vom Westfälischen Landesmuseum, dem Westfälischen Kunstverein <strong>und</strong><br />
der Westfälischen Wilhelms-Universität zum 70. Geburtstag des Künstlers in Münster<br />
geplante Ausstellung war ein außergewöhnlich großer Erfolg. Der Katalog musste dreimal<br />
nachgedruckt werden.<br />
Seit 1979 befindet sich der künstlerische Nachlass von <strong>August</strong> <strong>Macke</strong> im LWL-Museum<br />
für Kunst <strong>und</strong> Kultur. Die Auswertung der darin befindlichen Unterlagen eröffnet heute<br />
neue Einsichten in <strong>Elisabeth</strong> <strong>Macke</strong>s Handeln: Sie führte sorgsam Buch über alle Werke,<br />
die verkauft oder verschenkt wurden. Als Verwalterin des künstlerischen <strong>und</strong> schriftlichen<br />
Nachlasses leistete <strong>Elisabeth</strong> Beachtliches. Ohne die Abschriften, die sie in den<br />
1930er-Jahren von den Briefen <strong>August</strong> <strong>Macke</strong>s anfertigen ließ, wären diese unwiederbringlich<br />
verloren, da die Originale 1943 im Krieg verbrannt sind.<br />
In fünf Kapiteln widmet sich die Ausstellung dieser außergewöhnlichen Frau, die viel<br />
mehr war als Muse, Modell <strong>und</strong> Managerin. Als Gr<strong>und</strong>lage für die in der Ausstellung<br />
<strong>und</strong> den Katalogbeiträgen vermittelten Inhalte diente die Auswertung der Briefe, des<br />
8 VORWORT<br />
9
Kassa-Buchs, in dem sie Verkäufe <strong>und</strong> Schenkungen festhielt, <strong>und</strong> weiteren Quellen<br />
aus dem <strong>Macke</strong>-Archiv im LWL-Museum für Kunst <strong>und</strong> Kultur. Diese geben ein genaues,<br />
wenngleich subjektives Bild von <strong>Macke</strong>, seiner Frau <strong>und</strong> ihrem Umfeld.<br />
Wir möchten allen, die an der Planung <strong>und</strong> Realisierung dieser Ausstellung beteiligt<br />
waren, unseren herzlichen Dank aussprechen. An erster Stelle gilt unser Dank den Leihgebern,<br />
die zugestimmt haben, sich für eine längere Zeit von ihren Werken zu trennen,<br />
<strong>und</strong> es uns dadurch ermöglicht haben, diese in Münster <strong>und</strong> im Franz Marc Museum in<br />
Kochel am See zeigen zu können.<br />
Danken möchten wir den Katalogautor:innen Ina Ewers-Schultz, Ulrike Gärtner, Claudia<br />
Leonore Kreile, Eline van Dijk <strong>und</strong> Peter Vergo. Sie haben mit ihren Beiträgen ein Stück<br />
zur Forschung um den Künstler <strong>August</strong> <strong>Macke</strong> <strong>und</strong> seine Frau <strong>und</strong> Managerin <strong>Elisabeth</strong><br />
beigetragen.<br />
Unser besonders herzlicher Dank gilt den beiden Kuratorinnen der Ausstellung in Münster,<br />
Dr. Tanja Pirsig-Marshall <strong>und</strong> Anna Luisa Walter, die in kurzer Zeit mit unermüdlichem<br />
Einsatz, immenser Kenntnis <strong>und</strong> Freude an der Erarbeitung neuer Themen die Ausstellung<br />
konzipiert <strong>und</strong> realisiert haben. Darüber hinaus danken wir ebenso herzlich Ingrid Fisch<br />
<strong>und</strong> Anne Avenarius für die Entwicklung <strong>und</strong> großartige Umsetzung der die Sonderausstellung<br />
begleitenden Familienausstellung <strong>August</strong> <strong>und</strong> das Zirkuspferd sowie für die Erarbeitung<br />
des ›Kidditorials‹ durch Ingrid Fisch, Leonie Martens <strong>und</strong> Max Dörbecker.<br />
Es ist uns eine große Freude, dass die in Münster entstandene Ausstellung 2023 auch<br />
in Süddeutschland im Franz Marc Museum in Kochel am See zu sehen sein wird. So<br />
gerät ein weiterer wichtiger Aspekt des Themas in den Blick, denn <strong>Elisabeth</strong> <strong>und</strong> <strong>August</strong><br />
<strong>Macke</strong> verband eine enge Fre<strong>und</strong>schaft mit Maria <strong>und</strong> Franz Marc. Die Künstler besuchten<br />
sich häufig. <strong>August</strong> <strong>Macke</strong> reiste nach Sindelsdorf, wo Franz Marc lebte <strong>und</strong><br />
Franz Marc besuchte das Ehepaar <strong>Macke</strong> in Bonn. Höhepunkt der Fre<strong>und</strong>schaft war die<br />
gemeinsame Parisreise 1912. Nach dem Tod von <strong>August</strong> <strong>Macke</strong> <strong>und</strong> Franz Marc wurde<br />
diese wichtige Verbindung von den beiden Frauen aufrechterhalten. Das Franz Marc<br />
Museum verfügt mit der Großen Promenade von 1914 <strong>und</strong> dem Café am See von<br />
1913 über zwei besonders wichtige Gemälde <strong>August</strong> <strong>Macke</strong>s. Neben dem bedeutenden<br />
Bestand an Werken Franz Marcs bilden sie den Hintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Anknüpfungspunkt für<br />
die Ausstellung in Kochel am See.<br />
Schließlich danken wir besonders herzlich der Franz Dieter <strong>und</strong> Michaela Kaldewei Kulturstiftung<br />
<strong>und</strong> ihrem Vorstand Professor Carl-Heinz Heuer, deren großzügige finanzielle<br />
Förderung dieses Projekt erst möglich machte.<br />
Im Namen aller an diesem w<strong>und</strong>erbaren Ausstellungsprojekt Beteiligten wünschen wir<br />
allen Besucher:innen viel Freude beim R<strong>und</strong>gang durch die Ausstellungen in Münster<br />
<strong>und</strong> Kochel am See <strong>und</strong> allen Leser:innen des Kataloges viel Anregung, Kunstgenuss<br />
<strong>und</strong> Inspiration.<br />
Allen an der Vorbereitung Beteiligten sei unser herzlicher Dank ausgesprochen: Gudrun<br />
Püschel, die mit großer Sorgfalt <strong>und</strong> Gründlichkeit alle organisatorischen Fäden in ihren<br />
bewährten Händen hielt, <strong>und</strong> immer verlässliche Unterstützung gewährte. Dank gilt der<br />
souveränen Pressearbeit von Claudia Miklis <strong>und</strong> ihrem Team, der Kunstvermittlung unter<br />
Ingrid Fisch <strong>und</strong> Anne Avenarius, unserer Fotografin Hanna Neander für die Prüfung<br />
der Fotos, Bastian Weisweiler für seine Drittelmittelakquise, Daniel Müller Hofstede für<br />
das vielseitige <strong>und</strong> innovative Kulturprogramm sowie unserem Registrar Eric Blanke<br />
für die umsichtige Bearbeitung des Leihverkehrs. Der Verwaltung um Detlev Husken<br />
<strong>und</strong> Monika Denkler sowie den beiden Magazinleitern, Jürgen Wanjek <strong>und</strong> Jürgen<br />
Uhlenbrock <strong>und</strong> den Restauratorinnen Jana Exner, Marie Kern, Claudia Musolff, Jutta<br />
Tholen sowie Anna Alena Hoffmann möchten wir unser besonderes Lob für ihre intensive<br />
Unterstützung im Vorfeld <strong>und</strong> während der Ausstellung aussprechen.<br />
Dr. Hermann Arnhold<br />
Direktor<br />
LWL-Museum für Kunst <strong>und</strong> Kultur<br />
Dr. Cathrin Klingsöhr-Leroy<br />
Direktorin<br />
Franz Marc Museum<br />
Eine überwiegend aus dem Sammlungsbestand erarbeitete Ausstellung bedeutet aufgr<strong>und</strong><br />
ihrer intensiven Vorarbeit eine andere Herausforderung. Nicht zuletzt geht daher<br />
unser herzlicher Dank an Werner Müller <strong>und</strong> sein Team, die wie immer ihre Findigkeit<br />
<strong>und</strong> Expertise unter Beweis gestellt haben.<br />
10 VORWORT<br />
11
Abb. 2<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong> <strong>und</strong> <strong>Elisabeth</strong> Gerhardt, 1908, Fotografie, Münster,<br />
LWL-Museum für Kunst <strong>und</strong> Kultur, <strong>Macke</strong>-Archiv, MA-15,14 LM<br />
BIOGRAFIE<br />
AUGUST UND ELISABETH<br />
MACKE<br />
1887<br />
<strong>August</strong> Robert Ludwig <strong>Macke</strong> wird am<br />
3. Januar in Meschede im Sauerland als<br />
Jüngster von drei Geschwistern geboren.<br />
Die Familie zieht 1897 nach Köln, wo<br />
<strong>Macke</strong> das Kreuzgymnasium besucht.<br />
Abb. 4<br />
Familie <strong>Macke</strong>, 1901, vorne: v.l. <strong>August</strong> Friedrich<br />
Hermann <strong>Macke</strong>, <strong>August</strong> <strong>und</strong> Florentine<br />
<strong>Macke</strong>, hinten: v.l. Ottilie <strong>und</strong> <strong>August</strong>e <strong>Macke</strong>,<br />
Fotografie, Münster, LWL-Museum für Kunst<br />
<strong>und</strong> Kultur, <strong>Macke</strong>-Archiv, MA-15,216 LM<br />
1904<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong> geht vorzeitig vom Gymnasium<br />
ab <strong>und</strong> beginnt im Oktober ein<br />
Studium an der Königlichen Kunstakademie<br />
in Düsseldorf. Dort studiert er in der<br />
Zeichenklasse des Historienmalers Adolf<br />
Maennchen (1860–1920).<br />
Abb. 3<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong> (en face, sitzend,<br />
mit verschränkten Armen), um<br />
1903, Fotografie, Münster, LWL-<br />
Museum für Kunst <strong>und</strong> Kultur,<br />
<strong>Macke</strong>-Archiv, MA-15,11 LM<br />
1888<br />
<strong>Elisabeth</strong> Gerhardt kommt als zweites<br />
Kind des Bonner Unternehmers Carl<br />
Gerhardt (1846–1907) <strong>und</strong> seiner Frau<br />
Sophie (1865–1947), geb. Koehler, in<br />
Bonn auf die Welt.<br />
1903<br />
Erste Begegnung mit der Fabrikantentochter<br />
<strong>Elisabeth</strong> Gerhardt, seiner<br />
späteren Frau. Die beiden sehen sich<br />
regelmäßig auf dem Schulweg. Unter<br />
dem Vorwand seinen Mitschüler Walter<br />
Gerhardt (1886–1958), den um zwei<br />
Jahre älteren Bruder von <strong>Elisabeth</strong>, porträtieren<br />
zu wollen, bekommt er Zugang<br />
zur Familie Gerhardt <strong>und</strong> zeichnet in der<br />
Folge auch <strong>Elisabeth</strong>.<br />
<strong>Elisabeth</strong> Gerhardt reist mit Mutter <strong>und</strong><br />
Bruder sowie dem Maler Heinrich Brüne<br />
(1869–1945), einem Verwandten, nach<br />
Italien <strong>und</strong> Tunis.<br />
Gemeinsam unternehmen <strong>August</strong> <strong>Macke</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Elisabeth</strong> Gerhardt Wanderungen<br />
in die nähere Umgebung Bonns <strong>und</strong> die<br />
zahlreichen Skizzen <strong>Macke</strong>s aus jener<br />
Zeit zeigen die innige Verb<strong>und</strong>enheit der<br />
beiden.<br />
1900<br />
Umzug der Familie <strong>Macke</strong> nach Bonn.<br />
Mutter <strong>und</strong> Schwestern betreiben dort<br />
eine Fremdenpension. Besuch des<br />
Bonner Realgymnasiums, wo sich <strong>August</strong><br />
<strong>Macke</strong> u. a. mit Alfred Hugo Schütte<br />
(1887–1958) anfre<strong>und</strong>et, dessen Vater<br />
ihm später durch ein Stipendium das Studium<br />
an der Kunstakademie ermöglicht.<br />
Abb. 5<br />
<strong>Elisabeth</strong> Gerhardt mit Hut,<br />
1906, Fotografie, Münster,<br />
LWL-Museum für Kunst <strong>und</strong> Kultur,<br />
<strong>Macke</strong>-Archiv, MA-15,100 LM<br />
Abb. 6<br />
<strong>Elisabeth</strong> <strong>Macke</strong> mit Geschirr<br />
in den Händen, o. J., Fotografie,<br />
Münster, LWL-Museum für Kunst<br />
<strong>und</strong> Kultur, <strong>Macke</strong>-Archiv,<br />
MA-15,108 LM<br />
12 BIOGRAFIE<br />
13
Abb. 32<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong>, Porträt mit Äpfeln, 1909, Öl auf Leinwand,<br />
66 x 59,5 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus <strong>und</strong><br />
Kunstbau München<br />
AUGUST MACKE.<br />
BILDNISSE VON ELISABETH<br />
Anna Luisa Walter<br />
»Meine Lisbeth« 1 , »[m]eine teure gute Fre<strong>und</strong>in« 2 , »[s]üßer<br />
Möpp« 3 , »mein zweites Ich« 4 – <strong>August</strong> <strong>Macke</strong> fand in seinen<br />
Briefen viele Namen für seine engste Vertraute <strong>und</strong> spätere<br />
Ehefrau <strong>Elisabeth</strong> Gerhardt (1888–1978). Sie lernten sich bereits<br />
in ihrer Jugend kennen. Nachdem sich beide regelmäßig<br />
auf dem Schulweg <strong>und</strong> auf kulturellen Veranstaltungen begegnet<br />
<strong>und</strong> aufgefallen waren, wurde das spätere Paar 1903 im<br />
Hause von <strong>Elisabeth</strong>s Familie in Bonn einander vorgestellt. 5<br />
Der damals 16-jährige <strong>August</strong> hatte sich zuvor darum<br />
bemüht, den älteren Bruder <strong>Elisabeth</strong>s, Walter Gerhardt<br />
(1886–1958), porträtieren zu dürfen <strong>und</strong> kam so in Kontakt<br />
mit der Familie. Dadurch konnte er, auch dank der Mithilfe<br />
des gemeinsamen Bekannten Vincenz H<strong>und</strong>hausen 6 (1878–<br />
1955), die 15-jährige <strong>Elisabeth</strong> bitten, ihm ebenfalls Modell<br />
zu sitzen; eine Anfrage, der sie erst beim zweiten Anlauf<br />
zustimmte. Die Relevanz dieser Begegnung für <strong>Macke</strong> wird<br />
in einem Brief an einen seiner ältesten Fre<strong>und</strong>e Hans Thuar 7<br />
(1887–1945) deutlich: »[I]ch habe ein Glück: das ist unglaublich.<br />
[…] Weib gesehen, reine Zigeunerin 8 , (ev.) Bruder<br />
Oberprima gesagt, er hätte fabelhaft interessantes Gesicht.<br />
(Ihn daher gezeichnet.) So in erste Familien geschlichen. Von<br />
Bekannten (Reserveleuten) gestern Eid geschworen bekommen,<br />
dass ich in den Ferien besagtes Weib malen soll.« 9 Die<br />
geplante Porträtsitzung kam zustande <strong>und</strong> bot <strong>August</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Elisabeth</strong> erstmals die Möglichkeit, ungestört miteinander<br />
zu reden. <strong>Elisabeth</strong> beschrieb die Zweisamkeit zunächst als<br />
etwas »befangen, doch sehr fre<strong>und</strong>lich«. 10 Während der junge<br />
Künstler das Gesicht seines Modells mit Kohle zeichnete,<br />
unterhielten sich die beiden sehr angeregt <strong>und</strong> fanden schnell<br />
gemeinsame Vorlieben. Insbesondere der Schweizer Künstler<br />
Arnold Böcklin (1827–1901) begeisterte beide, wie sie bereits<br />
bei dieser ersten Porträtsitzung feststellten. 11<br />
Dieses erste Treffen zu zweit sollte für die elf gemeinsamen<br />
Jahre von <strong>August</strong> <strong>und</strong> <strong>Elisabeth</strong> charakteristisch<br />
sein. Bevor das Paar durch den frühen Tod <strong>Macke</strong>s am<br />
26. September 1914 für immer getrennt wurde, war ihre enge<br />
Beziehung durch einen intensiven Gedankenaustausch geprägt.<br />
Seit Beginn der Fre<strong>und</strong>schaft standen Kunst, Literatur<br />
<strong>und</strong> Kultur, aber auch die Naturverehrung im Zentrum ihrer<br />
Gespräche. Beide waren in kunst- <strong>und</strong> kulturaffinen Haushalten<br />
aufgewachsen: <strong>August</strong>s Vater <strong>August</strong> Friedrich Hermann<br />
<strong>Macke</strong> (1845–1904) war Tiefbauingenieur <strong>und</strong> Bauunternehmer<br />
gewesen <strong>und</strong> hatte alte Stiche <strong>und</strong> Münzen gesammelt:<br />
Abb. 33<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong>, Porträtstudie <strong>Elisabeth</strong><br />
Gerhardt, 1903, Aquarellfarbe auf<br />
Zeichenpapier, 11,7 x 10,6 cm<br />
(beschnitten 11,4 x 10,3 cm), Privatbesitz<br />
Kunstwerke, die er seinem Sohn regelmäßig präsentierte.<br />
Zugleich förderte er auch dessen Zeichentalent. <strong>Elisabeth</strong> hingegen<br />
stammte aus einer wohlhabenden Bonner Kaufmannsfamilie<br />
<strong>und</strong> hatte sowohl den Kunstsammler <strong>und</strong> späteren<br />
Mäzen <strong>Macke</strong>s Bernhard Koehler (1849–1927) als auch den<br />
Maler Heinrich Brüne (1869–1945) zum Großonkel, zu denen<br />
enge Kontakte bestanden. Als seine engste Vertraute konnte<br />
<strong>Elisabeth</strong> <strong>August</strong> so von Beginn an unterstützen, sich intellektuell,<br />
vor allem jedoch künstlerisch zu formen. Wie groß<br />
<strong>Elisabeth</strong>s Einfluss auf ihn war, versicherte ihr <strong>Macke</strong> bereits<br />
1904: »Du liebes Mädchen, glaube mir, ich habe mehr durch<br />
Dich gelernt, als Du durch mich. […] Wir wollen gleichstehen<br />
in Bildung <strong>und</strong> in Liebe, zwei treue Fre<strong>und</strong>e.« 12 Nach eigener<br />
Aussage setzte ihr <strong>August</strong> jedes einzelne Bild in jeder Phase<br />
des Entstehens vor <strong>und</strong> sie musste ihr Urteil abgeben. 13<br />
38 ELISABETH ALS MUSE<br />
39
<strong>Elisabeth</strong> war für <strong>August</strong> jedoch weitaus mehr,<br />
als nur seine Beraterin in Fragen der Kunst. Seit der ersten<br />
Porträtsitzung im Hause Gerhardt war <strong>Elisabeth</strong> seine größte<br />
Muse <strong>und</strong> tauchte bis 1914 regelmäßig in den Gemälden,<br />
Aquarellen <strong>und</strong> Skizzen des Künstlers auf – <strong>Macke</strong> nennt<br />
sie gar sein »Hauptmotiv«. 14 Als das erste erhaltene Bildnis<br />
seiner späteren Frau ist die Porträtstudie <strong>Elisabeth</strong><br />
Gerhardt, Abb. 33 entstanden 1903, bekannt. Das kleine,<br />
vermutlich beschnittene Aquarell ist in Rot- <strong>und</strong> Blau tönen<br />
gehalten <strong>und</strong> zeigt die Jugendliche nachdenklich, aber<br />
fre<strong>und</strong>lich blickend. In der Folge hielt <strong>Macke</strong> <strong>Elisabeth</strong>, die er<br />
am 5. Oktober 1909 heiratete, in über 200 Bildnissen fest.<br />
<strong>Elisabeth</strong> dürfte damit zu den am häufigsten porträtierten<br />
Frauen des deutschen Expressionismus zählen. Zugleich<br />
hatte <strong>Macke</strong> nur wenige weitere weibliche Modelle für seine<br />
Porträts. Im Gegensatz zu vielen Künstler:innen, die Bildnisse<br />
hauptsächlich als Auftragsarbeiten für ihre Modelle oder<br />
deren Angehörige malten, konzentrierte sich <strong>Macke</strong> zumeist<br />
auf das Abbilden seines engsten Umkreises. So finden sich<br />
in seinem Œuvre einige Bildnisse seiner Schwestern <strong>August</strong>e<br />
(1873–1953) <strong>und</strong> Ottilie (1875–1938), seiner Mutter<br />
Florentine (1848–1922), seiner späteren Schwiegermutter<br />
Sophie (1865–1948) <strong>und</strong> Schwieger-Großmutter Katharina<br />
Koehler (1836–1917). Ausnahmen bilden Kopien nach bekannten<br />
Künstlern, wie Sandro Botticelli (1445–1510), Paul<br />
Gauguin (1848–1903) oder Jean-<strong>August</strong>e-Dominique Ingres<br />
(1780–1867), die <strong>Macke</strong> auf seinen Studienreisen nach unter<br />
anderem London (1906), Paris (1907, 1908, 1909, 1912) oder<br />
Berlin 15 (1907–08) gesehen hatte. Viele dieser Darstellungen<br />
finden sich in den Skizzenbüchern <strong>Macke</strong>s wieder <strong>und</strong> auch<br />
einige Gemälde nach diesen Vorbildern sind erhalten. 16<br />
Es war nicht ungewöhnlich, dass <strong>Macke</strong>, wie viele<br />
andere Künstler, seine Frau in das Zentrum seiner (unverkäuflichen)<br />
Porträtarbeiten stellte. Zudem schien er auch praktische<br />
Gründe für die Wahl <strong>Elisabeth</strong>s als Modell gehabt zu haben,<br />
wie aus einer ihrer Erinnerungen hervorgeht: »Ich hatte ihm<br />
[als Modell] gesessen, was er sehr liebte; er war glücklich, in<br />
mir ein brauchbares Modell zu haben, denn er haßte es, sich<br />
mit stumpfsinnigen Mädchen abzugeben, die keine harmonische<br />
Bewegung aus sich machen konnten <strong>und</strong> müheselig zurecht<br />
gestellt werden mußten.« 17 <strong>Elisabeth</strong> zur Vorlage seiner<br />
Arbeiten zu machen, hatte für <strong>Macke</strong> also durchaus praktische<br />
Vorteile <strong>und</strong> erklärt vermutlich ebenfalls die Variation in den<br />
Gemälden <strong>Macke</strong>s. Der Umstand, dass sie zumeist anwesend<br />
war <strong>und</strong> ihn inspirierte, ermöglichte dem Künstler, spontan<br />
auf Ideen <strong>und</strong> Impressionen zu reagieren. Sie war nicht nur<br />
Vorbild für seine klassischen Porträts, später nicht selten in<br />
innigen Situationen mit den gemeinsamen Söhnen Walter<br />
(1910–27) <strong>und</strong> Wolfgang (1913–75) wiedergegeben, sondern<br />
auch in seinen Genrebildern, den Flaneur-Darstellungen der<br />
Hilterfinger Zeit 18 <strong>und</strong> Aktstudien ist <strong>Elisabeth</strong> zu erkennen.<br />
ELISABETH ALS FRAU<br />
IHRER ZEIT<br />
Als eines der bedeutendsten Bildnisse <strong>Macke</strong>s gilt Frau des<br />
Künstlers mit Hut (Porträt <strong>Elisabeth</strong>), Kat. 19 oft auch<br />
Westfälische Mona Lisa genannt. Das Ölgemälde entstand in<br />
der Zeit am Tegernsee, wo sich das junge Ehepaar im Herbst<br />
1909 nach der Hochzeit <strong>und</strong> der Hochzeitsreise nach Bern<br />
<strong>und</strong> Paris schließlich niedergelassen hatte. 19 Die folgenden<br />
Monate stellten eine besonders »fruchtbare Arbeitszeit« 20 für<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong> dar. In seiner heutigen Form zeigt das Porträt<br />
<strong>Elisabeth</strong> frontal als Brustbild. Dabei war der ursprüngliche<br />
Bildausschnitt größer: <strong>Macke</strong> selbst kürzte die Leinwand<br />
des zunächst als Kniestücks angelegten Gemäldes nach <strong>und</strong><br />
nach zu seiner heutigen Größe. Das farbig leuchtende <strong>und</strong><br />
stilistisch in sich geschlossene Gemälde ist wie viele Arbeiten<br />
<strong>Macke</strong>s eine »Summe von Einflüssen« 21 , die ihn künstlerisch<br />
geprägt haben. Zunächst lässt sich hier in der Klarheit der<br />
Formen <strong>und</strong> Linien der postimpressionistische <strong>und</strong> symbolistische<br />
Stil Gauguins erkennen, den <strong>Macke</strong> sehr bew<strong>und</strong>erte.<br />
Dies geht unter anderem aus der Skizze Die Mutter<br />
Gauguins, nach dem Gemälde von Paul Gauguin, um<br />
1890, Staatsgalerie Stuttgart Kat. 56 von 1907/10 hervor.<br />
Weiterhin orientierte sich <strong>Macke</strong> an zwei Porträts, die er in<br />
London gesehen hatte. Peter Paul Rubens’ (1577–1640) Porträt,<br />
das dieser zwischen 1622 <strong>und</strong> 1625 von seiner späteren<br />
Schwägerin Susanna L<strong>und</strong>en (1599–1643) gemalt hatte,<br />
sowie das Selbstporträt mit Strohhut der französischen<br />
Künstlerin <strong>Elisabeth</strong> Vigée-Lebrun (1755–1842) von 1783, 22<br />
bei dem sich die Künstlerin das Gemälde Rubens zum Vorbild<br />
nahm, weisen in der Bildkomposition große Ähnlichkeiten<br />
zu <strong>Macke</strong>s Werk auf. Die Verwandtschaft der Gemälde wird<br />
insbesondere durch die Darstellung der jeweiligen Frau mit<br />
ihrem Hut deutlich, wobei das von links oben einfallende<br />
Licht Schatten auf dem Gesicht der Porträtierten ent stehen<br />
lässt. Eine motivisch ähnliche, sich stilistisch aber sehr<br />
stark unterscheidende Skizze ist <strong>Elisabeth</strong> Gerhardt mit<br />
Hut Kat. 18 von 1907/08, bei der <strong>Macke</strong> weniger klare Linien<br />
verwendete. 23<br />
Dass <strong>Macke</strong> sich durchaus Inspiration von anderen<br />
Künstler:innen suchte <strong>und</strong> seine Bildnisse von <strong>Elisabeth</strong><br />
auch als Experimente dienten, zeigt sich an seiner Skizze<br />
<strong>Elisabeth</strong> <strong>Macke</strong><br />
Kat. 11 von 1913. Diese Porträtskizze ist<br />
stark von kubistischen <strong>und</strong> futuristischen Einflüssen geprägt.<br />
Im Gegensatz zu vielen Künstler:innen der Epoche,<br />
wie Georges Braque (1882–1963) oder Pablo Picasso<br />
(1881–1973), behielt <strong>Macke</strong> allerdings die physiognomischen<br />
Merkmale <strong>Elisabeth</strong>s bei. Dies unterscheidet <strong>Macke</strong>s Bildnisse<br />
zugleich von denen der anderen Expressionisten um die<br />
Künstlergruppen Blauer Reiter <strong>und</strong> Die Brücke. Gerade in den<br />
Porträts der Brücke-Künstler wurde vermehrt die Suche nach<br />
einem neuen Menschenbild <strong>und</strong> Selbstverständnis sowie der<br />
moderne Mensch in seiner existenziellen Verunsicherung ins<br />
Zentrum gerückt. <strong>Macke</strong> hingegen zeigte <strong>Elisabeth</strong> zumeist<br />
voller Zuneigung <strong>und</strong> Einfühlung <strong>und</strong> in einer gewissen Zufriedenheit.<br />
24 Während sich <strong>August</strong> <strong>Macke</strong> in diesen Porträts allein<br />
auf das Antlitz seiner Frau konzentrierte, wählte er in weiteren<br />
Werken einen größeren Bildausschnitt <strong>und</strong> gewährte so<br />
einen detaillierteren Einblick in das Leben mit seiner Gattin.<br />
Das Porträt mit Äpfeln Abb. 32 entstand Ende des Jahres<br />
1909 ebenfalls am Tegernsee <strong>und</strong> zählte zu den Lieblingswerken<br />
des Ehepaars <strong>Macke</strong>. Obwohl das Werk ursprünglich<br />
nie verkauft werden sollte, ging es spätestens 1914 in<br />
den Besitz von Bernhard Koehler 25 über <strong>und</strong> blieb somit im<br />
weitesten Sinne innerhalb der Familie. Das Hüftstück von <strong>Elisabeth</strong><br />
zeigt sie in frontaler Ansicht, den Blick leicht gesenkt<br />
<strong>und</strong> eine Schale mit Äpfeln haltend. Der rechte Bildrand wird<br />
von einem beigen Vorhang dominiert, der den Blick auf den<br />
neutralen, dunklen Hintergr<strong>und</strong> versperrt. Die Darstellung hat<br />
einen sehr symbolischen Charakter: Während der Vorhang,<br />
wie schon in Porträts der Renaissance <strong>und</strong> der Barockzeit, als<br />
Motiv der Würde <strong>und</strong> des Schutzes des Häuslichen gesehen<br />
wird, sind die Äpfel seit Jahrh<strong>und</strong>erten als Symbol der Fruchtbarkeit<br />
<strong>und</strong> Liebe bekannt. Beides lässt sich auf die Situation<br />
des Paares übertragen, das kurz zuvor seinen ersten gemeinsamen<br />
Wohnsitz bezogen hatte <strong>und</strong> <strong>Elisabeth</strong> zu jener Zeit<br />
mit dem ersten Kind schwanger war. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong><br />
betrachtet, erhebt <strong>Macke</strong> seine Frau in diesem thematisch<br />
sehr intimen Bildnis zu einer Allegorie der Fruchtbarkeit. Wie<br />
in diesem Bildnis schafft es <strong>Macke</strong> auch in anderen Arbeiten,<br />
sein bevorzugtes Modell durch ikonografische <strong>und</strong> stilistische<br />
Mittel zu typisieren <strong>und</strong> ihren Darstellungen dadurch einen<br />
Gleichnischarakter zu verleihen, ohne die individuellen Züge<br />
der Porträtierten zu verlieren. 26<br />
Besonders häufig in <strong>Macke</strong>s Œuvre sind Genredarstellungen,<br />
in denen <strong>Elisabeth</strong> zu sehen ist. Oft zeigen sie<br />
die Frau des Künstlers bei alltäglichen Handlungen in ihrer<br />
privaten <strong>und</strong> häuslichen Lebenswelt. Nur selten ist <strong>Elisabeth</strong><br />
den Betrachter:innen zugewandt, strahlt in den Darstellungen<br />
jedoch stets Ruhe <strong>und</strong> Harmonie aus. Das Gemälde<br />
<strong>Elisabeth</strong> am Schreibtisch Kat. 3 entstand vermutlich 1910,<br />
nachdem das Paar in seine zweite Wohnung am Tegernsee,<br />
das Staudacherhaus, umgezogen war. Es zeigt die Ehefrau<br />
des Künstlers schreibend <strong>und</strong> in sich gekehrt. Der Eindruck,<br />
dass sich die Dargestellte scheinbar unbeobachtet fühlt,<br />
verleiht dem Gemälde einen intimen Charakter. Während er<br />
sich in den bisher betrachteten Porträts auf wenige, aber<br />
leuchtende Farben beschränkte, nutzte <strong>Macke</strong> hier eine<br />
breitere Farbpalette. Die Gr<strong>und</strong>farben Rot (der Sessel), Blau<br />
(<strong>Elisabeth</strong>s Kleid) <strong>und</strong> Gelb (die Wand <strong>und</strong> der Tisch) dominieren<br />
das Bild, aber auch Mischfarben wie Orange, Lila oder<br />
Grün tauchen auf dem Teppichboden <strong>und</strong> dem Schreibtisch<br />
auf, wo sie der Künstler fast einer Farbstudie gleich nebeneinanderstellt.<br />
Zugleich vernachlässigt <strong>Macke</strong> in diesem Werk<br />
klare Linien <strong>und</strong> Konturen. Eine ähnlich private Darstellung<br />
<strong>Elisabeth</strong>s ist Stickende Frau auf Balkon (Frau mit<br />
Handarbeit) Abb. 34 von 1910. In leuchtender Farbigkeit zeigt<br />
das Gemälde <strong>Elisabeth</strong>, leicht typisiert, vor einem begrünten<br />
Hintergr<strong>und</strong> an einem Tisch sitzend <strong>und</strong> stickend. 27<br />
Abb. 34<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong>, Stickende Frau auf Balkon<br />
(Frau mit Handarbeit), 1910, Ölfarbe/Tempera<br />
auf Leinwand, 61 x 48 cm, Kunstmuseum Bonn<br />
Auffällig ist, dass <strong>Macke</strong> <strong>Elisabeth</strong> immer als Frau<br />
ihrer Zeit zeigt – sie wird stets in schützenden Innenräumen<br />
oder im Garten dargestellt, während sie die für eine Ehefrau<br />
vorgesehenen Arbeiten verrichtet: <strong>Elisabeth</strong> liest, schreibt,<br />
oder verrichtet Handarbeit. Obwohl der Künstler Wert darauf<br />
legte, dass seine Gattin <strong>und</strong> er sich in ihrer Bildung »gleichstehen«<br />
sollten, scheint dies aus heutiger Sicht schwer zu<br />
glauben. Denn ein außerhäusliches, berufliches oder gar<br />
politisches Interesse wird ihr – r<strong>und</strong> ein Jahrzehnt vor der<br />
Einführung des Frauenwahlrechts im November 1918 – in<br />
den Gemälden, Aquarellen <strong>und</strong> Skizzen nicht zugesprochen.<br />
Es gibt darauf nicht nur in den Kunstwerken keine Hinweise,<br />
auch durch die Worte <strong>Macke</strong>s wird dieser Anschein bestätigt:<br />
40 ELISABETH ALS MUSE<br />
41
Kat. 19<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong><br />
Frau des Künstlers mit Hut<br />
1909, Öl auf Leinwand (doubliert), 49,7 x 34 cm, Münster, LWL-Museum<br />
für Kunst <strong>und</strong> Kultur, Inv.-Nr. 1612 LM<br />
Prov.: Nachlass des Künstlers (G 83); bis 1957 Privatbesitz;<br />
bis 1975 Privatbesitz; Privatbesitz; 1981–2014 LWL-Museum für Kunst<br />
<strong>und</strong> Kultur, Münster, Leihgabe aus Privatbesitz; erworben 2014 mit<br />
Unterstützung der Beauftragten der B<strong>und</strong>esrepublik für Kultur <strong>und</strong><br />
Medien, der Kulturstiftung der Länder, des Landes Nordrhein-Westfalen,<br />
der Kunststiftung NRW <strong>und</strong> der Ernst von Siemens Kunststiftung<br />
Den von <strong>Elisabeth</strong> Erdmann-<strong>Macke</strong> angelegten Karteikarten, die die Gr<strong>und</strong>lage der<br />
Werktexte bilden, ist Folgendes zu entnehmen: Das Gemälde entsteht 1909 in Tegernsee<br />
<strong>und</strong> ist ursprünglich mit einer tiefprofilierten Goldleiste gerahmt, die heute nicht<br />
mehr existiert. Die weitere Beschreibung der Darstellung lautet: »Von vorn gesehen. In<br />
grünem, kleinen Hut mit blauem B<strong>und</strong> <strong>und</strong> weisser Feder, grünem Kleid, Bernsteinkette<br />
<strong>und</strong> violetter Jacke. Heller Hintergr<strong>und</strong>.«<br />
<strong>Macke</strong> signiert <strong>und</strong> datiert das Gemälde Frau des Künstlers mit Hut zweimal,<br />
»A<strong>Macke</strong>1909« <strong>und</strong> »<strong>Macke</strong> 191[2]«. So ist die Entstehung des Bildes zwar aufgr<strong>und</strong><br />
der Erinnerungen von <strong>Elisabeth</strong> <strong>und</strong> der Nummerierung der Karteikarten auf die Monate<br />
November <strong>und</strong> Dezember 1909 einzugrenzen, die Änderung von Kniestück zu heutigem<br />
Bildnis erfolgt möglicherweise jedoch erst 1912. Unterstützt wird diese Vermutung durch<br />
<strong>Elisabeth</strong>s Aussage, dass der Künstler die Leinwand »nachher immer mehr abschnitt,<br />
bis nur noch der Kopf übrigblieb«(Erdmann-<strong>Macke</strong> 1987, S. 172). Aufgr<strong>und</strong> dieser<br />
Information ist es durchaus wahrscheinlich, dass <strong>Macke</strong> das Bild noch einmal signiert,<br />
nachdem es sein endgültiges Format erhalten hat.<br />
Das Bild bleibt im Besitz der Familie <strong>und</strong> ist im Nachlass als unverkäuflich gelistet.<br />
Zu Lebzeiten des Künstlers wird das Bildnis seiner Frau nur 1912 in Jena in einer<br />
Ausstellung zum Thema Porträts gezeigt. Erst ab 1918 tourt es regelmäßig. Stationen<br />
sind zwischen 1918 <strong>und</strong> 1935 der Kölner Kunstverein, der Dramaverein in Bonn, die<br />
Kestner-Gesellschaft in Hannover, die beiden Gedächtnisausstellungen 1920 im Frankfurter<br />
Kunstverein <strong>und</strong> im Neuen Museum Wiesbaden, Nassauischer Kunstverein, der<br />
Kunstverein Halle sowie die <strong>Macke</strong>-Ausstellung in der Galerie von der Heyde in Berlin<br />
1934 <strong>und</strong> der Kunstverein Hamburg. Auch nach 1947 wird das Porträt regelmäßig für<br />
Aus stellungen ausgeliehen.<br />
Die Darstellungen seiner Frau nehmen eine Sonderstellung innerhalb der Porträt arbeiten<br />
des Künstlers ein. <strong>Elisabeth</strong> sitzt ihrem Mann nicht nur für zahlreiche Bilder Modell,<br />
sondern wird auch zur Verkörperung seiner Frauengestalten. Inspiriert durch die französischen<br />
Fauves, deren Arbeiten <strong>Macke</strong> darin bestärken, Formen zusammenzufassen,<br />
zeichnet sich das Porträt <strong>Elisabeth</strong>s durch seine optische Intensität aus, die durch das<br />
Vor- <strong>und</strong> Zurückspringen der aneinander grenzenden, farbigen Flächen hervorgerufen<br />
wird. Die infolge einer starken künstlerischen Beleuchtung entstehenden Lichteffekte<br />
<strong>und</strong> die für <strong>Macke</strong> unüblichen, kräftigen, schillernden Farbtöne weisen deutlich auf einen<br />
Einfluss Edgar Degas’ hin. <strong>Macke</strong>s Fähigkeit, die Farben zum Leuchten zu bringen,<br />
<strong>und</strong> sein sicheres Gespür für Komposition <strong>und</strong> Farbe kommen in diesem Porträt zum<br />
Ausdruck.<br />
50 ELISABETH ALS MUSE<br />
51
Kat. 61<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong>, Farbige Formen II, 1913, Öl auf Karton, 53,6 x 63 cm,<br />
Ludwigshafen, Wilhelm-Hack-Museum<br />
IM KREIS<br />
DES BLAUEN<br />
REITER<br />
Als <strong>August</strong> <strong>und</strong> <strong>Elisabeth</strong> <strong>Macke</strong> zu Beginn des Jahres 1910 Franz Marc<br />
<strong>und</strong> Maria Franck kennenlernen, kommt <strong>Macke</strong> schnell mit dem Münchener<br />
Umfeld Marcs in Kontakt, zu dem unter anderen Wassily Kandinsky,<br />
Gabriele Münter <strong>und</strong> Alexej von Jawlensky gehören. Die von ihnen<br />
gegründete Künstlergruppe Der Blaue Reiter glaubt an eine »geistige«<br />
Dimension der Kunst <strong>und</strong> gibt verschiedenen formalen Ausdrucksmöglichkeiten<br />
Raum. <strong>Macke</strong> nimmt diese Impulse auf, experimentiert mit<br />
abstrakten Elementen, lehnt aber den spirituellen Ansatz ab.<br />
Anfang Januar 1910 kommt es in München zur ersten Begegnung zwischen<br />
<strong>Macke</strong>, seinem Cousin Helmuth <strong>Macke</strong>, Bernhard Koehler, dem Sohn des<br />
Sammlers Bernhard Koehler, <strong>und</strong> Franz Marc. Angeregt durch die Arbeiten<br />
Marcs, die sein Sohn daraufhin mit nach Berlin bringt, reist Koehler sen.<br />
selbst zu Marc <strong>und</strong> wird der wichtigste Mäzen des Blauen Reiter. Er unterstützt<br />
1912 nicht nur die Publikation des Almanachs ›Der Blaue Reiter‹<br />
<strong>und</strong> 1913 den ›Ersten Deutschen Herbstsalon‹ finanziell, sondern kauft<br />
auch <strong>Macke</strong> <strong>und</strong> seinen Künstlerfre<strong>und</strong>:innen regelmäßig Bilder für seine<br />
Sammlung ab.<br />
Trotz aller immer wieder auftauchenden Differenzen stehen <strong>Macke</strong> <strong>und</strong><br />
Marc über die Jahre im engen künstlerischen Austausch, wie aus der<br />
Korres pondenz der beiden Künstler hervorgeht. Auch ihre Frauen, Maria<br />
<strong>und</strong> <strong>Elisabeth</strong>, verbindet eine Fre<strong>und</strong>schaft: Beide wirken am Schaffen<br />
ihrer Männer mit, sie teilen die Liebe zur Musik <strong>und</strong> das Interesse an<br />
Hinterglasmalerei, Webarbeiten <strong>und</strong> Stickereien – in deren Herstellung<br />
sie sich auch selbst versuchen. Vor allem <strong>Elisabeth</strong> entwickelt nach dem<br />
Tod ihres Mannes einen eigenen Stil <strong>und</strong> kombiniert Einzelszenen <strong>und</strong><br />
-figuren <strong>Macke</strong>s zu neuen Arrangements.<br />
112 113
Abb. 51<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong>, Farbige Kompositionen I (Hommage à J. S. Bach), 1912,<br />
Ölfarbe auf Karton, 101 x 82 cm, Ludwigshafen, Wilhelm-Hack-Museum<br />
AUGUST MACKE UND<br />
DIE MUSIK<br />
Peter Vergo<br />
»Was die Musik so rätselhaft schön macht, wirkt auch in der<br />
Malerei bezaubernd. Nur gehört eine unmenschliche Kraft<br />
dazu, die Farben in ein System zu bringen, wie die Noten. In<br />
den Farben gibt es geradezu Kontrapunkt, Violon-, Baßschlüssel,<br />
moll, dur wie in der Musik.« 1 <strong>August</strong> <strong>Macke</strong> an <strong>Elisabeth</strong><br />
Gerhardt, 1907<br />
Abb. 52<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong>, Flöte spielend, Fotografie,<br />
um 1904, Münster, LWL-Museum für Kunst <strong>und</strong><br />
Kultur, <strong>Macke</strong>-Archiv, MA-015,121LM<br />
Ein altes Archivfoto Abb. 52 aus der Zeit um 1904<br />
zeigt einen sehr jungen <strong>August</strong> <strong>Macke</strong>, der nackt im Schilfrohr<br />
sitzt <strong>und</strong> eine scheinbar kunstvoll gefertigte Doppelflöte<br />
spielt. 2 Hat er vielleicht den großen Gott Pan verkörpert,<br />
»da unten im Schilfrohr«, den Elizabeth Barrett Browning<br />
(1806–61) in ihrem Gedicht A Musical Instrument (Ein<br />
Musikinstrument) so w<strong>und</strong>erschön beschrieben hat? 3 Eines<br />
seiner späteren Skizzenbücher, das er wahrscheinlich um<br />
1911–12 verwendete, enthält detaillierte Notizen zum Üben<br />
bestimmter Passagen einiger sehr schwieriger Klavierstücke,<br />
darunter Beethovens »Waldstein«-Sonate. 4 Diese Notizen wurden<br />
jedoch wahrscheinlich von <strong>Macke</strong>s Frau <strong>Elisabeth</strong>, einer<br />
sehr begabten Pianistin, angefertigt; jedenfalls scheint die<br />
Handschrift die ihre zu sein. Abgesehen von diesen winzigen<br />
Indizien deutet wenig darauf hin, dass der Künstler selbst ein<br />
praktizierender Musiker war.<br />
Es steht jedoch außer Frage, dass <strong>Macke</strong> von<br />
Musik <strong>und</strong> Musiktheorie fasziniert war. Diese Begeisterung<br />
war wahrscheinlich den Neigungen <strong>und</strong> Interessen vieler<br />
seiner Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Familienmitglieder geschuldet. Paul Klee<br />
(1879–1940), der ihn 1914 auf seiner Reise nach Tunesien<br />
begleitete, war ein hervorragender Geiger, der die Musik ohne<br />
Weiteres zu seinem Beruf hätte machen können. Im Briefwechsel<br />
<strong>Macke</strong>s mit einem anderen Malerfre<strong>und</strong>, Franz Marc<br />
(1880–1916), finden sich zahlreiche Betrachtungen über die<br />
»Schwesterkünste« der Malerei <strong>und</strong> der Musik. In einem Brief<br />
vom Dezember 1910 erläuterte er für Marc seine eigenen<br />
Theorien über das Verhältnis von Farben <strong>und</strong> Linien einerseits,<br />
Melodien <strong>und</strong> musikalischen Tönen andererseits.<br />
»Alle Linien (bzw. Melodien) bestimmen die Folge<br />
der Farben (bzw. Klänge). Aufsteigende, absteigende Melodien<br />
[...] Dabei kann das absteigende schon in Teilen im<br />
aufsteigenden enthalten sein <strong>und</strong> umgekehrt. Der durch die<br />
Linien (Melodien) geführte Farbkomplex ist die Frage auf die<br />
Antwort des Gegenkomplexes [...] Dabei spielt hell <strong>und</strong> dunkel<br />
sehr oft die Rolle der Melodieführung, ebenso gelb <strong>und</strong><br />
violett, orange, blau, grün <strong>und</strong> rot.« 5<br />
<strong>Macke</strong>s Brief enthielt auch Zeichnungen von Farbkreisen,<br />
die die gegenüberliegenden Paare von Komplementärfarben<br />
zeigten <strong>und</strong> die darauf hinweisen, wie die Farbabfolge<br />
von hell nach dunkel den verschiedenen Oktaven auf<br />
dem Klavier entsprechen könnte, höher oder tiefer.<br />
Einige Wochen später äußerte Marc seine eigene<br />
Meinung darüber, wie die jüngsten Entwicklungen in der<br />
Malerei jene in der Musik widerzuspiegeln schienen. In einem<br />
Brief an <strong>Macke</strong> von Januar 1911 beschrieb er ein Konzert,<br />
das er zusammen mit Kandinsky (1866–1944) <strong>und</strong> anderen<br />
Mitgliedern der Neuen Künstler-Vereinigung München besucht<br />
hatte. Auf dem Programm standen Werke des Wiener<br />
Avantgarde-Komponisten Arnold Schönberg (1874–1951):<br />
Klavierstücke, Lieder <strong>und</strong> seine beiden frühen Streichquartette.<br />
6 Marc schrieb: »Kannst Du Dir eine Musik denken,<br />
in der die Tonalität (also das Einhalten irgendeiner Tonart)<br />
völlig aufgehoben ist? Ich musste stets an Kandinskys grosse<br />
Komposition denken, der auch keine Spur von Tonart zulässt<br />
114 IM KREIS DES BLAUEN REITER<br />
115
Abb. 62<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong>, Modes. Frau mit Sonnenschirm vor Hutladen, 1914,<br />
Öl auf Leinwand, 60,5 x 50,5 cm, Essen, Museum Folkwang<br />
MODE UND MODERNITÄT<br />
IM WERK VON AUGUST MACKE<br />
Tanja Pirsig-Marshall<br />
Der Kunstkritiker Adolf Behne (1885–1948) sah in seinem<br />
Nachruf auf <strong>August</strong> <strong>Macke</strong> 1915 die Motivreihe der Schaufenster<br />
als größte künstlerische Leistung des Künstlers, eine<br />
Manifestation seines individuellen, ausdrucksstarken Stils,<br />
der sich stark von seinen Zeitgenoss:innen unterschied: »Die<br />
Frauen vor den Schaufenstern, die Hutauslagen <strong>und</strong> die<br />
Müßiggänger in Straßen <strong>und</strong> in Gärten waren in Formen liebenswürdigen<br />
Witzes umgesetzt, so wie sie keinem anderen<br />
Maler bei uns möglich schienen, wie sie auch keineswegs von<br />
Delaunay zu leihen waren [...]. Unter den Gestalten der ersten<br />
Expressionisten wird <strong>August</strong> <strong>Macke</strong> als eine der besten <strong>und</strong><br />
als die liebenswürdigste ewig fortleben.« 1<br />
Themen für seine Werke fand <strong>Macke</strong> oft in seiner<br />
unmittelbaren Umgebung, wie viele seiner Zeitgenossen<br />
orientierte er sich am modernen Leben: »Die neuen Elemente,<br />
Auto, Schnellbahn, Flugzeug, Film <strong>und</strong> Maschinen müssen ja<br />
einen neuen Künstler erzeugen, ihm Eindrücke vermitteln, die<br />
unsern Böcklins <strong>und</strong> Lenbachs fehlten.« 2 In der französischen<br />
Moderne fand er Anhaltspunkte für neue Ausdrucksmöglichkeiten,<br />
die dem Zeitgeist <strong>und</strong> seinem eigenen Bedürfnis auf<br />
der Suche nach innovativen Inhalten <strong>und</strong> Formulierungen<br />
in einer sich ständig verändernden Welt gerecht wurden.<br />
<strong>Macke</strong> wurde durch die Begegnung mit den Werken Robert<br />
Delaunays (1885–1941) <strong>und</strong> der italienischen Futuristen auf<br />
das Phänomen der Bewegung in der Kunst aufmerksam. Er<br />
äußerte sich nicht nur über die »raumbildenden Energien der<br />
Farbe« 3 , sondern führte auch aus, dass Kontraste dazu dienten,<br />
»das Leben im Bilde aktiver zu gestalten, die Spannung<br />
zu erhöhen <strong>und</strong> Bewegung zu geben.« 4 Es ging ihm um die<br />
innere Dynamik seiner Bilder, die sich aus Komposition, Farbgebung<br />
<strong>und</strong> Kontrastsetzung zusammensetzte.<br />
Insbesondere die Fensterbilder, Abb. 63 die Serie<br />
der Fenêtres, mit denen Delaunay im April 1912 begonnen<br />
hatte, lösten bei <strong>Macke</strong> eine begeisterte Reaktion aus:<br />
»Reflektierende Spiegelscheiben, durch die man an einem<br />
sonnigen Tag die Stadt <strong>und</strong> den Eiffelturm sieht, die tiefvioletten<br />
Reflexe, links das herrliche Orange, unten die blassblauen<br />
Häuser, aus denen sich immer wieder, überfangen von dem<br />
scharf abgegrenzten Glänzen der Scheibe, der grüne Turm<br />
steil bis in den azurblauen Himmel erhebt […]. Das ist alles<br />
so herrlich ausgewogen, dass die ganze sonnige Natur sich<br />
drin spiegelt.« 5 Für <strong>Macke</strong> bedeuteten die Fensterbilder eine<br />
Offenbarung der reinen Farbe, den Vorstoß zu einer neuen<br />
Auffassung der Malerei. Farbflächen füllen die gesamte<br />
Leinwand mit einer geometrisierenden Formenvielfalt. Diese<br />
Formen durchdringen oder überlagern sich <strong>und</strong> erinnern an<br />
das Brechen des Lichts durch ein Prisma oder an den Einfall<br />
des Lichts durch ein farbiges Glasfenster.<br />
Abb. 63<br />
Robert Delaunay, La Fenêtre, 1912, Öl auf<br />
Leinwand, 45,8 x 37,5 cm, Grenoble, Musée<br />
des Beaux-Arts<br />
Diese Beobachtungen nahm <strong>Macke</strong> in seinen Darstellungen<br />
von Schaufenstern wieder auf <strong>und</strong> formulierte<br />
sie neu. Schon in seinen frühen Skizzenbüchern finden sich<br />
belebte Pariser Boulevards, beleuchtete Straßen bei Nacht,<br />
Berliner Straßenecken Abb. 64 <strong>und</strong> abendliche Straßen, Abb. 65<br />
in denen sich <strong>Macke</strong>s Interesse für die Großstadt <strong>und</strong> das<br />
Straßenleben äußerte. Ihm werden die Geschäftsfassaden mit<br />
den beleuchteten Schaufensterfronten <strong>und</strong> die zunehmende<br />
148 MODE UND MODERNITÄT<br />
149
Aufmerksamkeit, die die Schaufenstergestaltung vor allem in<br />
den Jahren 1913 <strong>und</strong> 1914 erhielt, nicht entgangen sein. Es<br />
gab kaum eine Zeitschrift, die nicht zu diesem Thema einen<br />
Artikel publizierte. 6 Die Diskussion um Funktion <strong>und</strong> Wirkung<br />
der Schaufenster weckte das Interesse der zeitgenössischen<br />
Künstler, unter ihnen Honoré Daumier (1808–79) <strong>und</strong> Max<br />
Slevogt (1868–1932), die von der Darstellung beleuchteter<br />
Fenster <strong>und</strong> der in ihnen präsentierten Auslagen angezogen<br />
waren. 7 <strong>Macke</strong> <strong>und</strong> Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938)<br />
nutzten das Motiv des Schaufensters vor allem für ihre visuellen<br />
Experimente. Die zunehmende Autonomie von Form <strong>und</strong><br />
Farbe sowie die optische Empfindung des Lichts spielten<br />
dabei ebenso eine Rolle wie die Eindrücke einer zunehmend<br />
kommerziellen Welt, die einen Wandel der Bedeutung der<br />
Kunst herausforderte. 8<br />
Abb. 64<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong>, Ecke des Hauses in der<br />
Brandenburgstraße in Berlin, 1907/08,<br />
Bleistift auf Papier, 18,4 x 11,8 cm, Münster,<br />
LWL-Museum für Kunst <strong>und</strong> Kultur,<br />
Inv.-Nr. KdZ 2150 LM<br />
Es war jedoch Franz Marc (1880–1916), der diese<br />
enge Symbiose zwischen dem modernen Leben <strong>und</strong> der<br />
reinen Malerei, die angestrebt wurde, zusammenfasste: »Das<br />
Warenhaus <strong>und</strong> die moderne Beleuchtungsszenerie drängen<br />
uns das Simultane von Delaunay geradezu auf. [...] Die opti-<br />
Abb. 65<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong>, Abendliche Straße, Bleistift auf<br />
Papier, 16,9 x 10,5 cm, Münster, LWL-Museum<br />
für Kunst <strong>und</strong> Kultur, Inv.-Nr. KdZ 2192 LM<br />
Abb. 66<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong>, <strong>Elisabeth</strong> mit Hut, 1908,<br />
Bleistift auf Papier, 18,5 x 11,9 cm, Münster,<br />
LWL-Museum für Kunst <strong>und</strong> Kultur,<br />
Inv.-Nr. KdZ 2157 LM<br />
Neben diesen Aspekten spielte auch die modische<br />
Erscheinung <strong>Elisabeth</strong>s eine Rolle. Modebewusst <strong>und</strong> mit<br />
einem Faible für Hüte regte sie ihren Mann zu bestimmten<br />
Bildfindungen an. Darstellungen von <strong>Elisabeth</strong> Abb. 66 <strong>und</strong><br />
anderen Frauen mit Hüten, Abb. 67 von eleganten Damen in<br />
Cafés oder Restaurants, Abb. 68 von vor den Schaufenstern<br />
innehaltenden Passantinnen waren ebenso seine Sujets wie<br />
Kostüm- <strong>und</strong> Kleiderentwürfe; Motive, die von der frühen<br />
Pariser Reise 1907 bis hin zu der Zeit in Hilterfingen 1913/14<br />
immer wieder in seinen Skizzenbüchern Niederschlag fanden.<br />
Die unterschiedlichen Entwicklungen in der Kunst, in der<br />
Mode <strong>und</strong> der angewandten Kunst haben seine Bildthemen in<br />
diesen Jahren mitbestimmt.<br />
DIE BEKANNTSCHAFT VON AUGUST MACKE<br />
UND ROBERT DELAUNAY<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong> stieß zum ersten Mal während der Vorarbeiten<br />
zum Blauen Reiter im Oktober 1911 auf Fotografien von<br />
Werken Robert Delaunays, die die Malerin <strong>Elisabeth</strong> Epstein<br />
(1879–1956) aus Paris mitgebracht hatte. Wenige Monate<br />
später, im Januar 1912, konnte er außerdem Werke des<br />
Abb. 67<br />
Franzosen im Kölner Gereonsklub im Original in Augenschein<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong>, Damen am Tisch im Café oder<br />
nehmen. In der dort gezeigten Wanderausstellung Der Blaue<br />
Restaurant, 1907/08, Kreide auf Papier,<br />
Reiter waren vier Gemälde Delaunays ausgestellt. Die erste<br />
19,5 x 12,3 cm, Münster, LWL-Museum für Kunst<br />
<strong>und</strong> Kultur, Inv.-Nr. KdZ 2153 LM<br />
persönliche Begegnung der beiden Künstler fand im Anschluss<br />
daran im Oktober 1912 im Atelier Delaunays <strong>und</strong> seiner<br />
Frau Sonia (1885–1979) in der Rue des Grands-<strong>August</strong>ins<br />
statt. <strong>Macke</strong> war zusammen mit Hans Arp (1886–1966),<br />
Bernhard Koehler jr. (1882–1964), Maria Franck (1876–1955)<br />
<strong>und</strong> Franz Marc (1880–1916), jedoch ohne <strong>Elisabeth</strong>, die zu<br />
diesem Zeitpunkt gerade zum zweiten Mal schwanger war,<br />
nach Paris gefahren. Im Atelier Delaunays konnte er die bereits<br />
erwähnten Fensterbilder des Franzosen sehen <strong>und</strong> auch<br />
seine Farbtheorien kennenlernen. 10 Die Wohnung von Sonia<br />
<strong>und</strong> Robert Delaunay galt der Boheme als eine Art Salon der<br />
abstrakten Malerei.<br />
Der spontane Gegenbesuch von Delaunay <strong>und</strong><br />
seinem Fre<strong>und</strong> Guillaume Apollinaire (1880–1918) bei <strong>August</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Elisabeth</strong> <strong>Macke</strong> in Bonn erfolgte drei Monate später <strong>und</strong><br />
stand ganz im Zeichen kunstpolitischer Diskussionen über<br />
Abb. 68<br />
die Durchsetzung des Expressionismus in Deutschland. 11 Die<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong>, Paar im Restaurant, 1914,<br />
beiden Franzosen kamen über Köln aus Berlin, wo Herwarth<br />
Kreide auf Papier, 20,4 x 13,7 cm, Münster,<br />
Walden (1887–1941) Robert Delaunay in seiner Galerie eine<br />
LWL-Museum für Kunst <strong>und</strong> Kultur,<br />
Inv.-Nr. KdZ 2200 LM<br />
Ausstellung gewidmet hatte, die im Anschluss nach Köln<br />
zum Gereonsklub weiter tourte. Durch den Besuch etablierte<br />
sich, so <strong>Elisabeth</strong> Erdmann-<strong>Macke</strong> in ihren Erinnerungen, die<br />
Fre<strong>und</strong>schaft der beiden Künstler <strong>und</strong> ein intensiver Briefwechsel<br />
begann, in dem es um den Austausch von künst-<br />
sche Kultur der Großstadt ist wie von Delaunay gemacht […].<br />
Strahlungen, Licht, Elektrizität, Telephone, Schallplatten, Fliegen<br />
– nichts entspricht diesem immateriellen Zustand bereits stellungen <strong>und</strong> Bildverkäufe ging. Auf Betreiben <strong>Macke</strong>s, der<br />
lerischen Ideen, Äußerungen zur Kunst, aber auch um Aus-<br />
1910 so sehr wie die Reinheit der abstrakten Malerei.« 9 in Köln die Delaunay-Ausstellung mehrmals besuchte, kaufte<br />
150 MODE UND MODERNITÄT<br />
151
Berühmt für seine farbstarken <strong>und</strong> individuellen<br />
Kompositionen ist <strong>August</strong> <strong>Macke</strong> einer der<br />
bekanntesten Maler des deutschen Expressionismus.<br />
Dieses Buch zeigt die einzelnen Aspekte seines<br />
Schaffens in einem neuen Licht. Erstmals steht dabei<br />
die Rolle von <strong>Elisabeth</strong> <strong>Macke</strong> im Fokus. In über<br />
200 Gemälden <strong>und</strong> Zeichnungen hat <strong>August</strong> <strong>Macke</strong><br />
seine Frau dargestellt. <strong>Elisabeth</strong>, »mein zweites Ich«,<br />
war mehr für ihn als Muse <strong>und</strong> Modell. Sie managte<br />
sein Künstlerdasein <strong>und</strong> arbeitete mit Erfolg gegen<br />
das Vergessen des im Ersten Weltkrieg gefallenen<br />
Malers. In einem nahezu lückenlosen Überblick über<br />
alle Schaffensphasen werden anhand der Gemälde,<br />
der 80 Skizzenbücher <strong>und</strong> dem Nachlass mit Briefen,<br />
Quellentexten <strong>und</strong> Fotos das Gesamtwerk <strong>August</strong><br />
<strong>Macke</strong>s <strong>und</strong> das Wirken <strong>Elisabeth</strong> <strong>Macke</strong>s in einen<br />
völlig neuen Zusammenhang gebracht.